“Berlin 775 Jahre”: Für eine “Berliner Theologie: Religiös sind fast alle

Anläßlich der Feiern “Berlin wird 775” eine theologisch -religionsphilosophische Provokation.

Religiös sind fast alle

Für eine „Berliner Theologie“, zum ersten Mal publiziert an 5, September 2012

Von Christian Modehn

Ab Ende August wird in Berlin – wieder einmal – ausgiebig gefeiert: Die Hauptstadt wird 775 Jahre alt. Auch die Religionen gehören zu Geschichte. An „Gedenkfeiern“ wird es nicht mangeln. Wird die Theologie nur nach rückwärts schauen? Theologie als Wissenschaft wird in Berlin seit Beginn des 19. Jahrhunderts gelehrt. Inspirierend sind bis heute die Protestanten F. Schleiermacher und E. Troeltsch, sicher auch D. Bonhoeffer und P. Tillich. Sie wurden auch außerhalb der kirchlichen Welt geachtet, weil sie den Mut hatten, jenseits dogmatischer Traditionen Neues zu sagen: Ihr Bezugspunkt war die unkirchliche Kultur der Metropole. Aber die war nicht der „Feind“, den man missionierend „besiegt“, sondern der Partner, von dem man lernt. Deswegen galt es, die „Gebildeten unter den Verächtern des Religion“ (Schleiermacher) anzusprechen und zu argumentieren, „als gäbe es Gott nicht“ (Bonhoeffer). Berliner Katholiken sind noch stolz auf ihren einzigen Star, den Religionsphilosophen R. Guardini, er interpretierte immerhin Rilke, Dostojewski und Hölderlin.

Auch heute ist Theologie (evangelische an der Humboldt – Universität, katholische, sehr bescheiden, an der F.U.) auf den immer kleiner werdenden kirchlichen Sektor bezogen. In kulturellen oder sozialpolitischen Debatten der Stadt kommt Theologie kaum vor. Für die Medien ist sie ein Randthema. Die beiden konfessionellen Akademien bedienen vor allem das älter werdende kirchliche Publikum.

23 Jahre nach dem Fall der Mauer ist Berlin immer noch „Sektoren – Stadt“. Es gibt zahlreiche unterschiedliche soziale und religiöse Milieus, die nebeneinander leben, manchmal auch gegeneinander. 130 Nationen sind allein im Bezirk Neukölln vertreten: Etliche Menschen arabischer Herkunft wollen mit ihren Nachbarn türkischer Herkunft nichts zu tun haben. Zudem wird die Gentrifizierung als Heimat Vertreibung der Alteingesessenen an den ungeliebten Stadtrand erlebt. Wohlhabende Kirchengemeinden meiden die Begegnung mit „Glaubensbrüdern“ aus armen Bezirken. Der Stadt mit 3, 5 Millionen Einwohnern und mit mehr als 12 Millionen Touristen jährlich, fehlt eine allen gemeinsame spirituell – menschliche Basis; es fehlt das Bewusstsein für das Verbindende. Darum sollte sich Theologie kümmern. Dies könnte dann auch ihr Sprechen von Dogmen und Traditionen grundlegend weiten. Schleiermachers und Bonhoeffers Ideen sollten fortleben.

Von regelmäßigen, auf Dauer angelegten theologischen Gesprächen mit Nichtkonfessionellen oder Atheisten kann keine Rede sein. Dabei bilden diese Menschen in Berlin die absolute Mehrheit. Nur jeder dritte Bewohner Berlins gehört noch einer christlichen Kirche an. 660.000 sind evangelisch, 320.000 katholisch. Junge Menschen sind in den Kirchen die Minderheit. An einem „normalen Sonntag“ nehmen ca. 50.000 Christen am Gottesdienst teil. So viele Besucher zählen auch die zahllosen (Musik) „Clubs“ an einem Wochenende. Zum Islam bekennen sich etwa 8 Prozent der Bevölkerung. Die jüdische Gemeinde hat 11.000 Mitglieder. Genaue Zahlen zu den zahlreichen Buddhisten gibt es nicht.

Wäre es nicht an der Zeit, eine neue, eine ausdrücklich ortsbezogene „Berliner Theologie“ zu entwickeln? Es ist doch selbstverständlich: In Kalkutta muss anders über Gott und die Menschen nachgedacht und gesprochen werden als in Paris oder Nairobi.

Was ist also eine „Berliner Theologie“? Sie bezieht sich zunächst auf die allgemeine Religiosität der Menschen, weil sie weiß, dass jeder auf irgendeine Weise bewusst oder unbewusst seinen eigenen Mittelpunkt im Leben hat, einen  Wert, der ihm „absolut wichtig“ ist: Die Liebe und Nächstenliebe, das Vergnügen und die Solidarität, die Musik, die Kunst und die Museen … oder der Sport. Eine Bindung an etwas (subjektiv) „Heiliges“ haben die Menschen längst, „Religion“ ist immer schon da. Theologie hat diese allgemeine Spiritualität zu respektieren und im Gespräch herrschaftsfrei zu befragen.

