Philosophieren heißt Selber-Denken. Eine Alternative zur “Universitäts-Philosophie”

Philosophieren als Selber-Denken – Eine Alternative zur Universitäts-Philosophie

Ein Hinweis von Christian Modehn

Im „Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin“ versuchen wir seit seiner Gründung (2006) das Selber-Denken als Form des Philosophierens zu üben, zu besprechen, zu leben, in einer freundlichen Atmosphäre der Vielfalt. Für viele, selbst gebildete ZeitgenossInnen, hat „die“ Philosophie einen eher schlechten Ruf. Viele halten sie für genauso „unerreichbar“ wie die „höhere Mathematik“. Philosophie wird leider als doktrinäres und abstraktes Lehren an Universitäten erfahren („fast ausschließlich durch bezahlte Beamte und Angestellte betrieben“, so der Züricher Philosoph Michael Hampe selbstkritisch (1)). Dabei ist am Ursprung der Philosophie, denken wir nur an Sokrates, das eigene Reflektieren und Fragen absolut entscheidend, weil es den Geist belebt gegenüber aller Fixierung, etwa in Systemen und Doktrinen. Diese finden in schwer mitvollziehbaren philosophischen Büchern ihren Niederschlag. Abstrakte Philosophie ist nach wie vor unverzichtbar, sie gehört zur Kultur Europas, aber sie „entspringt“ förmlich dem eigenen Philosophieren, das jeder Mensch unthematisch immer schon lebt. Da ist die Quelle der Philosophie. Dies muss akademisches Philosophieren immer respektieren, denke ich. Denn jede Lebensentscheidung ist als Entscheidung immer Ausdruck reflektierter Freiheit, ist also Philosophieren. Die umfangreichen Bücher der Fachphilosophen sind meist nur für die Kollegen an den Universitäten bestimmt, nicht aber für Menschen, die lebendiges Fragen und Zweifeln als Orientierung in ihrem Dasein suchen. Ein Quantenphysiker kann ausschließlich für Quantenphysiker schreiben. Anders aber ein Philosoph, er sollte als Liebhaber der Weisheit (das bedeutet Philosophie) niemals verzichten, andere Menschen zur deutlicheren Liebe der Weisheit zu führen, aber eben liebend, also wohl auch behutsam nachvollziehbar. Auf der Rückseite des Umschlages des Buches von Hampe steht: “Man kann Philosophie nicht lernen wie Physik”. Philosophieren hat mit mir zu tun, es geht um mich, aber auch um mich als (allgemeinen) Menschen…

Um so erfreulicher sind die Ausführungen des Züricher Universitäts-Philosophen Michael Hampe. In seinem Buch „Die Lehren der Philosophie“ legt er ausführlich dar, dass es auch eine andere, eine nicht-doktrinäre Form der Philosophie gibt und geben muss. Schon in den einleitenden Kapiteln 1 und 2 wird das deutlich. Wir empfehlen dringend die Lektüre!

Hampe zeigt zwei Gestalten der Philosophie in Europa: Das doktrinäre, universitäre, sich in Lehrbüchern niederschlagende wissenschaftliche philosophische Forschen. Auf der anderen Seite das auch in Europa lebendige „post-doktrinäre“ Philosophieren. Darin treffen sich Kritiker der herrschenden Moral, der politischen Ideologien, des religiösen Aberglaubens usw., betont Hampe. Zu denken wäre an Sokrates, an die Aufklärungs-Philosophien in den Salons von Paris, an Montaigne, Lichtenberg, Nietzsche, Wittgenstein und andere. Damit ist ja nicht geleugnet, dass etwa ein sehr systematischer, schwieriger Universitätsphilosoph wie Kant nicht auch „populäre“, halbwegs allgemein zugängliche Texte des Philosophierens publiziert hätte, etwa in seinen Beiträgen für die damaligen Berliner Kulturzeitschriften.

Das entschiedene Plädoyer Hampes für die postdoktrinären, oder sagen wir, vielleicht treffender, für die „nicht mehr doktrinäre Philosophien“ sollte auf breiter Ebene diskutiert werden. Es weitet das philosophische Selbstverständnis, es macht Mut, das Philosophieren – auch im Alltag unter „Nicht-Fachphilosophen“ (gibt es die??) – zu üben. Das nichtdoktrinäre Philosophieren ist ja keineswegs ein Plädoyer für die Beliebigkeit, etwa für die logische Willkür usw. Nicht doktrinäres Philosophieren ist nur nicht am Systemaufbau interessiert, nicht an der kryptischen Sprache, sondern am Verstehen und dann an der selbstverständlichen Kritik des alltäglichen Lebens: „Die nichtdoktrinäre Philosophie versucht zu verhindern, dass Menschen durch religiösen, politischen, wirtschaftlichen oder wissenschaftlichen Dogmatismus unfrei werden“, so Michael Hampe, S. 49.

Hampe plädiert für das „Persönliche“ im philosophischen Denken, er fordert, dass die „die Philosophie auch in den akademischen Institutionen mit einem existentiellen Engagement zu betreiben ist“ (S.53). Und dieses Philosophieren muss selbstverständlich geübt werden, wie Hampe betont, (Seite 53 f.). Für dieses philosophierende „Üben“ als selbstkritisches Reflektieren, als Prüfung der Sprüche und angeblichen Weisheiten und Dogmen, die verbreitet werden, braucht man natürlich Räume, Orte. Und da ist Philosophie im öffentlichen Leben insgsamt absolut benachteiligt. Und niemand regt sich darüber auf! Es gibt Literaturhäuser, aber keine „Häuser der Philosophie“, in Paris gibt es ein entprechendes Haus in der Rue Descartes. Leider weist Hampe meines Wissens nicht auf die oft bescheidenden philosophischen Versuche der „Philosophischen Café“ oder der “Philosophischen Salons” hin: Dies sind ja solche bescheidenen, provisorischen Orte des Übens, wo Menschen sich auch selbst neu entdecken können und Fraglichkeit als Lebensform schätzen lernen. Ein philosophisches Leben führen, auch diese Maxime nennt Hampe (S. 64) hat viele Gestalten, sicher ist nur: Der Philosophierende wird starke Vorbehalte haben gegenüber vorgegebenen Lehren der Weisheit, der religiösen Institutionen. Nicht nur, weil er sich selbst und sein freies Leben darin NICHT wieder findet, sondern eher entmündigt fühlt.. Vor allem: Diese Lehren und Dogmen und Doktrinen werden eingesetzt von (demokratisch oft gar nicht legitimierten) Herrschern und Beherrschern. Darum kann es für Hampe auch niemals philosophische Gurus geben. Er weist auch „religiöse Lebenslehren“ (S. 65) aus diesem Grund, der Fremdbestimmung, zurück. Über dieses pauschale Urteil wäre aber zu diskutieren: Denn es könnte ja auch religiöse Lebenslehren geben, die aus dem selbstkritischen, reflektierten Lebenszusammenhang selbst entspringen, aus der Erfahrung des Absoluten “in” mir, so dass diese Religion nur das eigene Leben in seiner Tiefe aussagt und diese Aussage kritisch mit anderen (in einer religiösen Gemeinde) teilet, diese Menschen haben dann natürlich auch wieder ihre Erfarungen des Absoluten…Die neue liberale Theologie (als eine Theologie von unten, also vom Selbstbewusstsein her sich entwickelnd) würde diese nicht entfremdete Gestalt des Religiösen sein, in dem das im Menschen selbst entdeckte Göttliche zum Ausdruck kommen kann.

Michael Hampe bietet ein überaus inspirierendes Stück „Philosophie der Philosophie“. Und er macht damit deutlich, dass über Philosophie qualifiziert nur philosophisch gesprochen werden kann.

Copyright: Christian Modehn

(1) Michael Hampe, Die Lehren der Philosophie, Suhrkamp 2014, Seite 55).