Christen im Dialog mit Buddhisten: Drei Fragen an Prof. Wilhelm Gräb

Weiterdenken: Drei Fragen an den protestantischen Theologen Prof. Wilhelm Gräb, Berlin

Warum Christen am Dialog mit Buddhisten interessiert sind.

Die Fragen stellte Christian Modehn

Das Programm des Evangelischen Kirchentags in Berlin (im Mai 2017) begrenzt sich nach meinem Eindruck sehr stark auf innerkirchliche, politische und soziale Themen. Philosophie spielt als Thema keine Rolle, dies hängt wohl mit der radikalen Abwehr des freien, philosophischen Denkens durch Luther zusammen. Bedauerlich ist genauso, dass dem Dialog der Religionen wenig Raum gegeben wird. Dialog der Christen gilt in der globalen Welt nicht nur dem Gespräch mit Juden und Muslimen, sondern auch dem Austausch mit Buddhisten. Ich habe den Eindruck, dass ein breiter Strom evangelischer Theologie insgesamt wenig Interesse hat, mit dem Buddhismus, der in Europa unter jüngeren Leuten viel Zuspruch findet, ins lernbereite Gespräch einzutreten. Ist diese Einschätzung treffend? Wenn Ja: Woran liegt dieses offenkundige evangelische Desinteresse am Buddhismus?

Ja, woran liegt das, dass der Dialog mit den Religionen und Weltanschauungen kaum eine Rolle spielt, allenfalls der Dialog mit dem Islam und dem Judentum – aber dies dann auch nur aus religions- und sicherheitspolitischen Gründen!? Warum findet der Buddhismus so wenig Beachtung, ebenso wenig wie philosophische Lebens- und Weltdeutungen, atheistische Positionen und humanistische Weltanschauungen? Mit dem allem wird auch auf dem nächsten Kirchentag Ende Mai in Berlin kein energischer Dialog geführt werden.

Warum ist das so? Ich denke, weil man in den Kirchen und zumeist auch in der Theologie den christlichen Glauben gar nicht als eine Position in den alle Menschen angehenden Fragen der Lebensdeutung und Weltorientierung versteht und zu verteidigen unternimmt. Man tritt leider nicht dafür ein, dass zunächst einmal „Glauben“ überhaupt zu uns Menschen gehört: Erstens, sofern wir uns zum Ganzen der Wirklichkeit, das unser Wissen immer übersteigt, verhalten. Und zweitens: Sofern wir über unsere eigene Stellung in diesem Ganzen und damit über die Bestimmung unseres Daseins nachdenken. Da können wir auf den Ausgriff ins Metaphysische, auf das unserem Wissen Transzendente, insofern auf das, was uns auf Glauben angewiesen sein lässt, nicht verzichten. Das gilt für alle, auch für Atheisten. Auch sie vertreten, indem sie sagen, dass kein Gott sei, eine auf metaphysische Setzungen ausgreifende Glaubensposition.

Statt sich auf solche Debatten um die religiöse bzw. weltanschauliche Dimension unseres bewussten Lebens einzulassen, dogmatisiert man in den Kirchen lieber die Säkularisierungsthese, wonach die „Gläubigen“, also jene, die nach wie vor ihren Kirchen und Religionen anhängen, der immer größer werdenden Schar der religiös Desinteressierten und Atheisten gegenüberstehen. Man redet sich ein, dass die meisten Menschen an Religion gar nicht mehr interessiert seien und beschränkt sich deshalb, die „Gläubigen“ betreffend, auf innerkirchliche Themen, und zur Gesellschaft hin darauf, dass man politische und sozialethische Themen favorisiert.

Im Grund demonstriert dieses Verhalten der Kirchen, dass man es aufgegeben hat, den christlichen Glauben selbst als Religion, d.h. als eine das Verhältnis von uns Menschen zum Ganzen der Wirklichkeit und die Sinnbestimmung unseres Daseins reflektierende Lebens- und Weltdeutung zu behaupten, plausibel zu machen und zu verteidigen – im protestantischen Raum ist dies in der Tat noch stärker als im katholischen. Man traut sich keine rationalen Argumente für den Glauben mehr zu, beschränkt seine Zuständigkeit auf die – aus welchen lebensgeschichtlichen Motiven heraus auch immer – „Gläubigen“. Man sucht diese „Gläubigen“ in ihrem Glauben durch die Einschwörung auf die traditionellen Glaubensartikel zu bestärken und zielt auf Eindeutigkeit in ethisch-moralischen Konsequenzen, die das „christliche“ Leben verlange.

