Luthers religiöses Handeln: Aktueller denn je
Von Christian Modehn
Es wird – immer häufiger – behauptet: „Was es an der Reformation (Luthers) zu feiern gibt, ist nach wie unklar“. So etwa Wolfgang Thielemann in „Christ und Welt“, der Beilage zur Wochenzeitung „Die Zeit“ vom 7. November 2013.
Prof. Wilhelm Gräb hat in einem Interview mit dem religionsphilosophischen Salon bereits Wesentliches gesagt, zur Lektüre klicken Sie bitte hier.
Weil Religionsgeschichte auch zu den Themen des Religionsphilosophischen Salons gehört, möchten wir in einigen Thesen noch einmal deutlich machen:
– Martin Luther hat das allgemeine Priestertum aller (!) Gläubigen zu recht als den Kern theologischer, biblisch begründeter Kenntnis wie auch religiöser, kircheninstitutioneller Praxis erkannt. Darüber gibt es unter katholischen und evangelischen Theologen eigentlich keine Debatte mehr. Aber Luthers Hinweis bleibt heute in der Praxis umstritten: Vom Priestertum aller Gläubigen in der Praxis kann in der römischen Kirche nach wie vor keine Rede sein. Die römische Kirche wird in jeder Hinsicht ausschließlich geführt und geleitet vom Amtspriestertum, auch unter Papst Franziskus dürfte das so bleiben. Laien können „helfen“ und dienen, sie haben nichts zu entscheiden in theologischen und moralischen Fragen. Sie werden bestenfalls mal befragt. Also: Über diesen Impuls Luthers könnte man auf Weltebene und auf bundesdeutscher Ebene diskutieren. Oder stört solches Gespräch das angeblich prächtige ökumenische Klima? Meidet man man heute unter Protestanten theologische Themen, um der römischen Kirchenführung nicht zu nahe zu treten? Oder hat sich unter Protestanten selbst eine Art klerikale Hierarchie gebildet?
– Noch mal etwas Theologisches: Luther hat die entscheidende Mitte des Evangeliums, und damit das Kriterium für wichtig und sekundär,in der Lehre von der Rechtfertigung des Sünders durch Gnade erkannt. Nach heutigem modernen theologischen Verständnis sollte man diese Mitte des Evangeliums neu verstehen, etwa in der humanen Praxis des menschlichen Miteinanders, der Solidarität, sowie in dem Respekt vor der spirituellen Haltung des einzelnen religiösen Menschen. Die zentrale Stellung der Theologie der Sünde, auch die verheerende Lehre von der Erbsünde, aber auch die Lehre von der Rettung der Welt durch Christi Blut, der sich seinem erzürnten Vater hingibt, all das lassen wir guten Herzens heute endlich beiseite. Und belasten niemanden mehr damit. Darin werden wir von vielen Theologen und Historikern weltweit unterstützt, die Christen an der Basis glauben etwa an die Erbsünde ohnehin nicht. Die Basis ist bereits häretischer als die Herren in Rom es sich träumen lassen. Darüber könnte man auch im Rahmen der Reformationsgedenken nett diskutieren, sozusagen über theologische Traditionen, die nicht mehr hilfreich, weil nicht mehr verständlich sind. Und die deswegen guten Gewissens beiseite gesetzt werden sollten. Diese Freiheit darf sich ein moderner Christ gern nehmen, das ist für liberale Christen keine Frage.
– Wolfgang Thielemann spricht in dem genannten Beitrag auch davon, dass Luther „ein Kämpfer wider katholischen Aberglauben“ gewesen sei; dass aber diese Haltung heute obsolet, also überflüssig, ist. Genau das Gegenteil ist richtig: Auf den Ablass hat die römische Kirche bis heute nicht verzichtet; dass Heilige im Himmel unsere Gebete hören und uns hilfreich zur Seite stehen, ist Lehre der römischen Kirche heute. Dass es bei einzelnen Super Frommen Stigmata gibt, etwa bei dem heiligen Pater Pio, ist römische Lehre. Dass Gott in seiner Allmacht (und Willkür) Naturgesetze – von ihm selbst geschaffen – auch wieder mal durchbricht etwa in Heilungswundern, ist offizielle Lehre …Ebenso, dass Maria gnadenhaft hilft vom Himmelsthron aus, das wird in jedem zweiten Marienlied heute weltweit gesungen. Dass Jesus den Fischer Petrus zum ersten Papst bestellte, ist offizielle Lehre. Da wird der Spruch Jesu an Petrus „Du bist Petrus, der Fels … usw“ ausnahmsweise mal wörtlich von der Kirchenführung gedeutet. Die Warnung Jesu an die Jünger „Nennt euch nicht Meister“ oder „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr als ein Reicher ins Himmelreich“ werden selbstverständlich nicht wörtlich verstanden von der Kirchenführung. Was soll man denn dann mit all dem Milliardenbesitz der Kirche machen, mit allem dem Luxus usw… Dieser absolute Interpretationshoheit der Bibel durch die Kirchenführung entspricht die Verachtung – immer noch – der historisch – kritischen Bibelforschung, die selbst im 2. Vatikanischen Konzil noch festgeschrieben wurde. Also, zu diskutieren gäbe es genug … im Sinne des Reformators Martin Luther.
– Und ist die Vision, der Traum, von der institutionellen Einheit einer Kirche nicht der Traum von Herrschaft? Ist eine und einzige christliche Kirche wirklich ein “Gewinn” oder wäre das nur ein monolithischer, leichter beherrschbarer Block? Wir brauchen nicht diesen Traum einer institutionellen Einheit weiter zu träumen, es gibt Wichtigeres. Etwa das Elend der hungernden und sterbenden Kinder endlich zu besiegen, um nur eines von vielen Themen erster Dringlichkeit heute zu nennen. Es ist ja auch die christliche Welt Europas und Amerikas, die diese verheerende Armut mit erzeugt…Vielleicht sollte man in dem Zusammenhang von Sünde sprechen…
Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon.