Religiöse Erfahrungen im Konzert: Zu einem Interview mit Andreas Scholl in der TAZ

Andreas Scholl: „Bach wollte Seelen retten mit seine Musik“

Ein Hinweis zur Präsenz der „liberalen Theologie“ und eine Erinnerung daran, dass die heutige westliche Gesellschaft so umfassend säkularisiert nicht ist, wie oft von Soziologen behauptet wird. Solange noch Musik, Bach-Musik z.B., gehört und erlebt wird, gibt es Erfahrungen von Gott, auch im Konzertsaal. Vielleicht dort noch eindringlicher als in einer Kirche/einem Gottesdienst mit moralisierenden Predigten.

Liberale Theologie geht davon aus, etwas vereinfacht gesagt, dass in jedem (!) Menschen Erfahrungen des Transzendenten, des göttlichen Geheimnisses, möglich sind.

Diese Erfahrungen äußern sich selbstverständlich nicht nur in explizit religiösen Texten oder gar in Theologien, schon gar nicht (allein) in den vorgeschriebenen Dogmen der Kircheninstitutionen aus dem 3. Jahrhundert. Gotteserfahrungen sprechen sich aus in Lyrik, Kunst, Musik, Literatur, also in Kunst. Dies in der Vielfalt wahrzunehmen und zu dokumentieren ist der Sinn dieser Rubrik im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin.

Der weltbekannte Countertenor Andreas Scholl wurde in der TAZ /(vom 2. Juli 2016 S. 24) von Philipp Gessler über den eigenen, persönlichen Glauben befragt. Dieses Interview ist im ganzen unbedingt lesenswert.

Ich zitiere nur aus einer zentralen Passage. Darin sind zwei Aspekte interessant: Einerseits die Interpretation des Werkes von Bach als „Seelenrettung“. Und zweitens, hier noch interessanter, was eigentlich die Hörer einer Bach Kantate oder eine Passion etwa im Konzertsaal erleben können.

Die Frage heißt: „Sie haben viel geistliche Musik gesungen…oft Bach, dessen Stücke sie zum Teil als Predigt interpretiert haben… Sind sie ein gläubiger Mensch?“ Andreas Scholl antwortet: „Ein gläubiger Menschen bin ich schon, katholisch erzogen… Bachs Musik transzendiert auch die christliche und protestantische Seite. Bach wollte Seelen retten mit seiner Musik“

Das sollte theologisch verstanden werden: Musik ist eine Form der Gottesbegegnung, ja sogar der Heilszusage… Das ist eine Interpretation der Musik von J.S.Bach, die wohl weithin geteilt wird.

Andreas Scholl fährt fort zu unserem zweiten Aspekt:

Das Ritual des Konzerts heute ersetzt eigentlich den Gottesdienst, in dem die Musik stattgefunden hat. Heute sitzen wir in einem Konzertsaal. Ich habe die Aufgabe etwas vorzusingen… Was mache ich hier eigentlich? … Es gibt aber auch die Absicht eines Komponisten… Es gibt drastische Worte, es gibt ein theologisches Konzept bei Bach: Wir sind alle Sünder… Ich kann mich als Sänger, während ich diese Musik singe, nicht davon distanzieren“.

Dann kommt Andreas Scholl noch einmal auf den zweiten Aspekt zu sprechen, auf die Gotteserfahrungen im Konzertsaal: „Ich muss vermitteln: Leute, was hier passiert, ist wichtig, ihr müsst mir zuhören. Nicht ich bin wichtig, die Botschaft ist wichtig. Und dann kann auch jemand, der eigentlich mit christlicher Religion nichts zu tun hat, diese Dringlichkeit und dieses Bedürfnis wahrnehmen und eine religiöse Erfahrung im Konzert haben und bewegt werden, emotional, intellektuell….dass wir die menschliche Seele bewegen sollen, also die Emotion, aber auch den Geist, den Intellekt. …Bach schafft das“.

Zum Schluss des lesenswerten Interviews sagt Andreas Scholl: “Das Konzert, da kommen wir wieder zurück auf die Religiosität, auf die Spiritualität, hat die Aufgabe, transformierend zu wirken. Das heißt: Das Publikum betritt den Saal. Und wenn das Publikum den Saal wieder verlässt, ist es verändert“.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon.