Gegen den stillen Völkermord

Das philosophische Wort zur Woche:
Gegen den stillen Völkermord

Die von der ARD veranstaltete „Woche des Essens“ ist beendet. Haben wir damit unsere Pflicht und Schuldigkeit getan? Sind wieder so genannte wichtigere Themen im Vordergrund? Aber gibt es etwas Wichtigeres, wenn heute mehr als eine Milliarde Menschen hungert? Es bleibt die Frage, wie Philosophien ihre kritische Kompetenz einsetzen und für die Überwindung des Hungers arbeiten/denken. Bisher ist Hunger noch kein philosophisches Thema. Liegt das an der traditionellen Beziehungslosigkeit zwischen Geist und Körper, Denken und Leib in der Philosophiegeschichte?
Jean Ziegler schreibt:
„Der Worldfood-Report“ stellt fest, dass die Weltlandwirtschaft beim gegenwärtigen Stand der Entwicklung der Produktionskräfte ohne Problem 12 Milliarden Menschen normal ernähren könnte. Wobei normal heißt, eine individuelle Tagesration von 2.700 Kalorien. Der tägliche STILLE VÖLKERMORD des Hungers, der sich in eisiger Normalität abspielt, ist keine Fatalität. Er ist von Menschen gemacht. Jedes Kind, jede Frau, jeder Mann, die an Hunger oder seinen unmittelbaren Folgen zu Grund gehen, werden ermordet.
Der Mensch allein ist das Subjekt der Geschichte, für die Philosophie der Aufklärung gibt es keine Naturgesetze des Kapitals. Jean Jacques Rousseau schreibt: =Zwischen dem Starken und dem Schwachen ist es die (willkürliche) Freiheit (des Stärkeren), die unterdrückt, und das Gesetz (das soziale Gesetz) ist es, das befreit=“.

Jean Ziegler in seinem Beitrag „Gier gegen Vernunft“ in dem Buch: „Tugenden und Laster“, Hg. vom ZDF Nachtstudio, 2004, Suhrkamp Vl, S. 249 und 252.

Philosophieren weltweit

Das philosophische „Wort zur Woche“: Alle Philosophien sind gleichberechtigt

— “Das philosophische Wort zur Woche” ist keine erbauliche Sonntagsrede, sondern ein kurz gefasste Provokation, wieder nachzudenken und die Verunsicherung als den Weg zu neuer, aber wiederum nur vorübergehender Sicherheit zu verstehen—

„Philosophie gehört – wie die Kunst – zur conditio humana und ist in allen Kulturen anzutreffen. Die Philosophien der verschiedenen Kulturen sind dem Rang nach gleich und dem Inhalt nach verschieden. Jedenfalls ist keine Höherentwicklung von früheren zu späteren Philosophien und kein grundsätzliches Höher- oder Tieferstehen gleichzeitig nebeneinander bestehender Kulturen und ihrer Philosophien anzunehmen…Von europäisch – westlicher Seite aus erscheint für den Umgang der Philosophien verschiedener Kulturen miteinander der Weg von Dialogen am angemessensten zu sein, da der Dialog am stärksten Offenheit für den anderen und Gleichrangigkeit der verschiedenen Partner ermöglicht“ …Die eine Weltphilosophie gibt es nur im Chor der vielen Stimmen kulturspezifischer Philosophien”.

Der Philosoph Heinz Kimmerle, in seinem Buch „Interkulturelle Philosophie“, Junius Verlag, Hamburg, 2002, S. 80 und 128.

Wie viel Denken braucht der Mensch?

Zum Welttag der Philosophie – ein weltweites Projekt der UNESCO –
Wie viel Denken braucht der Mensch?

Eine Veranstaltung im AFRIKA – HAUS Bochumer Str. 25
in Berlin – Tiergarten
am Donnerstag, 18. November 2010, Beginn um 19 Uhr.

– Berliner philosophische Gruppen stellen sich vor: „Zwischen Disput und Lebenshilfe“

– Was ist Philosophische Praxis? Internationale Gesellschaft für Philosophische Praxis (IGPP), vertreten durch Prof. Petra von Morstein
– Die Kunst, gemeinsam richtig zu philosophieren. Gesellschaft für Sokratisches Philosophieren (GSP) zum Sokratisches Gespräch, vertreten durch Dr. Dieter Krohn
– Philosophie im Café. Initiativen in Moabit und Zehlendorf, vertreten durch Roger Künkel und Roger Wisniewski
– Warum Spiritualität kritisches Denken braucht, Philos. Salon in
Schöneberg, vertreten durch Christian Modehn

– Podiumsdiskussion: Philosophie in Aktion – Philosophie als Aktion?

– Intermezzo, Speisen und Getränke

– Gespräch und Diskussion mit den TeilnehmerInnen

– Ende gegen 21. 15, möglicherweise Fortsetzung der Gespräche in kleinerem Kreis.

Das AFRIKA HAUS
Bochumer Straße 25 in
10555 Berlin – Tiergarten ist über den U Bahnhof Turmstr., Ausgang Alt-Moabit, gut zu erreichen.

Ab 18.30 ist das Afrika Haus geöffnet.
Der Eintritt ist frei.

V.I.S.d. P.: Christian Modehn und Roger Wisniewski

Das eigene Leben

Das philosophische Wort zur Woche

Das eigene Leben…

„Die wichtigste Aufgabe aber, die wir haben, ist für jeden die eigene Lebensführung. Denn ebendarum sind wir hier auf dieser Erde. ..Ich habe mich auf öffentliche Ämter einzulassen vermocht, ohne auch nur einen Fingerbreit von mir abzuweichen und mich anderen hingeben können, ohne mich preiszugeben“.

Michel de Montaigne, Essais, in der Übersetzung von Hans Stilett, Frankfurt am Main 1998, S. 507.

Montaigne war einer der ersten Philosophen, die allen Wert auf die persönliche Lebensführung legten, auf das Ablegen von Schablonen und Masken….

Tag des Nachbarn in ganz Europa

Heute, am 31. Mai 2013, wird in ganz Europa der “Tag des Nachbarn” gefeiert, eine Initiative, die vor allem in Frankreich viele Sympathisanten und Aktivisten hat. Auch in Deutschland wird in einigen Städten versucht, an diesem Tag praktisch zu zeigen, dass in gerade in großen anonymen Hochhäusern Menschen zueinander finden können: Aus Nachbarn können Freunde werden. Lesen Sie dazu einen Beitrag von Christian Modehn aus der empfehlenswerten Zeitschrift PUBLIK FORUM, bitte klicken Sie hier zur Lektüre.

Das Leben genießen oder die Pflicht erfüllen. Ein Salon über Kierkegaard

In seinem Buch “Entweder – Oder” stellt der dänische Philosoph Sören Kierkegaard zwei Existenzformen gegenüber: Die ästhetische Lebensanschauung, “welche das Leben genießen” will und die eher konträre Lebensanschauung, “welche des Lebens Sinn darein setzt, für die Erfüllung seiner Pflichten zu leben” (so in Entweder – Oder). Später setzt Kierkegaard noch die religiöse Lebensanschauung daneben. Wir werden Möglichkeiten und Grenzen dieser zwei (drei) Lebensformen besprechen. Welche Lebensform als vernünftige ist unsere?
Der Salon versteht sich auch als Einstimmung auf die aktuelle Ausstellung zum Kierkegaard Thema “Entweder Oder” im Kulturzentrum “Haus am Waldsee” in Berlin- Zehlendorf mit Arbeiten zahlreicher Künstler, vor allem aus Dänemark und Schweden.

Um Anmeldung für den 28. Juni wird gebeten, weil dann einige kl. Texte zur Einstimmung zugesandt werden können.
Der Salon findet wieder in der Galerie Fantom in der Hektorstr. 9 in Berlin Wilmersdorf um 19 Uhr am Freitag, den 28. Juni 2013, statt.
Herzliche Einladung!

Einsamkeit – Last und Chance. Hinweise aus dem Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon

Unsere Einsamkeit – Last und Chance
Einige Hinweise aus dem Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon:
Sitzung am 31. Mai 2013 in der Galerie Fantom
Von Christian Modehn

Wir hatten im April – Salon mit Peter Bieri über das Thema seines Buches „Wie wollen wir leben?“ gesprochen. Darin plädiert er für eine Kultur der Stille; dazu gehört auch der Rückzug in die Einsamkeit. Ich kann nicht in der Stille sein, wenn um mich herum nur hektisches Getöse ist. Da kann ich zwar alleine sein, aber nicht einsam.
Dies ist schon ein Hinweis auf die inhaltliche Verschiedenheit von Alleinsein und Einsamkeit. Wobei es in der Alltagssprache durchaus vorkommt, dass einsam und allein austauschbar verwendet werden. Wer als Single sagt „Ich bin einsam“ weckt eher Gefühle des Bedauerns. Wer sagt „Ich bin allein“ beschreibt eher einen neutral erlebten Zustand…und weckt -vielleicht – Interesse…
Andererseits sagen wir und hören wir oft: „Wir sind allein“; „Wir haben niemanden“. „Wir sind auf uns allein gestellt“. „Ich bin allein und fühle mich verlassen“.
Ich kann unter vielen anderen allein sein, im Sinne von: Sich verloren fühlen, ausgegrenzt sein, abgeschoben sein, ignoriert sein inmitten vieler anderer, die mich übersehen, die sich nicht um mich kümmern, selbst wenn ich in Not bin. In solchen Situationen des reinen auf sich selbst Gestelltseins sprechen wir von „Alleinsein“, auch im Sinne von Hilflossein oder gar Hoffnungslossein.
Wir sind allein, wenn sich soziale Bindungen auflösen, weil es die tragende und manchmal auch bergende Großfamilie nicht gibt. Sozialbeziehungen lösen sich auf, Kirchengemeinden spielen für die allermeisten keine relevante Rolle mehr, ebenso wenig Gemeinschaften, die in Parteien erlebt wurden; Stammkneipen verschwinden. Sportvereine helfen noch, das Alleinsein zu überwinden und die lange Freizeit wenigstens körperlich zu gestalten.

Unserer Meinung nach ist Alleinsein nicht identisch mit Einsamsein. Der sprachliche Unterschied kommt auch in anderen europäischen Sprachen vor. Zur Einsamkeit gehört der bewusste Wille sich zurückzuziehen. „Ich gehe in die Einsamkeit“. Zur Einsamkeit gehört als äußere Voraussetzung oft Stille und eine gewisse Ferne von Hektik.
Ich gehe in die Einsamkeit, um in mich zu schauen. Einsamkeit hat den Anspruch, das eigene Leben gerade im Rückzug zu vertiefen, heller, transparenter, das Leben zu sehen, Achtsamkeit zu üben: Welche Kraft steckt in mir, welche Aufgaben kann ich in dieser Welt haben?

Dazu muss ich mich entschließen, zur Einsamkeit gehört im Unterschied zum Alleinsein ein bewusster Wille. Der Schriftsteller und Aphoristiker Alfred Polgar (1873 – 1955) notierte: “Wenn dich alles verlassen hat, kommt das Alleinsein. Wenn du alles verlassen hast, kommt die Einsamkeit.”

In der Einsamkeit entdecke ich, dass ich nicht ad hoc fähig bin, die Einsamkeit als „innere Erfahrung meiner Tiefe“ zu gestalten. Ich erlebe dabei, dass ich zur Einsamkeit fähig werden muss. Ich muss Einsamkeit als ein Schauen auf mich ertragen können und ertragen wollen. Wir brauchen in den Städten leere Orte, wo wir Einsamkeit einüben können. Vielleicht sollte man bald eine der vielen leer stehenden Kirche als „heilige Räume der Einsamkeit“ gestalten und für alle offen halten…

In der Einsamkeit geht es nicht nur um einen Ortswechsel, sondern auch um einen „Zeitwechsel“: Nicht mehr sorgenvoll auf die Zukunft schauen, sich nicht mehr von der Last der (eigenen) Vergangenheit erdrücken lassen. Sondern einmal ganz präsent sein: „Jetzt bin ich der, die hier ist. Ich will gegenwärtig sein, die lange Weile der Gegenwart erleben“.

Zur Vertiefung weisen wir nur auf einige Philosophen hin:

Meister Eckart (1260 – 1328): Einsamkeit ist auch eine Voraussetzung für die unio mystica, für die Einheit mit Gott. Darin ist der Begriff der Abgeschiedenheit entscheidend: Das heißt das Sich lösen von Vorstellungen, von Vorurteilen über Gott und das eigene Selbst.
Der Geist ist für Eckart immer der göttliche Geist. Einsamkeit ist die Verbundenheit mit dem göttlichen Geist in der “Abgeschiedenheit”: Sie schafft Raum für das Leben des Geistes, schafft Raum für das Leben Gottes in mir. Abgeschiedenheit ist Leerwerden, Vernichtung des „Eigenen“. Wir lösen uns vom „Haben“.
Gelassenheit ist die Konsequenz der Abgeschiedenheit. Einsiedler, also allein lebende Mönche, sind für Meister Eckart zu nichts nütze, man solle, so Eckart, immer beim Tun und Handeln bleiben, etwa beim Herdfeuer oder der Fürsorge für andere. Auch da geschieht die unio mystica, siehe etwa Meister Eckarts radikale Bevorzugung der Gestalt der tätigen Martha gegenüber der bloß passiv zuhörend – meditierenden Maria.

Martin Heidegger kann als „Lehrer“ der Einsamkeit gelten; das beginnt schon in “Sein und Zeit”, etwa § 40, zum Thema ANGST. Da zeigt Heidegger, wie dem Menschen sein eigenes Dasein und die Bezogenheit auf die Welt insgesamt entgleitet, das nennt Heidegger Angst. Darin wird der Mensch, das „Dasein“, vereinzelt, er wird auf sich zurückgeworfen, Bindungen zerbrechen. Der Mensch entdeckt: Jetzt bin nur ich allein gemeint, es kommt auf mich alleine an, ich bin jetzt frei, mich selbst zu wählen. Auf dem Hintergrund der Unheimlichkeit der Welt , dem Zusammenbruch der alltäglichen Vertrautheit mit der Welt, gibt es also die Chance, inmitten der Angst das eigene Leben, mein nur mir zugewiesenes Dasein, zu ergreifen und zu gestalten. D. h. ohne die Einsamkeit (der Angst) keine seelische Reifung und Entwicklung. Zentral ist dann die Erkenntnis: Mir kann mein eigenes Dasein niemand abnehmen. Ich muss es selbst leben.

Jean – Jacques Rousseau muss hier genannt werden, vor allem sein Buch „Träumereien eines einsamen Spaziergängers“, das erst posthum erschien. Entstanden ist es zwischen 1776 und 1778. Rousseau spricht darin nur noch zu sich selbst, er beschreibt von Innen her das ungestörte Sich – Erleben, das Distanziertsein von den Geschäften der Welt, die Freiheit als Unabhängigkeit von anderen.
Es war der mehrfache Aufenthalt auf der Sankt Petersinsel im Bielersee in der Schweiz, der ihn zu den hier niedergeschriebenen Impressionen, Weisheiten, Bekenntnissen, führt.
Im Rückzug, nur von wenigen lieben Menschen umgeben auf der Insel, erlebt Rousseau die philosophische Gelassenheit; er setzt sich ab von den rational – einseitigen „Philosophes“, den Aufklärern im Umfeld von Diderot, er setzt sich aber auch ab von den dogmatisch geprägten kirchlichen Glaubensformen.

Auch Friedrich Nietzsche ist ein großer Philosoph der radikal erlebten Einsamkeit: In der Einsamkeit entwickelt er eine unglaubliche Produktivität.
In Sils Maria, Engadin, hat Nietzsche 7 mal den Sommer erlebt, von 1881 bis 1889; hier schrieb er auch den 2. Teil seines wohl anspruchsvollsten und alles umstürzenden Buches „Also sprach Zarathustra“. Hier formuliert er seine Lehre von der ewigen Wiederkunft des Gleichen.

Wie kann Einsamkeit für uns zu einem kreativen „Ort“ werden? Sind wir überhaupt noch einsamkeitsfähig? Oder haben wir uns längst an das – eher flache und traurige – Alleinsein gewöhnt?

Copyright: CHRISTIAN MODEHN. Religionsphilosophischer Salon.