Es wird nicht eingestanden, geschweige denn ergebnisoffen diskutiert, dass auch der „christliche Glaube“, wie alle Religionen, ein wagender Versuch von uns Menschen ist, uns deutend zur transzendenten, weil aufs Ganze gehenden Wirklichkeit unseres Lebens in der Unendlichkeit des Universums zu verhalten, indem wir auf biblische, kirchliche, theologische, philosophische, literarische, ästhetische, symbolische und rituelle Überlieferungen zurückgreifen. Solange die Kirchen die Religionsunfähigkeit des christlichen Glaubens demonstrieren, kann gar keine Motivation entstehen, sich mit den vielen anderen menschlichen Versuchen – den religiösen, weltanschaulichen, philosophischen Unternehmungen – deutend zur transzendenten Ganzheit unseres Daseins in der unendlichen Welt zu verhalten und damit zu beschäftigen. Das macht dann auch den sog. interreligiösen Dialog zumeist so geistesarm, dogmatisch beschränkt, moralisch eng geführt und religionspolitisch in seiner Absicht durchschaubar.

Nun ist gerade der Buddhismus in seinen vielen Spielarten so etwas wie eine philosophische, auf das Selbst-Denken setzende Religion. Er kommt ohne einen Schöpfer- und Erlösergott aus. Der Buddhismus spricht die Menschen auf das an, was sie selbst durch entsprechende meditative Praktiken, die man erlernen kann, tun können, damit sie frei oder zumindest freier werden, gegenüber dem, was sie bedrückt und belastet, worunter sie leiden und womit sie in dieser Welt nicht fertig werden. Er offeriert sich offensiv als eine bestimmte Lebens- und Weltdeutung und zeigt weite Wege, auf denen man so in diese hineinfinden kann, dann man effektiv die Erfahrung macht, wie gut es einem tut, sich zu teilen.

Man kann den Buddhismus durchaus als eine „Religion ohne Gott“ bezeichnen, eine Auffassung von der Religion als einer lebensführungspraktisch orientierenden Lebens- und Weltdeutung, die auch im Westen, also im kulturellen Einflussbereich des Christentums, immer wieder vertreten worden ist und vertreten wird. Aber solange man sich im Christentum theologisch nicht darauf einlässt, den christlichen Glauben überhaupt als eine Möglichkeit der Lebens- und Weltdeutung unter anderen zu verstehen und stattdessen Argumente dafür aufzubieten unternimmt, worin denn die Vorzüglichkeit des Christlichen im Vergleich mit dem Lebens- und Weltdeutungskonzept des Buddhismus besteht, wird das interreligiöse Gespräch keine Belebung erfahren, auch und schon gar nicht auf Kirchentagen.

Buddhistisch geprägte Meditationsformen (etwa Zen) sind weit über explizit – buddhistische Kreise hinaus beliebt, werden als Lebenshilfe entdeckt. Es ist doch wohl keine Blamage, wenn sich die Christen eingestehen: Diese Meditationsformen, auch diese Praxis der Stille und des Schweigens, haben wir nicht in unserer Tradition! Ist es tatsächlich so, dass Christen auf dem weiten Feld des Religiösen ohnehin nicht „alles“ bieten können?

Ob wir vieles von dem, was die Zen-buddhistische Meditationspraxis zu bieten hat, nicht auch in christlichen Traditionen finden können, bin ich mir gar nicht so sicher. In den monastischen Praktiken und Exerzitien finden sich auch zahlreiche Anleitungen und teilweise strenge Regel, die in die Stille und innere Einsamkeit des Weges zu Gott führen sollen. Aber es ist dort eben immer der auf diese Weise vorgezeichnete Weg zu dem Gott, der in Christus sein menschliches Antlitz gezeigt hat. Die Wendung nach innen ist zielgerichtet die Hinführung zu dem Gott, der unendlich größer ist als jedes Menschen Herz. Er ist der Gptt, der die Welt und alle Kreatur geschaffen hat und, wie christliche Spiritualität sagt, „treu sorgend in seinen liebenden Händen hält“.

Ganz anders ist die Meditationspraxis im Zen-Buddhismus. Nicht nur, dass sie in ihren, an die westliche Kultur adaptierten Formen von dogmatisch-lehrhaften Anteilen losgelöst wird. Sie ist im Unterschied zu christlichen Praktiken der Stille und inneren Versenkung gerade nicht zielgerichtet. Sie lebt von dem performativen Selbstwiderspruch, dass es ihr Ziel ist, kein Ziel zu haben, ja gerade von jeder Form der Zielsetzung, des Sich-Ziele-Setzen-Müssens und sogar des sich Ziele-Setzen-Wollens, befreit.

Damit kommt der andere lebens- und weltanschauliche Hintergrund des Buddhismus zum Vorschein. In ihm geht es nicht darum, durch die Wege nach Innen, zu einer, durch die Gründung im Göttlichen gefestigten, personalen Identität zu finden, zu gesteigerter Selbstbestimmung und Freiheit. Der Weg im Zen-Buddhismus führt vielmehr gerade zur Befreiung vom Selbst, zum Loslassenkönnen auch noch vom eigenen Selbst und dessen Wollen.

