Gegen die Räuberbanden. Zur Rede des Papstes im Bundestag. Seine Hauptquelle wird vom Verlag der Piusbrüder vertrieben

Gegen die „Räuberbanden“. Zur Rede des Papstes im Bundestag. Mit einer theologischen Nähe zu den Piusbrüdern.

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In seiner Rede im Bundestag kritisiert der Papst erneut die Demokratie und beruft sich auf einen Freund der alten lateinischen Messe , der dem Opus Dei nahe steht: Wolfgang Waldstein. Auf dessen Bücher bezieht sich Benedikt XVI. mehrfach, sie werden im Verlag der traditionalistischen Piusbrüder „Sarto“ angeboten und verkauft.

Der Papst hat in seiner Rede im Bundestag (am 22.9.2011) seinen neuen Gegner im modernen Europa benannt: Den (Rechts) Positivismus, also die Überzeugung, dass die Gesetze von Menschen in einer bestimmten Zeit nach entsprechenden Diskussionen „gemacht“ werden, also in gewisser Weise relativ sind: Damit rückt der Papst den Positivismus in enge Nähe zu seinem schon seit längeren bekannten polemischen Begriff der „Diktatur des Relativismus“, von der Benedikt XVI. z.B. kurz vor seiner Wahl zum Papst im Jahr 2005 ausdrücklich sprach.
Nun gilt es also für den Papst, die Herrschaft des Rechtspositivismus zu überwinden, indem er die deutschen Parlamentarier (und von da aus die ganze Welt) über die Grundlagen des Rechts belehrt. Dabei ist der focus der Papstrede: Das positive, demokratisch erarbeitete Recht sei einer höheren Rechts – Instanz, dem (klassischen griechisch- römischen Naturrecht) zu unterstellen.
Einleitend weist er auf seine Kompetenz in dieser Frage hin: Der Papst sieht sich als „Heiliger Stuhl“, d.h. als herausgehobener Bischof von Rom, der nach traditioneller katholischer Lehre die Staaten und Politiker belehren darf; im Bundestag nannte er das seine „internationalen Verantwortung“. Als dieser traditionelle Lehrmeister (= Heiliger Stuhl) will er, so wörtlich, „Gedanken über die Grundlagen des freiheitlichen Rechtsstaates vorlegen“.
Er erinnert daran, dass Staaten Gesetze schaffen können, die inhuman sind. Daran zweifelt niemand. Aber kann man die moderne positive Rechtsordnung mit dem Beispiel einer Diktatur relativieren, wenn nicht zur Seite schieben, wenn man, wie der Papst, auf das Ermächtigungsgesetz der Nazis (1933) anspielt? Weil hier Gesetzgebungsgewalt auf die Exekutive übertragen wurde. „Das beliebte Argument, das Ermächtigungsgesetz von 1933 belege die notwendige Selbstgefährdung einer jeden Demokratie, ist über die immanenten Stabilisierungsbedingungen von Demokratie so wenig aufgeklärt, dass es wider besserer Absicht antidemokratische Traditionen vertritt“, so die Philosophin Ingeborg Maus in „Enzyklopädie Philosophie, Meiner Verlag, Hamburg 2010, Band 2, Seite 1746). D.h. Der Papst rechnet nicht mit internen Stabilisierungsformen der Demokratie, er hält Demokratien a priori für schwach und fixiert sich auf das Abgleiten in Diktaturen. Dieses Abgleiten wiederum hat tatsächlich aber sehr viele komplexe Ursachen, sicher nicht bloß die vermeintliche Schwäche des demokratischen positiven Rechts.

Benedikt XVI. jedenfalls ist über die „immanenten Stabilisierungsbedingungen der Demokratie nicht gut informiert und schließt kurz: Überall, wo keine Naturrechte herrschen, so zitiert er seinen Lieblingstheologen Augustinus aus dem 4. Jahrhundert, werden Staaten zu „Räuberbanden“.
Wie kann ein „wahrer Staat“ entstehen, der niemals zur Räuberbande wird? Benedikt lässt keinen Zweifel daran: Nur in der Hochschätzung des Naturrechts, also einer philosophischen Lehre, seiner Meinung von der Stoa aus dem 2. Jahrhundert vor Christus gegründet. Diese „klassische“ Naturrechtslehre erkennt „das“ Wesen „des“ Menschen.
Es ist keine Frage, dass Demokratien heute den Wert der Menschenwürde respektieren und auch in ihre Verfassungen eingetragen haben.
Das weiß auch der Papst.
Aber er will mehr: Er sieht die Menschenrechte, also die moderne Form des Naturrechts, in der Bindung an den Schöpfergott begründet. Er behauptet, der Glaube an den biblischen Weltenschöpfer, sei der Hauptmotor gewesen in der Formulierung und Durchsetzung der Menschenrechte. Das ist historisch schlichtweg falsch, das weiß jeder (Historiker). Die Französische Menschenrechtserklärung von 1789 wurde aus philosophischen Überlegungen gegen die Kirchenhierarchie durchgesetzt. Die Päpste waren bis 1960 immer heftigste und deutliche Feinde der Menschenrechte. Sie wussten nicht, wie einer ihrer Nachfolger, dass die Menschenrechte vom Schöpfergott her stammen. Dann hätten sie diese ja verteidigt. Nebenbei: Bis heute hat der Vatikan nicht die Menschenrechtserklärung der UN anerkannt, aus formalen Gründen heißt es, aber offenbar will man diese formalen Hindernisse nicht überwinden. Das etwas großspurige Eintreten für Menschenrechte/Naturrechte aus päpstlichem Mund ist also heute höchst zwiespältig, manche nennen es verlogen.
Aber ein Einwand ist noch wichtiger: Indem Benedikt XVI. den Glauben an den Schöpfer – Gott zur Voraussetzung einer „wahren“ Rechtsordnung macht, will er unterschwellig die Hörer darauf vorbereiten: Der wahre Interpret der wahren Rechtsordnung bin ich, also der heilige Stuhl. Fragt bitte mich und meine Nuntien, was recht und gut ist, wenn ihr positive Gesetze macht, also etwa die Homo –Ehe einführt. Das hat der Papst so deutlich explizit in Berlin nicht gesagt, dazu ist er zu diplomatisch. Aber es ist als das Ungesagte eindeutig hörbar für alle, die die katholische Theologie kennen. In dieser Kritik am positiven Recht und der Behauptung, als Papst Spezialist fürs Naturrecht zu sein, äußert sich ein Machtanspruch eines religiösen Führers.
Bezeichnenderweise fragt der Papst in seiner Rede auch, ob das demokratische Mehrheitsprinzip ausreicht. Er glaubt nicht, dass es ausreicht! Was will er dagegen setzen? Die Antwort bleibt verschwommen, er will offenbar nur Zweifel wecken am demokratischen Mehrheitsprinzip, siehe oben das Zitat der Philosophin Ingeborg Maus. .
Der Papst erinnert an -einen im übrigen gar nicht so dogmatisch orthodoxen Kirchenvater- Origines aus dem 3. Jahrhundert: Er rief zum Widerstand auf gegen die damalige unmenschliche Politik; ruft Benedikt indirekt zum Widerstand auf gegen die demokratische „positivistische“ Kultur auf mit ihren Mehrheitsentscheidungen? Sollen also die „Besten“ herrschen, vielleicht nur die Minister, die Wenigen, die Klugen, die Philosophen? Über diese Demokratie Kritik des Papstes in Berlin wird noch lange nachzudenken sein.

Auffallend ist, dass der Papst auch in der auf die moderne Demokratie bezogenen Rede mit Vorliebe Theologen und Philosophen aus dem 3 und 4. Jahrhundert zitiert.
Diese Bezogenheit auf vordemokratische Denker mutet sehr befremdlich, manche sagen ein wenig senil an.
Und auffällig ist, dass er in der mir vorliegenden Redefassung (kath. Net, 22. 9. Um 21 Uhr) den großen demokratischen (!) und international respektierten Rechtsgelehrten Hans Kelsen (er stammte aus einer jüdischen Familie, geb. 1881 in Prag, später von Bürgermeister Konrad Adenauer als Prof. nach Köln berufen, emigriert, gestorben 1973 in Berkeley) nicht mit dem Vornamen nennt.
Viel wichtiger ist, dass der Papst nicht etwa aus einem Werk Hans Kelsens selbst zitiert, dessen Erkenntnisse er ablehnt, sondern sich ganz auf ein Buch des Rechtshistorikers Wolfgang Waldstein, geb. 1928, stützt und aus diesem zitiert. Wolfgang Waldstein war als traditionalistischer Katholik auch Professor an der päpstlichen Lateran Universität, er hat Aktionen „zum Erhalt der alten Tridentinischen Messe“ aus dem 16. Jahrhundert (dafür sind auch die Piusbrüder) gestartet: Er behauptete im Jahr 2000, die katholischen Bischöfe in Deutschland würden „eine Messe einführen, die nicht mehr katholisch sei“ . Darauf folgte dann die damals sehr heftig diskutierte Großanzeige in der FAZ gegen die deutschen Bischöfe. Peter Hertel weist in seinem Buch „Glaubenswächter“, S. 149, darauf hin, dass Graf Wolfgang Waldstein „in korporativen Vereinigungen des Opus Dei sprach“. Waldstein ist Mitglied der äußerst konservativen päpstlichen „Akademie für das Leben“ in Rom; er ist in der sehr konservativen theologischen „Gustav Siewerth Akademie“ tätig: Sie wurde z.B. von dem reaktionären Bischof und Papstfreund Kurt Krenn gemeinsam mit dem pädophilen Ordensgründer Marcial Maciel (Legionäre Christi) eingeweiht. Waldstein ist u.a. durch ein Interview mit dem Titel „Die Fristenregelung ist verfassungswidrig“ hervorgetreten.
Es ist hoch interessant, dass in der Papstrede im Bundestag Wolfgang Waldstein sozusagen als Inspirator und wissenschaftlicher Beleg verwendet wird, das beweisen auch die 3 Fußnoten im gedruckten Rede Text des Papstes.
Es ist keine Frage: Der Papst bezieht sich ganz offen in seiner Rede auf Argumente eines Rechtshistorikers (Wolfgang Waldstein, em. Prof. in Salzburg), der am sehr rechten Rand des römischen Katholizismus angesiedelt ist und mit dem Opus Dei offen sympathisiert. Diese ganz deutliche Verbindung zu einem rechtslastigen Denkmilieu verträgt sich offenbar gut mit Benedikts Lieblingen Augustinus und Origines, 4. Jahrhundert.

Was war also die Rede des Papstes im Bundestag? Bedenkenswert? Das ist sicher. Aber nicht so, wie einige nicht sonderlich informierte Journalisten sagten, die das Ganze für einen (bloß feuilletonistisch erhebenden und harmlosen bzw. für Nichtphilosophen ) sehr schwierigen Vortrag eines Gelehrten halten. Diese Rede des Papstes war – trotz aller bekundeten Sympathien für ökologische Bewegungen – nicht gerade hilfreich für die Demokratie. Dass er die Ökologie lobt, hängt, nebenbei gesagt, nur mit seiner Vorliebe für die Naturrechte zusammen, die er im Zusammenhang seines Ökologie Lobes offenbar tatsächlich als kosmische (Pflanzen/Tiere/Menschen) Natur versteht und damit den Vernunftbegriff im Naturrechtsbegriff sehr naturhaft – material deutet, auch das ist philosophisch hoch problematisch … und überholt. Beinahe esoterisch mutet der Satz des Papstes an, „wir sollten den Weisungen der Natur folgen“. Seit wann hat die Natur (Pflanzen, Tiere, Steine usw.) ALS Natur Weisungen zu geben? Weisungen kann vernünftigerweise nur die Vernunft geben!
Dass es weltweit um den Schutz der Grundrechte geht, wissen inzwischen alle. Wenn sich der Papst als Hüter der Grundrechte empfiehlt, wird es aus bekannten Gründen problematisch. Sie gelten ja in seinem eigenen „Heiligen Stuhl“ und im Vatikan nicht. Der Vatikan kennt keine Gewaltenteilung, der Papst ist dort absoluter Monarch.

So war diese Rede in Berlin von vorgestern. Aber das soll ja wohl sein. Am wichtigsten bleibt die Erkenntnis: Aktuelle Inspirationen zu aktuellen politischen Fragen holte sich der Papst (von den Theologen des 4. Jahrhunderts abgesehen) aus einem Buch eines traditionalistischen Opus Dei Freundes: Wolfgang Waldstein, „Ins Herz geschrieben. Das Naturrecht als Fundament einer menschlichen Gesellschaft“ (Augsburg, St. Ulrich Verlag, 2010)

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