Wider den Egoismus der neoliberalen Wirtschaft. Vorschläge von Axel Honneth

Wider den Egoismus der neoliberalen Wirtschaft

Vorschläge von Axel Honneth

Von Christian Modehn

Die Philosophie kann die Ökonomie nicht sich selbst überlassen. Und das führt zu neuen Erkenntnissen. Philosophen haben eigene Vorschläge zur Reform des offensichtlich kaputten ökonomischen kapitalistischen Systems. Das zeigt das neue Buch des Frankfurter Professors für Philosophie und Direktors des dortigen Instituts für Sozialforschung, Axel Honneth. Das überaus anregende Werk von 628 Seiten hat den Titel „Das Recht der Freiheit. Grundriss einer demokratischen Sittlichkeit“ (Suhrkamp 2012). Honneth ist ein viel gefragter Philosoph, wenn es um die Frage der Herausbildung normativer Ordnungen geht. Er will die Sozialphilosophie nicht loskoppeln von der Gesellschaftsanalyse und weist auch eine abstrakte, sozusagen empirie – freie Ethik zurück.

Wir können hier für die Gespräche in unserem Salon zuerst nur einen Aspekt herausgreifen: Das Kapitel über “Markt und Moral”, dort besonders die Ausführungen unter dem Titel “Eine notwendige Vorklärung”.

Der Titel des Buches sagt es schon: Es geht um Moral und Ethik innerhalb des Wirtschaftslebens. Kann der kapitalistische Markt heute zu einem Bereich sozialer Freiheit werden, wo Ausbeutung und Unterdrückung stark reduziert und stetig bekämpft werden, wo Selbstbestimmung als gemeinschaftliches Projekt gilt, also als ein Geschehen, in dem die dort Handelnden von Gerechtigkeit und Respekt geprägt sind? Das ist eine der drängenden Fragen, die der Frankfurter Philosoph Axel Honneth entwickelt und beantwortet. Er erinnert daran, was wir in den letzten zwei Jahrzehnten in der kapitalistischen Ökonomie erlebt haben: Von einer „Institutionalisierung sozialer Freiheit“ kann auf dem neoliberalen Markt eigentlich keine Rede sein. Offenbar handelt es sich, so Honneth, um eine „Expansion kapitalistischer Profitinteressen“ oder auch um  eine „Refeudalisierung“… D.h. wir leben in einer Wirtschaftsordnung, in der die einen Akteure in der (umfassend verstandenen) Freiheit des anderen gerade NICHT die Bedingung auch der eigenen Freiheit erkennen. Wer die anderen übersieht und nur die eigene Freiheit realisiert, hat bald selbst diese nicht mehr, weil tendenziell diese Situation alles andere als den Frieden fördert. Ohne Ethik auch in der Wirtschaft ist sozusagen der “Gesamtbestand der Welt” gefährdet.

Dieser Zustand egoistischer Freiheit in der Ökonomie wird zu recht angeklagt. Axel Honneth geht als Philosoph über das Jammern hinaus, er zeigt Wege, wie das Wirtschaftshandeln von Innen her reformiert werden kann. Und das beginnt mit der Erkenntnis, welche ethischen Implikationen und Voraussetzungen immer schon im Wirtschaftshandeln selbst enthalten sind. Man muss nur genau drauf schauen, um die abstrakte Engführung von Freiheit im kapitalistischen Wirtschaften aufzuarbeiten. Also nicht nachträglich muss dem neoliberalen, „egoistischen“ Agieren ein humaner Touch aufgeklebt werden wie eine reformistische, vielleicht sogar bloß caritative Geste. Vielmehr: Es mangelt dem gegenwärtigen Wirtschaftssystem ein Verständnis dafür, dass schon VOR diesem Wirtschaftshandeln eine wechselseitige Anerkennung der unterschiedlichen Akteure die Basis ist.

Die Bürger dürfen also die Wirtschaftssphäre gerade NICHT den Ökonomen überlassen, die wie Fachidioten nichts als die Ökonomie kennen. Die moderne Entwicklung der Ökonomie zu einer abstrakten, von Geschichte und Philosophie völlig losgelösten Wissenschaft, ist für Honneth ein Irrweg. Denn Wirtschaften ist gerade nicht das strategisch – taktische und  raffinierte Tun von egoistischen Einzelsubjekten; sondern ist ein Geschehen,  in dem intersubjektiv aufeinander bezogene „Kommunikationspartner“ miteinander handeln.

Wir können nur darauf hinweisen, dass Axel Honneth unter anderem zentrale Erkenntnisse aus Hegels „Rechtsphilosophie“ (1820 in Berlin als Buch erschienen) aktualisiert: Das heißt, es wird zurecht damit gerechnet, dass auch Erkenntnis noch die Kraft des Wandels und der Reform  hat. Allen ökonomischen Verträgen voraus liegt die Anerkennung seiner selbst und der anderen als „verantwortlicher Rechtspersonen“ (S. 322 in dem genannten Buch von Axel Honneth), in diesem, allem ökonomischen Agieren voraus liegenden Bewusstsein rechtlicher Freiheit bildet sich der Rechtsstaat: Er ist die Voraussetzung für die rechtlich gestalteten Beziehungen ökonomischen Austauschs unter Privatpersonen. Mit anderen Worten: Erst der Respekt vor dem Rechtsstaat ermöglicht soziale Freiheit auch im Wirtschaftshandeln. Dieses Bewusstsein muss sozusagen prägend sein und prägend bleiben.

Freilich erleben wir heute den „homo oeconomicus“, als den ausschließlich aufs egoistische erfolgreiche Wirtschaften zielenden Menschen. Er ist sozusagen Repräsentant des gängigen Lebens, das nur als beschädigtes sozialen Leben begriffen werden kann. Schon seit dem 18. Jahrhundert wird von Philosophen und Schriftstellern wahrgenommen, wie die Kommerzialisierung der Gesellschaft den einzelnen Menschen erniedrigt, ihn zu einem „bloßen Abdruck des ökonomischen Geschäfts macht“ (F. Schiller). In einem normativen Menschenbild der umfassenden Freiheit muss dagegen gesteuert werden.

Hegel und später dann auch Durkheim drängen auf die Erkenntnis: Es gibt ein Solidaritätsbewusstsein, das allen Verträgen und allem ökonomischen Handeln VORAUS liegt, das also wie eine sachliche Prämisse dieses ökonomische Tun von Innen her bestimmen sollte. Denn nur diese solidarischen Einstellungen, in die sozusagen das ökonomische Handeln „eingebettet“ ist, ermöglichen überhaupt das „reibungslose Funktionieren des Marktmechanismus“ (S. 328). Ohne menschliche Rücksichtnahme, ohne Respekt der unterschiedlichen Partner voreinander, ist kein Marktgeschehen möglich, meint Hegel. Fehlt dies, gerät das ökonomische Handeln zu einem Manöver von Betrug und Aggression. Eine letztlich doch um des Erfolges willen auch angezielte „harmonische Integration der wirtschaftlichen Einzelinteressen“ kann ohne diese „allem voraus liegenden moralischen Regeln“ nicht gelingen. So „pragmatisch“ allgemein nachvollziehbar kann man diesen Hegelschen Gedanken ausdrücken.

Axel Honneth weist darauf hin, dass es aber doch recht unbestimmt bleibt, „wie die von (Hegel und Durkheim) prätendierten  Moralnormen als Bestandteile (!) der Markwirtschaft begriffen werden sollten.“ Der Vorschlag von Honneth ist klar: Das Marktgeschehen braucht die von Hegel und Durkheim entwickelte „sittliche Rahmung durch vor – vertragliche Handlungsnormen“, weil die Wirtschaft nur unter dieser normativen Voraussetzung mit dem Einverständnis aller Beteiligten rechnen kann. „Wie jede andere soziale Sphäre bedarf auch der Markt der moralischen Zustimmung durch alle an ihm mitwirkenden Teilnehmer“ (S. 333).

Diese Erkenntnis ist fundamental: Der Markt braucht also für sich selbst, aus eigenem Überlebensinteresse, die moralischen Normen, die ihm selbst noch als Bedingung seiner Existenz (und seines Erfolges) voraus liegen. Mit anderen Worten: Ein kluger Teilnehmer auf dem Mark ist moralisch. Wer als Kapitalist Fairness und Gerechtigkeit verletzt, schadet letztlich sich selbst. Es gibt also philosophisch gesetzte Grenzen des kapitalistischen Marktes. Versagt der Markt, führt das nicht nur zu ökonomischen Krisen. Schlimmer noch und auch politisch viel erschütternder ist der Verlust an Glaubwürdigkeit und Legitimation durch die Bevölkerung. Ein Phänomen, das wir angesichts der sogen. Bankenkrise seit 2008 immer deutlicher erleben: Die Krise der Banken, also das egoistische, völlig unverantwortliche Verhalten vieler Banker, entwickelt sich heute zur Krise der Demokratie. Darum gilt auch von daher die Einsicht: Die moderne Marktordnung ist alles andere als ein normenfreies System (S. 359). Denn etwa das Unrechtsempfinden, die Selbstzweifel, die Fragen nach Sinn und Legitimation des eigenen (egoistischen) Handelns sind IM Handeln der neoliberalen Akteure ja wenigstens unthematisch anwesend, diese Akteure haben de facto diese moralischen Fragen, auch wenn sie sie unterdrücken oder als irrelevant zurückweisen. Etliche Banker haben ja selbst die Erfahrung (offenbar nur kurzfristig?) machen können, wie es ist, plötzlich arbeitslos auf der Straße zu stehen. Nur wenige haben wohl erkannt, dass diese ihre Situation nur der Ausdruck des Fehlens moralischer Normen IM ökonomischen Prozess ist.

Honneth will diese Erkenntnis förmlich einschärfen: Ein sittliches, die Freiheit garantierendes Verhalten ist nur möglich, „wenn es gelingt, die Sphäre des Marktes als ein in vormarktlichen (also noch logisch vor dem Markt liegenden CM) Solidaritätsbeziehungen begründetes und auf sie zurückgehendes System von wirtschaftlichen Aktivitäten zu beschreiben“(352 f.).

Axel Honneth ist sich bewusst, dass die dargestellte Problematik mit dem Gedanken an Karl Marx (Das Kapital) verbunden werden muss. Vor allem die These müsste hier weiter diskutiert werden, ob die Kapitalisten eine solche Monopolstellung haben, dass sie in jeder Weise erfolgreich, aber unsittlich ökonomisch handeln können. Das dann zu besprechende Ungleichgewicht zwischen „Herren und Knechten“ wäre dann zu diskutieren, etwa der Kampf des Knechtes gegen seinen Herrn.

Um so dringender müssen die von Hegel und Durkheim beschriebenen Möglichkeiten der Einfügung des sittlichen Freiheitsbewusstseins IN den Kapitalismus besprochen werden, zumal wohl nur die grundlegende Reform des Kapitalismus, nicht aber dessen Abschaffung zugunsten eines Staatssozialismus zur Debatte steht. Es geht um die gestaltbare Zukunft eines allseits (!) freiheitlichen, gesellschaftlich kontrollierten Kapitalismus… Wichtiger Schritt ist dabei die städnige öffentliche Freilegung des hässlichen Gesichts des Kapitalismus.

Wir haben uns hier auf einen Ausschnitt aus dem Buch  Honneths begrenzt. Aber dieser Aspekt aus dem wichtigen Buch ist schon inspirierend genug, zeigt er doch die absolute Dringlichkeit, eine sozialen Freiheitsethik weiter zu diskutieren.

Im ganzen zeigte sich Axel Honneth in einem Gespräch (mit “Forschung Frankfurt 1/2012) doch etwas zuversichtlich für die weitere Entwicklung sozialer Freiheit: „Wir haben eine gemeinsame Geschichte, gemeinsame Erinnerungen an normative Rückschritte und moralische Verbesserungen, an Niederlagen und Siege im Kampf um die Verwirklichung der uns gemeinsamen Freiheitsversprechen. Insofern sind die Chancen da.“

Zum Schluss noch ein Hinweis (ebd.) des dänischen Philosophen Raffnsøe-Møller (Aarhus): Für ihn ist das Buch „gegen den Mainstream der politischen Philosophie geschrieben“. Es kann „insofern der Debatte über soziale und gesellschaftliche Gerechtigkeit viele Impulse geben und auch zu einer Erweiterung dieser Diskussion beitragen“.

 

Copyright: christian modehn

 

 

 

 

 

 

 

 

Radikaler Neubeginn in Rom?

Auf der website der empfehlenswerten Zeitschrift PUBLIK FORUM befindet sich seit dem 19. 3. 2013 ein Beitrag mit dem Titel “Radikaler Neubeginn in ROM”. Zur Lektüre dieses Kommentars klicken Sie bitte hier.

