„Schwebende Gläubige“
Neue Untersuchung zu Religion und Kirchen in den Niederlanden
Ein neuer Titel wurde in Holland „geboren“, ein Name für jene Menschen, die nicht mehr kirchlich gebunden, aber doch religiös/spirituell interessiert sind: Es sind die „schwebenden Gläubigen“, so auch der Titel einer gerade jetzt erschienen Studie von Joep de Hart, er ist Professor für Religionssoziologe an der Universität Leiden. Erneut wird faktenreich dargestellt: Die niederländische Gesellschaft wird zunehmend unkirchlich, aber nicht unreligiös. „Nur 14 Prozent der Bewohner betrachten sich selbst als Atheisten“. Kirchenmitglied ist (nur noch) jeder dritte, wobei in den Kirchen eher die älteren Bewohner versammelt sind. Die meisten Holländer seien „Ietsisten“, also Menschen, die an „etwas Höheres“, eine göttliche Kraft, einen transzendenten Mittelpunkt im Leben glauben. Ietsisten bedeutet „an etwas Gläubige“, Menschen, die ihre Individualität ernst nehmen, auch ihre Selbstbestimmung in religiösen Fragen. Nebenbei: Ich habe zu dem Thema 2010 im WDR, Reihe Lebenszeichen, ein Radiofeature gemacht. Kriterium für die individuelle Annahme religiöser Traditionen seien, so Joep de Hart, „das gute Gefühl“, die Emotion, die wach wird, wenn man sich mit einer Tradition befasst und sie ins eigene Leben integriert. Die ersten Kritiker dieses Buches weisen zu recht darauf hin, dass die radikale Säkularisierungsthese nicht mehr gültig ist. Viele Jahre wurde betont: Die Entkirchlichung führe automatisch zu einem säkularisierten, also „nur“ weltlichen Denken. Ob die neue „Verzauberung“ der Welt immer harmlos und gesellschaftlich „ungefährlich“ ist, bleibt eine ganz andere Frage. Dringend wünschenswert wäre es unserer Meinung nach, wenn nach dem Abschied von den dogmatisch – rigiden Konfessionskirchen tatsächlich vernünftige, aber doch wenigstens stets vernünftig überprüfte Spiritualitäten entständen.
Joep de Hart bietet als Soziologe nur Fakten; in einem Interview konnte er sich dann aber doch nicht der Prognose enthalten: „Im Jahre 2050 wird das letzte Mitglied der Protestantischen Kirche der Niederlande die letzte Kirchentür schließen. Bei den Katholiken kann das noch etwas länger dauern“, so in einem Interview für Radio 1 Nederland am 29. Mai 2011. Wenn also in 40 Jahren fast alle Holländer „Ietsisten“ sein werden, ist denn der Gedanken so abwegig, dass doch offene und freie, undogmatische Gemeinden entstehen, denn ohne einen sanften Bezug zu anderen spirituell Interessierten hat es ein „Ietsist“ auf Dauer nicht ganz leicht.
Nebenbei: Die Kirche der Remonstranten ist bereits ein solcher Ort, in dem undogmatisch die christliche Tradition interpretiert und gelebt wird, eben „freisinnig“.
Joep de Hart, Zwevende Gelovigen, Oude religie en nieuwe spiritualiteit. Ben Bakker Verlag, Amsterdam, 2001, 326 seiten, 229, 50 Euro.