Pogromgedenken am Ort eines Organisators von Pogromen: An der “Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche”.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 6. November 2023.

Am 9.11.2023 findet ein ökumenischer „Gedenkweg“ in Berlin-Schöneberg und Berlin- Wilmersdorf statt, ein Gedenken an den November – Pogrom 1938.

Ausgerechnet an der „Kaiser – Wilhelm-Gedächtniskirche“ (voller Scham oft nur „KWG“ genannt) wird der Evangelische Bischof Dr. theol. Stäblein einen „Impuls“ sprechen, also an einer Kirche, die selbst mit einem Initiator und Unterstützer von Pogromen bis heute verbunden ist. Kaiser Wilhelm II., ein Kolonialherr (wie auch Kaiser Wilhelm I.), ließ diese Kirche “KWG” errichten. LINK.

Die Fragen sind:

Kann man an diesem belasteten Ort, an dieser Kirche mit diesem unwürdigen Namen, an den November Pogrom erinnern, OHNE auch bei dieser Gelegenheit an die Pogrome deutscher Kolonisten und Kolonialherren in Afrika zu erinnern? Mit vielen tausend Ermordeten und Verhungerten… man denke an die Morde an den Hereros in Südwestafrika und an den brutal niedergeschlagenen Maji-Maji Aufstand in Deutsch-Ostafrika.

Kann man an dieser Stelle, an dieser Kirche mit diesem belasteten Titel der Kolonialherren Kaiser Wilhelm I. und II., also, wie üblich reumütig und fromm, so ohne weiteres  an die furchtbaren Novemberpogrome 1938 erinnern, veranstaltet von Verbrechern, die zudem sicher getaufte Mitglieder einer Kirche waren, ohne dabei zu erklären:

„Diese Kirche KWG ist ihrerseits in ihrem Titel, durch ihren Bauherrn, furchtbar mit Pogromen christlicher Herrscher und übrigens den Chefs der evangelischen Kirche damals verbunden. Deswegen werden wir dieser “KWG” Kirche alsbald, wenn nicht sofort, einen neuen, einen humanen, einen christlichen Namen geben. Wir wollen als evangelische Kirche schließlich etwas glaubwürdig bleiben in unserer üblichen Kritik jetzt am Rassismus und Kolonialismus und an der Sklaverei. Wir wissen als Kirche, dass es von reaktionärer Seite dagegen Widerstand geben wird, aber in dieser Debatte haben wir die einzig richtigen Argumente.“

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Kaiser Wilhelm II. und der Genozid in “Deutsch-Südwestafrika”.

Ein Hinweis von Christian Modehn zur Bedeutung Kaiser Wilhelm II. im Völkermord der Deutschen Kolonialherren in Afrika.

1.

Wir haben in zahlreichen Beiträgen auf dieser Website gefordert, LINK, dass die bekannte “Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche” in Berlin (KWG genannt) endlich einen anderen, ein würdigen Namen erhält. Die Kirchenleitung sollte sich also endlich trennen von der Bezeichnung eines so genannten “Gotteshauses” mit einem Rassisten und Kriegstreiber. Die Forderungen blieben erfolglos, es gab noch nicht einmal irgendeine Reaktion auf unsere e-mails an entsprechende kirchenleitende Büros… Es ist die Angst der Kirche vor den heutigen Hohenzollern, die sich da äußert?  Das wäre wahrlich skandalös. Die Kirche spricht heute manchmal sehr erregt über die Schande des Kolonialismus, der Sklaverei etc., sie hat aber nicht die Kraft, für sich selbst als Kirche daraus sichtbare Konsequenzen zu ziehen… Dann müßte man auch das unselige Kirche-Staat-Bündnis (der Kaiser, König, als oberster Kirchenchef) aufarbeiten…LINK

2.

Die Veränderung des Namens dieser Kirche am Breitscheid-Platz in Berlin ist unabhängig davon, dass dieses Gebäude eigentlich an Kaiser Wilhelm I. erinnern soll. Aber der Beschluss zu diesem Titel kam von Kaiser Wilhelm II. Und im übrigens ist Kaiser Wilhelm I. auch keine so hervorragende, so heiligmäßige Gestalt, dass nach ihm bis heute ein evangelisches Gotteshaus benannt werden darf.

3.

Manche LeserInnen haben uns gefragt, ob denn Kaiser Wilhlem II. wirklich so kriegstreiberisch, so rassistsich war. Ich will nun auf ein Intervies hinweisen zum Thema Kolonialismus und Kaiser Wilhelm II., das im Humboldt Forum im Juni 2023 stattfand. Da gibt es eigentlich keinen Raum mehr für Zweifel. Denn die Worte Kaiser Wilhelm II. sind bekanntlich Taten…

Der Spezialist für dieses Thema, der Historiker Prof. Jonas Kreienbaum (F.U. Berlin), sagte im Gespräch mit Alfred Hagemann (Humboldt-Forum) am 8. Juni 2023:

„Ich glaube, dass der Kaiser im sprachlichen Bereich am deutlichsten zu dem sich entwickelnden Genozid beiträgt. Er ist berühmt dafür, sehr martialisch aufzutreten – auch sprachlich – und das berühmteste Beispiel ist die sogenannte „Hunnenrede“.
Im Grunde fordert er die Soldaten auf: Macht keine Gefangenen! Bringt alle um, auf die ihr trefft, was zumindest an der Grenze zu einer genozidalen Aufforderung liegt.
Ich glaube, dass solche Aussagen bei kolonialen Militärs den Eindruck erweckt haben, an allerhöchster Stelle wird brutales, wenn nicht sogar genozidales Vorgehen toleriert, sogar gewünscht. Und ich glaube, genau auf dieser Ebene trägt der Kaiser dazu bei, einen diskursiven Rahmen zu schaffen, der diesen Völkermord denkbar und dann ausführbar werden lässt.
Zweitens kann man hinzufügen, dass der Kaiser auf einer symbolischen Ebene stark in den Völkermord involviert ist. Ich glaube, das wird nirgends so deutlich, wie wenn wir uns den „Vernichtungsbefehl“ Trothas anschauen. Der unterschreibt ihn nämlich, und das ist kein Zufall, mit der Formel „Der große General des mächtigen deutschen Kaisers“. Diese Vernichtungspolitik wird also im Namen des Kaisers durchgeführt und das ist ganz typisch für den kolonialen Kontext, wo das Deutsche Reich immer wieder in der Person des Kaisers symbolisiert wird.“

Quelle: LINK  

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin   LINK  

Schweigen spricht. Eine philosophische Meditation.

Ein Hinweis von Christian Modehn

1.
Philosophisch meditieren bedeutet: In der Stille eine bestimmte Form unseres Lebens im Denken zu analysieren, vielfältige Dimensionen einer bestimmten Frage zu ordnen, um zu einem tieferen Verständnis zu kommen. Damit befreien wir uns durch eigenes Denken von Üblichkeiten (Zwängen) des Alltags. Philosophieren leistet dadurch einen Beitrag zur Lebensorientierung. Das ist ihr erster Zweck. Ihn zu pflegen in dieser ver—rückten Welt, ist dringend.

2.
Schweigen wird oft noch durch Worte eingeleitet: Zum Beispiel: „Ich bin sprachlos“. Oder auch nur: „Sprachlos!“. Ein Wort, das man oft auf Todesanzeigen lesen kann.

3.
Was ist gemeint, wenn ich sage: „Mir fehlen die Worte“: „Ich kann keine Begriffe finden, die das Ereignis ausdrücken und in ein Gespräch führen können“. „Das Ereignis fällt – momentan – aus dem Horizont meines begrifflichen Denkens. Das Ereignis ist größer als mein Verstehen und Denken“.

4.
Ich verstumme also, gewissermaßen aus Unfähigkeit, in dieser Situation noch verbal zu sprechen: In der Literatur und in Alltagserfahrungen, wie in Krankheit oder im Krieg, gibt es viele Beispiele von Menschen, die für lange Zeit verstummen. Sie machen sich noch die Mühe des Überlebens, aber sie sagen kein Wort mehr. Aber ihr bloßes verstummtes Dasein spricht, hat Bedeutungen…

5.
Schweigen spricht: Das heißt: Die Haltung des Schweigens wird von anderen nicht nur wahrgenommen, sondern gedeutet, etwa: bedauert oder als Arroganz zurückgewiesen. Schweigen ist für den Schweigenden immer ein Tun des Sich – Äußerns. Schweigen ist eine Äußerung ohne Worte. Der Schweigende schreibt noch, er geht spazieren, er pflegt seinen Garten, er meditiert..

6.
Beide Möglichkeiten des Sich-Äüßerns, das verbale Sprechen wie das Schweigen, sind immer mehrdeutig: Der verbal Sprechende kann Lügen verbreiten, der Schweigende kann die Haltung seines schweigsamen Erschüttertseins nur vorspielen. Der viel Redende kann viel Unsinn sprechen. Der in Gesprächsrunden nur dasitzende Schweigende kann Nachdenklichkeit oder intellektuelle Überlegenheit nur vortäuschen. Das „authentische“ verbale Sprechen und Schweigen zeigt sich als solches erst im Rückblick. Kommunikation ist immer ein Risiko der Wahrheit.

7.
Schweigen bleibt also eine Form des Sprechens, also des Sich – Äußerns, und es steht auf einer Ebene mit dem verbalen Sprechen. Verbales Sprechen und Schweigen sind gleich viel wert.

8.
Und vor allem: Verbales Sprechen und Schweigen sind miteinander verbunden. Schweigen hat seinen Ort in der Stille, in der Ruhe, in der Einsamkeit.
Deswegen wird im Schweigen reflektiert, nicht nur über das eigene Leben und die Welt im ganzen, sondern auch über die Qualität der sprachlichen Rede, der eigenen wie der Rede der anderen.

9.
Schweigen im zeitlich begrenzten Rückzug in die Stille macht die dann folgende eigene Rede erst wertvoll. Um über das Wetter zu plaudern, braucht es nicht den Rückzug in die Stille des Schweigens. Wer aber sich selbst mitteilen will, wer versucht, Aspekte der Welterfahrung oder der Kunst oder des Lebens und Liebens auszusagen, muss vorher die Stille des Schweigens erlebt haben. Gibt es noch ein Gespür dafür, dass sich einige Menschen, Dichter, Künstler, Philosophen, Mystiker, Musiker, “aus der Erfahrung des Schweigens” äußern, sprechen?

10.
Die permanenten verbalen Äußerungen von Politikern zu „allem Möglichen“ werden deswegen so schnell vergessen, weil sie eher der Welt des Geredes als der Welt der reflektierten Argumente angehören. Demokratische Politiker plaudern zu viel und erklären zu wenig die Bedingungen des Lebens in der Demokratie. Rechtsextreme Politiker und Diktatoren lügen permanent, finden aber Dumme, die den Blödsinn glauben.
Viele der ständigen Talkshows sind oft nur Shows von Journalisten und Politikern, denen es eher um ihr Ego und ihre Karriere geht als um die Erschließung von Wahrheiten, auch von unbequemen Wahrheiten. Diese werden aus taktischen Gründen der Karriere oft verschwiegen.

11.
Ein philosophischer Vorschlag: Es sollte überhaupt nicht als peinlich gelten, wenn sich TeilnehmerInnen von Gesprächsrunden Momente des Schweigens erlauben. Also Momente, in denen möglicherweise besser nachgedacht werden kann als in dem permanenten Gerede und polemischen Aufeinander-Einreden.
Das gemeinsame Schweigen sollte jeder und jede aushalten und als Chance wahrnehmen, wieder ins eigene kritische Denken zu finden. Nichts ist störender, wenn einzelne die Stille der Pause durch verlegenes Gequatsche überbrücken wollen.

12.
Schweigeminuten, von Regierungen manchmal verordnet, heißen oft auch „Gedenkminuten“. Die Verbundenheit von Schweigen und Denken wird da einmal mehr betont, wenn auch diese offiziellen Schweigeminuten meist nur oberflächlich als „Pflichtübungen“ hingenommen werden.

13.
Aber es ist für eine Philosophie als Form der Lebensgestaltung alles andere als oberflächlich oder sogar albern, auch „Schweigeminuten“ als spirituelle Praxis den einzelnen anzuempfehlen. Aus fünf Minuten Schweigen kann dann auch eine Viertelstunde werden, in denen der einzelne in Stille dasitzt und schweigt, die vielen Gedanken vertreibt und vielleicht nur einen wichtigen Gedanken bedenkt, etwa als Beitrag für ein künftiges Gespräch.
Ohne konkrete Vorschläge bleibt alles Philosophieren als Lebenshaltung abstrakt…Ganz andere Vorschläge sind aber für Menschen notwendig, die lange Zeit allein leben und oft tagelang mit niemandem sprechen können. Wir leben in einer Gesellschaft, in der die einen permanent reden, um nicht zu sagen quatschen (vor allem über die so genannten sozialen Netzwerke) und viele andere, die ins Verstummen abgedrängt sind, die Alten, die Kranken, die Flüchtlinge in ihren Notunterkünften….

14.
Schweigt Gott?

Diese Frage sollte in einem „religionsphilosophischen Salon“ nicht fehlen. Eine schwierige Frage. Wir meinen: Gott als Gott, also der Ewige, der Absolute, wie auch immer man die klassischen Gottes -„Namen“ wählt, kann gar nicht sprechen und auch nicht schweigen. Er ist weder ein Ding noch ein Mensch. Einige fromme Menschen fühlten sich aber berufen, ihre religiöse Lebenserfahrung in Büchern, Bibel, Koran, niederzuschreiben und diese ihre Texte dann als Gottes Wort auszugeben.
Aber es kann gar nicht Gott als Gott sein, der da in diesen Büchern, in diesen Texten spricht. Es sind religiöse Menschen, die da ihre immer diskutablen religiösen oder moralischen Überzeugungen mitteilen. Und ihre Äußerungen für Gottes Wort halten und so “verkaufen”. Die Macht des Klerus in allen Religionen bedient sich dieser Behauptung, “Gottes Wort” als solches zu besitzen. So entsteht in allen Religionen gewalttätiger Fundamentalismus.

15.
Wenn überhaupt eine „absolute“, eine von Menschen nicht manipulierbare Wirklichkeit  wahrnehmbar ist im Leben, also „spricht“, dann nur im Gewissen eines jeden. Dort zeigt sich ein absoluter Anruf, der vom Menschen nur mit innerer Gewalt „abzuschalten“ ist.

Was hört da jeder Mensch?: „Handle so, dass die Maxime deines Handelns auch allgemeines Gesetz für alle Menschen werden kann.“
Diese einfache , schwache „Sprache“ eines Absoluten im Gewissen ist machtlos, sie überlässt sich der freien Antwort der Menschen. Und die Menschen überhören oft diese „Sprache“, ziehen das alltägliche Gerede und Geplapper vor – so meinen sie, ihren Egoismus als Grundoption ihres Lebens am besten kaschieren zu können. Das Gewissen verstummt dann irgendwann und die Unvernunft beginnt ihre – auch politische – Herrschaft.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

Die Herrschaft von Wahn und Aberglaube in einem polnischen (schlesischen) “Heil-Ort”

Über den Roman “EMPUSION” von Olga Tokarczuk.  Von ihr eine „Schauergeschichte“ genannt.

Ein Hinweis von Christian Modehn und Hartmut Wiebus am 4.Okt. 2023

1.
Der neue Roman Olga Tokarczuks (Nobelpreis für Literatur 2018) hat den Titel „Empusion“, ein Wort, das sich auf Empusia bezieht, eine weibliche Spukgestalt der griechischen Mythologie und auf Symposion, also das Treffen der alten Griechen zum Umtrunk. Der Untertitel des Buches: „Eine natur(un)heilkundliche Schauergeschichte“.

2.
Dass „Schauergeschichte“ hier nicht im Sinne eines „Gruselromans“ zu verstehen ist, muss wohl nicht betont werden. Es ist ein Roman, der – vor dem 1. Weltkrieg – in dem schlesischen Lungen-Heil-Ort Görbersdorf angesiedelt ist. Dort wird eine Clique alter kranker, ewig parlierender Männer vorführt: So wurden bei manchen Kritikern Assoziationen geweckt an Thomas Manns „Zauberberg“. Aber diese Verbindung muss man nicht vertiefen, sie ist überhaupt nicht zentral.

3.
Entscheidend ist es wahrzunehmen, dass in diesem Lungen-Heil-Dorf das Unheil anwesend ist und zwar gewalttätig. Da gibt es einerseits die uralte, zwanghafte auch religiös gefärbte Volkstradition der Dorfbewohner im Verbund mit den im Wald lebenden Köhlern: Immer im November einen Mann in den Wald zu entführen und ihn dort abzuschlachten. Das ist wie eine Art Selbstverständlichkeit! Dadurch soll offenbar der Natur ein Opfer dargebracht werden. Von diesem Wahn des Mordens und Opferns können sich die Bewohner nicht lösen. Sie sind zwanghaft besessen.

4.
Zwanghaft denken auch die älteren Männer, die im Sanatorium von ihrer Lungenheilkrankheit geheilt werden wollen. Sie sind auch geistig krank, total verdorben in ihrem immer wieder öffentlich in „geselliger Runde“ artikulierten Hass auf „die“ Frauen: Sie gelten als Geschöpfe zweiter Klasse, zu Hilfsdiensten bestenfalls geeignet und als Gebärende und Hausfrauen wichtig … und als „Nutten“. Die übelsten Beschimpfungen auf Frauen werden von diesen kranken Männern geäußert in den Stunden der Langeweile, die sich immer mit mehreren Gläsern Schnaps versorgen. Und der Schnaps hat den bezeichnenden Titel „Schwärmerei“, so werden die Schleusen des Unbewussten geöffnet, es wird tiefsitzende, kulturelle Schmutz, den Frauenhass, herausgespült. Die Herren beginnen zu „schwärmen“ und geistig wegzuschweben… Und keiner wehrt sich dagegen oder hat gar ein schlechtes Gewissen.

5.
In dieser Gesellschaft, beherrscht von einem doppelten Wahn (Tötungsritual und Frauenhass), ist die Hauptperson der junge polnische Student Mieczyslaw Wojnicz. Er leidet nicht nur unter Lungenbeschwerden, er fühlt sich total ausgegrenzt, weil sein männlich wirkender Körper bei näherer Betrachtung (also nackt) weibliche Geschlechts-Identitäten aufweist. Diesen besonderen, eher seltenen Status seines Körpers kann der junge Student überhaupt nicht akzeptieren, er schämt sich und ist dabei verzweifelt. Erst der psychoanalytisch gebildete Arzt in der dortigen Klinik hilft ihm, das eigenen Anderssein anzunehmen, nicht als Last irgendeiner Behinderung, sondern als normalen Ausdruck für die Vielfalt menschlichen Daseins. Auf Seite 341 finden sich großartige Worte des modernen Arztes mit dem bezeichnenden Namen „Doktor Semperweiss“. Es sei normal, dass es Menschen außerhalb der üblichen Schwarz-Weiss-Einteilungen gibt“, Menschen „in der Welt des Dazwischen“. Aber absolut gleichwertig!

6.
Der Doktor befreit den jungen Studenten von den falschen Ideen des „ausgegrenzten, kranken Anderen“, Wahn-Ideen, die die herrschende Gesellschaft ihm einimpfte. Und denen er bisher gehorsam folgte…
Aber Schlimmes muss der junge Mieczyslaw Wojnicz nach seiner seelischen Befreiung noch überstehen: Er wurde von den wahnsinnigen Dorfbewohnern im Verbund mit den Köhlern ausersehen, als November-Opfer abgeschlachtet zu werden. Nur eine Art Naturwunder rettet den jungen Mann, kurz vor der Tötung und Zerstücklung im Wald: Die mordenden Köhler, der Natur als Gewalt gegenüber gläubig, fliehen vom Ort ihrer Untat und lassen das überlebende Opfer zurück.

7.
Ins Gästehaus der Patienten zurückgekehrt, sucht sich der junge Mann neue Kleider: Er findet sie in den Schränken der verstorbenen Gattin des Gästehaus-Chefs (war es Tod durch Suizid oder Mord?). Er probiert also Schuhe, Wäsche, Kleider …. alles passt: Mieczyslaw Wojnicz kann sich auch äußerlich eine neue Identität zugelegten. Er ist von jetzt an Klara Opitz. Als Frau verlässt er/sie an Seele und Leib geheilt das Dorf des Unheils.

8.
Man sollte den Roman „Empusion“ lesen als Plädoyer für die Rechte der sexuellen Diversität. Und das ist zumal im heutigen Polen alles andere als selbstverständlich, bei der reaktionären, katholisch-nationalistisch geprägten PIS-Regierung gilt nur das Gesetz: entweder Mann oder Frau, selbst Homosexuelle haben in diesem verrückten System der polnischen PIS Leute keinen Platz. Und dieses Polen gehört zur EU, erhält Milliarden von der EU und kann inhumane Praktiken und Ideologien im eigenen Land verbreiten. Man bedenke, dass Polen das unerhörteste, rabiateste Anti-Abtreibungsgesetz der Welt hat. Die Pro-life Katholiken jubeln, etwa im Umfeld des reaktionär antisemitischen katholischen Medien-Imperiums Radio Maryja.
Wie viel Wahn hat der katholische Glaube etwa in Polen erzeugt: Die heilige Jungfrau Maria wird tausendfach verehrt, aber den Frauen in Not wird jede Hilfe und jede Selbstbestimmung verweigert. Was ist das für eine Kirche, was ist das für ein sich christlicher nennender Glaube? Wagt der Papst, diesen machtvollen Club polnischer PIS Katholiken öffentlich zu verurteilen? Dies ist uns nicht bekannt.

Olga Tokarczuk, Empusion. Eine natur(un)heilkundliche Schauergeschichte. Kampa Verlag, 383 Seiten,

Copyright: Christian Modehn und Hartmut Wiebus, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Franz Hengsbach, ehem. Bischof und Kardinal von Essen: Des sexuellen Missbrauchs angeklagt, ein Freund des Opus Dei und ein Feind der Befreiungstheologie…

Ein Hinweis von Christian Modehn am 20.9.2023 …. zu bis bisher ungenannten Aspekten des so genannten „Oberhirten“. Zu den zahlreichen Beiträgen über den sexuellen Missbrauch durch Bischof Hengsbach:  LINK.

Immerhin: Die (äußerst kitschige) Statue an der Essener Münsterkirche, die Kardinal Hengsbach als Kleriker in voller Montur darstellt, soll nun (Stand 24.9.2023) entfernt werden, an der Stelle soll ein Gedenkort an die Opfer sexueller Gewalt entstehen.    LINK

Ist diese Aktion ein Vorbild für andere Kirchen  (etwa in Berlin), die sich etwa nach Kaiser Wilhelm nennen, einem ungleich noch häßlicheren Verächter der Menschlichkeit, um es milde auszudrücken…  Zur Statue: LINK:

Man darf gespannt sein, wie das “Opus Dei”, diese katholische Geheimorganisation, auf den “Fall Hengsbach” und dessen nun offizielle kirchenamtliche Degradierung reagiert, war Hengsbach doch spätestens seit Beginn der 1970 Jahre wenn nicht sogar Mitglied, so doch engstens verbunden mit diesem so genannten “Werk Gottes”. Und gestaltete in dessen Sinne auch “Adveniat”. (Siehe Fußnote 2).

1.
Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie ist immer Religionskritik und Kirchenkritik. Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie also im Sinne der Philosophie der Aufklärung kann in aller Freiheit, im Unterschied zu katholisch gebundenen, von Angst vor „oben“ bestimmten Medien, umfassendere Informationen bieten. (Einige biographische Hinweise zu Franz Hengsbach und seiner steilen Karriere im Klerus siehe Fußnote 1)

2.
Umfassender als bisher müssen jetzt Fakten zum „Fall Erzbischof und Kardinal Franz Hengsbach“ genannt werden.

3.
Leider ist der Eintrag zu Bischof Franz Hengsbach in wikipedia sehr oberflächlich, es wird dessen umfassende Tätigkeit für das katholische Hilfswerk ADVENIAT zugunsten Lateinamerikas und sein Kampf gegen die lateinamerikanische Befreiungstheologie sowie seine explizite Freundschaft mit der katholischen Geheimorganisation OPUS DEI völlig verschwiegen LINK , gelesen am 20.9.2023 um 13.40 Uhr).

3.
Der Chefredakteur des katholischen „Dom Radio“ (Köln) Ingo Brüggenjürgen behauptet in seinem Kommentar vom 19.9.2023: „Hengsbach habe in zahlreichen Ämtern segensreich gewirkt – das ist unbestritten“. Und in “Christ und Welt” (Beilage “Die Zeit”) wird am 21.9.2023 sogar vom Chefredakteur von “Christ und Welt” behauptet, Bischof Hengsbach sei “links gewesen”. Als Opus-Dei Freund/Mitglied und Feind der Befreiungstheologie war er faktisch alles andere als links …. so werden in angesehenen Medien Unwahrheiten verbreitet…Und diese Falschmeldung noch nicht einmal korrigiert…

4.
Die Wahrheit ist: Hengsbach hat überhaupt nicht immer „segensreich“ gewirkt. Nicht nur der jetzt langsam von der Kirchenführung eingestandene Missbrauch des Bischofs Hengsbach (1953 wurde er Weihbischof in Paderborn, 1958 dann Bischof des neugegründeten Bistums Essen) ist alles andere als „segensreich“.

5.
Man denke an die Protektion Hengsbach für Missbrauchstäter im eigenen Umfeld: Etwa für den Prälaten Emil Stehle, er war von 1977 – 1988 als Geschäftsführer von ADVENIAT in Essen, ein sehr enger Vertrauter von Bischof Hengsbach. Wikipedia schreibt über Emil Stehle: „Stehle habe in mehreren Fällen durch Namenscodierungen, Tarnadressen und Unterhaltshilfen dafür gesorgt, dass wegen Sexualdelikten in Deutschland angeklagte Priester verdeckt in Lateinamerika bleiben konnten. Zudem habe Stehle selbst häufig vor allem jüngere, zum Teil noch minderjährige Mitarbeiterinnen sexuell bedrängt, oft unter Zuhilfenahme von Alkohol und im Schutz der selbstverständlichen Annahme, dass sein priesterlicher Stand und seine Position ihn ungestraft handeln lassen würden“  LINK,  gelesen am 20.9.2023 um 13.55 Uhr).

6.
Auch der Priester Peter Hullermann, des sexuellen Missbrauchs überführt, arbeitete bis 1980 als Priester im Bistum Essen, bevor in das von Joseph Ratzinger geleitete Erzbistum München übersiedelte und dort weiter seinen „Neigungen“ nachgehen durfte. LINK

7.
Erzbischof und Kardinal Hengsbach: Ein verlogener Typ also, ein klerikaler Karrierist. Das ist sehr unangenehm für die Kirche, in der Hengsbach alle Stufen der Kleriker- Karriere erfolgreich bewältigte und der als ein Intimus von Papst Johannes Paul II. galt. Und dieser hatte bekanntlich viel Sympathie und Zuneigung für klerikale Missbrauchstäter, man denke an die Hochschätzung des Papstes für den Gründer des Ordens Legionäre Christi, Pater Marcial Maciel. Diesen Verbrecher nannte der Papst öffentlich einen „Freund und Vorbild der Jugend“…

8.
Katholische Medienleute sollten sich die Mühe machen, und einige Seiten der Studie „Glaubenswächter“ von Peter Hertel lesen, das wichtige Buch ist im katholischen Verlag ECHTER in Würzburg im Jahr 2000 erschienen. Antiquarisch kann diese unersetzliche Dokumentation immer noch erworben werden…
Im Hengsbach – Bistum Essen fand 1968 ein Katholikentag statt, bei dem sich eine katholische Opposition gegen die Enzyklika „Humane Vitae“ laut stark bemerkbar machte und die katholische Einheit mit der CDU gestört wurde. Seit dem Katholikentag 1968 und einer dort sichtbaren linken katholischen Präsenz ist Hengsbach auf die Seite der konservativen und reaktionären Bischöfe gegangen, ein Schritt, der ihm große Karriere einbrachte.

9.
Als Chef des katholischen Lateinamerika Hilfswerkes ADVENIAT„blies Hengsbach 1972 im römischen Zentrum der Opus-Dei-Priester zum Kampf gegen die lateinamerikanische Theologie der Befreiung“ (Peter Hertel, S. 36): „Der Oberhirte Hengsbach identifizierte Befreiung mit geistiger Emanzipation und attackierte dann beides. Diese Ideen seien gescheitert, da sie im Namen der Freiheit Böses taten… Marxistische und liberalistische Ideologen werden keine bessere Zukunft und keine wahre Befreiung des Menschen bringen“ (Peter Hertel S. 37). Diese Gleichsetzung von Marxismus und Liberalismus war eine zentrale politische Idee des polnischen Papstes, er verachtete beide, also auch die Demokratie…
Der Hengsbach Vortrag ist 1973, passend zur Opus – Dei – Connection, im Adamas Verlag des Opus Dei in Köln erschienen. Es waren die Jahre, in denen Hengsbach sehr eng mit dem Kölner Kardinal Joseph Höffner zusammenarbeitete (S. 38), auch hinsichtlich der Gründung der konservativen theologischen Fachzeitschrift COMMUNIO (später das Lieblingsblatt des Joseph Ratzinger. )

10.
Der Kampf gegen die Befreiungstheologie, angeführt durch Bischof Hengsbach, sammelte sich dann in dem von ihm mit begründeten internationalen, extrem konservativen Studienkreises „Kirche und Befreiung“ im Jahr 1974. Von Bischof Franz Hengsbach ist das skandalöse Wort überliefert: „Die sogenannte Theologie der Befreiung führt ins Nichts. In ihrer Konsequenz liegt der Kommunismus…“ (KNA, 13.5.1977). Papst Johannes Paul II. glaubte an diese Einschätzung! ( Zum “Studienkreis Kirche und Befreiung”  und der führenden Rolle Bischof Hengsbachs dabei, siehe den Beitrag des kath. Theologen Norbert Greinacher “Wie es zum Konflikt um die Theologie der Befreiung kam”, in: „Konflikt um die Theologie der Befreiung“, Benziger Verlag 1985, Seite 51 – 61).

11.
Von diesem Hengsbach – Verein aus ergaben sich enge Verbindungen für den Essener Bischof mit hohen, ultra-reaktionären lateinamerikanischen Klerikern, wie etwa Erzbischof Alfonso Lopez Trujillo oder Bischof Dario Castrillon Hoyos. Kardinal Lopez Trujillo war einer der heftigsten Feinde gegen die Gleichberechtigung von Homosexuellen, er selbst war aber ständiger „Kunde“ von Strichern in Medellin wie später dann in Rom, das hat der Soziologe Frédéric Martel in seiner Studie„Sodom“ dokumentiert. Link

12.
Über den unerfreulichen Einfluss Hengsbach auf progressive katholische Kreise schreibt der progressive brasilianische Kardinal Aloisio Lorscheider in seinem Buch: „Lasst euer Licht leuchten“, erschienen in der edition ITP-Kompass, Münster: „Wir wussten, dass von Deutschland aus, vor allem von ADVENIAT, Druck gegen die Befreiungstheologie aufgebaut wurde. Das ging sogar so weit, dass der Erzbischof und spätere Kardinal Hengsbach aus Essen, dem Sitz von Adveniat, eine ganze Studienreihe mit diversen Büchern und Publikationen gegen die Befreiungstheologie organisierte. Einige Bischöfe Lateinamerikas standen auf seiner Seite. Es gab dann in Deutschland eine REGELRECHTE VERSCHWÖRUNGSWELLE, ausgehend von der Gruppe um Hengsbach. Sie verfügten über viel Geld…“

13.
Bischof Hengsbach, Chef eines Hilfswerkes für die Armen in Lateinamerika, Adveniat genannt, empfing 1974 die Ehrendoktorwürde der Opus Dei-Universität von Pamplona, Spanien. UND: Vom Diktator Hugo Banzer in Bolivien (August 1971 – Juli 1978) erhielt Bischof Hengsbach im Mai 1977 in Bolivien eine sehr hohe staatliche Auszeichnung. Bekanntlich war der deutsche Naziverbrecher Klaus Barbie ein Mitarbeiter von Banzer in Bolivien. Wusste Bischof Hengsbach von diesen Verbindungen “Banzer und die Nazis”?

Quellenangabe: Im Mai 1977 wurde Bischof Franz Hengsbach in Bolivien von Banzer, dem Diktator Boliviens, der höchste Verdienstorden “Condor der Anden” verliehen, berichtet der katholische Theooge Norbert Greinacher in seinem Buch “Die Kirche der Armen”, Piper Verlag 1980, S. 158f. Über die Verfolgung kritischer Christen unter der Diktatur Hugo Banzers in Bolivien hat Enrique Dussel in seiner Studie “Die Geschichte der Kirche in Lateinamerika” etliche Beispiele genannt  (Mainz 1989, S. 390). “Landarbeiter und und Kleinbauern werden im Tal von Cochabamba am 25. Januar 1973 niedergemetzelt”, erstes prominentes Opfer der Repression wurde Pater Mauricio Lefevre, Profesor der Nationaluniversität , er wurde am 23.Oktober 1971 ermordet. Der päpstliche Nuntius in Bolivien Giovanni Gravelli zur Zeit der Banzer – Diktatur betonte: “Die Beziehungen zwischen Kirche und Staat sind herzlich”…

Wann wird eine umfassende Studie von unabhängigen Historikern über “Bischof Hengsbach und ADVENIAT” erscheinen?

14.
Kardinal Hengsbach ist wohl der erste Kardinal, der als Missbrauchstäter gelten könnte, wie einige Medien sicher treffend schreiben.Aber das ist die Sensation: Ein Opus – Dei – Freund als Missbrauchstäter – wie wird das Opus Dei reagieren, die Lieblingsorganisation von Hengsbach?

15.
Franz Hengsbach, Bischof, Erzbischof, Kardinal, sehr einflussreicher Bischof in Deutschland und auch in Lateinamerika, ein Mann, der über viel Geld verfügte (im Rahmen des Hilfswerkes Adveniat), Freund der Päpste und Mitglied der katholischen Studentenverbindungen, Autor einer theologischen Dissertation mit dem Titel: „Das Wesen der Verkündigung – Eine homiletische Untersuchung auf paulinischer Grundlage“…
Dieser hohe Kleriker führte nun, nachgewiesen, ein Doppelleben. Wem war es bekannt? Wer hat ihn gedeckt und geschützt? Und warum wohl wurde er so protegiert in der konservativen katholischen Kirchenführung?

Fußnote 1:

Franz Hengsbach war von 1958 bis 1991 Bischof von Essen, zuvor war er seit 1953 Weihbischof in Paderborn. Er wurde 1910 geboren, gestorben ist er 1991.
In Essen wurde er in manchen frommen Kreisen fast wie ein Heiliger verehrt. Es gibt eine Statue von ihm am Essener Dom, Straßen und Plätze und kirchliche Zentren wurden nach ihm benannt.
„Ihr werdet meine Zeugen sein“, ist das Motto – ein Wort Jesu von Nazareth – aus neutestamentlichen Text „Apostelgeschichte”, das sich Hengsbach als sein Motto als Kardinal wählte. Jetzt treten endlich Zeugen öffentlich auf, die ihn anklagen. Jesus kommt später noch … (himmlisch?). Es gibt auch Zeugen für das alles andere als befreiende Engagement Hengsbachs für Lateinamerika — als Chef von Adveniat.

Fußnote 2:

In dem Buch “Kirche und Befreiung” (Pattloch Verlag, 1975), bemüht sich Bischof Hengsbach durch allerlei Zitate aus Konzilsdokumenten nachzuweisen: “Wer meint, im Namen Christi sich darauf beschränken zu können, die äußeren (gemeint sind die politisch-sozialen, CM) Verhältnisse zu ändern, tut sicherlich zu wenig, ja er tut etwas Falsches” (S. 26). Gemeint sind von Hengsbach die Befreiungstheologen in Lateinamerika, die sich angeblich vor allem um soziale und politische Veränderungen kümmern und angeblich nicht die “Innerlichkeit”, also die “innere Erlösung durch Christus” an erste Stelle setzen. Dass diese befreiungstheologischen Katholiken in Lateinamerika sich von rechtsextremen katholischen Militärs in Lateinamerika foltern und erschießen liessen, im Namen ihrer “Innerlichkeit”, ihres tiefen Glaubens, übersieht der reaktionäre Bischof Hengsbach natürlich…Dass es “Christenverfolgung in Lateinamerika” durch rechtsradikale katholische Militärs gab, war Bischof Hengbach als Chef des Lateinamerika – Hilfswerkes ADVENIAT offenbar unbekannt? … Vielleicht haben die dummen ideologischen Reflexionen Hengsbach zur Befreiungstheologie dann in Lateinamerika auch zu Verfolgung und den Mord an Befreiungschristen motiviert…

Dieser Text Hengsbach ist ein Stück üblicher, ideologischer und klassischer Innerlichkeitstheologie, der Text endet, wie sollte man sich wundern, mit einem lobenden Hinweis auf das Opus Dei und dessen Gründer, “Msgr Josémaria Escrivá ” (S. 28). Hengsbach meint, dieser Geheimclub leiste “einen Dienst an der Welt” (S. 28). Bloß welchen Dienst, für wen und in wessen Auftrag?

Wird Adveniat jemals die Kraft finden, von selbst, durch eine unabhängige Historiker – Kommission geleitet, die Verbindung Hengsbach – Opus – Dei und Kampf gegen die Befreiungstheologie bzw. die Basisgemeinden zu dokumentieren?

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

 

Die Welt-„Synode“ im Vatikan: Eine große Illusion… und Frustration!

Dieser Hinweis, verfasst von Christian Modehn, Berlin, Initiator des Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin, wurde am 3. Oktober 2023 veröffentlicht.

Ein Hinweis von Christian Modehn vom 17.9.2023 zum gleichen Thema wird gekürzt unten zur Lektüre noch einmal angeboten.

Ein Foto der Klerus-Versammlung zur Eröffnung der “Synode”: LINK

Ein Motto von Thomas Piketty, Ökonom und Soziologe: “Jedes Regime neigt dazu, die Prinzipien, die ihm dienen, möglichst unreformierbar zu machen und jeden Versuch, sie in Frage zu stellen, als illegal zu brandmarken” (“Eine kurze Geschichte der Gleichheit”, München 2022, Seite 126).

1.
Über die „Katholische Weltsynode“ im Vatikan vom 4. bis 29. Oktober 2023 ist schon von kritischen Beobachtern alles gesagt: Die Synode gibt sich nur den Anschein einer demokratischen Veranstaltung, das meint doch der jetzt übliche Begriff von Synode. Presseleute und damit die Öffentlichkeit ist während der Debatten nicht zugelassen. Eine geheime Veranstaltung. Diese so genannte Synode ist ein Treffen des führenden Klerus aus aller Welt. Die Laien, zumal die Frauen, sind in der absoluten Minderheit. Vor allem: Die Beschlüsse der Synodalen sind nichts als Bittgesuche an den Papst. Er allein als Chef der absoluten Papst-Monarchie kann alle noch so guten Reformbeschlüsse verwerfen und ablehnen oder ad aeternum verschieben, so geschehen nach den richtigen Beschlüssen der so genannten „Amazonas-Synode“ 2019.

Zu den Debatten der Synode sind Journalisten ausgeschlossen,  die Mitglieder müssen sich zum Stillschweigen verpflichten? Diese Weltsynode im Oktober 2023 ist also eine Veranstaltung, die Angst vor der Öffentlichkeit hat, und das passt gut zu all den üblichen bekannten Verschleierungen und Vertuschungen des Klerus. LINK

Kann die katholische Kirche ernst genommen werden, wenn sie sich nun selbst etwas um demokratischen, synodalen Anschein bemüht und sowieso nach außen als Verteidigerin der Menschenrechte auftritt? LINK
2.
Das vom Klerus ständig wiederholte, aber vernünftig nicht nachvollziehbare Standardargument heißt: Man müsse bei allen Reform-Entscheidungen doch die ganze Weltkirche Kirche mit ihren 1,5 Milliarden Mitgliedern respektieren. So wird dieser Hinweis auf die  komplexe und multikulturelle Welt-Kirche zu einer Art Universalentschuldigung alle Reformbeschlüsse vom Tisch zu fegen.
3
Aber sind Katholiken in Sri Lanka oder Paraguay wirklich so empört, wenn Katholiken in Deutschland einen anderen Ausdruck des Glaubens leben wollen, … weil sie eben in Deutschland und nicht in Sri Lanka oder Paraguay leben und – ohne Wertung ! – einen anderen kulturellen Horizont hochschätzen auch in ihrem Glauben als Europäer des 21. Jahrhunderts? Warum muss der bekannte Hass auch der katholischen Bischöfe Ugandas auf Homosexuelle mehr Beachtung finden als der Wunsch europäischer Katholiken für Segnungen homosexueller Paare? Warum werden in Rom und von den Bischöfen reaktionäre Positionen immer höher bewertet und eifriger respektiert als progressive Vorschläge? Ein Jammer, über den weiter nachzudenken eigentlich verlorene Zeit ist. Aber Religionskritik der Vernunft am undemokratischen Katholizismus ist nun mal eine Art Sisyphusarbeit, der man sich aber bald entledigen sollte. Sollen die Kleriker doch machen was sie wollen… Der Philosoph Voltaire, alles andere als ein Atheist!, sagte bezogen auf das damalige Kirchensystem im 18. Jahrhundert vor der Revolution: „écrasez l infame“…Man vergesse nicht: Die Kirche ist nicht nur seit ca 15 Jahren durch die Freilegung sexuellen Missbrauchs durch Kleriker in einer tiefen Krise, sondern schon seit Jahrhunderten gibt es diesen sexuellen Missbrauch. LINK:
4.
Der Papst und die Seinen verwenden die Ideologie der “Einheit der Kirche“ nur, um alles beim alten zu lassen, also die Kleruskirche unverändert fortzusetzen inclusive der nicht mehr nachvollziehbaren, überhaupt nicht mehr glaub—würdigen Dogmen. Diese sind längst als politische bedingte Ideologien von einst enthüllt, wie das furchtbare Erbsündendogma, die absurde Trinitätsdogmatik, die Unfehlbarkeit des Papstes, die Unbefleckte Empfängnis, die Aufnahme Marias in den Himmel, die Lehre „außerhalb der römischen Kirche kein Heil usw. usw… Hinzukommt: Die nur noch floskelhafte, erstarrte und nicht mehr verständliche Sprache der Spätantike in den Messen bis heute… : „Der Herr sei mit euch“, „Himmel und Erde sind erfüllt von deiner Herrlichkeit“, Jesus wurde „gezeugt, nicht geschaffen“ so das Glaubensbekenntnis , oder: „Lamm Gottes, du nimmst hinweg die Sünden der Welt“ usw…)
5.
Dabei könnte der Papst aufgrund seiner als Dogma sogar formulierten Macht sofort, innerhalb weniger Minuten, das Zölibatsgesetz für die Priester aufheben, er könnte sofort die Segnung homosexueller Paare erlauben. (Nebenbei: Dabei wäre nur die Homo-Ehe und die Ehe-Zermonie in einer Kirche für homosexuelle Paare die eigentliche heute übliche Form. „Segnungen von Homo-Paaren“ steht auf einem Niveau wie die seit langem übliche Segnung von Tieren oder Autos oder Waffen…
6.
Weiter:
Der Papst könnte sofort das gemeinsame Abendmahl mit Protestanten gestatten.
Weiter: Der Papst könnte sofort Frauen wenigstens als Diakoninnen eine offizielle Funktion gestatten. Nichts spricht theologisch dagegen, dass Frauen auch römisch-katholische Priesterinnen werden können. Mit dem versteinerten und verkalkten Ausschluss von Frauen von allem „Heiligen“ in der Sicht der offiziellen Theologie werden Frauen tatsächlich zu Menschen zweiter Klasse, mit schlimmen Folgen: Man bedenke die Gewalt gegen Frauen in den katholischen Ländern Lateinamerikas, die Femizide auch in katholischen Ländern, die Maria als prächtige Himmelskönigin (Göttin?) hochpreisen, aber reale Frauen verachten und ihnen Funktionen des „Heiligen“ (Priesterinnen) verwehren. Diese Zusammenhänge sollte man endlich genauer untersuchen. Stichwort: Die Liebe zur imaginären Maria und der Hass auf Frauen in der Macho-Welt Lateinamerikas.
7.
Diese Themen sind im Vatikan tabu. Stattdessen wird viel Zeit und viele Energie und viel Geld (die Flugkosten ! bezahlen wahrscheinlich die spendefreudigen Laien) in endlose Debatten im Vatikan verschleudert, alles mit der hübschen, immer permanent beschwichtigend vorgetragenen Begründung: „Es ist doch wichtig, dass so viele Kleriker einander zuzuhören“, unverbindlich zuzuhören, natürlich. Als könnte man nicht einander auch unverbindlich zuhören über das Internet usw…
8.
Aber das Wichtigste ist: Diese groß aufgebauschte Synode (man freue sich schon auf die prächtigen Bilder all der prächtigen Herren Bischöfe und Kardinäle beim feierlichen Einzug in den Petersdom), diese Synode wird wohl vor allem von inner-katholischen theologischen Problemen sprechen.
9.
Nicht etwa wird über die wirklich absolut drängenden Fragen der Menschheit gesprochen: Etwa: Was können alle katholischen Bistümer und alle Ordenshäuser für die Abwendung der Klimakatastrophe sofort tun? Was tun sie für eine gerechtere Gesellschaft, für die Umverteilung des Reichtums und die mögliche Begrenzung des Eigentums der Milliardäre, was tun sie in ihrer gemeinsamen Kritik am westlichen Neoliberalismus und deren ökonomisch-politischen Herrscher? Was tun sie für die Ausbildung möglichst vieler Katholiken zu Aktivisten des Friedens weltweit. Es müßte also auch um eine globale kritische politische Analyse gehen. Und die Rolle der Kirche dabei: Die stinkend reichen katholischen Kirchen des Nordens und die armen Kirchen im Süden, sind diese Verhältnisse etwa vorbildlich?
10.
Aber nein: Die Herren Kleriker und der „Heilige Vater“ (was für ein Wort, „Einer ist heilig, nämlich Gott“, sagt kein Geringerer als Jesus) diese Herren der Kirche also debattieren mit einigen wenigen erwählten Laien über Kirchenreförmchen, die dann vom Papst sowieso nicht akzeptiert werden.
11.
Man sollte Psychologen fragen, warum es immer noch so viele Laien auch Deutschland gibt, die sich das alles antun, dieses Ja zur Unterlegenheit in einer Herrschaftskirche, in einer Kirche, die sich ja auf Jesus bezieht, obwohl der gar keine Kirche wollte und keine gründete. Aber dieser Jesus lehrte als Weisheitslehrer genau das Gegenteil von dem, was heute und seit 1.900 Jahren Praxis der römischen Kirche ist: Herrschaft, die sich jetzt etwas freundlich, ein ganz klein Bißchen liberal, etwas großzügig zeigt: Ist es nicht toll: 45 Laien als SynodenteilnehmerInnen bei ca. 320 Klerikern. Und auch diese 45 Laien mussten sicher geloben, nichts zu verraten, was die Herren in der so genannten Synode da so alles geheim beraten…
„Was für ein Zirkus“, schrieb mir gerade ein theologischer Freund aus Rom…

