Haiti 5 Jahre nach dem Beben: Das Volk: Betrogen, vergessen, verachtet

Betrogen, vergessen, verachtet

Haitianer – 5 Jahre nach dem Erdbeben

Von Christian Modehn

Europa hat jetzt noch mehr eigene Sorgen. Nach dem Mord an den Redakteuren von „Charlie Hebdo“ sowieso. Deutschland, Europa insgesamt, befasst sich mehr und mehr mit  sich selbst. Auch die geistige, die „ethische Mauer“ rund um Europa wird offenbar immer höher. Der Nächste ist nur noch der unmittelbar neben mir Lebende. Nächstenliebe ist keine „Fernstenliebe“ mehr. Die Empathie für den leidenden Mitmenschen endet vor der Haustür oder dort, wo “Frontex” “Eindringlinge” vertriebt. Hat die christliche Kultur, all diese fromme Predigt, der Religionsunterricht, all das Gerede von Caritas usw. die Christen in Europa verändert? Wie sieht die Bilanz aus? Wer fragt nach den „Wirkungen“ des christlichen Glaubens?

Die Massen- (!) Mörder und Schlächter der islamistischen Bande Boko Haram in Nigeria und vor allem die tausend Opfer sind z.B. in der Tagesschau gerade mal 30 Sekunden wert, nach einem 20 Minuten dauernden Bericht über „Je suis Charlie“ und die dortigen Islamistischen Mörder.

KONRET: Wer denkt noch an die Vergessenen, die angeblich Unbedeutenden, Minderwertigen, die angeblich Wertlosen, weil Schwarzen, Kranken, Ungebildeten in Haiti. Das ist so furchtbar weit weg. Wer denkt noch an die ausgehungerten Menschen dort?

Vor 5 Jahren, am 12. Januar 2009, bebte die Erde in der Hauptstadt Port-au-Prince und Umgebung. Mindestens 220.000 Menschen kamen dabei ums Leben, 300.000 wurden schwer verletzt, eine Million Menschen hatten keine Blechhütte mehr, die sie üblicherweise ihr Zuhause nannten.300.000 Gebäude wurden zerstört, 1,5 Millionen Menschen landeten auf der Straße, der Gesamtschade wurde auf 7,8 Milliarden Dollar angegeben: Daran erinnert “Le Monde” am 13.Januar 2015, Seite 4, in einem Beitrag von Jean-Michel Caroit.

5 Jahre später: Millionen Dollar wurden angesichts der Trümmer gespendet. In den Tagen nach dem Erdbeben gab sich die Prominenz der internationalen „Helfer“ (auch Billy Clinton stolzierte im haitianischen Dreck) eine Art Stelldichein in Haiti. Vieles Wichtigtuerische wurde verbreitet, da und dort durchaus geholfen, manche schlimmste Not repariert.

5 Jahre nach dem Beben ist das Elend der allermeisten Menschen nach wie vor sehr groß; eigentlich unbeschreiblich die Not der Analphabeten, der Hungernden, der Wohnungslosen, der in ihrer Not Verzweifelten. Wer auf improvisierten Camps auf freiem Land wird vertrieben,60.000 sollen es sein. Auf den 123 “Camps” hat jeder dritte “Bewohner” keinen Zugang zu Latrinen; Cholera breitet sich aus, bisher starben an der Krankheit 8.000 Haitianer. Die Arbeitslosigkeit wird mit 40 Prozent angegeben, ob die anderen von ihrer “Arbeit” leben können ist sehr die Frage. 6 von 10 Millionen Haitianern mpssen mit 2,40 US Dollar am Tag auskommen. In den feinen Gegenden wird der Bau von Luxus-Villen weiter betrieben.

Der Präsident Haitis heißt Michel Martelly, er nennt sich Politiker seit dem 14.5. 2011, ist aber als politisch völlig unerfahrener Musiker mit dem Spitznamen Sweet Michy zu diesem lukrativen Posten gekommen. Zur Zeit baut er sich am Karibik Strand eine Luxusvilla. Während das Volk krepiert und jeglicher demokratische Grundsatz missachtet wird: Parlaments- und Regionalwahlen sind seit mehr als drei Jahren überfällig. Der Druck der UN, Wahlen abzuhalten, nützte nichts, der Herr Musikus und Tänzer Martelly ignoriert alles, weil im Senat Leute sitzen, die im Sinne dieses Herrn jegliche demokratische Entwicklung blockieren. Nun wird also höchst wahrscheinlich in diesen Tagen, Mitte Januar 2015, das Parlament aufgelöst und Präsident Martelly kann durch Dekrete allein regieren. Erinnerungen an die Zeit der Familie Duvalier werden lebendig. Aber das Volk hat noch die Kraft, gegen diesen Politiker aufzustehen, aber wird der nächste an seinen Landsleuten etwas Interesse haben?

Und “die Welt” schaut schon gar nicht mehr zu, sondern ignoriert einfach Haiti: Vergessen ist der Tod. Das Elend der Menschen wächst, die Regierung, der Staat, versinkt im Chaos; die Millionen Dollar-, wenn nicht Milliarden-Hilfe kam offenbar nicht an und landete wie üblich in den Taschen der Herrschenden, viele NGOs haben wohl ihre Unfähigkeit demonstriert. Wer spricht von einer Art „Marshall-Plan“, von einem grundlegenden Neubeginn in Haiti, der nur mit viel Energie und Planung gelingen kann. Aber wie kann man das leisten in einem Land, in dem jeder 2. Analphabet ist? Enttäuschung und Verzweiflung also auf Seiten derer, die noch demokratische Werte kennen.

Gibt es Lichtblicke trotz allem?

Einige Hinweise, die hoffentlich als „Hoffnungszeichen“ in den kommenden Wochen ständig ergänzt werden können: Bisher hat das in Europa so oft als “links” verteufelte Venezuela viel geholfen, über “PetroCaribe” wurde auch Erdöl nach Haiti gebracht, zu Sonderkonditionen.

Im Nachbarstaat, der Dominikanischen Republik, suchen viele tausend Haitianer Zuflucht in allergrößter Not. Sie werden in der „DOMREP“ nicht willkommen geheißen, vielmehr werden sie ausgenützt, als beinahe kostenlose Arbeitskräfte missbraucht und dann –bei Nichtverwendbarkeit – wieder ins haitianische, also noch größere Elend zurückgebracht. Interamerikanische Menschenrechtskommissionen haben auf diese unglaublichen Missstände hingewiesen und dringend vom dominikanischen Staat Besserung verlangt. Momentan scheint da einiges zum etwas Besseren in Bewegung geraten zu sein. So wird berichtet, dass der Direktor der dominikanischen Einwanderungsbehörde, Jose Riocardo Taveras, mitgeteilt hat, die Abschiebdung der illegal eingewanderten Haitianer auszusetzen. In Santo Domingo arbeite man an einer neuen Gesetzgebung für Ausländer. Aber, so wird betont, es handle sich nur um eine Art Gnadenfrist: Die Haitianer sollen sich gefälligst in ihrer Heimat Ausweise und Pässe besorgen: Nur: Wie soll man diese Dokumente erhalten in einem Staat, der als solcher, als Administration, eigentlich nicht existiert?

Positiv in unserer Sicht ist nach wie vor die Arbeit des Bildungszentrums „Centro Bono“ des Jesuitenordens in Santo Domingo: Dort wird praktische Hilfe und Beratung für die Haitianer organisiert, dort gibt es Rechtsbeistand, dort wird den Flüchtlingen Zuflucht gewährt. Dort treffen sich die Organisationen der Zivilgesellschaft, dort wurde 2010 die Hilfe für die im Erdbeben verschütteten Haitianer organisiert. So entstehen menschliche Verantwortlichkeiten bei den getrennten (und verfeindeten ?) Menschen auf der einen Insel.

Wer sich für das praktische Miteinander von Haitianern und Dominikanern interessiert, sollte sich unbedingt an das Zentrum BONO des Jesuitenordens halten, für weitere Informationen klicken Sie hier.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin