Gotteslästerung: Sinn und Unsinn, ein Interview mit Prof. Wilhelm Gräb

Erneut publiziert – angesichts des Films in ARTE am 14. 12. 2016 um 22.05.

Ein Interview mit dem protestantischen Theologen Prof. Wilhelm Gräb, Berlin. Die Fragen stellte Christian Modehn.

Wenn man beim Thema „Gotteslästerung“ nur die so genannten christlich geprägten Länder beobachtet: Dann fällt auf, dass in letzter Zeit immer wieder Künstler angeklagt wurden (wie in Moskau beim Pussy Riot – „Prozess“), in ihren Aktionen und künstlerischen Arbeiten „Gott zu lästern“. Warum reagieren vor allem Politiker und Kirchenführer so heftig?

Auffällig ist in der Tat, dass immer wieder Künstler der Vorwurf der Gotteslästerung trifft. Denken wir an Madonnas Video-Clip „Like a Prayer“, die Madonna als Gekreuzigte zeigt, an die Jeans-Werbung von Otto Kern, die das „Abendmahl“ von Leonardo da Vinci persiflierte oder an den Film „Die letzte Versuchung“ von Martin Scorsese, in dem Jesus im Liebesakt mit Maria Magdalena gezeigt wird – immer waren Vertreter der Katholischen Kirche und fundamentalistische Protestanten mit dem Blasphemie-Vorwurf zur Stelle. Die Koalition mit der politischen Macht, die jetzt im „Prozess“ gegen Mitglieder der russischen Rockband „Pussy Riot“ offenkundig wurde, ist in den demokratischen westlichen Gesellschaften so allerdings nicht mehr gegeben – bislang jedenfalls nicht.

Nach der Revision des STGB in den 1960 Jahren ist die „Gotteslästerung“ in der Bundesrepublik Deutschland nur noch strafbar, wenn sie den „öffentlichen Frieden stört“.  Es wäre zutreffender gewesen, hätte man damals den Gotteslästerungsparagraphen ganz aus dem Strafgesetz herausgenommen. In dem Zusammenhang wird deutlich:  Der sog. Gotteslästerungsparagraph, also STGB § 166, aber auch § 167, soll den religiösen Pluralismus gewährleisten, nicht aber die freie und kritische Äußerung in Religionsangelegenheiten einschränken. Es sei daran erinnert, dass es gerade protestantische Kirchenführer wie der Präses der Rheinischen Kirche, Joachim Beckmann (1901 – 1987), waren, die anlässlich der Strafrechtsreform in der Bundesrepublik in den frühen 1960er Jahre angemahnt hatten, dass der Gotteslästerungs – Paragraph überhaupt nicht mehr in die Verhältnisse einer pluralistischen Gesellschaft passe, weil er politisch dazu missbraucht werden könne, die Meinung Andersdenkender zu unterdrücken. Präses Beckmann war übrigens ein Mann der „Bekennenden Kirche“ im Kampf gegen das Nazi Regime und die „Deutschen Christen“: Es steht, so sagte Beckmann in den 1960 Jahren, der Kirche gut an, „dass sie von sich aus auf einen weitergehenden strafrechtlichen Sonderschutz gegen Religionsdelikte verzichtet und jede auch nur entfernte Erinnerung an eine strafrechtliche Verketzerung Andersdenkender vermeidet“.

In letzter Zeit mehren sich allerdings auch in Deutschland wieder Stimmen, sie kommen vorwiegend  aus dem katholischen Raum, die das Verbot der Gotteslästerung wieder ernster genommen wissen möchten. Gotteslästerung wittern sie dort, wo christliche Symbole in die Regie freier, kritischer, auch vor der Persiflage nicht zurückschreckender Darstellung genommen werden – also insbesondere in der Bildenden Kunst, in der Literatur, im Film, im freien Journalismus, in der Popmusik. Der renommierte katholische Schriftsteller Martin Mosebach oder auch der katholische Philosoph Robert Spaemann haben sich diesbezüglich zuletzt besonders hervorgetan. Sie meinen daran erinnern zu müssen, dass der Gottesbezug in unserer Verfassung stehe und fordern, da der die Wertgrundlagen der Gesellschaft garantierende Gott nur der christliche Gott sein könne, den politisch und rechtlich sanktionierten Schutz des christlichen Gottes. Es sei, so meinen sie, nicht länger zu ertragen, dass die Muslime ein Anrecht auf den Schutz ihrer religiösen  Gefühle geltend machen könnten, Christen hingegen sich jede öffentliche Schmähung ihres Gottes gefallen lassen müssten.

Gibt es objektive Kriterien, die eindeutig und für immer festlegen: Dies ist Gotteslästerung und dies nicht?

Achten wir darauf, wann und wo der Vorwurf der Gotteslästerung erhoben wird, dann sehen wir, er richtet sich immer gegen die Abweichung von einem Gottesbild, das unantastbar sein soll. Wer andere der Gotteslästerung bezichtigt, setzt immer sein eigenes Gottesbild absolut und leugnet zugleich, dass sein Gottesbild auch nur ein Gottesbild sei. Deshalb die Unduldsamkeit gerade der künstlerischen Freiheit gegenüber. Das eigene Gottesbild wird mit Gott gleichgesetzt. Dazu berechtigen keine objektiven Kriterien, die gibt es nicht. Die Absolutsetzung des eigenen Gottesbildes gelingt nur dem, der die institutionelle und dann eben politische Macht  hat, es sanktionsbewährt durchzusetzen. Wer die institutionelle und politische Macht hat, die Heiligung des eigenen Gottesbildes zu verlangen, der kann an diejenigen, die einen anderen Glauben haben oder auch nur kritische Anfragen an das herrschende Gottesbild öffentlich machen, den Vorwurf der Gotteslästerung richten und weil ihm die entsprechenden Machtmittel zur Verfügung stehen, möglicherweise sogar mundtot machen. In den Händen der religiösen und politischen Macht ist der Vorwurf der Gotteslästerung nichts anderes als ein religiös überhöhtes – ich würde sagen, gotteslästerliches – Instrument politischer Gleichschaltung.

Theologisch gesehen sollte doch gefragt werden: Kann ein Mensch überhaupt Gott „lästern“?

Der Vorwurf der Gotteslästerung lebt von der Verwechselung Gottes mit dem Bild, das wir Menschen uns von ihm machen. Er entspringt im Grunde einer Vergötzung Gottes. Gott wird zum menschlichen Idol. Sein Bild wird geheiligt und soll verehrt werden. Wer die Verehrung des heiligen Gottesbildes verweigert, sitzt auf der Anklagebank. Das ist der tiefere Grund, weshalb es immer die religiösen Fundamentalisten sind – gleich welcher Couleur, seien es Kampfkatholiken oder protestantische Bibelgläubige –, die die Verletzung ihrer religiösen Gefühle beklagen und mit dem Vorwurf der Gotteslästerung gegen Andersgläubige aufwarten. Sie verkennen das Wesen des Glaubens, indem sie den Glauben zur Anerkennung einer angeblich objektiv gegebenen Wahrheit machen. Sie verwechseln den Gott, den kein menschliches Auge je gesehen hat, der das Geheimnis der Welt ist und der eben deshalb allein dem Glauben gegeben ist, d.h. im Wagnis radikalen Vertrauens gefunden werden kann, mit den immer endlichen begrenzten, wandelbaren Bildern, die gegenständlich von Gott da sind, weil wir sie uns von ihm gemacht haben. Wo das Wesen des religiösen Glauben verkannt wird, kommt es zur der den Glauben in ein vermeintliches Wissen verkehrenden Vergegenständlichung Gottes. Der vergegenständlichte Gott aber ist in Wahrheit ein menschlicher Götze, der die Menschen in seinen Bann zieht, ihre Sinne vernebelt und ihren Verstand verdunkelt – im Streben nach Sicherheit, Reichtum, Macht und Besitz. Mit diesem Gott, der bedingungslosen Gehorsam fordert, lassen sich freilich seit jeher gute Geschäfte machen und Herrschaftspositionen legitimieren, in der Wirtschaft ebenso wie in der Politik.

Ist Gotteslästerung eine sinnvolle Form von Religionskritik? Sollten spirituelle Menschen nicht sogar dankbar sein, dass Gotteslästerungen eine heilsame Korrektur ihrer eigenen Glaubens – Vorstellungen bewirken?

Die Gotteslästerung ist die der Religion selbst inhärente Religionskritik. Gern zieht deshalb, wenn es nötig ist, die Religion, die bei Verstand ist, den Vorwurf der Gotteslästerung auf sich, weil sie sich dabei in ihrer Kraft zur Unterscheidung zwischen wahrem und falschem Glauben ernst genommen sieht. Der Gott, der Verehrung und Unterwerfung verlangt, gehört zu Recht gelästert. Denn nur der Gott ist der wahre Gott, dem allein der Glaube, bedingungsloses Vertrauen, entspricht. Das aber ist der Gott der gläubigen Subjektivität, des grundlosen Grundvertrauens, der sich gerade nicht mit dem Anspruch auf absolute, objektive Wahrheit proklamieren lässt, dem gegenüber keine Verehrung eingefordert werden kann. Es ist der Gott, der sich der menschlichen Verfügung entzieht, der nicht für politische oder ökonomische Interessen missbraucht werden kann. Es ist der Gott, der geglaubt sein will, unvertretbar vom einzelnen Glaubenden, der der ganz Andere ist, der, den wir nie in die eigene Hand bekommen, sondern der uns in seinen Händen hält – unendlich liebevoll, wie die Bibel sagt, zur Hoffnung ermutigend, auf einen neuen Himmel und eine neue Erde ausrichtend.

Die christliche Religion hat den Vorwurf der Gotteslästerung von Anfang an auf sich gezogen, in den frühen Christenverfolgungen auch die Konsequenzen schmerzlich an sich selbst erfahren. Jesus wurde wegen seiner Verkündigung des Gottes, der Liebe, Gnade, Barmherzigkeit ist – eben ist wie der Vater im Gleichnis vom verlorenen Sohn –, der Gotteslästerung beschuldigt. Dann hat der Apostel Paulus im gekreuzigten Christus den Gott des Lebens erkannt, eines neuen Lebens, heraus aus dem Tod dieser zerfallenden Welt. Paulus hat damit die deutlichste Absage an einen Gott formuliert, der auf der Seite der Mächtigen und Weltklugen steht. Der christliche Gott ist die Kraft, die in Schwachen mächtig ist, die Macht der Ohnmächtigen, die Rechtfertigung der „Gottlosen“, derer, die Gott los sind, auch derer, die ihn lästern, so Paulus.

Ist im Sinne der Bibel die eigentliche Gotteslästerung nicht das Fördern und Zulassen ungerechter sozialer Verhältnisse?

Der Gott, der geglaubt sein will, das ist der Gott des Evangeliums. Dieser Gott taugt nicht als Gegenstand religiöser Verehrung. Er ist vielmehr der Grund unseres Grundvertrauens ins Dasein. Er ist uns immer schon voraus. Er ist die Quelle des Lebens und in seinem Licht sehen wir das Licht, wie es im Psalm 36 heißt. Diesen Gott, den wahren Gott, kann kein Mensch lästern. Ihn können wir höchstens missachten, indem wir den Glauben an ihn verleugnen, in der Liebe erlahmen und die Hoffnung verlieren. Der Gott, der ganz anders ist als diejenigen meinen, die ihn für ihre politischen oder ökonomischen Herrschaftsinteressen vereinnahmen, hat keine Freude an ihm dargebrachten Opfern. Er lässt uns aus einem grundlosen Sinnvertrauen leben und stärkt unsere Kräfte im liebevollen Tun des Gerechten, im hoffnungsfrohen Einsatz für eine verbesserliche Welt.

copyright: Prof. Wilhelm Gräb und Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

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