Ich habe ihm geantwortet: “Es gibt auch eine einfache, eine vernünftige nicht klerikale Form eines christlichen Glaubens. Kant hat da seine Vorschläge, die nach wie vor aktuell und hilfreich sind.  LINK

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin. www.religionsphilosophischer-salon.de

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Der gekürzte Hinweis von Christian Modehn zum gleichen Thema vom 17.9.2023:

Ca. 1,5 Milliarden Menschen nennen sich Mitglieder dieser Kirche, etwa 99 Prozent von ihnen sind Frauen und Männer, also so genannte Laien, in der Klerus-Sprache „das gläubige Volk“… Der Papst hat – welche Sensation ! – etwa 45 Laien als stimmberechtigte Mitglieder dieser Synode ausgewählt, alle anderen sind als Kleriker eng und gehorsam und als Kleriker meist ängstlich mit dem Papst verbunden: Es sind 275 Bischöfe und 50 weitere männliche Kleriker… Von einer repräsentativen Veranstaltung kann also keine Rede sein, einer Synode, die wirklich die Mitgliederverhältnisse der Organisation katholische Kirche spiegelt…
Die anwesenden theologischen Expertinnen und Experten dürfen nicht abstimmen.

Auf die Ergebnislosigkeit und deswegen auch Sinnlosigkeit dieser so genannten „Synode“ weisen kompetente Theologen und Kirchenhistoriker jetzt vermehrt hin. Etwa Prof.Hubert Wolf, Kirchenhistoriker an der Uni Münster. In einem Interview, im katholischen Dom Radio zu Köln am 16.9. 2023 publiziert, sagte Prof. Wolf u.a.: „Behauptet wird jetzt, dass Laien und sogar Frauen bei der Weltbischofssynode etwas entscheiden können. Das ist vollkommen falsch. Tatsächlich können sie den absolutistischen Herrscher nur demütig bitten, irgendetwas zu ändern. Es gibt noch nicht mal eine Tagesordnung…. Papst Franziskus kommt nicht aus einer europäischen, synodalen Tradition. Sein ganzer Regierungsstil zeigt: Er hält sich nicht an Regeln.Das zeigt etwa der Fall Woelki, wo der Papst laut Kirchenrecht innerhalb von drei Monaten über das Rücktrittsgesuch des Kölner Kardinals hätte entscheiden müssen.“
So sollte man mit guten Gründen denken, die Weltsynode hätte gar keinen Sinn. Aber vielleicht sorgt der heilige Pater Pio für ein Wunder oder vielleicht die heiligen Seherkinder von Fatima? Prof. Wolf meint richtig und theologisch ernüchtert: „Es braucht weder einen Synodalen Weg noch eine Weltbischofssynode. Das wird ein weiterer Debattierclub ohne rechtliche Vollmachten. Die großen Streitpunkte sind aus historischer Sicht längst geklärt… Es gibt in der Tradition verheiratete Priester – lasst uns sie also wieder zulassen. Es gibt in der Tradition Diakoninnen – lasst uns also wieder welche weihen. Es gibt in der Tradition alternative Leitungsmodelle für Gemeinde – lasst sie uns also praktizieren.
Meine Befürchtung ist: Nach der Weltbischofssynode wird es wieder viele Enttäuschungen geben.“
Quelle: https://www.domradio.de/artikel/historiker-nennt-synode-debattierclub-ohne-vollmachten.

Auch in „Christ und Welt,“, der Beilage von „Die Zeit“, am 14.9. 2023, Seite 4, befasst sich der Historiker, Prof. em. Volker Reinhardt, Fribourg (CH), mit dieser so genannten Weltsynode:
„Der Papst tut so, als gehe es in dem Gremium um Mitbestimmung. Dabei ist es eine pseudodemokratische Illusion“. Prof. Reinhardt dokumentiert genau die ablehende Haltung von Papst Franziskus gegenüber dieser „Synode“: Den „synodalen Weg“ in Deutschland etwa nannte er eine neue Art von Pelagianismus, also eine Ketzerei…
Demokratische Mitbestimmung wird absolut abgelehnt im Vatikan. „Denn sie verstößt gegen die himmlisch garantierte Grundordnung der Kirche….Vor allem: Inhaber unbeschränkter Gewalt geben diese nicht freiwillig ab“, so Prof. Reinhardt in dem genannten Beitrag.

Copyright: Christian Modehn Religionsphilosophischer Salon.de

 

 

 

Kann die katholische Kirche wirksam die Demokratie verteidigen?

Die 15. der „unerhörten Fragen“.
Von Christian Modehn, 11.9.2023.

Die unerhörte Frage heißt:
Kann die katholische Kirche überhaupt die Demokratie glaubwürdig verteidigen, weil diese Kirche sich selbst ausdrücklich als „nicht-demokratisch“ definiert?

Die kurze Antwort: Die katholische Kirche kann gar nicht glaubhaft und wirkungsvoll für Demokratie und demokratische Werte eintreten, weil sie selbst undemokratisch verfasst ist und auch heute bewusst, explizit nicht-demokratisch organisiert sein will…. und die universal geltenden Menschenrechte in ihrer eigenen Organisation nicht respektiert. Von demokratischer Transparenz kann in dieser Kirche mit dieser Struktur keine Rede sein.

Diese Erkenntnis gilt, selbst wenn jetzt in einer umfangreichen Studie der Historiker Francois Huguenin (“La grande conversion”, Ed. du Cerf, Paris, 2023) ins Schwärmen kommt, wie sehr doch und so großartig das 2. Vatikanische Konzil die Menschenrechte anerkannt habe. Verglichen mit der extremsten Feindschaft der Päpste gegenüber den Menschenrechten bis ca. 1900 hat Huguenin ja recht. Aber man beachte: Das Stichwort “Menschenrechte kommt im Sachregister des “Kleinen Konzilskompendium”, der Sammlung aller offiziellen Texte des 2. Vatikanischen Konzils, nur einmal vor. Und das Stichwort “Demokratie” nur 2 mal, ohne dass dabei an den angegebenen Stellen das Stichwort selbst erwähnt wird. Also: Im offiziellen Selbstverständnis der römischen Kirche spielen weder Menschenrechte nich Demokratie eine herausragende Rolle.

Der aktuelle Hintergrund:
1. Der Päpstliche Nuntius in der Europäischen Union, Bischof Noel Treanor, sagte in Berlin am 4. 9.2023: „Wir alle stehen in der Verantwortung, mit unserer Demokratie achtsam umzugehen“ (Quelle: Tagesspiegel, Berlin, 6.9.2023, S. 32). „Unsere Demokratie“? Damit meint der Bischof sicher nicht die Verfassung seiner Kirche.
Denn die römisch-katholische Kirche definiert die Verfassung ihrer Organisation ausdrücklich als „nicht-demokratisch“, sondern als von Gott gestiftete „heilige Herrschaftsordnung“. Die Kirche glaubt, sie besitze die absolute Wahrheit, die vom Klerus verwaltet und verteidigt wird. Und der Klerus lässt nicht demokratisch über die Kirchen-Verfassung verfügen.

2. Die Stellungnahme von Bischof Treanor ist keineswegs eine Ausnahme: Nur zwei Beispiele: Erzbischof Rino Fisichella von der Päpstlichen Lateranuniversität sagte 2009: „Die Kirche, die sich auf Prinzipien beruft, die einen höheren als den menschlichen Ursprung haben, könnte niemals eine irgendwie geartete Einmischung des Staates in ihre Inhalte akzeptieren“ (zit in: Corrado Augias, Die Geheimnissee des Vatikan. C.H.Beck Verlag, 2011, S. 443). Mit anderen Worten: Vernünftige Kritik selbst von demokratischen Staaten lehnt die Kirche ab, weil sie behauptet, „einen höheren als einen menschlichen Ursprung zu haben“, d.h. diese Kirche schottet sich als Burg und Insel ab…
Die römisch-katholische Kirche ist als bewusst nicht-demokratische Organisation so unbescheiden, offiziell zu verlangen, dass „sich die Politiker in ihren Urteilen und Entscheidungen nach der geoffenbarten Wahrheit über Gott und den Menschen richten , so in § 2244 im offiziellen römischen „Katechismus der katholischen Kirche“, München 1993, S. 572).

3. Die Kirche mit dem Papst an der Spitze wird von Politologen treffend als absolute „Wahl-Monarchie“ definiert. Und der Papst ist zugleich auch Staatschef des Völkerrechtssubjekts „Heiliger Stuhl“ und in dieser Position nicht demokratisch legitimiert.

4. Der Papst und Bischöfe und Priester verteidigen zwar – endlich – erst seit etwa 60 Jahren (!) – mehr oder weniger wirksam in der Öffentlichkeit die universal geltenden Menschenrechte. Aber trotz aller feierlichen Reden: Demokraten können diesen Worten nicht so richtig vertrauen: Denn die Kleriker lassen die universal geltenden Menschenrechte (etwa in der Erklärung von 1948) in der eigenen Organisation, der römisch-katholischen Kirche, nicht gelten, siehe etwa die Degradierung der Frauen in dieser Kirche im Hinblick auf den Zugang zu den klerikalen Ämtern, etwa dem Priesteramt. Dafür beruft sich diese Organisation in einer fundamentalistischen Bibel – Interpretation auf Jesus-Worte im Neuen Testament.

5. Indem die Kirche die Frauen letztlich als nicht vollumfänglich- gleichberechtigte Personen anerkennt, entsteht direkt und indirekt der Eindruck: Eigentlich sind Frauen nur Wesen zweiter Klasse. Frauen nicht zu respektieren, sie zu schlagen, auszugrenzen usw. ist deswegen eher normal und entspricht irgendwie vielleicht sogar dem kirchlich propagierten Willen Gottes. Die katholische Kirche ist also direkt und indirekt Schuld an dem miserablen Zustand der Frauenrechte zumal in katholischen Ländern, wie Polen oder Lateinamerika.

6. Und wie soll ein Papst, der den homosexuellen Katholiken nicht volle Gleichberechtigung in seiner Kirche zugesteht, man denke etwas das päpstliche Verbot der Ehe für Homosexuelle, an das Zulassungsverbot zum Priesteramt für offen homosexuelle Männer, wie soll also ein solcher Papst tatsächlich wirksam gegen die aktuelle Verfolgung von Homosexuellen in Uganda protestieren: Da können doch die dortigen katholischen Homo-feindlichen Politiker nur lachen über päpstliche Worte…

7. Weil die katholische Kirche explizit und gewollt als nicht-demokratische Organisation auftritt, kann sie es sich auch erlauben, in Situationen, in denen ihre Verhaltensweisen zu demokratischer Kritik oder juristischem Klärungsbedarf aufrufen, ihre transzendente Sonderrolle („über dem Staat befindlich“) durchzusetzen. Die totale Intransparenz der offiziellen kirchlichen Gebaren ist ein Schutz für die absolute Wahlmonarchie des Papsttums und des Klerus.

8. Wenn man in der demokratischen Öffentlichkeit die Verteidigung der Demokratie und der Menschenrechte durch diese Kleriker noch ernst nimmt, dann nur, wenn man die Kleriker als Bürger eines demokratischen Rechtsstaates wahrnimmt, nicht aber als Vertreter dieser Organisation und deren Theologie. Tatsächlich leisten Mitglieder dieser Kirche wichtige Arbeit im Sinne der Menschenrechte, aber dann, wie gesagt, immer als demokratisch gesinnte Bürger, nicht aber Mitglieder einer explizit antidemokratischen Organisation Kirche. Oder sie folgen eigenwillig „nur“ den Weisungen Jesu und eben den Vorschriften ihrer Kirchenführer.

9. Die katholische Kirche steht sich mit ihrer bewusst akzeptierten antidemokratischen Struktur (angeblich von Gott so gewollt) selbst im Wege, wirksam für parlamentarische Demokratie, für den Rechtsstaat im Sinne der Menschenrechte, einzutreten. Alle noch so gutgemeinten Appelle und Enzykliken der Päpste und Bischöfe der letzten 50 Jahren sind in dem Sinne letztlich politisch wirkungslose Erzeugungen von Papierbergen. Die demokratische Öffentlichkeit glaubt den klerikalen Verfassern einfach nicht deren demokratische Gesinnung, die sie als Kleriker dieser Kirche ja ohnehin nicht haben dürfen, sondern nur als Bürger eines demokratischen Staates. Aber die Kirchenführer sprechen in ihren Texten eben als die „Besonderen“, als Kleriker und nicht einfach nur als Bürger eines bestimmten Staates.

10. Aber das Eintreten von Päpsten und Bischöfen für die Menschenrechte wird offiziell bis in höchste politische Kreise doch ein paar Tage lang wohlwollend registriert, bevor das Vergessen einsetzt. Dabei haben die meisten Politiker und Journalisten auch längst vergessen, dass da Vertreter einer kirchlichen Organisation sprechen, die eine sehr lange Geschichte der Menschenverachtung, der Verfolgung, der Unterdrückung von so genannten Minderheiten, Abweichlern, Juden, Häretikern usw. vorweist. Die katholische Kirchenführung kann sich „glücklich“ nennen, dass die Menschen so schnell vergessen, auch die Missstände und Verbrechen der Kirche. Wer weiß wirklich etwas vom immensen Immobilienbesitz des Vatikans, vom Immobilieneigentum der angeblich „armen“ Ordensgemeinschaften nicht nur in Rom, von den Subventionen, die der italienisch Staat dem Vatikan an Unterstützung und Steuerbefreiungen leistet: Der genante Vatikan-Spezialist Corrado Augias nennt in seinem Buch die Summe der Leistungen Italiens an den Vatikan: Es sind jährlich etwa 9 Milliarden Euro (S. 291).

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin