Die Vernunft entscheidet, was heute als Offenbarung Gottes gelten kann. Ein Hinweis auf Abu Zaid und eine Reform-Moschee in Amsterdam

Die Vernunft entscheidet, was heute als Offenbarung Gottes gelten kann.

Ein Hinweis auf Abu Zaid und eine Reform-Moschee in Amsterdam

Von Christian Modehn

Der „Humanistische Islam“ in seinen verschiedenen Ausprägungen beschäftigt den Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon schon seit langem. Dass wir von der hervorragenden Bedeutung der kritischen Philosophie bei diesem Thema überzeugt sind, ist selbstverständlich.

2010 etwa gestaltete Christian Modehn z.B. eine Ra­dio­sen­dung im NDR (Reihe Lebenswelten, NDR INFO) zu dem damals in der Öffentlichkeit noch nicht umfassend bekannten Thema, zur Lektüre dieses Beitrags klicken Sie hier.

Unvergessen bleibt eine Begegnung mit dem kritischen Islam-Forscher Nasr Abu Zayd anlässlich einer Konferenz über den „Reform-Islam“ in der „Friedrich Ebert Stiftung“ in Berlin 2010. Abu Zaid war, nachdem er aus Ägypten, seiner Heimat, wegen angeblichen Abfalls vom Glauben flüchten musste, an der Universität der Humanisten in Utrecht NL als Professor tätig. Abu Zaid, geboren 1943 ist am 5. Juli 2010 in Kairo verstorben.

Er erläuterte mir noch 2010 in Berlin, wenige Monate vor seinem Tod, was denn für ihn der entscheidende, der wesentliche Mittelpunkt der Koran-Interpretation sei im O TON: „Mein Konzept eines humanistischen Islam besteht darin, die wirklich menschlichen Elemente des Korans aufzuzeigen. D.h. wir gehen zum Text zurück und entdecken dabei, was noch bedeutsam ist für unsere heutige moderne Zeit. Dabei kann nur die Vernunft entscheiden, was wirklich Offenbarung Gottes ist. Wir müssen dringend daran weiter arbeiten! Wir müssen diese Fragen weiter pflegen, um gegen die Tabus zu kämpfen“.

Die Autobiographie Abu Zaids, aufgeschrieben von Navid Kermani, ist schon 1999 erschienen. Im Oktober 2015 ist sie, pünktlich zur Verleihung des Friedenspreisesdes Deutschen Buchhandels, noch einmal im Herder Verlag erschienen. „Nasr Hamid Abu Zaid – Ein Leben mit dem Islam“. Aus dem Arabischen übersetzt von Cherifa Magdi. 222 Seiten, 2015.

Es gab einmal eine Reform-Moschee in Amsterdam…

Im Oktober 2008 entdeckte ich im Viertel Slotervaart, am Rande der Stadt Amsterdam, eine neue, eine ungewöhnliche Moschee. Sie ist in einem zweistöckigen ehemaligen Bürogebäude untergebracht. Ihr typisch niederländischer Titel: “Poldermoschee“. Mindestens 10 unterschiedliche Räume gehören zur Poldermoschee. Eine zierliche Frau, 25 Jahre alt, mit kleinem bunten Kopftuch, stellt sich als die Leiterin der erst 3 Monate alten Moschee vor. Sie heißt Yassmine Elksaihi, ihr Niederländisch ist perfekt:

„Das wichtigste ist, dass wir dem Islam in den Niederlanden ein Gesicht geben und zwar nicht nur ein liberales oder ein orthodoxes Gesicht oder eines des Mittelweges, sondern wir wollen auch die fröhliche und die gute Seite des Islam zeigen und damit nach außen treten. Daher versuchen wir mit dieser Moschee auch Jugendliche zu erreichen, sie können dann unsere Botschaft weitergeben. Man merkt auch, dass die Moschee viel mehr umfasst als das Haus des Gebetes. Die Menschen kommen nicht nur hierher, um zu beten oder wegzugehen. Vor allem junge Muslims unterschiedlicher Herkunft können hier ihre Freizeit gestalten“. Auch Europäer, selbst Atheisten sind willkommen. Mit dem symbolischen Titel „Polder“ – Moschee soll bewusst auf die Verwurzelung in der holländischen Kultur verwiesen werden.

Yassmine Elksaihi betont: „Die Predigten in dieser Moschee sind anders als in den übrigen Moscheen. Bei uns werden alle Predigten auf Niederländisch gehalten werden. Die Freitagspredigt zum Beispiel, die wichtigste Predigt, gibt’s auf Niederländisch. Manchmal werden kurze Stücke aus dem Koran auf Arabisch übersetzt, aber die Basissprache ist Niederländisch. Uns unterscheidet auch, dass wir einen gemeinsamen Gebetsraum haben für Männer und Frauen. Die Männer sind vorn und die Frauen hinten in demselben Raum“.

Der auch in Deutschland bekannte und geschätzte niederländische Schriftsteller Geert Mak (Amsterdam) äußerte sich zu dieser ungewöhnlichen Moschee: „Das ist auch ein Symbol, dass auch der Islam modernisiert, nicht nur in Holland, im ganzen Westen Europas. Es entwickelt sich ein neuer europäischer Islam. Man muss marokkanische traditionelle Islam umbauen zu etwas ganz Neuem, aber am Ende glaube ich, dass das möglich sein muss.

Im Herbst 2010 musste die Poldermoschee bereits wieder schließen, weil es, so heißt es, an finanziellen Mitteln fehlte…. Darf man die utopische Frage wagen: Wird es in absehbarer Zeit wieder eine REFORM-Moschee geben, in Holland, in Deutschland, eine Moschee, in der auf Niederländisch oder auf Deutsch gepredigt und gebetet wird, in der es nur einen einzigen gemeinsamen Gebetsraum für Männer wie für Frauen gibt usw.? Eine Reformmoschee ist – wie der Name sagt – viel “radikaler” angelegt in ihrer richtigen Bereitschaft zur Modernisierung des Islam als eine bloß “liberale”…

Einen ausführlicheren Bericht über die Schließung der Poldermoschee siehe Zenitz, Zeitschrift für den Orient.

http://www.zenithonline.de/deutsch/koepfe/a/artikel/mitten-in-den-niederlanden-001231/

 

Cpyright: Christian Modehn Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

Die Flüchtlinge in Deutschland: Die Reformation neu denken. Die Reformation muss weitergehen

Weiter denken:   3 Fragen an Prof. Wilhelm Gräb, Oktober 2015.

Im Angesicht der Flüchtlinge: Die Reformation muss weitergehen.

(Ein Hinweis: Wir haben uns erlaubt, diese weitreichenden, in die nahe Zukunft weisenden Fragen zu erörtern, obwohl wir wissen: Die Zustände heute in den Flüchtlingsheimen, oft in Zelten, die bei bitterer Kälte keine Zuflucht bieten, sind katastrophal, das sagen Betroffene wie Beobachter an vielen Orten, auch in Berlin. Diese Situation ist sicher auch Ausdruck einer bürokratischen, unbeweglichen, phantasielosen Haltung der zuständigen, aber überforderten Staats-Diener. Ohne die bis zur Erschöpfung arbeitenden Ehrenamtlichen wäre die “Flüchtlingshilfe” längst total zusammengebrochen, und das Elend HIER noch größer. Welchen langfristigen Eindruck von der “Willenkommenskultur” haben die Flüchtlinge? Wie wid sich das in Zukunft auswirken? Man lese bitte über die Flüchtlings”hilfe” in Berlin den Beitrag im “TAGESSPIEGEL” vom 15. Oktober 2015, Seite 9, unter dem realistischen, keineswegs etwas “herbeiredenden ” Titel: “Angst vor der Katastrophe”…Nur am Beispiel der medizinischen Versorgung: “Es droht eine humanitäre Katastrophe”, so wird dort der Caritas-Sprecher Thomas Gleissner zitiert….

Jedenfalls gilt: Die Ehrenamtlichen sind sozusagen, wenn das Wort erlaubt ist, die Helden in diesem Staat. Diese reale Not schließt ja nicht aus, sich Gedanken zu machen über eine hoffentlich bessere gemeinsame Zukunft  von “Einheimischen” und “Flüchtlingen”. Ob diese bessere gemeinsame Zukunft überhaupt real wird, zumal angesichts der rassistischen Entgleisungen aus dem rechtsextremen Umfeld, siehe die “Pegida” Demos etwa in Dresden, die entsetzlich vielen Brandanschläge auf Flüchtlingsheime usw., ist eine Hoffnung, die Demokaten tätig-kritisch gestalten. Christian Modehn am 15. Okt. 2015)

1. Die Reformation Martin Luthers zielte auf den Wandel des Bewusstseins: Nicht mehr eingeschliffene religiöse Traditionen sollten unbefragt respektiert werden, sondern die Grundideen einer befreienden Botschaft, Evangelium genannt. Bisher hat sich alles Reformationsgedenken vor allem auf diese explizit religiöse Veränderung bezogen. Wäre es heute nicht dringend geboten, den Reformationsbegriff zu weiten und ihn auf die Veränderungen unserer Gesellschaft angesichts der Flüchtlinge zu beziehen? Also etwa eine Reformation des Denkens insgesamt zu fördern und zu pflegen unter dem Motto: Die Flüchtlinge auch als Partner wahrzunehmen? Als Partner im kulturellen Dialog, von dem beide Seiten profitieren?

In meinen Augen war das Entscheidende an der Reformation Luthers sein Plädoyer für das „Priestertum aller Glaubenden“. Das war der große Schritt in die religiöse Autonomie, mit der dann die Aufwertung der Ethik, der moralischen Selbstbestimmung, schließlich auch das demokratische Prinzip und die Selbstverantwortung in Fragen des allgemeinen Wohls einhergingen. Das „Priestertum aller Gläubigen“ war Luthers größte und folgenreiste Idee, gewiss eine Idee, damals im 16. Jahrhundert keineswegs realisiert, bis heute nicht vollständig realisiert. Aber das, was wir jetzt angesichts der doch immer noch auf beeindruckende Weise anhaltenden Hilfsbereitschaft erleben können, gehört in die Geschichte der Verwirklichung der reformatorischen Einsicht, dass es auf jeden und jede ankommt, dass jeder und jede gleich unmittelbar zu Gott ist, frei ist zum Tun des Guten und Gerechten, weil wir wissen, dass für uns gesorgt ist und wir uns im Grunde unseres Dasein anerkannt und geborgen wissen können. Das war die befreiende Botschaft der Reformation, das Evangelium. Sie trägt im Grunde auch heute noch. Nur gilt es, wie Sie richtig sagen, sie in die Gesellschaft zu tragen.

Ich bin immer noch beeindruckt davon, wie die Bundeskanzlerin das macht. In dem Fernsehinterview mit Anne Will hat sie wieder und wieder auf die Mitarbeit der unzählig vielen Menschen verwiesen, ohne die ihre Politik der unbeschränkten Aufnahme aller Asylsuchenden nicht durchzuhalten sei. Was es jetzt zusätzlich noch braucht, das wäre in der Tat eine Reformation unserer Denkungsart auch über die Flüchtlinge und, in der Konsequenz, ein besseres Asylrecht, eines, das sehr viel schneller zu der Entscheidung führt, ob sie bleiben dürfen und, sofern dies der Fall ist, ihnen dann auch Ausbildungs-, Studien- und Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen. So käme es zu konkreten Schritten, die zeigen, dass wir sie nicht als Versorgungsfälle ansehen, sondern als Partner behandeln, von denen schließlich auch wir enorm profitieren werden.

2. Christliche Gemeinden und zahlreiche Christen helfen oft vorbildlich den Flüchtlingen. Sollten sich Gemeinden auch darauf einstellen, dass sich sehr bald die Flüchtlinge mit ihnen über Lebensfragen, über Elend und Not und neues Leben in einer neuen Heimat, tiefer austauschen wollen? Natürlich auch über religiöse Themen. Werden die Gemeinden also zu Orten des vielseitigen Gespräches?

Initiativgruppen in Kirchengemeinde haben sich wirklich vorbildlich in der Flüchtlingshilfe engagiert, längst bevor das jetzt eine gesellschaftliche Bewegung geworden ist. Das war bewundernswert und das Vorbild, das bestimmte Kirchengemeinden in der Asylfrage geben, könnte, wenn jetzt die gesellschaftliche Kraft wieder erlahmen sollte, erneut ganz wichtig werden. Aber was dieser Einsatz für die Flüchtlinge für die Gemeinden selbst bedeutet und wie die Flüchtlinge die Gemeinden selbst verändern, dass muss erst noch in den Blick kommen. Dass das bedeutet, die Flüchtlinge als Partner anzuerkennen, sie damit gewissermaßen in die Gemeinde selbst aufzunehmen. Dass es dann zum Austausch in den Gemeinden kommen wird. Die Flüchtlinge könnten ihre Geschichte erzählen, woher sie kommen, was sie auf der Flucht erlebt haben, was sie hier jetzt, von ihrer neuen Heimat erwarten. Die hiesigen Gemeindeglieder könnten umgekehrt aber auch erzählen, was ihnen wichtig ist, was sie von den Flüchtlingen erwarten, wovor sie Angst haben. Religiöse Themen würden dabei zweifellos ebenfalls vorkommen, aber so, wie sie ins Leben gehören, als zugehörig zur Kultur der Menschen, als Ensemble der Werte, an denen sie sich orientieren, als Artikulation dessen, was ihnen wichtig ist, ihnen Halt gibt und den Mut, jetzt in der neuen Situation nicht den Mut zu verlieren.

Mit der Offenheit, in der Gemeinden sich jetzt in der Flüchtlingsarbeit engagieren, ist eine große Chance auch für diese Gemeinden verbunden. Sie können sich dem lebendigen Austausch über kulturelle und religiöse Grenzen hinweg öffenen. Damit werden sie einen enormen Beitrag zur Integration der Flüchtlinge in unsere Gesellschaft leisten.

3. Über „den“ Islam wird in den nächsten Jahren noch intensiver debattiert werden, er ist deutlicher Teil der deutschen Gesellschaft. Über die Frage wird schon jetzt gestritten, ob der Gott „des“ Islams mit „dem“ christlichen Gott identisch ist. Wer vermag das schon so allgemein gesehen wissen? Wäre es nicht hilfreicher, sich auf eine gemeinsame ethische Basis zu besinnen? Was verbindet uns alle als Menschen? Der Dalai Lama sagte treffend: Ethik ist wichtiger als Religion. Sehen Sie das auch so?

Ja, ich meine, dass wir mit der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ eine solche Ethik haben. Mit ihr kann die Integration der Flüchtlinge gelingen, unter Einschluss der Anerkennung ihrer verschiedenen Religionszugehörigkeiten. Denn die Religionsfreiheit, im positiven wie negativen Sinn, gehört ja auch zu den Menschenrechten. Nur, damit sich ein solches Menschenrechtdenken durchsetzen kann, braucht es die Akzeptanz dessen, dass die Menschenrechte selbst eine religiöse Grundlage haben, also unbedingte Anerkennung verlangen, von der man sich deshalb auch nicht unter Berufung auf eine andere Religion freisprechen kann, etwa was die Gleichberechtigung der Frau betrifft.

Worum es im Austausch zwischen den Religionen, in unserem Fall insbesondere zwischen Islam und Christentum, gehen muss, ist, an der Vereinbarkeit der jeweils eigenen Religion mit der universalen Religion der Menschenrechte zu arbeiten. Es braucht die Arbeit an Religionssynthesen. Diese Arbeit ist schon weit fortgeschritten. Der Dalai Lama, den Sie zu Recht erwähnen, gibt das beste Beispiel für eine Vermittlung zwischen dem Tibetischen Buddhismus und der Religion der Menschenrechte, Gandhi für die Verbindung des Hinduismus mit der Religion der Menschenrechte, Martin Luther King für die Umformung des Christentums in eine Religion der Menschenrechte. Mehr und mehr gibt es auch Stimmen aus dem Islam, die für die Integration des Islam in die Religion der Menschenrechte eintreten und konkret zu zeigen versuchen, wie das gehen kann.

Ich würde also nicht die Religion gegen die Ethik ausspielen, sondern in Orientierung am Kriterium des Menschengerechten an einer religiösen Fundierung der Ethik festhalten. Denn was die Ethik nicht zu geben vermag, das finden wir in der Religion, eine unbedingt verlässliche, uns zum Tun des Guten motivierende, aber auch noch im Versagen unseren Daseinsmut stärkende Lebensgewissheit.

copyright: Prof. Wilhelm Gräb und Religionsphilosophischer Salon Berlin

Reden von Gott und von dir selbst: Über Theologie und Autobiographie

Der Religionsphilosophische Salon und das Forum der Remonstranten Berlin am 27. November 2015 um 19 Uhr in der Galerie Fantom, Hektorstr. 9 in Wilmersdorf:

Reden von Gott und von dir selbst: Über Theologie und Autobiographie

Ein Abend mit dem Theologen und Kulturwissenschaftler Prof. Johan Goud aus Den Haag

Leider ist der Religionsphilosophische Salon am 27.11. 2015 AUSGEBUCHT. Alle bisherigen Anmeldungen (bis zum 24.11.) werden selbstverständlich berücksichtigt. Bitte um Verständnis, aber 1. sind die Raum – und Sitzzplatzkapazitäten begrenzt. Und 2. soll im Salon die Gesprächsmöglichkeit unbedingt – bei kleinerer Anzahl der TeilnehmerInnen – erhalten bleiben.

Gott und die Seele möchte ich kennen lernen, sonst nichts’, so Augustin (356-430), der vielleicht grösste Denker in der Geschichte des Christentums – er schrieb seine Confessiones in denen er diese beiden Themen mit einander verbunden hat. In diesem Vortrag geht es um die Verbindung von Autobiographie und Theologie unter heutigen Bedingungen. Der Vortragende ist Theologe der protestantischen Kirche der Remonstraten in Holland mit großem Interesse an Literatur und Kunst, in denen das Autobiographische fast immer mitspielt.

Der Vortrag ist in deutscher Sprache.

Der remonstrantische Theologe Johan Goud ist Autor des Buches „Onbevangen. De wijsheid van de liefde“, „Unbefangen. Die Weisheit der Liebe“. Erschienen 2015 bei Meinema, Holland.

In einem Beitrag in der Zeitschrift ADREM (Mai 2015) erläutert Peter Korver das Buch: „Einerseits wird darin die solide theologische Kenntnis deutlich, andererseits wird nach einer Verbindung mit der modernen Kultur gesucht, besonders in der Kunst und der Literatur. Johan Goud beschreibt sich als jemand, der sein Leben lang versucht hat, tief das Wort Gott zu verstehen. Er sagt selbst: “Ich bin ziemlich sicher, dass das Rätselwort Gott von einer Wirklichkeit beantwortet wird, einer Wirklichkeit, die in letzter Hinsicht unbegreiflich ist, die aber in den Menschen wohnt und die es anstellt, dass die Menschen tun, was sie tun, zum Schlimmen, aber auch zum Guten. Das Wort Gott selbst brauchen Menschen dabei nicht einmal auszusprechen“.

Peter Korver fährt fort: Dabei ist der Titel des Buches „Unbefangen“ wichtig: Es geht um eine unbefangene Weise des theologischen Denkens, weg von Dogmen und Konventionen, das ist keine einfache Sache. In der Kunst, der Literatur und der Mystik gibt es Raum für diese Unbefangenheit. Gott ereignet sich in Gedichten oder in der Musik, aber auch zuweilen unerwartet in Reflexionen. Was wird dabei entdeckt? Das Überraschende und Ergreifende ist, dass nicht du am Suchen und am Finden von Antworten bist. Es ist eher umgekehrt. Du entdeckst, dass du gefunden wirst durch das, was du suchst und findest. Dieser Wechsel (Umschlag) ist wesentlich, er wird von Goud Liebe genannt.

Diese Denkhaltung ist etwas anderes, als wenn in Untersuchungen Gott als ein etwas objektiviert wird und beurteilt wird.

Der Untertitel des Buches verweist auf den Philosophen Emmanuel Lévinas, mit dessen Denken sich Goud schon sehr früh befasst hat.

Johan Goud, Jahrgang 1950, geboren in Dordrecht, NL, studierte Theologie und Philosophie in Amsterdam und Tübingen, Promotion in Leiden (NL) über den jüdischen Philosophen Immanuel Lévinas. Goud ist Pfarrer in verschiedenen Gemeinden der liberal-theologischen, „freisinnigen“ Remonstranten Kirche, zuletzt in Den Haag, dort auch Initiator einer religionsphilosophischen Akademie. Die Remonstranten sind ja bekanntermaßen die einzige christliche, protestantische Kirche, (Mitglied im „Weltrat der Kirchen“ in Genf), die ihre Mitglieder nicht zu einem festen überlieferten Glaubensbekenntnis auffordert. Jeder Remonstrant ist eingeladen, sein eigenes, individuelles Glaubensbekenntnis zu sprechen und mit anderen darüber ins Gespräch zu kommen. Die Remonstranten haben als erste christliche Kirche schon 1987 homosexuellen Paaren – gleich welcher religiöser Herkunft – in ihren Kirchen die Segnung der Partnerschaft, der Ehe angeboten, bis heute ist dies eine Selbstverständlichkeit. Sie sind die einzige Kirche, die auch Mitglieder anderer Kirchen und Religionsgemeinschaften als Freunde willkommen heißt mit dem gleichen „Status“ wie die Mitglieder.

Johan Goud war bis vor kurzem Prof. in Utrecht (NL) für Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie und Theologische Ästhetik, speziell Religion und Sinnerfahrung in Literatur und Kunst. Seit einigen Monaten ist Prof. Goud emeritiert. Er ist Autor zahlreicher Bücher und Zeitschriftenbeiträge zu dem Thema.

Prof. Johan Goud in einem Interview mit der großen niederländischen Tageszeitung NRC Handelsblad, 16.5. 2015:

Einige wichtige Zitate in einer Übersetzung von Christian Modehn.

„Es handelt sich in der Rede von Gott um eine Wirklichkeit, die unbegreiflich ist, aber die doch IN den Menschen wohnt, die sie antreibt, zu tun, was Menschen tun, zum Bösen, aber auch zum Guten. Genau wegen dieser Doppelung, die sich in dem Wort Gott verbirgt, Gutes und Leiden, Liebe und Hass, haben religiöse Traditionen auch Theologie nötig, das heißt, ein kritisches Nachdenken über Gott.

Frage: Die christliche Tradition zerfällt langsam in Europa, was verschwindet da?

Antwort: Ich frage mich, ob Menschen, die diese Themen (etwa die Frage nach Gott) für sich ausschließen und unsinnig finden, sich nicht doch von einem Teil unserer Wirklichkeit abschließen. … Damit könnte auch die Erinnerung an eine „Seele in uns“ verschwinden. Damit meine ich: Dass da mehr ist als das, was wir mit unserem Selbstbewusstsein wahrnehmen und denken. Dadurch haben wir Teil an etwas, das größer ist als unser Leben. Vielleicht verschwindet mit dem Gedanken an Gott auch die Erinnerung an die Liebe, die eine Wirklichkeit (wirksam) ist…Den grundlegenden Zusammenhang finde ich in Kunst und Literatur, bisweilen auch im Nachdenken und Meditieren. Gott ist in hohem Maße sozusagen „jemand“, der auf eine literarische Weise gelesen werden will..

Frage: Warum spricht die literarische Form Sie so sehr an, um dem Glauben eine Form zu geben?

