Auferstehung? Zu einem neuen Buch des Theologen Hans Kessler.

Ein Hinweis von Christian Modehn

Die Überzeugung von der Auferstehung Jesu von Nazareth ist umstritten, ungewöhnlich, sie sprengt Grenzen des Verstandes. Für einige ist sie berauschend, für andere lächerlich. Immer aber wird zur Auferstehung Jesu von Nazareth dann doch sprachlich Stellung genommen, also mit dem Anspruch zu argumentieren. Es gibt auch Versuche der kritischen Vernunft, für die Möglichkeit der Auferstehung zu plädieren. Diese Versuche verdienen genauso viel Aufmerksamkeit wie manchmal übereilt erscheinende Abweisungen.

1,
Der katholische Theologe Hans Kessler (Prof. em. für systematische Theologie an der Uni in Frankfurt/M.) publiziert seit vielen Jahren zu einem ziemlich wichtigen Thema, bei dem es um den Umgang mit Leben und Tod und dem „Danach“ geht, also zur Auferstehung Jesu von Nazareth bzw. zum Thema Ostern in den christlichen Kirchen. Vor allem seine umfangreiche Studie „Sucht den Lebenden nicht bei den Toten“, zuerst 1985 erschienen, dann später sehr stark erweitert, hat ihn als katholischen „Auferstehungs-Spezialisten“ in Deutschland bekannt gemacht. Kessler versucht, das umstrittene, heftig debattierte Thema Auferstehung argumentativ zu erschließen. Also nicht, wie oft in Predigten üblich, die Worte aus den Evangelien bloß zu wiederholen oder in frommem Jubel zu rezitieren. Kessler nennt Gründe, warum die Überzeugung von der Auferstehung Jesu und der Auferstehung der Menschen vernünftig plausibel sein kann. Wer mathematische Beweise in Philosophien und Religionen verlangt, ist sowieso falsch beraten… Kessler zeigt zudem, dass dieser Glaube eine Lebensdeutung, eine Art Lebensphilosophie sein kann, die selbstverständlich im Sinne der Auferstehung als „politischer Aufstand für die Gerechtigkeit“ auch politische Dimensionen hat. Darum werden auch die bekannten Gedichte von Kurt Marti und Marie Luis Kaschnitz gewürdigt.
Das neue Buch ist also zu empfehlen, als Einstieg zum Thema.
2.
Das vom Umfang her eher knappe Buch (170 Seiten eigener Text, 26 Seiten Quellenangaben!) hat den Titel: „Auferstehung?“ (mit Fragezeichen), das ist wichtig, um die Offenheit der Reflexionen gleich zu Beginn anzudeuten! Der Untertitel ist: „Der Weg Jesu, das Kreuz und der Osterglaube“. So wird von vornherein betont: Die Auferstehung Jesu kann überhaupt nur im Zusammengang seines ganzen Lebens und dann seiner Verurteilung und seines Sterbens verstanden werden. Denn um ein vernünftiges Verstehen geht es ja.
3.
Das Buch präsentiert sich systematisch, und darin zeigt sich es fast als kleines gut zugängliches „Lehrbuch“, auch für Studenten und Arbeitskreise geeignet. Es beginnt also mit Erläuterungen zu den unterschiedlichen Quellen zum Leben Jesu von Nazareth, das Buch betont Jesu „Schlüsselerfahrung und Grund-Botschaft“. Dann folgen längere Erklärungen zu den Gründen für Jesu Verurteilung und Kreuzigung. Sehr deutlich sagt Kessler, dass sich Jesus durch sein ungewöhnliches Leben und seine Botschaft „in Gegensatz zu maßgeblichen Kreisen seines Volkes“ stellte (40). Und: „Jesus geriet in Gegensatz zur geltenden Doktrin und ihren Hütern“ (ebd). Man dürfte dann konsequenterweise beschreibend und nicht bewertend sagen: „Jesus der Jude ist in gewisser Weise aus der herrschenden Theologie seines Volkes herausgewachsen“. (Das ist meine Hypothese, C.M.)
4.
Mit Nachdruck weist Kessler darauf hin: Die  Oster-Erzählungen der vier Evangelisten sind sehr reichhaltig ausgeschmückte und phantasievolle Predigten, sie sind selbstverständlich absolut KEINE historischen Berichte. Wer sie als Tatsachenberichte liest und so noch heute mit einzelnen Sätzen zitiert, irrt gewaltig! Und fördert eher die religiöse Naivität, wenn nicht Dummheit. Hingegen muss beachtet werden: Kurze Sätze, Bekenntnisse, die von der Auferweckung Jesu sprechen, gibt es schon sehr früh mündlich überliefert, dann vor allem in vielen Paulus-Briefen, etwa schon im Jahre 50 im 1. Brief an die Thessalonicher: 1. Thess 1, 10, auch 4,14 usw.
Die Auferstehung Jesu als Ereignis im Bewusstsein der Jünger Jesu hat selbstverständlich kein präzises Datum. Leider, das gibt Kessler zu, haben viele „wunderschöne“ Gemälde großer Künstler das direkte, materiell greifbare Auferstehungsgeschehen übertrieben viel zu sachlich sachlich – drastisch geschildert, wie etwa Caravaggios bekanntes Gemälde vom „Ungläubigen Thomas“ von 1601: Thomas greift förmlich, von Jesu unterstützt, in dessen Seitenwunde der Kreuzigung. Kessler hält dieses „künstlerisch großartige Gemälde“ aber theologisch für irreführend und missverständlich (95). Solche Bilder, naiv interpretiert, haben den Glauben an das geistige Auferstehungsgeschehen als Bewusstseinsgeschehen eher gestört, wenn nicht ins Infantile geschoben. Die so genannte christliche, eigentlich „katholische Kunst“ des überschwänglichen Barocks hat meiner Meinung nach den Glauben oft verfälscht, man denke auch an die vielen maßlosen Mariendarstellungen oder an den „Gott Vater“ als alten Mann mit Bart. Man versteht in dem Zusammenhang vielleicht die Abwehr reformierter Christen gegenüber „religiöser Kunst“.
5.
Das ist zentral also in den Erfahrungen der Jünger und FreundInnen Jesu: Sie erlebten nach Jesu Tod einmal mehr, aus welcher spirituellen Mitte Jesus lebte: Es ist „seine ureigene Gotteserfahrung“ (49), seine Gottunmittelbarkeit. So wird er als „der Gott ganz entsprechende Mensch“ erlebt.Diese Erinnerung ist dann prägend und bestimmend.
6.
Damit sind wir bei dem, was Auferstehung Jesu genannt wird. Die Jünger erinnern sich nach Jesu Tod (um das Jahr 30) weiter an diesen ungewöhnlichen Menschen, „der ganz Gott entsprach“. Dieser gottverbundene Mensch mit seiner Botschaft von der Herrschaft Gottes, kann nicht im Tod versinken. Denn in ihm „lebt Gott“. Die Jünger „produzieren“ also in gewisser Weise den Glauben an die Auferstehung, wie es der Bibelwissenschaftler Ulrich B. Müller in seinen Studien zeigt. Aber, und das wird leider meines Erachtens nicht deutlich gesagt: Dieses menschliche „Produzieren“ der Auferstehung ist dialektisch gesehen ZUGLEICH ein Werk des göttlichen Geistes, der ja auch in den „produzierenden“ Menschen lebt, zu dem sie frei Stellung nehmen können.
7.
Der im Bewusstsein der Gemeinde lebendige, auferstandene Jesus kann also durchaus als menschliche Leiche im Grab liegen. Wo sollte auch ein Leichnam hin? Und wenn Jesu leibhaftig wieder da wäre als der „Alte“, dann müsste er ja erneut irgendwo sterben, dann beginnt die Frage der Auferstehung von neuem… Die Frage, was aus dem Grab Jesu „eigentlich“ dann wurde, interessiert die Gemeinde derer, die an die Auferstehung glauben nicht mehr. Erst später, im 4.Jahrhundert, wurde der Kult um Jesu Grab inszeniert, im Rahmen des Wallfahrtswesens.
Hans Kessler betont darum wie in früheren Publikationen schon eigentlich die Selbstverständlichkeit: Nach damaliger auch schon jüdischer und dann christlicher Auffassung musste das Grab nicht leer sein“ (87).“Das leere Grab ist kein notwendiger Bestandteil des christlichen Auferstehungsglaubens“ (ebd.)
8.
Die Auferstehung verstehen – das ist für einige vielleicht doch noch ein zentrales Thema zu Ostern! Dies erfordert einen anspruchsvollen Prozess des Nachdenkens und Forschens, der Befreiung von der üblichen immer noch praktizierten infantilen Bibellektüre. Also die Korrektur so schön überlieferter, aber banaler Denk-Bilder. Sehr schön zeigt Kessel auch in philosophischen Reflexionen, etwa mit Verweis auf Boethius, was eigentlich der Begriff „Ewigkeit“ bzw. „ewiges Leben“ bedeutet, der ja entscheidend ist für ein christliches Verstehen der Auferstehung aller Menschen: Denn das ist ja die Bedeutung der Auferstehung Jesu: Alle Menschen sind als „Geschöpfe Gottes“ zur Auferstehung als Todesüberwindung berufen und befähigt. „Ewiges Leben könnte, vorsichtig formuliert, darin bestehen, dass endliche vergängliche Geschöpfe an Gottes unvergänglicher (ewiger) Lebendigkeit Anteil bekommen“ (159). Man beachte also immer wieder: Jesu Auferstehung zeigt die grundsätzliche Auferstehung (als „Übergang“ in Gottes Ewigkeit) ALLER Menschen. Das ist förmlich der Sinn von Jesu Auferstehung: Zeigen, dass alle Menschen auferstehen.
9.
Gerade an der Stelle hätte ich mir eine Ausbreitung dieses Gedankens gewünscht: Wenn von Gott oder dem schöpferischen göttlichen Prinzip die Rede ist: Dann muss auch davon gesprochen werden, dass dieser allseits schöpferische Gott (und als Gott der Ewige) Welt und Menschen „erschaffen“ hat (in einer evolutiven Entwicklung). Und dass dann aber dieser schöpferische Gott als göttlicher Geist IN der Welt und IN den Menschen immer schon anwesend ist. Eine von Gott dem Schöpfer getrennt bestehende Welt der Menschen ist undenkbar, wenn man an dem Gottesbegriff festhalten will.
Das bedeutet: Nur weil der ewige Gott als Geist (Seele) in jedem Menschen ist, natürlich auch im Menschen Jesus, kann es überhaupt Auferstehung geben als die Erfahrung: Der Mensch hat kraft seines Geistes am Ewigen Anteil. Und dieses Ewige ist im Leben erfahrbar, etwa in der Liebe oder dem Tun des Gerechten. Leider erwähnt Hans Kessler nicht die in dem Zusammenhang wichtige Studie des protestantischen Bibelwissenschaftlers, Prof. Stefan Alkier (Uni Frankfurt.M) „Die Realität der Auferstehung“ (2009): „Die Welt, alles Leben und auch das je meinige Leben entspringen […] nicht einem blinden Zufall, sondern der intentionalen Kreativität des sich liebevoll in Beziehung setzenden Gottes.“ „Wer diese Hypothese nicht teilt, kann auch nicht mit den Schriften des Neuen Testaments […] von der Auferweckung Jesu Christi und der Hoffnung auf die Auferweckung der Toten sprechen“ (S. 238).
10.
Diese Erkenntnis hat Jesus von Nazareth offenbart und dadurch allen Menschen zugänglich gemacht. Dies ist also der entscheidende Vorschlag der christlichen Religion und der biblischen Überlieferung: Das menschliche Leben ist im Zusammenhang des schöpferischen (ewigen) Gottes zu verstehen. Nur weil das menschliche Leben immer schon in das Leben des Ewigen einbezogen ist, „gibt“ es die Auferstehung Jesu und die Auferstehung aller anderen Menschen.
Diese Erkenntnis wurde bekanntlich auch vom Philosophen G.W.F. Hegel vorgetragen und begründet.

Siehe auch den ausführlichen Beitrag von Christian Modehn, “Die Auferstehung Jesu von Nazareth vernünftig verstehehen”, LINK

Hans Kessler, Auferstehung? Matthias Grünewald Verlag Mainz, 2021, 203 Seiten, 22 Euro.

Glauben ohne Angst. Ein Interview über “Himmel und Hölle” mit Prof. Wilhelm Gräb

Religion ohne Angst
Ein Interview mit dem protestatischen Theologen Prof. Wilhelm Gräb,
Humboldt Universität Berlin
Die Fragen stellte Christian Modehn

Im Umfeld des Totensonntags oder Ewigkeitssonntags wird auch vom Ende des Lebens gesprochen, manche christlichen Menschen denken dann an das Endgericht Gottes, an mögliche göttliche Strafen.
Sicher werden auch der Begriff und die Bilder von “Hölle” wieder hoch kommen. Was ist für eine liberale Theologie, die “es gut meint mit dem Menschen”, wie Sie früher so deutlich sagten, wichtig im Blick auf den Totensonntag?

Im Jahreszyklus ist der Totensonntag – nach kirchlichem Sprachgebrauch, der Ewigkeitssonntag – ein wichtiger Tag. Es ist der letzte Sonntag im Kirchenjahr und wird gerade von denen, die einen lieben Menschen verloren haben, als Tag des Gedenkens begangen. In vielen gemeindlichen Gottesdiensten werden die Namen der Verstorbenen des vergangenen Jahres verlesen; auf den Friedhöfen finden weitere Andachten am Nachmittag statt. Betont der „Totensonntag“ das Totengedenken, so der „Ewigkeitssonntag“ die christliche Auerstehungshoffnung.

Christlicher Glaube ist in seinem Zentrum Auferstehungsglaube. Aus der Gewissheit, dass Jesus, der den Tod am Kreuz hat sterben müssen, von Gott ins ewige Leben gerufen wurde, ist die christliche Religionsbewegung entstanden. Insofern kann man durchaus sagen, dass es ein und dasselbe bedeutet, christlich zu glauben und die Ewigkeitshoffnung zu gewinnen. Das apokalyptische Weltbild des Neuen Testamentes drückte diese Ewigkeitshoffnung dann in Bildern aus. Sie haben die Totenauferweckung mit dem Gerichtsgedanken verbunden. Dem Eingang in die himmlische Seligkeit steht dann ein finsterer Ort entgegen, an dem Heulen und Zähneklappern sein wird.

Der christliche Grundimpuls war jedoch überhaupt nicht von diesem Dualismus „himmlische Seligkeit contra Hölle“ geprägt. Jesus versprach vielmehr allen, die seinen Weg der Gottes- und Nächstenliebe mitgehen, die unendliche Lebensfülle. Deshalb konnten Jesu Anhänger auch seinen Kreuzestod nur als eine Art Durchbruch durch Elend, Sterben und Tod hinein in die ewige Seeligkeit deuten. Denn so hat Jesus von Gott gesprochen, dass in ihm das Leben ist, ein Leben, das gerade nicht mehr nur diese Krankheit zum Tode ist, das nicht im Tod endet, sondern den Tod überwindet und in Gottes Ewigkeit eingeht.

Das Neue Testament lässt keinen Zweifel daran, dass alle Bilder von Gottes ewigem Leben niemals adäquate Vorstellungen sein können. Alle Vorstellungen sind unserer endlichen, irdischen, widersprüchlichen, tödlichen Wirklichkeit entnommen. Wir können nur symbolisch, in uneigentlichen Sinnzeichen, von
der transzendenten göttlichen Wirklichkeit sprechen. Aber dabei ist vom Neuen Testament her ebenso klar, dass Gott die unendliche Fülle des Lebens, der unverlierbare Sinn des Ganzen der Wirklichkeit ist. Wer im Geiste Jesu an Gott glaubt, setzt darauf, dass der Welt im Ganzen ein unverlierbarer Sinn innewohnt. Er besteht auch darauf, dass Gott jeden, der ihm vertraut, jetzt schon an der Fülle ewigen Leben teilhaben lässt. An Gottes Ewigkeit teilzuhaben, schon mitten in der Zeit und unendlich übers Irdische hinaus, geschieht, wo Menschen im Glauben und in der Liebe ihr Leben gestalten.

An Gottes Ewigkeit gewinnt jeder Anteil, der glaubt. Mehr braucht es nicht. Den Glauben aber braucht es, weil ja nur dann, wenn wir selbst uns in Beziehung zu Gott wissen, wir in der Einheit unseres selbstbewussten Daseins an Gottes ewigem Leben teilhaben. Unser Glaube macht es, dass wir uns selbst als zu Gott gehörig verstehen.

Von der Hölle ist im Christentum in keiner Weise zu reden. Gott ist ewiges Leben. Er ist Leben im Licht und in der Fülle und nicht zugleich auch noch das Gegenteil. Es ist keine Leere und keine Finsternis in ihm. Versteht der christliche Glaube sich richtig, dann redet er also nicht von der Hölle und finsteren Teufelsmächten. Es sähe dann außerdem so aus, als wüssten wir von einer jenseitigen Wirklichkeit, die für die einen eine himmlische Glückseligkeit und für die anderen eine schreckliche Todeswirklichkeit bereithält. So ist es aber nicht.

Alle Aussagen über eine jenseitige Wirklichkeit, sei es die des Himmels, sei es die der Hölle, entspringen, sobald sie vom vertrauensvollen Akt des Glaubens absehen, einer halt- und heillosen Spekulation. Die Hölle ist eine Erfindung derer, die meinen, man müsse den Menschen Angst machen, damit sie sich zum Glauben bekehren und ein ordentliches Leben führen. Die angstmachende Rede von der Hölle verfehlt beides, Gott und den Glauben, die Fülle des Lebens und das grundlose Vertrauen darauf, dass die Fülle allen Menschen versprochen ist.

Sind denn die traditionellen Bilder, die aus dem biblischen Buch der Apokalypse stammen, heute noch existentiell berührend und wichtig?

Es gibt so viel Schreckliches in der Welt, Naturkatastrophen, und vor allem die Kriege, all die Grausamkeiten, die Menschen einander antun. Es ist einfach nur furchtbar! So sieht die Hölle auf Erden aus. Da ist es nur zu verständlich, dass wir auch in der Bibel Vorstellungen und eine Sprache finden, die die Blutströme, die die Menschheitsgeschichte durchziehen, in Bilder eines endzeitlichen Dramas übersetzen, in dem Gott den unerbittlichen Kampf gegen die Mächte des Bösen führt. Diese Bilder des endzeitlichen Schreckens, die sich nicht nur im letzten Buch der Bibel (der Apokalypse), aber dort mit besonderer Wucht finden, zeigen, wie zu einer bestimmten Zeit dem Schrecken und unserem Entsetzen Ausdruck gegeben werden kann.

Die Botschaft der Bibel ist dennoch eine durch und durch von der Angst befreiende Botschaft. Jesus ist gekommen zu retten, was verloren ist, nur dazu. Das Christentum ist eine Erlösungsreligion und sonst gar nichts.

Der Fehler, der freilich immer wieder begangen worden ist und auch heute begangen wird, liegt darin, den Glauben, den allein der Gott verlangt, an menschlich kontrollierbare Bedingungen zu knüpfen: die christliche Taufe, den Glauben der Kirche, die Zustimmung zu bestimmten Glaubenssätzen, die Einhaltung bestimmter Moralvorschriften. Nur wer in einem bestimmten Sinn glaubt, sich zu einer bestimmten kirchlichen Gemeinschaft der Erwählten hält, geht in die ewige Seligkeit ein, den anderen droht die ewige Verdammnis.

So aber wird die biblische Botschaft im Kern missverstanden. Sie will, „dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“ (1. Timotheus 2,4), wer sie auch seien, welcher Konfession oder Religion sie auch angehören, selbst wenn sie keiner Kirche oder Religion verbunden sind. Die Wahrheit ist, dass Gott die Welt trotz der ungeheuren Macht des Bösen in Liebe zusammenhält und auf den Sinn, den sie im Ganzen hat, ausrichtet.

Allmächtig ist Gott nicht, wäre er es, gäbe es die Macht des Bösen, all die Gewalt in Natur und Geschichte überhaupt nicht. Wäre Gott immer schon alles in allem, die Vollendung der Liebe und die Realisierung des Sinns des Ganzen, dann gäbe es aber auch keine natürliche Evolution und keine die Freiheit der Menschen realisierende Menschheitsgeschichte. Als die Macht der Liebe und als der Sinn des Ganzen von Welt und Leben ist Gott für uns, die wir in der Zeit sind und in eine immer noch unvollendete und undurchschaubare Geschichte verstrickt sind, ein werdender Gott. Gottes Sein ist im Werden, so aber, dass er uns an diesem Werden teilhaben lässt. Dies geschieht in unserem vertrauensvollen Glauben, in unserem Tun der Liebe, in der Hoffnung, mit der wir in allem Widerstreit und allem Kampf auf eine Vollendung der Welt im Guten setzen.

So ist die christliche Eschatologie, die Lehre von den letzten Dingen, zu verstehen. Sie setzt keinen Widerspruch, keine Macht des Bösen, nicht einmal eine Zornesmacht in Gott selbst hinein. Sie redet auch keinem Gegengott, keinem Teufel das Wort. Gott ist die Macht einer ohnmächtigen Liebe und damit Weg zur Realisierung des Sinn des Ganzen einer Welt, die von uns als eine solche erfahren wird, in der es ungeheuer viel Leid, Schmerz und Geschrei gibt.

Indem wir Gott denken und an ihn glauben und auf ihn unsere Hoffnung setzen, gehen wir aber davon aus, dass die Liebe das letzte Wort behält und wir auf einen Gott zugehen, der, wie es im letzten Buch der Bibel heißt, „abwischen wird alles Tränen“ (Offenbarung 21,4). So ist Gott der, der überall dort am Werk ist, wo Menschen auch noch in Katastrophen neuen Mut gewinnen, wo sie auch noch in bösen Erfahrungen an den Sieg der Liebe glauben, wo sie im Leiden am trotzigen Dennoch neuen Glücks festhalten, wo sie die Hoffnung nicht aufgeben. Weil es Gott ist, der am Ende Recht behalten wird, deshalb ist es eines jedes Menschen Bestimmung, im unendlichen Ganzen letztlich nicht verloren zu gehen, an der Fülle teilzuhaben, ewig in Gott geborgen zu sein.

Kann es eine religiöse Haltung geben, die ohne Angst auskommt, ohne Angst vor Gott?

In der Religion geht es um nichts anderes, so könnte man geradezu sagen, als eben darum, die Angst, die zu unserem endlichen Dasein gehört (Heidegger hat sie im Anschluss an Kierkegaard ein Existential genannt), zu überwinden. „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ (Johannes 16, 33) So sagt es Jesus. In der Welt haben wir Angst, denn wir wissen nicht, was sein wird und es kann und wird so vieles geschehen, was wir nicht verstehen und allen unseren Vorstellungen vom Leben wie es sein sollte zuwiderläuft. Aber der Glaube ist gerade darin Glaube an Gott, dass er den Gedanken einer Vollendung fasst, der den Widerstreit der Welt hinter sich lässt und den Sinn uns zeigt, auf den hin wir schon immer leben. Dann werden wir sein wie Träumenden, die eintauchen in ein Meer voller Wärme und Licht.

Sollten wir uns von der Vorstellung „Gott als strafender Richter“ verabschieden?

Radikal! Die Vorstellung von Gott als strafendem Richter ist zwar eng mit der juridischen Auffassung der paulinischen Rechtfertigungslehre verbunden, aber genauso unhaltbar wie diese jurirdische Gottesauffassung insgesamt. Wenn Gottes Sein im Werden ist, dann erfahren wir ihn nur dort, wo wir die Macht des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung erfahren. Gott ist in den Weltprozess selbst verwickelt, oft so, dass wir ihn nicht verstehen, weil wir ihn und seine Liebe nicht zusammenbringen können mit dem, was geschieht. Im Absurden und Desaströsen spricht die Erfahrung nicht dafür, dass einen Gott gibt. Eigentlich spricht die Erfahrung nie direkt für Gott. Sie kann nicht für ihn sprechen. Dennoch ist Gott so ins Weltgeschehen verwickelt, dass er ihm die Richtung gibt, hin auf einen guten Ausgang aller Dinge. Als der Richtungssinn der Geschichte existiert er. Im Vertrauen auf diesen Sinn ist er der Gegenstand unseres Glaubens und der Grund unserer Hoffnung.

Der Gott, der vertrauenswürdig ist, ist kein richtender Gott. Dann müsste er über dem turbulenten Weltgeschehen thronen, um schließlich den Guten den Himmel zu öffnen und die Bösen in die Hölle zu schicken. Der vertrauenswürdige Gott ist der in die Menschen- und Weltgeschichte verstrickte, aber ihr den Richtungssinn gebende Gott, vielfach ohnmächtig in seiner Liebe, immer wieder bösen Mächten unterliegend. Deshalb steht das Kreuz im Zentrum des Christentums. Aber wenn es diesen Gott unseres Vertrauens nicht gäbe, dann hätte diese komplizierte, ebenso schöne wie schreckliche Welt kein Ziel, keines, an das wir glauben und auf das wir hoffen können.

Welche Interessen haben einige Christen, wenn sie noch am Begriff der Hölle und katholischerseits am Fegefeuer festhalten?

Da Gottes Wesen in der Höllen-Predigt völlig verkannt wird, liegt die Vermutung nahe, dass diese Vorstellung ein machtvolles Instrument in der Hand derjenigen ist, die an einen strafenden Gott bei den Menschen immer noch glauben. Sie wollen die Angst steigern bei denen, die in diesen unglücklichen Gottesvorstellungen vielleicht sogar schon erzogen worden sind. Oft wird zwar gesagt, dass mit der Drohung von Hölle und Fegefeuer die Menschen zur Wahrnehmung ihrer Verantwortung und zum Tun des Guten angehalten würden. Das Gegenteil scheint mir jedoch der Fall. Höllen- und Gerichtsandrohung führen allenfalls zu einer trüben Doppelmoral.
Klerikale Herrschaftsinteressen liegen auf der Hand.
Die Bibel redet eine andere Sprache: „Niemand hat Gott jemals gesehen. So wir uns untereinander lieben, so bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist völlig in uns… Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die völlige Liebe treibt die Furcht aus; denn die Furcht hat Pein. Wer sich aber fürchtet, der ist nicht völlig in der Liebe.“ (1. Johannes Brief, 4, 12 und 18)
copyright: Prof. Wilhelm Gräb und Religionsphilosophischer Salon Berlin.