Die Theologie Augustins überwinden.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 10.6.2025.

Wir haben mit der Wahl eines Augustiners (“Sohn des heiligen Augustinus”, Selbstbezeichnung Leo XIV.) zum Papst eher Schlimmes befürchtet: Dies ist die ständige Bezugnahme auf den heiligen Augustinus, er lebte im 4. und 5. Jahrhundert. Ein moderner Heiliger? Garantiert nicht. Lassen wir ihn ruhen.  Aber leider bestätigt sich diese unsere Prognose der Augustinus Zitiererei durch den Papst  fast ständig: Den Kandidaten für Priesteramt (“Seminaristen”) empfahl Leo XIV., sich an Sprüche Augustins  zu halten und vor allem den Zölibat hochzuschätzen. Mit etwas Anstrengung sei der Zölibat doch zu leben, sagte er den 20 -25 Jahre jungen Männern, darf man das theologisch und psychologisch naiv nennen? Natürlich. LINK:

Und auch die am 25. 6. versammelten Bischöfen ermahnte er, “Vorbild” zu sein. LINK

Immer wieder wird Augustin zitiert von Papst Leo XIV.: Der Journalist und Vatikan – Spezialist der angesehenen katholischen Tageszeitung LA CROIX (Paris), Mikael Corre,  schreibt am 14.6.2025 zusammenfassend über die Form der Argumente von Papst Leo XIV.: Er hielt einen Vortrag für Priester, Mikale Corre berichtet.: Leo XIV. beendet sein Statement für die Priester, indem er den heiligen Augustinus zitiert, wie er es in fast allen seinen Ansprachen tut: Papst Leo zitierte also Augustin: “Liebt diese Kirche, bleibt in dieser Kirche, seid diese Kirche. Liebt den Guten Hirten, den sehr schönen Gatten (sic), der keine Person täuscht und nur will, dass keine Person untergeht…” (Le 12 juin, Léon XIV terminait son adresse aux prêtres en citant saint Augustin (Sermons 138, 10), comme il le fait dans presque tous ses discours. « Aimez cette Église, restez dans cette Église, soyez cette Église. Aimez le bon Pasteur, l’Époux très beau, qui ne trompe personne et ne veut que personne ne périsse…”). LINK

Wie soll theologisch diese offenbar vom Papst geteilte Priesterspiritualität aus dem 4. Jahrhundert bewertet werden? In jedem Fall ist sie nicht auf der Höhe der Theologie von heute… Nach einer Abschaffung des sinnlosen Zölibatsgesetzes klingen seine Worte jedenfalls  nicht…Wir haben unsere Meinung schon früher mitgeteilt: Zu den “Progressivsten” zählen die dem Denken des heiligen Augustin verpflichteten Theologen, also auch die Augustiner, bekanntermaßen nicht. Wegweisende moderne Theologen gehören eher anderen Orden an. Ob auch der Augustiner Papst Leo XIV. zu den eher behutsamen, durchaus das übliche Katholische unbedingt bewahrenden, auf Ausgleich und “Einheit” bedachten Augustinern gehört, ist wahrscheinlich…

Nebenbei: Kann ein Papst dieser Kirche überhaupt progressiv sein? Erst dann, wenn er selbst das Papsttum abschafft. Das könnte zumal ein Papst, dessen Mitbruder im Augustinerorden Martin Luther ist! Aber von Martin Luther hat Leo XIV. bisher nicht einmal gesprochen…

Ein Vorwort zu unserem Hinweis, einer “Provokation”: 
Heute sollten sich Christen und TheologInnen mit der Theologie des Augustinus befassen, um die Grenzen und Begrenztheiten des Theologen Augustin zu erkennen und sich auch von den Verirrungen seiner Theologie zu befreien. Augustinus mag ja einige allgemeine humane Weisheiten etwa in seinen „Confessiones“ geschrieben und etwa über die Zeit treffend philosophiert haben: Aber einzelne populäre Weisheiten wie: „Unruhig ist unser Herz, bis ruht in dir o Gott“ (das heißt: „Ruhe gibt es auf Erden nicht, auch nicht durch die Philosophie, auch nicht durch den Glauben“) bestimmen nicht das Gesamtwerk.
Dabei sind wir uns der Allmacht der Theologie Augustins bis heute bewusst, etwa auch im offiziellen „Katechismus der Katholischen Kirche“ (Vatikanstadt 1993): Dort wird Augustinus in 88 Paragraphen zitiert, häufiger als Thomas von Aquin… Nebenbei: Aus dem 20.Jahrhundert wird niemand zitiert, aus dem 19. Jahrhundert nur der Pfarrer von Ars, der zwar heiliggesprochen wurde, aber theologisch völlig ungebildet war, betonen Historiker. Der Pfarrer von Ars, Johannes Vianney, wird im Katechismus zitiert: „Der Priester setzt auf Erden das Erlösungswerk fort“…, § 1589.

Zu Augustins Aussagen über “die Frauen” siehe FUßNOTE 2.

 

Unsere Thesen:

1.
Augustinus und seine Theologie wird zweifellos im Mittelpunkt der theologischen Debatten und spirituellen Interessen der nächsten Monate und Jahre stehen: Auch eine „augustinische Bücherflut“ ist wahrscheinlich… Papst Leo XIV. ist Mitglied des Augustinerordens (OSA), er hat von Anfang an als Papst betont „Ich bin ein Sohn des heiligen Augustinus“, er spricht immer wieder in seinen Ansprachen von einigen allgemeinen Aspekten der Theologie Augustins. Und der Papst setzt sich sogar gelegentlich, im allgemeinen verbleibend, von ungewöhnlichen theologischen Aussagen Augustins ab (Fußnote 1).

2.
Es ist also Zeit, etwas näher das theologische Profil von Augustinus außerhalb von wohlwollenden Zitaten kritisch zu betrachten. Angesichts des nur riesig zu nennenden Umfangs der Schriften des Augustinus können hier selbstverständlich nur einige „Grundlinien“ seines Werkes kritisch erwähnt werden, eines Denkens, das durchaus Entwicklungen vorweist, und diese Entwicklung führt weg von großer Offenheit in jungen Jahren hin zur Strenge und Militanz im Alter als Bischof.

3.
Kurt Flasch, Philosophiehistoriker und Philosoph, Spezialist für mittelalterliches Denken, ist ein international geschätzter Kenner der Werke des Augustinus. Kurt Flaschs Studien sind deswegen wichtig, weil sie nicht kirchengebunden sind, die bekanntlich oft der „enormen Größe und Bedeutung des heiligen Augustinus“ erliegen und nur nebenbei die Grenzen seines Denkens freilegen.

4.
Kurt Flasch bietet in einigen Kapiteln seines Buch „Warum ich kein Christ bin“ aus dem Jahr 2013 ( C.H.Beck Verlag) zentrale Erkenntnisse zu wichtigen theologischen Aussagen Augustins: Die Seitenzahlen in den Zitaten hier beziehen sich auf dieses Buch. Auf die große Augustinus – Studie Kurt Flaschs „Augustin. Einführung in sein Denken“, 487 Seiten (Reclam Verlag, 1980) kommen wir später zurück, um die eher knappen Ausführungen Flaschs von 2013 zu bestätigen.

5. Zum Umgang mit der Bibel:
Augustin will in seinem Buch „De consensu evangelistorum“ („Über den Konsens der Evangelisten“) eine Harmonie der Aussagen der vier Evangelisten herausstellen. „Augustin sah die Autorität der Glaubenszeugen bedroht, wenn sie nicht mit EINER Zunge sprachen. Seine Argumentation illustriert als ihr Gegenteil die historisch – kritische Methode der Bibelauslegung.“ (S. 53). „An einer kulturell – historischen Einordnung des Bibeltextes hatte er kein Interesse.“ (Ebd.). „Augustinus konnte kein Hebräisch und kaum Griechisch verstehen“ (ebd.), er glaubte mit den Übersetzungen der Bibel ins Lateinische die Bibel kompetent auslegen zu können…

6.
Augustin war als neu-platonischer Philosoph an rationalen Begründungen des Glaubens interessiert. Aber als Begründungen, sich auf den Glauben einzulassen, waren ihm dann doch äußerliche Fakten wichtig: Etwa: Die Missionserfolge der Kirche wurden gerühmt, auch die Wunder Jesu seien ein Grund zu glauben; und die regelmäßige Abfolge der Bischöfe seit Petrus sei hoch zu respektieren. Und vor allem: „Allein seine, Augustins Kirche sei die katholische, denn selbst Häretiker nennen sie so“ (S. 64).

7.
Platon spielte in der geistigen Entwicklung Augustins eine entscheidende Rolle. Augustin lehrte: „Der Glaube an die zeitliche Offenbarung (in Jesus) ermögliche die rein geistige Einsicht. Diese bestehe in der platonisierenden Erkenntnis Gottes als dem einzig beständigen Glück der Seele“ (S. 92f.)
Wesentliches der Philosophie Platons stimme mit dem christlichen Glauben überein, meinte Augustin. Das können Christen aber erst erkennen, wenn sie von der Gnade Gottes angeleitet werden.
„Wenn die großen griechischen Philosophen noch lebten, würden sie Christen sein. Sie bräuchten an ihren Lehren nur wenige Worte zu ändern“, so fasst Kurt Flasch Augustins Überzeugung zusammen (S. 93).
Augustin übernahm also den „platonisch-universalen Theismus“ (S. 93). Platons Begriff von Gott als dem „höchsten Gut“ setzte sich dann in der Kirche durch, ebenso die platonische Überzeugung, „sinnliches Vergnügen sei der Bestimmung der Seele fürs Jenseits unterzuordnen. (S. 94). „Augustins Neu – Platonismus konzentrierte sich darauf, die Seele durch asketisches Leben zum jenseitigen Dauerglück beim rein geistigen Gott zu führen.“ (S. 94).

8.
Die radikale Lehre von der Gnade, die Gott gewährt, ist seit 396/397 für Augustin entscheidend: „Für ihn endeten nicht mehr nur alle Ungetauften im ewigen Höllenfeuer, sondern auch die Mehrheit der Christen“ (S. 87).

9.
Auf die verheerende Erbsündenlehre Augustins, haben wir schon oft hingewiesen. LINK. Mit seiner Erbsündenlehre hat Augustin das christliche Denken vergiftet und Sexualität letztlich als „Übertragungsweg“ der Erbsünde deklariert.
Kurt Flasch schreibt: „Augustinus machte aus dem Apfelbiss, den der Jesus der Evangelien nie erwähnt hatte, den Sündenfall der gesamten Menschheit und den Beginn der Teufelsherrschaft auf Erden“ (S. 196). „Augustin dachte die Erbsünde als die durch geschlechtliche Vermehrung übertragene Fortdauer der Ursünde im Paradies. Augustin ERFAND die Erbsünde, die in der Theologie vor ihm nur ein Erbschaden war, nun als wahre Schuld, als wirkliche Sünde, die auch den Neugeborenen anhafte…“ (S. 197).
Die Konsequenz: „Im Denken Augustins kommen selbst alle Getauften nicht mehr in den Himmel.“ (S. 197) Erlösung heißt dann: Der von den Sünden der Menschen erzürnte Gott (Vater) „kann allein besänftigt werden durch die Tötung seines eigenen Sohnes, des Gottesohnes, am Kreuz“ (S. 198.) Diese abstoßende Vorstellung von einem Gott, der seinen Sohn in den Tod schickt als Erlösung der Menschen wird heute noch theologisch gelehrt, hat sich aber heute de facto wohl erledigt: Gebildete Christen glauben das einfach nicht mehr…
Aber Augustinus sagt: „Wenn Gott wollte, würden alle gerettet. Aber Gott will es nicht seit Adams Sünde; er rettet aus der Masse der Sünder nur, wen er retten will. Also geht die überwiegende Mehrheit für immer verloren“ (S. 208). An dieser Stelle muss an das Fortleben dieser theologischen Ideologie etwa im Denken des Reformators Calvins erinnert werden…

10.
Kritische Hinweise zu einigen zentralen theologischen Aussagen Augustins bietet keineswegs nur Kurt Flasch. Man muss nur die ausführliche Biographie des Historikers Peter Brown (Oxford) „Augustinus von Hippo“ lesen (auf Deutsch erschienen 1982): Auch Peter Brown beschreibt den schwierigen Charakter Augustins, seine Strenge als Bischof im Kampf gegen die große Glaubensgemeinschaft der Donatisten, seinen leidenschaftlichen, polemischen Kampf gegen Andersdenkende insgesamt. Sein Kampf galt auch kompetentem gebildeten Bischöfen wie Julian von Eclanum: Er lehnte die Erbsündenlehre Augustins ab und wurde von ihm verfolgt… Die Erbsündenlehre Augustins, die Julian von Eclanum zurecht ablehnt, beschreibt Peter Browns: „Da der Geschlechtstrieb für Augustin eine permanente Strafe war, wurde er als permanente Neigung, als triebhafte Spannung dargestellt, der man widerstehen konnte, die jedoch in Tätigkeit blieb, selbst wenn sie unterdrückt wurde“ (S. 340). Und weiter: „Der Gott des Augustinus war ein Gott, der eine Kollektivstrafe für die Sünde eines Mannes (Adam) verhängt hatte“. Die Lehre des 1. Timotheus Briefes im Neuen Testament: „Gott will, dass ALLE Menschen gerettet werden“ (1 Tim. 2,4) bemühte sich „Augustin wegzuerklären… (S. 351), also beiseite zu lassen, zu ignorieren. Und angesichts der theologischen Lehren des „liberalen“, auf die Kraft der menschlichen Freiheit setzenden Theologen Pelagius wollte er seine katholische Gemeinde wie in eine Festung einsperren, um sie vor den Angriffen des Irrlehrers zu schützen.“(S. 352). Über Pelagius contra August hat Kurt Flasch in seiner Studie „Augustin. Einführung in sein Denken“ ausführlich geschrieben (S. 176 ff.): “Als der Bischof von Rom, Zosimus, den Theologen Pelagius rehabilitierte, intrigierte Augustin solange beim kaiserlichen Hof in Ravenna, bis der Kaiser intervenierte…“ Deswegen wurde Pelagius aus Rom verbannt…“ (S. 178) und seine Anhänger auf Betreiben Augustins verfolgt. Augustin gelang es mit Bestechungen die Pelagius – Freunde einzuschränken, „gegen die verbleibenden Anhänger des Pelagius mobilisierte Augustin die Staatsgewalt“ (S. 179).

11.
Man mag auch im Buch von Peter Brown einzelne Zitate und Sentenzen finden, die einen sympathischen Augustinus zeigen: Aber im ganzen war er als Bischof ein sehr polemischer Theologe in den aufgewühlten Zeiten des 4. und 5. Jahrhunderts. Und es mag ja sein, dass seine Weisungen, also seine „Regel“ zum Zusammenleben der Priester (die so genannte Ordensregel) nach wie vor allgemein gehaltene, durchaus noch inspirierende Vorschläge enthalten, aber was bleibt denn sonst noch?
Nebenbei: Dass Augustinus von seiner Herkunft her ein Afrikaner ist, wird meines Wissens oft übersehen oder vergessen. Vielleicht wäre dieser „afrikanische Augustinus“ nicht nur eine Herausforderung für die Augustinerorden (es gibt ja mehrere), etwa indem sie ihre Klöster in Europa für Flüchtlinge aus Afrika öffnen und – wie die Jesuiten – einen „Flüchtlingsdienst“ einrichten…

12.
Henri Marrou, ein „klassischer“ Augustinus- Kenner und durchaus Augustinus – Freund, schreibt über die enorme Bedeutung Augustins in den Kirchen im 17. Jahrhundert: „Er erfüllt das ganze Jahrhundert, alle zitieren, benutzen und kommentieren ihn… es wird schließlich eine Besessenheit daraus: Man wagt nicht mehr, Vorbehalt und Kritik zu äußern, der heilige Augustinus hat immer und überall recht.“ (in Rowohlts Monographie „Augustinus“ von Henri Marrou, 1984, S. 147).

13.
Hinweise von Kurt Flasch aus einem Buch „Augustin. Einführung in sein Denken“, Reclam, 1980:
Im 17. Kapitel seiner Studie spricht Flasch vom „Zwiespalt Augustins“ (S. 403 ff.). Augustin sieht „das Böse gerade bei den `guten` Taten (S. 404). „Er bestand darauf, das Höllenfeuer sei körperliches Feuer“ (S. 419). „Solche Sätze gaben dem Kirchenglauben der westlichen Christenheit eine Buchstäblichkeit und Enge, die ihn mit der (philosophischen) Aufklärung in Konflikt brachte (S. 419). Und auch dies: „Die Gewohnheiten der Gruppe (bestimmter Christen) sollte das Sprechen einzelner normieren. Vielleicht hat Augustin an keiner anderen Stelle seinen Bruch mit dem antiken Ideal freier Rede härter und folgenreicher ausgesprochen als an dieser Stelle“ ( S. 420). „Der Militärdienst wurde bei ihm unbedenklich. Augustin konnte christliches Leben und Militärdienst erbaulich in Parallele setzen“(S. 422).

14.
Papst Leo XIV. beschwört als Augustiner seit Beginn seiner Regierung ständig den Wert der EINHEIT unter den Gläubigen. Der Papst meint, Einheit sei DIE zentrale Forderung Augustins für die Kirche auch heute. Wer sich allerdings genauer anschaut, wie im einzelnen Augustin als Bischof für die Einheit unter den vielfältigen Christen in Nordafrika damals sorgte (von der großen kirchlichen Bewegung der Donatisten war schon die Rede) und seiner katholischen Kirche auch mit Druck und Zwang zum Sieg verhalf, der hat seine Zweifel an der Relevanz der augustinischen Einheits-Idee. Sie passt angesichts der Pluralität der Kulturen und Theologien nicht mehr in unsere Zeit.

15.
Die Idee einer theologischen Einheit unter den eineinhalb Milliarden Katholiken heute ist ohnehin sehr problematisch. Denn die Vielfalt der Glaubensüberzeugungen und moralischen Vorstellungen ist unter den 1,5 Milliarden Katholiken heute so unterschiedlich, dass von einer Einheit keine Rede sein kann, Einheit im Sinne von: “Wir Katholiken glauben alle das Gleiche und haben die gleichen theologischen Prinzipien etwa zur Rolle der Frauen oder der Homosexuellen in der Kirche“ . Und eine solche Einheit „Alle glauben das Gleiche und sprechen in gleichen Formeln vom Glauben“ ist nicht nur faktisch unmöglich, sondern auch theologisch nicht wünschenswert und angesichts der Vielfalt der Kulturen auch sinnlos.

16.
Über die Bedeutung der Einheitsvorstellung beim Augustiner Papst Leo XIV. wird in Zukunft noch viel debattiert und kritisiert werden, hoffentlich.

Fußnote 1:
Es ist aber beachtlich, dass der Augustinus – begeisterte Papst Leo XIV. schon am 18.Mai 2025 in seiner ersten großen, wichtigen Predigt zur Amtseinführung betonte: “Es geht niemals darum, andere durch Zwang, religiöse Propaganda oder Machtmittel zu vereinnahmen, sondern immer und ausschließlich darum, so zu lieben, wie Jesus es getan hat.“ Und der Augustiner Papst Leo XIV. machte diese Aussage noch deutlicher: „Wir sind gerufen, allen Menschen die Liebe Gottes zu bringen, damit jene Einheit Wirklichkeit wird, die die Unterschiede nicht aufhebt, sondern die persönliche Geschichte jedes Einzelnen und die soziale und religiöse Kultur jedes Volkes zur Geltung bringt.“ Das sind hoffentlich programmatische, man möchte beinahe sagen: anti – augustinische Worte. LINK https://www.vaticannews.va/de/papst/news/2025-05/wortlaut-predigt-von-leo-xiv-zur-amtseinfuhrung.html
Der Augustiner Papst Leo XIV. widerspricht der höchst problematischen Weisung des Bischofs Augustinus, man solle die unwilligen Menschen auch zwingen, den Glauben anzunehmen… Augustinus bezieht sich dabei auf das Gleichnis Jesu vom großen Gastmahl (Lukas14,23). Dieses Wort Jesu ist eine Einladung fremder Gäste zu einem Festmahl, es hat aber nichts mit zwanghafter Einfügung von Ketzern in die katholische Kirche zu tun, wie Augustinus dieses Jesuswort umdeutete. Augustinus versteht es als „Aufforderung zur Gewaltanwendung und er verwendet es neben anderen Argumenten als Beleg zur Billigung von Gewaltmaßnahmen gegen Häretiker. Das von Augustinus als dem erstem, doch nicht häufig verwendete Zitat hatte für die Ketzerbekämpfung in Mittelalter und Neuzeit verheerende Wirkung.“ LINK:

Fußnote 2:

Augustins Aussagen über Frauen:

“Ist Augustin auf eine gleichrangige Bewertung beider Geschlechter bedacht, so ändert sich das Bild bei der Frage nach dem Zweck der Erschaffung eines weiblichen Partners für Adam und den daraus folgenden spezifischen Aufgaben der Frau. Augustin: „Erschaffen wurde die Frau also für den Mann, aus dem Mann, mit ihrem Geschlecht, ihrer Formung und der Verschiedenheit ihrer Organe, die das Kennzeichen der Frau sind.“ Die Hilfsfunktion der Frau erfüllt sich ausschließlich in ihrer Rolle als Mutter. Die Frage nach möglichen Alternativen für die Rolle der Frau stellt Augustin sichtlich vor ein Rätsel: „Wenn die Frau nicht dem Manne zur Hilfeleistung, um Kinder hervorzubringen, gemacht worden ist, zu welcher Hilfe ist sie dann gemacht worden?“ Der Gedanke, Mann und Frau könnten durch freundschaftliche Beziehungen miteinander verbunden sein, erscheint Augustin als abwegig, schließlich birgt der Umgang mit Frauen stets die Gefahr der Erotisierung in sich, welche die Reinheit des freundschaftlichen Umgangs trüben könnte. Zudem implizierte der antike Freundschaftsgedanke die Freundschaft unter Gleichen, die allein die notwendige Einheit und Verbundenheit zu erbringen vermag.

Ihre anthropologische Bestimmung als Gehilfin des Mannes verpflichtet die Frau in der ehelichen Beziehung zu spezifischen Pflichten und Wesenszügen. Augustin entwirft das Sittenbild einer christlichen Ehefrau mit den wesentlichen Tugenden des Gehorsams und der Sittsamkeit im Rahmen ihrer Aufgabe als treusorgende Mutter der aus der Ehe entsprungenen Kinder.

Augustin beschränkt die Möglichkeiten weiblicher Selbstverwirklichung wie seine christlichen Zeitgenossen auf die Ehe, die Witwenschaft und die Jungfräulichkeit, wobei er stets die Superiorität der Jungfräulichkeit hervorhebt. Paradebeispiel für die Vollendung des „züchtig-frommen Frauentypus“ ist Maria, da sie sowohl das Ideal der Jungfräulichkeit als auch das der Ehefrau und Mutter in Reinform repräsentiert. An ihr wird auch die androzentrische Perspektive des frühchristlichen Frauenbildes deutlich, denn Maria erscheint nie als eigenständige Persönlichkeit, sondern stets nur in ihrer Beziehung zu einem männlichen Partner: Sie ist die jungfräuliche Mutter, die Braut Christi und die folgsame Gattin Josefs, und ihre Aufgaben beschränken sich auf ihre dienende mütterliche Funktion.

Sexuelle Enthaltsamkeit ist für Augustin aber nur dann von moralischer Bedeutung, wenn sie in dem höheren sittlichen Zweck der exklusiven Bindung an Gott und der Abwendung von allem Weltlichen gründet. Selbst eine mehrfach verheiratete christliche Frau ist für Augustin besser als eine jungfräuliche Häretikerin, da die spirituelle Virginität auch ohne die des Körpers realisierbar ist und umgekehrt.

Allerdings gibt der Autor Kiesel zu bedenken, dass Augustins Frauenbild auf dem Boden einer asketisch geprägten eschatologischen Naherwartung entstanden ist und demzufolge alle irdischen Beziehungen unter dem Aspekt der Vorläufigkeit und Zweitrangigkeit zu betrachten sind.”

Quelle: https://www.information-philosophie.de/augustinus-frauenbild.html.

SIEHE AUCH UNSEREN BEITRAG “AUGUSTIN EIN RIGIDER THEOLOGE der spätantiken Welt. veröffentlicht am 26.5.2025: LINK 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

Wer stoppt das Aushungern der Palästinenser im Gaza – Streifen?

Wenn faschistische Ideologie zur Realität der Regierung Israels wird.

Die 25. unserer „unerhörten Fragen“,  von Christian Modehn am 26.5.2025

Der Hintergrund: Das Wort „aushungern“ gehört wie „ausmerzen“ und „ausrotten“ zur Sprache der Nazi – Verbrecher.

Vor allem der rechtsextreme Finanz – Minister Israels Bezalel Smotrich hat das faschistisch zu nennende Projekt „aushungern“ (store) für die Palästinenser in die Öffentlichkeit gebracht und durchgesetzt. Sogar der Beauftragte der Bundesregierung gegen Antisemitismus, Felix Klein, kritisiert jetzt öffentlich dieses Programm des Rechtsextremen Belazel Smotrich.

Der Eindruck einiger Menschen in Deutschland:
Die verhungernden Menschen im Gaza-Streifen, ihr Betteln um ein paar Reste Nahrung, ihr Leiden im einzigen verblieben, aber auch schon von Isarelis ruinierten Krankenhaus… Das erinnert deutlich an Bilder in den KZs der Nazis. Die Bilder vom Damals der KZs und vom Heute in Gaza erleben Menschen auch in Deutschland sozusagen als eine Art Überblendung, wenn nicht als Einheit.

Zur Erinnerung: Die Gründer des Staates Israel wollten diesen Staat als einen explizit jüdischen (und demokratischen) Staat. Das heißt: Verpflichtet auch den humanen Weisungen der hebräischen Bibel, vor allem der Propheten. Wie wenig gilt jetzt noch dieser Geist, diese “Spiritualität”? Die Rache Israels – wegen der Verbrechen der Hamas am 7. Oktober 2023 – wird ins absolut Maßloseste übertrieben. Dieser verrückte Spruch der Bibel: „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ meint: Wenn man sich rächt, dann nur in GLEICHER HÖHE des Schadens, den der Täter angerichtet hat. Es ist bei diesem Denken gar nicht zynisch, seit dem 7.10.2023 die Zahl der Toten in Israel und die Zahl der Toten im Gaza-Streifen zu zählen und die Zahl der zerstörten Häuser und Hochhäuser in Israel und die Zahl der zerstörten Häuser und Hütten im Gaza-Streifen zu nennen…

Wann kommt es zum Aufstand der Demokraten in Israel gegen diese ihre faschistische Regierung? Ist die in Europa so viel gelobte „Demokratie“ Israels schon zerstört?
Europäer wissen aber nun klar zu unterscheiden: Anti-Israelismus (bei dieser Regierung dort !) hat überhaupt nichts zu tun mit Antisemitismus.
Der erste Schritt Europas zur Rettung der Verhungernden im Gaza-Streifen ist: Keine Waffen mehr für Israel … bei diesen faschistischen Politikern.

Die viel besprochene und durchaus wichtige „Jüdisch – christliche Zusammenarbeit“ (“Woche der Brüderlichkeit”!) müßte unter den aktuellen Bedingungen ab jetzt neu definiert werden. Und bei dieser (!) Regierung in Israel auch das  „Anti-israelische” (gemeint ist diese Regierung) einbeziehen.

Es gibt bekanntlich viele Juden weltweit, die gegen diese eher faschistisch zu nennende Regierung in Israel protestieren. Sie haben sich bis jetzt leider nicht durchgesetzt…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Der Augustinermönch Papst Leo XIV. und der Augustinermönch Martin Luther

Ein Hinweis von Christian Modehn am 8. Mai 2025.

Papst Leo XIV. ist Mitglied des Augustiner – Ordens, dem auch der Reformator Martin Luther angehörte. Zu Luthers Zeiten noch „Augustiner Eremiten“ genannt.

Papst Leo XIV. und Martin Luther sind in gewisser Weise, wie es in Kirchenkreisen heißt, „Mitbrüder.“ Werden sie zerstrittene „Mitbrüder“ bleiben? Martin Luther war von 1505 -1524 Augustiner-Mönch. Seit der Zeit trug er nicht mehr die Ordenskleidung und zeigte öffentlich sein “Anderssein” als Reformator.

Ob Leo XIV. die Papstkritik seines Mitbruders Martin Luther ernst nimmt und die Ökumene als versöhnte Verschiedenheit der Kirchen und Christen voranbringt? Das wünschen sich einige an der Ökumene noch Interessierte. Ich halte es eher für unwahrscheinlich.

Papst Leo XIV. hat zwar in seiner Biografie sicher viele wichtige unterschiedliche Erfahrungen. Etwa Arme und Armut in Peru, Befreiungstheologie in Peru, Universitätserfahrungen an der Universität der Augustiner in Philadelphia USA (Villanova-Uni) sowie die Besetzung von Bischofsstühlen weltweit, organisiert von seinem einstigen „Bischofs-Ministerium“ im Vatikan…
Aber Ökumene? Vielleicht helfen etwas Gedanken des heiligen Augustinus weiter vom gemeinschaftlichen Kloster Leben in der Verschiedenheit der Mentalitäten.
Wünschen würde ich vor allem, dass ein Augustiner als Papst im 21. Jahrhundert endlich die furchtbare und falsche Erbsündenlehre des heiligen Augustinus beiseite legt, also abschafft. Aber auch das ist sogar sehr unwahrscheinlich. Dogmen werden nicht abgeschafft…Aber warten wir ab…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

Menschen werden dumm gemacht – von Populisten, Autokraten und Rechtsextremen, sagt Dietrich Bonhoeffer

Der Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer über ein aktuelles politisches Übel.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 17. März 2025.

Ein Vorwort:
Der Widerstandskämpfer, der protestantische Theologe Dietrich Bonhoeffer (er wurde am 9. April 1945 von Nazis hingerichtet), hat auch einen Essay über die Dummheit geschrieben. Damit meint er: Wie umgehen mit Menschen, die kritiklos und ohne eigenes Nachdenken ideologischen Parolen von rechtsradikalen Autokraten und Nazi – Populisten folgen. Und die dabei die Demokratie stören und zerstören. Und damit auch die eigenen freien, humanen Lebensbedingungen einschränken. Aber das wissen diese Menschen gerade nicht oder sie verleugnen für sich diese Tatsache. Deswegen nennen kritische Beobachter die politische Haltung dieser Menschen dumm. Also: Nicht der ganze Mensch ist dumm, es geht um die politische Haltung der Gedankenlosigkeit als Dummheit.
Wir empfehlen die Lektüre dieses Textes von Dietrich Bonhoeffer, der unter 17. hier nachzulesen ist.

Aber wir versuchen auch, von einem aktuellen Ausgangspunkt aus die Bedeutung der immer schwierigen Reflexionen über Dummheit hervorzuheben. Dass Dummheit ein philosophisches Thema ist, steht außer Frage. Warum? Weil es zu viele dumme Menschen gibt, die es nicht wagen, „sich des eigenen Verstandes kritisch zu bedienen“, wie Immanuel Kant sagte.
………….

Dieser Hinweis hat zwei Kapitel: 

Erstens: Allgemeine philosophische Reflexionen über die Dummheit. (Nr. 1-4)

Zweitens: Die Kritik Dietrich Bonhoeffers an der politischen Dummheit. (Nr. 5- 17)

………….

ERSTENS: Allgemeine philosophische Reflexionen über die Dummheit. 

1.

Nicht zuerst Autokraten sind dumm, sie sind meist sogar sehr raffiniert in ihrer Lügenwelt. Dumm sind auch nicht zuerst die gerissenen ParteiführerInnen von rechtsextremen Parteien inmitten der noch bestehenden Demokratien. Als dumm gelten Menschen, die blind und gedankenlos diese Autokraten wählen bzw. die rechtsextremen Parteien in Demokratien ihre Stimme geben.

2.

Diese Menschen gelten als dumm, weil sie, volljährig, erwachsen, oft mit einem Reifezeugnis ausgestattet usw., also „eigentlich“ bei Sinn und Verstand sind … dann aber Politikerinnen wählen bzw. unterstützen, die – laut öffentlich zugänglichen Parteiprogrammen – die Demokratie letztlich zerstören wollen. Diese so genannten Politiker wollen den Menschen ihre freie Lebenswelt Schritt für Schritt, langsam, aber systematisch, vernichten: Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Pluralität der Kulturen im eigenen Land, … absolute Gültigkeit der Gerichtsurteile des Rechtsstaates soll es nicht mehr geben … Solche PolitikerInnen zu wählen ist manchmal auch Ausdruck von Verzweiflung und Hilflosigkeit …vor allem aber: Ausdruck dafür, dass eigenes umfassendes Nachdenken stillgelegt wurde. Und gerade dies ist der Ausdruck von Dummheit.

3.

Damit soll keineswegs behauptet werden, alle humanen Qualitäten des einzelnen Wählers dieser Parteien seien total zerstört. Nur unter dieser Bedingung meinen wir, das unterstreicht auch Bonhoeffer, diese Menschen wieder für die Werte der Demokratie und des Rechtsstaates zu begeistern, als der einzig humanen Staatsform.

4.

Es gibt längst eine philosophische Debatte über die Dummheit. (Fußnote 1). Einige Autorinnen berufen sich – eher pessimistisch – auf das Sprichwort: „Gegen Dummheit ist kein Kraut gewachsen“.

Der Philosoph Martin Seel hat in einem kleinen Essay (Fußnote 3) Dummheit kurz definiert: “Dumm verhält sich, wer von seinen eigenen geistigen und körperlichen Gaben eine allzu geringe oder nachlässige Verwendung macht.” Und Martin Seel hat eine Verbindung gezeigt zu politischer Dummheit: “Nur was ihren simpen Maßstäben entspricht, halten Dumme für vernünftig. Was in ihrem Horizont liegt, halten sie für den Nabel der Welt, was über ihn hinaus geht, erscheint ihnen abstrus oder bedrohlich. Dumme schlagen um sich, sobald ihnen zugemutet wird, sich einer komplexen Realität zu stellen” (dort S. 63).

Brecht Brecht hat 1933 geschrieben: „ Hinter der Trommel trotten die Kälber, das Fell für die Trommel liefern sie selber“, ein Hinweis auf die deutschen Soldaten im Krieg, die dem „Ruf“ des Metzgers Adolf Hitler und seiner Gesellen folgen… Von der heutigen Psychologin und Autorin Heidi Kastner (Fußnote 1) stammt die Erkenntnis, „dass Nicht – Dumme immer das destruktive Potential der Dummen unterschätzen und immer wieder vergessen, dass es sich immer und überall als kostspieliger Fehler erwiesen hat, mit Dummen gemeinsame Sache zu machen“ (S. 90 im Buch „Dummheit“). Aber: „Gemeinsame Sache“ mit Dummen zu machen ist etwas anderes als mit bestimmten rechtsradikalen Leuten das geduldige Gespräch zu suchen, um sie zur Demokratie einzuladen und zur Demokratie „zurückzuholen“… Das mag als Utopie gelten, aber sie ist unverzichtbar für die Rettung der Demokratie und: der Qualität des humanen Lebens.

……

ZWEITENS: Die Kritik Dietrich Bonhoeffers an der politischen Dummheit. 

5.

Das schwierige Thema Dummheit – vor allem in der Politik – wollen wir also vertiefen durch die Erinnerung an einen Text des Widerstandskämpfers und vielseitig begabten protestantischen Theologen Dietrich Bonhoeffer. Er wurde vor 80 Jahren, am 9. April 1945 im KZ Flossenbürg, Bayern, hingerichtet.
Bonhoeffer hat Ende 1942 für einen kleinen Kreis von Freunden einen nur privaten Text verfasst mit dem Titel „Rechenschaft an der Wende zum Jahr 1943“: „An der Wende“ zum Jahr 1943 gab es an der Ostfront heftigste Kämpfe, der Glaube an den unbesiegbaren Führer begann schon zu schwinden…
Dieser Essay besteht aus mehreren kurzen Kapiteln (der ganze Text hat im Buch 15 Seiten). Er ist eine Art philosophisch – theologische Reflexion auf den eigenen geistigen Standort: „Ohne Boden unter den Füßen“ heißt das erste der siebzehn Kapitel, es folgt „Was hält stand?“, dann „Zivilcourage, „Vom Erfolg“ und gleich danach „Von der Dummheit“. (Siehe Fußnote 2, die Seitenangaben beziehen sich auf dieses Buch).

6.

Für Bonhoeffer drängt sich die Frage auf, in welcher geistigen Verfassung sind eigentlich die meisten Deutschen, als sie Hitler ihren Führer nannten und verehrten und sich in den Krieg stürzten. Die klare Antwort Bonhoeffer: Es war die Dummheit der Deutschen, dass dieser Adolf Hitler Millionen Menschen ins Verderben führen konnte und unter anderen Opfern 6 Millionen europäische Juden vernichten ließ von Deutschen und deren europäischen Kollaborateuren….