Antwort: Dichter wie Rutger Kopland und Willem Jan Otten versuchen ein semantisches Äquivalent zu finden für die Glaubenssprache. Um diese Suchbewegung, darum geht es mir. Gott hat ständig neue Beschreibungen nötig. Bisweilen stößt man dann bei der Suche auf etwas. Dieses Gefühl: Jetzt treffe ich das Gesuchte, – „das ist es!“ – dauert vielleicht nur solange, wie ein Gedicht dauert. Diese Erfahrung kann durch Gedichte entstehen, aber auch in der Musik und auch unerwartet im Nachdenken.

Übersetzung: Christian Modehn.

 

Mouhanad Khorchide und der Friedensnobelpreis 2015 für Tunesien

Mouhanad Khorchide und der Friedensnobelpreis 2015 für Tunesien

Mouhanad Khorchide, Professor für islamische Religionspädagogik an der Universität Münster, Autor und beliebter Referent, hat dieser Tage sein neues Buch im Herder Verlag unter dem Titel „Gott glaubt an den Menschen. Mit dem Islam zu einem neuen Humanismus“ veröffentlicht. Christian Modehn traf Prof. Khorchide am 10. Oktober 2015 in Berlin (anläßlich einer Tagung des “Humanistischen Verbandes Deutschlands”) zu einem Interview. Darin äußert sich Khorchide unter anderem auch zum Friedensnobelpreis 2015, den das tunesische „Quartett“ für den nationalen Dialog erhalten wird. Die Gruppe bemühte sich, nach dem Sturz des tunesischen Machthabers Zine El Abidine Ben Ali im Jahr 2011, die Demokratie möglich zu machen und aufzubauen.

Mouhanad Khorchide:  “Der Nobelpreis für Tunesien ist ein sehr wichtiges Signal, wenn man bedenkt, dass in der arabischen Welt vor ein paar Jahr noch Regime dort geherrscht haben. Nun sieht man, dass Menschen in Tunesien in der Lage sind, sich demokratisch zu entfalten, dass auch demokratische Grundwerte dort gewürdigt werden. Das zeigt: Es macht Sinn, daran zu arbeiten. Und der Nobelpreis ist ein Symbol für andere Länder, die noch nicht so weit sind. Sie sollen sehen: Es macht Sinn für die Menschenrechte einzutreten, aber man muss selber die Veränderungen in die Hand nehmen”.

Steht diese Aussage auch im Zusammenhang mit Ihrer Theologie?

“Wir Muslime glauben an einen humanistischen Gott, der an den Menschen glaubt. Das heißt, gerade demokratische Grundwerte, Menschenrechte, alles, was im Sinne des Menschen steht, ist im Sinne Gottes.

Der Koran unterstreicht, dass man bestehende politische Realitäten kritisch hinterfragt. Und wenn man die heutige islamische Welt anschaut, dann wird man feststellen, es fehlen dort Menschenrechte großenteils. Da und dort gibt es Ausnahmen. Und dann ist es Aufgabe der Theologie, diese Grundwerte in den Kern der Theologie zu rücken; es geht nicht um dogmatische Sätze, sondern darum, dass praktisch die Werte der Menschenrechte umgesetzt werden.

Es gibt einen Grundsatz im Koran, in der 21. Sure, Vers 107, da heißt es: „Wir haben dich, Mohammed, lediglich als Barmherzigkeit für alle Welten entsandt.“ Barmherzigkeit in dem Sinne: Alles, was den Menschen gut tut. Das heißt: Wir können aus diesem Grundsatz der Barmherzigkeit heute die Menschenrechte genauso ableiten wie unsere demokratischen Grundwerte, weil alles, was im Sinne des Menschen ist, auch im Sinne Gottes ist. Wir glauben an einen humanistischen Gott, der an den Menschen glaubt. Das heißt, alle demokratischen Grundwerte, Menschenrechte, alles was im Dienste des Menschen ist, ist eben auch im Sinne Gottes.

copyright: Christian Modehn Berlin, Religionsphilosophischer Salon

 

Protestantische Verteidiger der Toleranz und des Humanismus –Werden sie im Reformationsjubliäum 2017 vergessen?

Protestantische Verteidiger der Toleranz und des Humanismus –Werden sie im Reformationsjubliäum 2017 vergessen?      Hinweise zur frühen Geschichte der Remonstranten und zur Gegenwart einer nicht dogmatischen protestantischen Kirche.

Von Christian Modehn

Wenn Historiker und Theologen heute wie früher über „Toleranzdiskurse in der frühen Neuzeit“ (so ein neues Buch hg. von Friedrich Vollhardt, erschienen 2015) sprechen und über Duldung und besser noch Akzeptanz religiöser Pluralität, „dann ist es auffällig, dass Weiterlesen ⇘

Macht Arbeit Sinn? Zum neuen “Philosophie Magazin”

Macht Arbeit Sinn? Ein Themenschwerpunkt im „Philosophie Magazin“, Ausgabe Oktober 2015

Ein Hinweis von Christian Modehn

Das „Philosophie Magazin“ erscheint leider nur alle 2 Monate. Die Leidenschaft fürs Philosophieren muss wohl noch erheblich in Deutschland zunehmen, damit wir auch hier – wie in Frankreich – monatlich auch durch Zeitschriften ins Fragen, ins philosophische Fragen, kommen… Das wird wohl erst möglich werden, wenn der Philosophie Unterricht an den Schulen viel weitere Verbreitung und größeren Respekt findet. Und die „philosophischen Cafés“ mehr Verbreitung finden und mehr Ansehen genießen und etwa als eigenständige kulturelle Basisinitiative gefördert werden und öffentliches Interesse finden. Es gibt in Deutschland etliche Literaturhäuser, aber kein einziges „Haus der Philosophie“…

Immerhin: Jedes Heft des Philosophie Magazins bietet auf 100 Seiten eine vielfältige Fülle von Anregungen, ins eigene Denken zu gelangen. Und dies natürlich nicht als eher belangloses „Hobby“. Das eigene kritische und selbstkritische Nachdenken bietet Orientierung und die Fragen, die zu Antworten führen rufen wiederum weitere Fragen wach und so weiter.

Der thematische Schwerpunkt heißt diesmal „Macht meine Arbeit noch Sinn?“ Die Frage ist dringend, und darauf weist Wolfram Eilenberger, der Chefredakteur, einleitend hin: Im Anschluss an Einsichten Dostojewskis aus dem sibirischen Arbeitslager betont er, dass „das Bewusstsein dauerhafter Sinnlosigkeit“ auch und gerade in der eigenen Arbeit erlebt, nicht ertragen werden kann. Und er weist auf die Tätigkeit der heutigen Finanzmanager hin, die nichts tun als Geld hin und her zu schieben per Computer-Knopfdruck „ohne etwas zu produzieren oder irgendjemandem benennbar zu nutzen“. Und Wolfram Eilenberger deutet politische Implikationen an: „Vielmehr geht die Sage, hinter diesem Geld-Geschiebe versteckten sich in Wahrheit tausend kleine Verbrechen“. Diese Erkenntnis möchte der Leser gern vertiefen. Sie ist auch philosophisch, weil ethisch, und würde zur vollständigeren Antwort die Zusammenarbeit mit Politologen und Verbrechensforschern implizieren. Diese neuen Bündnisse von Philosophie mit anderen Wissenschaften wären nicht nur reizvoll, sie könnten die Philosophie aus der naturgemäß eher abstrakten Argumentation herausführen; Philosophie würde so wieder mehr „ihre Zeit in Gedanken fassen“ (Hegel), also durchaus mehr mit empirischem Material „arbeiten“.

Die weiteren Hinweise von Wolfram Eilenberger sind wichtig: Nach diesem eher sehr wenig Sinn stiftenden Job, etwa an der Börse, „reißen sich“ sehr viele Bewerber. Sie suchen persönlich mit Luxus-Gehältern überhäuft zu werden. Und das ist für sie wichtiger als eine sinnvolle Arbeit. Denn Geld ist der (neue/alte) Gott, dem man sogar die eigene Sinnerfahrung und das eigene sinnvolle Leben opfert. Dieser Gedanke wird leider in dem Beitrag nicht weiter ausgeführt. Er könnte in die Richtung weisen „Für Geld tue ich alles“..

Viele dringende Fragen wirft auch der Beitrag „Macht meine Arbeit auch Sinn?“ auf, verfasst von Nils Markwardt. Auch er betont: „Der Sinnlosigkeitsverdacht der Arbeit beschäftigt uns (heute) wie nie zuvor“. In der Dienstleistung- und Informationsbranche oder im EDV Bereich werden keine vorzeigbaren, greifbaren „Werke“ hergestellt, die – idealerweise – als das eigene Werk angeschaut, eine gewisse Zufriedenheit des Handwerkers bewirkten: „Mein Werk, geschaffen für die anderen“, ist ja das bekannte Motto von Philosophen zugunsten nicht-entfremdeter Arbeit.

Heute hingegen erleben wir die Arbeit als „Fluxus“, als fließend und ungreifbar. „Die Verflüssigung des Werkes macht die Suche nach einem buchstäblich fassbaren Sinn zusehends schwieriger“.

Ob die sinnlose Arbeit dadurch wieder an Sinn gewinnt, „weil es schwer fällt, an den Tod zu denken, wenn es Arbeit zu tun gibt“, wie Alain de Botton in dem Beitrag zitiert wird, ist philosophisch doch sehr zu bezweifeln. Vorausgesetzt, man hält die Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod philosophisch für sinnvoll. Das tun ja viele nachdenkliche, nicht nur „fromme“ Leute.

Merkwürdig, zum Fragen aufregend bzw. anregend und inspirierend ist der Schlussteil des Beitrags von Nils Markwardt. Darin behauptet er, dass es doch sinnvoll sei, wenn sich in „Sachen Arbeit“ „die Frage nach dem Sinn gar nicht erst einstellt“ (S. 47). Wir sollen uns in Selbstvergessenheit in der Arbeit öffnen, ein „ozeanisches Gefühl“ würde sich dann einstellen und „ein zeitloser Funkenflug der Selbsterfülllung“ und ein „göttlicher Zustand“ . O Gott, möchte man rufen, sag diese Weisheit bitte einmal nicht nur den gestressten Frauen an der Aldi-Kasse, den afrikanischen Plantagenarbeitern in Spanien, vor allem den ausgebeuteten Landarbeitern in Brasilien (Tageslohn nach 12 Stunden Arbeit: 5 Euro) oder den ausgepowerten, miserabel bezahlten, gesundheitlich stark gefährdeten Fabrikarbeitern etwa in Bangladesh. Nur wenn philosophisches Denken sich der Not der Menschen öffnet, und die allermeisten leben und arbeiten im kapitalistischen Weltsystem höchst erbärmlich, kann es den Anspruch haben, Weisheit zu sein, also humane Orientierung zu bieten. „Der zeitlose Funkenflug der Selbsterfüllung“ und dann sogar „der göttliche Zustand, den jeder von uns bei prosaischer Tätigkeit finden kann“, diese eher poetisch-mystischen Worte sind – mit Verlaub – nichts als Opium, eingepackt in schöne Worte.

In dem Heft werden Menschen vorgestellt, die so privilegiert sind, dass sie sich aus einem langweiligen, nervtötenden und sinnlos erscheinenden Job befreien konnten und neue erfreuliche Arbeit für sich entdeckten. Eine Assistenzärztin in einem deutschen Universitätsklinikum findet bei den „Ärzten ohne Grenzen“ eine insgesamt sinnvollere, auch mehr auf Eigenverantwortung setzende Tätigkeit unter elenden Menschen des Süd-Sudans. Ein Lehrer findet seine sinnvolle Erfüllung als Koch usw. Etliche Beispiele gelungenen Berufswechsels „um des Lebenssinns willen“ werden vorgestellt. Der Leser fragen sich: Habe ich selbst noch die Chance, neu und anders zu arbeiten? Diese Frage kann er weiter reflektieren wenn er sich auf die spannenden kontroversen Vorschläge bedeutender Philosophen einlässt. Michel Eltchaninoff stellt unter anderen die Überzeugungen Hegels und Simmels gegenüber zu der Frage: Arbeiten wir, um Geld zu verdienen? Weitere Beiträge gelten der Auseinandersetzung

Arbeiten wir, ja oder Nein, um die Welt zu verändern?

Erfreulich ist es in unserer Sicht, dass sich das „Philosophie Magazin“ auch religionswissenschaftlichen Themen zuwendet, diesmal wird eine Reportage geboten „Wer ist der nächste Dalai Lama?“.

Ein ausführliches Interview mit Michel Houellebecq über dessen neuestes Buch „Unterwerfung“ wird der klassischen (uralten, gegründet 1829) französischen Kulturzeitschrift „Revue des deux Mondes“ vom Juli 2015 entnommen. Dabei erscheint, mit Verlaub gesagt, der weltberühmte pessimistisch-nihilistisch-verzweifelt- suchende Autor wie ein ewig Klagender und Jammerer. „Gott will mich nicht. Er hat mich zurückgewiesen“ ist seine Aussage, und sein Bekenntnis gipfelt „in der Angst, der puren Angst“, dass „wir“ (also das angeblich christliche Europa) von einer anderen Kultur (gemeint ist eindeutig „der“ Islam) beherrscht werden könnten (Seite 31 unten). Da stellt der Journalist anschließend schon gar keine Frage mehr, er hat seine eigene These: „Aber es gibt keine Lösung für diese Angst“. Houellebecqs geradezu nahe liegende Antwort auf diese These: „Nein, das ist pure Angst“.

Ich finde es hoch bedauerlich, dass dieses doch schon relativ alte Interviews (es wurde für die Pariser Zeitschrift Revue des deux mondes sicher schon im Mai, Juni 2015 geführt) einfach kommentarlos stehen bleibt. Soll der große Meister Michel H. auch uns Angst machen, oder? Dieses Interview aus alten Zeiten jetzt zu platzieren, ist ohnehin sehr schade, hat doch die Tageszeitung „Le Monde“ im August noch mehrere sehr differenzierte Beiträge zu Michel Houellebecqs Denken (und pessimistischen, angstvollen) Raunen publiziert. Erstaunlich ist dabei vor allem der Beitrag vom 22. August 2015, in dem die Autorin Ariane Chemin der Beziehung Houellebecqs zum Katholizismus detailliert nachgeht. Sie berichtet von seinem Besuch im Benediktinerkloster von Ligugé bei Poitiers im Dezember 2013. Im Roman „Unterwerfung“ wird auch darüber ausführlich – mit Änderung der Namen der Mönche dort – geschrieben. Mit 13 Jahren, so betont „Le Monde“, erhält Houellebecq zum ersten mal eine Bibel, später nimmt er an katholischen Gruppen „Groupe de parole chétien“ teil, geht auf Wallfahrt nach Chartres. In Paris geht er viele Jahre zur Messe, nimmt in einer Gemeinde im Montparnasse-Viertel an der Vorbereitung zur Taufe teil. In seinem Buch „Ennemies publics“ lobt Houellebecq in höchsten Tönen das Ritual der katholischen Messe… Interessant ist zudem, wenn „Le Monde“ berichtet, wie der eher konservative Bischof von Poitiers, Msgr. Wintzer, sich, so wörtlich, „als absoluter Houellebecq Fan“ outet, mit dem er per email korrespondiert, beide haben sich sogar schon getroffen. Ganz anderer Meinung ist Erzbischof Dagens im benachbarten Angouleme, er ist Mitglied des Academie Francaise und hält Houellebecq, so wörtlich, für einen Unglückspropheten, vor dem man warnen muss. Auch wenn Houellebecq meint „Gott will mich nicht“, so hat er doch gegenüber Bruder Joel von Ligugé bekannt, nicht mehr Atheist, sondern Agnostiker zu sein (Le Monde, 22. August, Seite 21). „Ich bin sicher, Michel H. ist en route, ist unterwegs“, hofft Frère Joel. „Das Kloster ist bereit, von neuem seine Arme zu öffnen für seinen berühmten Gast“, heißt es in “Le Monde”.

