Perry Schmidt -Leukel plädiert für multireligiöse Bindungen

Vorschläge von Prof. Perry Schmidt Leukel, Münster

In einem Interview am 21. 11. 2008:

Unterschiedliche spirituelle Traditionen, gut ausgewählt und mit Bedacht praktiziert, erschließen die unausschöpfliche Tiefe der göttlichen Wirklichkeit. Wie in einem Kunstwerk fügen diese Menschen verschiedene Elemente zur Einheit zusammen. Theologen sprechen darum in einem positiven Sinn von Patchwork – Religiosität. Wer Geschmack an mehreren Religionen findet, sollte sich seine Vorliebe nicht schlecht reden lassen, meint der Theologe und Religionswissenschaftler Perry Schmidt – Leukel. Als katholischer Theologe hat er selbst die Grenzen konfessioneller Kirchlichkeit kennen gelernt, als ihm die Bischöfe in Bayern die Lehrbefugnis verweigerten wegen seiner Interessen am interreligiösen Dialog. An der Universität von Glasgow, Schottland, konnte er hingegen SEIN Thema, die „multireligiöse Bindung“,  weiter bearbeiten. Inzwischen ist er Mitglied der schottischen Episcopal Church.  Seit kurzer Zeit lehrt er in Münster. Dieses Auf und Ab im eigenen Leben ist für Perry Schmidt Leukel aber kein Grund, sich den Geschmack an der Vielfalt der Religionen verderben zu lassen.

„Man hat dafür auch den Begriff geprägt,  dass Menschen heute zunehmend Religion à la carte haben. Andere haben darauf hingewiesen,  auch von soziologischer Seite, dass jemand, der also kein fertiges Menu im Restaurant bestellt, sondern sein Essen à la carte aussucht, ja durchaus in der Regel bereit ist, mehr auszugeben und eventuell auch bewusster wählt. Wenn jemand à la carte isst, heißt das ja nicht,  dass er als Vorspeise, als Hauptgericht, als Nachtisch dreimal nur Süßspeise wählt. Das kann durchaus gelegentlich Mal der Fall sein. Es kann aber durchaus sein, dass jeder von allem, was es gibt, jeweils die gesündesten Dinge aussucht. Und ich denke, das gilt auch für diese Patchwork – Religiositäten“.

Multireligiöse Mystiker halten nichts von Propaganda und Werbekampagnen. Sie treten nicht ständig in die Öffentlichkeit. So ist ihre genaue Anzahl schwer zu ermitteln. Immerhin haben sie in Holland ihren eigenen Internetaufritt, und im englisch – sprachigen Raum gilt „Multireligiös“ bereits als Trend, hat der Theologe und Religionswissenschaftler Perry Schmidt Leukel beobachten können:

„Früher war der Gedanke eines Entweder Oder. Entweder die eine Religion ist wahr, oder die andere Religion ist wahr. Wenn ich jetzt Wahrheit in der anderen Religion entdecke, dann muss ich konvertieren, weil dann kann wohl meine eigene nicht mehr wahr sein. Heute, auch theologisch, rechnen wir mehr und mehr damit, dass sich geistliche, spirituelle Wahrheit in verschiedenen religiösen Traditionen findet. Und das ermöglicht dann auch den Gedanken, dass, wenn ich von einer anderen religiösen Tradition angezogen bin im konstruktiven Sinne, wenn ich die Erfahrung mache, das, was ich von anderen Religionen lerne, hilft mir in meinem eigenen privaten Leben, in meinem Glaubensleben, dass ich dann so etwas wie eine multireligiöse Identität entwickle“.

Inzwischen reagieren die Führer der alten, fest umschriebenen religiösen Identität sehr gereizt auf so viel interreligiöse Lernbereitschaft. Papst Benedikt XVI. hat im November 2008 betont, ein „interreligiöser Dialog im Sinne von persönlicher Lernbereitschaft aufseiten der Christen“ sei „nicht möglich“. Entsprechend verwarnte der Vatikan einmal mehr engagierte Theologen, so kürzlich den in Washington lehrenden vietnamesischen Peter Phan: In seinen Büchern zum Dialog mit dem Buddhismus relativiere er die absolute Wahrheit des Christentums, heißt es! Klare konfessionelle Grenzen wünschen sich auch konservative Mullahs in Indonesien: Sie wollen den Muslimen die Yoga Praxis verbieten: Wer Mantren singe, schwäche seinen islamischen Glauben… Die Führer der Religionen wollen Untertanen, die der einen konfessionellen Wahrheit sozusagen hundertprozentig entsprechen. Aber dies ist ein Ansinnen, das Religionswissenschaftler, wie Professor Schmidt Leukel, geradewegs naiv finden:

„Denn welcher Mensch kann denn von sich sagen, dass er oder sie in seinem Leben eine komplette religiöse Tradition verinnerlicht hat? Ist es nicht so, dass jeder von uns sich immer nur die Dinge aus einer Religion aneignet, die er oder sie als besonders hilfreich in seinem Leben auch erlebt hat. Niemand von uns glaube ich, lebt das ganze Christentum. Kein Muslim lebt den ganzen Islam, sondern bestimmte Aspekte, mit denen wir konfrontiert wurden und die wir als hilfreich erfahren haben und die uns prägen. D.h. Religion, Religiosität, scheint mir immer irgendwo Patchwork Religiosität zu sein. Nur mit dem Umstand, dass heute für viele Menschen die Patches zunehmen, aus unterschiedlichen religiösen Traditionen stammen und nicht mehr nur aus einer einzigen“.

Immer mehr Menschen werden sich persönlich auf mehrere Religionen einlassen, darin sind sich die Beobachter einig. Und Perry Schmidt Leukel meint sogar, die Bereitschaft des einzelnen, von anderen Religionen zu lernen, dürfe von nichts und niemandem auch nur eingeschränkt werden:

„Wenn jemand ernsthaft sein Leben als religiöser Mensch zu leben versucht, in einer anderen Religion etwas findet, was man persönlich als gut, als wahr, als heilig betrachtet. Dann hat dieser Mensch ja gar nicht die Freiheit, dieses abzulehnen. Es ist schlicht und ergreifend keine spirituelle Option zu sagen: Ich erkenne dort eine Wahrheit, aber nein: Davon will ich nichts wissen, weil diese Wahrheit steht in einer anderen Religion. Dieses ist nicht möglich. Es ist in gewisser Weise eine spirituelle Verpflichtung, all das in mein Leben zu integrieren, was gut, wahr und heilig ist. Paulus schreibt einmal: Prüfet alles, das Gute behaltet“.

Erkennen die großen religiösen Institutionen diese Chance? Der Religionswissenschaftler Perry Schmidt Leukel:

“Die Herausforderung scheint mir wirklich die zu sein: Können die christlichen Kirchen mit diesem zunehmenden Phänomen multireligiöser Spiritualität oder Identität umgehen? Sind sie darauf vorbereitet? Wie reagieren Sie darauf, dass in Ihrer eigenen Mitte Menschen sind, deren persönliche Religiosität bereits von mehreren Religionen geprägt ist? Wie gehen Kirchen damit um, wie gehen sie darauf ein. Das ist noch eine vollkommen offene und bisher weitgehend ignorierte Fragestellung“.

(Diese Stellungnahmen wurden zum großen Teil schon in Radio Beiträgen von mir für den RBB und WDR eingesetzt.)