7.

Die Überlegungen Bonhoeffers zur politischen Dummheit so vieler Deutscher – als Ausdruck ihrer Ergebenheit für einen populistisch sich gebenden Verbrecher – sind sicher auch von Einsichten Karl Bonhoeffer, des Vaters und Psychiaters inspiriert.

8.

Wir nennen hier nur einige zentrale Einsichten Bonhoeffer, die im Kontext der Nazi – Herrschaft stehen, aber darüber hinaus allgemeine Bedeutung auch heute haben, zumal wenn man auf gegenwärtige Autokraten schaut und deren dumme Gefolgschaft. Nr. 15 bietet den ganzen lesenswerten Text.

9.
Entscheidend ist für Bonhoeffer: „Menschen werden – von Politikern, Autokraten – dumm gemacht, Dummheit ist also nichts Angeborenes.“ (Das gilt etwa für die LeserInnen von primitiven Boulevard – Druckerzeugnissen, CM).
„Jede äußere Machtentfaltung (eines Autokraten, Diktators) schlägt einen großen Teil der Menschheit mit Dummheit“ (also mit blinder Verehrung dieser Verbrecher etc..)
„In Gesprächen mit dem Dummem merkt man, man hat es im Gespräch nur mit über ihn mächtig gewordenen Schlagworten, Parolen etc. zu tun.“ (S. 16).

10.

Der Dumme glaubt an Fakes, so die aktuelle Einsicht Bonhoeffer: „Tatsachen, die dem eigenen Vorurteil widersprechen, brauchen einfach nicht geglaubt zu werden, in solchen Fällen wird der Dumme sogar kritisch – wenn die Tatschen unausweichlich sind, können sie einfach als Nichts sagende Einzelfälle beiseite geschoben werden.“
Die entscheidende Warnung Bonhoeffers vor dem Dummen: „Der Dumme ist gefährlicher als der Mensch der Bosheit. Der Dumme ist mit sich selbst zufrieden, er wird sogar gefährlich…“ (S. 15).

11.
Das Wesen der Dummheit ist ein allgemeiner menschlicher Defekt, nicht ein intellektueller Defekt, also kein Mangel an bestimmtem Wissen. „Selbst intellektuell Schwerfällige sind nicht dumm“, sagt Bonhoeffer, weil sie – etwa als technisch oder mathematisch Unbegabte – eine Weisheit bewahrt haben…

12.

„Der Dumme ist (von den Autokraten, Diktatoren) in seinem eigenen Wesen missbraucht, misshandelt.“ (S, 16). „So zum willenlosen Instrument geworden, wird der Dumme auch zu allem Bösen fähig und zugleich unfähig, dieses als Böses zu erkennen“. Man würde gern diese Erkenntnis Bonhoeffers mit der Erkenntnis Hannah Arendts verbinden, die Adolf Eichmann, den Erz – Verbrecher im Nazi – Staat, als Ausdruck der Banalität des Bösen, also Ausdruck schlimmster Dummheit, interpretierte.

13.

Gibt es für Bonhoeffer eine Befreiung von der Dummheit? Er ist zunächst skeptisch: „Weder mit Protesten noch durch Gewalt läßt sich hier etwas ausrichten… Niemals werden wir mehr versuchen, den Dummen durch Gründe zu überzeugen, es ist sinnlos und gefährlich“ (S. 15). „Dabei ist der Dumme im Unterschied zum Bösen restlos mit sich selbst zufrieden; ja, er wird sogar gefährlich, indem er leicht gereizt zum Angriff übergeht. Daher ist dem Dummen gegenüber mehr Vorsicht geboten als gegenüber dem Bösen.“ (Seite 15, „Widerstand und Ergebung“, auch Fußnote 2)

14.

Und doch glaubt Dietrich Bonhoeffer am Schluss seiner Überlegung an eine innere Befreiung des Dummen, also an eine Art Reinigung des Bewusstseins. Aber die geht nicht ohne die äußere, also politische Befreiung. Erst Demokratie und Rechtsstaat sowie Sozialstaat können politische Dummheit einschränken und überwinden.
Und was die „innere Befreiung“ (vielleicht als Therapie) angeht: Da ist der Theologe Bonhoeffer überzeugt. Ohne Verbindung des Menschen mit Gott, als dem Grund des Daseins und der absoluten Stimme im Gewissen, wird geistige und seelische Befreiung von Dummheit nicht möglich sein.

15.

Dem Kapitel „Von der Dummheit“ folgt gleich die auch theologisch argumentierende Reflexion zum Thema „Menschenverachtung.“ So will wohl Bonhoeffer deutlich machen: Die Kritik an – politisch – dummen Menschen hat nichts mit definitiver Verachtung dieser Menschen zu tun.

 

16. Menschenverachtung? Ein Essay Dietrich Bonhoeffers:
Die Gefahr, uns in Menschenverachtung hineintreiben zu lassen, ist sehr groß. Wir wissen wohl, daß wir kein Recht dazu haben und daß wir dadurch in das unfruchtbarste Verhältnis zu den Menschen geraten. Folgende Gedanken können uns vor dieser Versuchung bewahren: mit der Menschenverachtung verfallen wir gerade dem Hauptfehler unserer Gegner. Wer einen Menschen verachtet, wird niemals etwas aus ihm machen können. Nichts von dem, was wir im anderen verachten, ist uns selbst ganz fremd. Wie oft erwarten wir von anderen mehr, als wir selbst zu leisten willig sind. Warum haben wir bisher vom Menschen, seiner Versuchlichkeit und Schwäche so unnüchtern gedacht? Wir müssen lernen, die Menschen weniger auf das, was sie tun und unterlassen, als auf das, was sie erleiden, anzusehen. Das einzig fruchtbare Verhältnis zu den Menschen – gerade zu den Schwachen – ist Liebe, d.h. der Wille, mit ihnen Gemeinschaft zu halten. Gott selbst hat die Menschen nicht verachtet, sondern ist Mensch geworden um der Menschen willen.

17. Der vollständige Text Dietrich Bonhoeffers „Von der Dummheit“:

Dummheit ist ein gefährlicherer Feind des Guten als Bosheit. Gegen das Böse läßt sich protestieren, es läßt sich bloßstellen, es läßt sich notfalls mit Gewalt verhindern, das Böse trägt immer den Keim der Selbstzersetzung in sich, indem es mindestens ein Unbehagen im Menschen zurückläßt. Gegen die Dummheit sind wir wehrlos. Weder mit Protesten noch durch Gewalt läßt sich hier etwas ausrichten; Gründe verfangen nicht; Tatsachen, die dem eigenen Vorurteil widersprechen, brauchen einfach nicht geglaubt zu werden – in solchen Fällen wird der Dumme sogar kritisch –, und wenn sie unausweichlich sind, können sie einfach als nichtssagende Einzelfälle beiseitegeschoben werden. Dabei ist der Dumme im Unterschied zum Bösen restlos mit sich selbst zufrieden; ja, er wird sogar gefährlich, indem er leicht gereizt zum Angriff übergeht. Daher ist dem Dummen gegenüber mehr Vorsicht geboten als gegenüber dem Bösen. Niemals werden wir mehr versuchen, den Dummen durch Gründe zu überzeugen; es ist sinnlos und gefährlich. Um zu wissen, wie wir der Dummheit beikommen können, müssen wir ihr Wesen zu verstehen suchen. Soviel ist sicher, daß sie nicht wesentlich ein intellektueller, sondern ein menschlicher Defekt ist. Es gibt intellektuell außerordentlich bewegliche Menschen, die dumm sind, und intellektuell sehr Schwerfällige, die alles andere als dumm sind. Diese Entdeckung machen wir zu unserer Überraschung anläßlich bestimmter Situationen. Dabei gewinnt man weniger den Eindruck, daß die Dummheit ein angeborener Defekt ist, als daß unter bestimmten Umständen die Menschen dumm gemacht werden, bzw. sich dumm machen lassen. Wir beobachten weiterhin, daß abgeschlossen und einsam lebende Menschen diesen Defekt seltener zeigen als zur Gesellung neigende oder verurteilte Menschen und Menschengruppen. So scheint die Dummheit vielleicht weniger ein psychologisches als ein soziologisches Problem zu sein. Sie ist eine besondere Form der Einwirkung geschichtlicher Umstände auf den Menschen, eine psychologische Begleiterscheinung bestimmter äußerer Verhältnisse. Bei genauerem Zusehen zeigt sich, daß jede starke äußere Machtentfaltung, sei sie politischer oder religiöser Art, einen großen Teil der Menschen mit Dummheit schlägt. Ja, es hat den Anschein, als sei das geradezu ein soziologisch-psychologisches Gesetz. Die Macht der einen braucht die Dummheit der anderen. Der Vorgang ist dabei nicht der, daß bestimmte – also etwa intellektuelle – Anlagen des Menschen plötzlich verkümmern oder ausfallen, sondern daß unter dem überwältigenden Eindruck der Machtentfaltung dem Menschen seine innere Selbständigkeit geraubt wird und daß dieser nun – mehr oder weniger unbewußt – darauf verzichtet, zu den sich er gebenden Lebenslagen ein eigenes Verhalten zu finden. Daß der Dumme oft bockig ist, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß er nicht selbständig ist. Man spürt es geradezu im Gespräch mit ihm, daß man es gar nicht mit ihm selbst, mit ihm persönlich, sondern mit über ihn mächtig gewordenen Schlagworten, Parolen etc. zu tun hat. Er ist in einem Banne, er ist verblendet, er ist in seinem eigenen Wesen mißbraucht, mißhandelt. So zum willenlosen Instrument geworden, wird der Dumme auch zu allem Bösen fähig sein und zugleich unfähig, dies als Böses zu erkennen. Hier liegt die Gefahr eines diabolischen Mißbrauchs. Dadurch werden Menschen für immer zugrunde gerichtet werden können. Aber es ist gerade hier auch ganz deutlich, daß nicht ein Akt der Belehrung, sondern allein ein Akt der Befreiung die Dummheit überwinden könnte. Dabei wird man sich damit abfinden müssen, daß eine echte innere Befreiung in den allermeisten Fällen erst möglich wird, nachdem die äußere Befreiung vorangegangen ist; bis dahin werden wir auf alle Versuche, den Dummen zu überzeugen, verzichten müssen. In dieser Sachlage wird es übrigens auch begründet sein, daß wir uns unter solchen Umständen vergeblich darum bemühen, zu wissen, was das Volk eigentlich denkt, und warum diese Frage für den verantwortlich Denkenden und Handelnden zugleich so überflüssig ist – immer nur unter den gegebenen Umständen. Das Wort der Bibel, daß die Furcht Gottes der Anfang der Weisheit sei, sagt, daß die innere Befreiung des Menschen zum verantwortlichen Leben vor Gott die einzige wirkliche Überwindung der Dummheit ist. Übrigens haben diese Gedanken über die Dummheit doch dies Tröstliche für sich, daß sie ganz und gar nicht zulassen, die Mehrzahl der Menschen unter allen Umständen für dumm zu halten. Es wird wirklich darauf ankommen, ob Machthaber sich mehr von der Dummheit oder von der inneren Selbständigkeit und Klugheit der Menschen versprechen.

18. Rezeption der Erkenntnisse Bonhoeffers zur Dummheit:

Die TAZ (Autor Stefan Hunglinger) zitiert in ihrem Bericht über den zerstörerischen Umgang  Trumps  mit der Demokratie in den USA auch Dietrich Bonhoeffers Reflexionen  zur Dummheit: TAZ am 15.12. 2025, Seite 16.

Fußnote 1:
Emil Kowalski, Dummheit, Eine Erfolgsgeschichte. J. B. Metzler Verlag 2. Auflage, 2022.
Heidi Kastner, Dummheit. Verlag Kremayr und Scherlau, Wien, 10. Auflage, 2022.

Fußnote 2:
 Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft. Gütersloher Verlagshaus, 22. Auflage 2019, S. 15.

Fußnote 3: Martin Seel, “111 Tugenden – 111 Laster. Eine philosophische Revue”. S. Fischer Verlag, 2011, der Essay über Dummhei auf den Seiten 62-64. Wir empfehlen ausdrücklich dieses philosophische Buch! LINK

Leider wird in beiden Studien nicht der Essay „Von der Dummheit“ von Dietrich Bonhoeffer diskutiert!

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Ein philosophisch – christliches Glaubensbekenntnis für heute und morgen.

