Warum noch Mitglied der römisch-katholischen Kirche in Deutschland bleiben?

Hinweis auf eine „ewige“ Diskussion.
Von Christian Modehn.

1.
Über diese Frage wird auch außerhalb der Kirche heftig diskutiert: Warum noch als Katholik(in) in Deutschland Mitglied der römisch-katholischen Kirche bleiben? Und diese Frage ist hoch aktuell: Es geht darum zu erkennen, was eine sich fest strukturiert gebende globale Welt – Instuitution, die Römisch-katholische Kirche, noch im 21. Jahrhundert sein kann. Denn in vielerlei Hinsicht wird jetzt deutlich, dass kulturelle, also auch religiöse Gemeinschaften,  lebendig bleiben, wenn sie regional auf ihre eigene Art leben. Aber doch mit vielen anderen, ebenfalls regional je verschieden agierenden Organsiationen, Kirche etc., verbunden sind.

2.
Die Antworten, zumal der Hierarchen, der Bischöfe und Erzbischöfe, bedienen sich immer derselben Sprüche: Man sollte Mitglied der römischen Kirche bleiben, weil diese doch so beeindruckend universal sei mit ihren 1,2 Milliarden Mitgliedern. Vor allem wird der Begriff Einheit beschworen: Diese 1,2 Milliarden Katholiken seien unter dem Papst „EINS“. Was für eine gewagte Behauptung! Wer hat überprüft, ob der katholische Bewohner amazonischer Wälder in identischer Weise wie der katholische Börsenspekulant in New York oder der Schwule in Frankfurt an den Gott der Trinität glaubt oder an Jesu „Erlösung für uns durch seinen Kreuzestod“?
Die Erkenntnis also lautet: Diese These von der Einheit der römischen Kirche ist eine Ideologie, die den theologischen Status Quo Alas Herrschaft des Klerus stützen soll.

3.
Seit dem Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils (das war 1965, also vor 57 Jahren) werden von „Reformkatholiken“ immer in allen denkbaren Variationen dieselben Argumente vorgebracht: Gegen den Zölibat, für mehr Toleranz und Pluralität, für mehr Gleichberechtigung von Frauen und Schwulen, mehr ökumenische Zusammenarbeit und so weiter und so weiter. Alle diese Forderungen blieben bislang erfolglos. Aber das macht den „Reformkatholiken“ nichts aus, sie haben ewige Ausdauer und pflegen ihre ekklesiale Leidensbereitschaft, populär Masochismus genannt.
Das beste und in gewisser Weise (karrieremäßig, finanziell etc.) erfolgreichste Beispiel ist Hans Küng, der als von Rom diskreditierter katholischer Theologie-Professor nach dem „Rauswurf“ (1979) aus der katholisch-theologischen Fakultät der Uni Tübingen mit Trotz stets fürs Verbleiben in der römischen Kirche plädiert hat. Und stets (illusorische) Hoffnung auf Reformen an der katholischen Basis weckte. Und dabei wurde Küng sehr bekannt …

4.
Pater Klaus Mertes SJ wird anläßlich des Stuttgarter Katholikentages in einem längeren Interview mit der TAZ vom 25./26.Mai 2022 S. 4 f. gefragt, ob die katholische Kirche (in Deutschland, aber auch weltweit) vor einer neuen Reformation stehe. Mertes antwortet: „Wir befinden uns in der Tat in einer Zeit, die mit der Reformation vergleichbar ist. Wenn Rom sich in all diesen Sachen (gemeint sind also die Reformvorschläge des „Synodalen Weges“ etc. CM) nicht bewegt, dann wird es explodieren“.

5.
Ein erstaunliches Wort: „Dann wird es explodieren“. Wer oder was explodiert denn, es wird leider voin den Journalisten der TAZ nicht nachgefragt! Offenbar ist die katholische Kirche als Institution gemeint, vor allem der Vatikan, den Mertes vorher „hermetische Loyalitätskartelle“ nennt (S. 5). Er meint also die Allmacht des Klerus. Und dann wird „es“ „explodieren“. Was meint das Wort explodieren? Offenbar eine Reformation, die den Namen verdient, keine Reförmchen, sondern eine Reformation, die bekanntlich als Reformationsbewegung seit dem 13. Jahrhundert (Petrus Waldes, Hus, Luther, Calvin, Arminius etc.) immer eine Abspaltung von der römisch-katholischen Institution war. Nur Franz von Assisi hat sich dem Papst gebeugt! Also, dies sagt der Jesuitenpater Mertes, eine Explosion könne bevorstehen.

6.
Aber dann folgt nach dieser objektiv treffenden und richtigen Analyse: Die angstvolle Einschränkung und die Zurücknahme der „Explosion/Reformation“ durch Mertes. Er sagt: „Die Einheit der Kirche auch in ihrer institutionellen Form ist ein hohes Gut, weil die katholische Kirche nur so eine globale wirkende Institution ist, die wie kaum eine andere wirklich fähig ist, globale Themen zu setzen“ (S.5).
Kurzum: Man sollte, bitte schön, Katholik in Deutschland bleiben und bitte weiterhin leiden an der Kirche, aus dem einen Grund: Damit die universale Organisation römische Kirche weiterhin wirksam bleiben könne.

7.
In dieser Aussage ist einiges problematisch: Warum sollen Katholiken in Deutschland, wenn sie seit Jahrzehnten zutiefst unzufrieden sind mit der Kirche, nicht von ihrem Recht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit Gebrauch machen? Also auch von ihrer demokratischen Freiheit, aus dieser Kirche auszutreten und möglicherweise einer anderen, etwa einer protestantischen Kirche beizutreten? Und eine „Freie katholische Kirche in Deutschland“ (FKD) aufbauen?

8.
Es wirkt schon sehr ideologisch gefärbt, zu empfehlen: Unzufriedene Katholiken sollten in dieser Kirche ausharren, bloß damit die global wirkende Institution als solche im Glanz der 1,2 Milliarden Mitglieder erhalten bleibt, natürlich auch mit dem stets reich fließenden Geld aus Deutschland.

9.
Die entscheidende Frage lautet: Wo hat denn der Vatikan globale Themen gesetzt, wie Pater Mertes behauptet? Waren die Reden der Päpste bei der UNO oder die Rede von Papst Benedikt XVI. vor dem Deutschen Bundestag so fantastisch, so politisch wirksam? Doch wohl nicht. Ist die aktuelle Russland Politik von Papst Franziskus etwa ein Glanzstück, der sich viele Wochen lang als Putin – Versteher zeigte, offenbar um so die katholische Kirche in Russland zu schützen. Genannt wird von Pater Mertes die Enzyklika „Laudatio si“ von Papst Franziskus SJ, mit der sich, so Mertes, angeblich 1,2 Milliarden Katholiken auseinandersetzen. Woher weiß das der Pater? Wie viele Kirchengemeinden haben denn, bitte nachweislich, im Sinne des Papstes Ökologie oder Friedenserziehung zum Schwerpunkt gemacht … anstelle den Römsichen Katechismus zu studieren (wie etwa die neokatechumenal geprägte Gemeinde St. Matthias in Berlin-Schöneberg)?

Mir ist bekannt, dass diese Enzyklika “Laudato si” von vielen Kennern heftig kritisiert wurde. Wo sind denn diese Ideen dieser Enzyklika von katholischen Politikern etwa in Lateinamerika real „umgesetzt“ worden, etwa von Bolsonaro oder katholischen Gewaltherrschern in Afrika oder auf den Philippinen? Ich habe den Eindruck, man erzählt ideologisch Gemachtes, um die Katholiken „bei der Stange zu halten“. Denn auch das ist Tatsache: „Global agieren“ können immer katholische Hilfswerke oder katholische Ordensgemeinschaften (etwa der wichtige „Jesuiten Flüchtlingsdienst“). Diese katholischen NGOs werden vielleicht sogar finanzielle (und personelle) Unterstützung von EX-Katholiken erhalten, weil deren humane Arbeit als wertvoll und hilfreich erlebt wird.

10.
Was wäre also so furchtbar, wenn sich wirklich eine Reformation (eine EXPLOSION, wie Mertes sgat) ereignete? Wenn sich also eine „Freie katholische Kirche in Deutschland“ (FKD) bilden würde, bestimmt von den bekannten und tausendmal besprochenen Impulsen der katholischen Reformation? Wie viele römisch-katholische Bischöfe würden auf ihre bisherigen Privilegien verzichten und sich der FKD anschließen?

Die Mitglieder hätten jedenfalls alle Freiheit, ihren Glauben auf ihre Weise nun endlich einmal frei und demokratisch zu leben. Sie hätten mehr Zeit für reife menschliche Gemeinschaft, für Spiritualität, sie könnten sich von dem ewigen katholischen Dauerthema: „Das masochistische Leiden der Katholiken wegen der Hierarchen“ befreien.
„Katholisch sein“ wäre dann etwas anderes als das ewige römisch-katholische „Sich ärgern und zornig werden über die Zustände dieser klerikalen Kirche“. Das könnte römische Katholiken weltweit inspirieren als Vorbild!

11.
Wie viele KatholikInnen in Deutschland denn tatsächlich dieser reformierten, der Freien  katholischen Kirche in Deutschland beitreten würden, ist natürlich unklar. Ich vermute, es würden nicht gerade viele Millionen sein! Denn die Angst vor einem Bruch mit der lange internalisierten „Mutter Kirche“ ist zu groß. Manche sagen doich immer noch allen Ernstes: Ich liebe diese Kirche! Man soll Gott und den Nächsten lieben, nicht aber eine weltliche Institution, eine Kirche. Solange die römisch – katholische Kirche sich immer noch als Gründung des lieben Gottes versteht, ist “nichts Vernünfrtiges zu machen”, um es mal populär auszudrücken.

Und die Festangestellten bleiben sowieso lieber an den immer noch voll gefüllten „Fleischtöpfen Ägyptens“ hängen (wegen der Kirchensteuer) als sich auf Neues einzulassen. Weil man Katholischsein mit Jammern identifiziert hat, fühlt man sich halt beim Jammern ad aeternum recht wohl. Eine Jammer-Gemeinschaft also wird wohl fortbestehen….
Noch einmal: Die Idee der behaupteten dogmatischen Einheit der Kirche unter der Herrschaft des Klerus und des Papstes ist durch diese Jahrhunderte alte Indoktrination ein so absolut hohes Gut, dass nur wenige Katholiken diese Einheitsideologie überwinden können. Pluralität wird immer als Zerstrittenheit, nicht als Chance gesehen. Man spricht in Rom und anderswo von Protestantisierung … als Schimpfwort….

12.
Dieser Beitrag ist bewusst etwas zugespitzt. Er hat nicht zum Thema gemacht, dass der Hauptgrund für die ständig zunehmende Distanz so vieler tausend gebildeter Katholiken von der römischen Kirche in Westeuropa einen theologischen Grund hat: Es ist die, pauschal gesagt, völlig veraltete fixierte Dogmatik (aus dem 4. Jahrhundert, Schwerpunkt Trinität, Erbsünde, Hierarchie) und die Fixierung auf neo-platonische – bzw. kleinbürgerliche Moral. Auch die antiquierte Sprache der ewig in gleicher Form zelebrierten Messfeier ist – schon aus sprachlichen Gründen – ein Skandal. Die Messfeier gilt für die Hierarchen nur deswegen als der „absolute“ Höhepunkt des Glaubens, weil eben nur die zölibatären Priester diese Messe feiern dürfen! Man ahnt, wie aus Theologie eine Ideologie des Machterhalts der Hierarchie wurde. Aber wird dieses Thema besprochen von den Theologen an den theologischen Fakultäten? Nein, davor hat man Angst! Denn letztlich sind katholische Theologen ,selbst an staatlichen theologischen Fakultäten, noch immer von den Herren Bischöfen (und via Nuntius auch von Rom) abhängig! Wer nicht spurt, bekommt Probleme, wird entlassen…

13.

Das Thema dieses Hinweises ist hoch aktuell: Es geht darum zu erkennen, was eine sich fest-strukturiert gebende globale Welt-Instuitution, die Römisch-katholische Kirche, noch im 21. Jahrhundert sein kann. Denn in vielerlei Hinsicht wird jetzt deutlich, dass kulturelle, also auch religiöse Gemeinschaften, nur dann lebendig und kreativ bleiben, wenn sie regional auf ihre eigene Art leben können. Aber doch mit vielen anderen, ebenfalls regional je verschieden agierenden Organsiationen, Kirchen etc., verbunden sind.

Eine Glaubensgemeinschaft, die universal für alle Menschen dieses Globus den einen und selben dogmatischen Glauben und die dogmatische Ethik, sprachlich fixiert, in Begriffen des 4. Jahrhunderts oder des Mittelalters vorschreibt, kann faktisch keine Zukunft haben.

Ein solches Weltkonstrukt mit einem jetzt 86 Jahre alten Chef (Papst genannt) für 1,2 Milliarden Katholiken, kann nicht mehr gut leben. Und es hat wohl nie konstruktiv – hilfreich funktioniert. Die Inquisition ist nur eines von vielen Beispielen für das frühe Scheitern dieses Herrschaftssystems. Eine Kirche mit einer Regierung, ausschließlich von (alten) Männern, und dann noch absolut zentriert in einer europäischen Stadt (Rom), hat keine Zukunft. Zumal es sich um eine Autokratie oder “Monarchie” (Papst als Staatschef) handelt,  die die nicht die geringsten Spuren von Demokratie aufweist.

Diese Kirche fordert von allen anderen Organisationen den Respekt der Menschenrechte, also der Werte der Demokratie, aber sie selbst als Kirche lebt diese Menschenrechte NICHT in ihrem eigenen “Innenbereich”. Das versteht kein vernünftiger Mensch mehr, zumal keine Frau. Nur wenn man als Papst sagt, das eigene kirchliche Verhalten und die kirchliche Gesetzgebung sei von Gott höchstpersönlich so gewollt, hat diese Kirche in gewissen Kreisen vielleicht noch Rückhalt. Aber je gebildeter die Menschen (auch die Katholiken) werden, um so mehr wird die Bindung an diese Kirche nachlassen. Und die Sturheit der Hierarchen fördert diesen Prozess!

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Ein katholischer Theologe gegen 2G Regeln im Gottesdienst. Für Pater Klaus Mertes hat Impfen gegen Corona keine religiöse Bedeutung.

Ein Widerspruch von Christian Modehn am 10.12.2021.

1.So oft sind wir empört und entsetzt, wie in diesen Zeiten der Pandemie die bis jetzt einzige medizinische Hilfe, das Impfen, schlecht geredet wird. Und wie diejenigen, die diesen medizinischen Schutz zum Teil gewalttätig ablehnen und dabei sich selbst und andere tödlich gefährden, öffentlich direkt oder indirekt verteidigt werden und in kirchlichen Kreisen mit einem pastoralen Gestus des Verstehens, wenn nicht der Sympathie bedacht werden.

2. Genau diesen Schock erlebt man, wenn man die Antworten des ziemlich bekannten und eigentlich angesehenen (wegen der Freilegung im Jahr 2010 der pädosexuellen Verbrechen durch Priester) Jesuiten-Paters Klaus Mertes in einem Interview mit der ZEIT vom 9.12.2021, Seite 80, liest. Pater Mertes schwebt darin auf der – außerhalb von Corona – verständlichen „liberalen“ Welle: „Die Kirche muss alle Menschen vorbehaltlos willkommen heißen in den eigenen Räumen“. Was „willkommen“ bedeutet? Dabei denkt und dachte der Jesuit bekanntlich zurecht an die katholischen Homosexuellen, die sich in den Gemeinden nicht willkommen fühlen. Hat Mertes diese seine bekannten Prämissen im Hinterkopf, wenn er die unkontrollierte gemeinsame Anwesenheit von Nicht-Geimpften und Geimpften in den katholischen Messen empfiehlt und gutheißt.

3. Das Problematische, wenn nicht das Skandalöse an den Äußerungen von Mertes in der ZEIT ist dies: Er versteht die Weisungen Jesu als oberste Norm für ein Zusammenleben in der Gesellschaft. Diese Weisungen Jesu geben also – angeblich – Antwort auf die Frage: Dürfen und sollen Nicht-Geimpfte an den Messen teilnehmen. Und die Antwort Jesu in der Interpretation von Mertes ist klar: Ja, natürlich, alle sind willkommen, nach dem Impfstatus darf nicht gefragt werden. Mit anderen Worten: Mertes glaubt, Jesus höchstpersönlich in seiner unendlichen Liebe usw… lehrt: Der Impf-status spielt im Falle eines Gottesdienstbesuches in diesen Pandemiezeiten keine Rolle.

4.Die Belege: Gleich zu Beginn des Interviews mit der ZEIT betont Pater Mertes nicht ohne einen gewissen Stolz:

„Ich habe am Nachmittag des zweiten Advents in Berlin Gottesdienst gefeiert, da kamen vor allem Obdachlose,  Flüchtlinge, Arme“. Frage: Und wer durfte rein? Mertes: „Alle!“ Punkt. Und dann: “Ich habe nicht um Erlaubnis gefragt. In einem größeren Raum ist es leicht, das Infektionsgeschehen zu beachten, ohne andere auszuschließen“. (Mertes kann also das Infektionsgeschehen in Räumen mit bloßem Auge etc. erspüren, großartig!) Und noch einmal legt Mertes nach: „Aber es gilt die Regel, dass wir Menschen, die bei uns Zuflucht suchen, nicht als erstes nach der Impfung fragen. Das ist mir sehr wichtig. Ich habe Respekt vor den Ängsten anderer und finde es falsch, die Ängste zu moralisieren“. Was für eine schräge Aussage: Wer nach dem Impfstatus fragt, „moralisiert“, so Mertes. Und vor allem: Wessen „Ängste“ werden nach Mertes denn da beachtet: Die Ängste der Nicht-Geimpften offenbar, über ihren Status öffentlich Auskunft zu geben. Die Konsequenz ist: Sollen sich doch die nur 2mal Geimpften von uns anstecken… Die Ängste der nur zweimal Geimpften zählen also nicht. Die Nicht-Geimpften werden als die einzg Leidtragenden, die Ausgegrenzten, die „Armen“ gedeutet, ihnen gilt alles klerikale Mitleid. Sie von er Not-wendigkeit der Impfung zu überzeugen, sie dazu zu drängen, kommt offenbar für Mertes nicht in Frage. Ich finde diese Haltung skandalös.

Aber Mertes führt noch in weitere theologische Überzeugungen oder treffender Verirrungen: „Ich habe ein Problem mit 2G bei Gottesdiensten, weil ich es nicht zusammenkriege mit dem Evangelium. Jesus unterscheidet nicht zwischen so genannten Gerechten und so genannten Sündern, er ist für alle da“, so in der ZEIT.

Wer sollen denn die Gerechten und die so genannten Sünder sein im Zusammenhang des Impfens? Diese Frage bleibt ohne Antwort. Sind die Nicht-Geimpften (meistens Impf-Verweigerer) etwa Sünder? Dieser Schluss bietet sich nicht an im Zusammenhang der oben genannten Äußerungen Mertes in der ZEIT. Der Jesuit ist überzeugt: Weil Jesus alle Menschen liebt und in „seiner“ Kirche willkommen heißt, muss sich die Kirche jetzt nicht an die Regel 2G im Gottesdienst halten! Jesu Liebe sei größer als alle menschliche Vernunft, wie oft hat man diese Worte in Predigten gehört? Nun also wieder, unbegründet diese religiöse Weisheit.

Warum eigentlich sollen sich Theater, Kinos etc. an diese 2G-Vorschrift halten? Bieten sie in ihren Räumen etwa ein größeres Infektionsrisiko als die gut besuchten (Weihnachts-)-Gottesdienste? Bieten Messen und Gottesdienste etwa einen imaginären, man möchte sagen abergläubischen himmlischen Schutz vor dem Virus, den weltliche Häuser nicht bieten können?

5.  Diese Verteidigung von „unkontrollierten“ Gottesdiensten hinsichtlich des Impfstatus der TeilnehmerInnen ist in Pandemie Zeiten ethisch betrachtet falsch und vor allem: gesundheitlich hoch-gefährlich. Diese Haltung eines Theologen ist entschieden zurückzuweisen. Denn diese von Mertes verteidigte Überzeugung setzt ein begrenztes theologisches Prinzip (“die offene Kirche für alle”) über das viel wichtigere und universale (!) ethische Prinzip des Lebensschutzes für alle.

Ethik und Sorge um das Gemeinwohl stehen selbstverständlich über den immer begrenzten religiösen, konfessionellen Prinzipien, die bekanntlich nur für einige gelten. Aber diese Minderheit hat sich nach den universalen ethischen Prinzipien eines Rechtsstaates zu richten. Das haben selbst die Charismatiker in Frankreich eingesehen, die 2020 noch unkontrolliert (wie es Mertes praktiziert) ihre Gottesdienste feierten und dadurch die Gemeinde zum Corona-Hotspot machten.

6. Man sollte diese hier von Pater Mertes SJ ausgesprochene Überordnung theologischer Prinzipien über die ethischen Prinzipien eine Form von religiösem Fundamentalismus nennen.

Man stelle sich vor, Imame oder Rabbiner würden nach diesem von Mertes verteidigten theologischen Prinzip handeln! Also: In der Moschee oder der Synagoge würde nicht nach dem Impfstatus gefragt, was für einen berechtigten Aufschrei gäbe es!

7. So also wird einmal mehr deutlich: Es gibt auch heute, in Zeiten der Pandemie, einen versteckten Fundamentalismus in der römischen Kirche. Man muss sich nur die Mühe machen, diese Implikationen freizulegen.

8. Mertes kritisiert in dem Interview mit der ZEIT heftig, dass mit dem Impfen gegen diese Pandemie einige Menschen eine gewisse “Heilserwartung” verbinden, die „schon eine religiöse Dimension hat.” Mertes suggeriert, christliches Heilsverständnis sei nur eine rein ontologische oder nur geistige und seelische Wirklichkeit! Aber warum kann denn Impfen gegen die schreckliche Pandemie, theologisch betrachtet, nicht auch ein leibliches Heil (Gesundheit) bewirken, das zugleich ein Vorschein des umfassenden „göttlichen“ “Heils” ist? Die Zeiten sind doch vorbei, als man in einem traditionellen, starren Denken die Erlösung, das “Heil”, völlig vom irdischen, gesundheitlichen und gesellschaftlichen Wohlbefinden getrennt hatte. Skandalös ist nur, dass die Impfstoffe jetzt nicht gerecht verteilt werden und den Armen im Süden meist nicht gratis zur Verfügung stehen.

9. Jedenfalls bleibt es dabei: Die Chance, die Gesundheit und das Leben durch das Impfen zu retten und damit selbstverständlich auch für die allgemeine Impfpflicht einzutreten, kann als religiöse Dimension gedeutet werden. Das Impfgeschehen ist in dem Sinne, theologisch, ein „Heilsgeschehen“, und zwar vermittelt nicht durch Kleriker, nicht durch Priester, sondern durch Laien, Wissenschaftler, Virologen, Ärzte, Pfleger usw. Diese Erkenntnis wird den meisten Klerikern („Priestern“) nicht gefallen, die alle „Heilsvermittlung“ an ihren erhaben Kleriker-Status binden. Für die Befreiungstheologie, die Pater Mertes wahrscheinlich kennt, ist religiöses “Heil”, “Erlösung” immer auch materiell, leiblich, gesellschaftlich vermittelt. Das gilt auch in Corona-Zeiten. Insofern sind Ärzte, Krankenpflegerinnen, die impfen, auch wirksam für das religiöse „Heil“, für eine erfahrbare Erlösung.

10. Anstatt, dass Theologen hin und her schwadronieren und ein so liebvolles und offenbar herzliches Verständnis für Impfverweigerer aufbringen und dann auch für den Wahn von gemeinsamen Gottesdiensten von Nicht-Geimpften und Geimpften plädieren, sollten sie anerkennen: Die ÄrztInnen, PflegerInnen, VirologInnenen und WissenschaftleInnen sind in dem Fall die hilfreichen PriesterInnen heute. Die alles Theologische noch entscheidenden Kleriker müssen also selbstkritisch und wahrscheinlich demütig anerkennen: Das religiöse Heil wird auch außerhalb der Kirche vermittelt. Es gilt also: „Außerhalb der Kirche wird das Heil vermittelt“, um einen traditionalistischen katholischen Spruchneu zu formulieren.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

 

 

 

 

Pater Klaus Mertes für ökumenisches Abendmahl: Katholiken können am evangelischen Abendmahl teilnehmen

Ein Buchhinweis von Christian Modehn

Ausführliche Briefe, über drei Monate (bis Februar 2016) hin und her geschickt zwischen zwei prominenten Theologen, sind heute – nicht nur in Zeiten der absolut vorherrschenden emails – eine Seltenheit. Und noch seltener ist, wenn man so sagen kann: Dass diese Briefe auch als Buch publiziert werden. Die Kategorie Briefwechsel spielt ja in heutigen Verlagsgeschäften keine große Rolle mehr.

Nun haben die protestantische Theologin und Grüne-Politikerin Antje Vollmer und der Jesuitenpater Klaus Mertes ihre Korrespondenz veröffentlicht. Sie dreht sich immer wieder um das Problem der Gebundenheit an christliche Konfessionen, also evangelisch und römisch-katholisch. Und je länger der freundliche Brief-Austausch dauert, um so mehr nähern sich die theologischen Positionen an. Für die protestantische Theologin Antje Vollmer ist es eigentlich selbstverständlich, dass Katholiken an einem evangelischen Abendmahl nicht nur als Gäste dabeisitzen, sondern sich eben das Abendmahl von einem protestantischen Pfarrer reichen lassen. Ökumene, als versöhnte Verschiedenheit, wird so greifbar. Es gibt eigentlich nur noch wenige theologisch Gebildete, die eine solche Feier der Einheit der Christen ablehnen. Das müssen schon Dogmatiker der uralten Schule sein oder Angestellte der vatikanischen Aufsichts-Bürokratien, die bis nach Deutschland ihren Einfluss haben. Aber es ist eben im Katholizismus zweierlei: Man kann als katholischer Theologe eine richtige Meinung zur Praxis der ökumenischen „Mahl-Gemeinschaft“ haben, aber man darf diese nicht öffentlich sagen, geschweige denn öffentlich praktizieren. Das ist eben das viel besprochene Klima der Angst, das den Katholizismus bis heute bestimmt bzw. innerlich vergiftet und aus Glaubenden eben Mutlose und Verängstigte macht, solche Leute also, die um ihres Jobs in der Kirche/Caritas wegen auf ihre (ökumenische) Meinung und ökumenische Praxis doch besser verzichten. So entstehen gespaltene Persönlichkeiten…

Pater Klaus Mertes kennen und schätzen so viele, er gehört zu den Mutigen, den Offenen, den Aufgeschlossenen. Er hatte 2010 die unglaubliche Courage gehabt, „pädophile“ Vergehen durch Jesuiten an dem Jesuiten-Gymnasium in Berlin öffentlich zu machen. Er wusste: Allein die Freilegung der Tatsachen ist hilfreich. Er löste wohl als einer der wenigen Mutigen, die die Wahrheit sagen, ein mittleres Erdbeben in der römischen Kirche aus. Es dauert bis heute…Man denke an die Skandale der immer noch agierenden Ordensleute der „Legionäre Christi“, “Millionäre Christi” oft genannt, die von einem pädophilen Verbrecher gegründet wurden…

Nun zu dem Buch: Da ist es keine Überraschung, dass Pater Mertes am Ende des Buches, also ab S. 154, in aller Deutlichkeit für die „ökumenische Gastfreundschaft sich einsetzt“. „Ich bin überzeugt, dass es einem katholischen Christen im Gewissen frei steht, die Einladung zum evangelischen Abendmahl anzunehmen… Ich lasse mir nichts zu schulden kommen, wenn ich einer (protestantischen) Person nach dem „Amen“ die Kommunion reiche. Im Gegenteil, ich ließe mir etwas zu schulden kommen, wenn ich es nicht täte“, so Pater Mertes (S.155). Die theologische Begründung für diese richtige Haltung liefert er im Buch!

Diese Aussage weist in die Zukunft. So sehr vielleicht auch weniger religiöse Zeitgenossen über das Thema schmunzeln und sich sagen: Was haben diese getrennten Christen denn noch für Sorgen! Gibt es wirklich nichts Dringenderes? Gibt es natürlich!

Trotzdem ist diese Stellungnahme von Pater Mertes innerkirchlich gesehen ein wichtiger Durchbruch: Denn es kann ja sein, dass nun Katholiken in sich gehen und den Worten des Jesuiten folgen. Viele tun es längst, heimlich natürlich!

Diese Worte von Pater Mertes haben großen Wert für den kommenden evangelischen Kirchentag 2017 in Berlin: Da wird es dann hoffentlich auch viele katholische Teilnehmer geben, die am evangelischen Abendmahl teilnehmen. Der Streit um den katholischen Professor Gotthold Hasenhüttl, der 2003 beim Ökumenischen Kirchentag in Berlin Protestanten die Kommunion reichte, wird sich so nicht mehr wiederholen. Es wäre auch eine Blamage, wenn nicht Katastrophe, für die Herren der Kirche, nun auch 2017 beim Reformationsgedenken wieder hart durchzugreifen. Prof. Hasenhüttl wurde von dem damaligen Trierer Bischof Reinhard MARX (jetzt München) vom Priesteramt suspendiert….Dass es einen suspendierten Pater Mertes geben könnte, ausgerechnet im Luther-Jubiliäum, befürchtet irgendwie die besorgte Protestantin Anje Vollmer, sie schreibt: „Dieser Briefwechsel darf nicht dazu führen, dass Sie, Pater Mertes, damit in unabsehbare Schwierigkeiten mit Ihren Kirchenhierarchien kommen“ (S. 145). Wird er wohl nicht, denn er hat himmlischen Beistand: Seinen sehr berühmten Mitbruder, den Theologen Pater Karl Rahner: Er hat zusammen mit dem katholischen Theologen Heinrich Fries (München) 1983 eine bedeutende Studie verfasst: Veröffentlicht ebenfalls in dem katholischen HERDER Verlag, mit dem alles sagenden Titel „Einigung der Kirchen – reale Möglichkeit“. Also: Kircheneinigung ist JETZT möglich, alles offizielle katholische Gerede vom Warten und immer wieder weiter Beten usw… entpuppt sich klerikale Ideologie des konfessionellen Machterhalts. Theologie muss endlich Ideologie-Kritik werden. Dieses große Buch von Karl Rahner hat zwar 5 Auflagen erlebt, hat meines Wissens aber nicht den Verstand und das Herz der katholischen Hierarchie erreicht. Sie hielten diese großen Vorschläge „Ökumene JETZT“ für Theologengeschwätz. Es ist diese Ignoranz der Hierarchen gegenüber der Theologie, die so manchen erschüttert. Nur der Ungehorsam, siehe Luther, führt wohl in versteinerten Systemen ins Freie.

Die Ökumene stagniert, kaum noch jemand interessiert das und kaum noch jemand interessiert sich leidenschaftlich insgesamt noch für die Kirchen… Weil die katholische Hierarchie in ihrer dogmatischen Fixierung alles wirkliche Weiterführende in der Ökumene verbietet. Die Kirche selbst vertreibt die Gläubigen…wie damals, zu Luthers Zeiten!

Nun kommt also noch mal ein Vorschlag von Pater Mertes, zu sehr später Stunde möchte man sagen, wo sich die Kirchen in Deutschland tatsächlich leeren und nur noch die Kirchensteuergelder bestens fließen. Man kann nur hoffen, dass Pater Mertes nicht wie der Augustiner Pater Martin Luther gezwungen wird zu sagen: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“. Bevor dies hoffentlich nicht passiert, sollte das Buch gelesen werden: Es behandelt selbstverständlich nicht nur dieses Thema.

Buchempfehlungen: Klaus Mertes, Antje Volmer, Ökumene in Zeiten des Terrors. Streitschrift für die Einheit der Christen. Herder Verlag 2016, 2169 Seiten.

sowie immer noch lesenswert und zur Praxis empfohlen: Karl Rahner und Heinrich Fries, Einigung der Kirchen – reale Möglichkeit. Herder Verlag 1983. 156 Seiten.

Copyright: Christian Modehn Religionsphilosophischer Salon Berlin

Die “Legionäre Christi” halten ihr “Generalkapitel” in Rom. Von den Opfern sexuellen Mißbrauchs wird geschwiegen.

Die “Legionäre Christi” halten ihr “Generalkapitel” in Rom. Von den Opfern sexuellen Mißbrauchs wird geschwiegen.
Von Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Eine aktuelle Ergänzung, veröffentlicht am 28.6.2014:

Ende Juni 2014 wurde in der Presse dokumentiert, dass die Krise im Orden der Legionäre Christi keineswegs überwunden ist, wie manche Beobachter nach dem „Generalkapitel“ im Januar 2014 vermuteten. Es wurde von der Katholischen Presseagentur Wien mitgeteilt: „Der Vatikan begleitet den Erneuerungsprozess der “Legionäre Christi” mit einem so genannten externen Assistenten. Der (neu gewählte) Generaldirektor (so nennt sich dieser Ordensobere immer noch offiziell! CM) der Ordensgemeinschaft, Eduardo Robles Gil, teilte am Montag, 23.6. 2014, auf der Website der “Legionäre” mit, ein noch nicht näher benannter Beauftragter des Vatikan werde den Neuaufbau der Gemeinschaft “unterstützen”.

Das heißt wohl im Klartext: Der Vatikan, allen voran vielleicht Papst Franziskus selbst, betrachtet den Orden mit dem Milliardenvermögen, den vielen jungen Priestern und den einflussreichen Bildungszentren immer noch voller Skepsis.

Interessant und bedeutend ist, dass der mexikanische Kardinal Juan Sandoval Iniguez Anfang Januar 2014 den Ordensgründer Pater Marcial Maciel, so wörtlich, einen Psychopathen und Schizophren öffentlich nannte (KNA 11. 1. 2014): Sandoval sagte, er habe bereits als Student in den späten 50er Jahren in Rom von Eskapaden Maciels erfahren. (Aber offenbar nichts dagegen getan, CM) Der Kardinal sagt: «Kann jemand (also Pater Marcial Maciel) 50 Jahre, ein halbes Jahrhundert lang, ein Doppel- oder Dreifachleben führen? Nein», so Sandoval. Nur mit einer gespaltenen Persönlichkeit könne man «ein Leben als Heiliger, ein anderes als Ehemann, ein weiteres als Homosexueller, als großer Macher und als stiller Mensch führen». Der 80-jährige Kardinal äußerte sich anlässlich einer Vorstellung seiner Autobiografie.

Indem man nun von relativ hoher Seite Pater Maciel in die Ecke der Psychopathen schieben will, bleibt die Frage offen: Warum haben seine vielen engen Mitarbeiter im Orden und im Regnum Christi diese Pathologie nicht über alle die Jahre erkannt? Warum haben sie treu gehorcht, ließen sich (sexuell) benutzen und dienten ihm? Warum wagten sie nicht, diese Geisteskrankheit ihres Hochverehrten öffentlich zu machen, um ihren allseits geliebten, heilig mäßig genanten Vater zu heilen? Warum haben sich Kardinäle und selbst Papst Johannes Paul II. Jahre lang mit diesem Psychopathen und Schizophrenen gern umgeben? Ließen sich von ihm beraten und auf Reisen auf engstem gemeinsamen Raum begleiten (wie bei den Mexikoreisen des polnischen Papstes)? Warum war der Psychopath gern gesehenes Mitglied der Bischofssynoden in Rrom? Warum wurde dieser Psychopath von Papst Johannes Paul noch offiziell in Rom als “Vorbild der Jugend” gepriesen? Warum wurde offenbar die Heiligsprechung der lieben Maciel Mutter vorbereitet? Haben sie diese psychische Krankheit Maciel gern übersehen, weil sie wussten: In diesem Orden des Psychopathen gibt es viele so dringend gebrauchte, stramme, gut aussehende dogmatisch-saubere junge Priester? Welche Rolle spielte dabei das große Geld der Legionäre, die ja gern Kardinäle im Vatikan großzügig beschenkten und in ihren römischen Instituten Priester aus aller Welt streng dogmatisch korrekt ausbilde(te)n? Erst kürzlich fand in der Legionäre-Christi-Universität zu Rom ein Kongreß wieder über den Exorzismus statt. Selbstverständlich wurde die Teufelsaustreibung anno Domini 2014 verteidigt und für korrekt befinden…. Drückte man also, noch einmal, alle kritischen Augen zu angesichts dieses machtvollen Ordens des Psychopathen? Darf man fragen, ob ein solches ignorantes Verhalten der kardinäel etc. sehr weit entfernt ist vom Verhalten der Mafia, die jetzt Papst Franziskus exkommuniziert?

………Jetzt folgt der ursprüngliche Beitrag………

Wir weisen darauf hin, dass Pater Klaus Mertes SJ in seinem neuesten, sehr empfehlenswerten Buch “Verlorenes Vertrauen” (Herder Verlag) kurz auf den besonderen “Fall” des Gründers der Legionäre Christi wenigstens kurz eingeht. Weitere Hinweise dazu am Ende dieses Beitrags.

Der „Religionsphilosophische Salon Berlin“ hat sich seit 2007 mit dem römisch-katholischen Orden der „Legionäre Christi“ befasst und seitdem einige Texte dazu publiziert. (Zur Lektüre klicken Sie hier) Religionskritik ist zentrales Thema von Philosophie und Theologie. Der machtvolle und einflussreiche Orden „Legionäre Christi“ hat uns interessiert, um die Machtverhältnisse in der Kirche zu untersuchen; um zu fragen, wie es gelingt, dass ein einzelner Mann, der Legionärs-Gründer, also der aus Mexiko stammende Pater Marcial Maciel, zu einem der einflussreichsten, mächtigsten und finanzstärksten Mitglieder der römischen-vatikanischen Bürokratie emporsteigen konnte. Und warum er von Papst Johannes Paul II. sehr hoch geschätzt, wenn nicht verehrt wurde: „Pater Maciel ist ein Vorbild der Jugend“, sagte der Papst… Er ignorierte dabei, dass Pater Maciel über Jahrzehnte Jungen und junge Männer, vor allem innerhalb seines Ordens, sexuell missbrauchte; die Opfer hatten dies dem Papst geschrieben, wurden aber nicht ernst genommen. Zudem war Pater Maciel mit einigen sehr wohlhabenden Frauen liiert, auch aus finanziellen Interessen; mit seinen Geliebten hatte er Kinder, die er seinerseits wieder missbrauchte, so berichten die eigenen Söhne. Von seinem Jahre langen Drogenkonsum als Ordensoberer wollten die Päpste seit Pius XII. nichts mehr wissen. Mitte der neunzehnhundertfünziger Jahre war er deswegen als Ordensoberer kurzzeitig suspendiert… Kehrte dann aber an die oberste Leitung seines Ordens zurück .. bis zum Jahr 2006. Er war also Ordensoberer seit der Gründung der Legionäre 1941, als 65 Jahre, das ist schon kirchenrechtlich gesehen ein außergewöhnliches Privileg, das nur durch heftige Kumpanei in den vatikanischen Behörden zu erklären ist, so kompetente Kritiker.
Über die Absetzung Marcial Maciels als Chef des Ordens durch Papst Benedikt XVI. und seinen Tod 2008 sowie über die päpstliche Untersuchung dieses Ordens durch eine päpstliche Kommission ist auf dieser website berichtet worden.
Diese Informationen wurden von sehr vielen LeserInnen als Information genutzt und geschätzt, zumal im deutschsprachigen Raum sonst fast keine kritischen und umfassenden Informationen zu dem Thema vorliegen, und wenn, dann haben sich die Autoren bei uns heftig bedient, um es milde auszudrücken. Offenbar wagt es auch niemand unter den Theologieprofessoren und Historikern, dieses Thema umfassend aufzugreifen. Selbst Filmemachern ist das Thema wohl zu heiß und zu gefährlich.
Natürlich kann man fragen: Gibt es (religions-) philosophisch gesehen nicht dringendere Themen? Sicher, die gibt es in großer Zahl. Etwa die Frage nach dem guten Leben, und, philosophisch gesehen, nach den Möglichkeiten der Erkenntnis, auch des Geheimnisses, das wir Leben nennen, ist für die meisten sehr viel dringender. Auch die Frage: Wie wir als Menschen der westlichen Welt moralisch bestehen können angesichts des Hungersterbens von vielen Millionen Menschen jährlich usw., und wir alle das ganz genau wissen, um nur von dieser einen Katastrophe der Menschheit zu sprechen. Diese Fragen wagt kein Kirchenfürst als das allerdringlichste aller dringlichen Themen auf die Tagesordnung der Kirchen sagen wir für ein Jahr zu setzen, und dabei alle theologisch-feinsinnigen Debatten auf Eis zu legen. Andererseits: Sehr viele Menschen haben unter Marcial Maciel und seinen ebenfalls pädophilen Mitbrüdern gelitten und wurden seelisch zerstört. Das darf auf keinen Fall vergessen werden. Darum muss von den Legionären gesprochen werden.
Der Orden der „Legionäre Christi“ hält seit dem 8. Januar 2014 in Rom sein „Generalkapitel“ ab mit 61 Delegierten des Ordens. Die spanische Tageszeitung El Mundo schreibt dieser Tage, 50 % der Delegierten dieser außerordentlichen Ordensversammlung gehören zur „alten Garde“, also den Getreuen des Gründers. (Quelle: http://www.elmundo.es/internacional/2014/01/08/52cd808e268e3e672e8b457f.html).
Die Ordensversammlung in Rom, so die offizielle Prognose, wird mindestens bis Mitte Februar 2014 dauern. Es soll eine neue Leitung gewählt werden, vor allem soll der Orden eine neue Konstitution, also eine neue Ordensregel, erhalten, die alte Ordensregel (obwohl erst von Papst Johannes Paul II. im November 2004 approbiert) sei viel zu diffus und den Weisungen für die Zeit nach dem 2. Vatikanischen Konzil nicht angepasst, sagte der provisorische, von Papst Benedikt XVI. eingesetzte Interim – Ordensobere Kardinal de Paolis (78) jetzt in einem Interview mit Radio – Vatikan. Wie konnte dieser Fehler passieren? War Papst Johannes Paul II. über dieses von ihm genannte „Vorbild der Jugend“ total falsch informiert? Wer im Vatikan hatte Interesse an er Verbreitung von „Falschinformationen“? In kritischen Kreisen fällt in dem Zusammenhang immer der Name Kardinal Sodano, einem alten Freund Maciels…
Der jetzige päpstliche Delegat, Kardinal de Paolis,, wurde vor kurzem von keinem Geringeren als Pater Federico Lombardi SJ, dem Pressesprecher des Papstes, für Radio Vatikan befragt. Ein auch journalistisch bemerkenswerter Vorgang…
In diesem Interview vom 8. Januar 2014, das nicht auf Deutsch vorliegt, ist u.a., kurz gefasst, interessant:
Der Name des Ordensgründers Pater Marcial Maciel wird überhaupt nicht mehr genannt. Dies entspricht dem Befehl des Papstes (Benedikt), auch alle Bilder des zuvor noch hoch verehrten Paters Maciel aus den Legionärs Häusern zu entfernen. Beobachter vergleichen diese faktische „Ausradierung“ des Ordensgründers mit einer Art Entstalinisierung. Aber insgeheim lebt der Geist des „Ausradierten“ natürlich fort. So sollen manche Legionärs Kreise noch voller Verehrung das Grab ihres „Vaters“ in seiner mexikanischen Heimat besuchen und entsprechende Fotos ehrfurchtsvoll verbreiten, sie glauben, es hätte ein ungerechter Krieg gegen Maciel stattgefunden, so berichtet die angesehene Wochenzeitung National Catholic Reporter Anfang Januar 2014, Quelle: Quelle: http://ncronline.org/news/accountability/former-legion-followers-criticize-oversight-order
Es wird jetzt vonseiten des päpstlichen Sonderbeauftraften für den Orden, Kardinal de Paolis, nicht vom „Charisma“ des Ordens gesprochen. Denn ein Charisma eines Ordens (etwa bei den Franziskanern das Vorbild des heiligen Franziskus von Assisi) bezieht sich immer auf die hervorragende Spiritualität des Gründers. Der aber hat im Fall der Legionäre „Untaten“ vollbracht, war also ein Verbrecher, wie Benedikt XVI. deutlich genug öffentlich sagte. Wenn also kein positives Charisma da ist, dann schlägt Kardinal de Paolis vor: Man spreche von Patrimonio, von Erbe, des Ordens. Patrimonio meint ja auf Spanisch auch Besitzstand. Und da hat der Orden ja wirklich sehr viel zu bieten, wir berichteten darüber. Die mexikanische kritische Presse hat erst im Januar 2014 erneut das weltweit verzweigte Milliardenvermögen des Ordens (in US Dollar) aufgelistet. Quelle: http://www.m-x.com.mx/2013-06-09/la-mafia-financiera-de-los-legionarios-de-cristo-int/
Wenn also der Orden der Legionäre keine, vom Gründer her stammende besondere und religiös herausragende Spiritualität hat, sollte er dann nicht besser aufgelöst werden? Auch dazu melden sich einige zu Wort, es sind vor allem prominente ehemalige Legionäre, die das fordern, wie der Ex – Legionär, der jetzige Diözesanpriester Felix Alarcon (Madrid), der viele Jahre ein engster Mitarbeiter Maciels in der Ordenszentrale in Rom war. (Quelle: http://sociedad.elpais.com/sociedad/2014/01/08/actualidad/1389214965_028153.html)
Felix Alarcon, einer der besten kritischen Kenner des Ordens, er tritt übrigens für die Aufösung des Ordens der Legionäre Christi ein, er verwendet dafür den spanischen Begriff „eliminicaion“, also „Auslöschung“. Die EX – Mitglieder des Ordens sollten sich in den Bistümern melden und dort nach entsprechender Prüfung arbeiten… Quelle:http://www.periodistadigital.com/religion/mundo/2013/12/20/felix-alarcon-la-legion-tal-como-la-entendiamos-deberia-ser-eliminada-religion-iglesia-maciel-abusos-sacerdote-papa-vaticano.shtml
Besonders bemerkenswert ist es, dass Kardinal de Paolis in dem Interview kein Wort über die Opfer der Verbrechen Pater Maciels sagt. Er redet nur im ganz allgemeinen von Schuld und von Gewissenserforschung, aber ohne jeden Anhalt auf die Tatsachen der Verbrechen und das Leiden der Opfer. Verschwiegen wird auch, dass auch etliche andere Priester dieses Ordens in pädophile Aktivitäten verwickelt sind und waren; das hat sogar der Sprecher des Ordens, Benjamin Clariond, im Dezember 2013 öffentlich zugegeben. Er sprach von 35 betroffenen Priestern. Quelle: http://www.informador.com.mx/internacional/2013/501164/6/legionarios-de-cristo-aclaran-denuncias-por-abusos.htm
In dem Interview für Radio Vatikan ist von diesem weit verbreiteten pädophilen Treiben in einem Orden mit insgesamt nur ca 900 Priestern (!) keine Rede.
Insgesamt zeigen die jüngsten offiziellen Interviews und Texte: Die Opfer stehen überhaupt nicht im Mittelpunkt des Interesses. Es geht dem Orden und dem Vatikan jetzt einzig darum, möglichst weißgewaschen, weiterzumachen. Von Wiedergutmachungen für die Opfer ist bis jetzt keine Rede.
Am 3. November 2013 hat der zweite Mann im Orden, der Generalvikar Pater Sylvester Heeremann, in einem Interview mit Radio Vatikan davon gesprochen, dass inzwischen – durch die Gespräche mit dem vatikanischen Delegaten und seinen Mitarbeitern – ein „echter Kulturwandel“ im Orden stattfinde. Dabei ist interessant, dass Pater Heeremann die bisherige „Kultur“ des Ordens in einem übertriebenem Aktivismus sieht, geprägt von einem Denken in Effizienz, d.h. (materieller) Erfolg galt als höchste Tugend. Tatsächlich ist die Anzahl der Schulen, Universitäten und Seminare des Ordens beträchtlich. Und tatsächlich haben sie viele hervorragende Kenner der Wirtschaft und ihrer Konzerne in ihrem Orden, wie etwa den Mexikaner Pater Luiz Garza Medina, einst war er viele Jahre Finanzspezialist in der Ordensleitung in Rom, jetzt ist er Ordensoberer in den USA. Die Legionäre, so der Gesamteindruck vieler Beobachter, haben offiziell die Armut gelobt, sie setzen alles daran, sehr viele Spenden zu sammeln, auch bei den Armen, um Stiftungen und Banken weltweit zu gründen…Dazu siehe: http://www.m-x.com.mx/2013-06-09/la-mafia-financiera-de-los-legionarios-de-cristo-int/
Um noch einmal auf die bisherige (?) „Kultur“ der Legionäre zurück zu kommen: Sie waren also Effizienz – Fanatiker, sie waren sozusagen die Spitze der Technokratie innerhalb der Kirche, ein Club, der ganz dem Zeitgeist erlegen war (und ist ?). Darüber hat bisher noch niemand ausführlicher geschrieben: Technokraten in der Kirche, wäre ein hübsches Thema auch für Papst Franziskus. Er hat sich übrigens vorbehalten, die neue Ordensregel dann irgendwann im Februar 2014 zu lesen. Es gibt keinen Zweifel bis jetzt, dass der Orden irgendwie fortbesteht.
Nicht nur deswegen ist die Frage dringend: Warum hat der Papst, warum hat der Vatikan, solch ein großes Interesse, dass der Orden der Legionäre Christi (bezeichnenderweise mit einem offiziell so auch genannten „Generaldirektor“ an der Spitze) in der Kirche weiter besteht? Denn daran lässt auch der päpstliche Delegat Kardinal de Paolis keinen Zweifel! Es ist – so vermuten einige – , vor allem eben doch das massenhafte Geld, über das der Orden verfügt, das so viel vatikanisches Wohlwollen heute vorherrscht. Und es sind auch die vielen jungen Priester, die der Orden immer noch für die eigenen Institutionen zur Verfügung stellt. In einer Kirche, die äußerst klerikal orientiert ist und vor allem Interesse hat, viele junge Priester zu haben, hat solch ein Orden eben große offizielle Sympathien; mag sein Ordensgründer auch über kein religiöses Charisma verfügen … und, wie Benedikt XVI. klar öffentlich sagte, eigentlich verbrecherisch gelebt haben.

