Glauben und Wissen: Getrennt und doch verbunden. Zum Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon am 31. 3. 2017

Hinweise und Thesen von Christian Modehn, vorgetragen im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon am 31.3.2017.

1. Wer sich mit dem Verhältnis von Glauben und Wissen philosophisch befasst, verirrt sich nicht etwa in „abstrakte Reflexionen“, die man gern irrelevant und lebensfern nennt.

Wir reden vielmehr vom Zusammenhang von Glauben und Wissen aus lebens-praktischen Interessen. Denn es geht bei dem Thema um die Frage: Wie gelangen wir in ein Leben, das möglichst frei ist von „inneren“, also geistigen Widersprüchen, etwa zwischen einer Praxis des Wissens und einer Praxis des Glaubens.

Im Blick auf die Geschichte ist klar: Viele religiös Glaubende haben diesen Widerspruch zwischen ihrem Glauben und ihrem wissenschaftlichen Wissen förmlich gesucht und gepflegt. Zu ihnen gehört etwa der Mathematiker und hochbegabte Erfinder Blaise Pascal (1623 – 1662), der seine Wissenschaft total von seinem Glauben trennte; der von einer Art Privatoffenbarung überzeugt war (am 23. Nov. 1654, passierte sein mystisches Ereignis; das „Memorial“ nähte er sich in seine Jacke ein). Pascal glaubte an einen Gott jenseits aller Vernunft, nur dieser Gott zeige sich „als Gott der Liebe und des Trostes“. Er betonte einen totalen Bruch zwischen dem Gott der Philosophen und dem Gott des christlichen Glaubens.

Diesen Bruch halte ich philosophisch (und theologisch) gesehen für falsch. Der Mensch ist nicht gespalten in Denken (Gott denken) und Fühlen (Gott fühlen).

2. Wenn wir Glauben als eine allgemeine, menschliche Haltung verstehen, wird deutlich:

Wir bewegen uns ständig in Glaubensformen, im vor-religiösen Sinne gemeint, etwa: “Ich glaube, mein Freund besucht mich morgen“. Das ist auch eine schwache Form von Wissen. Oder die Wissensform, noch vor-wissenschaftlicher, unbewiesener Art, etwa: „Ich weiß nach zwei Konsultationen, dass dieser Arzt kompetent ist“. Handelt es sich dabei nicht auch um den Glauben, dass dies in Zukunft auch so bleibt? Glauben und Wissen gehen ineinander über in der Alltagspraxis.

Von daher ist eine philosophische Analyse und dadurch eine tiefere Bestimmung von Glauben und Wissen geboten, als Lebensformen, in denen wir uns ständig, immer schon, bewegen. Philosophie zeigt sich bei diesem Thema einmal mehr als Reflexion des von uns „Immer-Schon- (unthematisch) Gelebten und eben dann als sprachliche Thematisierung dieser Inhalte und Strukturen.

3. Philosophie kann niemals populäre, also fest verwurzelte Gegensätze auf sich beruhen lassen, etwa den geglaubten Gegensatz von „Frieden und Krieg“ (aber: „Wie viele Kriege gibt es im Frieden ?“) oder „Liebe und Hass“ oder „Leben und Tod“ (wie viele Abschiede aller Art, Formen des Todes, haben wir im Leben nicht erfahren?) usw.

So kann Philosophie auch nicht den angeblichen Gegensatz von Glauben und Wissen einfach erhalten wollen. Philosophie muss zudem fragen: Wer hat Interesse daran, dass dieser abstrakte Gegensatz fortbesteht, bei dem heutzutage oft unterstellt wird: Wissen ist doch viel besser und wertvoller als Glauben. Das meinen bestimmte Kreise eines zweifellos heute vorhandenen militanten Atheismus, über den sehr viel weniger gesprochen wird als über den genau so unsinnigen militanten unreflektierten religiösen Glauben.