Bei der Gelegenheit können Sie sich gleich für ein Probe – Abonnement (oder besser für ein wirkliches Abonnement) entscheiden. Publik Forum hat seit 40 Jahren das Motto: “Kritisch – christlich – unabhängig”, d.h. auch unabhängig von kirchlichen Weisungen und amtskirchlichem Geld.

 

Das argentinische Gesicht von Kard. Bergoglio, jetzt Papst Franziskus

Das argentinische Gesicht von Kardinal Bergoglio, jetzt Papst Franziskus

Hinweise von Prof. Fortunato Mallimaci.

Ein Beitrag von Christian Modehn

Ergänzung am 24.3. 2013: Am Schluss dieses Beitrags finden Sie einen Hinweis zu einer Stellungnahme von Adolfo Pérez Esquivel vom 5. April 2005 im argentinischen Fernsehen “Canal America” über Kardinal Bergoglio.

Ergänzung am 31.3.2013: Am Schluss dieses Beitrags finden Sie einen Hinweis zur Diskussion in Argentinien unter dem Stichwort: “Von welcher Option für die Armen spricht Papst Franziskus”. Mit einem Hinweis auf die entscheidende Tatsache, dass die Befreiungstheologie in Argentinien fast ganz auf den stets von den Bischöfen bekämpften (zahlenmäßig kleinen) Kreis der “Priester für die Dritte Welt”, “Sacerdotes para el tercer Mundo”, begrenzt war.

Ergänzung am 3. 4.2013: Am Schluss dieses Beitrags finden Sie einen Link zu einem Interview mit dem argentinischen Journalisten und kenntnisreichen und kritischen Beobachter der argentinischen Kirchen- Szene Horacio Verbitzky; das Interview über Kardinal Bergoglio in Argentinien damals sendete der NDR (Fernsehen) am 27.3.2013, das Interview wurde vom NDR übersetzt. Das Interview wird noch einmal wiederholt im NDR (ZAPP heißt die Sendereihe) am 5.4. um 2.45 (sic).

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Auch in Deutschland ist der argentinische Soziologieprofessor Dr. Fortunato Mallimaci kein Unbekannter. Er hat in der umfangreichen Studie „Kirche und Katholizismus seit 1945“ in Band VI „Lateinamerika und die Karibik“ den Beitrag über Argentinien geschrieben (zusammen mit seiner Kollegin, der argentinischen Soziologin Veronica Gimenez Beliveau). Das Buch ist im Jahr 2009 im katholisch geprägten Schöningh Verlag erschienen, es wurde herausgegeben von dem katholischen Kirchenhistoriker Prof. Johannes Meier und dem katholischen Theologen Veit Strassner. Der Sammelband von 559 Seiten enthält ausschließlich Beiträge von Katholiken, sogar von Mitarbeitern der kirchen- offiziellen bischöflichen “Aktion für Lateinamerika Adveniat”  in Essen.

Also in diesem quasi offiziell katholischen Buch ist Prof. Fortunato Mallimaci mit seinem wissenschaftlichen Beitrag über die katholische Kirche in Argentinien von 1945 bis ca. 2008 vertreten; sein Artikel umfasst 23 Seiten und hat 61 umfangreiche Fußnoten: Fortunato Mallimaci hat in Paris studiert, vor allem an der berühmten Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales. Er ist (geboren 1950) Professor für Sozialgeschichte Argentiniens und Religionssoziologie an der „Universidad de Buenos Aires“. Er hat zahlreiche Gastprofessuren im In – und Ausland wahrgenommen. Erstaunlich ist, dass der Beitrag nicht die Beziehungen der katholischen Kirche zur Regierung Kirchner untersucht, obwohl die Literaturangaben bis ins Jahr 2006 reichen, etwa durch Hinweise der beiden Wissenschaftler auf die Arbeiten des kritischen Journalisten H. Verbitzky “La Argentina católica y militar”, erschienen in Buenos Aires 2006.

Dieser lange Hinweis ist notwendig, um die Seriosität von Prof. Mallimaci von vornherein gegen alle Anwürfe zu betonen. Mallimaci ist einer der wichtigsten Interviewpartner der unabhängigen demokratischen und ökumenischen Presse in Argentinien, in diesen Tagen, nach der Papstwahl. Wir können von seinen zahlreichen ausführlichen Interviews und Beiträgen zum damaligen Kardinal Bergoglio (Buenos Aires) nur schrittweise den deutschen Lesern zugänglich machen. Religionskritik ist ja ein Teil der Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie.

Noch eine Vorbemerkung: Für die deutschen Leser muss wohl noch einmal an das wahre, nahezu unsägliche  Ausmaß der Militärdiktatur in Argentinien (1976 –  1983) wenigstens elementar erinnert werden: Der Diktator Jorge Rafael Videla (1976) hatte das Ziel, “die moralische Ordnung der Nation, die wirtschaftliche Effizienz und die nationale Sicherheit wiederherzustellen…Die katholische Kirche war von der Diktatur besonders betroffen, da ihre internen Brüche offensichtlich wurden”, schreiben F. Mallimachi und V. Gimenez Béliveau in ihrer Studie auf Seite 425. Und sie fahren fort, und jetzt wird es wichtig, um die wahre Dimension unseres Themas wahrzunehmen: “Mit aktiver Unterstützung von Mitgtliedern der Kirche wurden Verbrechen an anderen Mitgliedern der Kirche verübt. Die Bischöfe, die den Staatsstreich begrüßten, versuchten die progressiv – christlichen Gruppen zunächst zu isolieren und schließlich aufzulösen. Die Militärs zerschlugen mit bischöflicher Billigung und Unterstützung die aktivsten Gruppen und ermordeten eine Reihe engagierter Christen. Priester, Mitglieder von Basisgemeinden, Ordensfrauen, Laien und sogar einzelne Bischöfe (wie Bischof Enrique Angelelli aus La Rioja  und Bischof Carlos Ponce de Leon aus San Nicolas), die sich für die Verfolgten einsetzten, wurden Opfer des Staatsterrros: Sie wurden verfolgt, ins Exil geschickt, entführt, gefoltert, ermordet”. (ebd., S 425). Über die unmittelbare, wohlwollende Unterstützung der Militärdiktatur durch die meisten Bischöfe schreiben die Autoren u.a.:”Die Machtübernahme durch die Militärjunta unter dem Katholiken Videla wurde von führenden Mitgliedern des Episkopars ausdrücklich begrüßt und unterstützt”,so auf Seite 426 mit ausführlichen Literaturhinweisen, auch zur wohlwollenden Haltung des Nuntius damals, Msgr. Pio Laghi. Bischof Victorio Manuel Bonamin aus dem Salesianerorden etwa forderte schon 1975 die Intervention der Streitkräfte: “Die Armee sühnt die Unreinheit unseres Landes. Die Soldaten wurden im Jordan vom Blut gereinigt, um die Führung unseres Landes zu übernehmen”, zit. ebd. (Nebenbei: Es wird nicht dokumentiert, wie die Bischofskonferenz mit solchen bischöflichen Mitbrüdern umging nach dem Ende der Militärdiktatur). Die beiden Autoren schreiben weiter auf Seite 427: “Die Legitimität, die die Bischöfe der Militärregierung zubilligten, beschränkte sich nicht auf die politische Unterstützung, sondern sie wurde auch auf die Rechtfertigung willkürlicher Folter ausgedehnt….Die Militärs führten ihren Reinigungsprozeß in der Kirche mit der Zustimmung einiger Bischöfe und aktiver Unterstützung einer erheblichen Zahl von Priestern durch. Einige unterstützten sogar Folterer moralisch und waren bei Folterungen in den Haftzentren anwesend. Die Militärregierung dankte der Kirche dafür durch einige Privilegien, die Bischöfe wurden fortan über den Staatshaushalt  finanziert…Das Regime konnte sich (von wenigen Ausnahmen abgesehen) der Untertsützung durch den Gesamtepiskopat gewiss sein” (ebd). Unter den bischöflich geduldeten Massakern an ihren Mitchristen erwähnen wir nur die Ermorderung von drei Ordensleuten und zwei Theologiestudenten aus dem Pallottinerorden sowie die Entführung und das Verschwinden der beiden französischen Nonnen Alice Domon und Léonie Duquet, sie hatten das “Verbrechen” begangen, Familien von Verschwundenen zu unterstützen. Léonie Duqet wurde nach ihrer Ermordung bei einem der üblichen Todesflüge der Mörderbanden ins Meer geworfen. Zu den Opfern gehörte übrigens auch Elisabeth Käsemann, die Tochter des protestantischen Theologen Prof. Ernst Käsemann, Tübingen.

Es ist bezeichnend, dass die beiden Autoren, F. Mallimaci und V. Giménez Béliveau, unter den wenigen mutigen Widerstand leistenden Klerikern nur zwei Bischöfe ausdrücklich erwähnen: Bischof Jorge Novak SVD, Bischof von Quilmes und Bischof Jaime de Nevares SDB, Bischof von Neuquen (Fußnote 49, Seite 427). Der Name Jorge Mario Bergoglio, Provinzial des Jesuitenordens in Argentinien von 1973 bis 1979, taucht in dem Zusammenhang des Widerstandes jedenfalls nicht auf. Das widerständige “Format” von Novak und de Nevares hatte er wohl nicht, sonst hätten ihn die beiden so gründlich recherchierenden Autoren zweifelsfrei in ihrer ausführlichen Studie erwähnt. Bergoglio wird übrigens von beiden nur einmal ganz kurz als Kardinal von Buenos Aires (seit 2001) erwähnt, und zwar als “Kardinal italienischer Herkunft”, dies Ausdruck für die “Italienisierung der argentinischen Amtskirche” (so die Autoren), die knappe Erwähnung Bergoglios befindet sich in der Fußnote 6 auf Seite 411!

Diese Hinweise sind wichtig, um die tiefe Bindung des argentinischen Klerus an die Werte der Nation, die klassischen Familienwerte (gegen Homosexualität etwa) und gegen den angeblich allgegenwärtigen Kommunismus zu vestehen.

Wir beginnen mit einem Beitrag Fortunato Mallimacis, der am 31. Juli 2010 veröffentlicht wurde in dem blog „La Máquina de Escribir“ in der Verantwortung von Anibal Jorge Sciorra. Quelle: http://lamaqdeescribir.blogspot.de/2010/07/entrevista-fortunato-mallimaci-el-rol.html

Wir können nicht den langen Beitrag übersetzen, wir bieten nur einige zentrale Aussagen des Religionssoziologen Prof. Mallimaci zu Kardinal Bergoglio von Buenos Aires, dem Vorsitzenden der argentinischen Bischofskonferenz. Es lohnt sich, den ganzen Text auf Spanisch zu lesen!

Hier einige wesentliche Erkenntnisse Mallimacis:

1.“Bergoglio versteht nicht, was heute in der Gesellschaft passiert“.

2.“Die bischöfliche Hierarchie Argentiniens befindet sich in einem fieberhaften, nervösen Zustand. Sie zeigt sich als eine Institution der Macht“.

3.“Das wird deutlich in der Amtsenthebung des progressiven Priesters Nicolas Alessio, Cordoba in Argentinien, der es wagte, sich öffentlich für die Rechte Homosexueller einzusetzen“.

4. „Die argentinischen Bischöfe, auch Erzbischof Bergoglio, setzen ausschließlich auf das unwandelbare und ewige Naturrecht. Sie haben keinen Sinn für den gesellschaftlichen Wandel. Sie fühlen sich wie in einem „Krieg Gottes“ und , verwenden den Begriff inneren „Krieg“, der unter General Videla noch benutzt wurde“.

5. „Die Christen an der Basis sagen angesichts der Bischöfe: „Wir finden in der Haltung der Bischöfe nicht mehr Jesus wieder“.

6. „Die Bischöfe verteidigen die „klassische Familie“ bedingungslos“. Mallimaci spricht von einem „Kreuzzug“ der Bischöfe, Kardinal Bergoglio sei einer der Fahnenträger dieses Kreuzzuges. „El rol que juega Bergoglio es nefasto“, sagte Mallimaci: „Die Rolle, die Bergogio in diesem Kreuzzig (für die alten Familienwerte z. B. und gegen die Moderne) spielt, ist, so wörtlich, =nefasto=, d.h. unheilbringend. Die Bischöfe sprechen eine militärische Sprache…“

7. „Bergoglio hat geschwiegen, als der Militärseelsorger, der Priester Christian von Wernich, verurteilt wurde wegen seiner Mittäterschaft in der Diktatur, ihm wurden Folter und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Last gelegt“.

8. „Als der Priester Julio Grassi wegen sexuellen Missbrauchs an Kindern angeklagt wurde, hat Bergiglio den Anwalt bezahlt, Grassi wurde zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt“.

9. „Bergoglio hat auch Erzbischof Edgardo Storni von Santa Fé noch unterstützt, als er wegen sexuellen Missbrauchs angeklagt und verurteilt wurde“.

10. „Bergoglio hat die Idee verbreitet: Der Relativismus sei der Hauptfeind der Gesellschaft“, darin in voller Übereinstimmung mit Benedikt XVI.

11.“In der argentinischen Kirche unter dem Chef der Bischofskonferenz Bergoglio gibt es keine öffentliche Meinung, keine Diskussion. Die Angst ist stärker als die Freiheit, wenn sich Kritiker äußern wollen“.

12. „Die Kirche Argentiniens befindet sich im Dauerkonflikt mit der liberalen Welt der Demokratie“.

13. „Bergoglio hat 2004 dafür gesorgt, dass eine Ausstellung des berühmten Künstlers Leon Ferrari wegen Blasphemie für einige Zeit verboten wurde. Später wurde sie gerichtlich doch noch durchgesetzt. Von allen Kanzeln ließ er gegen den Künstler wettern. Das brachte ihm allerdings weiteren Ruhm ein., betonte Ferrari. Jedenfalls wollte Kardinal Bergoglio eine Art Zensur für moderne Kunst durchsetzen“. Siehe dazu einen umfangreichen Beitrag in der spanischen Tageszeitung el periodico vom 14. 3. 2013, zur Lektüre klicken Sie hier.

14. Mallimaci weist ausführlich darauf hin, dass Bergoglio, der Jesuit, und der erzkonservative Opus – Dei Bischof Hector Aguer von La Plata in sehr vielen zentralen Fragen eng verbunden und einer Meinung waren: Mallimaci nennt etwa die gemeinsame Auffassung von der Familie als einer =patriarchalen Struktur=, dass die Frauen an die 2. Stelle gehören, dass Verschweigen besser sei als Aufklären, dass Gehorsam die zentrale Tugend ist, sowie, wörtlich, “dass schmutzige Wäsche besser versteckt werden sollte”.

In einem Interview für die Tagezeitung Pagina/12 vom 17.3. 2013 geht Fortunato Mallimaci erneut auf die Strategie der argentinischen Bischofskonferenz ein, deren Präsident Kardinal Bergoglio war: “Die Bischofskonferenz hat sich weder zur Verurteilung des pädophilen Priesters Julio Grassi noch gegenüber dem (Sexuellen Mißbrauch durch)  Bischof Edgardo Storni noch gegenüber dem Verbrecher, Pfarrer Christian von Wernich,  offiziell ausgesprochen, im Unterschied etwa zu den Bischfskonferenzen in den USA, wo offizielle Statements zur Pädophilie unter Priestern abgegeben wurden. Zur Lektüre des Interviews klicken Sie hier.

Weitere Informationen zur Auseinandersetzung um die Homoehe in Argentinien:

Anlässlich der Debatte über die Homoehe sagte Kardinal Bergoglio: „Es steht auf dem Spiel die Identität und das Überleben der Familie:  Papa, Mama und die Kinder. Seien wir nicht naiv: Es handelt sich hier nicht um einen politischen Kampf. Es handelt sich um einen destruktiven Anspruch gegenüber dem Plan Gottes. Es handelt sich nicht um ein bloßes gesetzliches Vorhaben, sondern um eine Bewegung, die vom Vater der Lüge (dem Teufel) ausgeht, die die Söhne Gottes verwirren und täuschen will.“ Quelle: http://www.elblogoferoz.com/2013/03/15/el-nuevo-papa-colaboro-con-la-dictadura-militar-argentina/Gelesen am 18.3. 2013

Über die Beziehung zu dem “Verbrecher Priester” Christian von Wernich, dem Militärgeistlichen z.Z. der Diktatur und Mörder heißt es weiter: „Es ist erwiesen, dass Pfarrer von Wernich schuldig ist für die Verbrechen, die zu seiner Verurteilung führten. Tatsächlich half die argentinische Kirche ihm, zuerst noch nach Chile zu entkommen, dort lebte er unter einem falschen Namen in einer Pfarrei. Ohne diese Tatsachen zu beachten, spielte Bergoglio auf das Urteil des Gerichts an und nannte es eine verleumderische Verfolgung der Kirche und nannte diejenigen Verräter, die die Vergangenheit nur  verfluchen. Hingegen rief er zur Vergebung auf… Diese Erklärung hängt zusammen mit einer Unterstützung Bergoglios für die Aktionen von Cecilia Pando, die die Straflosigkeit der Militärs damals nachdrücklich forderte unter dem scheußlichen Slogan: memoria completa, d.h. die Erinnerung ist vollständig, sie reicht”.  Quelle: http://www.elblogoferoz.com/2013/03/15/el-nuevo-papa-colaboro-con-la-dictadura-militar-argentina/

Diese rechtsextreme Aktivistin Maria Cecilia Pando hat jubiliert angesichts der Wahl Bergoglios zum Papst: Quelle:   http://www.agenciapacourondo.com.ar/secciones/sociedad/10936-cecilia-pando-festeja-la-eleccion-de-bergoglio.html,  gelesen am 18.3. 2013. Cecilia Pando sagte: “Qué alegría ! Bergoglio Papa !!! Una gran bendición para nuestro país que tanto lo necesita. Bergoglio, el Papa Argentino !!! Bienvenido Francisco I, un orgullo para nuestro país !!! Estaremos a su lado, dándoles fuerzas por medio de la oración”. (Welche Freude. Bergoglio ist Papst. Ein großer Segen für unser Land,  das den (Segen) so dringend braucht. Willkommen Franziskus I., ein Stolz für unser Land. Wir werden an seiner Seite sein, wir werden ihm Kraft geben durch unser Gebet”.

Wir weisen noch auf einen weiteren Beitrag  des religionsphilosophischen Salons vor allem über den inzwischen verurteilten Kollaborateur, den Priester Christian von Wernich, hin, zur Lektüre klicken Sie bitte hier.

ERGÄNZUNG am 24. 3. 2013: Zu den Aussagen von Adolfo Pérez Esquivel über Kardinal Bergoglio.

Horacio Verbitzky hat am 24.3. 2013 in der Tageszeitung “Pagina 12” in Buenos Aires  einen Hinweis zu verschiedenen Aussagen des Friedensnobelpreisträgers Adolfo Perez Esquivel publiziert.

In einem TV Beitrag vom 15. 4. 2005 (drei Tage vor der Wahl von Papst Benedikt XVI.) (zur Ansicht: www.youtube.com/watch?v=Qu2iET8fc5s brachte “Canal Argentina”, Informe special, einen Beitrag mit Interviews u.a. mit A. Perez Esquivel. In dem Beitrag für Pagina/12 bezieht sich H. Verbitzky auf dieses Interview, er schreibt jetzt u.a.: “Perez Esquivel erinnerte damals daran, dass viele Bischöfe zur Zeit der Militärdiktatur einen doppeldeutigen Diskurs hielten. “Als er selbst gefangen war damals, sagten die Bischöfe seiner Frau: Sie würden für ihn, Perez Esquivel, eintreten. Dann taten sie genau das Gegegenteil”. Dann fragten ihn die Reporter konkret zur Haltung des argentinischen Kardinals (Bergoglio). Da antwortete Perez Esquivel, “ohne zu zweifeln, dass die Haltung von Bergoglio “se inscribe”, also dazugehört zur Haltung aller dieser Leute aus der Politik, die da denken: Alle, die sozial mit den Ärmsten und Bedürftigen arbeiteten, waren Kommunisten, Subversive und Terroristen. … Bergoglio ist ein intelligenter Mann, er ist fähig, aber doch eine zweispältige Person. Ich hoffe, dass der Heilige Geist heute (beim Konklave 2005) wach ist und sich nicht irrt” (also Bergoglio sollte nicht Papst werden) .

H. Verbitzky schreibt in dem genannten Artikel weiter: Die erste Erklärung Perez Esquivels nach der Wahl von Bergoglio zum Papst bestand darin zu sagen: Andere Bischöfe hätten mit der Diktatur kollaboriert, aber nicht Bergoglio. Aber er sei nicht allzu energisch gewesen in der Verteidgung der Menschenrechte. Diese Aussage irritierte offenbar den Vatikan: Deswegen:

Am Donnerstag, 21. März, treffen sich Papst Franziskus und Perez Esquivel im Vatikan, sie sprechen über die Menschenrechte, berichtet Perez Esquivel danach, sie hätten sich in der in Buenos Aires üblichen Umarmung verabschiedet und betont: “Vielleicht hat sich Bergoglio damals nicht in den Streit begeben, aber er hat eine schweigsame Diplomatie betrieben”.  Zur Lektüre des Beitrags in Pagina/12 klicken Sie bitte hier.

Der Artikel verweist empfehlend auf das Buch von Mignone, “Iglesia y dictatura”,  El papel de la iglesia a la luz de sus relaciones con el régimen militar.
por Emilio Mignone, Ediciones del Pensamiento Nacional, 4° Edición, Septiembre de 1987.

Ergänzung am 31. 3. 2o13: Wir verweisen auf den ausführlichen theologischen Artikel des Autors Washington Uranga in der Tageszeitung Pagina 12 aus Buenos Aires (31.3. 2013) mit dem Titel: “Von welcher Option für die Armen spricht der Papst”. Der Autor weist nach, wie der religionsphilosophische Salon schon früher, dass sich Kardinal Bergoglio in Buenos Aires eher der caritativen Unterstützung der Armen widmete “und versuchte, diese Position mit der politischen Macht listig und diskret zugleich zu vermitteln”. Bergoglio also dachte (und denkt) eher in der Kategorie “Kirche FÜR die Armen” als in der befreiungstheologischen Kategorie “Kirche der Armen”, im Sinne von: “Kirche gestaltet VON den Armen”. Uranga schreibt:” Bergoglio hat sich der radikalen Position der Befreiungstheologen nicht angeschlossen. Das lag auch daran, dass sich argentinische Theologen, wie etwa der populäre Lucio Gera, niemals mit der Befreiungstheologie anfreunden konnten, weil sie auch Beiträge des Marxismus für richtig befand…Insgesamt hat sich die argentinische Kirche – von der kleinen Bewegung “Priestern für die Dritte Welt” abgesehen – Ende der sechziger und in den siebziger Jahren (Konferenzen von Medellin und Puebla) fremd und fern und mißtrauisch verhalten gegenüber den anderen (oft befreiungstheologisch eher freundlicheren) katholischen Kirchen in Lateinamerika. Und dies waren genau die Jahre, in den Bergoglio als Priester sich bildete und als Theologe. Die argeninischen Bischöfe waren auf den entscheidenden Bischofsversammlungen in Medellin und Puebla wenig “präsent” (im Sinne von aktiv dabei), anders hingegen auf den späteren Konferenzen von Santo Domingo und Aparecida: Diese wurde von Papst Benedikt XVI. geleitet oder stark geprägt, die Endredaktion der Texte von Aparecida (2007) hatte Kardinal Bergoglio.

Wir fragen: Erstaunlich bleibt, dass Befreiungstheologen wie Leonardo Boff (oder auch Bischof Kräutler, beide Brasilien) große Hoffnungen in den eigentlich der Befreiungstheologie gar nicht gewogenen Papst Franziskus setzen. Wissen sie zu wenige Fakten von Bergoglio? Wollen sie den Papst durch allzu heftiges Loben auf ihre Seite ziehen? Oder ist es ein “gesamtlateinamerikanischer Stolz” der beiden, dass nun ein Latino überhaupt einmal Papst geworden ist? Abetr wir stark werden Argentinier im allgemeinen überhaupt als “Latinos” wahrgenommen, das ist eine andere Frage.

Das Interview mit dem argentinischen Journalisten und kritischen Beobachter der Kirchenszene Argentiniens Horacio Verbitzky wurde im NDR am 27. 3. 2013 gesendet; zur Lektüre klicken Sie bitte HIER.

 

copyright: Christian Modehn

 

Philos. Salon über Peter Bieri

Es gibt erfreulicherweise schon so viele schriftliche Anmeldungen, die wir natürlich alle beachten, so dass wir diesmal um Verständnis bitten: Der Salon am 19.4. ist jetzt (15.4) ausgebucht.

Am 19. April um 19 Uhr haben wir unseren nächsten Salonabend. Diesmal sind Gäste aus Amsterdam dabei, von der dortigen Gemeinde der freisinnig – liberalen protestantischen Kirche der Remonstranten “Vrijburg”.  Bitte klicken auf “Remonstranten Vrijburg”, um zu sehen, wie lebendig eine freisinnige protestanische Gemeinde sein kann, davon können wir in Berlin und Deutschland erst mal nur träumen….

Die Amsterdamer Gäste haben in ihrem Salon in Amsterdam das Buch von Peter Bieri “Wie wollen wir leben?” gelesen, wir wollen gemeinsam über das 3. Kapitel “Wie entsteht kulturelle Identität?” sprechen.

Aufgrund des begrenzten Platzangebotes in der Galerie Fantom können wir diesmal nur Anmeldungen  von Interessierten berücksichtigen, die tatsächlich fest entschlossen sind, am 19. April um 19 Uhr in der Hektorstr. 9 dabei zu sein. Ein interessanter Abend sei versprochen… Bitte um Anmeldung:christian.modehn@berlin.de         Um einen finanz. Beitrag von  5 Euro wird gebeten.

Poesie vor dem Unendlichen. Eine Ra­dio­sen­dung

Am Sonntag, 7.4.2013, sendet der NDR (INFO -Programm) meinen Beitrag zum Thema Bittgebete, das Thema ist auch religionsphilosophisch relevant. Geht es doch um die Frage, ob Menschen, wenn sie Transzendenz erleben, auch zur Sprache finden im Blick auf den Ewigen.

Die Sendung wird auf NDR Info um 6.05 für Frühausfsteher ausgestrahlt und um 17.05 wiederholt.

Aus dem Pressetext: „Bittet, so wird euch gegeben“, forderte
Jesus seine Jünger auf. Darauf vertrauen
auch gläubige Menschen, wenn sie sich
mit ihren Sorgen an Gott wenden. Doch
welchen Sinn hat es, um göttlichen Rat
und Beistand zu bitten? „Wer betet,
Gottes Reich des Friedens möge
kommen, weckt in sich die Sehnsucht
nach Frieden“, schreibt der Kirchenvater
Augustinus. Heutige Theologen sind
überzeugt: Im Beten und Bitten erkennt
der Mensch, wer er ist und welche Ziele
ihm wichtig sind. Bittgebete können zur
spirituellen Poesie werden. Sie wecken
die Achtsamkeit. „Das Gebet ändert nicht
Gott, aber es verändert den Betenden“,
sagt der protestantische Philosoph Sören
Kierkegaard. Bittende und Betende
hoffen, trotz aller
Abgründe von einem
göttlichen Grund getragen zu sein.

Franziskus – der “zweite Christus”. Hinweise zum Namen des neuen Papstes

Franziskus – der „zweite Christus“.

Mit einer Ergänzung am 17.3.2013: Das argentinische Gesicht von Kardinal Bergoglio. Kritische Hinweise von Prof. Fortunato Mallimaci, Buenes Aires. Bitte klicken Sie zur Lektüre hier.

Von Christian Modehn

Der neue Papst hat einen höchst ungewöhnlichen Namen gewählt: Franziskus. Liegt darin eine Verheißung für eine Reform der römischen Kirche oder ist diese Namenswahl eine beruhigende Besänftigung? Das wird sich zeigen. Immerhin wollen wir auf einige Aspekte zum Papstnamen Franziskus aufmerksam machen:

Etwa seit dem 11. Jahrhundert ist es üblich, dass sich Päpste nur vordem schon gewählte Namen aussuchen.  Bis dahin herrschte eine bunte Fülle von Namen, Vigilius, Agapet, Pelagius usw.

Ein gewisser “Bruch”  in der Namenswahl wurde 1978 durch den so freundlichen, aber nur wenige Tage regierenden Johannes Paul I. eingeleitet.

Der religionsphilosophische Salon, von außen die Szenerie der Kirchen beobachtend, meint: Allein die Wahl dieses Namens Franziskus ist sensationell, wenn sie nicht sogar auf einen radikalen, neuen Stil und Geist im Papsttum hinweisen könnte. Ob sich allerdings die Sanftheit des heiligen Franziskus wiederfindet in der schroffen Ablehnung etwa der Homoehe durch Kardinal Bergoglio (gerade in einer von Machismo geprägten lateinamerikanischen Welt, in der Homosexuelle immer noch belästigt und beleidigt werden) ist  fraglich. Und ob Kardinal Bergoglio franziskanisch denkt, wenn er die Zusammenarbeit von Kirche und Militär in Argentinien eher höchst diplomatisch bespricht und wohl auch vieles verschleiert, ist ebenfalls höchst problematisch. Franziskus von Assisi lag an der öffentlichen Freilegung aller Gewaltstrukturen!

Dennoch: Den Namen Franziskus hat bisher kein Papst zu wählen gewagt. Mit gutem Grund: Franziskus von Assisi (1182 – 1226) ist nicht nur der beliebteste und hoch verehrte Heilige der Katholiken, sondern weithin auch in der Ökumene, etwa in evangelischen Franziskus – Bruderschaften oder in der Anglikanischen Kirche bekannt. Selbst die säkulare Ökobewegung bezieht sich auf Franziskus, zurecht!

Mehr noch: Der heilige Franziskus wird populär unter Katholiken als der „zweite Christus“ verehrt. So makellos, so radikal wird die Beziehung des Franz von Assisi zur biblischen Botschaft, zum Evangelium vor allem, erlebt. Bisher wagte kein Papst, sich auf diesen „zweiten Christus“ in der Namenswahl zu beziehen! Ist die Wahl des Namens Franziskus vielleicht eine “Überforderung”, fast eine “Blasphemie?” Einen Papst Petrus II. hat es ja bekanntlich bisher nicht gegeben. Nun also der Name des “zweiten Christus” Franziskus, das ist auch äußerst anspruchsvoll….

Wenn jetzt ein Jesuit als Papst den Namen Franziskus wählt, will er sich offenbar in die Linie der Radikalität der Bergpredigt stellen, könnte man vermuten. Bergpredigt bedeutete für Franziskus von Assisi: Gewaltfreiheit und Dialog, Respekt vor allen Wesen, Armut. Aber: Kann ein Papst Franziskus in einem Renaissance Palast des Vatikans überhaupt nur den schwachen Anschein wecken, arm zu sein? Stehen also bald Umzüge im Vatikan, in Rom, bevor?

Franziskus von Assisi war am Dialog, nicht an der Mission der Muslime in Nordafrika ausdrücklich interessiert. Franziskus, der sanfte, ist wohl eine Inspiration für das Miteinander von Christen und Muslims.

Franziskus von Assisi fühlte sich als radikaler Kirchenreformer. Der machtvolle (machtbesessene) Papst Innozens III. (als Papst von 1198 – 1216)  sah im Traum, so der Künstler Giotto, wie Franziskus von Assisi die zusammenstürzende Kirche, die Lateranbasilika, stützt. Deswegen wollte Innozens III. den radikalen  Reformer Franziskus in die Kirche stark einbeziehen.

Der heilige Franziskus als Retter der römischen Kirche – auch das ist ein Bild, das sich tief unter Katholiken eingeprägt hat.

Franziskus, der Gründer einer radikalen Laienbewegung, fügte sich dann aber doch den Befehlen der Päpste, und ließ zu, dass ein päpstlich kontrollierter „überschaubaren“ Franziskaner – Orden mit Priestern entstand, Franziskus selbst war aber immer “Laie” geblieben.

Franziskus von Assisi hat aus seiner (erotischen?) Verbundenheit mit seiner Gefährtin, der Nonne Clara,  nie einen Hehl gemacht. Ist es hoch spekulativ, aus diesem historischen Vorbild, auf einen Impuls zur Neubestimmung des Pflicht – Zölibats im katholischen Klerus zu schließen? In Fragen der Erotik ist Herr Bergiglio bekanntlich nicht der mutigste Erneuerer, siehe seinen scharfen Protest gegen die Homoehe in Argentinien.

Franziskus von Assisi ist sicher der populärste Heilige in Lateinamerika. Seine Verehrung ist dort enorm. Der damalige Franziskanerpater Leonardo Boff aus Brasilien hat mehrere Franziskus Studien geschrieben. Boff ist einer der Gründer der Befreiungstheologie, er wurde von Rom (Kardinal Ratzinger) verurteilt. Die Befreiungstheologie hat in Argentinien nie eine so explizite Rolle gespielt wie etwa in Brasilien, Chile oder Peru. Es gab nur wenige Bischöfe, die offen die Befreiungstheologie verteidigten, einige kamen dabei ums Leben, wie der Bischof von Avellaneda. Bergoglio hat sich in Argentinien sicher nicht als Befreiungstheologe gezeigt, diese Theologie scheint ihm – pauschal sicher nicht treffend – “marxistisch” zu sein. Tatsächlich pflegen Befreiungstheologen die Analyse der Klassengesellschaft, sie deuten die Kirchliche Lehre im Licht der Befreiung, was zurecht zu heftiger Kritik an der römisch – katholischen Dogmatik und Moral führt, etwa, wenn die klassische Dogmatik Jesus vor allem als Gottmenschen hoch über der Erde plaziert, und ihn nicht mehr als Jesus von Nazareth gebührend menschlich – sozialkritisch und rebellisch würdigt. Jedenfalls zeigte sich Kardinal Bergoglio in Buenos Aires als caritativ engagierter Freund der Armen. In den letzten Jahren hat er den Kapitalismus heftig kritisiert, damit hat er wohl die Linie der katholischen Soziallehre weiter radikalisiert und Aspekte der Befreiungstheologie sicher – unthematisch – übernommen. SPIEGEL ONLINE schreibt am 14. 3. 2013: “Vor wenigen Wochen warnte Bergoglio vor der “alltäglichen Übermacht des Geldes mit seinen teuflischen Folgen von Drogen und Korruption sowie dem Handel von Menschen und Kindern, zusammen mit der materiellen und moralischen Misere”. Aber SPIEGEL Online fügt hinzu, und das vervollständigt das Bild: “Als Bergoglio die Gesetzesvorlage zur gleichgeschlechtlichen Ehe als “Teufels-Manöver” bezeichnete, antwortete Argentiniens Staatschefin Cristina Fernández de Kirchner, diese Kritik erinnere an die Zeiten der Inquisition”. Überhaupt spricht Papst Franziskus auch jetzt bereits oft vom Teufel…

Wenn man seine Tätigkeit in Buenos Aires kritisch betrachtet, wie dies Prof. Fortunato Mallimaci tut, kommen gewisse Zweifel, wie franziskanisch Papst Franziskus werden könnte. Zur Lektüre des Beitrags klicken Sie bitte hier.

Copyright: christian modehn

Über die Kirche in Argentinien habe ich im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon früher schon einige Hinweise publiziert, besonders zur Verquickung von Militär und Kirchenführung. Zur Lektüre klicken Sie bitte HIER:

 

 

Kapitalismus – Surrogat oder Steigerung von Religion?

Einige Thesen für den Salon am 15. 3. 2013 von Jürgen Große, Philosoph in Berlin

Kapitalismus – Surrogat oder Steigerung von Religion?

Fragen zu Walter Benjamins Fragment „Kapitalismus als Religion“ (1921)

1. Kapitalismus als Surrogat für Religion:

– Kann der Kapitalismus die Religion ersetzen, und wenn ja: Welche Religion ist in welcher Hinsicht durch den Kapitalismus ersetzbar?

– Was sind die erkenntnistheoretischen Voraussetzungen, um diese Frage entscheiden zu können? Kann man von spezifisch ökonomischen und spezifisch religiösen Erfahrungen so weit abstrahieren, dass Kapitalismus und Religion/Christentum als bloße Strukturen vergleichbar werden?

– Was sind Benjamins wichtigste Evidenzen für eine Strukturanalogie von Kapitalismus und Christentum?

[Evtl. noch zu diskutieren: Worin weicht Benjamin von M. Weber, Marx, Nietzsche ab?]

2. Kapitalismus als gesteigerte Religiosität:

– Benjamin nennt vier Merkmale von Religion, die im Kapitalismus ausschließlichen Charakter erhalten hätten. Diese Betrachtungsweise hat historische, zum Teil apokalyptische Implikationen. Ist sie mit der These einer Substituierbarkeit von Christentum durch Kapitalismus kompatibel, wenn ja, unter welchen Voraussetzungen?

3. „Die Sorgen: eine Geisteskrankheit, die der kapitalistischen Epoche eignet“

– Benjamin nennt die Sorgen einen Index des „Schuldbewusstseins der Ausweglosigkeit“. In welcher Hinsicht können Sorgen mehr als eine vorübergehende Seelenlage bezeichnen? Sind Sorgen im Kapitalismus eine Übersteigerung alltäglicher Sorgen, die zum psychischen Zusammenbruch des Einzelnen führen muss? Oder ist die Permanenz der Sorgen eine Systemeigenschaft des Kapitalismus, die nicht an bestimmte Menschentypen oder Situationen gebunden ist (= relative Gesundheit des Einzelnen in einem ‚kranken System’)?

– Können sich die Sorgen des Menschen im Kapitalismus als grundlos bzw. nichtig erweisen?