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Zur Stellungnahme von Pater Klaus Mertes SJ in seinem empfehlenswerten Buch “Verlorenes Vertrauen” zu Marcial Maciel, Seite 89 ff. einige zusammenfassende Hinweise:
Pater Mertes nennt Marcial Maciel einen “Missbrauchstäter besonders großen Ausmaßes” (S 89).
Er erwähnt, dass Papst Benedikt XVI. das im Legionärs Orden übliche Zusatzgelübde der so genannten “Nächstenliebe” abschaffte, weil dieses Gelübde nichts anderes bedeutete, als dass die Mitglieder über alle Zustände und Mißstände im Orden (also auch über die Verbrechen Maciels) zum Schweigen verpflichtet waren, nichts sollte nach außen dringen. Pater Mertes schreibt treffend: “Dies ist ein eklatanter Missbrauch von Macht und ein zynischer Umgang mit dem Wort =Nächstenliebe=”. (S. 90). Die Nächstenliebe bestand also darin, alle Aktionen des viel geliebten “Vaters”, also des – so der offizielle kirchliche Titel: “Generaldirektors” Maciel – zu verstehen und zu verzeihen.
Wir haben im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon auch früher schon diese Frage aufgeworfen: Wie konnte die römische Bürokratie (in Sachen Lehre und Dogma) dieses Gelübde überhaupt “genehmigen”? Pater Mertes nennt dieses Phänomen, dass die Kirchenleitung gar nicht mehr das Mißbräuchliche in geistlichen Gemeinschaften und Orden erkennt, “eine Versektung der Kirche” (S 90), d.h. die Kirche im ganzen nimmt sektiererische Züge an. Pater Mertes weist wieder treffend darauf hin, dass sich diese Gruppen, wie die Legionäre Christi, als Elite und Avantgarde verstanden haben und verstehen, sie würden sich “als künftige Führungselite sehen. Inzwischen sind viele von ihnen schon in kirchlichen Führungspositionen angekommen” (S. 90).
Tatsächlich hat am 15. November 2013 Papst Franziskus einen Legionär Christi, Pater Fernando Vergez Alzaga, zum Bischof geweiht und ihn anschliend zum Generalsekretär des Vatikanstaats ernannt. Quelle: http://katholisch-informiert.ch/2013/11/papst-weiht-generalsekretaer-des-vatikanstaats-zum-bischof/
Ob der Vatikan für diese hohe Aufgabe tatsächlich unbedingt einen “Legionär Christi” braucht, (wer hat möglicherweise den Papst dazu gedrängt?), ist naturgemäß völlig unbekannt. Ausgerechnet ein Legionär ist nun “für die Seelsorge unter den dort tätigen Mitarbeitern zuständig”, so die Pressemeldung.

Inzwischen ist in Paris ein Bericht eines EX Legionärs (Christi) erschienen, in dem angesehenen Verlag Flammarion: Der Titel:
“Moi, ancien légionnaire du Christ, 7 ans dans une secte au cœur de l’Eglise” (“Ich, ehemaliger Legionär Christi, 7 Jahre in einer Sekte im Herzen der Kirche”) Der Autor: Xavier Léger, en collaboration avec Bernard Nicolas, Editions Flammarion, 352 pages ; 21 euros

Zum Schluß weisen wir auf die unseres Erachtens erste (freie) literarische Auseinandersetzung mit Marcial Maciel hin (einen großen Spielfilm oder Krimi gibt es bis jetzt noch nicht): José Manuel Ruiz Marcos, “La Orden maldita” (2007).

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