Ist Gott bald obsolet? Die Übersetzung eines Beitrags von André Comte-Sponville

Ist Gott bald obsolet, überholt und altmodisch?

Ein Beitrag von André Comte-Sponville, Philosoph in Paris

Aus dem Französischen Übersetzt von Christian Modehn

Dieser Beitrag ist im Magazin „Le Monde des Religions“ (Paris) im März 2016 erschienen. Diese Zeitschrift ist konfessionell-unabhängig, sie gehört zur Verlagsgruppe von Le Monde und ist an vielen Kiosken und in Buchhandlungen in Frankreich, auch der Schweiz, selbst in Québec, zu finden. Diese alle 2 Monate erscheinende Zeitschrift sollte eine Inspiration sein für Verleger und kompetente Journalisten zu Fragen der Religionen in Deutschland, endlich auch hier eine Zeitschrift zu machen, die den Namen “öffentlich”  verdient und eben an Kiosken und in Buchhandlungen zu haben ist. Natürlich auf hohem, aber “nachvollziehbaren” Niveau. Und völlig unabhängig von jeglichem Einfluss einer Religion oder Kirche.

André Comte-Sponville ist einer der wichtigsten französischen freien Philosophen und international geschätzten philosophischen Autoren. Er bekennt sich selbst zum Agnostizismus, er befasst sich mit der eigentlich selbstverständlichen Spiritualität von und für Atheisten und Agnostiker. Dass es Spiritualität von und für Atheisten gibt, ist evident: Jeder Mensch hat als „Geist-Wesen“ (Spiritus) eben auch seine eigene Spiritualität, wie bescheiden und alltäglich sie auch sein mag. Ich habe André Comte-Sponville vor 8 Jahren in Paris interviewt, ich hatte starkes Interesse, mehr zu erfahren, dass es Spiritualität eben auch für und von Atheisten gibt. Danach erschien in der Zeitschrift PUBLIK-Forum mein Beitrag, der durchaus die Diskussionen zum Thema belebt hat, zur Lektüre klicken Sie hier.

Der Beitrag von André Comte-Sponville aus der empfehlenswerten Zeitschrift “Le Monde des Religions”:

Nietzsche hat sich also getäuscht. Gott ist nicht tot, da Milliarden von Individuen noch an Gott glauben. Von denen sind aber viele bereit zu sterben, das heißt zu töten, leider, für ihren Glauben an Gott. Mehr als ein Jahrhundert nach der Veröffentlichung von „Also sprach Zarathustra“ gibt dies zu denken: Sowohl über die Blindheit der Philosophen wie über die Vitalität der Religionen.

Vermeiden wir es trotzdem, von einer Übertreibung in die andere zu fallen. Wer von der Rückkehr des Religiösen spricht, wie es viele tun, meint nur eine Übertreibung. Der Anteil der Gläubigen in der Welt, selbst wenn sie weithin die Mehrheit bilden, tendiert doch dazu, eher geringer als größer zu werden. Mehr als die Hälfte der Franzosen beziehen sich heute auf keine Religion. Es gibt nicht mehr als 4 Prozent der Katholiken, die sonntags in Frankreich zur Messe gehen. Selbst in den USA, die so viel religiöser sind als die europäischen Länder, gibt es den Atheismus und den Agnostizismus als die am meisten wachsenden spirituellen Strömungen. Der Anteil der Nordamerikaner, die sich „ohne Religion“ nennen, ist von 2 Prozent im Jahr 1960 auf 16 Prozent im Jahr 2014 gestiegen.

Was wir seit etwa zwei Jahrzehnten erleben, ist weniger eine Zunahme der Religiosität als die sehr spektakuläre, sichtbare Behauptung dieser Religiosität, auch in der öffentlichen Sphäre. Das trifft besonders auf den Islam zu, bei dem diese Betonung der Religiosität oft beängstigende Aspekte annimmt. Aber auch das Christentum entkommt dem nicht. Schauen Sie doch auf die evangelikalen Kirchen in den USA oder schauen Sie auf gewisse militante Leute bei den Anti-Gay-Ehe- Demonstrationen in Frankreich. Eine Rückkehr des Religiösen, wer könnte das statistisch erfassen? Sicher niemand. Aber es gibt eine Wiederbelebung der Darstellungen des Religiösen, wenn es sich nicht dabei sogar um eine Rückkehr zum Fundamentalismus ist, zum Integrismus und sogar speziell in der islamischen Welt zum Fanatismus handelt. Aber die meisten Glaubenden in unseren Ländern sind weit entfernt von solchen Übertreibungen, glücklicherweise. Sie leben ihren Glauben ruhig, und sie stellen dabei fest, dass ihr Glaube – statistisch gesehen – aufgehört hat bestimmend zu sein.

Aber lassen wir die Statistiken den Soziologen.

Die Religionen sind genauso alt wie die zivilisierte Menschheit. Es gibt allen Grund zu denken, dass sie genauso lange währen wie die Menschheit.

Das Universum ist ein Mysterium, niemals genau zu erklären. Das Leben, eine Prüfung, ist auf immer zerbrechlich. Das Gewissen, ein Leiden, wie es das alttestamentliche Buch Ecclesiasticus sieht, das auf immer untröstlich ist. Warum gibt es einige Dinge und nicht vielmehr Nichts? Wir wissen es nicht. Und wir werden es niemals wissen. Warum sind wir da? Was erwartet uns, zum Beispiel nach dem Tod? Wir wissen auch das nicht. Das lässt den Religionen eine gute Zukunft und auch dem Atheismus, denn er vermutet auch eine Idee Gottes, die er dann aber kritisiert. Die Gottesfrage bleibt, philosophisch gesehen, offen. Man kann diese Frage nur in Begriffen des Glaubens oder des Unglaubens beantworten. Beide Antworten sind subjektiv, ohne dass ein Wissen jemals diese Gottesfrage und diese Debatte um die Gottesfrage beenden könnte. Dies ist eine Lektion der Toleranz für jeden, und eine Lektion der Bescheidenheit für alle.

Übrigens: Verwechseln wir nicht die Spiritualität, die ein persönliches Abenteuer ist, mit den Religionen, die immer kollektiv sind. Der Rückgang der Religionen speziell in Europa, lässt nicht das Bedürfnis nach Spiritualität verschwinden. Das Gegenteil, so scheint mir, zeigt sich: Unsere Zeitgenossen befassen sich um so mehr mit Spiritualität, je weniger sie mit den institutionellen Religionen zufrieden sind. Was aber ist Spiritualität? Dies ist das Leben des Geistes, speziell in seiner Beziehung zum Unendlichen, zur Ewigkeit, zum Absoluten. Wie könnten die Kirchen dem entsprechen? Und wie könnten die Atheisten darauf verzichten?

Sollen wir etwa an den Menschen glauben? Das würde nur einen traurigen Gott ergeben und eine armselige Religion. Besser ist es zu fragen, wie wir unsere endliche Beziehung zum Unendlichen gestalten können, unsere zeitliche Beziehung zur Ewigkeit, unsere relative Beziehung zum Absoluten. Das heißt, treu zu bleiben zum Monotheismus, das gilt selbst für die, die aufgehört haben, an ihn zu glauben. Also: Nicht den Idolen Opfer darbringen. Nicht auf den Geist verzichten.

Copyright: Le Monde des religions, Paris, und Andre Comte-Sponville.

Die Internetadresse: http://www.lemondedesreligions.fr/

 

 

 

Vorhof der Völker – ein Dialog mit Atheisten? Nun auch in Berlin

Der “Vorhof der Völker” – in Paris (2011) und jetzt auch in Berlin:
Zum Dialog mit “Heiden” und Atheisten
Von Christian Modehn und dem Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin

Zum aktuellen Bericht über den “Vorhof der Völker” in Berlin vom 26. bis 28. November 2013 klicken Sie bitte HIER.

Ende November 2012 (!) hat der Religionsphilosophische Salon Berlin einen Beitrag publiziert zum Vorhaben “Vorhof der Völker” in Berlin. Dabei geht es um einen Dialog zwischen Katholiken (!, Ökumene findet da offenbar nicht statt), vor allem zwischen Kardinälen, Prälaten und Theologie-Professoren und so genannten Atheisten, ebenfalls oft Professoren. Wir haben damals an die ähnliche Veranstaltung in Paris im Jahre 2011 erinnert.
Aus aktuellem Anlaß bieten wir nun aufgrund vielfältiger Anfragen noch einmal diese Beiträge.
Denn vom 26. bis 28. November 2013 findet die Veranstaltung “Vorhof der Völker” in Berlin statt; diese “Vorplätze”, also die offenen Räume, das meint ja “Vorhof”, sind nun – merkwürdigerweise – das Berliner Rathaus (mit dem Bürgermeister als politischem Schutzpatron und offenbar Mitfinanzier), die Charité und das Bodemuseum…Sogar in den abgeschlossenen Räumen der “Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft” findet ein Vorhof statt. Sind das alles wirkliche “Vorhöfe”, also eine Art offene und allgemein zugängliche AGORA? Wir wagen das zu bezweifeln und fragen: Vor wem haben diese Katholiken Angst, wirklich auf einem Vorhof, auf einer Agora, mit den Tausenden von Atheisten und Skeptikern Berlins in Kontakt zu kommmen und einen Dialog in “Augenhöhe” also Gleichberechtigung, zu führen? In Berlin sind bekanntlich etwa eine Million Menschen “konfessionsfrei”. Und wie viele “Atheisten”, Skeptiker, Agnostiker usw. es in den Kirchen selbst gibt, ist noch einmal die Frage. Warum also dieser Rückzug in abgeschlossene, hohe Mauern? Und wer wird später die Millionen Euro bedauern, die solch ein Unternehmen gekostet hat?
In Paris hieß im Jahre 2011 die Veranstaltung “Au parvis de gentils”, also auf dem “Vorplatz der Heiden” authentisch und wörtlich übersetzt. Aus den “Heiden” wurden nun schlicht die “Völker”…Und die Völker in Berlin werden von dem Chef des Unternehmens, Kardinal Ravasi, vorweg als ziemlich säkular und leider nicht katholisch beschrieben.

Im November 2011 publiziert:
In Berlin, so berichtet “Christ und Welt”, die Beilage zur Wochenzeitung Die Zeit, am 22. 11. 2011, soll im kommenden Jahr ein Dialog mit Atheisten stattfinden, organisiert von einer vatikanischen Kultur – Behörde. Diese Initiative bezieht sich auf eine Veranstaltung, die schon im Frühjahr 2011 in Paris stattfand, unter dem Titel: “au parvis des gentils”, wörtlich und korrekt aus dem mittelalterlichen Latein übersetzt, “Auf dem Vorplatz der Heiden”. “Les gentils”, sind die Heiden, siehe Thomas von Aquin “Summa contra gentiles”. Im Rheinischen Merkur wird berichtet, wie die päpstlichen und sonstigen Veranstalter daraus den weniger belasteten Titel “Vorhof der Völker” gemacht haben.

Wir dokumentieren hier einen Beitrag aus der empfehlenswerten Zeitschrift PUBLIK FORUM, der anläßlich der mit einem Riesen – Aufwand gestalteten Veranstaltung in Paris 2011 geschrieben wurde. Dieser sogen. Dialog war, so einhellig die große, die “nicht – klerikale Presse”, ein ziemliches Fiasko, für das sich kaum ein normaler “Heide” oder Atheist in Paris interessierte. Eher waren es die charismatisch-missionarischen Katholiken aus fundamentalistischen Bewegungen, die da – meist vergeblich – auf atheistisch-heidnische Gesprächspartner warteten.. .auf dem Vorplatz der Heiden, nämlich auf dem parvis de Notre Dame, dem Vorpöatz der Kathedrale, im Herzen der angeblich gottlosen Metropole PARIS…

Auf dem Vorhof der Heiden
Wenn der Vatikan mit Atheisten sprechen will
Von Christian Modehn, am 4.4.2011
Diesem Beitrag liegt ein Artikel für PUBLIK FORUM zugrunde.

Papst Benedikt gibt sich dialogfreundlich. Er hat kürzlich in Paris Atheisten drei Tage lang zum Gespräch mit Theologen eingeladen. Zu den Organisatoren gehören Mitarbeiter des „Päpstlichen Rates für die Kultur“, wichtigster Manager ist Pater Laurent Mazas von der äußerst konservativen „neuen geistlichen Gemeinschaft“ der Johannesbrüder. Die Tagungsorte hatten den Charme des Exklusiven, wie die UNESCO oder das akademische „Institut de France“. Aber organisierte Atheisten, wie die Freidenker, blieben fern. Selbst der spirituell interessierte Atheist und Buchautor André Comte – Sponville zeigte kein Interesse. Der populäre, aber deutlich antiklerikale Philosoph Michel Onfray wurde erst gar nicht eingeladen. So umkreisten denn 45 Wissenschaftler, darunter 5 Frauen, eher abstrakte Themen, wie das „Universale und Individuelle“ oder die „gerechte Ökonomie“. Sie lieferten Beiträge, deren Bedeutung über die Veröffentlichung in Sammelbänden kaum hinausgeht. Beachtlich waren die Ausführungen der international bekannten Philosophen Julia Kristeva und Fabrice Hadjadj, die erneut ihr spirituelles Interesse bekundeten. Nur am Ende der dreitägigen Veranstaltung wollte sich der elitäre Zirkel dem Dialog zwischen glaubenden und nichtglaubenden Menschen „an der Basis“ öffnen: Vor der Kathedrale Notre Dame sollten sie debattieren, während innen Brüder von Taizé meditative Gesänge darboten. Aber zu dieser „populär“ gemeinten Veranstaltung kamen anstelle der 25.000 erwarteten Besuchern nur einige tausend, darunter waren äußerst wenige, die sich als Atheisten outeten. Diese Abendveranstaltung ist ein Flop, berichtet die halboffizielle katholische Tageszeitung La Croix. Und das war insgesamt vorauszusehen, denn das Projekt stand unter einem antiquierten Motto: Dialog auf dem „Vorplatz der Heiden“. Welcher Atheist sieht sich denn auch als ein „Heide“, der an viele Götter glaubt? Und was soll der Begriff Vorplatz? Warum laden die Katholiken ihre ungläubigen Mitbürger nicht zu sich „nach Hause“, also in eine Kirche, ein, sondern lassen sie auf dem „Vorplatz“ stehen? Werden Atheisten etwa als Taufbewerber gesehen, die wie in der Urkirche keinen Zutritt ins Heiligtum haben?
Das neue päpstliche Dialog Projekt rechnet mit festen Identitäten: Hier der Gläubige, dort der Ungläubige. Aber sind die heutigen kirchenfernen Menschen überhaupt „Atheisten“ ? Sind sie nicht eher Skeptiker, Suchende, Zweifler? Und aktuelle Umfragen zeigen, dass etwa 30 Prozent der französischen Kirchenmitglieder nicht an Gott glauben. Kann der klassische Gottesbegriff von Theologen wie eine fixe und bekannte Größe in die Debatte geworfen“ werden?
Der Vatikan hat mit diesem um äußeren Glanz bemühten Projekt gezeigt, dass er das Wort Dialog nicht ernst nimmt. Denn Dialog meint Lernbereitschaft aller Beteiligten; auch Glaubende, auch Theologen haben von Atheisten zu lernen.
Trotz dieser blamablen Dialoginitiative ist der Vatikan entschlossen, bald Atheisten in Prag und Tirana auf den Vorhof der Heiden zu laden. Dabei fehlen schon jetzt 600.000 Euro allein zur Finanzierung der Pariser „Dialoge“.

Zum Dialog “Christen und Atheisten, was sie von einander LERNEN können”, veranstaltet vom Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon am 21. 11. 2013 klicken Sie bitte hier.

COPYRIGHT: CHRISTIAN MODEHN.

André Comte Sponville. Atheistische Spiritualität

ANDRE COMTE SPONVILLE

Eingetaucht in die Leere des Kosmos
Mystik ohne Gott: Der Philosoph André Comte-Sponville hat sich vom Christentum abgewandt.
Er vertritt eine atheistische Spiritualität – ohne Militanz

Von Christian Modehn

Er hat in der Christlichen Studierenden Jugend in Paris aktiv mitgearbeitet. Als Gymnasiast war er bei Exerzitien in einem Trappistenkloster dabei. Noch immer rühmt der heute 54-Jährige die beiden katholischen Pfarrer, die ihn als Abiturienten prägten und mit dem Mystiker Blaise Pascal vertraut machten: »Ich hatte zwar einen gewissen Glauben, war aber doch von Zweifeln bestimmt.« Weiterlesen ⇘