Wenn die Kirchen zu viele Kirchen haben

„Leben statt Leere“: Zu einem neuen Buch (2025) über den Umgang mit „überflüssigen“ Kirchengebäuden

Hinweise von Christian Modehn am 30.9.2025

1.
Seit 1990 wurden in Deutschland 514 evangelische Kirchengebäude aufgegeben, davon wurden 128 abgerissen; bei den Katholiken wurden 603 „Gotteshäuser“ seit 1990 aufgegeben, davon 173 abgerissen. Quelle:„Plus- Minus“, Magazin der ARD/Das Erste am 24.9.2025.
Gerade der Abriss von Kirchengebäuden kann als Symbol verstanden werden für das stetige Verschwinden der Kirchen in Deutschland und Europa. Ob damit auch der christliche Glaube langsam aber „sicher“ verschwindet, ist eine andere Frage. Und: An irgendeinen Gott (vielleicht Götzen) glauben wohl die meisten, weil sie Menschen sind und immer irgendwie „gläubig“ sind, aber das ist Philosophie…

2. Immer weniger Kirchenmitglieder
Weil immer mehr Kirchenmitglieder in Deutschland aus der Kirche austreten, haben die Gemeinden und Landeskirchen bzw. die Bistümer wegen der ausbleibenden Kirchensteuern kein Geld (und kein bezahltes Personal) für den Erhalt ihrer vielen Kirchengebäude. 23.000 Kirchengebäude (oft mit Gemeinderäumen und Wohnungen) besitzt die Evangelische Kirche noch in Deutschland, 24.000 Kirchengebäude (oft mit Gemeinderäumen und Wohnungen) die katholische Kirche. Zu den großen Kirchen gehören (2024) 39 Millionen Mitglieder, für das Jahr 2060 werden schätzungsweise noch 23 Millionen Bewohner Deutschlands Kirchenmitglieder sein. Dass die Bewohner Deutschlands mehrheitlich in Zukunft wieder Kirchenmitglieder werden: Daran glauben wohl selbst die frömmsten Bischöfe nicht. Da ist also Eile angesagt, wollen die Kirchen Schließung, Verkauf, „Mischnutzung“ oder Abriss von Gotteshäusern mit den jeweiligen Kommunen sinnvoll und das heißt immer auch mit finanziellem Gewinn gestalten. PS: Über die vielen, z. T.”überflüssigen”, z.T. hübsch renovierten Dorfkirchen in Brandenburg habe ich 2020 einen provozierenden Beitrag verfasst. LINK

3. Könnten Kardinäle, Bischöfe, Pfarrer auf einen kleinen Teil ihres Gehaltes verzichten?
Man könnte denken: Zur Finanzierung des Erhalts wenigstens einiger, von den Gläubigen als sehr wichtiger angesehener bestehender Kirchen – Gebäude könnten auch die Kürzungen der Gehälter von Pfarrern, Oberkirchenräten, Erzpriestern und Bischöfen und Kardinälen beitragen, dies wäre ein schlichter solidarischer, aber öffentlich wirksamer Effekt. Kardinal Marx von München hat immerhin Ende Dezember 2020 tatsächlich 500.000 Euro aus seinem Privatvermögen (sic!) für „Betroffene des sexuellen Missbrauchs“ in seine Stiftung eingezahlt. Quelle: LINK
Kardinal Marx erhält – aus Staatsleistungen Bayerns – ein Monatsgehalt von etwa 13.600 €. Kardinal Woelki in Köln erhält ein Monatsgehalt von 13.800 €, ziemlich unbescheiden, wenn man bedenkt, dass sein Verhalten im Zusammenhang von sexuellem Missbrauch ein Hauptgrund war und ist für die große Austritts-„Welle“ im Erzbistum Köln…Quelle: LINK
Ein evangelischer Pfarrer verdient in Deutschland heute durchschnittlich 5.300€ brutto im Monat. Ähnliche Gehälter erhalten katholische Pfarrer, auch bei ihnen gilt: Oft mit freier Dienstwohnung…

4. Kirchen verkaufen und umwandeln: Alles andere als ein Nebenthema
Der vielfältige mögliche Umgang mit „überflüssig“ gewordenen, also nicht mehr klassisch für Gottesdienste/Messen zu nutzenden Kirchen bzw. Gotteshäusern ist alles andere als ein kulturelles „Nebenthema“. Diese Frage gehört ins Zentrum der Debatten über die Umbrüche der Religionen und Kirchen in Europa heute. Man beachte immer dabei: Für Protestanten sind Kirchengebäude eben nur Gebäude genutzt für Gottesdienste usw., aber eben nicht wie bei Katholiken eher verehrungswürdige „Gotteshäuser“…
Über eine umfangreiche Foto – Dokumentation von verfallenen, allmählich nur noch als Ruinen wahrnehmbaren Kirchengebäuden in einigen Ländern Europas habe ich im Jahr 2020 eine Rezension geschrieben. LINK
Dabei wird deutlich: In Frankreich wurden schon im 19.Jahrhundert viele Gotteshäuser von der Kirche aufgegeben, weil einfach die Gläubigen nicht mehr gläubig waren und die Messe nicht mehr besuchten, man sehe sich dazu etwa im Département Yonne oder in anderen Gegenden Burgunds oder des Limousin (Guéret!) um…

5. Ästhetisches – religiöses Erleben angesichts von (umgewandelten) Kirchen
Heute gilt in Deutschland die allgemeine ästhetische Überzeugung: Kirchengebäude in unseren Städten und Dörfern als Ruinen wahrzunehmen, ist nicht förderlich für einen guten Gesamteindruck und nicht inspirierend für einen letzten Rest spirituell – christlicher Stimmung unter den Bürgern. Ein schönes Kirchengebäude in einer grauen Stadtlandschaft oder in einem sonst langweiligen Dorf in Brandenburg empfinden selbst Atheisten noch als ästhetische Bereicherung. Und selbst die Kirchenleitungen sind überzeugt: Wenn bei umgewandelten Kirchengebäuden wenigstens nach außen hin eine „christliche Aura“ durch die erhaltenen Kirchen – Fassaden, Außenmauern, bunten Fenster und den Glockenturm (mit noch immer läutenden Glocken), dann sind solche Umwandlungen ein Erfolg. Der protestantische Theologen und EKD – Kulturbeauftragte Johann Hinrich Claussen definiert den klassischen Begriff für Gottesdienst, und dies ist der Begriff Liturgie, in einem sehr weiten Sinne: Er meint, Liturgie sei als Dienst auch im allgemeinen Menschlichen zu verstehen, nicht nur als explizite Gottes – Dienst – Veranstaltung (richtig „klassisch“). So kann seiner Meinung nach eine umgewandelte Kirche, etwa als Bibliothek, noch einen guten humanen Dienst leisten, also irgendwie dem Begriff Liturgie gerecht werden (Seite 118ff.) Claussen meint zudem sehr gewagt: „Wer an dem Kirchenbau vorbeigeht, entwickelt nicht selten so etwas wie alltägliche Liturgie. Man schaut hoch auf den Turm und seine Uhr, nimmt einen Glockenschlag wahr, lässt die Architektur für einen Augenblick auf sich wirken, erinnert sich kurz an hier Erlebtes, es kann sich dabei so etwas wie eine `Religion der Religionslosen?(Robert Musil) ereignen.“ (Seite 119). Ob sich dieses weltliche punktuelle und kurzfristige irgendwie spirituelle Liturgie – Erlebnis auch im Angesicht einer umgebauten Kirche sich ereignet, ist eine offene Frage: Zudem: Dieses kurze, irgendwie noch christlich geprägte Erleben angesichts eines umgewandelten Kirchengebäudes gilt sicher nur für Menschen, die diese Kirche einst von innen gesehen haben und vielleicht an einem Gottesdienst teilgenommen haben, aber diese alten Menschen sterben leider aus…

6. Zum Gottesdienst eine umgewandelte Kirche mieten
Das ziemlich umfangreiche neue Buch mit dem sehr provozierenden Titel „Leben statt Leere. Überlegungen und Anregungen zum Umgang mit unseren Kirchen“ ist auch deswegen wichtig, weil zu den AutorInnen keineswegs nur TheologInnen gehören, sondern vor allem SpezialistInnen für Baukultur und Stadtentwicklung, für Baudenkmäler, Fachleute fürs Stiftungswesen oder Gedenkstätten usw. Die 28 Essays handeln also von rechtlichen Problemen bei der „Nutzungserweiterung“ der Kirchen, beschreiben die Vielfalt neuer „Nutzungen“ der einst nur religiösen Kirchengebäude. Die gemeinsame Nutzung durch eine Kirchengemeinde wie auch durch „weltliche“ neue Nutzer scheint mir besonders wichtig zu sein. Nebenbei: In Amsterdam etwa mieten arm gewordene Kirchengemeinden am Sonntag ihre einstige Kirche für zwei Stunden, die sonst in ein Museum bzw. ein Kulturzentrum ist. In dem genannten Buch ist vor allem der Beitrag von Leona Lynen sehr inspirierend, wenn man konkrete, schon realisierte, vielleicht erfolgreiche Projekte kennenlernen will.

7. Die noch aktiven Kirchen sind meist leer
Der Titel des Buches „Leben statt Leere“ ist sehr provokativ: Er kann nämlich suggerieren: Einst, als die Kirchengebäude noch für Gottesdienste/Messen genutzt wurden, herrschte eigentlich Leere: Das ist sogar richtig, wenn man sich die Statistiken der Teilnahme am evangelischen Gottesdienst in einigen Städten und Dörfern anschaut: Da sitzen sonntags um 10 Uhr in vielen Gemeinden Berlins, Leipzigs, Hamburgs usw. nur einige wenige, ziemlich weit voneinander, in den Bänken. 3,3% der Protestanten in Deutschland setzen sich sonntags um 10 in die Kirche. Es gibt in Brandenburgs Dörfern beheizbare „Winterkirchen“ innerhalb der großen Kirchen. „Winterkirchen“ sind die Zimmerchen gleich am Eingang: Die dort aufgestellten 20 Stühle sind treffender Ausdruck der erwarteten TeilnehmerInnen von „Sonntags um 10 oder 11“. An der katholischen Sonntags – Messe nehmen im Erzbistum Berlin etwa noch etwa 8,5 % der Gläubigen teil. Aber auch hier gilt, zumindest in Berlin: Nach den Gottesdiensten werden die Kirchen verschlossen, weil auch kein „Freiwilliger“ mehr da ist, der „aufpasst“ und mögliche Diebe vertreibt. So stehen die großen Kirchen während der Woche also leer herum, die tatsächliche „Nutzungszeit” beträgt wahrscheinlich nur etwa 4 Stunden pro Woche, wenn man Orgelkonzerte, Taufen oder Trauungen zu den Gottesdiensten mitzählt. Gäbe es nicht die immer noch sehr gut „besuchten“ Heilig – Abend Gottesdienste, sähe die Jahres – Statistik zum Gottesdienstbesuch sehr düster aus.
Darum ist der Titel „Leben statt Leer“ treffend: Die vorhandenen Kirchengebäude stehen wirklich fast immer leer herum. Und selbst tagsüber offen gehaltene Kirchen stehen zu Zeiten leer, wo sie eigentlich genutzt werden könnten: Hier in Berlin – Schöneberg, wo ich lebe, sitzen sehr viele junge Leute an jedem Sommerabend auf Grünanlagen vor der Apostel -Paulus – Kirche, sie trinken und plaudern und lachen, eine Art kleine Oase. Die Kirche, schließt um 18 Uhr. Aber dann beginnt erst das turbulente Leben im unmittelbaren Umfeld der Kirche… In Paris habe ich einst so genannte „Nacht-Kirchen“ – offen meist am langen Wochenende- kennengelernt und für die ARD dokumentiert, wie die Kirchen St. Gervais, St. Severin, St.Leu usw… Sie waren bis über Mitternacht hinaus offen. Heute zwingt der „Vandalismus“ in den Kirchen zu früher Schließung… Vielleicht sind die Kirchen sogar ein ganz kleines Bißchen froh, weil sie heute keine ehrenamtlichen MitarbeiterInnen, „Aufsicht“, mehr haben. Damals waren die Gemeindepfarrer in ihren Nachtkirchen anwesend.

8. Viele schöne Fotos umgewandelter Kirchen
Das Buch „Leben statt Leere. Überlegungen und Anregungen zum Umgang mit alten Kirchen“ enthält auf 240 Seiten 28 Essays. Genauso wichtig aber ist: Das neue „Leben“ der Kirchen wird auf mindestens 60 ganzseitigen Farbfotos so anmutig und so schön präsentiert, dass man eigentlich denken kann: Prima, dass diese Kirchen nun keine expliziten Gotteshäuser mehr sind. Die umgebauten Kirchen sind jetzt sehr lebendige Häuser, etwa prächtige Buchhandlungen oder angenehme Kindergärten oder hübsche Theater oder gar nicht so bescheidene Kleiderkammern für Arme, auch die Jugendherbergen sind beachtlich, erstaunlich, dass einige Kirchenfenster und dezent erhaltenen Kreuze den Früstücksraum schmücken. Man möchte also meinen: Endlich haben diese einst grauen, selbst sonntags fast leeren und während der Woche fast immer verschlossenen Kirchen/Gotteshäuser eine sympathische, so menschliche, durchaus progressive Ausstattung erhalten… Und man wird Theologen fragen, ob sie diese Entwicklung ebenfalls sympathisch und entzückend finden können und – normativ betrachtet – finden dürfen.

9. Wer oder was ist schuld an den Kirchenschließungen?
Wer stellt eigentlich noch in kirchlichen und theologischen Kreisen die provozierende, aber sehr berechtigte Frage: Wer oder was ist eigentlich schuld daran, dass so viele Kirchen „überflüssig“ geworden sind? Soweit ich sehe, wird dieses Thema in dem Buch bedauerlicherweise nicht bearbeitet. Wer nach einer Antwort sucht: Man wird doch theologisch nicht im allgemeinen „die“ Säkularisierung oder „die“ Moderne dafür verantwortlich machen, dass nun so viele Kirchengebäude für die Kirchen selbst überflüssig geworden sind. Denn Tatsache ist: Beide Kirchen hatten und haben immer Jahresetats von vielen Milliarden Euro aus Kirchensteuereinnahmen. Der katholische Theologe Konstantin Manthey nennt in seinem Beitrag die Zahl von „fast zwei Millionen Kirchenangestellten“ heute (S. 125). Darf man fragen, was haben diese meist gut bezahlten Damen und Herren falsch gemacht, dass es zu einem solchen stetigen Kirchenaustritt von Millionen getaufter Christen kommen konnte und kann?

10. Die alte Dogmenwelt und die unverständlichen Gebete/Gesänge
Was würde ein sehr großes Wirtschaftsunternehmen tun, wenn es einen so miserablen „Erfolg“ erzielen würde wie die Kirchen, die Millionen Mitglieder verlieren, obwohl die finanzielle Ausstattung wirklich bestens war (und bis jetzt noch immer ist)? Aber der Rücktritt von Bischöfen oder EKD – Synodalen würde in dem Zusammenhang nicht mehr als richtiges Symbol eines „Schuldbekenntnisses“ sein. Aber die eigentliche „Schuld“ an der Misere der Kirchen ins Deutschland und Europa weist auf anderes, über das öffentlich, auch in der Theologie, kaum gesprochen wird: Es ist die nicht anders als aufgeblasen zu nennende uralte dogmatische Glaubenswelt der Kirchen; es sind die meist sehr altertümlichen Kirchen – Lieder und – Gesänge: Bezeichnenderweise haben die Katholische Bischöfe der Niederlande und Deutschlands fast all Lieder des niederländischen Theologen Huub Oosterhuis als Mess-Gesänge verboten. Diese Lieder sind aber wohl die einzigem, die ein denkender Christ heute noch singen kann.. Schuld sind auch die intellektuell kaum nachvollziehbaren Gebete und Fürbitten; die erstarrten Liturgien/Messen oder das „Trallala“ mancher Kindergottesdienste, all das hat den Abschied so vieler hundert tausend kritischer und denkender Menschen aus den Kirchen beschleunigt.
Wer hat als Teilnehmer der Messe nicht schon oft den Eindruck gehabt: Das ist doch alles immer der selbe Ritus, dieses reglementierte Auf und Ab von Hinknien, Aufstehen, Sitzen, standardisiert antworten auf standardisierte Aufforderungen und Gebete des Priesters. Und dann auch dies noch: Das Sprechen eher sinnloser Texte: Etwa vor dem Empfang der Kommunion (!) müssen die Gläubigen diese Worte sprechen: „Herr ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach“… Wo bitte ist denn „mein Dach“, unter dem ich die Kommunion nun erhalte und verzehre…. Antiquierte Redeweisen in den Messen bis heute: „Der Herr sei mit euch.“ „Und mit deinem Geiste…“ Wer sagt denn so was, muss Kirchensprache derart aus der Zeit fallen? Das ertragen die Leute einfach nicht mehr. Tausend Beispiele wären möglich, aber schon diese Hinweise zeigen: Sie haben sehr wohl mit den leeren Kirchen zu tun, mit den sich ständig leerenden Kirchen besser gesagt.
Das fehlt leider in dem Buch „Leben statt Leere“: Die ausgearbeitete selbstkritische Erkenntnis: Die Kirchen sind selbst schuld, dass sie jetzt auf ihren vielen überflüssig gewordenen Kirchengebäuden sitzen und diese dann abstoßen müssen.

11. Die fixierten Holzbänke aus den Kirchen endlich entfernen!
Ein weiterer Grund für die Leere der Kirchen, für die Abweisung kirchlicher Angeboten den alten Gotteshäusern: Diese Kirchen sind als Treffpunkte der Gemeinde schon von der Anordnung der Sitzgelegenheiten eine Katastrophe: Alle schauen nach vorn, meist auch nach oben, zum Altar, zu den unersetzlichen Priestern oder dem evangelischen Pfarrer, der manchmal noch in die Höhen der Kanzel zur 30 Minuten Predigt klettert. Und „alle“ schauen in die Höhe der Wahrheit … Noch wichtiger: Es sind diese wirklich widerlichen, fest verankerten Holzbänke, die nicht das geringste Gefühl von Kommunikation oder Wohlfühlen aufkommen lassen. Ich wage die These: Hätten die Gemeinden spätestens vor 50 Jahren die fest verankerten Holzbänke aus den Kirchen rausgeworfen und durch Stühle bzw. Sessel oder Polster oder bequeme Sofas ersetzt, Sachen also, die man auch in einen Kreis hätte stellen können zum Gottesdienst, dann hätte sich Kirche als sympathischer, einladender freundlicher Raum einer Gemeinde, einer „großen Familie“, bewiesen. Warum soll man das für die Menschen oft ungemütliche, weil kritisch – störende Evangelium Jesu von Nazareth nicht auf gemütlichen Stühlen verstehen können?

12. Die Kirchenführung zerstört die Idee „Kirchengemeinde in der Nachbarschaft“
Wenn sich die Kirchen jetzt und in naher Zukunft von vielen Kirchengebäuden trennen müssen, dann wird für die noch Interessierten – und das sind oft ältere Menschen – die bequeme Erreichbarkeit von Kirchen und Gemeindezentren fast unmöglich gemacht, es sei denn man nimmt lange Busfahrten in Kauf, um noch eine Kirche zu finden, in der die Messe gefeiert wird. Die gute und bequeme Erreichbarkeit von Kirchen und Gemeindezentren ist HEUTE um so dringender, wenn man an die vielfach dokumentierte Einsamkeit sehr vieler Menschen gerade in den großen Städten denkt: Wenn es denn offene, d.h.freundliche, wenig dogmatische Gemeinden gäbe, dann wären diese Gemeinden von hohem Wert gerade für „das seelisch wie politisch Beste einer Stadt“, nämlich die Pflege des Miteinanders. Aber alles wird gerade jetzt von den Kirchen selbst zerstört: Im Erzbistum Berlin etwa gilt das Konzept mit dem höchst fragwürdigen Motto: „Wo der Glaube Raum gewinnt“: Das bedeutet in Wahrheit: „Liebe (ältere, einsame) Gläubige gewöhnt euch an große weite Räume, wenn ihr noch eine katholische Kirche oder ein Gemeindehaus sucht. Kirchliche Nachbarschaft ist ab sofort ausgeschlossen.“
So sehr man auch in umgewandelten Kirchen und deren Bücherstuben oder Cafés oder Kleiderkammern über den Sinn des Lebens beiläufig reden kann: Eigentlich sollten Kirchengemeinden Orte der qualifizierten, freien und offenen Sinnsuche sein, der Frage nach dem Sinn des Lebens, Liebens und Arbeitens, der ungerechten Gesellschaft und der Klimakatastrophe, der Frage nach dem Sinn von Leiden, Sterben und Tod. Sicher haben die Kirchengemeinden gar nicht mehr dieses qualifizierte Person für Gespräche über diese auch therapeutischen Fragen… , insofern ist wohl realistisch, wenn die Kirchen mangels qualifizierten Personals ihre Kirchen verkaufen und „umwandeln“.

13.
Obwohl die vielfältigen Formen der Umwandlung von „überflüssigen“ Kirchen beide großen Konfessionen betrifft, beziehen sich in dem Buch, soweit ich sehe, nur drei katholische AutorInnen auf entsprechende Erfahrungen und Einsichten ihrer Kirche. Dabei ist klar: An einer ökumenischen Zusammenarbeit bei Verkauf und Umwandlung der Kirchen via Internet oder Ebay mangelt es immer noch, berichtete kürzlich (September 2025) das genannte „Plus- Minus“ Magazin der ARD.

14. Erzbischöfe in Berlin setzen auf teure Repräsentativ -Kirchen.
Wir wollen hier nur auf den Beitrag des katholischen Theologen und Kunsthistorikers Konstantin Manthey, Berlin, hinweisen. Er spricht erstaunlich kritisch über das Verhalten der Kirchen, also auch der katholischen Kirche, zu unserem Thema, er spricht von „Schockstarre“ und von der Obsession der „Besitzstandswahrung“.
Sehr wichtig ist der Hinweis Mantheys: Es werden in Berlin keine neuen Kirchen oder wenigstens kleine Gemeindezentren gebaut in Berlins 23 (sic) neuen Stadtquartieren mit vielen tausend Bewohnern: „Nirgendwo ist dort bisher ein kirchlicher Ort vorgesehen, ein christlicher Raum für Zusammensein und ähnliches…“ (S. 127).