Der Buddhismus stellt eine zur Christentumskultur alternative und damit heute hochgradig attraktive Lebens- und Weltdeutung vor. Als solche gilt es, sich mit ihm aus christlicher Sicht dann auch zu befassen und die Argumente, die für das eine oder das andere sprechen könnten, auszutauschen. Das wäre ein auch intellektuell attraktiver Religionsdialog.

Ohne die Unterschiede der kulturellen Wurzeln von Christentum und Buddhismus zu verwischen: Den Christen und ihren Theologen könnte es doch gut tun, auch das buddhistisch gepflegte Nicht-Wissen gegenüber dem alles Gründenden, dem letzten Bergenden, dem Göttlichen, einzugestehen. Vielleicht treffen sich sogar christliche Mystiker (Meister Eckart) und zen-buddhistische Meister in der aktuell bedeutsamen Erkenntnis: Das Göttliche ist eigentlich Nichts, also nichts Greifbares, nichts Verfügbares?

Wenn Christen und Buddhisten in einen Religionsdialog eintreten, dass liegt es nahe, dass sie zunächst einmal darin übereinkommen: Wenn sich beide zum Ganzen der Wirklichkeit und damit zur Stellung von uns Menschen in der Unendlichkeit der Welt verhalten, dann machen sie Aussagen über etwas, vom dem wir kein wirkliches Wissen haben. Wir können uns aber gleichwohl darüber Gedanken machen und um einer bewussten Führung unseres Lebens willen sollten wir uns auch diese Gedanken machen. Es ist vernünftig, an diese Transzendenz zu denken, die unserem Wissen unzugänglich ist und immer bleiben wird, die aber dennoch in die Immanenz unseres In-der Welt-Seins gehört.

Die große Alternative im Begreifen unserer Stellung in der Welt, die sich zwischen fernöstlichem, buddhistischen Denken und dem christentumskulturellen, westlichen Denken auftut, liegt allerdings eben gerade in der Stellung, die der humanen Selbstbeziehung, der individuellen Subjektivität in unserem Selbst- und Weltumgang zukommt. Die Entgegenständlichung der Transzendenz des Göttlichen ist beiden religiösen Denkformationen gemeinsam. Sofern sie sich nur recht verstehen, wissen sie: Würden sie die Transzendenz gegenständlich denken, dann würden sie diese in die Immanenz der Welt und ihrer Erfahrungsdinge hineinziehen!

Die Differenz zum Buddhismus sehe ich darin, dass im Christlichen mein Weg in die Transzendenz, zum Göttlichen, letztlich wieder zu mir selbst zurückführt, mich mir näher bringt, als ich mir in der reflexiven Selbstbeziehung je kommen könnte. Denken wir an Augustins Confessiones, die „Bekenntnisse“. In der Besinnung auf sich selbst und sein Dasein in der Welt findet der große, von der platonischen Philosophie tief beeinflusste, christliche Theologe zu dem Spitzensatz: „Unruhig ist, Gott, mein Herz, bis dass es Ruhe findet in Dir!“. Oder denken wir auch an den Theologen im NAZI-Widerstand, Dietrich Bonhoeffer, mit seinem Gedicht, verfasst 1944 in der Gefängniszelle in Tegel. Es beginnt mit der Frage „Wer bin ich“ und endet nach langer Suche mit dem Bekenntnis: „Einsames Fragen treibt mit mir Spott, wer ich auch bin, Du weißt es, oh Gott!“

Anders läuft es, wenn ich es recht verstehe, im Buddhismus. Dort geht es nicht um die Erfahrung, dass sich mir die unbegreifliche Einheit der Wirklichkeit – und damit der Sinn und die Bestimmung meines eigenen individuellen Daseins in ihr – auf dem Wege meditativer Selbstversenkung erschließt. Es geht im Buddhismus vielmehr darum, dass ich frei werde von mir selbst und damit auch all dem, worauf mein Begehren geht, was mich an diese Welt bindet, in Freude und Leid. Dass in all den weltlichen Dingen nicht die letzte, alles bestimme Wirklichkeit liegt, somit auch nicht das, was über meine Lebenserfüllung entscheidet; sondern diese alles bestimmende Wirklichkeit liegt in dem, das unendlich über mich selbst hinaus ist. Diese Erkenntnis ist es, so scheint mir, worauf der Buddhismus hinaus will. Selbstauslöschung ist es wohl, was der Buddhist von der „Erleuchtung“ im „Nirwana“ erwartet.

Was für die eine und was für die andere religiöse Lebensdeutung spricht, welche rationalen Argumente sich für den einen oder den anderen „Glauben“ aufbauen lassen, was lebensführungspraktisch aus dem einen oder dem anderen Konzept folgt: Ich vermute, an diesen Themen sind durchaus viele Menschen, auch Christen, interessiert, auch auf dem Kirchentag im Mai in Berlin!

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