„Berliner Theologie“ weist also darauf hin, dass es eine „unsichtbare humane Religion“ (Th. Luckmann) gibt, die als eine Art gemeinsamer „Nenner“ die Menschen verbindet. Im Gespräch können sie sich verständigen, wie sich diese Formen unsichtbarer Religion wechselseitig kritisieren oder korrigieren: Ist Religiosität persönlich und gesellschaftlich befreiend, fördert sie die Ausbildung ganzheitlicher Menschlichkeit? Christliche Traditionen können dann als Vorschlag, als Denkanstoß und Einladung eingebracht werden. Diese Berliner Theologie würde dann eher als Religionswissenschaft des Christentums arbeiten, wie in Holland oder den USA. Sie fordert offene Gemeinden, in der möglichst viele unterschiedlichen Menschen sich ökumenisch austauschen können, mit einander (auch rituell) feiern in dem Wissen, dass die Vielfalt der Überzeugungen eine gemeinsame humane – spirituelle Basis hat. Im Gespräch mit Muslims wäre das gemeinsame Menschsein die Basis, nicht die korrekte Koran – Interpretation. Eine „Berliner“ Theologie, „anthropologisch gewendet“, könnte dem Wohl der Stadt dienen und die Grenzen und „Sektoren“ überwinden.

Der Beitrag erschien am 24. 8. 2012 in ähnlicher Form in Publik  Forum, allerdings durch die Redaktion dort bearbeitet.

copyright: christian modehn

 

 

 

Sprache und Sprechen im Vatikan. Anläßlich des Buches von G. Nuzzi, Seine Heiligkeit

Sprache und Sprechen im Vatikan heute

Anlässlich der deutschen Ausgabe von Gianluigi Nuzzi, Seine Heiligkeit.

Der Religionsphilosophische Salon will aus dem weiten Feld der Religionen und Kirchen immer wieder Themen nennen, die eine erhöhte Aufmerksamkeit verdienen. Es geht um Fragestellungen, die unserer Meinung nach bisher kaum studiert und diskutiert werden. Die aber ein Licht werfen, wie sich Religionen heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, präsentieren und wie ihr „Innenleben“ geprägt ist.

Ein Thema: Sprache und Sprechen im Vatikan heute. Damit ist gemeint, wie innerhalb der päpstlichen Kurie, also innerhalb des „Hofes“ (curia), gesprochen wird, welcher Formeln und Floskeln sich die Mitglieder des Hofes bedienen. Angestoßen sind diese Hinweise durch das nun auf Deutsch erschienene Buch von Gianluigi Nuzzi, Seine Heiligkeit, Piper Verlag, September 2012. Der Journalist Nuzzi bietet darin, das ist bekannt, bislang geheime Dokumente, die für den internen Verkehr im Staat des Papstes bestimmt waren. Sie offenbaren gerade in ihrer „privaten“ Dimension, wie dort die vielfältigen Untergebenen des Papstes sich an die obersten Spitzen, also den sogen. „Heiligen Vater“  selbst und seinen Sekretär wenden; meist, um die Gunst dieser beiden Herren der Kirche in ihren privaten Angelegenheiten zu erwerben.

Wer historische Kenntnisse hat, wird vielleicht zum Vergleich die Korrespondenz der Untertanen Ludwig XIV. im 17. Jahrhundert, des sogen. „Sonnenkönigs“,  heranziehen wollen, aber das ist ein anderes Forschungsthema.

Wir dokumentieren nur in einigen Auszügen, in welcher Sprache sich die Bittsteller an den Papst und seine Mitarbeiter wenden. Wie weit diese Briefe tatsächlich einen „Vater“, also Papa, „Papst“,  meinen, erscheint hoch problematisch; man denke zum Vergleich an den großzügigen Vater in Jesu Gleichnis vom Verlorenen Sohn… aber das mag jeder Leser und jede Leserin selbst beurteilen.

Unserer Meinung nach ist die Sprache meist Angst besetzt und voller „heiliger“, kindlicher, infantiler Ehrfurcht vor dem Papst und seinem Sekretär Gänswein. Es handelt sich selbstverständlich hier immer um kurze Auszüge, die die Lektüre des Buches nur um so dringender machen.

Dino Boffo zum Beispiel, Chefredakteur der katholischen Tageszeitung Avvenire. Ihm wird im Jahr 2009 öffentlich „vorgeworfen“, homosexuell zu sein. Er bestreitet das und wendet sich um Unterstützung an Monsignore Gänswein: „Vor allem möchte ich mich für ihren priesterlichen Beistand und die Offenheit danken, die Sie mir gestern in unserem Telefongespräch entgegengebracht haben. Gott weiß, wie leid es mir tut, Ihnen so großes Ungemach zu bereiten…“

An Kardinal Bagnasco, den Vorsitzenden der Italien. Bischofskonferenz schreibt der Journalist und Chefredakteur eines Tageszeitung, eben des Avvenire, Dino Boffo, Jahrgang 1952:  „Eminenz, ich wünschte, vor Ihnen zu stehen, sodass Sie mich in meiner ganzen Betrübnis sehen könnten. Betrübnis vor allem angesichts der Tatsache, Sie behelligen zu müssen, wo ich doch weiß,  mit welchen Sorgen Sie sich täglich plagen müssen… Eminenz, ich frage Sie auf Knien, und Sie mögen daraus ersehen, in welchem Geist ich Ihnen zu schreiben wage… Mir fehlen die Worte, um mich bei Ihnen zu entschuldigen, bei Ihnen, den ich als Menschen und Bischof herzlich verehre und den auf diese Weise zu belästigen mir unsagbar leidtut, Ihr ergebenster Dino Boffo.

Der Staatssekretär im ital. Ministerratspräsidium Gianni Letta kommentiert in einem Brief an Monsignore Gänswein eine vom Vatikan ausgesprochene Empfehlung eines bestimmten Mannes:  „Hochwürdigster Monsignore… Wenn es möglich ist, werden wir uns bemühen, die Sache zu beschleunigen. Das werde ich gern und mit Stolz tun. … in Dankbarkeit und mit einem ehrerbietigen und – wenn Sie gestatten – freundschaftlichen Gruß, Gianni Letta.

Kardinal Carlo Vigano, Leiter der Verwaltung des Vatikans, wendet sich am 27. März 2011 an den Papst, um ihm schwerwiegende Unregelmäßigkeiten in der Finanzverwaltung des heiligen Stuhls mitzuteilen: „Der hochwüridgste Kardinal Lajolo ist in seiner großen Herzensgüte um Versöhnlichkeit bemüht…. Ich gebe Eurer Heiligkeit auch den Brief zu Händen, … damit Sie nach Ihrem erlauchten Willen darüber verfügen…“

Wie gesagt, dieser Beitrag macht nur auf die Sprache im Vatikan aufmerksam, die unabhängig von den Inhalten der Briefe ihre Bedeutung hat.

Der Generalobere des Jesuitenordens wendet sich am 12. Nov. 2012 an den „heiligen Vater“, um ihm Irritationen eher halbwegs fortschrittlich gesinnter Katholiken zur Entwicklung der römischen Kirche weiterzugeben und mitzuteilen. Der Generalobere der Jesuiten, Pater Adolfo Nicolas, eigentlich ein bedeutender Mann in der römischen Kirche, eine Autorität, wenn man so will, schreibt u.a. dem Papst in diesen Worten: „Ich bitte demütig um Verzeihung, wenn dies nicht die richtige Vorgehensweise (der Übermitttlung des Briefes der Katholiken, CM) war… „ Interessant der Zusatz: „Wie Sie wissen, steht die Gesellschaft Jesu (also  die Jesuiten) nach wie in Ihren (also des Papstes, CM) Diensten und im Dienst der Kirche…“ Es gibt allerdings auch einen Hinweis, dass es ein Sprechen mit den vatikanischen Behörden gibt, die eben dem Behördencharakter gerecht werden, also “objektiver” und weniger dem Hof entsprechend untertänig verfasst sind. Dazu gehört in dem Buch von Nuzzi das geheime Dokument, das der Apostolische Nuntius in Deutschland, J.C. Perisset, an einen Mitarbeiter im vatikanischen Staatssekretariat sandte. Perisset schreibt zu einem banalen Vorgang: “Allerdings wundere ich mich, dass in einer so unbedeutenden Angelegenheit die Ansicht des Nuntius eingeholt wird, während viele andere Themen entschieden werden, ohne dass zuvor Kontakt aufgenommen wird” (S. 334).  Der Brief von Nuntius Perisset an den Vatikan endet (freilich) mit den Worten: “Mit aufrichtiger Hochachtung verbleibe ich ergebenst in Christo…”

Nebenbei:

Im Vatikan werden theologisch und politisch betont konservative Presseerzeugnisse mit besonderer Aufmerksamkeit gelesen und respektiert, das ist bekannt. In dem Buch Nuzzis wird die äußerst konservative website „kath.net“ aus Österreich wie eine unumstrittene Autorität behandelt, etwa in einem Brief des vatikanischen „Vizeaußenministers“ Ettore Balestrero, im Buch Seite 363.

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