Theologisch denken mit Marx. Über die lebendige Befreiungstheologie

Hinweise zu unserem religionsphilosophischen Salon am 26.5. 2017

Von Christian Modehn

Ein Vorwort: In unserem religionsphilosophischen Salon am 26.5. 2017 haben wir anlässlich des gleichzeitig stattfindenden Kirchentages in Berlin einige zentrale Aussagen des (jungen) Marx zur Religion diskutiert. Vor allem die bekannte Aussage von Marx: „Religion ist Opium des Volkes“. Uns leitet dabei die ganz normale philosophische Überzeugung, dass natürlich etliche philosophische Fragen und Provokationen von Marx auch heute unser Denken anregen und möglicherweise korrigieren können. So etwa die Frage: Wie ist auch theologische Denken und auch kirchliche Handeln von der nun einmal zweifelsfrei vorhandenen Situation der Klassengegensätze in den Staaten und Kulturen Europas z.B. bestimmt? Gibt es überhaupt noch ein Bewusstsein dafür, dass Theologie und kirchliches Handeln etwa in Europa und den USA nicht nur Weiterlesen ⇘

„Die Liebe ist bedroht“: Zum Philosophie Magazin Juni/Juli 2017.

Hinweise von Christian Modehn am 28. 5. 2017

Philosophie bezieht sich immer in gewisser Hinsicht auf das ganze Leben, die ganze Wirklichkeit. Alles kann – unter bestimmter Rücksicht – Thema der Philosophie sein. Das ist Chance und Problem für eine Zeitschrift, die alle zwei Monate als Magazin – lesefreundlich und mit Fotos ausgestattet – auf 98 Seiten Philosophie unters Volks bringen will und die Praxis der Philosophie, eben das Philosophieren (grundsätzliches Reflektieren), als Lebensform möglicherweise, vorschlägt.

Die Herausforderung für explizit an Philosophie Interessierte ist immer die: Sind die Beiträge dicht dran an „den“ Philosophien oder könnten sie genauso gut in einem explizit sozialwissenschaftlichen oder psychologischen Magazin stehen?

Diesmal also, bei aller Sympathie für das „Philosophie Magazin“, der Hinweis angesichts der Ausgabe Juni-Juli 2017. Ich habe z.B. nichts gegen Reportagen, die auf die schwierige (auch dramatische gesundheitspolitische) Situation privater und öffentlicher Toiletten in Indien hinweisen. Aber muss der „Kampf um den stillen Ort“ in Indien wirklich auf 7 Seiten in einem der Philosophie verpflichteten Magazin ausgebreitet werden? Das kann sich der französische Kooperationspartner „Philosophie Magazine“ (Paris) vielleicht leisten, weil dieses Blatt monatlich erscheint. Aus diesem französischen Heft stammt der Beitrag in der deutschen Ausgabe. Wenn schon die Kooperation mit Paris besteht: Warum bietet PHILO MAG keinen Beitrag über den doch philosophisch sehr Interessierten französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron: Warum keinen Bericht über die sehr angesehene Kulturzeitschrift ESPRIT (gegründet von Emmanuel Mounier, bekanntlich ein Philosoph)? Bei ESPRIT  arbeitete Macron mit! Oder: Warum nicht auch ein Text, förmlich zur Begleitung des Beuys Films, der jetzt im Juni 2017 gezeigt wird? Ein Philosophie Magazin sollte meines Erachtens aktuelle (Kultur)-Ereignisse unmittelbar vertiefen. Habe ich schon Beiträge zu einer Philosophie der Musik oder einen religionsphilosophischen Beitrag zur Säkularisierungsthese gelesen, gerade jetzt hört man angesichts des Kirchentages in Berlin: Diese Stadt sei gottlos? Was heißt das? Welche Götter verehren denn die angeblich Gottlosen? Sind die Gläubigen nicht auch in gewisser Hinsicht gottlos?

