Denk mal: Zum Tag des offenen Denkmals.

Ein philosophischer Hinweis von Christian Modehn

Am vergangenen Wochenende (am 10. und 11. September 2016) fand wieder der „Tag des Offenen Denkmals“ statt, ein kulturelles Ereignis, das offenbar immer mehr Interessierte findet und nicht nur in Deutschland „begangen“ wird. Auch über diese beiden”Gedenktage” hinaus bleibt die Besinnung auf das, was offene Denkmäler denn zu denken geben, wichtig. Der Tag des offenen Denkmals ist vom Titel her verlockend für eine philosophische Meditation. Und sie könnte sozusagen wie eine Art Begleitmusik gelten für alle, die an dem Tag und auch sonst Orte und Häuser betreten und betrachten, die sich – offiziell – Denkmäler nennen.

Zunächst könnte man sprachphilosophisch meinen, das Substantiv Denkmal sei ursprünglich eine verbale Befehlsform gewesen, in dem Sinne von „Nun denk mal“ angesichts eines bestimmten Raumes und Ortes. Ich finde die Erneuerung des Denkmal-Begriffes aus dem Geist der verbalen Aufforderung „Denk mal!“ recht hübsch und hilfreich.

Die philosophische Frage wäre vorher aber doch die: Welche Gebäude, Orte und Räume werden dann vom wem eigentlich zu Denkmälern offiziell erklärt? Ich denke, mit starker Abwehr, an die überall noch anzutreffenden Denkmäler der Kriegshelden, „die für Volk und Vaterland gestorben“ sind, im 1. Weltkrieg etwa. Mir tun die Hinterbliebenen natürlich leid und die Toten selbst auch, die sich in jungen Jahren als “Kanonenfutter”, der Begriff ist treffend, im Rahmen des nationalistischen Wahns (von anderen Europäern und Christen ebenso) abknallen lassen mussten. Schlimm ist, dass diese Denkmäler heute auf die Kriegsumstände, also etwa auch auf das „Kanonenfutter“, nicht aufmerksam machen. Von daher sind diese Denkmäler in dieser gegebenen Form (!) eben wohl keine Orte, die von vornherein zum Bedenken des Friedens und der Überwindung jeglichen Nationalismus führen. Wo sind genauso zahlreich vertreten die Denkmäler, Denkräume, etwa für die wenigen Widerstandskämpfer in der Nazi-Zeit?

Es gibt auch Orte, die noch keine offiziellen Denkmäler sind, dies aber – zumal in diesem Jahr – werden sollten: Etwa die Orte und Plätze, wo Flüchtlinge im vergangenen Jahr willkommen geheißen wurden; und die Flüchtlings – Unterkünfte, die vielen, die von Rechtsradikalen dann in Brand gesetzt wurden aus purem Hass. Diese Häuser sind Denkmäler, dort sollte man verweilen im Sinne von Denk-Mal politisch weiter!  Also: Denken an den Humanismus, als der Basis menschlichen Miteinanders. Denken an die spontane Hilfsbereitschaft als Ausdruck eines neuen menschlichen Miteinanders! Aber diese Orte kommen in den Listen der Denkmals-Orte am 10. oder 11. September nicht vor. Ähnliche Gedenkorte wären etwa auch jene Häuser, wo heute die Büros von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International untergebracht sind. Lebendiges und aktuelles Gedenken könnte man das nennen.

Natürlich kommt man, philosophisch gesehen, überall und immer ins philosophische Denken. Darum sollte man beim Tag des Offenen Denkmals eben unterscheiden: Einerseits wird das Denken aktiviert im Sinne des klassischen, kulturellen historischen Wissens: Ich sollte also lernen und wissen, so lautet die Aufforderung, dass in diesem Schloss XY, als Denkmal, Großfürst Isidior mit seiner Geliebten Charlotte im 18. Jahrhundert lebte. Das ist alles Sache der Historiker, die bei den Denkmälern zurecht ihre Aufgaben sehen.

Andererseits: Das philosophische Denken und Gedenken ist vom historischen Wissen und Gedenken auch verschieden: Philosophisch wird es, wenn man fragt: Warum gibt es eigentlich bestimmte Orte und Räume, die explizit an einigen Tagen zum Denken auffordern? Sind nicht alle Orte erstaunlich? Ist nicht mein Leben, unser Leben, erstaunlich und verwunderlich? Von Sokrates wird berichtet, dass er auf der Straße längere Zeit meditierend “verwundert” stehen blieb und nur nach nachdachte. Thaumazein nannten die Griechen diese elementare philosophische Erfahrung! Worüber wundert sich der Philosoph und kommt dadurch ins Denken? Über das Erstaunliche, dass er da ist, dass die Welt da ist, dass wir erkennen können, gut sein können, leben dürfen, andere Menschen als Geschenk erleben usw. Von daher ist für Philosophen jeder Tag ein Tag des offenen (also einladenden) Denk Mal! “Tage des offenen Denkmals” wären philosophisch gesehen Tage, an denen sich Menschen austauschen über dieses Erstaunen, dieses sokratische “Thaumazein”…

Damit ist gar nichts gegen das Bedürfnis gesagt, historisch viel mehr und immer mehr zu wissen von den offiziell zu denkwürdig erklärten Häusern. Aber alle, die am 10. und 11. September durch Denkmäler laufen oder durchgeschleust werden und sonst sowieso durch Museen fotografierend eilen, sollten sich aber fragen: Was geben und bedeuten mir diese Räume und Orte denn nur wirklich für mich in meinem Leben und in meinem Fragen? Geben sie mir zu denken? Oder habe ich gar schon wieder schnell vergessen, was denn Großfürst Isidor mit seiner Charlotte in seinem Schloss XY alles gemeinsam unternommen hat? Kurz und gut: Historisches Wissen ist flüchtig, weil es im allgemeinen nicht den eigenen Geist, die “Seele”, berührt. Historisches Wissen muss per se äußerlich bleiben und wird deswegen leider oft schnell vergessen. Philosophisches Wissen, es ist Weisheit, ist anders: Da erinnert man sich sein Leben lang an eine Erschütterung, die viele Minuten dauerte, weil man sich angesichts von Großfürst Isidor, um bei diesem Beispiel zu bleiben, doch fragte: Was macht eigentlich gemeinsames Leben aus, was bedeutet Macht und Herrschen, was bedeuten Reichtum und Luxus im Schloß XY?

Bemerkenswert von philosophischer Seite ist: Auch Kirchengebäude, manchmal Gotteshäuser genannt, sind bei den Tagen des offenen Denkmals, in Berlin etwa, reichlich vertreten. Eigentlich wird ja in Kirchen de facto mehr das Beten gepflegt und das Singen usw als das umfassend kritische Denken. Darum ist es bemerkenswert, dass sich die Kirchengemeinden selbst dem Denken verpflichtet wissen: In Kirchen soll also ganz offiziell auch philosophisch und kritisch und religionskritisch gedacht werden! Das wäre ja eine frohe Botschaft!

Trotzdem meine ich: Wir alle brauchen wohl auch philosophische Tage des „Denk mal!“ Und diese Tage sind eigentlich immer, an jedem Tag.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.