Willkommen im Religions-Philosophischen Salon Berlin

Der Religionsphilosophische Salon Berlin ist seit 2007 eine Initiative von Christian Johannes Modehn und Hartmut Wiebus. Seit Beginn der Corona-Pandemie im März 2020 gab es keine öffentlichen Salon – Veranstaltungen (“Präsenz-Veranstaltungen”) mehr, hingegen werden oft neue Beiträge als Hinweise zur Debatte auf unserer Website publiziert.

Warum ein religionsphilosophischer Salon?
Warum ein religionsphilosophischer Salon?

1.

Der Titel und die „Sache“ „philosophischer Salon“ sind alles andere als verstaubt. Das Interesse an philosophischen Gesprächen und Debatten in überschaubarem Kreis, in angenehmer Atmosphäre (also in einem „Salon“), ist evident.
(Frontal-) Vorträge – etwa in Akademien – vor zahlreichem, weithin bloß zuhörendem Publikum sind oft Ausdruck autoritären Belehrens. Ein Salon ist ein freundlicher Ort des Dialogs.

2.

In unserem religionsphilosophischen Salon soll das Philosophieren geübt werden, also das selbstkritische, systematische Nachdenken. Das Thema Religion wird auch in den heutigen Philosophien ernst genommen. Philosophische Religionskritik hat nicht mehr Sinn zu beweisen, dass Religion bedeutungslos ist, im Gegenteil: Philosophische Religionskritik zeigt, welche Form einer vernünftigen Religion bzw. Spiritualität heute zur Lebensgestaltung gehören kann. Und welche Gestalten von Religion/Kirchen/”Sekten” alles andere als einen befreienden Charakter haben. Der Klerikalismus herrscht ungebrochen in der katholischen Kirche und den orthodoxen Kirchen; im weiten Feld des Evangelischen nimmt die Herrschaft der fundamentalistischen evangelikalen Kirchen ständig. freisinnige, vernünftige christliche Kirchen sind leider marginal (vgl. die Remonstranten). 

3.

Unser religionsphilosophischer Salon ist wichtig angesichts des tiefgreifenden religiösen Umbruchs in Deutschland /Europa. Die Bindung an die Kirchen lässt bekanntlich immer mehr nach. Die so genannte Säkularisierung nimmt zu. Aber Säkularisierung bedeutet gerade nicht automatisch Zunahme des Atheismus. Religionsphilosophische Salons können die Themen der Religionen und das subjektive Bewegtsein durch religiöse Fragen angesichts der Kirchenkrise vernünftig weiterführen, in der Freiheit des Geistes… über den Klerikalismus oder den vielfältigen religiösen Fundamentalismus hinaus.

4.

Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie gibt es nur im Plural, die (Religions-)Philosophien in Afrika, Asien und Lateinamerika dürfen nicht länger als „zweitrangig“ behandelt werden. In welcher Weise Religion dort zum „Opium“ wird angesichts des Elends so vieler Menschen, ist eine besonders relevante Frage, auch angesichts der Zunahme christlicher und muslimischer Fundamentalismen. Dringend wird die Frage: Inwieweit ist philosophisches Denken Europas eng mit dem kolonialen Denken verbunden?

5.

Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phien bieten also in ihren vielfältigen Entwürfen unterschiedliche Hinweise zur Fähigkeit der Menschen, ihre engen Grenzen zu überschreiten und sich dem im Denken zu nähern, was die Tradition Gott oder Transzendenz nennt. Dabei treten diese unterschiedlichen Entwürfe in einen lernbereiten Dialog. In unserem religionsphilosophischen Salon gibt es z.B.ein starkes Interesse am (Zen-) Buddhismus.

6.

Uns ist es wichtig uns zu zeigen, dass Menschen im philosophischen Bedenken ihrer tieferen Lebenserfahrungen das Endliche überschreiten können und sollen und das Göttliche, das Transzendente erreichen können. Das Göttliche als das Gründende und Ewige zeigt sich dabei im Denken als bereits anwesend. Es ist sozusagen unthematisch gegenwärtig im Geist des Menschen.
Wenn der Mensch nach dem Göttlichen fragt, hat er also notwendigerweise „immer schon“ ein gewisses Vorverständnis vom Göttlichen. Dieses „Vorwissen“ gilt, nebenbei, für alles Fragen und Suchen.

7.

Insofern ist Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie auch eine subjektive Form der Lebensgestaltung, d.h. eine bestimmte Weise zu denken und zu handeln.
Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie kennt keine Dogmen, sicher ist nur das eine Dogma: Umfassend selbstkritisch zu denken und alle Grenzen zu prüfen, in die wir uns selbst einsperren oder in die wir durch andere, etwa durch politische Propaganda, durch Konsum und Werbung im Neoliberalismus, eingeschlossen werden. In dieser Offenheit, Grenzen zu überschreiten, zeigt sich die Lebendigkeit der Religions -Philosophie. Philosophieren ist etwas Lebendiges, im Unterschied zu vielen klerikalen Konfessionen ist sie nichts Erstarrtes voller Verbotsschilder

8.

Diese „Entdeckungsreisen“ der Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phien können angestoßen werden durch explizit philosophische Texte, aber auch durch Poesie und Literatur, Kunst und Musik, durch eine Phänomenologie des alltäglichen Lebens, durch die politische Analyse der vielfachen Formen von Unterdrückung, Rassismus, Fundamentalismus. Mit anderen Worten: Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie findet eigentlich in allen Lebensbereichen statt, kann sich von allen „Produkten des Geistes“ (Hegel) bewegen lassen. Wer die Gesprächsthemen anschaut, die wir seit 2007 in den meist monatlichen Veranstaltungen („Salon-Abende“) in den Mittelpunkt stellen, wird von der großen Vielfalt überrascht sein. Bisher fanden ca. 100 Salon-Gespräche statt.

9.

Wo hat unser religionsphilosophischer Salon seinen Ort? Als Raum eignet sich nicht nur eine große Wohnung oder der Nebenraum eines Cafés, sondern auch eine Kunst – Galerie. In den vergangenen 7 Jahren fanden wir in der Galerie „Fantom“ in Charlottenburg freundliche Aufnahme. Zuvor in verschiedenen Cafés. Kirchliche Räume, Gemeinderäume etwa, sind für uns keine offenen und öffentlichen Räume. Sie sind meist nicht sehr „inspirierend“, d.h. sie sind „ungemütlich“, also keine Salons, sondern eher Amtsstuben.

10.

In unserem religionsphilosophischen Salon sind selbstverständlich Menschen aller Kulturen, aller Weltanschauungen und Philosophien und Religionen willkommen. Unser Salon ist insofern hoffentlich ein praktisches Exempel, dass es in einer Metropole – wie Berlin – Orte geben kann, die auch immer vorhandenen „Gettos“ überwinden.

11.

Unser religionsphilosophischer Salon sollte auch ein Ort freundschaftlicher Begegnung und menschlicher Nähe. Darum haben wir in jedem Jahr im Sommer Tagesausflüge gestaltet, mit jeweils 10 – 12 TeilnehmerInnen: Etwa nach Erkner (Gerhart Hauptmann Haus), Karlshorst (das deutsch-russische Museum), Jüterbog als Ort der Reformation, das ehem. Kloster Chorin, Frohnau (Buddhistisches Haus), Lübars… Außerdem gestalteten wir kleine Feiern in privatem Rahmen anlässlich von Weihnachten. Auch ein Kreis, der sich mehrfach schon traf, um Gedichte zu lesen und zu meditieren, hat sich aus dem Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon entwickelt. Aber alle diese Initiativen waren (und sind wohl) mühsam, u.a. auch deswegen, weil letztlich die ganze Organisation von den beiden Initiatoren – ehrnemtlich selbstverständlich – geleistet wurde und wird.

12.

Anlässlich der „Welttage der Philosophie“, in jedem Jahr im November von der UNESCO vorgeschlagen, haben wir größere Veranstaltungen mit über 60 TeilnehmerInnen im Berliner AFRIKA Haus gestaltet, etwa mit dem Theologen Prof. Wilhelm Gräb, dem Theologen Michael Bongardt. Der Berliner Philosoph Jürgen Große hat in unserem Salon über Emil Cioran gesprochen, der Philosoph Peter Bieri diskutierte im Salon über sein Buch „Wie wollen wir leben?“, die Politologin Barbara Muraca stellte ihr Buch „Gut leben“ vor, Thomas Fatheuer von der Heinrich – Böll- Stiftung vertiefte das Thema; der evangelische Pfarrer Edgar Dusdal (Karlshorst) berichtete über seine Erfahrungen in der DDR; der Theologe der niederländischen Kirche der Remonstranten, Prof. Johan Goud (Den Haag), war zweimal bei uns zur Diskussion, öfter dabei waren Dik Mook und Margriet Dijkmans – van Gunst aus Amsterdam…

Am 25.1.2023 notiert: Eine traurige Nachricht, ein großer Verlust für eine moderne “liberale Theologie”: Prof. Wilhelm Gräb, Prof. em. für praktische Theologie an der Humboldt-Universität Berlin,  ist am 23. Januar 2023 in Berlin nach langer Krankheit gestorben. Der Religionsphilosophische Salon Berlin verdankt ihm viele wichtige Anregungen und dankt nochmals auf diese Weise für insgesamt 65 Beiträge und Interviews, die Wilhelm Gräb in mehr als zehn Jahren für diese website gab. LINK.

Ich darf sagen, wir haben einen Freund verloren, der als ein Theologe der heutigen Moderne ungewöhnliche, aber richtige Perspektiven zeigte in seiner großen Aufgeschlossenheit und Freundlichkeit. Für ihn war die religiöse Glaubensform eines jeden Menschen wichtiger als die fixierenden, dogmatischen Lehren der Kirche. Diese theologische Freiheit, alle dogmatische Engstirnigkeit, allen Fundamentalismus auch in der evangelischen Kirche zu überwinden, “beiseite zu tun”, wie Wilhelm gern sagte, ist in ihrem radikalen Mut schon ziemlich einmalig. Ob diese Vorschläge und Ansätze zu einer Reformationen der Kirchen noch ernstgenommen werden, gerade in dieser “Kirchenkrise” ist eine offene Frage… Über seine Verdienste in der Forschung zu Schleiermacher wird später zu berichten sein.

Interessant in dem Zusammenhang das Interview, das uns Wilhelm Gräb 2012 zum Thema TOD und Sterben gab: LINK 

Zur theologischen Besinnung empfehle ich auch unser Interview mit Wilhelm Gräb “Der Gott der Liebe”. LINK:

Über vierzig viel beachtete Interviews mit dem protestantischen Theologen Prof. Wilhelm Gräb (Berlin, Humboldt – Universität) sind auf unserer Website publiziert. LINK.

Vorläufige Bilanz

Die Bilanz, vorläufig, Ende Juni 2022, formuliert: Einige wenige Interessenten außerhalb von Berlin haben die Idee des religionsphilosophischen Salons aufgegriffen. Aber wir können nicht sagen, dass etwa im kirchlichen Bereich, evangelisch wie katholisch, die Idee des freien und undogmatischen und offenen Salon-Gesprächs außerhalb der üblichen kirchlichen Räume (!), also in Café oder Galerien,  aufgegriffen und realisiert wurde. Das ist ein Faktum: Je mehr Christen aus den Kirchen austreten, um so ängstlicher und dogmatischer werden die Kirchen(führer), also auch ihre Pfarrer usw. Der Weg der Kirche in ein kulturelles Getto scheint vorgezeichnet zu sein, zumindest für die katholische Kirche. Tatsächlich haben sich über all die Jahre sehr sehr wenige “Vertreter” der großen Kirchen für unsere Initiative überhaupt interessiert. So konnten wir auch in jeder Hinsicht frei arbeiten!

Hinweis zu unseren Themen
Hinweis zu unseren Themen:
Eine Übersicht unserer Themen im Salon von Februar 2020 bis 2015 finden Sie hier. Die Themen von 2009 bis 2015 werden demnächst dokumentiert. Genauso wichtig wie die Salonabende sind auch die religionsphilosophischen und religionskritischen Hinweise Christian Modehn, publiziert auf der Website www.religionsphilosophischer-salon.de , bisher sind dort ca.1.300 Beiträge als „Hinweise“ veröffentlicht, mehr als eine Million vierhundertausend „Klicker“ gab es bisher (Stand 27.6.2022).

Der geplante religionsphilosophische Salon am 27.3.2020 über Hegel musste leider wegen der Corona – Pandemie ausfallen. Wir hoffen, dass noch einmal Salon – Gespräche stattfinden können. Sicher auch über Hegel.
Dass die Veranstaltung über Hegel anlässlich seines 250. Todestagesausfallen musste, ist aber besonders zu bedauern. Einige einführende Hinweise zur Philosophie Hegels hatte ich für den 27.3. 2020 vorbereitet, klicken Sie hier. Nach wie vor empfehle ich das große „Hegel-Handbuch“ von Walter Jaeschke, J.B. Metzler Verlag, 3. Auflage, 540 Seiten, nur 24, 90Euro.

Unser letztes Salongespräch fand am Freitag, den 14.Februar 2020 , wie immer um 19 Uhr statt, über das Thema: “Das Kalte Herz”. Mehr als ein Märchen (von Wilhelm Hauff). „Das kalte Herz“ offenbart die “imperiale Lebensweise”. 22 TeilnehmerInnen waren dabei. Leider mussten wir – wie öfter schon – acht Interessierten absagen, weil der Raum eben klein ist und nur eine Gruppe eine Gesprächssituation ermöglicht. Aber das große Interesse, ohne jede öffentliche Werbung, allein im Internet, und ohne jede Finanzierung von außen, ist schon bemerkenswert. Für einige vertiefende Hinweise zur imperialen Lebensweise: Beachten Sie diesen LINK.

Gründer

Gründer und Initiator des „Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin“ sind:
Christian Modehn, 1948 in Berlin – Friedrichshagen geboren, hat nach dem Abitur in West-Berlin Theologie (Staatsexamen über Heidegger) und Philosophie (M.A. über Hegel) studiert: In Berlin (F.U.), St. Augustin, Bonn und München. Er arbeitete von 1973 bis 2007  immer als freier Journalist, über die Themen Religionen, Kirchen und Philosophien, für Fernseh- und Radiosender der ARD, sowie für die Zeitschrift PUBLIK – FORUM. Zur Information über einige meiner Hörfunksendungen und Fernsehdokumentationen klicken Sie bitte hier.
Und:
Hartmut Wiebus, 1944 in Seehausen/Altmark geboren, hat in Berlin (F.U.) Pädagogik (Diplomarbeit über Erich Fromm) und Psychologie studiert, und vor allem als evangelischer Klinikseelsorger gearbeitet.

Der religionsphilosophische Salon Berlin erhält von keiner Seite finanzielle Zuwendungen oder Unterstützung. Wir sind unabhängig und frei. Alle Arbeit für den Salon, also Organisation und die Impuls-Referate und die Moderation, leisten wir ehrenamtlich. Von den TeilnehmerInnen eines Salon-Abends werden lediglich 5 Euro erbeten … für die Raummiete in der Galerie Fantom.

Christian Johannes Modehn und Hartmut Wiebus, am 8.5.2021, erneut bearbeitet am 27.6.2022.

Der christliche Glaube ist einfach: Die Provokationen des katholischen Theologen Karl Rahner.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 26.3.2024

1.
Einer der wichtigsten katholischen Theologen im 20. Jahrhundert, Karl Rahner SJ, ist vor 40 Jahren, am 30.März 1984, im Alter von 80 Jahren gestorben. Aber er lebt – er lebt weiter in seiner Theologie. Sie verdient die Bezeichnung kreativ, sie sagt Neues, Ungewohntes, Radikales … in einer katholischen Welt, in der Theologen bis ca. 1960 monoton und langweilig “immer dasselbe“ sagen und lehren mussten.
Die Theologie Rahners ist bekanntlich sehr umfassend und vielfältig, sie enthält auch manche explizit nur katholisch interessante Arbeiten (Mariologie, Priesterstand etc.), diese können wir hier beiseite legen.

2.
Viele zentrale, wesentliche Erkenntnisse Karl Rahners sind auch eine spirituelle Hilfe im 21. Jahrhundert. Sie sind in ihrer Deutlichkeit eine bleibende Orientierung für Menschen, die ihren christlichen (katholischen) Glauben mit einem heutigen, modernen, aufgeklärten Denken verbinden wollen: Die Menschen wollen Wesentliches vom Christentum begreifen, möglichst kurz und knapp, darum auch der Versuch Rahners, in „Kurz – Formeln“ den christlichen Glauben nachvollziehbar „auf den Punkt zu bringen“.

Nur vier Beispiele aus Rahners Werk … zur Besinnung und Meditation:

-„Mein Christentum ist der Akt eines Sich – Loslassens in das unbegreifliche Geheimnis hinein. Mein Christentum ist darum alles andere als eine Erklärung der Welt und meiner Existenz. Der Christ hat weniger als jeder andere letzte Antworten. Seinen Gott kann der Christ nicht als einen durchschauten Posten in die Rechnung seines Lebens einsetzen, sondern nur als das unbegreifliche Geheimnis annehmen …“ (Karl Rahner, “Warum ich heute Christ bin”, zit. in dem wichtigen Beitrag Philip Endeans SJ, Stimmen der Zeit Spezial, 2004,,, s. 70 f.).

-„Die (katholische) Kirche sagt eigentlich ganz wenig: nämlich, dass es ein unüberholbares Geheimnis realster Art in unserem Dasein gibt: Gott. Und dass dieser Gott uns nahe ist und sich in Jesus gezeigt hat. In diesem eigentlich ganz Einfachen haben Sie im Grunde schon das ganze Christentum“ . (Karl Rahner, Schriften zur Theologie, Band X, Benziner Verlag 1972, S. 283).

-„Es ist nicht auszuschließen, dass die normale Verkündigung Gottes das Gottesbild primitivisiert und unglaubwürdig macht, zumal eine Verkündigung, die nur lehramtliche Dogmen über Gott wiederholt… Es gibt einen Kampf gegen die Unzulänglichkeit unseres eigenen Theismus“ (Karl Rahner, „Kirche und Atheismus“, in Schriften zur Theologie, Band XV. Benziner Verlag 1983. S. 149)

-„Nach der Lehre des Christentums ist die Nächstenliebe nicht bloß ein Gebot, das erfüllt werden muss, sie ist nicht bloß eine der vielen Verpflichtungen des Menschen und des Christen, sondern der Vollzug des Christentums schlechthin“ (zit, Karl Rahner, „Ich glaube an Jesus Christus, Benziger Verlag. 1968.)

3.
Karl Rahners „anthropologische Wende in der Theologie“ wäre ausführlicher zu besprechen, von diesem Ansatz zehren bis heute viele populäre Schriftsteller, wie etwa Pater Anselm Grün.
Über die originelle „transzendentale Theologie“ Rahners wäre auch zu sprechen, also über seinen der Moderne verpflichteten Versuch, zentrale Aspekte der Glaubenslehre der Kirche „von unten“, also aus dem religiösen Bewusstsein der Menschen, zu entwickeln, eine großartige Leistung, die Rahner in dieser Hinsicht in eine Reihe stellt mit protestantischen Theologen oder auch mit mutigen katholischen Theologen, die im 20.Jahjrhundert als Modernisten verfolgt und unterdrückt wurden.

Weiterführend zu diesem wichtigen, bisher kaum beachteten Thema: siehe auch: LINK.

Sechs Wochen vor seinem Tod hielt Karl Rahner einen bemerkenswerten Vortrag zum Thema Tod, darin zeigt sich der Theologe, der Philosoph, der Mystiker vor allem: LINK

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Freundschaft oder Brüderlichkeit? Wie den Universalismus durchsetzen? Eine Frage an Omri Boehm.

Anläßlich der Verleihung des „Buchpreises für europäische Verständigung“ in Leipzig, März 2024.

Ein Hinweis von Christian Modehn. (Warum wir diese Frage alles andere als eine „bloß akademische“ ist, siehe Nr. 13 dieses Hinweises.)

1.
Der Philosoph Omri Boehm verteidigt entschieden das philosophische, ethische und rechtliche Prinzip des Universalismus, das zeigt er in seinem Buch mit dem Titel „Radikaler Universalismus“ (2022): Dieses Prinzip lehnt die Vormacht der Identitätspolitik ab, es will Raum schaffen für eine gerechte Welt in der alle Menschen tatsächlich die viel zitierte, aber nicht realisierte Gleichheit aller Menschen erleben. Der Universalismus legt allen Wert darauf, den Menschen, jeden Menschen, als moralisches Wesen der Freiheit und Vernunft zu definieren und nicht bloß den Menschen als ein Lebewesen (Tier) unter anderen!
Der Mensch ist in der Erkenntnis von Immanuel Kant verpflichtet, dem im Innern der Vernunft vernommenen Aufruf der Pflicht, moralisch zu handeln, praktisch zu entsprechen. Die Menschen sind als „Subjekte von absoluter Würde“ („Radikaler Universalismus“, S. 17). Omri Boehm betont also, es gelte „dieser Idee (d.i. absolute Würde eines jeden Menschen) zu folgen, dies sei sogar “ein Gesetz, das nicht von Menschen gemacht ist“ (ebd). Diese Wahrheit gelte „unabhängig von menschlichen Konventionen“ (ebd.).

2.
Und das ist besonders bemerkenswert an Boehms Rede in Leipzig: Um den Universalismus durchzusetzen, drängt Boehm darauf, die Freundschaft mit dem anderen, den anderen Menschen, zu pflegen und politisch zu gestalten: Durch Freundschaft, die zwischen Israelis und Palästinensern steht für Boehm im Mittelpunkt, soll dem moralischen Universalismus praktisch entsprochen werden. Freundschaft also Weg zur Stiftung von Frieden, zur Beendigung von Kriegen?

3.
Das ist ein neuer Gedanke, der da in Leipzig vorgetragen wurde. Man könnte zugespitzt sagen: Freundschaft contra Brüderlichkeit?
Darum muss zunächst noch etwas ausführlicher das „Wesen“ der Brüderlichkeit erläutert werden. Denn der Universalismus als die Einsicht in die wesentliche, auch rechtlich garantierte und sozial gelebte Gleichheit aller Menschen lebt von der Leitidee, Brüderlichkeit zur praktischen, auch politischen Geltung zu bringen. Dabei ist es ohne Frage so: Brüderlichkeit als Prinzip des Zusammenlebens hat trotz aller theoretischen Lobeshymnen faktisch in der Geschichte keine dauerhaft prägende Rolle gespielt. Oft war und ist die Barbarei stärker als die Brüderlichkeit. Daran erinnert sehr deutlich der Historiker Friedrich Heer in seinem Aufsatz „Im Namen der Brüderlichkeit“ in dem empfehlenswerten Sammelband „Brüderlichkeit. Die vergessene Parole“ ,Gütersloh, 1979,S. 19 ff).

4.
Es geht also hier in der philosophischen Reflexion zum Thema nicht primär um die Auseinandersetzung mit historischen Fakten. Es geht um ein Verständnis dessen, was „Brüderlichkeit“ (und dann auch „Freundschaft“) sozusagen „wesentlich“ meint. Die Möglichkeit, einfach „nur so“ und ganz allgemein für „den“ Menschen oder „die Menschheit“ einzutreten als Form, den Universalismus zu realisieren, ist viel zu unbestimmt: Unter einem Prinzip „Menschlichkeit“ bzw. „Humanismus“ können viele, sich widersprechende Inhalte versteckt sein. Zudem: Nicht nur einige Philosophen halten explizit den Menschen für ein Tier unter anderen Tieren, da wird der Mensch ausschließlich als Naturwesen definiert, und das ist falsch.
Hier aber geht es eben um ein anspruchsvolleres „Definieren“ dessen, was Menschen und Menschsein bestimmt. Brüderlichkeit und Freundschaft sind solche Bestimmungen, über deren unterschiedliche Bedeutung zu debattieren ist.

5.
Man denke daran, dass die drei zentralen Prinzipien der immer wieder umstritteneren Neugestaltung Frankreichs seit der Revolution von 1789 heißen: „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.“ Manche sprachen sogar von einer neuen, humanen „Trinität“. Die „Fraternité“ ist eine moralische Verpflichtung, während die beiden anderen Begriffe Freiheit und Gleichheit, Rechte des Bürgers beschreiben. „Die Fraternité ist das Ziel einer Bildung der Bürger für die weitere Zukunft und keinesfalls eine unmittelbare Forderung“, schreibt Mona Ozouf (im „Dictionnaire critique de la Révolution Francaise”, Paris 1988, S. 731-732, Übersetzung CM). Erst 1848 (!) wurde in der Konstitution Frankreichs von den bekannten drei Begriffen „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ gesprochen. In der „Déclaration des droits et des devoirs du citoyen“ (Jahr III, d.i. das Jahr 1795) eher nebenbei wird fraternité so definiert: „ Tut dem anderen Menschen nicht das an, von dem ihr selbst nicht wollt, dass es euch geschieht. Tut beständig den anderen Menschen das Gute, das ihr selbst von ihm empfangen wollt“ (Übersetzung von C.M. Das Zitat: „Histoire et Dictionnaire de la Révolution Francaise“, Paris 1987, Seite 832.)
Das heißt: Die Brüderlichkeit bzw. das brüderliche Verhalten wird hier, 1795, definiert in einer Form der uralten, man möchte sagen universalen „goldenen Regel“, die, so sagen Kant – Forscher, einen präziseren Ausdruck in Kants Formulierungen des „Kategorischen Imperativs“ fand.
Nebenbei: Beim Stoa – Philosophen Marc Aurel (121 – 180 n. Chr.) finden wir eine Erkenntnis der Universalität: „Ich habe klar erkannt, dass der Mensch, der gegen mich fehlt, in Wirklichkeit mir verwandt ist, nicht weil wir von demselben Blut, derselben Abkunft wären, sondern wir haben gleichen Anteil an der Vernunft, der göttlichen Bestimmung.“ (Seite 22 in Reclam, „Marc Aurel, Selbstbetrachtungen 2001). Und auch: „Jedes vernünftige Wesen ist mit mir verwandt“, (ebd. S. 34, 3. Buch)

6.
Zur rück zu Omri Boehm: Er lehnt es in seiner Leipziger Rede 2024 ab, die Brüderlichkeit als bestimmende und entscheidende Lebensform des Universalismus gelten zu lassen. Boehm spricht sogar von einem „katastrophalen Versagen der Brüderlichkeit“, sieht das Eintreten für die Brüderlichkeit als „Brüderlichkeit der Privilegierten“, Brüderlichkeit also als Ideologie im westlichen Kapitalismus. Er sieht die „Fraternité“ als eine bloße Form der Solidarität, die oft nicht über das Proklamieren von Parolen hinausgeht. Boehm behauptet „diese Solidarität bilde sich unter verfolgten Gruppen durch die Verbundenheit mit der eigenen Identität heraus“: Brüderlichkeit gehöre also in die Welt der von Boehm abgelehnten Verkapselung in Identitäten. Aber ist dies das Wesen der Brüderlichkeit? Ist diese Fixierung auf familiäre oder andere identitäre Vorlieben das Wesen von Brüderlichkeit?

7.
Boehm plädiert in seiner Leipziger Rede, wie schon in Nr 2. kurz erwähnt, also explizit für die Freundschaft als einer Lebensform, die das richtige Prinzip des Universalismus durchsetzen kann. Unter Freunden kann eine Wahrheitsaussage des einen, die der Erkenntnis des Freundes widerspricht, gerade nicht „persönliches Leid darstellen“, so Boehm in Leipzig in seiner Deutung der Freundschaftslehre des Aristoteles. Er bemüht auch Kant, der von einer „Pflicht zur Freundschaft“ spricht (in seiner „Metaphysik der Sitten“, § 46). Das hätte überhaupt erläutert werden müssen, genauso wie der von Boehm zitierte Ausruf des Juden „Nathan des Weisen“ gegenüber dem christlichen Tempelherren :„Wir müssen, müssen Freunde sein“ (die Quelle ist: Zweiter Aufzug, fünfter Auftritt in dem Theaterstück „Nathan der Weise“ von Lessing). Die bei Boehm nicht geleistete Interpretation wäre: Wenn man gezwungen wird, bestimmte Menschen als Freunde zu haben, dann wird das Wesen der Freundschaft als freier Tat ausgelöscht. Das kann wohl Lessing nicht gemeint haben! Das Zitat ist eine dem erregten Redefluss Nathans folgende zugespitzte Aussage für: “Lass uns doch endlich, endlich Freunde sein…“

8.
Es sollte also weiter diskutiert werden: Ist Freundschaft als Form der Beziehung zwischen Menschen nicht sehr oft eine zufällig entstandene Beziehung zweier Menschen oder von Menschen in einer Gruppe? Freundschaft lebt auf Dauer von Freiheit, von Sympathie, von einem Vertrauen, einer Nähe, die eigentlich sozusagen immer „gesetzlos“ ist: Und dies im Unterschied zur Liebe, die oft ihren Ausdruck findet in der strukturierten gesetzlich gefassten und mit Verpflichtungen verbundenen Ehe. Darum heißt es auch immer zurecht von Psychologen, Freundschaft zu leben sei viel schwieriger zu gestalten und auf Dauer zu leben als Liebe in der Form einer Ehe. Freundschaft, eine zeitlich begrenzte Beziehung, kann oft spontan aber auch mit gutem Grund auch einseitig wieder aufgekündigt werden, ohne rechtliche Komplikationen.

9.
Es ist für uns erstaunlich, dass Boehm die Brüderlichkeit als die – prinzipiell – angemessene Lebensform des Universalismus so kritisch sieht. Der inhaltliche Hintergrund der Brüderlichkeit ist: Die Menschen sind alle gleichberechtigte Brüder und Schwestern, gerade weil sie als „Geschöpfe“ gemeinsam als Brüder und Schwestern in gewisser Hinsicht „Kinder“, im Bild gesprochen, also alle gemeinsam „Kinder“ eines gemeinsamen „Vaters“ und einer gemeinsamen „Mutter“ zu verstehen sind . Diese sind Symbole für das Geschaffensein aller Menschen. Mit anderen Worten: Die Lehre von der Brüderlichkeit hat eine berechtigte, nicht abweisbare Tiefe in der Erkenntnis eines allen, aber auch allen, Menschen gemeinsamen „Vaters“ (und natürlich einer gemeinsamen „Mutter”). Diese Erkenntnis wird religiös in der christlichen Tradition ausgesprochen mit dem Bild der „Gottes – Kindschaft aller Menschen“. Diese Erkenntnis ist nicht eine Formel einer religiösen Ideologie oder gar einer mystischen Verzückung. Sie hat bekanntlich Ausdruck gefunden in rechtlichen Bestimmungen, die von der im Bild der „Gottes – Kindschaft“ gemeinten wesentlichen Gleichheit aller Menschen ausgeht. In der Unabhängigkeitserklärung in den USA von 1776 heißt es bezeichnenderweise: „All men are EQUAL CREATED“, also geschaffen, man ergänze: von dem gemeinsamen Vater und der gemeinsamen Mutter….

10.
Zur Unterstützung unserer These soll darauf hingewiesen werden: Omri Boehm spricht in seinem Buch „Radikaler Universalismus“ selbst davon, es gelte bei diesem Thema „einer Idee, einem Gesetz zu folgen, das NICHT von Menschen gemacht ist“ (S. 17), also dann doch wohl von einem „göttlichen, transzendenten Schöpfer“ stammt, möchten wir die universale Brüderlichkeit, geschaffen von einem gemeinsamen „göttlichen Vater“ sehr ernst nehmen und der Freundschaft vorziehen. Das heißt, noch einmal: Die universale Brüderlichkeit als Gleichwertigkeit aller Menschen als Geschöpfe, die ja kein einzelner Mensch als Geschaffener aufkündigen kann, sollte der immer dem Zufall überlassenen und Freundschaft vorgezogen werden. Freundschaft kann man aufkündigen, Brüderlichkeit im Sinne der gemeinsamen Herkunft des Geschaffenseins NICHT. Universale Brüderlichkeit wird oft ignoriert, zerstören kann man sie nicht.

11.
Nebenbei: Zwei Beispiele aus der politischen Geschichte: Ein wichtiger, seit Jahren währender Versuch in Deutschland (!), Juden und Christen miteinander ins Gespräch zu bringen, hat den Titel „Woche der Brüderlichkeit“. Dass es jetzt in Deutschland wieder etwa 100 (!) Synagogen gibt, ist sicher auch eine Konsequenz dieser „Wochen der Brüderlichkeit“. Also der bleibenden Gemeinsamkeit von Juden und Christen ALS MENSCHEN.
Und noch ein Beispiel: In der DDR gab es seit 1947 einen Verein, der „Deutsch-Sowjetische FREUNDSCHAFT“ hieß. Da traten Leute in diesen Freundschaftsclub ein, die wahrlich nichts oder wenig mit Freundschaft etwa mit Stalin zu tun haben wollten. Diese Leute wollten nur nicht als Oppositionelle auffallen und traten deswegen diesem politisch eher harmlosen Freundschaftsclub der Massen bei. Die „Deutsch – Sowjetische Freundschaft“ hatte 3,5 Millionen Mitglieder im Jahr 1970, 6,4 Millionen Mitglieder waren es im Jahr 1988.

12.
Die gewisse Scheu Omri Boehms, die Brüderlichkeit offenbar prinzipiell nicht als die entscheidende Lebensform des Universalismus gelten zu lassen, rührt vielleicht auch aus einer gewissen Bindung an die Weisungen der hebräischen Bibel. „In der hebräischen Bibel kommt der Terminus Brüderlichkeit nur einmal vor, und wie alle Abstraktbildungen, erst in einem späten Text, im Kapitel XI des Propheten Zacharias“, schreibt Ernst Simon in dem Sammelband „Die vergessene Parole“, dort S. 29. Und der jüdische Wissenschaftler Ernst Simon beschließt seinen Beitrag mit dem Unter-Titel „Überlegungen aus dem Judentum“: “Wenn wir ernstlich vom jüdischen Boden aus zur Brüderlichkeit vorstoßen wollen, so müssen wir ausgehen von der Ebenbildlichkeit Adams mit Gott, eines Adams, des ersten Menschen, nicht des ersten Juden“ (S. 38).
Der Historiker Friedrich Heer vertieft diese Einsicht und betont in dem genannten Buch „Brüderlichkeit. Die vergessene Parole“: „ In Alt-Israel ist für den Bruder wenig Platz, da alle seelischen und geistigen Energien auf das Beziehungssystem: Gott, der Herr, und Israel, seine `Braut` zentriert sind“ (S. 21).

13.
Warum dieser etwas ausführliche Hinweis auf die Rede Omri Boehms in Leipzig?
Es geht uns darum, die Brüderlichkeit in den Mittelpunkt zu stellen gegenüber der offensichtlichen Vorliebe Boehms für die Freundschaft als einem Weg, als einer Möglichkeit, den Universalismus zu gestalten. Universalismus, wie gesagt, verstanden auch als rechtlich garantierte Gleichheit aller Menschen, als Form eines Zusammenlebens der Menschen, die sich NICHT in Identitäten abkapseln und NICHT egoistische eigene Gruppen-, eigene Nationen-, eigene Religions- Interessen vorrangig durchsetzen … ohne Rücksicht auf die Gleichberechtigung und Gleichheit der anderen Menschen.

14.
Diesem Ziel kommen Menschen näher, wenn sie sich der universalen Brüderlichkeit aller Menschen moralisch verpflichtet wissen und entsprechend auch Politik gestalten. Brüderlichkeit hat von sich aus, wie wir gezeigt haben, selbst einen universalen Ursprung in der geistigen Herkunft aller Menschen von einem transzendenten, aber gültigen Symbol, das man Gott, die schöpferische Kraft, nennt. Die Brüderlichkeit mit dieser Herkunft und Weite hat erst in zweiter Linie etwas mit einer enger (und populär) verstandenen Brüderlichkeit zu tun, etwa in familiären Beziehungen oder in „brüderlichen“ Gemeinschaften (etwa Ordensgemeinschaften). Auch diese leben letztlich von der alle Menschen bestimmenden Einsicht, geschaffene Wesen, „Kinder“, religiös formuliert, „Gottes Kinder“ zu sein. Wenn es in diesen „Bruder-Gemeinschaften“ zu Konflikten kommt, berufen sie sich auf die universale Brüderlichkeit und ihre Gesetze, nicht aber auf variabel und kurzfristig geltende Regeln der Freundschaft…

15.
Freundschaft ist also selbstverständlich gut und (auch politisch) wichtig, aber nur auf der Basis und im Horizont der viel umfassenderen Brüderlichkeit aller Menschen.
Ich weiß, man sollte treffender von „Geschwisterlichkeit“ sprechen, wie dies viele feministisch inspirierte Theologinnen und PhilosophInnen zurecht praktizieren… Und diese Geschwisterlichkeit ist immer gemeint, wenn wir hier den klassischen Begriff Brüderlichkeit verwenden.

16.

Über Omri Boehms Buch “Radikaler Universalismus”:  LINK.

Über das Buch von Omri Boehm und Daniel Kehlmann über Kant:  LINK.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Hat Kant die Metaphysik vernichtet? Also die Frage nach Gott, der Freiheit, der Unsterblichkeit der Seele?

Die 17. der unerhörten Fragen.
Von Christian Modehn

1.
Kaum eine andere philosophische Vorstellung hat sich bis heute so durchgesetzt und verbreitet wie die Frage: Hat Immanuel Kant die Metaphysik vernichtet? Meist wird diese Vorstellung nicht als Frage, sondern als These, als Behauptung, wenn nicht als Erkenntnis propagiert und einfach so … geglaubt und weitererzählt.

2.
Es war der Philosoph Moses Mendelssohn (1729 – 1786), der die These verbreitete: Kant habe die Metaphysik, so wörtlich, „zermalmt“, also zerstört und unmöglich gemacht. Mendelssohn spricht davon in seinem Buch „Morgenstunden oder Vorlesungen über das Dasein Gottes“ (1785). Auch Heinrich Heine behauptete, Kants Äußerungen zu einem religiösen Glauben seien nicht ehrlich gemeint. Manfred Kühn hat in seiner Kant – Biographie von 2004 behauptet, Kant sei ein Atheist. Marcus Willaschek (Kant, München, 2024, S. 361) hat hingegen gezeigt, „dass Kant tatsächlich an einen personalen Gott geglaubt hat“ (ebd.).

3.
Es gehört sozusagen zu einer „Pflicht – Erkenntnis“ in diesem Jahr des Kant – Jubiläums (300. Geburtstag am 22.4.2024): Jeder und jede muss sich von diesem Vorurteil verabschieden, „Kant als Zermalmer, als Vernichter, der Metaphysik“ zu deuten. Und einzusortieren. Es gilt hingegen: Kant hat weiterhin von einer Metaphysik gesprochen, und diese begründet, er hat sie inhaltlich entwickelt und verteidigt. Aber es geht ihm um eine Metaphysik, die man zuvor gar nicht kannte. Die aber den Namen Metaphysik zurecht verdient, als Ausdruck von Argumenten und Erkenntnissen der Erforschung der inneren Welt der Vernunft.

4.
Metaphysik als Beschäftigung der Philosophierenden untersucht den Alltag der Menschen hinsichtlich der grundlegenden Sinnfragen, der Frage nach einem alles gründenden Göttlichen, nach dem, was Seele meint, was Freiheit bedeutet. Hintergrund ist dabei die entschiedene Abwehr der oberflächlichen Behauptung: Der Mensch sein „nichts als“ ein Naturwesen, eigentlich ein etwas anspruchsvolleres Tier, ein Wesen, das eher nach festgelegten Prägungen und Determinanten handelt und die Frage nach einem göttlichen Gründenden usw., als überholten Unsinn „entlarvt“. Aber der Mensch ist eben kein Wesen, das bloß im banalen Alltag auf-geht und dann aus ihm wieder ab-geht (ins Nichts?)

5.
Dieter Henrich, ein international hoch geschätzter Philosoph, schreibt in seinem Aufsatz „Warum Metaphysik“ (Reclam, „Bewusstes Leben“, 1999, S. 75): „Die metaphysischen Fragen bilden sich spontan zusammen mit jedem Bewusstsein aus, das zur Lebensreife kommt – oft schon in der frühen Kindheit“.

6.
Was versteht Kant unter lebendiger und vernünftiger Metaphysik?
Metaphysik ist als eine Weisheit zu verstehen, „die nicht zur Wissenschaft umgebildet werden kann“ (Henrich, S. 76). Kant hat in einer seiner grundlegenden Schriften, „Kritik der reinen Vernunft“, die bis zu ihm überlieferte Metaphysik tatsächlich „zum Einsturz gebracht“(ebd.) Es gibt für Kant keine wissenschaftlichen Beweise, es keine strengen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, die Antwort geben könnten auf unsere metaphysischen Fragen nach dem Göttlichen, nach der Freiheit, der Seele usw. „Aber Kant hat sein eigenes philosophisches Programm wiederum als eine Art von Metaphysik dargestellt“ (ebd.) Und diese Metaphysik Kants argumentiert nicht mehr nach Art eines Leibniz oder Thomas von Aquin, sie konnten noch ihre Einsichten als objektive wissenschaftliche Erkenntnisse ausgeben. Kant hingegen studiert die innere Welt der menschlichen Vernunft, und was er da wahrnimmt, das sind ja durchaus auch „Erkenntnisse“, aber eben keine naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, schon gar keine Beweise. Kants metaphysische Einsichten werden ausgesagt als wahre Überzeugungen oder als notwendige Postulate des Denkens, ohne die ein vernünftiges humanes Leben nicht auskommt.

7.
Die metaphysischen Überzeugungen, an denen Kant unbedingt festhält, sind fundiert im sittlichen Bewusstsein, also der vernünftigen Lebenspraxis in Freiheit. Und diese „Entdeckung“ der Metaphysik inmitten der ethischen Lebenspraxis wird von Kant ausführlich herausgearbeitet. Die unbedingte Geltung moralischer Gebote können die Menschen, Kant folgend, durchaus als göttliche Gebote betrachten. Aber es eben nicht Gott, der den Menschen diese Gebote auferlegt.Die moralischen Gebote sind Ausdruck der menschlichen Vernunft. Denn das Bewusstsein des Sittengesetzes, des Kategorischen Imperativs, ist in jedem Menschen aufgrund der Vernunft lebendig, Kant bezeichnet diese Präsenz des Sittengesetzes sogar als „Offenbarung“ (Marcus Willaschek, Kant, 2024, S. 204.
8.
Der Philosoph Otfried Höffe schreibt (In „Philosophie Magazin“, Sonderausgabe, 2024, S. 101): „Kant beendet alle drei Kritiken („Kr. der reinen Vernunft“, „Kr. der praktischen Vernunft“, „Kr. der Urteilskraft“) mit einem moralphilosophisch begründeten Fürwahr-Halten der Existenz Gottes und der Unsterblichkeit der Seele. Allein sie garantieren nämlich, dass die Welt als jene am Ende doch vernünftige Ordnung gedacht werden kann, in der der Rechtschaffene nach Maßgabe seiner Rechtschaffenheit des Glücks teilhaftig wird…“

9.
Im unvollendeten Spätwerk, dem Opus postumum, betont Kant: „Gott ist kein hypothetisches Ding, sondern er ist die reine Vernunft selbst“ (zit. Willaschek, S. 97). Das heißt: „Die Vernunft hat für Kant etwas Göttliches an sich“ (ebd.). Könnte man ins Theologische übergehend, dann die Vernunft im Sinne Kants als den „heiligen, den göttlichen Geist“ nennen? Ich denke: Ja! Aber darüber sollte man diskutieren.

Zum christlichen Glauben in der Sicht Kants: LINK.

Copyright:Christian Modehn, religionsphilosophischer-salon.de

Pater Wolfgang Ockenfels, Dominikaner, gehört nicht mehr zur AFD nahen Stiftung „Desiderius Erasmus“.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 13.3.2024

Dieser Beitrag gehört in den großen Zusammenhang „Katholiken und AFD“.

1.
Der Obere der Dominikanerprovinz Pater Peter L. Kreutzwald (jetzt in Mainz) teilt dem „Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin“ am 11.3.2024 per email zur Tätigkeit von Prof. em. Wolfgang Ockenfels, Dominikaner in Bonn, mit:
„Im Nachgang zu unserem Mailkontakt von Juli 2018 wird daher vermutlich eine neue Information für Sie sein, dass Pater Wolfgang nach eigener Aussage nicht mehr dem Kuratorium der Desiderius-Erasmus-Stiftung angehört.“ Weitere Informationen dazu schreibt P. Kreutzwald nicht.

2.
Wir hatten auch bei der Bischofskonferenz (beim Pressesprecher Herrn M. Kopp) nachgefragt, ob er angesichts der Veröffentlichung der Bischöfe zu „Katholiken und AFD“ mitteilen kann: Gehört P. Ockenfels auch jetzt noch zum Kuratorium der AFD Stiftung? Dazu wollte am 8.3.2024 Herr Kopp nichts mitteilen. P. Ockenfels antwortete nicht auf unsere entsprechende Frage vom 8.3.2024.

3.
Der Religionsphilosophische Salon hat im Rahmen seiner Studien zu „Katholiken und sehr rechtslastige bzw. rechtsextreme Parteien“ seit 2018 einige Hinweise publiziert, auch über die offensichtliche Verbundenheit von Pater Ockenfels mit der AFD (Stiftung). Denn ohne eine geistige/politische Verbundenheit mit der AFD wird ja wohl niemand zum Kuratorium der AFD nahen Erasmus Stiftung gehören (wollen). Ein Link zu unseren damaligen Hinweisen: LINK.

4.
Bei wikipedia z.B. ist die Nachricht noch nicht angekommen, dass Pater Wolfgang Ockenfels nicht mehr zum Kuratorium der AFD nahen Erasmus – Stiftung gehört (wikipedia gelesen am 13. 3. 2024, um 10 Uhr).

5.
Details nennt der Dominikaner – Provinzial P. Kreutzwald in seiner e-mail vom 11.3.2024 wie gesagt nicht: Fragen wie: Ob P. Ockenfels vielleicht sogar unter einem gewissen Druck des Ordens oder der Bischöfe (eher sehr unwahrscheinlich) oder aus Altersgründen oder aus tatsächlicher Ablehnung der Ideologie der AFD aus dem Kuratorium ausgeschieden ist. Pater Ockenfels sagte früher, die AFD sei eine demokratische Partei und er „praktiziere nur Dialogbereitschaft“.

6.
Interessant wäre es, die von P. Ockenfels als Chefredakteur (von 1985- 2022) geleitete sozialwissenschaftliche Zeitschrift „Die Neue Ordnung“ auf AFD Nähe und auch auf Verbundenheit mit sehr konservativen katholischen Positionen (Opus Dei, Neokatechumenale usw.) zu untersuchen.

7.
P. Ockenfels hatte als Chefredakteur von “Die Neue Ordnung” etwa Felix Dirsch publizieren lassen, auch im Dezember 2020. Felix Dirsch schreibt auch auch für die “Junge Freiheit” und die AFD nahe Zeitschrift „Sezession”, außerdem ist er Tempelritter OMCT und Mitglied bei der Palladia…“ so berichtet wikipedia, gelesen am 11.3.2024. Dirsch zitiert in seinen Beiträgen auch oft den rechtsradikalen „Identitären“ „Martin Lichtmesz…“

8.
„Die Neue Ordnung“ wird vom „Institut für Gesellschaftswissenschaften Walberberg e.V. “ herausgegeben, in Walberberg (bei Bonn) befand sich eine inzwischen aufgelöste philosophisch- theologische Hochschule des Dominikanerordens. Pater Peter Kreutzwald, der Provinzial der Dominikaner in Mainz, schreibt dem Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin am 14.3.24: “Die Publikation „Die Neue Ordnung“ wird nicht von unserer Provinz herausgegeben. Herausgeberin ist das Institut für Gesellschaftswissenschaften Walberberg e.V. mit Sitz in Bonn, das keine Institution der Provinz ist. Daher bin ich für Fragen zu Interna der Zeitschrift nicht der passende Ansprechpartner.”

9.

Der Journalist und Spezialist für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Opus Dei, Peter Hertel, nennt Pater Wolfgang Ockenfels mehfach in seiner Studie “Glaubenswächter” (Echter Verlag)  aus dem Jahr 2000!  Damals war P. Ockenfels aktiv bei den “Christdemokraten für das Leben” (S. 91) , weitere Hinweise zur Tätigkeit beim “Rheinischen Merkur,” bei “Komma”, “Radio Horeb” usw…. (S. 138). Weiteres dann auch bei wikipedia…Das Buch von Peter Hertel ist noch antiquarisch zu haben, aber es bezieht sich, wie gesagt, auf die vergangenen Engagements von Ockenfels.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin. www.religionsphilosophischer-salon.de

Die weiße Flagge des Papstes: Für den Sieg Putins?

Ein Hinweis  von Christian Modehn am 11.3.2024.

Darüberhinaus stellen wir die 16. der “Unerhörten Fragen”:
„Warum hisst der Papst nicht selbst die weiße Fahne in seinem Vatikan und ruft endlich den Reform-Katholiken entgegen: Ihr habt recht, Ihr habt mit euren richtigen Reform-Vorschlägen gesiegt. Meine theologischen Positionen waren falsch“…

1.
„Die weiße Fahne hissen“ – das bringt Papst Franziskus jetzt in die Debatten ein auf der Suche nach einem gerechten Frieden für die Ukraine. Der Papst wünscht offenbar, dass die Ukraine die weiße Flagge hisst. Eine Niederlage wäre das, für die Ukraine und die demokratische Welt. Die Idee der weißen Flagge hat uns aber nicht losgelassen und wir bedenken dieses Symbol eben in anderem Zusammenhang auch, darum diese 16. „Unerhörte Frage“.
Man könnte nun meinen, diese 16. Frage in unserer Reihe „Unerhörte Fragen“ sei nun wirklich unerhört und etwas frech. Denn angesichts der Äußerungen des Papstes für das Schweizer Fernsehen RSI im März 2024 geht es um Leben und Tod, nicht um die ewige Leier der ständig besprochenen theologischen Querelen. Ihnen ist im katholischen Zusammenhang sicher nur mit Ironie noch beizukommen.

Darum vorweg diese Informationen: Was sagte der Papst, veröffentlicht am 11.3.2024, im Interview für den Schweizer Sender RSI: Die Ukraine (und damit der Westen) möge doch die „Weiße Flagge“ der Unterwerfung hissen und diese offenbar ehrerbietig Putin entgegen halten… Was der greise Papst Franziskus da so alles plaudert, ist verstörend und zumal für die UkrainerInnen und ihre UnterstützerInnen ein Skandal.

2.
Man muss sich zunächst fragen: In welcher Funktion spricht da eigentlich Franziskus/Mario Bergoglio? Spricht er als Papst, also als oberster Seelsorger und Hirte der Katholiken? Oder spricht er – seiner immer problematischen Doppelrolle entsprechend – als Chef des Staates Vatikanstadt: Diese politische Rolle als politischer Wahl – Monarch eines Zwergen – Staates (ca.700 Bürger) nützt der spirituelle Chef „Papst“ öfter aus, um sich weltpolitisch einzuschalten. Und um aufgrund seiner Heiligkeit („Heiliger Vater“) und des ehrwürdigen Ambiente des Vatikans von vielen noch ernst genommen zu werden. Sollen die Leute denken: Der „heilige Vater“ sagt etwas, o Gott, da muss man in die Knie gehen, wird schon stimmen, was er sagt… Aber hat der greise Wahlmonarch im Vatikan wirklich so viele intime und geheime Kenntnisse des Weltgeschehens, dass er meint, sich in die Debatten kompetent einmischen zu dürfen? Oder setzt er nur auf seine angeblich Autorität als „heiliger Vater“…Vielleicht sollte man mal den Dalai Lama fragen, wie es mit der Ukraine weiter geht. Und vielleicht sagt er dann nach altbekannter Manier die wegweisenden Worte: „Die Liebe ist das Höchste“.
Nebenbei: Papst Pius XII. schaltete sich öffentlich viel zu selten ein, um den Massenmord an den europäischen Juden zu verhindern. Vielleicht will da der Staatschef Papst Franziskus irgendwas „gut machen“? Bloß wem nützt er tatsächlich? Im Falle der Interview-Äußerung eindeutig dem Diktator Putin.

3.
Der „Spiegel“ berichtet, das genannte Interview mit dem Schweizer Fernsehen RSI wurde bereits im Februar 2024 geführt, es soll aber erst am 20.März 2024 gesendet werden.
Man darf sich fragen: Hatte der Papst vor diesem Interview mit dem russischen Patriarchen und Putins Chefideologen Kyrill telefoniert? Im März 2022 sagte Kyrill nach dem Telefongespräch mit dem Papst: Er hoffe, „dass so bald wie möglich ein gerechter Frieden erreicht werde“ (SZ, 24.3.2022). Der Papst ist bekanntermaßen von Kyrill I . sehr angetan, der Papst will unbedingt die Ökumene mit Russland, mit den Orthodoxen, fördern; der Papst war sich nicht zu schade, schon 2016 den Patriarchen Kyrill ausgerechnet in KUBA zu treffen, in diesem kommunistischen Regime fühlte sich der ehemalige KGB Mitarbeiter Kyrill besonders wohl.
Wie wäre es, wenn der Papst mal nach Kiew fährt? In der hübschen Mongolei war er im vergangenen Jahr einige Tage lang (offenbar in Erwartung, dort den Patriarchen Kyrill zu treffen), in diesem Jahr will der Papst nach Belgien reisen, warum also nicht alsbald mal nach Kiew?? „Falls er dort von russischen Attacken ermordet wird, hätte er große Chancen, sofort als Martyrer zu gelten und damit den wichtigsten Schritt zur Heiligsprechung erreicht zu haben“, das schreibt uns ein Freund aus Kiew, sichtlich erregt über die Äußerungen des Papstes.

4.
Der Papst sagte also in dem Interview mit dem Sender RSI den Ukrainern und dem Westen: „Schämt euch nicht, zu verhandeln, bevor es noch schlimmer wird“. „Wenn man sieht, dass man besiegt ist, dass es nicht gut läuft, muss man den Mut haben, zu verhandeln”, Er sei der Ansicht, dass derjenige Stärke zeige, „der die Situation erkennt, der an das Volk denkt, der den Mut hat, die weiße Flagge zu hissen und zu verhandeln.“ Welche Verdrehung der Tatsachen: Die Ukraine ist doch nicht besiegt! Und Putin lehnt echte Verhandlungen, die den Namen verdienen, ab. Friede heißt für ihn: Die besetzten Gebiete der Ukraine zu Russland zuschlagen und dann weiter gegen Europa zuschlagen.

5.
Woher nimmt Papst Franziskus seine Kenntnis, um zu behaupten: Die Ukraine sollte den Mut haben, eine »weiße Fahne« zu hissen und ein Ende des Kriegs mit Russland auszuhandeln. Der Papst denke, »dass der Stärkste derjenige ist, der die Situation betrachtet, an die Menschen denkt, den Mut der weißen Fahne hat und verhandelt«, sagte Franziskus in dem Interview mit dem Schweizer Sender RSI. (Quelle, Spiegel online. 9.3.2024).
Denkt der Papst in den Kategorien der schlichten Alltagsweisheit „Der Klügere gibt nach“? Dies ist ein Spruch, der seine Gültigkeit etwa hat, wenn sich zwei Nachbarn streiten über die Farbe des Gartenzaunes. Aber gilt diese Alltagsweisheit noch angesichts eines Diktators Putin? Hätte Papst Pius XII. etwa den wenigen Widerstandskämpfern gegen die Nazis zurufen sollen: Der Klügere gibt nach, hört auf mit eurem Widerstand“?

6.
Über diese Vorschläge des Papstes im März 2024 kann sich nur Russland freuen, und auch die mit Russland verbundenen rechtsradikalen und linksradikalen Parteien in Europa: Die Diktatur Putins reagierte prompt und hoch erfreut: “Einer der wenigen zustimmenden Kommentare zu den Vorschlägen des Papstes kam aus Moskau. Dort erklärte die Sprecherin des Russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, Franziskus habe eigentlich nicht Kiew, sondern dem Westen geraten, Verhandlungen zu beginnen. Leider habe der Westen das ukrainische Volk und den Weltfrieden geopfert, um seine Ziele zu erreichen. Nun bittet der Papst “den Westen, seine Ambitionen aufzugeben und einen Fehler zuzugeben”, sagte Sacharowa laut der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass; sie fügte hinzu, Russland habe nie Verhandlungen blockiert.“ (Quelle: am 10.3.2024: https://www.katholisch.de/artikel/51745-viel-kritik-am-werben-des-papstes-fuer-weisse-fahne-der-ukraine).

7.
Nun zu unserer 16. der „unerhörten Fragen“: 
Sollte Papst Franzislkus nicht am besten sofort eine große weiße Fahne im Vatikan anfertigen lassen (ein großes päpstliches Laken reicht nicht) und diese weiße Flagge im Apostolischen Palast auch Richtung Deutschland oft schwenken?? Und laut verkünden, am besten mehrfach: „Ich ergebe mich, ich bin auch theologisch etwas veraltet und nicht mehr mutig: Und ich sage nun als Papst feierlich: Die Reformkatholiken in Europa haben recht: Ab sofort wird dieser theologische und menschliche Unsinn “Zölibatsgesetz” für Priester abgeschafft. Und: Ab sofort sind die Frauen voll respektierte, vollständig gleichwertige Mitglieder der römisch – katholischen Kirche. Frauen können selbstverständlich auch ab sofort Priesterinnen werden.“

8.
Der Papst hat also seine Niederlage gegenüber den Reformkatholiken weltweit zugegeben, die weiße Flagge schwenkend ruft er: „Ich hisse meine weiße Flagge auf dem Petersplatz. Jetzt kann die Kirche endlich eine Gemeinschaft werden, die den Namen Kirche Jesu Christi wirklich etwas mehr verdient.

9. Am 15.3.2024 ergänzt: Dr. Regina Elsner, Mitarbeiterin am “Zentrum für Osteuropa “in Berlin (ZOIS) hat einen ergänzenden interessanten Beitrag verfasst in “Christ in der Gegenwart”: LINK.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Omri Boehm (Philosoph und Kritiker der Politik Israels) erhält den Leipziger Buchpreis 2024

Von Christian Modehn am 8.3.2024

Am 21.3.2024 eingefügt: Die Rede von Omri Boehm in Leipzig mit dem Titel “Freundschaft in finsteren Zeiten”. LINK

Über das in Leipzig wichtige geehrte Buch von Omri Boehm: “Radikaler Universalismus”:  LINK

Die Laudatio auf Omri Boehm und sein Buch “Radikaler Universalismus” hielt in Leipzig die Soziologin Eva Illouz (Frankreich/Israel). LINK

………………………………………..

Unser Hinweis vom 8.3.2024:

1.
Man darf am 20. März 2024 gespannt sein, wenn in Leipzig der israelisch – deutsche Philosoph OMRI BOEHM den Leipziger Buchpreis erhalten wird. Die Laudatio wird die Soziologin Eva Illouz halten. Omri Boehm wurde 1970 in Haifa (Israel) geborren, er besitzt die israelische und die deutsche Staastbürgerschaft, er arbeitet vor allem in New York an der “New School for Social Research” als Philosophieprofessor.

Und wir können nur hoffen, dass den richtigen Aussagen Omri Boehms zur gegenwärtigen Politik in Israel (siehe unten) die Attacken erspart bleiben, die der jüdische Filmemacher Yuval Abraham nach seinen Aussagen, auch auf der “Bären Gala”der Berliner Filmfestspiele, erleben musste. Yval Abraham (Regie: “No Other land”) hatte die rechtsextrem beherrschte Politik Israels treffend als “Apartheids-Politik” bezeichnet. Und er hatte deswegen Morddrohungen erhalten, weil bestimmte “übereifrige Deutsche”  seinen Argumenten unterstellten,  sie seien antisemitisch… LINK zu Yval Abraham.

2.
Der Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung wird seit 1994 verliehen, LINK,  er gehört in Deutschland zu den bedeutendsten Literaturauszeichnungen. Veranstalter des Preises sind der Freistaat Sachsen, die Stadt Leipzig, der Börsenverein des Deutschen Buchhandels und die Leipziger Messe.
Omri Boehm erhält den Preis zu Beginn der Leipziger Buchmesse am 20. März 2024 im Leipziger Gewandhaus.

3.
Omri Boehm zeigt u.a. in seinem wichtigen Buch „Radikaler Universalismus“ einen Ausweg aus den ständigen Kriegen Israel – Palästina: Es ist die Idee/Utopie eines gemeinsamen Staates von Juden und Arabern. Die viel besprochene Zweistaatenlösung lehnt Omri Boehm ab.

4.
Aktuell wichtig erscheint uns die Deutlichkeit, mit der Boehm in seinem Buch „Radikaler Universalismus“ (Propyläen – Verlag) den Staat Israel und seinen Zionismus, vor allem die jetzige Regierung Israels kritisiert. Schon 2020 verfasste er eine „Streitschrift“ „Israel. Eine Utopie“. Nach dem Terroranschlag der Hamas am 7.10.2023 wiederholte Boehm seine Grundüberzeugung: “Wir haben es mit einer unerträglichen Situation zu tun, wo das Unmögliche notwendig ist. (…) Wir müssen Vorschläge für eine politische Lösung in der Zukunft finden. Die einzige Alternative zum entgrenzten Krieg ist der Kompromiss einer Föderation.“
Omri Boehm spricht auf Seite 150 des Buches „Radikaler Universalismus“, von der „Apartheidsstruktur, die Israels jahrzehntelange Siedlungspolitik im Westjordanland bestimmt.“

5.
Das Wort Apartheidsstruktur öffentlich zur Qualifizierung von Israels Westjordan – Politik zu gebrauchen, ist hierzulande doch „ein bißchen“ mutig. Man denke an die Aufgeregtheit, die anläßlich der Berliner Film – Festspiele die Debatten bestimmten, als auch das Wort „Apartheidspolitik Israels“ fiel…

6.
Ebenso erstaunlich, dass Boehm den Staat Israel und die westlichen Demokratien dadurch gekennzeichnet sieht, „dass sie für immer auf der gewaltsamen Unterdrückung anderer gegründet“ sind.(S. 152). Noch deutlicher auf Seite 153: Israel könne beides sein, ein Staat der Holocaust – Überlebenden und ein kolonialistischer Apartheidsstaat. Israel kann dieses beides nicht nur sein, sondern, so fügt Boehm wörtlich hinzu: „Ist es auch“ (S. 153).

7.
Mit dieser Kritik will Omri Boehm überhaupt nicht einen Antisemitismus fördern. Und auch ein deutscher Journalist, der Böhms Aussagen und Urteile dokumentiert, ist kein Antisemit, sondern wie Boehm ein Kritiker der von rechtsextremem Denken bestimmten gegenwärtigen Politik Israels! Diese Politik ist ein heftiger und für Humanisten und Philosophen unerträglicher Widerspruch gegen die vernünftige Politik, die den „radikalen UNIVERSALISMUS“, „Jenseits von Identität“ lebt. Zum Buch „Radikaler Universalismus“ der Hinweis des “Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin” ,veröffentlicht am 30.9.2022: LINK.

8.
Omri Boehm will nur für Klarheit sorgen über die gegenwärtigen Zustände in Israel und Palästina; er denkt und argumentiert zugunsten eines besseren, eines gerechten Israel für Juden wie auch selbstverständlich für Araber.

9.
Unser herzlicher Glückwunsch zum Leipziger Buchpreis zur europäischen Verständigung für Omri Boehm.

10.

Zur “weiten Herkunft” (und damit der universalen “Verbreitung” dieser Erkenntnis, also des universell gültigen Prinzips der selben Menschenwürde für alle Menschen. Nur ein Beispiel: Marc Aurel (121 – 180 n.Chr.) sagt in seinen “Selbstbetrachtungen”: „Ich habe klar erkannt, dass der Mensch, der gegen mich fehlt, in Wirklichkeit mir verwandt ist, nicht weil wir von demselben Blut oder derselben Abkunft wären, sondern wir haben gleichen Anteil an der Vernunft, der göttlichen Bestimmung.“ (Seite 22 in Reclam, „Marc Aurel, Selbstbetrachtungen 2001). Und auch: „Jedes vernünftige Wesen ist mit mir verwandt“, (ebd. S. 34, 3. Buch)
………..

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Kafkas paradoxe Weisheiten.

Hinweise auf einige Aphorismen Franz Kafkas.
Von Christian Modehn am 4.3.2024

Ein Vorwort:
Franz Kafka hat auch seine Tagebuchnotizen und Briefe als wichtige. literarische Arbeiten verstanden, keineswegs nur als „Beiläufiges“, „Sekundäres“. Seine Aphorismen erscheinen wie Lehrsätze, die sich auch auf vorgegebene Weisungen, Normen, Gebote, Konventionen beziehen. Kafkas Aphorismen, die 1917 in Zürau in Oktavheften geschriebenen, wirken eher wie Kommentare, betont der Germanist Peter – André Alt. Es sind Hinweise zur Lebensgestaltung. Sie führen aber nicht in allseitige Klarheit und Durchsichtigkeit. Die Aphorismen überschreiten logische Argumente, sie leben vom Widerspruch zu alltäglichen Selbstverständlichkeiten. „Kafka hatte einen Widerwillen gegen analytische Abstraktion“, schreibt Alt (S. 82), er lehnte abstrakt argumentierende Philosophien mit ihren „klaren Antworten“ ab. Es geht ihm bei den Lebensfragen (als Hintergrund der Aphorismen) nur darum, den geistigen, auch den religiösen Horizont zu öffnen, in dem eventuell Ansätze von Antworten auf diese Lebensfragen wenigstens ahnbar werden.
Kafka hat keine Vorliebe zur Philosophie entwickelt, hingegen ist sein Interesse am Werk des Philosophen Kierkegaard durchaus bemerkenswert… weil Kierkegaard auch das literarische Erzählen hochschätzt.

Die folgenden Aphorismen wurden dem Buch „Franz Kafka. Betrachtungen über Leben, Kunst und Glauben“ entnommen. Das Buch erschien 2007 im DTV Verlag, es enthält ein Nachwort von Peter – André Alt. Die Seitenangaben zu den jeweiligen Aphorismen beziehen sich auf dieses Buch.

Die hier ausgewählten Aphorismen wurden wegen ihrer Prägnanz und Kürze ausgewählt, vor allem aber, weil sie unmittelbar ins Philosophieren führen. Eigentlich stehen die Aphorismen für sich selbst. Hier wird der Versuch gemacht, kurze, subjektive Hinweise der Interpretation vorzuschlagen.Diese Hinweise können anregen, sich weiter in diese und andere Aphorismen Kafkas zu vertiefen … und andere Interpretationen zu formulieren.

Die Literaturwissenschaftlerin Margarete Kohlenbach hat in ihrem Buch “Franz Kafka in Zürau. 1917-1918” (Transit Verlag, Berlin, 2023) die meisten der dort geschriebenen Aphorismen Kafkas ausfürlich auf  252 Seiten untersucht und sie auf das Leben (und Leiden) Kafkas (dort) bezogen.

Unser Vorschlag zur Lektüre einiger weniger, kurzer offenbar auch “philosophischer” Aphorismen Kafkas ist wesentlich bescheidener, unser Vorschlag will die LeserInnen zu eigener Lektüre und eigener Interpretation ermuntern. Dazu muss man kein Kafka – Spezialist sein. “Die Texte Kafkas verändern unaufhörlich ihren Klang und ihre Farbe”, schreibt der Literaturkritiker Gregor Dotzauer im “Tagesspiegel”( 11.1. 2024, Seite 24).

1.
„Wer sucht, findet nicht. Wer nicht sucht, wird gefunden.“
(Oktavhefte 13. Dezember 1917). S 55.

Wer dem Sinn dieses Satzes folgt, erkennt: Also muss es doch einen Suchenden geben, der dann denjenigen findet, der eben nicht sucht. Ein Widerspruch, mindestens dann, wenn man die Aussage Kafkas auf den menschlichen Bereich bezieht. Das Suchen hier kann man aber als Suchen nach Sinn, nach „Gott“ verstehen. Dann aber sollte man – nach Kafka – aber gerade nicht Gott aktiv suchen. Man sollte stille sein, nichts tun, nichts suchen: Dann wird man gefunden, von Gott, von dem tragenden Lebens-Sinn.

2.
“Man darf niemanden betrügen. Auch nicht die Welt um ihren Sieg.“
(Oktavhefte 8. Dezember 1917). S. 54.

Ein Satz, der an Immanuel Kant erinnert, an dessen absolute Zurückweisung von Lüge und Betrug. Wenn man sich im Sinne Kafkas an diese Maxime (Kants) hält, dann muss man hinnehmen und ertragen, dass „die Welt“ siegen wird. Was ist hier die Welt? Offenbar alles Irdische, alles Ideologische, das Welt, “gegenüber” zu Gott,  diesen „Gott“ ausschließt oder auch einen transzendenten Lebens – Sinn. Wer also niemals jemanden betrügen will, muss die Herrschaft der Welt als dem Nicht – Göttlichen in Kauf nehmen. Sollten wir vielleicht doch etwas betrügen, lügen, damit die Welt gerade nicht siegt? Kant würde nicht zustimmen!

3.
„Wahrheit bringt keine Erfolge. Wahrheit zerstört nur das Zerstörte.“
(An Robert Klopstock, Juni 1922.) S. 57.

Wer sich bemüht, in einer Welt voller Lügen und Verlogenheiten die Wahrheit zu sagen und Wahrheit zu leben und zu tun, wird keinen Erfolg haben mit seiner Haltung, meint Kafka. Die Wahrheit wird sich nicht durchsetzen. Das Engagement zugunsten der Wahrheit kann nur das zerstören und beseitigen, was ohnehin schon zerstört ist und als kaputt und wertlos gilt. „Wahrheit zerstört das Zerstörbare“ ist heute angesichts der Kriege, der Rechtsradikalen Macht und Verbrechen, der Allgegenwart von Lügen etc… eine ziemlich optimistische Überzeugung Kafkas.

4.
Erkenntnis haben wir. Wer sich besonders um sie bemüht, ist verdächtig, sich gegen sie zu bemühen.“
(Oktavhefte 25. Januar 1918). S. 56.

Wissenschaftler, Philosophen, Theologen fallen bei Herrschenden in Ungnade, werden verfolgt, getötet, von jenen, die Macht haben. Wer neue Erkenntnisse mitteilt, stört diese etablierte, alte und selbstverständlich gewordene Erkenntnis und Wahrheit. Solche Störenfriede gilt es auszuschalten, indem man sie „verdächtigt“ eigentlich gar keine weiterführende Erkenntnis zu lehren.

5.
„Wer glaubt, kann keine Wunder erleben. Bei Tag sieht man keine Sterne.“
(Oktavhefte 22.November 1917.) S. 64.

Wer religiös glaubt, lebt förmlich wie selbstverständlich in einer transzendenten Geborgenheit, lebt gleichsam auf sicherem Boden und in einem hoffnungsvollen Horizont. Ein solcher Glaubender braucht keine einzelnen Wunder. Denn das größte Wunder ist für ihn bereits dieser sein Glaube. Darum Kafkas Ergänzung: Wer im hellen Licht lebt, braucht nicht die wunderbaren Sterne, die nur nachts zu sehen sind.Wer glaubt ist im Licht, er braucht keine wunderbaren Sterne.

6.
Und ähnlich ist auch dieser Aphorismus: 
„Wer Wunder tut, sagt: Ich kann die Erde nicht lassen“
(Oktavhefte 21. November 1917.) S. 54.

Wer Außergewöhnliches, Wunderbares leistet, will die Erde, das Leben auf Erden, pflegen und fördern, er „kann die Erde nicht lassen“, er kann sie nicht loslassen, zugunsten einer transzendierenden, über die Welt hinausgehenden und die Welt „überwindenden“ Lebenseinstellung.

7.
„Theoretisch gibt es eine vollkommene Glücksmöglichkeit: An das Unzerstörbare in sich glauben und nicht zu ihm streben.“
(Oktavhefte 19. Dez. 1917,) S. 24.

Haben wir das Unzerstörbare in uns entdeckt, auf das Kafka aufmerksam macht? Unzerstörbar als dauernd bleibend kann nur Ewiges in uns sein. Wer oder was ist der Ewige? Religiöse Menschen nennen ihn Gott. Gott lebt als das Unzerstörbare in uns. Aber, und das ist Kafkas Rat: Streben wir nicht nach ihm. Werden wir nicht zu Aktivisten der Gott – Suche. Gott ist doch schon unzerstörbar in uns. Das ist „vollkommene Glückseligkeit“.

8.
„Du kannst dich zurückhalten von den Leiden der Welt, das ist dir freigestellt und entspricht deiner Natur. Aber vielleicht ist gerade dieses Zurückhalten das einzige Leid, das du vermeiden könntest.“
(Oktavhefte 22. Februar 1918). S. 24.

Wer sich aus den politischen Konflikten, Krisen und Kriegen und damit aus allem Leiden der anderen Menschen fein narzisstisch raushält, der „entspricht“ durchaus seiner nun einmal egoistischen „Natur“. Aber dieser egoistische Rückzug, dieses Ignorieren des Leidens und der Leidenden der Welt, bereitet dem Egoisten dann doch seelisches Leiden. Falls er noch ein Gewissen hat, möchte man ergänzen.

9.
Es gibt ein Ziel, aber keinen Weg. Was wir Weg nennen, ist Zögern“ .
(Zit. S. 81.)

Eine Erkenntnis Kafkas, die wie ein Motto für viele Politiker damals und heute vor allem gilt: Sie gehen nicht den Weg zum Ziel, etwa zum Frieden, zur universellen Gerechtigkeit, sie stehen bloß irritiert herum, reden viel und „zögern“ nur. Und sie nennen dieses Zögern dann noch ihren politischen „Weg.“

10.
„Geständnis und Lüge ist das Gleiche“.
Verfasst Ende 1920. (zit. S. 91.)

Es gibt in totalitären Regimen ständig die Praxis, die zu Unrecht Verurteilten, also die politischen oder religiösen Feinde, zu einem Geständnis zu zwingen, meist durch grausamste Folter. Die Prozesse in Moskau zu Stalins Zeiten in Berlin im Nazi-Regime oder die Slansky – Prozesse in Prag (1952) oder die „Gerichte“ der katholischen Inquisition sind treffende Beispiele für diese „Geständnisse“ eigener Fehler, diese Geständnisse sind de facto, der Wahrheit folgend, nichts als Lügen. Diese „Lügner“ haben auch nach ihrem Geständnis keine Überlebenschance im totalitären System. Die Romane Kafkas, etwa „Der Prozess“, zeigen in dem Protagonisten Josef K. den „unschuldigen Schuldigen“, auch Josef K. wird trotz Unschuld aufgefordert, „doch bei nächster Gelegenheit das Geständnis zu machen“.

11.
Wenn das, was im Paradies zerstört worden sein soll, zerstörbar war, dann war es nicht entscheidend. War es aber unzerstörbar, dann leben wir in einem falschen Glauben“
(Oktavhefte, 30. Dezember 1917, S. 87.)

Ein Satz der die göttliche Schöpfung von Welt und Menschen (Adam und Eva) meint. Was wurde im Paradies von wem zerstört? Die Menschen zerstörten ihre gehorsame Bindung an Gott und wurden von ihm aus dem Paradies vertrieben. Diese Haltung des Ungehorsams kann durchaus als etwas Zerstörbares, also zu Überwindendes angesehen werden. Dann ist der Ungehorsam nicht wesentlich. Wenn aber diese gehorsame Bindung an Gott als etwas Unzerstörbares, also als Absolutes und selbst schon Göttliches angesehen wird? Dann können wir diese gehorsame Überzeugung nicht akzeptieren, dann “leben wir in einem falschen Glauben”: Wer also Gehorsam absolut setzt, führt in einen „falschen Glauben“…Da hat Kafka – auch aktuell – recht.

Siehe auch Kafka und Kant LINK

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