Trotz dieser Hinweise: Auch das Juni-Juli Heft 2017 verdient wieder Aufmerksamkeit: Dass der eher kommunistisch orientierte Philosoph Alain Badiou sehr viel Philosophisches, also aus der Liebe zur Weisheit gesprochen, zur LIEBE im allgemeinen sagen kann, mag einige überraschen. Mich überrascht nicht, dass Badiou sagt, dass “die Liebe im Kapitalismus bedroht ist”. Erstaunlicher ist seine Aussage, dass wir „durch die Liebe zum Absoluten gelangen“. Dann aber muss er als – braver Marxist ? – sofort gleich betonen: „Es geht nicht um ein Absolutes im christlichen Sinn“. Was wäre denn das Absolute im offenbar für ihn nur einförmig denkbaren „christlichen Sinn“? Ist denn die Weisheitserkenntnis der Bibel: „Gott ist die Liebe“, für Philosophen so undenkbar oder gar so peinlich in einer „kritischen Umgebung“, dass man sich philosophisch dieses Themas nicht annehmen kann?

Es sind wie schon oft vor allem die Interviews, die das Philosophie Magazin lesenswert machen. Hervorragend das Gespräch mit der Schriftstellerin Silvia Bovenschen und dem Philosophen Alexander García Düttmann, wo man spürt: Da sprechen Menschen ehrlich, reflektiert wie persönlich. Wahrhaftig. Das bewegt, nicht nur zum weiteren Nachdenken! Auch zur Debatte über das Werk des Ethnologen Claude Lévi-Strauss lädt das Heft ein, und zwar im Umfeld der aktuellen Debatte über die „Barbaren“ und damit über den Kulturrelativismus. Wolfram Eilenberger berichtet über das – schon oft  – dargestellte Liebesverhältnis von Hannah Arendt und Martin Heidegger. Ich würde mir wünschen, dass in einem zweiten Teil das – wieder einmal heftige – Buch von Emmanuel Faye diskutiert wird, das kürzlich in Paris erschien: „Extermination Nazi und Déstruction de la pensée“. Darin wird behauptet, Hannah Arendts Denken habe sich, noch nach 1945 von ihrem alten Liebhaber (und dann sehr bekannten NSDAP-Mitglied) Martin Heidegger philosophisch beeinflussen und bestimmen lassen. Das so jetzt wieder allseits so hoch gelobte Werk von Hannah Arendt käme dann ein bisschen sehr ins Wanken. Da wären Diskussionen „spannend“.

 

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Blaise Pascal – Menschenkenner, vom Augustinismus verdorben. Hinweise zu seinem Geburtstag

Am 19. Juni 1623 wurde Blaise Pascal in Clermont – Ferrand geboren, der Hochbegabte und Vielseitige, der Mathematiker und Erfinder, Städteplaner und Mystiker mit philosophischen Interessen. Seine “Pensées” werden noch immer gelesen. Einige “Gedanken” auch heute oft zitiert von Menschen, die von der Abgründigkeit der menschlichen Seele gern in kurzen Formeln sprechen. In dem Zusammenhang sollten wir uns vor allem an Pascals im ganzen gesehen verheerenden geistigen, religiösen Bindungen an den Augustinismus erinnern, auch an seine Bindung an den Jansenismus, der auf das absolute, willkürliche Gnadenhandeln Gottes setzte. Und so bescheidene Ansätze eines humanistischen Christentums störte und zerstörte. Der fromme Pascal hat auf diese Weise für die Stärkung eines vernunftfeindlichen Glaubens beigetragen. Man wird sich fragen: Welche Macht können tatsächlich noch die zentralen augustinischen Ideen, Ideologien, haben, etwa die Vorstellung von der “Erbsünde”. Welche (nicht explizit religiösen) Ideologien beherrschen heute das Bewusstsein der Menschen. Und dann gilt es zu verstehen: Welche Bedeutung hatte der Jansenismus in Frankreich damals möglicherweise als verstecke protestantische Haltung im Katholizismus? In welcher Weise war der Jansenismus auch ein Protest gegen die absolute Herrschaft der Könige? Gestorben ist Pascal am 19.8.1662 in Paris.

“Wir sind zuerst Menschen. Danach Untertanen”: Zum 200. Geburtstag des Philosophen Henry D.Thoreau

Am 12. Juli 1817 wurde der ungewöhnliche Philosoph und Autor, der Amerikaner Henry David Thoreau (in Concord, Massachussetts) geboren. In seiner Heimat, den USA, gibt es bis heute eine breite Thoreau-Forschung und durchaus eine Thoreau-Begeisterung. Sein Buch “Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat” sollte Pflichtlektüre in allen Schulen aller Staaten werden. Aber auch die anderen Texte verdienen unsere Aufmerksamkeit, einiges Neue, wie die Tagebücher, erscheint u.a. im Verlag Matthes und Seitz, Berlin. Wir werden weitere Hinweise publizieren, besonders zu der religionsphilosophischen Bewegung der “Transzendentalisten”, der Thoreau nahe stand…

Thoreau wurde in der Pop – und Hippiebewegung zu einer Symbolfigur des “Aussteigers” aus dem kommerziell beherrschten Alltag. Tatsächlich sind seine Essays “Walden” sicher besonders inspirierend für die Suche nach einem alternativen, von Gleichberechtigung der Menschen geprägten Leben. In “Walden” teilt Thoreau seine Lebens – “Experimente” (er liebte dieses Wort) am “Walden” – Teich mitteilt: Selbstgenügsamkeit und Entschiedenheit für das wirklich Wichtige im Leben, das Sein als harmonisches, friedliches Leben, sind zentrale Themen von “Walden”. Ohne das Buch “Walden” und ohne sein (sehr umfangreiches) Tagebuch ist es wohl schwer, ein tieferes Verstehen der Natur zu erwerben: Die Texte Thoreaus sind von einer poetischen Dimension; sie sind bestimmt von der eher kontemplativen Naturbetrachtung und der gleichzeitigen Bemühung um wissenschaftliche Natur – Erkenntnis. Die Bewahrung der Natur ist für ihn untrennbar mit der umfassenden Emanzipation der Menschen verbunden. Der Kampf etwa um die reine Qualität des Wassers ist für Thoreau genau so wichtig wie der Widerstand gegen einen Staat, der im Krieg die Steuergelder ausgibt oder an der Sklaverei festhält.

Besonders aktuell ist heute, angesichts des Trump – Regimes zum Beispiel, sein knapper Text “Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat”. Ungehorsam ist für Thoreau immer dann entscheidend, wenn das Gewissen den Gehorsam gegenüber staatlichen Gesetzen und Verfügungen verbietet. Es ist das individuelle Bewusstsein von Moral, das im gesellschaftlichen Leben ausschlaggebend ist. Damit wird nicht jeglicher egoistischer Willkür die Tür geöffnet. Es geht um die Prüfung: Was ist gut für die Menschheit, was ist gut und menschlich fördernd für den Staat. Wie kann ich ethisch gut als Mensch bestehen… Gandhi hat Thoreau gelesen, seine Gedanken inspirierten ihn im gewaltfreien Widerstand. “Ich mache mir das Vergnügen, mir einen Staat vorzustellen, der es sich leisten kann, zu allen Menschen gerecht zu sein, und der das Individuum achtungsvoll als Nachbarn behandelt… ” schreibt Thoreau am Ende seines Essays “Über die Pflich zum Ungehorsam gegen den Staat”.

Eine neue Thoreau- Biographie: Frank Schäfer, “Henry David Thoreau, Waldgänger und Rebell”. Suhrkamp Verlag, 2017.  Die Thoreau-Gesellschaft in den USA.

copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

Marx und die Religionskritik: Wie (noch) von Gott sprechen?

Hinweise von Christian Modehn am 26.5.2017

1. Die zentrale These:

Gott ist ein Produkt, ein von Menschen Gemachtes. Gott hat also keine eigene, selbständige Wirklichkeit und Lebendigkeit. Gott ist als Menschengeschöpf also manipulierbar. Der Glaube an diesen Gott führt den Menschen in himmlische, illusorische Welten; der Glaube an Gott ist also für die Emanzipation der Menschen verwerflich. Und eben auch von Menschen abzuschaffen. Ein Leben ohne Gott ist möglich und sogar wünschenswert. Dies ist der Kern der bis heute in weiten Kreisen geglaubten (!) atheistischen Haltung im Sinne von Marx. Und Marx geht über Feuerbach hinaus, indem er die inhaltliche Gestalt der Religion (auch Moral, Theorien) in Verflochtenheit, Gebundenheit und Abhängigkeit von der gegebenen Gesellschaft und ihrer Praxis sieht. Diese Position (sie geht über Feuerbach bereits hinaus) erreicht Marx in der Schrift: „Die Deutsche Ideologie“, verfasst 1845-46. „Das Bewusstsein kann nie etwas Anderes sein als das bewusste Sein, und das Sein der Menschen ist ihr wirklicher Lebensprozess“. Im „Kapital“ Von Marx gehört Religion in die Logik der verkehrten kapitalistischen Welt.

2. Zur Kritik:

Die Beziehung zu Gott als Religion, als gelebte Frömmigkeit, ist tatsächlich immer zwiespältig. Religion kann von den einzelnen gebraucht werden als Beruhigung, Opium, als Flucht aus der Wirklichkeit. Als Phantasterei, in der man sich selbst gefällt („mein persönliches Wundererlebnis“, „mein Heiliger“ usw.) Religion kann krank machen.

Religion wird von den Herrschenden in Politik, Ökonomie und religiösen Institutionen gebraucht und mißbraucht, um die eigene (klerikale) Herrschaft zu stabilisieren, indem sie den Untertanen sagen: Diese Gesellschaftsordnung usw. ist von Gott gewollt: „Ihr schuldet uns, den Herrschenden, von Gott selbst befohlen (in Bibel, Koran usw.), absoluten Gehorsam. Religion stabilisiert Unrechtssysteme. Das sind unleugbare Tatsachen. Insofern verdanken „wir“ Marx viel, dass er auf diese Zusammenhänge leidenschaftlich aufmerksam machte.

3. ABER: Religion als Beziehung zu Gott, verstanden im Bild des Unendendlichen, alles Gründenden, als schöpferische Kraft des Lebendigen, des aus Resignation Befreienden, Unterwürfigkeit Überwindenden, letztlich als kaum zuberührenden Geheimnisses, ist ebenso eine (eher selten vorkommende, aber reale) Möglichkeit des religiösen Menschen. Diese doppelte Gestalt der (christlichen, katholischen) Religion hat der kritische Marxist Antonio Gramsci (1891 – 1937) herausgearbeitet. Gramsci entdeckte die utopischen Momente IN der konkreten Religion. Marx denkt Religion noch zu wenig differenziert.

4. Man kann für eine vernünftig begründete Religion angesichts von Marx und Feierbach auf zwei Ebenen argumentieren:  Indem man für eine nicht—parteigebundene, also selbstkritische Philosophie des Geistes rekurriert. Sie ist trotz aller zweifelsfrei vorhandenen Klassenkämpfe gestern und heute gültig! Denn auch Marx selbst kann auf die Formulierung von Idealen der künftigen Gesellschaft nicht verzichten, also dann doch nicht auf Philosophie verzichten. Die Reflexion auf das selbstbewusste geistige Leben des Menschen findet also offenbar immer statt. Die Implikationen dieses selbstbewussten geistigen Lebens freizulegen ist dann Thema der Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie.

Es geht also um die Frage: Ist die befreiende Religion als ausdrückliche Gestaltung der Beziehung zu einer selbständigen, von Menschen nicht manipulierbaren göttlichen Wirklichkeit, etwas, das sich im menschlichen Leben, im menschlichen Geist, der Vernunft, selbst zeigt? Nur wenn dies der Fall ist, wenn das Göttliche also eine unabwerfbare Wirklichkeit im Menschen ist, hat Religion Sinn, verstanden als nicht schädliche, negativ wirkende, bloß beruhigende und deswegen antiemanzipatorische, nicht-opiumhafte Wirklichkeit.

5. Zur Begründung eines religiösen Glaubens “trotz” Marx/Feuerbach:

Die in 4. angedeutete Möglichkeit einer vernünftig vertretbaren und lebbaren Beziehung zu Gott (Glauben) hat Argumente, zum Beispiel:

Im ethischen Bereich: Die im Gewissen (bei gesunden Menschen) sich zeigende Aufforderung, gut zu sein, ist etwas vom Menschen selbst Unabwerfbares. Es kann durch lange Praxis des Negativen (Verbrechen) zwar fast still gelegt werden. Wobei der Verbrecher selbst noch meint, zumindest für sich selbst egoistisch Gutes zu tun.