Vom Apostel Paulus inspiriert … und darüber hinaus.
Ein Hinweis von Christian Modehn am 12.3.2025

1. Eine Vorbemerkung:

Bekenntnisse des christlichen Glaubens können heute auch kurze Essays, Aphorismen oder philosophische Poesie sein.

Dies gilt angesichts der immer noch üblichen Geltung der nahezu unverständlichen Bekenntnisse aus dem 4. und 5. Jahrhundert.

Im Neuen Testament, in der „Apostelgeschichte“, wird eine merkwürdige Geschichte erzählt (Kapitel 17, Vers 16 – 34):
Der Apostel Paulus hält sich in Athen auf, einem Zentrum verschiedener philosophischer Schulen, der Stoiker, Epikureer und Neuplatoniker. Und mit diesen Philosophen sucht Paulus das Gespräch, so die Erzählung.

Wir haben das philosophisch geprägte Bekenntnis des Apostels Paulus dort, auf dem Areopag in Athen, neu formuliert. Und dabei entsteht eine Art philosophisch begründendes, sehr kurzes Glaubens – Bekenntnis mit einem universellen Interesse. Dieses Bekenntnis führt noch weiter: Zu einem leidenschaftlichen Ja zu den universell geltenden Menschenrechten. Sie werden Teil des heutigen christlichen „Glaubensbekenntnisses“.

2.
Zunächst das philosophisch orientierte christliche Bekenntnis, inspiriert vom Paulus-Text in der Apostelgeschichte Kapitel 17, Vers 16 – 34:

„Gott hat die Welt erschaffen und alles in ihr. Der Herr über Himmel und Erde wohnt nicht in Tempeln, die von Menschenhand gemacht sind.
Gott gibt allen das Leben. Keinem Menschen ist Gott fern.
In ihm leben wir. In ihm bewegen wir uns und sind wir. Wir Menschen sind von seiner Art.“
Bis dahin folgen wir dicht den Aussagen des Apostels Paulus, jetzt folgt unsere Interpretation der Aussagen des Paulus zu Jesus Christus:

“Der Mensch Jesus von Nazareth lebte ganz mit Gott verbunden.
Nach seinem Tod erkannten seine Freunde: Er hat den Tod überwunden, so wie alle Menschen den Tod überwinden: Denn alle Menschen sind mit dem Ewigen verbunden: Denn in ihm (Gott) leben wir. In ihm bewegen wir uns und sind wir.“ (Zur Erschaffung der Welt, Fußnote 1 unten)

An dieses klassische Glaubensbekenntnis schließt sich eine Erweiterung des christlichen Glaubensbekenntnisses an:

„Der christliche Glaube ist nur wirklich, wenn er in der Praxis der Mitmenschlichkeit lebt. Entscheidende Orientierung dafür bietet die „Erklärung der universell geltenden Menschenrechte“ von 1948: Dabei können durchaus neu erkannte soziale, klimabezogene oder Gender – bezogene Menschenrechte hinzukommen.
Aber darauf kommt es an: Die Menschenrechte und die Pflichten der Menschen, diese Rechte praktisch zu respektieren, sind Teil des christlichen Glaubens, also des Glaubens an eine göttliche Wirklichkeit: Sie hat jeden Menschen mit einer absolut wertvollen, ewigen, göttlichen Qualität geschaffen. Das ist eine Erkenntnis seit Albertus Magnus, Meister Eckart, Hegel … Diese Erkenntnis würde aber im engen religiösen Bereich verbleiben, wenn nicht die politische Dimension der Menschenrechte für die Verbindung des Glaubens mit der Praxis der Menschen sorgen würde.“

(Siehe auch das Interview mit dem Berliner Theologen Prof.Wilhelm Gräb (+2023) über “Die Erklärung der Menschenrechte als Bekenntnisgrundlage einer universalen ReligionLINK

3.
Es ist bemerkenswert, dass der Autor der Apostelgeschichte im unmittelbaren Umfeld der Areopag – Erzählung den christlichen Glauben nicht etwa als Dogma, als Lehre, als Doktrin bezeichnet, sondern: Als „neuen Weg“. (Apg. 19,9, in der „Einheitsübersetzung“ der Bibel).
Der christliche Glaube als „WEG“ – eine sympathische „Definition“, die heute nahezu in Vergessenheit geraten ist!

NEBENBEI:

4. Paulus lebte und lehrte zwei Jahre bei einem Philosophen in Ephesus

Der Apostel Paulus lebte zwei Jahre in Ephesus bei einem Philosophen: Tyrannus, sein für uns etwas ungewöhnlicher Name. Paulus konnte im Saal des Philosophen seine christliche Lehre verbreiten. Tolerant sind die Philosophen! Paulus war zuvor aus der Synagoge rausgeworfen worden. LINK:

NEBENBEI:

5. Kein direkter Bezug zu „Dionysius, dem Areopagiten“.

Am Ende der Erzählung „Paulus in Athen“ wird berichtet: Einige wenige ZuhörerInnen hätten sich nach dem Bekenntnis und der Predigt des Apostels Paulus dem christlichen Glauben zugewandt, unter ihnen wird ein „Dionysius, der Areopagit“ (Vers 34) erwähnt.
Dieser Dionysius ist nicht identisch mit dem Philosophen aus dem 6. Jahrhundert, der sich – zur eigenen Aufwertung – „Dionysius Areopagita“ nannte: Es handelt sich um einen griechisch schreibenden Christen und philosophischen Autor von vier Texten, darunter „Über mystische Theologie“.
Was diesen Dioysius mit dem Bekenntnis und der Predigt des Apostels Paulus in Athen, auf dem Areopag, ein wenig verbindet: Die Betonung der Ähnlichkeit des Menschen mit Gott durch die „Gottähnlichkeit der Vernunft“… Aber für diesen Dionysius ist Gott letztlich das Unnennbare, alle menschlichen sprachlichen Äußerungen über Gott sind für diesen Meister der „negativen Theologie“ unzutreffend. Da war ja Paulus bekanntlich ganz anderer Meinung.

Fußnote 1: Das Wort “Gott als Erschaffer der Welt” kann hier nicht weiter entwickelt werden, es hat nichts zu mit fundamentalistischer Bibelinterpretion. Das Wort “Gott als Schöpfer der Welt” ist gemeint als die Konsequenz des Denkens selbstbewusster Subjektivität: Diese versteht sich als eine kontingente Realität der Welt und weiß dabei, dass sie nicht über die eigene Existenz, die eigene Präsenz in dieser Welt, verfügt. Subjektivität, der Mensch, ist also auf den Gedanken eines gründenden Grundes angewiesen. Dieser Grund hat Subjektvität in die Welt freigesetzt. Man kann ihn Gott nennen, das Absolute, das/den Ewige(n), also das in allem und allen Anwesende…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

Als Jesus zum Gott erklärt wurde: Das Bekenntnis des Konzils von Nizäa (325) überwinden

Ein Hinweis von Christian Modehn am 22.1.2025. Bearbeitet am 31.1.2025:

Das Vorwort:

Die Kirchen(führer) klammern sich auch heute sehr gern an Vergangenes, verteidigen alte, tote Dokumente, wiederholen sie, kauen sie durch, beten sie nach. Darum geht es in diesem Beitrag am Beispiel uralter Glaubensbekenntnisse, vor allem des Bekenntnisses von Nizäa (325).
Und wir schlagen theologisch und philosophisch gut begründet vor, diese beinahe neurotisch wirkenden Bindungen an nicht mehr nachvollziehbare Definitionen des Christlichen („Bekenntnisse“) aufzugeben. Damit der christliche Glaube als eine universell argumentierende Lehre von humaner Weisheit noch eine Chance des Respekts hat weltweit.

Das Konzil von Nizäa und die dann folgenden Konzilien in Konstantinopel haben die Idee der Hierarchie absolut in den Mittelpunkt gestellt, diese Hierarchie – Ideologie war herrschend wie ein Denk – Zwang und sicher das oberste aller Dogmen: An der obersten himmlischen Spitze ruht Gott, in der weltlichen Realität gibt es die Hierarchie innerhalb des Klerus und die Konkurrenz zwischen dem obersten Kleriker (Papst) und dem obersten weltlichen Herren (Kaiser etc.). Diese Idee, dass die Wirklichkeit hierarchisch “geordnet” ist, hat bis heute ihren Wahn durchsetzen können und damit die Kirchen außerhalb der demokratischen Welt und der Menschenrechte platziert. Über die Wirkung der Hierarchie – Ideologie etwa im orthodoxen Russland bis heute, siehe unten Fußnote 3.

Ergänzung am 16.2.2025: Erstaunlich ist, dass die offiziell – katholische Wochenzeitung des katholischen Herder – Verlages “Christ in der Gegenwart” Heft 6, 2025, Seite 3-4, einen kritischen Beitrag zum Konzil von Nizäa und dem dort formulierten Glaubensbekenntnis druckt. Den Beitrag verfasste der katholische Prof. emer. für Neues Testament (Graz) Peter Trummer. Einige seiner Erkenntnisse stimmen mit unserer weitreichenden Kritik an Nizäa und den folgenden überein. Leider wird bei Trummer nicht deutlich, wie denn nun von Jesus Christus zu sprechen ist, wenn Jesus endlich nicht mehr als Gott angesprochen und verehrt wird. Darauf eine positive Antwort zu geben, macht katholischen Theologen offenbar noch immer Angst. Auch zur Frage der Überwindung und Abschaffung von nicht mehr nachvollziehbaren Dogmen bietet dieser sonst lesenswerte Beitrag keine Antwort.   LINK

1.

Das ökumenische Konzil von Nizäa vor 1700 Jahren (325) elementar zu kennen und kritisch zu bewerten, ist also nicht bloß Sache von Fachtheologen und Fachphilosophen.
Denn mit dem metaphysisch abstrakten Glaubensbekenntnis des Konzils von Nizäa (der Text: Fußnote 1) wurde der christliche Glaube zu einer Art spätantiker Theorie bzw. Ideologie. In dem Glaubensbekenntnis (auch noch den folgenden, nach dem Konzil von Nizäa) wurde die Verbundenheit mit dem Juden Jesus von Nazareth weitgehend ausgelöscht. Der Grund: Weil die Kirche eine Religion für alle (also für die Heiden) sein wollte, glaubten die Kirchenführer, die Nähe des Christentums zum Juden Jesus von Nazareth (und damit zum Judentum insgesamt) stark reduzieren zu müssen. Gott wollten diese Theologen und ihre theologisch bestimmenden christlichen Kaiser mit ihren philosophischen Formeln „in den Griff bekommen“. Dadurch, so hofften diese Herren, sollte der christliche Glaube universell für alle gedanklich erreichbar sein, was vielleicht für einige gebildete Philosophen damals zutraf. Aber spätestens seit 1000 Jahren nicht mehr zutrifft angesichts der Internationalisierung und “Inkulturation” der Kirchen in vielen Kulturen.

2.

Das ist entscheidend: Es wurde in Nizäa 325 und danach nicht der Versuch gemacht, die allgemeinen (also über das damalige Judentum Jesu hinausgehenden) humanen Weisheitslehren Jesu von Nazareth ins Glaubensbekenntnis aufzunehmen. Also den Menschen Jesus von Nazareth als Vorbild auch für die Heiden darzustellen. Stattdessen wird allen Menschen weltweit bis heute die Kenntnis der Begriffe spätantiker Philosophie und Metaphysik zugemutet, wenn sie ein Bekenntnis sprechen; spätantike Denkweisen und Formeln bestimmen die absolut seit Nizäa geltenden Glaubensbekenntnisse.

3.

Das Konzil von Nizäa und seine Botschaft ist also heute für fragende, nachdenkende Menschen nur ein riesiges philosophisches metaphysisches Problem, für eine persönliche Spiritualität nur eine Belastung. Lässt sich der Verzicht auf die sehr ungewöhnlichen „unorthodoxen“ Weisheitslehren Jesu von Nazareth im Bekenntnis des Konzils von Nizäa und danach noch korrigieren? Dies sollte eine der entscheidenden kritischen Fragen anläßlich des Nizäa – Jubiläums 2025 sein.

4.

Diese Nizäa – Konstantinopel- Bekenntnisse der Kirchen haben also heute nur noch historischen Wert! Sie sind keine Hilfe für ein humanes Leben im Sinne der Weisheitslehren des Jesus von Nazareth. Ob mit unserer Abwehr dieser Konzils – Bekenntnisse jetzt konstruktive weiterführende Debatten eröffnet werden, ist bei der Bindung der katholischen und orthodoxen und einiger lutherischer Theologen an die Kirchenführung zweifelhaft. Die greisen Führer der großen christlichen Kirchen (vor allem des Katholizismus und der Orthodoxie) freuen sich, alsbald (wohl am 19. Juni 2025) in Nizäa (heute Iznik, Türkei) all das vor 1.700 Jahren Gesagte zu feiern und zu bestätigen. Als hätten die Kirchen in dieser verrückt gewordenen, ins Antidemokratische abrutschenden Welt nichts Dringenderes zu tun…
Die Kirchenführer werden das Glaubens-Bekenntnis aus dem Jahr 325 also bestätigen und nachbeten (nur ein Beispiel für diese Haltung: Fußnote 2).

5.

Es setzte sich also also spätestens im 4. Jahrhundert eine Ideologie durch, die bis dahin vorhandene Pluralität der christlichen Glaubenshaltungen aufzugeben: Die Kirchenführer und ihre Theologen waren nur noch an einer abstrakten Gestalt eines universellen Christus interessiert, Christus sollte jene göttliche Heilsgestalt sein, dem sich alle Menschen weltweit als ihrem „Erlöser“ anschließen sollten. Die Kirchenführer glaubten dabei, völlig unbescheiden, mit Unterstützung der Kaiser, von Gott sehr Genaues im Detail zu wissen: Die Ferne der Menschen von Gott und der Menschen Sündhaftigkeit könne nur durch Gott persönlich geheilt werden. Darum muss in diesem Denken Gott selbst in die Welt kommen, und zwar in der Gestalt des Logos, des Sohnes bei Gott – Vater, er, der Logos, steigt aus dem Himmel auf die Erde herab. Und dieser Logos als „Sohn Gottes im Himmel“ soll nun der Christus auf Erden sein, er wird eins mit dem Menschen Jesus von Nazareth…Tatsächlich war also diese universelle Christusgestalt (der universelle Logos) immer noch etwas mit dem Menschen Jesus von Nazareth verbunden und deswegen sprach man und spricht heute noch von „Jesus Christus“. Es gibt dabei das typische undeutliche Schwanken zwischen Jesus und dann Jesus Christus oder schließlich nur noch „Christus“ – etwa als Pantokrator (Allherrscher) in den Basiliken des 5. Jahrhunderts. Dieses unentschiedene Schwanken ist bis heute vorherrschend, auch in üblichen Kirchen-Liedern zu beobachten, etwa in den populären Weihnachtsliedern, aber das ist ein anderes Thema.

6.

Einige zentrale Informationen zum Konzil von Nizäa (325):

Die Voraussetzung für dieses große ökumenische Bischofs – Treffen: Kaiser Konstantin hatte sich 312 dem Christentum zugewandt. Er war von der in seinen Augen wundertätigen Lehre der Christentums und seines Gottes so begeistert, dass er sich als Laie stolz wie ein Bischof gerierte und das Konzil einberief und inhaltlich bestimmte. Der Kaiser war leidenschaftlichst daran interessiert, die vielfältigen Kirchen, damals noch eine Minderheit von 10 Prozent der Bewohner des Reiches, einig und stark zu machen. Denn in der Sicht der Mehrheit hatten sich problematische theologische Lehren ausgebreitet, etwa die Lehre des Theologen Arius: Er behauptete: Jesus Christus sei nur ein Geschöpf Gottes, des ewigen „Gott – Vaters“. Aber Jesus Christus sei selbst nicht als Gott zu bezeichnen. Genau darüber berieten die ca. 300 Bischöfe in Nizäa, und sie kamen zu dem Schluß: Jesus Christus ist mit Gott, dem Vater, wesensgleich („homoousios“ heißt das viel zitierte griechische Wort) und wesenseins mit Gott- Vater. Und der wird als der Schöpfer der Welt gedacht. Wichtiger aber ist: Jesus Christus wurde als Gott bezeichnet und sollte als Gott verehrt werden. Es ist also der göttliche Logos, der Sohn von Gott – Vater, der in Jesus von Nazareth Mensch wird und einige Jahre auf dieser Erde, in Judäa – Israel, gelebt hat.

7.

Nebenbei etwas theologisch Absurdes:
Dieses Problem liegt nahe, wird aber kaum theologisch diskutiert: Wenn der göttliche Logos (der Sohn) also auf die Erde herabsteigt, wie es heißt, und sich mit dem Juden Jesus von Nazareth vereint, dann ist doch der Platz des Sohnes neben Gott – Vater im Himmel für ein paar Jahre leer. Das heißt: Es gab also einmal eine „Logos – freie Zeit“ im Himmel: Wenn man das Problem auf die Trinität bezieht, muss man sagen: So etwa ab dem Jahr 2 bis ca. zum Jahr Jahr 35 (in diesen Jahren lebte Jesus) gab es nur eine unvollständige Trinität, nur Gott Vater und den heiligen Geist. Erst nach Jesu Auferstehung war der Logos wieder im Himmel…Man sieht an diesem Beispiel, zu welchen absurden Spekulationen man heute noch kommt, wenn man das Dogma bedenkt: Jesus ist Gott.

Das Konzil von Ephesus (431) lehrte dann weiterführend zu “Christus ist Gott-Mensch”: Maria, die Mutter Jesu von Nazareth, ist die Gottes-Mutter. Mit diesem Titel Gottes-Mutter wurde die weite und willkürliche Praxis der Marien-Verehrung, des Marien – Kultes definitiv eröffnet. Alle nur denkbaren Titel wurden dieser Gottesmutter (in der Kunst: Maria im Himmel, neben Gott selbst platziert) zugesprochen, die fromme volkstümliche Phantasie war und ist maßlos. Man denke an den Wunderglauben in Marien – Wallfahrtsorten Lourdes, Fatima, Medjugorje usw…Nur durfte nicht gesagt werden: Katholiken haben auch eine weibliche Gottheit (Maria), obwohl das sicher viele KatholikInnen subjektiv bis heute im Volksglauben meinen. Und viele, bis heute offizielle Marienlieder, haben auch den Inhalt: Maria ist die Retterin, die Gnadenvolle usw… nur die “Miterlöserin” darf sie offiziell nicht genannt werden, das wäre selbst dem Papst zu viel des Frommen. etc… LINK

8.

Man hat in den Kirchen immer vermieden, wenn von der Menschwerdung des Logos die Rede war, zu sagen: „Der Logos wurde Jude.“ Gott wurde doch nicht im allgemeinen „irgendwie ein Mensch“. Richtig wäre doch:: „Gott wurde Jude, in Jesus von Nazareth.“ Dann hätte die Kirche sagen müssen, welche Aspekte des unorthodoxen Juden Jesus von Nazareth als Weisheitslehrer nach wie vor für alle Menschen relevant sind. Über die allgemein menschlichen, also nicht explizit jüdisch gefärbten Worte Jesu spricht der katholische Theologe und Dominikanermönch Richard Glöckner in seinem Buch (siehe Literaturangaben) auf S. 140 ff. „Den Kern und das Zentrum der Botschaft Jesu bilden seine Gleichnisse vom Reich Gottes“ (S. 142) „Jesus denkt und spricht in den Gleichnissen außerhalb der jüdisch-heilsgeschichtlichen Traditionen und Vorstellungen. Aber diese Ansätze sind von der frühen Kirche nicht aufgenommen und weiterentwickelt worden.“ (S. 144). Wohl wahr, weil die Kirchen und ihrer Theologen nicht in der Lage waren, seit Nizäa die universale Erlösergestalt Christus mit dem universalen Weisheitslehrer Jesus von Nazareth und seinen universalen (nicht mehr jüdischen, sondern allgemein-menschlichen) Lehren zu verbinden. Das Buch des katholischen Theologen Richard Glöckner hat – soweit ich sehe – leider keine Aufmerksamkeit unter Theologen gefunden. Dabei gäbe es dort vieles zu diskutieren…

9.

Die Gültigkeit der Konzilsbeschlüsse von Nizäa und den danach folgenden Konzilien mussten von den jeweiligen Kaisern (!!) bestätigt werden. Der Kampf um die geistliche, theologische Vormacht von Kaisern und Päpsten hatte begonnen.
Theologen und Bischöfe, die sich gegen die von der Mehrheit angenommenen Bekenntnisse wandten, wurden exkommuniziert, so etwa der in Alexandrien lehrende Theologe Arius. Gegen ihn wandte sich besonders der äußerst einflußreiche heftige Patriarch von Alexandria, Athanasius, mit aller Macht.
Aber mit Gewalt und Strafen lassen sich Ideen nicht töten: Auch Arius sammelte seine Anhänger… Die jeweiligen Feinde des Bekenntnisses wurden bis aufs Blut verfolgt, es kam zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Ein abstraktes, philosophisch – metaphysisches Glaubensbekenntnis hat also heftiges Unheil bewirkt, Frieden jedenfalls nicht. Und die erwünschte theologische Einheit als Uniformität zur Sicherung der Innenpolitik im Reich brachte das Konzil auch nicht hervor. Die Kirchen blieben zerrissen und zerspalten, Pluralität setzte sich – Gott sei Dank – durch. Auch nach dem Konzils von Chalcedon (451) wurde die gegensätzliche, verfeindete und nicht mehr zu versöhnende Vielfalt der Kirchen mit ihren unterschiedlichen Glaubensbekenntnissen evident, etwa in den so genannten „alt-orientalischen Kirchen“, die (in Äthiopien, als Kopten in Ägypten usw..) bis heute glauben: Jesus Christus habe nur eine einzige, nämlich eine göttliche Natur. (Monophysiten).

10.

Im Konzil von Konstantinopel (381) wurde auch die Göttlichkeit des heiligen Geistes als Dogma und Glaubensbekenntnis verkündet. Der heilige Geist wurde als dritte Person Teil der göttlichen Wirklichkeit. In der Trinitätslehre wurde das gedankliche Wagnis ausgesprochen: Drei Personen, Vater, Sohn und Heiliger Geist, haben nicht nur das eine göttliche Wesen gemeinsam, sie sind auch zu dritt dieses eine göttliche Wesen. Der Theologe Hermann Baum nennt in seiner sehr empfehlenswerten Studie „Die Verfremdung Jesu“ (Düsseldorf 2006, S. 154) diese Trinitäts-Lehre zurecht ein „bloßes Gedankenkonstrukt“ (S. 154)… „Es entzieht sich jeder menschlichen Vorstellungskraft“ (S. 155). Und man kann mit Hermann Baum nur schmunzeln, wenn dieses gedankliche Ungetüm den Glaubenden bis heute als absolutes Geheimnis, als hinnehmbares und hinzunehmendes göttliches Mysterium empfohlen wird. Da ist der in den Niederlanden lehrende katholische Theologe Edward Schillebeeckx mutiger und vor allem ehrlicher, wenn er sagte: Auf diese Trinitätslehre sollte die Kirche heute verzichten (LINK ) Aber das macht sie nicht, sie mutet den Glaubenden Unsägliches, Mysterium genannt, Nicht-Nachvollziehbares, zu. Das heißt: Die Kirchen bieten bis heute den Glaubenden „Steine statt Brot.“ Die Frommen lieben aber vielleicht das Unverständliche, das Mysteriöse, das Spinöse, das sie auch zusätzlich und anderweitig in esoterischen Kulten finden und pflegen. Religion wird also von den Kirchen selbst ins Nebulöse gedrängt. Und der alles interpretierende Klerus kann seine phantasiereiche Macht zeigen…

11.

Wird nun aber Jesus Christus als Gott und zugleich auch als Mensch gedacht und verehrt, entsteht wie von selbst die Frage: Hat der in Palästina lebende Jesus (Christus) denn nun zwei Willen gehabt, einen göttlichen und einen menschlichen Willen? Wie passten diese beiden Willen in der einen Person Jesus Christus zusammen? Diese hochspekulativen Fragen will ich hier nicht weiter ausbreiten: Es sollte nur erinnert werden, mit welchem hochspekulativen Kram sich die Christen damals befassten, als sie sich eingelassen hatten in die Übernahme spätantiker Philosophie zur Formulierung des universellen christlichen Glaubens. Ein hübsches Detail zu den zwei Willen (göttlicher Wille und menschlicher Wille) in der einen Person Christi: „Als Papst Martin I. (649 – 653) sich zugunsten von zwei natürlichen Willen in Jesus Christus äußerte und ihn die Patriarchen von Konstantinopel und Alexandrien wegen ihrer Ansicht: „Jesus Christus hatte nur einen Willen“ mit dem Kirchenbann belegte, ließ ihn der Kaiser im Jahr 653 nach Konstantinopel verschleppen und als Hochverräter auf die Krim verbannen. Im Konzil von Konstantinopel 680 wurde dann aber doch gelehrt: Jesus Christus habe zwei Willen gehabt, „ungetrennt, unveränderlich, unteilbar und unvermischt in ihm“, wie es „weise“ und unverständlich heißt. (Siehe dazu das Buch des katholischen Theologen Hermann Baum, „Die Verfälschung Jesu“, S, 161.)

12.

In dem Nizäa – Bekenntnis ist, wie gesagt, von dem ungewöhnlichen unorthodoxen Juden Jesus von Nazareth nur sehr äußerst marginal die Rede. Kein Wort in einem offiziellen Glaubensbekenntnis von der Bergpredigt Jesu, von Jesu Gleichnissen, von seiner Verbundenheit mit den Menschen, den Frauen, den Leidenden usw. Es ist der Verlust des Erzählens, der diese Glaubensbekenntnisse so ins Abstrakte – Uninteressante – Nicht – Bewegende führt. Es wird keine Geschichte erzählt von diesem Jesus, den man nun ehren und verehren soll. Diese dann für gültig erklärten und ewig nachgeplapperten Bekenntnisse sind so entleiblicht und enthistorisiert, dass sie Assoziationen an den Charme von Parteiprogrammen wecken. Und, wie gesagt, es ist eine Schande, dass diese Ideologie bis heute fortgesetzt wird. „Erlösung erscheint hier isoliert vom aktuellen Leben, Erlösung wird bezugslos…Allein das historisch greifbare irdische Wirken Jesu von Nazareth vermag das zu erschließen, was christlich Erlösung bedeutet.“ (So der katholische Theologe Hans Kessler, S. 59 und 61). Und der katholische Professor für Altes Testament Fridolin Stier schreibt in seinen „Aufzeichnungen“ „Vielleicht ist irgendwo Tag“ ( Herder – Verlag 1993 S. 38): „Haben die christologischen Bekenntnissätze, die Dogmen, die sagen, definieren, bestimmen, was Jesus ist, als solche die Kraft, die Begegnung mit Jesus zu vermitteln? Oder ist es so, dass von der christologischen Ikone die Aktivität des lebendigen Jesus verdeckt wird?“ Noch deutlicher wird der Theologe und Historiker Maurice Sachot, der in seinem Buch den Religionshistoriker René Nouailhat (Strasbourg) zitiert: „Die christologischen Definitionen sind nicht mehr Ausdruck der Glaubensbekenntnisse von Personen oder von Gruppen. Die Definitionen drängen sich vielmehr auf wie institutionelle Kategorien, wie der Ausdruck eines neuen Machtdiskurses …“ (Seite 214).

13.

Der Vorschlag: 
Dies könnte das entscheidende Profil eines heutigen, vernünftigen christlichen Glaubensbekenntnisses sein: Es sollte regional – kulturell verschieden sein und Ausdruck des wirklichen Glauben der Menschen sein. Man könnte in die Richtung denken:
Christen verehren den Propheten Jesus von Nazareth, sie schätzen dessen Menschenfreundlichkeit und Liebe, seine Bereitschaft, für die Gerechtigkeit einzutreten und dafür -im Widerstand gegen diverse Obrigkeiten – zu sterben. Und sie sind überzeugt, dass ein solcher Mensch im Tod nicht ins Nichts versinkt. Und sie werden sagen: Dieser Mann Jesus von Nazareth lebte in enger liebevoller Verbundenheit mit einem absoluten Seinsgrund und Lebensgrund, den er als Symbol Gott nennen wollte. Und dieser Jesus fühlte sich geleitet von seiner menschlichen Vernunft, seinem Geist, der etwas Heiliges ist im Menschen ist und der selbstverständlich in allen Menschen lebt und wirkt und, wie beim Propheten Jesus von Nazareth, etwas Ewiges ist.
Für mich ist das Glaubensbekenntnis der niederländischen Remonstranten Kirche von 2006 ein Beispiel für ein heute mögliches Bekenntnis, das übrigens bei den Remonstranten nicht vorschrieben ist, sondern als Impuls und Orientierung verstand wird: LINK.

Siehe auch unseren Versuch ein philosophisch – christliches, aber einfaches Glaubensbekenntnis zu formulieren, im Anschluss an das Bekenntnis des Apostels Paulus auf dem Areopag in Athen: LINK.

Fußnote 1: Das Glaubensbekenntnis von Nikäa im Jahr 325
Ich glaube an den einen Gott,
den Vater, den Allmächtigen,
den Schöpfer alles Sichtbaren und Unsichtbaren.
Und an den einen Herrn Jesus Christus,
den Sohn Gottes,
der als Einziggeborener aus dem Vater gezeugt ist, das heißt: aus dem Wesen des Vaters,
Gott aus Gott, Licht aus Licht,
wahrer Gott aus wahrem Gott,
gezeugt, nicht geschaffen,
eines Wesens mit dem Vater (homoousion to patri);
durch den alles geworden ist, was im Himmel und was auf Erden ist;
der für uns Menschen und wegen unseres Heils herabgestiegen und Fleisch geworden ist,
Mensch geworden ist,
gelitten hat und am dritten Tage auferstanden ist,
aufgestiegen ist zum Himmel,
kommen wird um die Lebenden und die Toten zu richten;
Und an den Heiligen Geist.
Auf Griechisch:
Πιστεύομεν[1] εἰς ἕνα Θεόν Πατέρα παντοκράτορα, πάντων ὁρατῶν τε καὶ ἀοράτων ποιητήν.

Καὶ εἰς ἕνα κύριον Ἰησοῦν Χριστόν, 
τὸν υἱὸν τοῦ Θεοῦ, 
γεννηθέντα ἐκ τοῦ Πατρὸς μονογενῆ, 
τουτέστιν ἐκ τῆς οὐσίας τοῦ Πατρός, 
Θεὸν ἐκ Θεοῦ, φῶς ἐκ φωτός, Θεὸν ἀληθινὸν ἐκ Θεοῦ ἀληθινοῦ, 
γεννηθέντα, οὐ ποιηθέντα, ὁμοούσιον τῷ Πατρί,
δι’ οὗ τὰ πάντα ἐγένετο, τά τε ἐν τῷ οὐρανῷ καὶ τὰ ἐπὶ τῆς γῆς,
τὸν δι’ ἡμᾶς τοὺς ἀνθρώπους 
καὶ διὰ τὴν ἡμετέραν σωτηρίαν κατελθόντα 
καὶ σαρκωθέντα καὶ ἐνανθρωπήσαντα,
παθόντα, καὶ ἀναστάντα τριτῇ ἡμέρᾳ, 
καὶ ἀνελθόντα εἰς τοὺς οὒρανούς,
καὶ ἐρχόμενον κρῖναι ζῶντας καὶ νεκρούς.

Καὶ εἰς τὸ Ἅγιον Πνεῦμα.)
…………

Der jüdische Theologe Pinchas Lapide kommentiert dieses und das folgende Glaubensbekenntnis: “Im Eiltempo des Credos von Geboren – gelitten – gestorben und begraben (kursiv von Lapide) wird all das gute und beispielhafte Tun und Lassen des Meisters aus Nazareth unter den Tepplich gekehrt”  (Pinchas Lapide, “Paulus zwischen Damaskus und Qumran” , Gütersloh 1993, S. 22).

Das Nicäno-Konstantinopolitanum von 451 (auch Nicaeno-Konstantinopolitanum oder Nizäno-Konstantinopolitanum oder Großes Glaubensbekenntnis genannt) ist auch ein Glaubensbekenntnis, es wird als „Credo“ oft in den Messen und Gottesdiensten verwendet. Im Katholischen Gesangbuch Gottlob hat es die Nr. 586,2, im evangelischen Gesangbuch z. B. in Württemberg die Nr. 687.
Der deutsche Text der katholischen Kirche:
Wir glauben an den einen Gott,
den Vater, den Allmächtigen,
der alles erschaffen hat, Himmel und Erde,
die sichtbare und die unsichtbareWelt.
Und den einen Herrn Jesus Christus,
Gottes eingeborenen Sohn,
aus dem Vater geboren vor aller Zeit:
Gott von Gott, Licht vom Licht,
wahrer Gott vom wahren Gott,
gezeugt, nicht geschaffen,
eines Wesens mit dem Vater;
durch ihn ist alles geschaffen.
Für uns Menschen und zu unserem Heil
ist er vom Himmel gekommen,
hat Fleisch angenommen
durch den Heiligen Geist von der Jungfrau
Maria
 und ist Mensch geworden.
Er wurde für uns gekreuzigt unter Pontius
 Pilatus,
hat gelitten und ist begraben worden,
ist am dritten Tage auferstanden nach der
Schrift
und aufgefahren in den Himmel.
Er sitzt zur Rechten des Vaters
und wird wiederkommen in Herrlichkeit,
zu richten die Lebenden und die Toten;
seiner Herrschaft wird kein Ende sein.
Wir glauben an den Heiligen Geist,
der Herr ist und lebendig macht,
der aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht,
der mit dem Vater und dem Sohn
angebetet und verherrlicht wird,
der gesprochen hat durch die Propheten,
und die eine, heilige, katholische
und apostolische Kirche.
Wir bekennen die eine Taufe
zur Vergebung der Sünden.
Wir erwarten die Auferstehung der Toten
und das Leben der kommenden Welt.
Amen.

Fußnote 2:
Nur ein Beispiel für viele, wie heute in katholischen Medien von den Feierlichkeiten des Konzils von Nizäa gesprochen wird: Das eigentlich theologisch – progressive katholische „Haus am Dom“ in Frankfurt/M. kündigt sein Symposium zu Nizäa (6. – 8.3.) u.a. mit diesen Worten an: „Das Konzil von Nizäa zeigt mit seinen Beschlüssen das normative Idealbild einer einzigen, organisatorisch geeinten, in Lehre und Praxis einheitlichen und, in diesem Sinne, ökumenischen Gesamtkirche“. Diese Behauptungen werden verbreitet in dem Programm dieser Akademie zum Halbjahr 2025, S. 15.

Fußnote 3  am 4.2.2o25: Der bekannte russische Autor Vladimir Sorokin hat ein Buch mit dem Titel Die rote Pyramide” (Verlag Kiepenhauer und Witsch) publiziert. Für die Wiener Wochenzeitung “FALTER” (Literaturbeilage  2022, S. 20) hat er zum Thema ein Interview gegeben und damit auf Zusammenhänge aufmerksam gemacht zum bis heute bestehenden Bündnis von christlich – orthodoxer Hierarchie – Fixierung UND der dementsprechenden politischen Herrschaft.

Mit der “roten Pyramide” meint Sorokin die Pyramide der Macht, “die seit dem 16. Jahrhundert in Russland nicht mehr modernisiert wurde… An der Spitze der Pyramide steht eine Person, und von der hängt alles ab…  Über die Zaren, dann Stalin usw. bis zu Putin. Eine Person, die alle Rechte hat, entscheidet alles”, so im Interview mit der empfehlenswerten politischen Zeitschrift  FALTER.

Wenn es also jemals in Russland eine Demokartie geben sollte: Dann muss die totalitäre Ideologie der Pyramide verschwinden. Und damit auch die als Pyramide organisierte russisch -orthodoxe Kirche mit ihrem berüchtigten Kriegstreiber Patriarch Kyrill an der Spitze.

Diese tiefgreifendste Reformation der russischen wie der anderen orthodoxen Kirchen wird aber nicht passieren, weil die frommen Leute im Laufe der Jahrhunderte förmlich zutiefst eingelullt wurden von Weihraum, Ikonen, Singang und der absoluten Hochschätzung der Popen, der Patriarchen…Diese Leute sind hierarchie- gläubig….

Und dies ist ein Riesenproblem: Die ebenfalls pyramidal orientierten Päpste – auch Franziskus – haben kein dringenderes ökumenisches Anliegen, als eine Versöhnung, wenn nicht eine Verbindung mit diesen pyramidalen orthodoxen Kirchen anzustreben. Eine Potenzietrung der Pyramie also!

Bitte nicht diese Ökumene, kann man als kritischer Theologe nur sagen. Aber das sagt aber sonst keiner. Schon gar nicht in diesem “wunderbaren” Nizäa Gedenken von Papst und orthodoxen Patriarchen…Dort wird die Pyramide wieder heilig geprochen, als göttlich verehrt, denn Gott ist ganz oben… Dabei war der Weisheitslehrer Jesus von Nazareth “ganz unten” und er blieb ganz unten. Bei den Menschen, die alle gleichberechtigt sind…

Literaturempfehlungen:

Angesichts der immensen Fülle von Fachliteratur zum Thema empfehlen wir zum weiteren Studium vor allem das leider nur noch antiquarisch zu erwerbende Buch des katholischen Theologen und Philosophen:

Hermann Baum „Die Verfremdung Jesu“, Düsseldorf 2006. Dieses grundlegende, äußerst wichtige Buch sollte man sofort bestellen, solange dieses Buch überhaupt verfügbar ist.

Paul Veyne, „Als unsere Welt christlich wurde (312 -394).“ „Untertitel: Aufstieg einer Sekte zur Weltmacht. C.H.Beck Verlag, 2008. Sehr detaillierte Studien des international geschätzten Althistorikers.

Hans Kessler, „Erlösung als Befreiung“, Düsseldorf 1972.

Gottfried Bachl, „Der schwierige Jesus“, Innsbruck -Wien, 1996.

Maurice Sachot, „L invention du Christ. Genèse d une religion“, Paris 1998.

Richard Glöckner, „Quo Vadis? Das Christentum am Scheideweg zur Moderne“ , Lit Verlag Münster, 2023, 170 Seiten.

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon. de

„Der Sündenfall des Christentums“: Zur Theologie des Friedens. 


Die bahnbrechende Studie des niederländischen Friedenstheologen, des Remonstranten Gerrit Jan Heering zum frühkirchlichen Pazifismus ist als Übersetzung jetzt wieder greifbar.

Ein Gast Beitrag von Peter Bürger, Düsseldorf von der „Edition Pace“ am 22.12.2024.

Zunächst ein Hinweis: Bevor wir im „Regal: Pazifismus der frühen Kirche“ demnächst neue Studien darbieten, wird hier ein weiteres historisches Werk wieder zugänglich gemacht, das trotz des Abstandes von einem Jahrhundert noch immer wichtige Impulse geben kann. Zum editorischen Vorgehen sei bezogen auf die ganze Reihe angemerkt: Wir versehen die Werke aus früheren Zeiten nicht mit einem kritischen Anmerkungsapparat, in dem Abweichungen zu heutigen Sichtweisen und Erkenntnissen jeweils kommentiert werden (Beispiel: Darstellung und Gewichtung der Friedensbotschaft der Hebräischen Bibel), sondern rechnen mit mündigen Leserinnen und Lesern, die die geschichtlichen Kontexte einer Arbeit vor Augen haben.

1.
Der Erste Weltkrieg führte den niederländischen Theologen Gerrit Jan Heering (1879-1955) zu einem radikalen Antikriegsstandpunkt. Im Vorwort zu dem hier neu edierten Werk „Der Sündenfall des Christentums“ (Erstauflage NL 1928, dt. Übersetzung 1930) schreibt er: Ich will „ernsthaft auseinandersetzen, dass Christentum und Krieg – jetzt mehr denn je – unversöhnliche Gegensätze sind. Ich will zwischen die christliche Lehre und die Ideologie des Krieges einen Keil treiben. Beide Systeme sind von der Geschichte zwangsweise zusammengeführt und werden jetzt in künstlicher Weise zusammengehalten. Ich will an das christliche Gewissen und an das von diesem Gewissen gelenkte vernünftige Denken appellieren und fragen, ob es nicht die höchste Zeit ist, dass Kirche und Christen sich prinzipiell gegen das ganze Kriegswesen auflehnen. … Es war eine verhängnisvolle Wendung in der Geistesgeschichte, die während und nach der Zeit von Kaiser Konstantin sich vollzog; durch das enge Bündnis zwischen Staat und Kirche ging das Bewusstsein des Gegensatzes zwischen Christentum und Krieg … verloren …; das schlimmste ist, dass man (seither) … ruhig Böses gut nennt. … Die Art, wie in allen christlichen Ländern die Kirche direkt in das gegenseitige Gemetzel des letzten Krieges [1914-1918] hineingezogen worden ist, nämlich als unentbehrlicher, als inspirierender Faktor, demonstriert jenen Sündenfall in deutlichster und greulichster Weise. Es ist kein größerer Abstand und Gegensatz denkbar, als zwischen Christus und dem modernen Krieg. Wer dies verneint, hat die Realität eines von beiden oder beider nicht klar gesehen. Das militärische Christentum unserer Tage kann nicht schärfer gerichtet werden, als es durch das Christentum Christi geschieht.“

2.
Gerrit Jan Heering – geboren am 15. März 1879 in Pasuruan/Indonesien, gestorben am 18. August 1955 in Oegstgeest – wirkte nach seinem Universitätsstudium lange als Hochschullehrer des Theologischen Seminars der Remonstranten in Leiden (NL). Als junger Pfarrer heiratete er im Jahr 1905 Alida van Bosse; die beiden wurden Eltern von fünf Söhnen. – Heeringʼs Leidenschaft gehörte der Kanzel. Seine Predigten zeichneten sich durch eine starke persönliche Überzeugungskraft aus; verschiedene Predigtsammlungen sind in Buchform veröffentlicht worden (‚Unser Vertrauen‘; ‚Zeugnisse aus dunkler Zeit‘ 1940; ‚Was uns erhält‘). Predigen bedeutete für Heering die durch den Glauben getragene ‚freie prophetische Verkündigung des Evangeliums, im Dienste und zur Ehre des heiligen Gottes‘. – Gerrit Jan Heering entwickelte eine eigene „Dogmatik auf der Grundlage der Evangelien und der Reformation“, schrieb über den „Ort der ‚Sünde‘ in der freisinnigen-christlichen Dogmatik“ (1912) und über „Die Selbstständigkeit der Seele“ (1917).

3.
Der Erste Weltkrieg führte Gerrit Jan Heering zu einem radikalen Antikriegsstandpunkt, beeinflusst von Hilbrandt Boschma (1869-1954), der bereits während der Kriegszeit 1914-1918 an verschiedenen Orten pazifistische Lesungen abhielt: „Kreuz oder Kanone?“ – „Warum kein Krieg? Weil der Krieg die radikalste Sünde gegen Gott ist.“ Heering fasste seine eigenen Studien und Einsichten 1928 in dem Werk „Der Sündenfall des Christentums“ zusammen (s.u.). Er grün­dete mit anderen „Kerk en Vrede“ (Church and Peace), wurde Vorsitzender dieser Vereinigung auf nationaler Ebene und war für viele Jahre auch international eine der leitenden Persönlichkeiten des neuen kirchlichen Friedensnetzes.

4.
Die Friedensbewegung in den Niederlanden zeigte sich schon vor dem Ersten Weltkrieg gut organisiert, vielgestaltig (‚Tolstojaner‘, Anarchisten, sozialistische Antimilitaristen …) und übernational vernetzt. Mit Gerrit Jan Heering und Persönlichkeiten, die ihm nahestanden, wurde sie durch eine neue Strömung mit ökumenisch-friedenskirchlicher bzw. friedenstheologischer Programmatik bereichert. Wie bedeutsam die 1928 vorgelegte Untersuchung des gelehrten Remonstranten zum ‚konstantinischen Sündenfall‘ und dessen mögliche Überwindung über die Landesgrenzen hinaus war, führen uns gleich vier Übersetzungen in andere europäische Sprachen vor Augen. 1933 ist der Verfasser sogar für den Friedens-Nobelpreis vorgeschlagen worden.

5.
Der bekannte Dominikaner und Friedenstheologe vor allem in der Weimarer Republik, P. Franziskus Maria Stratmann (1883-1971), schrieb bald nach Erscheinen der deutschen Ausgabe von Heerings Werk „De zondeval van het Christendom“ in einer Rezension (Der Friedenskämpfer. Organ der Katholischen Friedensbewegung 5. Jg. / 1931, S. 69-76):
„Einem Christen tut es weh, vom ‚Sündenfall des Christentums‘ reden zu hören. Je stärker er seine Religion liebt, um mehr schmerzt ihn jede Anklage. Aber gerade die starke Liebe muß hellsichtig sein, damit Krankes geheilt, Schwaches gestärkt werden kann. Die Christen, die die Geschichte des Christentums mit Einschluß der Kriegsgeschichte ganz in der Ordnung finden, sind sicher nicht die besten und erweisen ihm einen schlechten Dienst…“

6.
In seinem Geleitwort zur deutschen Ausgabe des Werkes von 1930 hatte der evangelische Theologe Martin Rade (1857-1940) ge­schrieben: „Wenn der nächste Krieg kommt, werden die Kirchen nicht mehr geschlossen zu den Armeen stehn. Es wird dann nicht ohne schwere innere Konflikte gehen. Wie sie sich abspielen, wie sie sich lösen werden, weiß kein Mensch. Je länger die gegenwärtige Atempause dauert, desto besser mag es sein.“ (Neuausgabe, S. 10). Doch die ‚Atempause‘ bis zum nächsten Menschenschlachten im Zweiten Weltkrieg dauerte nur kurz. Die amtlichen Leitungen der beiden deutschen Großkirchen leisteten ab 1939 für den ‚Hitlerkrieg‘ (!) doch wieder – ziemlich ‚geschlossen‘ – kriegstheologischen Beistand in großem Umfang und riefen – mit durchschlagendem Erfolg – die Getauften zum Gehorsam gegenüber der Obrigkeit im NS-Staat auf (Dokumentation: https://kircheundweltkrieg.wordpress.com/). Nach 1945 haben die i. d. R. vom Staat besoldeten Kirchenhistoriker wunderliche Verteidigungstexte zu diesem abgründigen Komplex verfasst – und nicht wenige ‚weltliche Vertreter‘ der Geschichtswissenschaften haben ihnen dabei unter dem Vorzeichen sogenannter „Historisierung“ assistiert.

7.
Heerings Anliegen wird gegenwärtig verstanden, wenn etwa der Bischof von Rom bezeugt, es könne im Licht des Evangeliums keine ‚gerechten Kriege‘ geben und Christen müssten schon Herstellung oder Besitz atomarer Massenvernichtungswaffen als verwerflich brandmarken.

8.
Jedoch der vom niederländischen Seelsorger und Theologieprofessor nach dem Ersten Weltkrieg ersehnte radikale Bruch mit dem konstantinischen Staatskirchenparadigma hat in den privilegierten nationalen Kirchengebilden, zumal im Militärkirchenwesen, nie stattgefunden. Die völlig irrationale militärische Heilslehre stößt in diesem Zusammenhang heute nirgendwo auf eine Fundamentalkritik, während der Militarismus unentwegt Felder des öffentlichen Lebens für sich ‚zurückerobert‘. Leider gibt es viele Gründe, das ehedem bahnbrechende Werk „Der Sündenfall des Christentums. Eine Untersuchung über Christentum, Staat und Krieg“ gerade jetzt wieder allgemein zugänglich zu machen. Möge es vielen zur Erschütterung und zu einem klaren Denken in der Kriegsfrage verhelfen.

Copyright: Peter Bürger Düsseldorf, Dezember 2024 ǀ  

Die Digitale Erstauflage der Neuedition
 ist beim Lebenshaus Schwäbische Alb e.V. abrufbar:
Gerrit Jan Heering: Der Sündenfall des Christentums. – Eine Untersuchung über Christentum, Staat und Krieg. Aus dem Holländischen übersetzt durch Octavia Müller-Hofstede de Groot, 1930. Neu ediert von Peter Bürger in Kooperation mit: Lebenshaus Schwäbische Alb, Ökumenisches Institut für Friedenstheologie, Portal Friedenstheologie. (= edition pace ǀ Regal: Pazifismus der frühen Kirche 4). Digitale Erstausgabe der Neuedition. Düsseldorf ǀ Gammertingen, 12.12.2024.
https://www.lebenshaus-alb.de/magazin/media/pdf/Heering_S%C3%BCndenfall.pdf

Die gedruckte Buchausgabe im Handel:
Gerrit Jan Heering: Der Sündenfall des Christentums. – Eine Untersuchung über Christentum, Staat und Krieg. Aus dem Holländischen übersetzt durch Octavia Müller-Hofstede de Groot, 1930. (= edition pace ǀ Regal: Pazifismus der frühen Kirche 4). Norderstedt: BoD 2024.
(ISBN: 978-3-7693-2488-4; Paperback; 316 Seiten; Preis: 12,99 Euro)
https://buchshop.bod.de/der-suendenfall-des-christentums-gerrit-jan-heering-9783769324884

Eine etwas ausführlichere Darstellung dieses Beitrags von Peter Bürger finden Sie auf der website www.remonstranten-berlin.de    LINK.