Nach diesem kurzen Exkurs wieder zurück zum Heft:

Mit besonderer Aufmerksamkeit sollte man den Beitrag des in Berlin lehrenden Philosophen Byung-chul Han lesen über „Das falsche Versprechen der Arbeit“ (S. 62 ff.), ein ungeheuer dicht geschriebenes Essay, ursprünglich ein Vortrag zur Ruhrtriennale am 15.8.2015. Eine zentrale These: “Die Welt ist heute ohne jedes Göttliche und Festliche. Sie ist ein einziges Warenhaus geworden…Ich bin mit der Warenwelt nicht einverstanden… Wir haben auch jede Fähigkeit zu Staunen verloren…“ Man fühlt sich in die Zivilisationskritik Martin Heideggers zurückversetzt. Immerhin hat Byung-Chul Han im Unterschied zu dem bloß klagenden Heidegger einen knappen Vorschlag, wie es besser werden könnte: „Wir sollten aus diesem Warenhaus endlich ausbrechen, wir sollten aus dem Warenhaus wieder ein Haus, ja ein Festhaus machen, in dem es wirklich zu leben lohnt“ (Seite 65). Aber: WIE wir denn nun Schritt für Schritt das Warenhaus persönlich und mit anderen in ein Festhaus verwandeln können, wird nicht angedeutet. In dieser Undeutlichkeit meldet sich offenbar Meister Heidegger zurück, der bei solchen Problemen nur eins wusste und ewig wiederholte und seine Getreuen allein ließ mit seinem Raunen: „Hören wir auf die Weisungen des Seins (Seyns), werden wir zu Hirten des Seins” etc.

copyright: Christian Modehn Religionsphilosophischer Salon Berlin.

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Die Hüter der absoluten Wahrheit werden aggressiv. Philosophisches zur Bischofssynode

Die Hüter der absoluten Wahrheit werden aggressiv: Zur Bischofssynode in Rom (4. – 25. Oktober 2015)

Ein Hinweis von Christian Modehn

Wer die gegenwärtige „Lage“ der Welt vor Augen hat: Syrien, Ukraine-Russland, Flüchtlinge, Elend, Kinderarbeit, Ökokatastrophen, Missachtung der Menschenrechte weltweit, Korruption, Völkermord und so weiter und so weiter, der wundert sich, dass am 4. Oktober 2015 im Vatikan aus aller Welt ca. 260 Bischöfe, Erzbischöfe und Kardinäle, zusammenkommen, um über „Die Berufung und Sendung der Familie in Kirche und Welt von heute“ zu debattieren. Haben diese Prälaten kein wichtigeres Thema, haben sie keine Ideen mehr, wie der Menschheit in der Krise geholfen werden könnte? Vielleicht haben sie wirklich keine hilfreichen Vorschläge… Und reden lieber über das genannte Thema.

Wie auch immer: Diese Synode mit dem Papst als Vorsitzenden und Letzt-Entscheidenden wird, so berichten Insider weltweit einmütig, trotzdem ein wichtiges Ereignis sein, das den Weg der römischen Kirche und das Schicksal des eher reformfreudigen Papstes Franziskus bestimmen wird. Deswegen ist diese Synode auch für religionskritisch Interessierte von Bedeutung.

Warum also wird dieses im ganzen doch nicht absolut relevante Thema in Rom debattiert? Weil die Bestimmung dessen, was Familie ist, und damit, was Sexualität und Kindererziehung und Partnerschaft bedeuten, die allerletzte Bastion ist, die die römische Kirche noch als ihr eigen betrachtet: Die Gesetzgebung der Staaten kann die Kirche nicht mehr, wie noch bis ins frühe 20. Jahrhundert, mitbestimmen. Zum Frieden kann sie zwar immer wieder mahnen, aber sie kann keinen politischen Frieden schaffen. Und selbst das subjektive Glaubensbewusstsein der einzelnen kann die Kirchenführung nicht mehr beeinflussen. Zahllose Umfragen haben ergeben: Die Katholiken halten sich de facto nicht mehr an die Gebote der Ehe – und Sexualmoral. Sie sind darüber – “Gott sei Dank ” hinausgewachsen. Trotzdem reden mehr als 250 ältere Prälaten erneut über diese starre fixierte Ethik, an die sich fast niemand mehr hält. Irgendwie wollen die konservativen Kirchenführer diese veralteten Moralvorstellungen am liebsten den Katholiken vielleicht einimpfen…Heftige Debatten wird sicher das öffentliche coming-out eines Priesters, Theologen und Mitarbeiters in der obersten vatikanischen Glaubensbehörde (Chef: Kardinal Müller) in Gang bringen: Der aus Polen stammende Priester Krzysztof Charamsa hat sich am 3. Oktober 2015 als homosexuell geoutet und sich mit seinem Partner öffentlich gezeigt, siehe auch Fußnote 2 unten.  Der Theologe Charamsa ist zweifellos eher dem theologisch-konservativen “Lager” zuzurechnen, er studierte u.a an der bekanntermaßen konservativen Hochschule von Lugano (eng mit den Neokatechumenalen verbunden) und war bis zuletzt als Dozent an der Universität des Ordens “Legionäre Christi”, Regina Angelorum, in Rom, tätig. Die “Legionäre” nehmen bekanntermaßen nur konservative Theologen in ihre Universität als Dozenten auf. Diese theologische Orientierung Charamsas ist für die konservative Kirchenführung ein um so größerer Schock.

Jedenfalls, Tatsache ist: Die römische Kirche hat jetzt de facto alle äußere Macht und damit allen „Glanz“ verloren, die sie im Mittelalter, bis über die Französische Revolution hinaus besaß. Wenn nun die Kirche jeglichen Einfluss auf die „Familienfrage“ und auf die Vorschriften zur Sexualität verliert, dann steht sie in der Öffentlichkeit definitiv arm und förmlich nackt da. Sie ist dann nur noch eine spirituelle Organisation. Aber welche Spiritualität hat sie zu bieten? Das ist ein anderes Thema.

Hat die Kirche zur Familie und dem weiten Umfeld der Sexualität nichts mehr zu sagen, dann ist das Mittelalter definitiv zu Ende. Davor haben die Prälaten natürlich Angst.

DESWEGEN kämpfen die konservativen Kleriker in Rom jetzt besonders heftig um den Erhalt der letzten noch verbliebenen kirchlichen Machtansprüche für „die Welt“, also für „die Familie“. Und diese Kleriker verunglimpfen in ihrem Kampf jene, die, etwas sich aufgeschlossener zeigen und durchaus ein bisschen Verständnis für Veränderungen in der Ehe-„Lehre“ und im Tolerieren der „Homosexuellen“ haben.

Tatsache ist: Selten wurde in solchen Schlammschlachten von konservativ-reaktionärer Seite auf die halbwegs noch etwas aufgeschlossenen Kleriker eingedroschen. Es würde im Rahmen der für unseren Philosophischen Salon selbstverständlichen Religionskritik zu weit führen, alle diese Attacken zu dokumentieren. Man wird ihnen vom 4. Oktober erneut vom Vatikan aus begegnen, falls denn eine objektive Berichterstattung gelingt und nicht nur offizielle Propaganda von kirchlicher Seite als „Information“ verabreicht wird.

Was erstaunt ist: In einer Zeit, in der gebildete Menschen äußerst zurückhalten sind, wenn es gilt, inhaltlich fest beschriebene Wahrheiten als gültig für alle und immer hinzustellen, treten konservative Kleriker, ohne vor Scham zu erbleichen, möchte man sagen, auf und verfügen: Unsere inhaltlich präzise Meinung ist die Wahrheit für alle und für immer. Vor allem sehen sie sich förmlich auf der Seite des „lieben Gottes“ und haben keine Angst, ein dermaßen verdinglichtes Gottesbild zu propagieren! Wann gibt es nicht den Aufstand der Mystiker gegen diese unsäglichen Gottesbilder, wenn etwa Kardinal Sarah sagt: „Unsere Wahrheit stammt von Gott selbst!“ Man lese die Stellungnahme des aus Guinea stammenden Kurienkardinals Robert Sarah, er ist der oberste Chef in allen Fragen, die Gottesdienste (Liturgien) betreffen. Sarah hat jetzt ein Buch verfasst mit dem eindeutigen Titel „Gott oder Nichts“. Also kurz zusammengefasst: „Wer meinem Gott nicht folgt, landet im Nichts“. Oder: „Wer meinem Gott, er ist der einzig Wahre, nicht folgt, zerstört sich selbst, zerstört die Kirche, zerstört die Welt“. Dabei nimmt Kardinal Sarah das Neue Testament wortwörtlich, in diesen vielfältigen und z. T. widersprüchlichen Texten spricht für ihn Gott selbst, behauptet er, weil es ihm in seinen eigenen ideologisch-politischen Kram passt! Und der heißt: Die alte Ordnung der Hetero-Ehe muss streng bewahrt bleiben. Dabei müsste er wissen, dass die Hetero-Liebesehe eine Schöpfung des 19. Jahrhunderts ist, die jetzt als DIE Ehe in manchen Kreisen Europas gilt. In Afrika ist diese europäische Liebesehe des 19. Jahrhunderts überhaupt keine Realität, auch in Lateinamerika hat eine katholische Frau normalerweise 5 Kinder von 3 verschiedenen Männern. Die Frau allein kümmert sich um die Kinder. Werden diese Menschen jemals zur förmlich in Rom heilig gesprochenen Liebesehe des 19. Jahrhunderts finden? Oder wären nicht ganz andere Fragen wichtig? Wie kann die Gesellschaft so gerecht gestaltet werden, dass Frauen und Kinder und auch die Väter wenigstens ein Minimum an Menschenrechten genießen dürfen? Aber Nein, die Kardinäle reden über Wiederverheiratet-Geschiedene. Darf man aus philosophischer Sicht erneut sagen? Das ist angesichts der “Lage” der Welt geradewegs lachhaft, wenn nicht skandalös; zumal: wenn man auch bedenkt wie viele Millionen Dollar diese Synode an Unkosten verursacht, von den weltweiten Flügen und ihren ökologischen Implikationen der aus allen Ländern anreisenden Prälaten einmal ganz abgesehen.

Wenn das Wort nicht so abgegriffen wäre: Kardinal Sarah vertritt puren FUNDAMENTALISMUS. Merken wir uns: Es gibt ihn also nicht nur in islamischen oder hinduistischen Kreisen…

Es ist bezeichnend, dass dieses Buch „Gott oder Nichts“ im September 2015 im Schloss der Frau Fürstin von Thurn und Taxis in Regensburg vorgestellt wurde, das Vorwort schrieb kein Geringerer als der Intimus Benedikt XVI., Erzbischof Georg Gänswein, der wohl immer noch zusätzlich als Sekretär von Papst Franziskus tätig ist (1). Da schreibt also der engste Mitarbeiter des etwas aufgeschlossenen Papstes Franziskus ein Vorwort in einem Buch, das sich zumindest indirekt entschieden gegen Franziskus selbst richtet. Eine hübsche Geschichte vom „Hofe“ (früher soll ähnliches am Hofe Ludwig XIV. passiert sein). Aber wichtiger ist, dass dieses Buch von Kardinal Müller, einst Regensburg, jetzt oberster Glaubenswächter im Vatikan, bei der Fürstin vorgestellt wurde. Da sieht man, was sich da an Connections im Vatikan gegen Franziskus zusammengebraut hat. Zu Kardinal Sarah, der ebenfalls durch seine Anwesenheit die Fürstin erfreute, (auch Martin Mosebach war selbstverständlich dabei und der Bruder des Papstes Emeritus, also der einstige oberste Regensburger Domspatz Georg Ratzinger). Zum Buchautor Kardinal Sarah bemerkt Hannes Hintermeier in einem wertvollen Beitrag in der FAZ (am 3.9.2015): „Bei der nächsten Papstwahl dürfte Sarah zu den „papabile“ zählen. Mit siebzig Jahren ist er in einem Alter, in dem man in der Kurie zur Kategorie „Hoffnungsträger“ zählt“.

Ein Hoffnungsträger in der Sicht Roms also, dieser Fundamentalist, der Denker in Kategorien des „Alles oder Nichts“, Verzeihun:  „Gott oder Nichts“. Sandro Magister, Vatikan-Spezialist, berichtet über ihn in La Repubblica“, wir zitieren Sarah in einer Übersetzung: “Homosexual unions are completely against God’s plan, which was to create man and woman who complement one another perfectly. And the family and the future of society comes from this [hetrosexual] union. A homosexual union has no future, it does not create life . . .”

Warum werden solche Äußerungen nicht als Volksverhetzung erkannt? Warum wird Herr Sarah wegen dieser Diffamierung Homosexueller nicht angeklagt? Die Antwort dürfte bekannt sei: Es handelt sich eben um Äußerungen innerhalb einer Glaubensgemeinschaft, diese Äußerungen muss die Glaubensgemeinschaft selbst regeln, da darf sich kein Gericht einmischen. Das sind noch Restbestände mittelalterlichen Denkens, von der eigentlich in zivilisierten demokratischen Ländern gültigen Laizität ist da wenig zu spüren!

Der AFP Pressedienst (Autor: Jean-Louis Vaissiere, am 28.2.2015) bietet weitere Zitate von Kurienkardinal Sarah: “Gott hat sich deutlich über Homosexualität ausgesprochen. (…) Wenn ein Prälat sich gegen die Offenbarung stellt, ist das seine Sache, aber wir werden auch weiterhin unterstreichen, was Gott von Homosexualität hält. Das bedeutet nicht, dass man diese Menschen nicht pastoral begleiten muss”, sagt Sarah. Offenbar geht die Begeleitung dahin, dass sie ihre Homosexualität, nach allerlei drangsalierenden „Therapien“, aufgeben.. Sarah fährt fort:

“Das gleiche gilt für die bürgerlich wiederverheirateten Geschiedenen: Da gab es eine Erklärung des Katechismus der Katholischen Kirche und eine starke Aussage von Johannes Paul II (…), dass es nicht möglich ist, wiederverheirateten Geschiedenen die Kommunion zu geben. Dennoch muss der Priester diese Menschen begleiten, sie ermutigen, zur Messe zu gehen und ihren Kindern eine christliche Erziehung zu geben“, fügt er hinzu.

Direkt auf die Debatten der Synode bezogen, warnt Sarah vor einem nicht-fundamentalistischen Verständnis der Bibel, denn diese enthält ja wie alle wissen, die direkten Äußerungen Gottes: „Wie soll man verstehen, dass katholische Pfarrer die Doktrin, das Gesetz Gottes und die Lehre der Kirche zur Homosexualität, Scheidung und Wiederheirat zur Abstimmung freigeben?”

Und Kardinal Sarah tut so, als wäre eine Neuinterpretation der katholischen Doktrin über die Homosexualität z.B. ein Abfall vom Glauben, den möglicherweise dieser Papst mitzuerantworten hat. Da sagt Sarah wie in einer Drohgebärde: “Ich versichere feierlich, dass die afrikanische Kirche stark sein wird gegen jede Rebellion gegen die Lehre von Jesus und dem Lehramt! Wie kann eine Synode die beständige Lehre von Paul VI, Papst Johannes Paul II und Benedikt XVI. revidieren wollen? Ich setze mein Vertrauen in die Treue von Franziskus.”

Das heißt: Der Reaktionär aus Guinea rechnet damit, dass die Synode die angeblich ewige Lehre Gottes aufgeben könnte. Er hofft aber, deutlich in seiner Zweideutigkeit, „auf die Treue von Papst Franziskus“. Was meint da Treue von Papst Franziskus: Treue zum reaktionären Flügel der afrikanischen Kirche? Oder gar noch tief greifender: „Treue zu Evangelium“? Sarah unterstellt also, dass der Papst dem Evangelium untreu werden könnte, also ein Ketzer werden könnte. Das Klima in der römischen Kirche ist vergiftet, vor lauter Wahrheitsbehauptungen und dem Wahn, auf der Seite Gottes zu stehen, hat sich römische Kirche wie in einem riesigen Netz verklammert. Wie löst man eigentlich ideologisch-wahnhaft bedingte „gordische Knoten“? Martin Luther wusste es noch.

Diese Hinweise zeigen, dass der Streit um die angeblich absolute Wahrheit die alten wackeren Herren in ihrem römischen Barock-Palästen förmlich aus dem Häuschen bringt, die Emotionen steigen, der Hass, die Ablehnung. Manche Beobachter sprechen von einer Spaltung der Institution der Kirche, die die schon längst de facto bestehende theologische Spaltung der römischen Kirche in reaktionär und ein bisschen aufgeschlossen nur institutionell deutlich machen würde. Dann könnten sich die Piusbrüder wenigstens dem offiziell reaktionären vatikanischen Flügel anschließen.

Aber so weit wird es wohl nicht kommen: Der Papst als der oberste definitive Entscheider, als der absolute Herr des letzten Wortes, wird um des lieben (angeblichen) Friedens willen, den Konservativen und Reaktionären recht geben und weitere, etwas progressivere Entwicklungen auf spätere Jahre (Sankt Nimmerleinstag) verschieben. Er wird nachgeben müssen, um selbst in diesem heißen Kessel aus Polemik und Hass zu überleben. Mächtig sind ja bekanntlich in jeder Hinsicht immer die Konservativen. Weil sie eben nur alte „Wahrheiten“ wiederholen müssen, weil sie nur die alten Autoritäten zitieren müssen. Die Reaktionären brauchen nicht zu argumentieren, sie müssen alte Texte nur zitieren. Das ist, nebenbei, ein interessantes philosophisches Thema, das sich im Blick auf die Synode erneut zeigt.

Papst emeritus Benedikt XVI. wird aus der Nähe seinen geschulten Blick auf die Synode werfen und über Herrn Gänswein einige Worte, direkt oder indirekt, verbreiten. „Macht weiter ihr lieben Konservativen, kämpft den guten Kampf“ wird er sagen.

Philosophisch ist dieser Vorgang interessant, weil er zeigt, auf welch einem so wenig reflektierten, um nicht zu sagen blamablen theologischen Niveau sich die maßgeblichen vatikanischen Herren und Glaubenslehrer bewegen. Herr Sarah hat ja als junger Kleriker zahlreiche Studien in Rom absolviert. Und diese mit diesem jetzt sichtbaren „Erfolg“ bestanden. Wie soll sich auch jemand von ewigen Wahrheiten befreien, dem Jahre lang in allen theologischen Fakultäten Wahrheit und nichts als Wahrheit eingepaukt wurden. Sarah und die anderen römischen Wahrheitsfanatiker sind nur das sichtbare Ergebnis einer in sich schon hoch problematischen (um nicht zu sagen arrogant-verkorksten) offiziellen Theologie, einer Theologie des Hofes, der Curia romana.

Interessant wäre auch eine öffentliche, interdisziplinäre Debatte: Warum sind so viele Afrikaner gegen den menschlichen Respekt für Homosexuelle? Wer erzeugt diesen Hass, dieses Morden homosexueller Menschen? Wer tritt eigentlich für sie ein? Wer schützt homosexuelle Menschen in Kenia, Uganda, Simbabwe und so weiter? Doch wohl nicht katholische oder pfingstlerische Gemeinden? Aber erhalten diese nicht viele Spenden aus Europa? Spenden da etwa noch gebildete Europäer für diese Verächter der Menschenwürde? Warum müssen die Kirchenführer Afrikas, auch Kardinal Sarah, diese rassistische homophobe Ideologie ihrer Staaten wichtiger nehmen, diesen irren Wahn, als die humanistische Menschenfreundlichkeit, die ja ein bisschen wohl auch im Neuen Testament durch die Gestalt Jesu repräsentiert wird? Wie verblendet sind diese alten Herren? Gibt es da noch Hoffnung auf Licht, auf Aufklärung, fragen sich philosophisch Interessierte? Gibt es Hoffnung auf einen schwachen Sieg der Philosophie der Aufklärung? Man lese bitte “unbedingt” Kants Schrift „Über die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“. Man erkennt dann: Die faktisch bestehenden Religionen mit ihren so vielfältigen angeblich absoluten Wahrheiten sollten durch das Licht der Vernunft „gereinigt“ werden, also zur Menschlichkeit finden, zum humanen Maß. Dann ginge es etwas menschlicher zu in dieser Welt. und in unserer Sicht: Jesuanischer! Aber wird außerhalb kleine philosophischer Kreise noch über eine moderne Religion der Vernunft debattiert? Hat die christlich orientierte Vernunft-Religion noch eine Chance? Vielleicht wäre eine moderne liberale Theologie der Ort dafür.

(1) In seinem Vorwort tut Gänswein so, als wäre das Buch Sarahs eine hübsche und harmlose Geschichte eines alten afrikanischen Prälaten: Tatsächlich vertritt Gänswein erneut – wie der Buchautor – die offizielle römische traditionelle Theologie der völligen Unwandelbarkeit der katholischen Lehre: “Es wäre falsch, dieses Buch als einen Beitrag zu einer ganz bestimmten Debatte oder eine Erwiderung auf konkrete Standpunkte anderer zu lesen. Damit würde man der Tiefe dieser Theologie und der Strahlkraft dieses bewegenden Glaubenszeugnisses nicht gerecht. Kardinal Sarah geht es gerade nicht um die einzelne Konfliktfrage, sondern um das Ganze des Glaubens; er beweist, wie aus dem richtig verstandenen Ganzen auch das Einzelne zu verstehen ist – und wie, umgekehrt, mit jedem theologischen Versuch, Teilfragen zu isolieren, auch das Ganze beschädigt und geschwächt wird. Mag sein, dass Politik die Kunst des Machbaren ist, die Fertigkeit des Kompromisses unter sich ständig wandelnden Bedingungen; die christliche Botschaft aber kann niemals Verhandlungsmasse sein. Sie ist uns anvertraut und kann nur unverfälscht ihre heilbringende Wirkung in der Welt entfalten – auch und gerade in der Welt von heute”. Vatikanstadt, am Gedenktag Jean-Marie Vianneys, des heiligen Pfarrers von Ars, am 4. August 2015 + Georg Gänswein

(2) Der Vatikan-Theologe Krzysztof Charamsa betont: „Die Kirche ist im Vergleich zu dem Wissen, das die Menschheit inzwischen hat, zurück geblieben“, sagte der 43-Jährige Priester und Theologe Krzysztof Charamsa. „Es ist nicht möglich, noch weitere 50 Jahre zu warten. Die katholische Kirche müsse hinsichtlich gläubiger Homosexueller „die Augen öffnen und verstehen, dass ihre Lösung, totale Abstinenz und ein Leben ohne Liebe zu leben, unmenschlich ist“. Der polnischen Ausgabe des Magazins „Newsweek“ sagte Charamsa, der Klerus sei „überwiegend homosexuell und traurigerweise auch homophob bis zur Paranoia, weil es an Akzeptanz der eigenen sexuellen Orientierung mangelt“. Er wolle die Kirche nicht zerstören, sondern ihr helfen. „Mein Coming Out soll ein Appell an die Bischofssynode sein, ihr paranoides Handeln gegenüber sexuellen Minderheiten aufzugeben“, sagte er weiter. Charamsa sagte dem „Corriere della Sera“, die homosexuelle Liebe sei eine „familiäre Liebe“. Überdies habe er das Gefühl, dass er ein „besserer Priester, der bessere Predigten hält“, geworden sei, seit er zu seiner Orientierung stehe. (afp)

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