Im Umgang mit Wahrheit: Wahrhaftig zu sein ist eine vom Menschen nicht manipulierbare Forderung des ebenfalls niemals total „abzustellenden“ Gewissens, auch wenn dieser sich selbst zeigende Gewissensspruch oft ignoriert wird. Selbst der größte Lügner behauptet für sich und für andere, nach außen, die Wahrheit zu sagen.

Im Umgang mit Schönheit: Selbst der größte Kitsch wird von Kitsch-Gebrauchern noch als schön erlebt, das Massenprodukt „Der röhrende Hirsch“ wird von vielen als schön erlebt…

Mit anderen Worten: In unserem Geist sind wir verwiesen auf apriorische, d.h. schon vor aller Praxis vorgegebene Strukturen, die auf etwas Absolutes verweisen. Diese nicht abzuwerfenden Bindungen an Gutsein, Wahrhaftigsein und den Sinn für Schönes sind formale Bestimmungen, sie sind konkret – historisch aber immer wieder neu inhaltlich gefüllt. Darin zeigt sich eine inhaltliche Relativität bei einer formalen Unbedingtheit. Im menschlichen Geist spielt sich mehr ab als banale manipulierbare Alltäglichkeit. Der menschliche Geist als solcher hat dann offenbar bei allen Menschen, die Geist haben, Dimensionen von etwas Absolutem. Das zeigt nur: Der Geist des Menschen ist mehr als das manipulierbare Etwas eines klugen Tiers.

Im alltäglichen Leben setzen wir immer wieder in der Lebenspraxis Sinn, wir gehen davon aus, dass die nächsten Aktionen unseres Lebens sinnvoll sind, in diesen einzelnen Sinn-Schritten und einzelnen Sinn-Bejahungen wird immer ein größer, letzter Sinn mit-bejaht.

In der Frage nach der „letzten“ Herkunft des Menschen und der Welt werden wir auf etwas Gründendes, Alles Gründendes verwiesen: Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr Nichts? Diese Frage kann kein Physiker und kein Neurowissenschaftler, auch kein Richard Dowkins beantworten.

6. Diese Beispiele aus der Existenz-Erfahrung zum Absoluten sind Spuren, die unsere Verbindung mit etwas über den endlichen Menschen Hinausweisendes deutlich machen. Sie sind, weil es sich eben um nicht-alltägliche, banale Strukturen handelt, eben nur in einer über das banale Denken (der Zweckrationalität etwa) hinausgehenden meditativen Denkhaltung wahr-zunehmen. Diese über das Alltägliche hinausgehende Wirklichkeit wird in verschiedenen Kulturen selbstverständlich verschieden benannt. Es kommt nur darauf an, in der endlichen Welt Spuren zu entdecken, die das Verschlossensein in Endliches sprengen.

Dieses Transzendieren ist die elementare Form religiösen Lebens, es äußert sich auch im künstlerischen Erleben und etwa in der erotischen und sich anderen hingebenden, solidarischen Praxis.

7. Aber diese hier angedeutete Spur zum Absoluten IN uns ist als religiöse Haltung etwas Einfaches, Elementares, in wenigen Worten, oft in Poesie, oft in Musik und Kunst und Eros, Aussagbares. Alle aufgeblähte Dogmatik ist dieser Erfahrung zuwider. Diese aufgeblähte Dogmatik lieben aufgeblähte Kleriker als religiöse Herrscher.

Im Transzendieren kann sich eine Lebendigkeit und eigene Kreativität zeigen, also alles andere ist als beruhigendes und letztlich tötendes Opium.

Diese elementare Form der Beziehung zu einer göttlichen Wirklichkeit gilt es zu bedenken. Die vielen Dogmen der vielen großen Kirchen stören eher diese elementare religiöse Beziehung.

8. Die existentiell tragende religiöse Beziehung zu einem gründenden absoluten Geheimnis, das die hilflose Sprache nun Gott nennt, kann der einzelne meditativ erschließen und für sich als Höhepunkt „feiern“.

Besser aber ist der Austausch mit anderen über diese Lebenserfahrungen in kleinen Gruppen, manchmal auch Gemeinden. Aber für viele religiöse Mensche vernichten die großen Kirchen mit ihren vielen Liedern (banaler Art oft) und ihrem liturgischen Pomp und ihrer klerikalen Machtstruktur diese Erfahrungen, die sich in der vernünftigen Reflexion erschließen. Es gibt leider nur wenige christliche Kirchen, die diese beschriebene Haltung der Offenheit, auch im Dogmatischen und Moralischen, selbstverständlich leben. Dazu gehört die niederländische Kirche der Remonstranten.

Wenn es darum geht: An welche religiösen Traditionen kann ich mich halten, ist die Vernunft das Kriterium. Nicht etwa eine andere religiöse Tradition.

9. Wenn Marx zurecht die Verwirklichung des menschlichen Lebens in der Praxis sieht, vor allem in der gesellschaftlichen Praxis, die die Entfremdungen überwindet und den unterdrückten Massen Lebenschancen und Gleichberechtigung erwirkt, dann ist dies eine politische Form der Nächstenliebe.

In dieser Praxis der Nächstenliebe kommen religiöse und nichtreligiöse Menschen zusammen. Sie finden im gemeinsamen Tun eine humane Basis der Praxis und finden eine neue Nähe der bisher nur ideologisch getrennt Lebenden. Für diese gemeinsame Praxis Glaubender und Nicht – Religöser gibt es im Alltag zahlreiche Beispiele.

10. Marx, der Religion abschaffen wollte, erlebte bei jenen, die den Marxismus in der Sowjetunion und den Ostblock-Staaten angeblich verwirklichten, neue Formen des Religiösen: Die angeblich heilige, d.h. immer Recht habende Partei (KP), die Parteifeste, die Lieder, die kommunistischen Liturgien (Parteitage und die Floskeln…). D.h. auch der Kommunismus, der religionslos sein wollte, wurde wie von selbst auch (säkular) religiös. D.h. die religiöse Dimension im Menschen wurde umgeleitet, sie ist eben nicht klein zu kriegen. Die Idee des Kommunismus ist damit nicht obsolet geworden! So wie auch die Bergpredigt Jesu von Nazareth nicht deswegen obsolet und ungültig ist, weil die Kirchen(führungen) diese Weisungen niemals ins praktische Leben einbezogen haben.

 

Copyright: Christian Modehn, Berlin, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

 

Das Kreuz auf dem Berliner “Schloss” ist schon längst da!

Ein Hinweis von Christian Modehn

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Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik „Philosophische Satire“, darin wurde kürzlich die TRUMP-Hymne veröffentlicht, der Titel: „Ich bete an die Macht der Lüge“…

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Bevor der kleine, aber nicht lächerliche Kulturkampf um das Kreuz auf dem neu errichteten Berliner Schloss bzw. dem Humboldt-Forum weiter eskaliert: Ein Vorschlag der Güte und der allgemeinen Beruhigung im Sinne einer Beendigung der Debatte: Denn diese raubt geistige Energien für dringendere Fragen: Etwa, was denn nun in diesem Schloß – ähnlichen Gebäude tatsächlich Wichtiges und für die Menschheit Weiterführendes passieren soll. Darüber sollte man entscheiden im Sinne des weit und liberal denkenden Humboldt und nicht der einstigen, weithin verkalkten Schlossherren.

Also: Die Erkenntnis heißt:

Liebe Verehrer des Kreuzes auf dem so genannten nachgebauten Berliner Schloss: Erhebt nur euren frommen und rückwärtsgewandten Blick ein bisschen nach oben, wenn ihr vor eurem Gebäude steht und Richtung Alexanderplatz schaut. Denn da seht ihr mindestens meist nachmittags – so Gott und das Wetter wollen – doch immer schon ein Kreuz. Ein wirklich tolles, strahlendes Kreuz, das förmlich die ganze Stadt und auch euer Schloss segnet: Dieses prächtige, nicht zu beseitigende, nicht abzubauende christliche Kreuz ist auf dem Fernsehturm am Alexanderplatz sichtbar. Es erscheint mit nicht manipulierbarer Regelmäßigkeit, seit Genosse Walter Ulbricht 1969 diesen monumentalen Turm einweihte. Dieses Kreuz ist ein kleines Wunder aus Technik und Wetterlage: Es ist nämlich der kapitalistische Krupp-Stahl (tatsächlich, kein Witz), den Genosse Ulbricht für die Kugel am Turm in ca. 200 m Höhe verwenden ließ; die Luftwirbelung sollte vermindert werden, deswegen wurden ca. 1000 kleine „Pyramiden“ angebracht, sie verringern die Aggressivität der Winde und beschenken ganz Berlin, weithin sichtbar, auch für die Schloss-Herren, mit einem Kreuz, das sich zeigt, wenn die Sonne auf diese kleinen Pyramiden fällt… (Pyramiden erzeugen ein Kreuz: Das wäre fast ein Thema für Religionswissenschaftler oder für eine Meditation von Eugen Drewermann…)

Also: Liebe Schlossherren, ihr habt doch schon seit langem euer Kreuz! Schaut nur nach oben. Sehr genau etwas weiter! Oder blickt auch manchmal selbstverständlich kurz links zur Seite, denn seht ihr, dass der sehr benachbarte Berliner Dom ja auch noch nicht mit einem Halbmond oder einem Judenstern geschmückt ist, sondern immer noch mit einem euch so teuren und so kulturell prägenden Kreuz. Noch ein Kreuz auf dem so genannten neuen Schloss ist doch ein bisschen zu viel für Stadt, in der zwei Drittel der Bewohner vom christlichen Kreuz gar nicht soviel halten. Sonst fällt bald das Stichwort Kreuzzüge und ihr werdet bald Kreuzritter genannt, auch nicht so sympathisch, oder vielleicht doch, wenn man an „die“ Muslime denkt…

Ein weiter führender Vorschlag der Güte, den sicher die katholische Kirche Berlins auf der Suche nach Attraktionen sofort realisieren wird: Dadurch, dass das Kreuz auf Genosse Ulbrichts Fernsehturm tapfer nach wie vor erscheint sollte man unten, neben dem Turm, ein Wallfahrtszentrum einrichten: „Zum heiligen Kreuz am atheistischen Alex“ wäre der Titel. Denn letztlich besehen, bei einer nun einmal fromm argumentierenden Theologie, ist das Kreuz auf Genosse Ulbrichts Fernsehturm doch wirklich ein Wunder: Ein Geschenk des lieben Gottes an die damals (auch heute noch sozial) gespaltene Stadt. Ich kenne Leute, die Wunder bezeugen würden als Bestätigung dieses Kreuzeswunders. Einer sagte mir: Das größte Wunder ist, dass die Berliner noch nicht das Rote Rathaus gestürmt haben, um die Politiker zu vertreiben, die etwa den Neubau des Flughafens Schönefeld vermasseln und dabei Milliarden Euro verschleudern…

Für dieses Gottesgeschenk am Alex sollte man sich als schleunigst bedanken und eben ein Wallfahrtszentrum einrichten, dort könnte für die Einsicht der Politiker nebenan im Rathaus gebetet werden. Falls es diese gibt, wäre ein zweites Wunder passiert. Vielleicht könnte der Marien-Wallfahrstort Fatima logistisch am Alex behilflich sein. Vielleicht war eines der Fatima-Geheimnisse gar auf das Kreuz an Walters Fernsehtrum bezogen, war das Kreuz eine stille Voraussage der Wende? Fatima weiß es… In jedem Fall sollte der Wallfahrtsort am Alex dem tatsächlich vorhandenen „Kreuzorden“ zur Leitung übergeben werden. Dieser reaktionäre römisch katholische Orden, weltweit 130 Mitglieder, ist ja bekanntlich (auch dies ist für Nicht-Insider gesagt, kein Witz) mit dem katholisch-sektiererischen „Engelwerk“ (Opus Angelorum) verbunden, also jener immer noch bestehenden römisch-katholischen Organisation, die die fromme Frau Garbriele Bitterlich begründete. Ein Engelorden in den luftigen Himmels-Höhen des Fernsehturms, das wäre doch großartig. Und die vielen Pilger könnten dann gleich weiter pilgern zum Humboldt Forum., falls da noch interessante Programme zustande kommen.

 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Piusbrüder und Traditionalisten bald mit Rom versöhnt?

Ein Hinweis von Christian Modehn am 14. 5. 2017

Interne Entwicklungen der Kirchen haben immer auch eine religions-politische Bedeutung. Sie zeigen zudem, auf welchem selbstkritischen Niveau sich Kirchen und Konfessionen befinden, wie sehr ihnen also die Werte der Moderne, etwa Menschenrechte und Demokratie, wichtig sind.

Wer die Piusbrüder und mit ihnen die vielen tausend sich katholsich nennenden Traditionalisten weltweit wieder zum festen Bestandteil der römischen Kirche machen will, der holt sich Leute vom politischen Rechtsaußen (Marine Le Pen ist Mitglied der Piusbrüder-Gemeinde Saint Nicolas du Chardonnet, Paris) und fromme Seelen auf einem theologischen Niveau von 1910 wieder in Scharen in die Kirche. Der traditionalistische Wahlspruch heißt „Omnia instaurare in Christo“ – also „alles in Christus gestalten“, also alles, auch die Welt in Christus gestalten! Religiöse Gebote haben Vorrang vor demokratischen,staatlichen Gesetzen, heißt das konkret. Dies ist das fundamentalistisch klingende theologische Motto und Leitprinzip der Piusbrüder, es stammt vom hoch verehrten Papst Pius X. (Papst von 1903 bis 1914).

Nun also will auch Papst Franziskus alles tun, dass diese Herrschaften wieder volle Mitglieder der römischen Kirche werden.

Auf dem Rückflug von Fatima nach Rom sagte der Papst am 13.5. 2017: „Unsere aktuellen Beziehungen zu den Piusbrüdern sind brüderlich, aber es ist noch nicht die Zeit für einen Akkord, eine Übereinstimmung, gegeben. Man studiert weiter dieses Thema. Mit einem der vier (vom Traditionalistenführer Erzbischof Marcel Lefèbvre 1988 unrechtmäßig geweihten Bischöfen) Traditionalistenbischöfe, also mit Bischof Fellay habe ich als Papst gute Beziehungen. Wir haben einige Male zusammen gesprochen, ich will die Sache nicht schnell erledigen, wir müssen gemeinsam gehen, dann sieht man weiter. Dabei geht es nicht um Sieger und Besiegte, nicht um Triumphalismus (seitens Roms“). Es geht dem Papst darum, dass „ Brüder gemeinsam unterwegs sind und dabei gemeinsam die Formel suchen, Schritte nach vorne zu gehen“.

Wenn das nicht für die Kirche ein weiterer Schritt nach hinten, ins Konservative – Reaktionäre wird…

Warum um Himmels willen lässt man in Rom die Piusbrüder nicht machen, was sie wollen? Als eigene Kirche, die sich katholisch nennt? Wenn den Papst dieser Titel „katholisch“ bei den rechtsextremen Traditionalisten stört, warum bemüht er sich dann nicht auch um die Versöhnung , d.h. Übernahme der Alt-Katholiken in die römische Kirche. Diese eher progressiven, die Unfehlbarkeit des Papstes ablehnenden Alt-Katholiken, sollen nicht heim zur Mutterkirche Rom. Und diese wollen dies wohl jetzt auch nicht. Warum also diese beinahe versessen wirkenden Anstrengungen Roms, den Traditionalistenclub der Piusbrüder wieder richtig römisch und papstergeben zu machen? Denken viele Kardinäle und Bischöfe allmählich so, wie die Piusbrüder, lieben sie wie diese so sehr die lateinische still vom Priester gelesen Messe im Ritus von 1550? Kann Rom konfessionelle Vielfalt nicht ertragen, auch nicht die Vielfalt derer, die sich eben auch katholisch nennen? Wir meinen, es zu wissen: es geht um Vor-Herrschaft.

Quelle zu Äußerungen des Papstes im Flugzeug am 13.5. 2017: http://www.la-croix.com/Religion/Catholicisme/Pape/Le-pape-lavion-Fraternite-Saint-Pie-X-Medjugorje-abus-sexuels-2017-05-13-1200846902

Zu weiteren Hinweisen zum Thema Piusbrüder im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon siehe:

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin