Wenn Gott fehlt. Martin Walsers Klage über den abwesenden Gott.

Wenn Gott fehlt
Martin Walsers Klage über den abwesenden Gott
Von Christian Modehn

Über neue Arbeiten von Martin Walser wird jetzt auch theologisch debattiert. In „Muttersohn“ und „Über Rechtfertigung, eine Versuchung“ gesteht Walser seine eigene Ohnmacht, „nicht glauben zu können“.
Zum Hintergrund: Schon seit seinen frühen literarischen Äußerungen lässt ihn die Frage nach Gott und Religion nicht los (schon in „Halbzeit“, 1960).Jetzt wird der Ton deutlicher, fordernder. Walser möchte so dringend an Gott glauben, aber er kann es nicht. Ihm fehle die Gnade, sagte er. Ein erfolgreiches menschliches Bemühen, die Nähe des göttlichen Geheimnisses zu erreichen, schließt er aus. Denn Walser liebt Augustin, die Reformatoren Luther und Calvin, Kierkegaard und den frühen Karl Barth („er ist für mich eine Erweckung“) über alles. Diese Herren – immer noch sehr einflussreich in den Kirchen – erklärt er zu seinen ausschließlichen Meistern, nicht etwa Theologen, die die Freiheit des Menschen noch hochschätzen. Und die durchaus zeigen könnten, dass der Mensch von sich aus in seinem Geist, in seinem Leben und Lieben, Gott nahe ist: Man denke etwa an die Beiträge Karl Rahners oder Paul Tillichs. Die ganze furchtbare Last der Erbsünde, des völlig zerstörten und „gefallenen“ Menschen, schlägt bei Walser durch. Liberale Theologie könnte hilfreich sein, aber Paul Tillich nennt er „ein abschreckendes Beispiel“. So ist Walser also förmlich eingezwängt in die klassische Gnadentheologie (des frühen Barth zumal), da wird es eine Last, wenn nicht eine Qual, überhaupt die Nähe Gottes zu spüren.
In dem neu erschienen Buch „Was fehlt, wenn Gott fehlt“ setzen sich neun Theologen, darunter eine einzige Frau, die katholische Theologin Elke Pahud de Mortagnes (Freiburg i. Br.), mit Walsers neuestem religiösen Leiden auseinander. Zu Recht schreiben sie, dass die Fixierung auf den frühen Barth des Römerbriefes in gewisser Weise eine Begrenzung ist, hat doch der spätere Barth seine radikale Dialektik selbst aufgeben müssen. Da sind die Ausführungen des Wiener Theologen Ulrich H.J. Körtner aufschlussreich. Er weist zudem darauf hin, dass Walser offenbar die theologischen Werke nicht als Theologie, sondern „als Romane liest“ (S. 131).
Natürlich muss man Walsers Weg respektieren. Aber in meiner Sicht sollte der Leser gewarnt sein: Die dialektische Theologie ist keineswegs das non plus ultra, im Gegenteil. Walser selbst springt in meiner Sicht einmal aus seiner Bindung an den absolut gnadenvoll erwählenden Gott heraus, wenn er die Erfahrung der Schönheit über alles lobt: „Darin ist die Abwesenheit von Rechtfertigung weniger spürbar“. Walser schreibt aber weiter: „Etwas schön zu finden, ist mehr als ein Ersatz für das, was fehlt. Es ist eine mich übersteigende (!) Fähigkeit, dass ich etwas schön finden kann“. Also hat der Mensch diese ihn übersteigende Fähigkeit gar nicht von sich aus? Ist etwa jede ästhetische Erfahrung schon wieder ein Gnadengeschenk, das dem einen versagt, dem anderen erschlossen ist. Ist die ganze Kunst – und Kulturwelt dann etwa ein Gnadengeschehen? Wer würde im Ernst solches behaupten! Man spürt nur, dass Walser selbst unschlüssig ist und seine absolute Bindung an Gnade irgendwie nicht „durchhalten“ kann. Diese Bindung ist ohnehin – in meiner Sicht – ein kaum auszuhaltendes schweres und trauriges Schicksal. Walser sollte fragen: Will Gott, dass wir traurig und völlig unfähig sind „ihm“ gegenüber? Will er den Menschen wertlos machen, damit ER um so mehr glänzen kann? Wenn sich dagegen Atheisten auflehnen, haben sie wohl recht. Aber es gibt (liberale) christliche Positionen, die den Menschen als Menschen hochschätzen und ehren und von permanenter Trauer befreien.
Davon ist in dem Buch „Was fehlt, wenn Gott fehlt“ nicht so deutlich die Rede. Die Autoren folgen eng den Walserschen Gedanken, bis dahin, dass etwa der Wiener Theologe Jan – Heiner Tück (S. 8) fragt, ob nicht die Theologie neu bestimmen sei, nicht nur Rede von Gott, sondern auch Rede zu Gott und Rede mit Gott zu sein. Ich frage: Theologen können ja – privat – große Beter sein, wie gefordert wird. Aber falls Theologie in Deutschland und Österreich an den Universitäten bleiben möchte, ist sie doch wohl Wissenschaft, als distanzierende, um Objektivität bemühte Wissenschaft. Sie wird in der nötigen kritischen Distanz auch zur Kirche betrieben. Wie kann an diesem Ort der Universität Theologie noch kniend und betend betrieben werden? In privaten Klosterschulen wurde und wird vor den theologischen Vorlesungen gebetet, geht das an Universitäten?
Walser versteht sich – gerade als ein nicht Begnadeter – doch immer weiter als Suchender. Er kritisiert von da aus einen in sich verschlossenen Atheismus, der a priori meint, absolut recht zu haben und sozusagen auf der Spitze der Weltevolution sich zu bewegen. Walser hält dagegen: „Wer sagt, es gebe Gott nicht, und nicht dazu sagen kann, dass Gott fehlt, und wie er fehlt, der hat keine Ahnung. Einer Ahnung allerdings bedarf es“, schreibt er in „Über Rechtfertigung“.
Interessant auch wieder dieses Eingeständnis. Wenn er meint, diese „Ahnung“ gehöre offenbar zum Menschen als Menschen, dann sollte man doch meinen, dass diese Ahnung „wesentlich“ den (immer transzendierenden) Geist ausmacht. Walser möchte wohl fragen: Kann denn ein Atheist ernsthaft Gott ablehnen, wenn er nicht wenigstens ahnungsweise wüsste, wer oder was Gott ist. Aber genau da beginnen die Probleme: Welchen Gott haben dann die Atheisten“ ahnungsweise“ vor Augen? Den abweisenden Gott der dialektischen Theologie, den moralischen Gott der katholischen Ethik, den manchmal so lächerlichen, manipulierbaren Gott der (katholischen) Volksreligionen? Darüber wäre ein Disput sinnvoll. Es gibt bekanntlich in der christlichen Glaubenswelt (auch in den Theologien) viele verschiedene christliche „Götter“.
Im übrigen empfehle ich dringend den auch sprachlich schönen Text der Theologin Elke Pahud de Mortagnes „Einfach nur lieben. Briefe an Martin Walser“ (S. 39 – 45). Der Beitrag führt aus den rationalen Verklammerungen heraus. Darin heißt es u.a. in poetischen Formulierungen:
“Es gibt Menschen, die auf meinen Weg gestellt sind. Die sind keine Romanfiguren.
Die sind…
Die sind einfach. Was sie sind.
Diese Menschen auf meinem Weg sind mein Gericht. Und Gottes Rechtfertigung“ (S. 44).
Das sind Menschen, die „einfach nur lieben“.
Man würde sich gern weitere ähnliche Texte von dieser Theologin wünschen. Da kommen ein neuer Ton und eine neue Aussage in das ansonsten manchmal so ängstliche, deswegen oft auch langweilige theologische „Geschäft“.

Jan-Heiner Tück (Hg.): Was fehlt, wenn Gott fehlt? Martin Walser über Rechtfertigung –theologische Erwiderungen. Herder.144 Seiten. 16, 99 €

Copyright: Christian Modehn und Religionsphilosophischer Salon Berlin