Es gibt jedenfalls auch die oft akzeptierte Behauptung: Religiöser Glauben ist viel besser als Wissen. Das meinen bestimmte Kreise des dogmatischen Fundamentalismus in den drei monotheistischen Religionen. Sie folgen unmittelbar den religiösen Weisungen ihrer religiösen Bücher, verfasst etwa 650 nach Chr. (Koran) bzw. 80 nach Christus (NT) und 600 vor Christus (Hebräische Bibel).

4. Wir leben also immer schon in allgemeinen, also in noch-nicht-religiösen Formen des Glaubens. Diese von uns oft selbstverständlich hingenommene und unreflektierte Glaubensform lebt ständig im Alltag. Dieser Glaube wird als Vertrauen erlebt, also etwa als unbegründete und beinahe selbstverständliche Zuversicht gegenüber einem Menschen, den man als gut erlebt und ihm deswegen glaubt. Als Zuversicht, dass der nächste Tag gelingt und vielleicht das ganze weitere Leben. Vertrauen und Zuversicht als oft unreflektierte Annahme von gründendem Sinn im ganzen ist als Glaube im Alltag vorhanden. Das ist die Basis des menschlichen Zusammenseins in der Gesellschaft. Dieser allgemeine Glaube (dieses Ur-Vertrauen) kann erschüttert werden, kann aber auch wieder „aufgebaut“ werden.

5. Ist im Wissen und in der Wissenschaft eine Glaubens-Haltung immer schon anwesend? Tatsache ist:

Glauben bzw. zuversichtliches Vertrauen halten das forschende Wissen auf Dauer lebendig. Sie sind so etwas wie die innere Dynamik, der geistige Atem, im Forschen, ohne die Forschen nicht gelingt. Wir glauben als Forscher, dass wir später durch die Forschung mehr und besser sehen und verstehen. Man denke an den Glauben innerhalb der medizinischen/pharmakologischen Forschung, tatsächlich nach langen Mühen ein besseres Medikament zu finden usw. Darin zeigt sich unthematisch auch ein Glauben an eine gute und bessere Zukunft der Menschen, wenn nicht der Menschheit. Mit diesem universalen humanen Glauben ist kein dummer Fortschrittsglaube gemeint, der da behauptet: Alles (man meint die Technik) wird immer weiter entwickelt und damit alles immer besser. D.h. zusammenfassend: Ohne eine Art zuversichtlichen Glauben gibt es kein geistvolles wissenschaftliches Leben. „Der allgemeine Glauben ist die Generalbedingung bewussten Lebens“, (Gerhardt, Glauben und Wissen, Reclam 2016, S. 45).

6. Auch im Glauben ist Wissen immer anwesend. Dabei verstehen wir Wissen immer als Vernunft, also als Kritik, als kritisches und selbstkritisches Reflektieren, als Aufklärung im philosophischen Sinne. Auch schon der allgemeine und alltägliche Glaube hat eine bestimmte Wissens-Form, er sagt sich in Sätzen aus, er sucht Kommunikation, er will den Widerspruch, will sich begründen. Die Alltagspraxis ist nie sprachlos, auch wenn oft unvernünftige ideologisch verblendete Thesen behauptet werden.

7. Zur wechselseitigen Beziehung von religiösen Glauben und dem Wissen. Es gibt Formen des Wissens, die sich als Wissen selbst deuten und so propagieren, tatsächlich aber Glaubensformen sind. Man denke an den Marxismus-Leninismus, als von den kommunistischen Herrschern definierte Wissenschaft, die zum Kommunismus führt durch die Lehre von der Dialektik oder der führenden Rolle der KP als dem Inbegriff des Wissens usw. In dieser sich wissenschaftlich gebenden Ideologie wurde letztlich ein Glaube (an den Weg zu Sozialismus und Kommunismus, durch die Partei geführt) als Wissenschaft ausgegeben und durch diesen Glaube wurden andere religiöse Glaubenshaltungen (etwa Kirchen) verdrängt und verfolgt. (Siehe etwa Michail Ryklin, Kommunismus als Religion, Frankfurt am Main, 2008). Auch der Positivismus eines Auguste Comte gab sich als Wissenschaft, mit der zu glaubenden Behauptung, dass Religion und Metaphysik als Haltungen von einst überwunden und beiseite gelegt sind und nun die positive Wissenschaft siegreich alles bestimmt. Ideologien geben sich gern als Wissenschaft. Auch der Faschismus hat mit einer angeblichen „Rassenlehre“ sich wissenschaftlich gegeben. Warum? Sicher auch, weil die Ideologen meinten, mit der Behauptung Wissenschaft zu sein, mehr Erfolg bei den Menschen zu haben. Diese glauben eben den angeblichen Wissenschaften eher…

8. Es gibt auch heute die Tendenz, Naturwissenschaft so zu verstehen, als ersetze sie als Naturwissenschaft eine in dieser Sicht völlig überholte religiöse Glaubenshaltung. Somit wird eine neue Ideologie geschaffen, die freilich nichts anderes ist als eine bestimmte Glaubens-Haltung. Da wird etwa durch Richard Dawkins und andere argumentiert: Naturwissenschaftliche Erkenntnis von heute widerlege als solche den (angeblich immer alten und deswegen veralteten) religiösen Glauben an Gott. Diese These ist als Ideologie zurecht zurückgewiesen worden, schon aufgrund der schlichten Erkenntnis, auf die schon Wittgenstein und andere umfassender als Dawkins reflektierende Denker hinweisen: Naturwissenschaft als Naturwissenschaft kann niemals letzte Sinnfragen, also auch religiöse Fragen, beantworten. Das ist einfach nicht ihr Thema. Ein Beispiel: Von Maschinenbauern als Maschinenbauern erwartet man auch nicht die Schaffung von Kunst-Skulpturen. Also: Atheismus lässt sich rein -naturwissenschaftlich weder beweisen noch widerlegen.

Hingegen stellen sich Naturwissenschaftler als denkende Menschen, also ansatzweise dann als Philosophen, durchaus manchmal noch die Frage: Was darf ich –ethisch betrachtet – als Naturwissenschaftler erforschen? Ist etwa die Verbesserung der Atombomben auch ethisch noch vertretbar? Naturwissenschaftler, dann als umfassend denkende Menschen verstanden, gelangen also ins ethische Philosophieren, das bekanntlich nach Kant durchaus in Dimensionen eines vernünftigen religiösen Glaubens führen kann. Aber es ist nicht die Naturwissenschaft als Naturwissenschaft, die für oder gegen den religiösen Glauben spricht.

Heute erleben wir wieder die Sprüche: „Wenn die naturwissenschaftliche Forschung einmal begonnen hat, ist sie nicht zu stoppen“, jetzt etwa im Blick auf radikale Verlängerungen der Lebenszeit der (sehr wohlhabenden) Menschen formuliert. Diese wollen gern 150 Jahre und mehr gesund leben, die Forscher setzen alles dran, dies technisch-pharmakologisch zu erreichen. Angeblich weil „die Forschung“ (ist diese ein handelndes Subjekt, doch wohl nicht) nicht zu stoppen ist. Solche Sätze sind die Ideologie der Konzerne, die diese Forschung als Profit betreiben. Forschung lässt sich durchaus stoppen, wenn sich herausstellt, dass es für die Menschheit dringendere Aufgaben gibt: Etwa das Hungersterben von Millionen Jahr für Jahr zu stoppen, also strukturell zu überwinden. Hinter der totalen Freiheit der Forschung verbirgt sich eine Ideologie der reichen Welt, die sich nur um sich selbst kümmert, aber das gerechte humane Projekt völlig aus den Augen verliert…

Heute wird von verblendeten Machthabern, wie etwa von Mister Trump, aller wissenschaftlichen Erkenntnis zuwider behauptet: Der zunehmende CO2 Ausstoß gefährde das weltweite Klima nicht. Man sieht: Aus einer ideologischen, politisch bedingten Haltung wird auch heute ein irriger Glaube als Wissen propagiert. Wie etwa auch das Grundbekenntnis der neoliberalen Wirtschaftsunordnung: „Der so genannte freie Markt reguliert sich selbst, und wie von unsichtbarer Hand, an die man glauben soll, wird alles zum Besten aller geregelt“. Dass dabei zunächst die Reichen immer reicher werden, möge man glauben. Genauso wie: Die Gerechtigkeit für die Armen kommt später, viel später. Vielleicht. Es muss also die Glaubenshaltung (als Ideologie) inmitten des Wissens und der Wissenschaft freigelegt und geistig bekämpft werden.

9. Wie steht es mit dem Übergang vom religiösen Glauben ins Wissen? Religiöser Glaube, etwa im Judentum, Christentum und Islam stellt sich immer in Sätzen dar, als sprachliche Formulierung, als von religiösen und politischen Herrschern vorgegebene Dogmen. Dabei bezieht man sich auf mündliche Offenbarungen und heilige Bücher, diese werden dann als angeblich ewige Dogmen fixiert.

Nur ein sich selbst NICHT reflektierender Glaube kann die Inhalte dieser Offenbarungen und der heiligen Bücher als gültiges Wissen ungeprüft und ohne weiteres annehmen.

Es ist hingegen unvernünftig und damit für eine selbstkritische und reife Lebensgestaltung ausgeschlossen, wenn etwa aus der Lehre der Bibel von der Weltschöpfung in sechs Tagen als Wissen gefolgert wird: Also halten wir uns auch als Wissenschaft an diese religiöse Mitteilung, dass Welt und Mensch in sechs Tagen geschaffen wurden.

Hingegen gilt: Die besondere Qualität der religiösen Texte als Poesie (!) muss anerkannt werden. Es ist immer notwendig, diese Texte wissenschaftlich, also historisch-kritisch, zu lesen und zu verstehen und dadurch den Inhalt zu relativieren. Das Wissen und die Vernunft erkennt die besondere Qualität der religiösen Texte.

Nebenbei, aber sehr wichtig: Es gibt in den christlichen Konfessionen immer noch die Anerkennung wortwörtlich übernommener Bibel-Sprüche, etwa im Vatikan das Wort Jesu „Du bist Petrus der Fels und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen…“, aus diesem Spruch wird im Vatikan abgeleitet, dass alle Päpste Nachfolger Petri sind, also dem ausdrücklichen Willen Jesu entsprechen. So wird Jesus von Nazareth zum Kirchengründer und Förderer des Papsttums, inklusive der vatikanischen Paläste und der Glaubensbehörden (Inquisition). Andere Sprüche dieses Jesus von Nazareth werden im Vatikan hingegen niemals wortwörtlich übernommen, weil sie den vatikanischen Machttrieb stören, etwa der Spruch „Nennt euch nicht Meister… Der erste sei der Diener aller usw.“

Der Glaube bleibt also nur lebendig und menschlich „vertretbar“, wenn er vernünftige Kritik fördert und zulässt.

Man denke an die Hexenverfolgungen. Diese wurden nur beendet durch die Durchsetzungskraft der Vernunft! Der authentische religiöse Glaube etwa des Christentums wurde immer von der Vernunft gerettet. Friedrich von Spee SJ, der große Feind der Hexenverfolgungen, sagte: „Dienen wir der Gerechtigkeit, folgen wir der Vernunft. So haben wir keine Hexen mehr zu verbrennen“. Friedrich von Spee kämpfte gegen verrückte staatliche und kirchliche Lehren seiner Zeit. Er hat allein aus seinem Gewissen heraus gehandelt.

10. Wenn also im Wissen Glaubenshaltungen anwesend sind und der religiöse Glaube sich selbst als Wissen präsentiert: Die entscheidende Frage ist, noch einmal formuliert: Was ist das Kriterium, um im Wissen den möglicherweise berechtigten Glauben und im religiösen Glauben das möglicherweise berechtigte Wissen zu erkennen?

Diese Leistung der Unterscheidung kann selbstverständlich nur das Wissen sein, also die Kritik, die Aufklärung, die Reflexion. Wenn der religiöse Glaube sich selbst korrigiert, ist dies tatsächlich eine Leistung des Wissens, der Kritik, des Nachdenkens. Alle Glaubens-Reformation ist also Ergebnis des Wissens, der Kritik, des Nachdenkens, also handelt es sich nicht etwa um eine wunderbare Einsicht! Ohne Vernunft kein menschenwürdiger religiöser Glaube, das ist das gültige Prinzip auch für religiöse Menschen.

11. Ist Kritik und Wissen das entscheidende Kriterium, das auch im Feld des Religiösen tätig ist: Dann gilt das auch im Bereich der Esoterik. Also der subjektiven inneren Erlebnisse, in denen etwa jemand meint: Dieser oder jener Quarzstein mit seiner Ausstrahlung sei gut, um schlanker zu werden. Das kann man als einzelner zweifellos glauben, obwohl der Übergang in Wahnzustände überprüft werden sollte; die Vernunft wird nur dann zum Einsatz kommen, wenn nun der einzelne Quarz-Stein-Freund in der Öffentlichkeit überall (auf Kosten des Steuerzahlers) Quarzsteine aufstellen möchte oder so. Ich hätte viel heftigere Beispiele eines in meiner Sicht religiös esoterischen Wahns bringen können, die kennt jeder aus seinem Umfeld. Esoterik kann auch die großen Religionen bestimmen: Man denke an den Wunderglauben in der katholischen Kirche bis heute, wenn man etwa Marien-Erscheinungen in Fatima (1917 !) verehrt werden und die Gips-Madonna von dort durch die Straßen geschleppt werden, wie kürzlich in Berlin-Spandau geschehen. Die Präsenz der Madonna soll wirken und helfen. Glaube wird da zum offiziell geförderten Aber-Glauben. Und diesen Aberglauben als Aberglauben erkennt nur die freie Vernunft.

12. Ohne Vernunftkritik auch im religiösen Glauben ist alles im religiösen Glauben beliebig und verschwommen und deswegen nicht relevant. Ohne Vernunftkritik ist alles, auch im Glauben, nichts.

Aber Vernunft ist auch nicht alles, sie ist nicht das ganze Leben. Sie ist nicht Musik, Kunst, Liebe usw. Das Leben ist als Erleben mehr als Vernunft. Keine Frage! Aber Musik, Kunst, Liebe, Engagement, Mitgefühl usw. haben in sich selbst, förmlich wie eine immer begleitende Hintergrund-Musik, die stets unthematisch anwesende Vernunft. Sie allein ist in der Lage, Musik, Kunst, Liebe, Engagement usw. für einen selbst und für andere zu mehr Klarheit zu bringen und mit anderen darüber ins Gespräch zu treten. Bekanntlich sprechen wir hilflos oft von Erlebnissen der Musik, Kunst, Liebe, aber wir sprechen und bedienen uns dabei der Sprache, die alle verstehen, also in der Sprache der Vernunft.

13. Mir ist es wichtig, in dem Zusammenhang eine grundsätzliche Korrektur am üblichen Glaubens-Begriff innerhalb der christlichen Theologie vorzuschlagen.

Der religiöse Glaube findet bekanntermaßen auch deswegen im Augenblick wenig Respekt, weil religiös Glaubende zu viel religiösen Unsinn verbreiten und weil Religionen als fundamentalistisch-gewalttätige Organisationen sich machtvoll gebärden. Viele erleben Religionen und Kirchen einfach als unsympathisch.

Entscheidend ist: Der größte Fehler ist, wenn religiöser Glaube von Theologen, vor allem aus dem klassischen, „orthodoxen“ evangelischen Umfeld, als so genannter blinder und mutiger „Sprung“ in die göttliche Wirklichkeit hinein verstanden und propagiert wird. Dieses stark dominierende Erbe der dialektischen Theologie („Glauben heißt Augen zumachen und den Verstand stilllegen, also Springen) halte ich für verheerend. So wird der religiöse Glaube zur Sache einiger dummer Mutiger, der Unreflektierten oder der besonders Begnadeten: Sie haben halt die Gnade, in Gott hinein zu springen. Dadurch wird der religiöse Glaube zu einer Sache, die den selbstkritischen Menschen gar nicht mehr berührt. Gott wird zum Thema für einige Erwählte, eine Tradition, die beim alt gewordenen Augustinus ihren Ursprung hat, wahrscheinlich schon im Glaubensbegriff des Paulus.

Unsere Meinung ist: Wenn Gott zum Menschen „gehört“, muss er sich auch im menschlichen und das heißt beim Menschen eben im geistvollen, also vernünftigen, Leben zeigen. Gott gehört zum Menschen als Menschen, selbst wenn faktisch viele Menschen keinen religiösen Glauben „haben“. Sie sind „Atheisten“ in Anführungszeichen, weil sie ganz entscheidend nur Kirchen und religiöse Organisationen erleben, die schlicht und einfach eher abstoßend sind, und darin haben diese „Atheisten“ recht. Sie sind aber keine Atheisten, weil sie selbstverständlich wie alle Menschen einen absoluten Mittelpunkt in ihrem Leben haben, dem sie alles opfern, Zeit, Geld, Energie, etwa Sport, Musik, Geldverdienen. Dies sind alltägliche Götter nicht nur der „Atheisten“.

14. Ich schlage dringend vor, gerade im Reformationsgedenken: Wir sollten, viel stärker das Johannes Evangelium und die johanneische Theologie respektieren. Diese Position von Glauben als einer Form des Wissens wird meines Erachtens von der in den Kirchen, besonders der protestantischen Kirche, nicht viel beachteten Tradition des JOHANES gepflegt. Bisher folgen die Kirchen viel zu sehr dem Modell des paulinischen Denkens, auch Luther dachte offenbar sehr paulinisch.

Ich nenne nur einige schöne Zitate aus dem Kreis der „Johannes Schule“, die ansatzweise deutlich machen, das Glauben an Gott und Glauben an Christus WISSEN ist:

1 Joh. Brief 3, 14. „Wir wissen, dass wir aus dem Tod in das Leben hinübergegangen sind, weil wir die Brüder lieben“.

1 Joh 5, 19: Wir wissen, wir sind aus Gott. Wir wissen, der Sohn Gottes ist in die Welt gekommen…“

Auch im Joh Ev 3,2 Nikodemus: Wir wissen, du bist ein Lehrer, der von Gott gekommen ist“.

Der religiöse Glaube muss also auch im Sinne des Johannes Evangeliums definiert werden.

Glauben ist dann kein bloßes Fürwahrhalten von irgendwelchen möglicherweise obskuren Sätzen und Behauptungen. Glauben ist: Ein vertrauensvolles Wissen, ein Wissen ganz eigener Art, ein bewusstes Bezogensein auf einen Sinn stiftenden transzendenten Grund; also das Wissen von einem absoluten Sinnhorizont, in dem wir immer schon stehen. In dieser Haltung ist kein naiver Glaube mehr enthalten, sondern ein wirkliches Wissen. Es ist natürlich kein naturwissenschaftliches Wissen, aber ein Wissen, wie wir es im geistvollen Miteinander kennen, ein Wissen, das wir im Erleben der Kunst, der Liebe, in der Empathie usw. spüren und zu Wort bringen.

Damit plädiere ich für eine VIELFALT der Formen des Wissens. Wissen ist niemals nur naturwissenschaftliches Wissen. Wissen ist auch Bezogensein auf das Unendliche.

Aber der Mensch ist immer frei, sich zu dieser Erkenntnis auf eigene Art, frei, zu verhalten. Ich kann ja auch in einer aus dem Vertrauen gewonnenen Erkenntnis, dass mich dieser Mensch liebt, mich frei, zustimmend oder ablehnend, verhalten.

Es wird oft behauptet: Wenn Glaube auch eine bestimmte vertrauende Wissens-Form ist, dann verliert er seinen freien und möglicherweise gnadenhaften Charakter. Das ist in meiner Sicht nicht so: Ich kann mich zu meinem wissenden Glauben, immer kritisch reflektiert, auch frei verhalten. Ich kann die Annahme dieser anderen Wirklichkeit (Gott) als Geschenk, Gnade, erleben, die aber niemals ohne mein eigenes Bemühen, auch im Nachdenken, erreicht wird.

15. Wird der Glaube selbst als eine selbstkritische Wissensform erlebt und auch so bestimmt: Dann ist es nicht mehr möglich, alles Beliebig-Mögliche und Unwahrscheinliche dann noch „Glauben an Gott“ zu nennen. Denn dann kritisiert und korrigiert meine selbstkritisch reflektierende Vernunft meinen eigenen Glauben: Ich kann nicht mehr Wahnhaftes (Glauben an Hexen etwa) behaupten, von Jungfrauen schwärmen, die mich im Paradies erwarten; nicht mehr an Marienerscheinungen glauben, die in Fatima nur sichtbar waren den drei Hirtenkindern usw.

Der Glaube als Wissensform verliert dann seinen mysteriösen und esoterischen Charakter. Er wird inhaltlich einfach, man könnte sagen nackt, er legt immer mehr Kleider ab, um sich ganz auf das Wesentliche zu beziehen: Die Bindung und Verbindung an eine göttliche Wirklichkeit. Und das Wissen als vertrauendes Wissen gilt: Wenn die Welt und die Menschen von einer absoluten Wirklichkeit her stammen, die die Evolution in Gang setzte und als solche schöpferisch ist: Dann ist diese göttliche Wirklichkeit in mir und in jedem Menschen auch lebendig.

16. Daraus ergibt sich eine enge innere (!) Verbindung von Mensch und Gott, von Ich und Gott. Es ist dieses Erlebnis der Einheit, die allein wichtig ist. Da wird dann die Kirche nicht mehr so wichtig, sie ist ein Ort, in dem religiöse Menschen in der Unterschiedlichkeit miteinander sprechen und sich ermuntern, weiter zu wachsen auf diesem Weg.

17. Zusammenfassung der These: Es gilt, den religiösen Glauben der Christen zu befreien von der engen, bloß gläubigen, also nicht auch wissenden, also nicht auch selbst-kritischen Haltung. Christlicher Glaube an Gott ist eine Form des Wissens, des kritisches Wissen, des kritischen vertrauenden Wissens! Es gilt die verschiedenen Wissens-Formen zu entwickeln. Die göttliche Wirklichkeit ist als göttliche Wirklichkeit niemals zu umgreifen und zu definieren. Das heißt: Menschen können Gott nur berühren. Mehr nicht. Und Gott berührt dabei den Menschen. Das ist, wenn man das Wort will, das Geheimnis des Lebens.

Mehr brauchen die Menschen nicht. Die Kirchen haben das zu pflegen und zu feiern, im Fest, im Mahl und in der Solidarität. Und immer wieder zu besprechen. Mehr ist nicht not-wendig.

Einige Anregungen verdanke ich der Studie von Volker Gerhardt, „Glauben und Wissen“, Reclam 2016.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.