Die große Irre – oder: Wie Heidegger sich philosophisch für schuldlos erklärt. Zur „Irrnis-Fuge“ von Peter Trawny

Die große Irre – oder: Wie Heidegger sich philosophisch für schuldlos erklärt

Zur Broschüre „Irrnis-Fuge“ von Peter Trawny

Von Christian Modehn

In den „berühmten“ „Schwarzen Heften“ dokumentiert Martin Heidegger seit den neunzehnhundertdreißiger Jahren selbst ganz offen seinen Antisemitismus. Der Philosoph Peter Trawny, Professor an der UNI-Wuppertal und Leiter des dortigen, von Martin Heideggers Erben mit-finanzierten (siehe Fußnote 1)) „Martin-Heidegger-Instituts“, ist der Herausgeber dieser erst vor einem Jahr publizierten sehr umfangreichen und ausführlichen Notizen Heideggers. In seinem Buch „Heidegger und der Mythos der jüdischen Weltverschwörung“ (Klostermann Verlag, 2014) nennt Trawny die „Schwarzen Hefte“ den „wahrscheinlich intimsten Text Heideggers“ (S. 98). Von der Shoa ist in den Heften keine Rede, betont der Kenner der Schwarzen Hefte, Peter Trawny. In seinen Bremer Vorträgen (1949) deutet Heidegger an, dass er selbst sich „schmerzlos“ fühlt angesichts des maßlosen Leidens der Shoa. „Schuld“ an dieser Unbetroffenheit und Unberührtheit sei aber nicht er selbst, seine Person also, sondern schuld seien die objektiven Zusammenhänge der Seinsgeschichte, vor allem in der Macht der modernen Technik, die wiederum nur „objektiv“, also nur seinsgeschichtlich, zu verstehen sei.

Heidegger zieht sich also, umgangssprachlich formuliert, „aus der Affäre“. Er möchte, von seiner eigenen Philosophie geschützt und freigesprochen, sozusagen ungerührt die ermordeten 6 Millionen Juden und die anderen von Nazis ermordeten Menschen bloß zur Kenntnis nehmen.

In dem Buch „Heidegger und der Mythos der jüdischen Weltverschwörung“ spricht Trawny klar und nachvollziehbar davon, „dass nicht wenige Dimensionen Heideggers Denken kontaminiert erscheinen“ (S. 99). Er geht sogar, richtig und treffend in unserer Sicht, so weit zu behaupten, dass eine institutionelle Krise von Heideggers Denken bevorsteht“ (100)! Mit anderen Worten: Dass das Studium der Schriften Heideggers ab sofort unter ganz neuen und ganz anderen Voraussetzungen stattfinden muss. Was das heißt, haben Trawny und andere Heidegger-Deuter bisher nicht weiter vertieft, von einem neuen hermeneutischen Ansatz „nach den Schwarzen Heften“ nichts zu spüren, geschweige denn, dass die große Heidegger Gemeinde in irgendeine Form der Selbstkritik und des Abstandnehmens gerät. Günter Figal, Freiburg, ist da wohl die Ausnahme.

Mit um so größerem Interesse wendet man sich der offenbar zeitlich nach „Heidegger und der Mythos der jüdischen Weltverschwörung“ verfassten kleinen Studie Peter Trawnys zu, sie hat den sehr heideggerianischen, d.h. dem Insider verpflichteten Titel „Irrnisfuge. Heideggers An-archie“, erschienen 2014 bei Matthes und Seitz. Da rutscht Trawny in die von ihm früher schon einmal kritisierte esoterische Sprache zurück. Er schreibt, das deutet schon der Titel an, für den kleinen Kreis der „Eingeweihten“. Mit einer solchen Engführung ist aber angesichts der Probleme rund um die „Schwarzen Hefte“ fast keinem gedient, vielleicht der Familie Heidegger und dem Kreis um Friedrich Wilhelm von Herrmann, die jegliche kritische ( !) Edition der Heidegger Werke bekanntlich unterbinden!

Esoterischen Nebel zu verbreiten verbietet sich für jede ernstzunehmende Philosophie.

Diese Broschüre ist in unserer Sicht eine große Enttäuschung. Man muss bereits Heidegger vorwärts und rückwärts gelesen haben, um die Äußerungen Trawnys zum Thema zu verstehen. Es geht ja, noch einmal, grundsätzlich um die Frage, wie in der eigenen Philosophie Heideggers, besonders in seiner Interpretation von Wahrheit und Irrtum, selbst die Wurzel liegen kann für sein völliges DES-Interesse an der Auslöschung des Judentums bzw. noch vorausliegend für sein bis 1945 ausdauerndes Gebundensein an die NSDAP.

Unserer Meinung werden Irrnis und Fuge etwa, schon der Titel, nicht in allgemein nachvollziehbarer, also in NICHT-esoterischer Sprach erklärt. Es geht bei den Begriffen um das eigenartige Verständnis von Wahrheit bei Heidegger, das nichts mit Richtigkeit im logischen Sinn gemeinsam hat. Vielmehr meint Heidegger dem Logischen vorausliegend Wahrheit als Unverborgenheit verstehen zu können. Wenn etwas aber un-verborgen ist, dann, so folgert er dann doch irgendwie noch logisch, muss es auch Verborgenes geben. Wahrheit spielt sich also in einem Gegeneinander von Verborgenem und Unverborgenen ab. Mit dem Respekt vor dem Verborgenen muss dann aber eingestanden werden: Es gibt ein „Gegenwesen,“ sagt Heidegger, also eine Art lebendige (Irrtums) Macht gegenüber der Wahrheit. Das heißt noch einmal: Dieses Gegenwesen ist der Irrtum, die Irre, wie der Schwarzwälder Meister sagt, daraus folgert er dann: „Der Mensch ist der Irre unterworfen“, so heißt es kurz und bündig im „Heidegger Handbuch“ (Hg. von Dieter Thomä u.a., Stuttgart 2005, Seite 131). In dieser gar nicht esoterischen Sprache, sondern in deutlicher Sprache haben wir eine Art nachvollziehbare Definition der Irre bei Trawny nicht gefunden.

Trawny bietet fast nur den großen Meister immer wieder repetierende Sätze, also in einer Sprache, die so dicht unmittelbar Heidegger, dem Meister, folgt, dass weite Strecken des Trawny Textes wie eine zusammenfassende Paraphrase erscheinen. Wem ist damit gedient?

Die Broschüre Trawnys kennt keine Kapitelgliederung, was unangenehm auffällt, denn Kapitelgliederungen sollten doch einem ca. 80 Seiten umfassenden Texte üblich sein.

Aber, noch einmal, am schwersten wiegt die – eben Heidegger repetierend – verschleiernde Sprache. So schreibt Trawny auf Seite 45 über das auch Heidegger bekannte Buch „Der Untergang des Abendlandes“ von Oswald Spengler: „Der Untergang ist in der Geschichte des Seyns (sic) nie ein Ende, sondern der Beginn. Das aber könne nur dort sein, wo das Aufgehen, ereignishaft entsprungen, in die Huld der Wahr-heit (sic) des Seyns (sic) reiche“. Man kann doch nicht im Ernst Heidegger nicht mit Heideggers Worten erklären, das gilt wohl allgemein für alle Interpretationen. Die enge sprachliche (und damit im Denken gegebene) Verbundenheit mit Heidegger wird auch deutlich, wenn Trawny schreibt: „Die Orientierung an der Dichtung, natürlich zuerst an Hölderlin, hat Heidegger soweit getrieben, dass ihm nur die Wenigsten gefolgt sind und folgen werden“. Darauf folgt der entscheidende Satz Trawnys: „Doch sie bleiben weit zurück“. Also: Diese Leute sind, Verzeihung, also eigentlich die Blöden. (S 61).

Wichtig bleibt hingegen der Hinweis Trawny, dass Heidegger als Philosoph offenbar alles Empirische, Historische für sich als „Denker“ irrelevant fand. Trawny schreibt: „Will Heidegger etwas über Russland erfahren, liest er keine statistischen Erhebungen über Stadt und Land, sondern Dostojewski. Dasselbe gilt natürlich auch für Deutschland: Was deutsch ist, dichtet Hölderin. (S. 44). Man könnte also in diesem Sinne weiter fortfahren: Was Demokratie ist, sagt uns Platon. Was Mathematik ist, sagt uns Euklid…. So viel Abweisung alles auch aktuell Empirisch-Faktischen blamiert wohl eher einen Denker, der sich für groß hielt. Wer so Philosophie betreibt, schadet der Sache der Philosophie! Hätte sich Heidegger auch ethisch, auch politisch, mit den Fakten rund um die NSDAP auseinandergesetzt, anstatt, mitten im 2. Weltkrieg, als die Öfen in Auschwitz nie ausgingen, etwa permament mit dem Dichter Hölderlin oder den Vorsokratikern, vielleicht wären die Schwarzen Hefte weniger schwarz, d.h. katastrophal für ihn als Menschen ausgefallen. Im Rahmen der Irrnis bzw der Irre hat Heidegger auch den Untergang gedacht: Er hielt es für möglich in der technischen Welt, wenn sich die Erde selbst in die Luft sprengt und dass das jetzige Menschentum verschwinde. Aber das sind ja weithin geteilte Überzeugungen. Heidegger hingegen sagt ergänzend: „Das sei kein Unglück, sondern die Reinigung des Seins durch die Vormacht des Seienden“. Kommentar von Trawny: „Eine Sintflut muss kommen, um den Dreck der Geschichte wegzuspülen“. Aber diese Auslassungen Heideggers findet selbst Trawny „philosophisch nicht der Rede wert“ (47). Er will seinen Meister überhaupt aus dem Bereich der Philosophie befreien und eher in der Dichtung ansiedeln, offenbar, weil dort ungeschützter vieles einfach so gesehen, so erfahren, geahnt und behauptet werden kann…Der esoterische Poet (Heidegger) entzieht sich einfach der in seiner Sicht banalen, logischen Kritik. Er ist ja der Große, „der groß denkt“ und deswegen, so Heidegger, „auch groß irren muss“ und wohl auch irren darf. Dem Poeten verzeihen wir alles, vermutet wohl der Schwarzwälder Dichter-Denker…

Aber der entscheidende Trick Heideggers muss wohl als solcher benannt werden: Er baut sich selbst eine Philosophie, die ihn rundherum schuldlos erscheinen lässt. Heidegger hat sich seit 1930 bis zum Lebensende eine Philosophie erdacht, darf man sagen, zusammengebaut, in der er selbst als der selbst ernannte „Hüter des Seins /Seyns/“ in der Unverborgenheit die Wahrheit spürt, dabei aber auch die Irrnis, also den Fehler, die Unwahrheit erlebt und ihr ausgesetzt ist: Das Irren gehört dann entschuldbar, weil schicksalhaft und abwerfbar gegeben, wesentlich zum Philosophieren. Heidegger entkommt der Irre nicht, er muss förmlich irren.

Der arme Heidegger konnte also nichts dafür, dass er Antisemit werden musste, es war doch ein Seins/Seyns Geschick. Da hilft doch keine Logik und schon gar keine Ethik. Denn die Ethik ist doch auch durch die Irre verdorben… Heidegger entzieht sich mit seiner Philosophie der Verantwortung. Er tritt förmlich aus der allgemeinen Geschichte der (meisten) Menschen heraus. Er ist ein „Sonderfall“.

Ab Seite 65 folgen bei Trawny einige wenige weiter inspirierende und sicher wichtige Sätze, die sich alle immer noch verbliebenen absoluten Heidegger Fans hinter die Ohren schreiben werden: „Heidegger hat an keiner Stelle (der Schwarzen Hefte) signalisiert, er habe sich in jenen antisemitischen Passagen getäuscht“…“ Heidegger hat sich ohne Gewissensbisse zur unveränderten Veröffentlichung entschieden“: (67)

Merkwürdig hingegen wieder die daran anschließende Äußerung Trawnys: „Der Irrende ist ohne Schuld. Der Gedanke, Heidegger hätte sich irgendwie für sein Denken entschuldigen könne, ist schwach“ (68). Warum ist dieser Gedanke schwach? Hatte denn Heidegger denn kein Gewissen? Hatte er denn kein Denken und Erkennen, das nicht einbezogen war in sein Seins-Denken? Gab es für ihn wirklich absolut und nirgendwo keine allgemeine Logik mehr? Oder hat er Logik und Ethik nur an den Stellen ausgesetzt, wo es ihm in seinen (politischen) Kram passte?

Diese neue Broschüre von Trawny „Irrnis Fuge. Heideggers Anarchie“ ist, von einigen exoterisch nachvollziehbaren Sätzen abgesehen, kein Buch, das Aufklärung, also Licht, bringt in die verworrene Situation der Philosophie Heideggers seit der Veröffentlichung der Schwarzen Hefte.

Peter Trawny, Irrnisfuge. Heideggers An-archie“. Matthes und Seitz-Verlag, Berlin, 2014, 90 Seiten.

Zu Fußnote 1: WZ am 20. Jan. 2013 und Solinger Tageblatt 26.9.2014.

Copyright: Religionsphilosophischer Salon Berlin. Christian Modehn