Sexueller Missbrauch durch einen hochrangigen Priester im Spanien des 17. Jahrhunderts: „Der Prozess versandete“…

Eine historische Studie zum sexuellen Missbrauch.

Ein Hinweis von Christian Modehn, zuerst veröffentlicht 2021, ergänzt am 27.3.2023.

1. Zur Einführung:

Die Geschichte der Homosexuellen war und ist eine von der heterosexuellen Mehrheit ignorierte Leidensgeschichte. In 69 Staaten wird auch heute noch, 2023, Homosexualität strafrechtlich verfolgt, in 11 Staaten droht Homosexuellen die Todesstrafe. Quelle: LINK   
Ohne körperliches Leiden, ohne Verfolgung, ohne Scheiterhaufen konnten nur einige wenige prominente Homosexuelle, modern gesprochen ohne „Outing“, überleben, es waren Fürsten und Päpste, Bischöfe und Pfarrer und Ordensobere und „einfache Mitglieder“ von Ordensgemeinschaften.
Und wie bei der jeder Geschichte von unterdrückten Minderheiten gibt es, abgesehen vom Judentum, auch keine ausgebreitete, gründliche Forschung zur Geschichte der Verfolgung der Homosexuellen, obwohl etwa in Spanien und Italien viele Dokumente zur Verfolgung und Ausrottung der Homosexuellen durch die katholische Inquisition in den Archiven vorliegen.
Es ist förmlich ein Glückstreffer, wenn man in Deutschland Beiträge kirchenunabhängiger Historiker findet zu dem Thema. Ich empfehle die Lektüre des Aufsatzes von Prof. Raphael Carrasco „Sodomiten und Inquisitoren im Spanien des 16. und 17. Jahrhunderts“. Die Studie ist erschienen in dem Sammelband „Die sexuelle Gewalt in der Geschichte“, hg. von dem Historiker Alain Corbin, Wagenbach Verlag, 1992, dort S. 45-58. Die französische Ausgabe erschien 1989. Das Buch ist auf Deutsch nur noch antiquarisch verfügbar…

Die umfassende Geschichte der homosexuellen Priester ist noch nicht geschrieben worden, sieht man von den Untersuchungen des Soziologen Frédéric Martel mit dem Titel „Sodom“ ab, LINK, aber Martel studiert die aktuelle Problematik des 21. Jahrhunderts.

Nebenbei: Martel wie der Autor dieses Hinweises haben absolut nichts gegen Homosexuelle, auch nichts gegen homosexuelle Priester. Martel wie der Autor dieses Hinweise haben nur sehr viel gegen die übliche Verlogenheit homosexueller Kleriker. Sie sind nur insgeheim, vielleicht zur späten Stunde irgendwo, schwul, sonst aber in offizieller Lehre und Predigt die heftigsten Feinde der Homosexuellen. Das ist der Wahnsinn, der immer angeklagt werden muss.

Aber wie lebten homosexuelle Priester (Bischöfe, Päpste, Ordensobere usw.) seit dem Mittelalter? Wie wurden sie verfolgt, wie wurden sie vernichtet, wie viele Lügen konnten sie von sich wirksam erzählen? Das ist „unbekanntes Terrain“. Einige Aspekte bietet das hervorragende Lexikon „Dictionnaire de l Homosexualité“ (Edition Presse Universitäres de France, 440 Seiten, 2003)…

Um so mehr freut man sich über die Hinweise des Historikers Prof. Raphael Carrasco (Montpellier) zu der Frage: Wie konnte sich ein hoher Kleriker, des Missbrauchs angeklagt, im Spanien des 17.Jahrhunderts aus der Affäre ziehen, nur weil er ein Kleriker war und „der gute Rufe der Kirche bewahrt werden musste“. Eine bis heute bekannte, stets verwendete „Melodie“…

2. Der Beitrag von Prof. Raphael Carrasco:
Er befasst sich mit der Homosexualität (damals Sodomie genannt) in dem „Inquisitionsbezirk Valencia“, Spanien, im 16. und 17. Jahrhundert. Schon 1497 hatten die „Katholischen Könige“ dort für Homosexuelle, Sodomiten, die Strafe des Feuertodes festgelegt. In einem grundlegenden Text der katholischen Könige heißt es: „Es handelt sich um die Bestrafung des abscheulichen Delikts, das schon der namentlichen Erwähnung unwürdig ist, das Delikt zerstört die natürliche Ordnung, es
wird durch Gottes Urteil gestraft, etwa durch Pestilenzen und andere Plagen“ (S. 46). Im Gericht von Valencia war mit „19 Prozent der wegen Sodomie Angeklagten die Gruppe der Kleriker (die nicht weniger als 1 % der Bevölkerung repräsentierte), mit Abstand der höchste Anteil…Von 1575 bis 1590 wurden in Valencia vier Kleriker verbrannt, in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurden schwere Strafen gegen Kleriker, Galeere und Zwangsarbeit, verhängt“ (S. 54).

3.
Und schon damals setzte sich der Schutz der Kleriker als oberste Prinzip im Umgang mit sexueller Gewalt durch Priester durch: „Das Tribunal handelte allerdings mit äußerster Vorsicht, denn die verschiedenen Orden zeigten sich in der Verteidigung ihres guten Rufes ganz besonders aktiv“ (S. 54). Damals wie heute: Die Orden behaupten, sie hätten einen guten Ruf und müssen zuerst und vor allem ihre Mitglieder schützen und nicht die Opfer…

4.
Der Historiker Raphael Carrasco konzentriert sich auf den Fall des Paters Joan Nolasco Risón aus dem Orden der Merzedarier (dieser Orden besteht noch heute).
Pater Joan Nolasco Risón war Provinzial seines Ordens, er war also in einer hohen Leitungsfunktion für die spanischen Klöster. Zuvor war er Novizenmeister, also offiziell spirituell zuständig für die jungen Männer, die (damals im Alter von 16 Jahre) in den Orden eintreten wollten. „Er hatte in seinem Konvent unaufhörlich und erfolgreich sexuellen Druck auf die jungen Leute ausgeübt, die ihm anvertraut waren“. Die kirchliche Inquisitionsbehörde gab 1687 dem staatlichen Gericht die Zustimmung, Pater Risón (damals 54 Jahre alt) zu verhaften, allerdings „unter größter Geheimhaltung“, betont der Autor Prof. Carassco (S.55). Diese Tendenz der Kirche hat sich bis ins 21. Jahrhundert durchgehalten.

5.
Pater Joan Nolasco Risón hatte in seinem Kloster durch seine „Aktivitäten“ eine Spaltung bewirkt: Seine Komplizen, „die er anderswo auf günstigen Posten unterbrachte und die bis dahin seltsame Vorrechte genossen, auf der anderen Seite die Reinen, die Schamhaften, Empörten sowie alle, die verfolgt und tyrannisiert wurden, weil sie dem Werben des Meisters widerstanden hatten“ (S. 55)

6.
Es gab einen kritischen Ordensbruder, Pater Jeronimo Ramirez, der dem sexuellen Missbrauch Pater Nolascos Einhalt gebieten wollte. Und was passierte? Der ganze Orden wollte den „guten Ruf“ bewahren, man beeinflusste den kritischen Pater Jeronimo Ramirez und versuchte, ihn zu überzeugen, doch bitte den prominenten Straftäter im Orden nicht zu denunzieren. Aber die sexuell missbrauchten Novizen rebellierten. Und was tat der Beschuldigte? Pater Risón „versuchte die Novizen mit einer heftigen Rede voller unterschwelliger Drohungen einzuschüchtern“. (S. 55). Aber vergebens: Die Inquisition hatte die Novizen zu Zeugenaussagen vorgeladen. „Diese Zeugenaussagen sind eine ganz außergewöhnliche Quelle für das Leben in den Novizinnen der Klöster am Ende des 17. Jahrhunderts.“ (S 55).

7.
Und wie ging der Prozess gegen den berühmten Ordensmann Pater Joan Nolasco Risón aus? „Der Prozess versandte im Ermittlungsverfahren“ (S. 55) Der gute Ruf des Klerus war also – dem Scheine nach – gerettet.

8.
Prof. Carrasco weist zum Schluss auf eine merkwürdige Therapie der Homosexuellen in Florenz hin: Schon im Jahr 1403 errichtete die Stadt Florenz städtische Bordelle, um die damals dort sichtbare Homosexualität zu bekämpfen. Dem Modell von Florent folgten zur gleichenZeit „andere berühmte Städte“ (S. 58). Weibliche Prostitution soll von Homosexualität heilen. Vielleicht sollte man das mal den Evangelikalen empfhelen, die an so genannten Homo-Therapien Interesse haben….

9.
Der sexuelle Missbrauch durch Priester hat eine lange Tradition. Man denke etwa auch an die Frühgeschichte des Ordens der “Piaristen”, der Schulpriester LINK.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

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