50. Todestag von Albert Schweitzer: Philosoph, liberaler Theologe, Menschenfreud

Man wird es uns nicht übel nehmen, wenn wir an den großen Albert Schweitzer auch noch einen Tag nach seinem 50. Todestag, also heute am 5.9. 2015, erinnern.

Es ist immer wieder “erhebend”, wenn man so sagen darf, sich mit der Person Albert Schweitzers zu befassen, mit seiner vielseitigen Begabung, seinem Eintreten damals für eine kritische, moderne, liberale Theologie… und sein Weg nach Lambarene (selbst wenn über die Projekte dort in Gabun Kritik geäußert wird). Das Wichtige bleibt: Albert Schweitzer, der wegen seiner liberal-theologischen Haltung nicht viel kirchliches Ansehen genießen konnte, wurde ein Menschenfreund, im umfassenden Sinne. Er ist ein Vorbild, wenn man diesen eher zwiespältigen Begriff hier einmal verwenden darf.

Albert Schweitzer setzte sich als protestantischer Theologe unermüdlich für die Erkenntnis des „einen Notwendigen“ und des wirklich Wichtigen  im Christentum ein. Er wusste, dass das Christentum nur Zukunft hat, wenn es sich auf einige wenige Grundsätze selbst begrenzt und den “Berg” der kaum noch nach vollziehbaren, existentiell meist nicht relevanten Dogmen auf sich beruhen lässt, d.h. beseite setzt. Davon wollte die sich orthodox gebenden Christentenheit weithin nichts wissen;  davon wollen die allermeisten großen Kirchen bis heite nichts wissen. Glauben heißt für sie befremdliche Dogmen “pauken” und weniger auf die ureigene, innere Stimme zu hören…Deswegen werden Ketzer immer noch ausfindig gemacht weil sie sich weigern, die alten Dogmen so wie sind nachzusprechen. Man lese in dem Zusammenhang die neuesten Auslassungen von Kardinal Müller, Chef der Glaubenskongregation in Rom.  Welche Wohltat, welche Befreiung, da einem freien Geist, eben Albert Schweitzer zu begegnen!

Im Jahr 1922 hielt er in England einen Vortrag, der sich vor allem an Pfarrer und Missionare richtete; er sagte Worte, die heute noch für die Verteidiger der Dogmen und Moral eine Provokation sind: “Wenn Sie das Evangelium verkündigen, hüten Sie sich, es als die Religion zu predigen, die auf alles eine Antwort hat. Wenn Sie predigen, dann führen Sie die Menschen zu dem Einen, was not tut, nämlich, dass wir uns mit Gott verbunden fühlen. Dadurch leben wir dann auch anders in der Welt, nämlich als Liebende. Das ethische Leben in diesem Sinne ist die höchste und lebendige Geistigkeit des Christen. Das Christentum ist diese ethisch geprägte Mystik”.

In einem Brief von 1962 sagt Albert Schweitzer Worte, die an heutige Aussagen des Dalai Lama (Ethik ist wichtiger als Religion) erinnern. “Da wage ich zu sagen, dass die ethische Religion der Liebe bestehen kann ohne den Glauben an ein ihr entsprechende, die Welt leitende Gottespersönlichkeit”.

Auf das Tun des Guten kommt es an, nicht so sehr auf das Bekennen frommer (dogmatischer) Sprüche. Albert Schweitzer sagte schon 1919: “Alles, was du tun kannst, wird in Anschauung dessen, was getan werden sollte, immer nur ein Tropfen statt eines Stromes sein. Aber es gibt deinem Leben den einzigen Sinn, den es haben haben kann, und machts es wertvoll” .

Vor seiner Abreise nach Lambarene sagte Schweitzer in einer Predigt im März 1913: Je mehr ich Jesus zu verstehen glaubte, desto stärker empfand ich es, wie in ihm der Glaube und einfaches, natürliches Denken sich durchdrangen. Je mehr ich in die Geschichte des Christentums eindrang, desto mehr wurde mir klar, wie viele Irrungen und Kämpfe darauf zurückgehen, dass man von den ersten Generationen an bis auf den heutigen Tag immer und immer wieder den Glauben und die Frömmigkeit gegen die Vernunft ausspielte und einen Zwiespalt in den Menschen hineintrug, wo Gott die Harmonie gesetzt hat”.

Das religionsphilosophische bzw. neue liberal-theologische Projekt des “Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin” sieht in diesen Äußerungen Albert Schweiters wesentliche Inspirationen und Anregungen, auf dem Weg weiterzudenken.

Drei weitere Zitate von Albert Schweitzer, entnommen meinen Ra­dio­sen­dungen für den Hessischen Rundfunk 1999:

„Die unmittelbare Tatsache im Bewusstsein des Menschen lautet: Ich bin Leben, das leben will, inmitten vom Leben, das leben will. Diese allgemeine Bejahung des Lebens ist eine geistige Tat, in der der Mensch aufhört dahinzuleben. In der er vielmehr anfängt, sich seinem Leben mit Ehrfurcht hinzugeben und ihm seinen wahren Wert zu geben“.

„Die Ehrfurcht vor dem Leben gebietet uns, den hilfsbedürftigen Völkern in aller Welt Hilfe zu bringen; den Kampf gegen die Krankheiten, von denen diese Völker bedrängt sind, hat man fast überall zu spät begonnen. Letzten Endes ist alles, was wir diesen Völker erweisen, nicht Wohltat, sondern es ist unsere Sühne für das Leid, das unsere Völker von dem Tage über sie gebracht haben, als unsere Schiffe den Weg zu ihren Gestaden fanden. Es muss dahin kommen, dass Weiße und Schwarze sich in ethischem Geist begegnen. Dann erst wird eine echte Verständigung möglich sein. An der Schaffung dieses Geistes zu arbeiten heißt zukunftsreiche Politik treiben“.

Die Erkenntnis, die uns heute Not tut, ist die: Dass wir miteinander der Unmenschlichkeit schuldig sind. Dieses furchtbare gemeinsame Erlebnis muss uns dazu aufrütteln, alles zu wollen und zu erhoffen, was eine Zeit heraufführen kann, in der Kriege nicht mehr sein werden. Dieses Wollen und Hoffen kann nur darauf gehen, dass wir durch einen neuen Geist die höhere Vernünftigkeit erreichen, die uns von dem unseligen Gebrauch der uns zu Gebote stehenden Macht abhält. Nur in dem Maße, als durch den Geist eine Gesinnung des Friedens unter den Völker aufkommt, können die für die Erhaltung des Friedens geschaffenen Institutionen leisten, was von ihnen verlangt und erhofft wird“.