15.
Ist wirklich kein Geld da, um wenigstens einige kleine religiöse oder theologische Salons anzumieten als Treffpunkte für religiös Interessierte, die es ja sicher auch in den neuen Stadtquartieren geben wird?
Tatsache ist: Geld haben die Kirchen heute noch sehr reichlich, das lässt sich etwa am Beispiel des Erzbistums Berlin: Das wird allerdings von Konstantin Manthey nicht dokumentiert: Die Rede muss also sein über die vielen Millionen Euro, die für die – eigentlich unnötige – Total- Renovierung der St. Hedwigskathedrale ausgegeben wurden: „Mit 44,2 Millionen Euro wurden die 2016 prognostizierten Gesamtkosten für den Umbau der Bischofskirche nur um rund 4 Millionen Euro überschritten“, heißt es im Erzbistum. Konkret: Zwölf Millionen Euro kamen vom Bund und acht Millionen Euro vom Land Berlin für den Umbau der Kathedrale, 28 Millionen Euro muss also die Kirche selbst bezahlen. Und zum Neubau des Bischofshauses und eines Kirchenzentrums, direkt neben der Kathedrale, „Bernhard Lichtenberg Haus“ genannt: „Hier waren zu Beginn 17 Millionen Euro veranschlagt worden, inzwischen rechnet das Erzbistum jedoch mit nahezu verdoppelten Kosten von 33,8 Millionen Euro – für die das Hauptstadtbistum zudem allein aufkommen muss.“ Quelle: LINK.

Schon 2024 hatte der “Tagesspiegel”  nachgewiesen: In Berlin ist der Bodenbesitz aller religiösen Gemeinschaften laut Liegenschaftsplan  mit 1.206 Hektar anzugeben. Das sind 1,3% der Stadtfläche, der evangelischen und katholischen Kirche gehört der größte Teil der Liegenschaften, wie der “Tagesspiegel” erneut am 1.10.2025, Seite 4 im Berlin – Heft berichtet. 1.206 Hektar sind etwa 12 Quadratkilometer im Besitz der Religionen, der Kirchen. Der Vatikan-Staaat hat 0,44 Quadratkilometer Fläche, der Berliner Bezirk Schöneberg 12,2 Quadtratkilometer.

16. In den Wohnbezirken verschwinden katholische Gemeinden
Die angeblich arme katholische Kirche Berlin setzt also auf Repräsentativ-Bauten in der Innenstadt, interessant für Touristen vor allem, die „Unter den Linden“ flankieren oder zum Humboldt – Forum eilen… Um an das nötige Geld zu kommen, werden von den Erzbischöfen Berlins Gemeindezentren und Kirchen in den dicht bewohnten Bezirken aufgegeben oder verkauft, wie etwa nun die Gemeinde mit großer Kirche im „Katharinenstft” (mit einem Kloster der Herz – Jesu – Priester) in Prenzlauer Berg.Über den Verkauf des Katharinenstiftes, auf einem „Filetgrundstück“, hat der Journalist Patrick Pohl am 14.7.2025 auf seiner website berichtet. Oder: Die St. Albertus Magnus Kirche im bevölkerungsreichen Wilmersdorf: „Die 61 Jahre alte St. Albertus-Magnus Kirche in Wilmersdorf/Halensee wurde schon im November 2023 geschlossen, von einer neuen Nutzung ist noch immer nichts zu sehen, Quelle: „Tagesspiegel“ am 8.9.2025. Alsbald wird wohl die St. Kamillus Kirche in Charlottenburg mit einem integrierten „Altenheim“ verkauft.
Mit anderen Worten: Die Kirchenleitung nimmt den Menschen die nahe Erreichbarkeit ihrer altvertrauten Gotteshäuser und Gemeindezentren zugunsten von Millionen teuren Renovierungen und Neubauten von Repräsentativgebäuden. Die Kirche will offenbar noch groß und mächtig und modern nach außen erscheinen…
Wie viele Kirchen ließen Berlins katholische Bischöfe schon abreißen oder verkaufen? Wir nennen nur: St. Raphael in Gatow, Bezirk Spandau), St. Agnes in Kreuzberg., St. Johannes Capistran Tempelhof. Erstaunlich, dass der in der Katholischen Akademie Berlin angestellte Theologe Konstantin Manthey von all den genannten Zusammenhängen keine Silbe verliert.

Auch im Bistum Dresden – Meißen setzen die Kirchenoberen auf repräsentative Bauten: Ca. 19.000 Katholiken sind zwischen 2014 und 2024 dort aus der Kirche ausgetreten, die Zahl der Katholiken im Bistum Sachsens beträgt noch 128.000. Trotzdem die Kirchenführung baut für 49 Millionen Euro einen riesigen kirchlichen Verwaltungsneubau in Dresden, Eröffnung 2025. LINK 

Nebenbei: Es gibt inzwischen bei wikipedia einen eigenen Beitrag über die vielen „profanierten Kirchen“ im Erzbistum Berlin: LINK

17. Wann werden in Deutschland Kirchen in Moscheen umgewandelt?
Eine eigentlich dringende Frage wird überhaupt nicht öffentlich erörtert, weder in dem genannten Buch noch in anderen Publikationen oder etwa in Akademieveranstaltungen. Die Frage ist: Warum werden leerstehende Kirchen nicht muslimischen Vereinen zum Umbau als Moschee angeboten? Man könnte auch denken. Warum nicht auch jüdischen Gemeinden zum Umbau in eine Synagoge. Aber für Neubauten von Synagogen ist ja gut gesorgt.
Warum also keine zu Moscheen umgewandelten Kirchen? Man muss als Antwort nicht lange spekulieren: Weil Muslime in Deutschland immer noch unter einem ungerechten Generalverdacht des Radikalen stehen. Weil „der Islam nicht zu Deutschland gehört”, wie einzelne CSU Politiker (wie Horst Seehofer, 2018 und zuvor schon der CDU Ministerpräsident Sachsens Stanislaw Tillich schon im Januar 2015 in einem Interview mit „Die Welt“) sagten: LINK https://religionsphilosophischer-salon.de/6160_der-islam-gehoert-nicht-zu-deutschland-wenn-das-logische-denken-versagt_denkbar
Diese pauschalen und dummen Sprüche „Der Islam gehört nicht zu Europa“ war und ist wohl die beste Werbung einiger CDU CSU Politiker für die AFD…

18. In Amsterdam: Von der St. Ignatius Kirche zur Moschee
Ich kenne nur ein Beispiel dafür, dass tatsächlich einmal eine katholische Kirche in eine Moschee verwandelt wurde. Das hat sich im toleranten Amsterdam ereignet: 1971 haben die Jesuiten an der Rozengracht 150, ganz in der Nähe des Anne – Frank – Hauses, ihre St. Ignatiuskirche aufgegeben müssen: Dann geschah ein interessantes Intermezzo: Die Kirche wurde kurzfristig in einen Teppich-Laden umgewandelt und erst danach, im Jahr 1981, von der Islamischen Stiftung Fatih (Islamitische Stichting Nederland Fatih Amsterdam) erworben und als Moschee eingerichtet. Ein unmittelbarer Übergang von Kirche zu Moschee war selbst in Holland wohl „zu viel des Guten“. Dabei reden doch viele christliche Theologen eigentlich ständig von der Gemeinschaft der drei monotheistischen Religionen, aber man belässt es lieber im unverbindlichen akademischen Milieu. Seit 1981 trägt die auch von außen noch wahrnehmbar ehemalige Kirche also offiziell den Namen „Fatih-Moschee“. Die Leistung der Moschee dort hat mir selbstverständlich Filmaufnahmen für meine Dokumentation fürs Erste über die Religionen in Amsterdam gestattet. LINK

19. Kirchen werden den Buddhisten oder Humanisten überlassen.
Wenn es den Kirchen ernst ist mit einem umfassenden ökumenischen und interreligiösen Dialog: Warum bieten sie ihre überflüssigen Gotteshäuser nicht auch Buddhisten an, warum nicht auch dem „Humanistischen Verband“, der ja bekanntlich gute Sozialarbeit leistet? Aber schon diese unsere Frage werden „kirchenleitende Herrschaften“ als utopisch zurückweisen. Nebenbei: Wie viele Kirchen wurden an fundamentalistische „freie charismatische Gemeinden“ verkauft? Diese sind bekanntlich in ihrer Lehre gefährlich, “nur” für die seelische Gesundheit der “Gläubigen”??? Man schaue sich heute diese machtvollen, z. T gewalttätigen fundamentalistisch – evangelikalen Kreise in den USA des Mister Trump an….

Zur weiteren Information siehe auch die website Aktion Kirchenabriss: https://www.moderne-regional.de/listing-category/hashtag-kirchenabriss/

Das genannte Buch „Leben statt Leere. Überlegungen und Anregungen zum Umgang mit unseren Kirchen“ wurde u.a von Klaus -Martin Bresgott und Johann Hinrich Claussen herausgegeben. Das Buch ist über Kulturbüro der EKD zu beziehen: Kulturbüro des Rates der EKD, Auguststraße 80, D-10117 Berlin, https://ekd-kultur.de/. kultur@ekd.de

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

 

 

Max Josef Metzger: Aktiv gegen die Nazis, aktiv für die Ökumene, ein Friedensaktivist…

Jetzt wird Max Josef Metzger von der katholischen Kirche offiziell geehrt als Märtyrer, als „ein Seliger“, also fast schon als ein Heiliger…

Einige Hinweise von Christian Modehn. November 2024.

1.
Max Josef Metzger sollte man kennen: Kurz seine Daten: Er wurde geboren am 3.2.1887 in Schopfheim im Schwarzwald. Er wird hingerichtet durch Enthauptung im Nazi – Gefängnis Brandenburg/Havel am 17.4.1944. Metzger war katholischer Pfarrer zu Zeiten, als sein politisch-radikales und theologisch-mutiges Profil von der Hierarchie noch viel weniger erwünscht war als heute.

2.
Am 17. November 2024 wird Max Josef Metzger im Münster von Freiburg im Breisgau, in seiner badischen Heimat, feierlich selig gesprochen: Das heißt: Die Bischöfe und der Papst wollen – endlich – 80 Jahre nach dem Martyrium des Friedensaktisten, Nazi – Feindes und Vorkämpfers zugunsten der Einheit der Christen ein Zeichen setzen und verkünden: Dieser Max Josef Metzger hatte vollkommen recht mit seinem Widerspruch und seinem Engagement. Sein Martyrium war wohl nicht umsonst, viele Impulse seines Lebens wirken weiter. Man sollte dabei auch wahrnehmen, wie schwer es Pfarrer Metzger hatte in der ängstlichen, oft nazifreundlichen Hierarchie der katholischen Kirche damals.

3.
Max Josef Metzger war seit 1911 Katholischer Priester, mit 23 Jahren erwarb er schon den theologischen Doktorgrad. Er nahm am Ersten Weltkrieg teil, aus Gesundheitsgründen konnte er in seine Heimat zurückkehren und widmete sich dann seit 1917 aktiv zugunsten der damals sehr schwachen Friedensbewegung.

4. Für den Frieden in friedlosen Zeiten
Er gehörte auch zu den führenden Initiatoren und Mitgliedern des „Friedensbundes deutscher Katholiken (FDK)“ und des „Internationalen Versöhnungsbundes“. Zwei Organisationen, die es im damaligen Katholizismus nicht leicht hatten. „Die großen katholischen Verbände wie auch die meisten Bischöfe verhielten sich ablehnend gegenüber dem Friedensbund deutscher Katholiken“ (Fußnote 1)
Am ersten „Demokratischen Internationalen Kongress“ im Jahr 1921 in Paris, mit mehreren tausend TeilnehmerInnen, nahm Metzger auf Einladung des französischen Katholiken Marc Sangnier teil. Als einer der ersten Deutschen nach dem Ersten Weltkrieg hielt Metzger eine Rede über die Verbindung von Demokratie und Frieden.
Auch beim „Interreligiösen Friedenskongress“ 1928 in Den Haag war Metzger dabei, er hielt einen Vortrag über die biblische Friedensbotschaft. Die traditionelle katholische Lehre vom „gerechten Krieg“ lehnte er ab, jeder Krieg war für ihn Verbrechen. Bei der „Internationale der Kriegsdienstgegner“, einem Treffen vor allem von Sozialisten und Kommunisten, war Metzger dabei und schloß sich der Parole an: „Menschen aller Staaten vereinigt euch gegen den Krieg“, der katholische Pfarrer plädierte für einen weltweiten passiven Widerstand gegen den Krieg…. Und er „verurteilte das System des Kapitalismus und predigte einen christlichen Sozialismus. Mit solchen Auffassungen musste er nicht nur kirchlichen Amtsträgern, sondern ebenso den Machthabern des Dritten Reiches als höchst gefährlich erscheinen,“ schreibt der Historiker Georg Denzler (Fußnote 2)

Der VVN Augsburg zitiert Max Josef Metzger: „Das ganze gottverlassene System der Wirtschaft von heute mit ihrer schrankenlosen und gewissenlosen Profitgier führt, ohne daß es dem Einzelnen meist zu Bewußtsein kommt, fast zwangsläufig einmal zu der Katastrophe des Krieges.“ (1930) Und 1932 veröffentlichte Dr. Metzger einen Artikel gegen die nazistische Judenhetze und stand ab 1933 abseits der Auffassung der deutschen Bischöfe. Diese erkannten am 28.3.1933 das neue Regime feierlich an, ermahnten die katholischen Gläubigen zu treuer und gewissenhafter Erfüllung der Staatsbürgerpflichten und untersagten ihnen jegliches rechtswidrige Verhalten. Er formulierte 1934: „Die Kirche muß sich zur Wehr setzen, wo man die Macht zum Götzen erhebt, wo man den Frieden zwischen den Völkern durch rohe Gewaltpolitik gefährdet, wo man den Staat zur Quelle allen Rechtes macht und fremde Rechte nur insoweit gelten läßt, als sie dem eigenen Volke keine Opfer zumuten.“ – Eine Kampfansage gegen das Naziregime. Quelle: LINK

5.
Originell und inspirierend bis heute bleibt Metzgers Einsicht: Frieden gibt es nur, wenn sich die Menschen zum Frieden auch innerlich bekehren. Frieden und Friedensbewegung haben also entscheidend mit Spiritualität zu tun. Nur ein erneuerter humaner Geist, also der immer wieder eingeübte und in Friedenszeiten besprochene Geist des Friedens, kann auf Dauer eine neue humane Welt gestalten. Alle technokratischen, militärischen Überlegungen hinsichtlich der Waffensysteme usw. sind also sinnlos als Aktivitäten der Friedenssicherung, wenn nicht ein erneuerter Geist der Verständigung, des Dialogs alles politische Handeln bestimmt. Friedenspolitik gelingt nur als Bewusstseinsbildung, als politische wie spirituelle Bildung.

6.
Die gelebte Einheit der in Konfessionen gespaltenen Christenheit war für Max Josef Metzger der theologische Mittelpunkt und das Ziel seiner theologischen Bemühungen: Glaubwürdig für den Frieden eintreten kann seiner Meinung nach nur die katholische Kirche, wenn sie selbst die anderen Meinungen und Mentalitäten der anderen christlichen Kirchen respektiert. Metzger wollte nicht länger der offiziell verbreiteten Ideologie folgen: Allein die katholische Kirche sei die einzig wahre Kirche, zu der alle anderen christlichen „Gemeinschaften“zurückkehren sollten. Die von ihm gegründete Gemeinschaft der „Christkönigsgesellschaft“ (Fußnote 3) in Meitingen bei Augsburg setzt(e) sich für die Ziele einer gelebten Ökumene ein.
Metzger war auch Autor zahlreicher spiritueller Texte, Gebete und religiöser Lieder, sie zeigen, wie sehr er als Theologe von der offiziellen katholischen Frömmigkeit geprägt war, der aber doch die Kraft hatte, diese enge konfessionalistische Welt zu überwinden. Die Notwendigkeit seiner  “Christkönig Gemeinschaft”  begründete Metzger in einem Brief aus dem Gefängnis, geschrieben am 2.11.1943, mit heftigen, treffenden Worten: “Die Veräußerlichung und Vergesetzlichung der Kirche, das Verlassen des urchrsitlichen Geistes der Buße, der Gemeinschaft des Dienstes, der Liebe, die Selbstgerechtigkeit gerade bei der zur Führungg Berufenen … der Mangel an lebendigem, zündenden Geist… diese ganze Not der Kirche verlangt eine Erneuerungsbewegung…” (Fußnote 10)

7. Ein Atheist und Kommunist gehört zur Gemeinde Christi…
In seinen „Briefen aus der Gefangenschaft“ schreibt Metzger am 29.8.1943 auch von dem Zusammensein im Gefängnis mit dem „Vorsitzenden des Deutschen Freidenkerverbandes“ (gemeint ist Max Sievers), „der bis vor ein paar Tagen für mehrere Wochen mein Bettnachbar war im berüchtigte Gestapogefängnis in der Prinz-Albrecht-Straße. Trotz der weltanschaulichen Kluft, die uns trennte, standen wir uns doch in gegenseitiger Achtung näher als andere; ich fand in ihm einen Charakter, der vornehm und gerecht urteilte und gute Kameradschaft pflegte – ich möchte meinen, in ihm wirkt unbewusste etwas weiter von christlicher Erziehung vieler Jahrhunderte deutscher Geschichte. … Ja, ich möchte irgendwie einen solchen Menschen mehr zur Gemeinde Christi rechnen als so viele Getaufte, deren Seele unberührt geblieben ist vom heiligen Geist Christi (Fußnote 6). Weiter schreibt Metzger: „Ich habe nicht das Recht, über das jenseitige Schicksal eines Menschen zu urteilen. Jedenfalls ist es mein Glaube, dass verloren im eigentlichen Sinne, zur Hölle bestimmt, nur ist, wer wider seine Gewissensüberzeugung stand. Wie viele Christen sind da freilich schlechter dran als die so genannten ‚Heiden’.” Auch Max Sievers wurde in Brandenburg – Görden enthauptet, am 17.Januar 1943… (Fußnote 4)

8.
Max Josef Metzger hatte in Form einer Denkschrift Pläne ausgearbeitet für den Aufbau der Demokratie in Deutschland und Europa nach dem erhofften Ende des Nazi-Regimes. Den Text sollte ein befreundeter lutherischer Bischof in Schweden nach England weiter reichen. Die Botin nach Schwedin war aber die Gestapo Agentin Dagmar Imgart, sie hat Metzger verraten. (Fußnote 5).
Im Juni 1943 wurde er verhaftet, vom Volksgerichtshof unter dem Verbrecher Roland Freisler am 14. Oktober 1943 zum Tode verurteilt, ins Gefängnis Brandenburg verbracht und dort am 17.April 1944 enthauptet. An den Händen gefesselt konnte Max Josef Metzger noch etliche Briefe und theologische Texte verfassen und seinen FreundInnen und Mitarbeiterinnen zugänglich machen.

9.
Diese Briefe aus der Gefangenschaft zeigen einen Menschen, der das Unrechtsurteil angenommen hat in dem Glauben, dass er sein Leben spirituell aufopfert für den Sieg der Gerechtigkeit. Die Briefe aus der Gefangenschaft (Fußnote 6) zeigen einen Mann, der nur in der engen Verbindung mit seinem Glauben diese Qualen annehmen konnte.

10.  Erzbischof Gröber versucht – scheinheilig – seinem Priester Metzger zu helfen
Wirksame Unterstützung und hilfreiche Solidarität fand Pfarrer Max Josef Metzger bei seinem zuständigen Erz-Bischof Conrad Gröber von Freiburg i.Br. nicht. Die Person Gröber ist unter Historikern noch immer umstritten, wobei Gröber dichte Nähe zum Nationalsozialismus zweifellos eine Tatsache ist: Schließlich war er freiwillig für einige Monate Fördermitglied der SS geworden. Auch wenn er sich von dieser SS – Bindung distanzierte, er blieb ein Bischof, der sich selbst retten wollte und in gewundenen Formulierungen, scheinheilig muss man wohl sagen, seinen Priester Max Josef Metzger in allerletzter Minute noch zu retten versuchte.
Er hatte schon dem „Verteidiger“ Metzgers beim Volksgerichtshof geschrieben und ihm die besondere idealistische Charakterstruktur des Priesters erklären wollen, sozusagen als Entschuldigung für dessen Widerstand gegen die „Regierung“.
Nachdem das Todesurteil am 14. Oktober 1943 vom Volksgerichtshof gefallen war, schrieb Erzbischof Gröber zwei Tage später direkt an den Oberrichter/Verbrecher Freisler vom Volksgerichtshof einen Brief, der mehr die Person Gröbers schützen sollte als dass er Pfarrer Metzger noch retten wollte (Fußnote 7):
„Hochverehrter Herr Präsident des Volksgerichtshofes,
eben erhalte ich die Nachricht über die Verhandlung, die vorgestern zum Todesurteil des Diözesanpriesters Max Metzger geführt hat.
Ich bedaure aufs allertiefeste das Verbrechen (sic !) dessen er sich schuldig gemacht hat…“ Dann schreibt der Erzbischof von seinem Brief an den „Verteidiger Metzgers, einen Dr .Dix, in dem der Bischof Metzger als Idealisten (also eigentlich als einen Dummkopf, CM) bezeichnet hatte. Und der Erzbischof wagte es noch, sich für den Brief zu entschuldigen: „So glaubte ich als sein Erzbischof verpflichtet zu sein, etwas für ihn zu unternehmen.
Mit Ausdruck meiner hohen Verehrung und Wertschätzung Ihr ergebener Conrad, Erzbischof“ (ebd).

Wikipedia über Erzbischof Conrad Gröber (gelesen am 4.11.2024): „Am 12. November 1943 teilte Gröber seinem Diözesanklerus die Verurteilung von Metzger mit, u. a. mit folgenden Worten: „Dieser überaus traurige Fall soll uns eindringlich lehren, dass wir alles und jedes, was dem Vaterland in seiner schweren Zeit und damit auch uns selber irgendwie schaden könnte, peinlichst unterlassen, die ungeheuren Opfer und Erfolge unserer Soldaten im Felde dankbar und fürbittend würdigen, den Mut unserer Gläubigen in der Heimat stärken […], an das furchtbare Unglück eines verlorenen Krieges mit bolschewistischen Folgen denken und Tag für Tag Gott bitten […], dass er unsere Heimat schütze und mit einem ehrenvollen inneren und äußeren Frieden segne.“ (Quelle: LINK)

Über den verstörenden Umgang Erzbischof Gröbers mit den Priestern, die nach einem KZ Aufenthalt 1945 wieder in Freiheit waren und Respekt forderten, wäre zu sprechen. Siehe dazu das Buch des Historikers Georg Denzler in der Serie Piper, Seite 123 ff.

11. Erzbischof Gröber in der Diskussion!
Die Debatte über die zwiespältige Gestalt Erzbischof Gröbers geht zumal im Freiburger Raum sehr heftig weiter, nur nicht jetzt im offiziellen Gedenken an den seligen Pfarrer Metzger.
Die Arbeiten des Historikers Wolfgang Proske haben für Debatten gesorgt etwa zur Umbennnung von Gröber – Straßen und Aufhebung von Gröber – Ehrenbürger-Würden.
Wolfgang Proske schreibt: „Warum hat Gröber nur selten etwas getan, das über den unmittelbaren Vorteil seiner Kirche hinausgegangen wäre? Warum belog er den französischen Gouverneur, er habe nie zur Partei und zu keiner ihrer Organisationen gehört? Wie konnte Gröber am 13. November 1946 sagen: „Soviel ist sicher, dass ich durch die geheime Staatspolizei und ihre Helfershelfer seelisch mehr gelitten habe als viele von denen, die in Dachau misshandelt wurden oder starben“, so fragt Proske und betont: „Ich komme also zum Ergebnis: Gröber hat bis zu seinem Tod seine verhängnisvolle Selbstinstrumentalisierung zur Durchsetzung des NS-Systems nicht verstanden. Er war kein Täter, aber ein Helfershelfer des Nationalsozialismus. (Fußnote 8).

11.

Zum Revisionsurteil des Bundesgerichtshofes am 28. Juni 1956: Freislers Todes – Urteil (Volksgerichtshof) über Dr. Max Josef Metzger ist Mord: “Die Verurteilung Dr.Metzgers und die Vollstreckung des Todesurteils gegen ihn war eine vorsätzliche rechtswidrige Tötung unter dem Deckmantel der Strafrechtspflege.” D.h.: 12 Jahre nach dem Nazi – urteil wird Max Josef Metzger nun für schuldfrei erklärt “und als echtes Blutzeugnis vor die Geschichte unserer Zeit gestellt”, schreibt die verantwortliche Leiterin der von Metzger gegründeten “Christ-Königsschwestern Gemeinschaft” am 17. April 1964 in dem Buch “Für Frieden und Einheit. Briefe aus der Gefangenschaft”, Meitingen 1964, Seite XXIV.

13.
Ein spiritueller Text von Max Josef Metzger:

„Ich muss gestehen, ich habe sie nie gelernt
Die Kunst das Krumme – krumm zu lassen!
Ich konnt` im ganzen Leben nicht erfassen
Dass man bei Notstand höflich sich entfernt…
Ich fürchte fast, es scheitert am Gewissen –
Ich hab ihm allzeit Treue halten müssen:
Wer sich dafür nicht wagt, der ist kein Mensch.!
Geht euren Weg, ich seh euch ohne Neid
Ihr klugen Selbstversorger all, ihr Weisen!
Ich geh den meinen – mögt ihr Narr mich heißen
Mich tröstet meiner Seele Seligkeit!

(Fußnote 9)

…………………….

Fußnote 1:
Zum Friedensbund Deutscher Katholiken, siehe „Hermes Handlexikon: Die Friedensbewegung“ ECON Verlag, 1983, S. 141, Beitrag von D. Riesenberger.
Am 1.7.1933 wurde der „Friedensbund Deutscher Katholiken“ (FDK) von den Nazis verboten, führende Mitglieder verhaftet oder hingerichtet wie Pfarrer Metzger. Im Jahr 1933 zählte der FDK noch 31.500 Mitglieder. In dem Beitrag von Prof. Dieter Riesenberger heißt es weiter: „Nach 1945 unternahmen F.M. Stratmann und andere führende Mitglied des FDK den Versuch einer Neugründung. Die ablehnende Haltung gegenüber der Aufrüstung der Bundesrepublik führte zu heftigen Angriffen gegen den FDK, so daß er sich unter starkem kirchlichen und politischen Druck im April 1951 auflöste“.

Fußnote 2:
Georg Denzler, „Die Kirchen im Dritten Reich“, Band I, Fischer Taschenbuch Verlag, 1984, S. 181.

Fußnote 3:
Das von Max Josef Metzger 1925 gegründete „Christ-König-Institut“ in Meitingen bei Augsburg: Siehe: http://saekularinstitute.de/saekularinstitute/christkoenigs-institut-meitingen

Fußnote 4:
Quelle: https://www.juraforum.de/lexikon/max-josef-metzger
Und: http://www.zerstoerte-vielfalt-humanismus.de/index.html

Fußnote 5:
Die Schwedin Dagmar Ingart, 1896 geboren, war in Deutschland in christlichen Krisen aktiv und seit 1941 Gestapo – Agentin, eine von der ganz üblen Sorte. Nach dem Krieg aus Schweden nach Deutschland ausgewiesen, wurde sie nach mehreren gerichtlichen Verfahren am 14. Juni 1957 unter Aussetzung des Straf-Restes zur Bewährung entlassen. Sie zog zunächst nach Zwingenberg, Bergstraße und und 1960 nach Bensheim. Sie starb am 30. August 1980, 84-jährig, in Seeheim – Jugenheim.

Fußnote 6:
Max Josef Metzger, „Für Frieden und Einheit. Briefe aus der Gefangenschaft“. Kyrios Verlag, 3. Aufl. 1964. Seite 93-94!

Fußnote 7
: wie Fußnote 2, dort S.184 f.

Fußnote 8:
 Armin Heim, Wolfgang Proske und Helmut Weißhaupt nehmen Stellung zur aktuellen Diskussion um Erzbischof Conrad Gröber. Schwäbische Zeitung, veröffentlicht: 28.04.2017.

Fußnote 9:
Zit. in: Georg Denzler, „Widerstand oder Anpassung. Katholische Kirche und Drittes Reich“, Serie Piper, München, 1984, S. 122.

Fußnote 10:

Max Josef Metzger, „Für Frieden und Einheit. Briefe aus der Gefangenschaft“. Kyrios Verlag, 3. Aufl. 1964. Seite 148- 149. Leider ist dieses Buch nur noch antiquarisch zu haben. Fpr mich völlig unverständlich!

……………….

Das „Konradsblatt“, die Zeitung des Erzbistums Freiburg, veröffentlichte mehrere Beiträge über Max Josef Metzger, etwa: LINK

Und jetzt (5.11.2024) veröffentlicht das „Konradsblatt“ aus Anlaß der Seligsprechung am 17.11.2024 ein interessantes Sonder – Heft mit vielen Fotos und Dokumenten über Max Josef Metzger. LINK

Allerdings: Das Thema „Metzger und sein Freiburger Erzbischof Conrad Gröber“ wird darin nicht dokumentiert und kritisch bewertet. Erzbischof Gröber ist wohl immer noch ein Problem für Katholiken im Bistum Freiburg.
Auch Metzgers Hochschätzung des Kommunisten und Freidenkers Max Sievers wird in dem umfangreichen Sonderheft nicht erwähnt. Das wäre doch mal ein Hinweis zum Thema “Dialog Katholiken und Atheisten”! Dieser Verzicht ist zudem bedauerlich, weil Sievers für die Feuerbestattung eintrat, was Katholiken damals verabscheuten. Aber mit dem 2. Vatikanischen Konzil wurde die Feuerbestattung auch Katholiken – halbherzig – erlaubt. Für Priester immer noch ein Tabu. Ausnahmen: Der niederländische Priester Herman Verbeek ließ die Asche seines Körpers über der See ausschütten; der katholische Bischof Jacques Gaillot, Frankreich, bestimmte, dass seine Asche über einem Armenfriedhof bei Paris ausgestreut wird…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Die Hedwigskathedrale wird neu eröffnet

Die Toleranz eines Kirchenkritikers: König Friedrich II. fördert den Bau einer katholischen Kirche in Berlin.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 7. 11.2024

Das Bild zeigt die Katholische St. Hedwigskathedrale zu Berlin im Jahr 1777, als Johann Georg Rosenberg (1739 – 1806) diese Radierung schuf: Gesehen von der Französischen Straße aus. Der Preußenkönig Friedrich II. ist der Initiator dieser ersten katholischen Kirche seit der Reformation; Friedrich II. war bekanntlich ein heftiger kirchenkritischer und religionskritischer Geist; aber er von der Philosophie der Aufklärung (Voltaire war sein liebster Brief – und Gesprächspartner) bestimmt und deswegen der Toleranz auch gegenüber den Kirchen verpflichtet. Ein Freigeist also hat den Bau dieser St. Hedwigskirche im Zentrum des damaligen (und heutigen) Berlin ermöglicht,  er hat den Bau ausdrücklich gewünscht und gefördert. Wer diese Kirche heute sieht und besucht, sollte wissen: Dieses “Gotteshaus” ist ein Ausdruck aufklärerischer und kirchenkritischer Philosophie. Wer dort predigt, könnte doch bei aller Bibeltreue und üblicher Dogmenbindung den Geist der philosophischen Aufklärung respektieren und … verkünden! Es ist der Geist der Menschenrechte, selbstverständlich auch IN der Kirche geltend!

1.

“In seiner Großzügigkeit ging Friedrich II.  der Große über die von seinem Vater den Katholiken gewährte Duldung weit hinaus und gab ihnen zusätzlich auch noch die staatsrechtlich verbindliche Zusage der freien Religionsausübung. Sein Beispiel hat wie ein Erdrutsch gewirkt und dazu beigetragen, die konfessionellen Gegensätze zu entschärfen und echte Toleranz anzubahnen”, so der Historiker Josef Mörsdorf in “Kirchliches Leben im alten Berlin”, erschienen im katholischen Morus – Verlag, Berlin 1962, s. 136 f..

Und man wird erneut dokumentieren müssen, wie viele der katholischen Könige und Fürsten in den katholischen Stammländern Spanien, Frankreich, Österreich oder im Papsttstaat Vatikan usw. zu Zeiten Friedrichs II. in ihren Ländern den Bau protestantischer Kirchen erlaubten und sogar förderten. Da sieht die Antwort ziemlich düster aus…Das heißt: Auch wenn Friedrich II. innenpolitische, strategische Überlegungen für den Bau der katholischen St. Hedwogskirche hatte: Er hat in dem Fall einem philosophischen Aufklärer entsprechend gehandelt, was die Herrscher der genannten katholischen Ländern in ihrer Bindung an katholische Dogmen eben nicht taten…Über Friedrich II. als Religionsphilosoph siehe LINK.

2.

Die St. Hedwigskathedrale wird nach einem umfassenden Umbau am 24. November 2024 erneut eingeweiht. Es gab zuvor aussichtslose Debatten über den Sinn dieses Umbaus LINK, die Debatten wollen wir hier nicht wiederholen. Der Klerus hat sich durchgesetzt, wie immer.

Ergänzung am 24.11.2024 nach der Eröffnung: Soweit ich sehe, wurde von den Einweihenden wie den prominenten Gruß-Wort-Rednern mit keiner Silbe erwähnt, dass dieses “Gotteshaus” ein sehr heftig kirchenkritischer, aber toleranter König ermöglicht hat, König Friedrich II. Hätte doch gut gepasst bei der von Erzbischof Koch beschworenen “Offenheit der Kathedrale für alle…” Warum können Katholiken in Berlin nicht auch mal offiziell und offen dankbar sein für tolerante Taten kirchenkritischer Menschen?…

Die ursprünglich veranschlagten Umbau – Kosten von 43 Millionen Euro konnten nach Angaben des Erzbistums Berlin gehalten werden – nicht zuletzt durch eine Reduzierung der Planung. LINK.

Auf diese hohen Kosten (an denen sich selbstverständlich auch der Staat beteiligte !, es gilt ja die Trennung von Kirche und Staat ?) hinzuweisen ist deswegen wichtig, weil im allgemeinen die Kleriker über knappe finanzielle Mittel der katholischen Kirche in Berlin – wie in Deutschland im ganzen – klagen, wegen der vielen tausend Kirchenaustritte.

Bekanntlich werden bereits katholische Kirchen in Berliner Bezirken und im Land Brandenburg geschlossen, verkauft und abgerissen. Der Klerus mutet den verblieben (vor allem älteren) Katholiken lange Wege zu, um noch eine Messfeier zu erleben.

Die Fixierung der Kirchenleitung auf ein zentrales, repräsentatives und touristisch attraktives und teures Gebäude bleibt also erstaunlich. Diese attraktive Präsenz im Herzen der touristischen Zone „Unter den Linden“ ist also wichtiger als Präsenz zu erhalten zugunsten der kleinen Gemeinden.
LINK

3.

In Berlin lebten 2023 – laut Information des Erzbischöflichen Ordinariates vom 24.6.2024 – 275.399 Katholiken; 31.000 weniger als im Jahr 2020. An der Sonntags-Messe nahmen in Berlin 2023 noch 27.814 Personen teil. Diffenzierte Angaben zum Alter der Teilnehmer an der Messe werden nicht gemacht, ebenfalls fehlen Zahlen über die Internationalität der katholischen Mess-Teilnehmer.  Ihr Anteil dürfte beträchtlich sein.

4.

Besucher können überrascht sein: Es sind Stühle, keine Bänke, als Sitzgelegenheiten in der Kathedrale vorgesehen, großartig ! Wenn dann mal nicht konservative Katholiken sich wie immer erregen: „Das ist ja protestantisch…“
Aber der Altar in der umgestalteten Kathedrale steht absolut in der Mitte, auf ihn fällt von oben das Licht (Gottes bzw. das der Aufklärung Friedrich II. „siècle des lumières“ ?).
Diese herausragende Stellung des Altars, an dem die Priester zelebrieren, ist Ausdruck der katholischen Dogmen: Der Priester steht entscheidend immer im Mittelpunkt, nur er feiert das Wichtigste der katholischen Lehre, die Eucharistie. Darum gilt er als unersetzbar und am wichtigsten! Warum? Weil Christus das angeblich so gewollt hat… behauptet eine fundamentalistische Bibel-Auslegung bis heute, trotz theologisch – wissenschaftlich ganz anderer Argumente. Aber die zählen nicht im Vatikan.

5. ERGÄNZUNG zum Umbau des benachbarten HAUSES, “Bernhard Lichtenberg Haus” genannt, der Umbau/Neubau wird teurer als geplant:

“Für Sanierung und Teilumbau des Bernhard-Lichtenberg-Hauses waren damals insgesamt 17 Millionen Euro vorgesehen. Im Lichtenberg-Haus sollen laut ursprünglicher Planung künftig ein “Wissenschaftszentrum” zum Dialog über ethische oder interreligiöse Fragen, ein niedrigschwelliges Caritasangebot sowie der Dienstsitz des Erzbischofs untergebracht werden. “Für dieses Projekt waren zu Beginn 17 Millionen Euro veranschlagt worden, inzwischen rechnet das Erzbistum jedoch mit nahezu verdoppelten Kosten von 33,8 Millionen Euro – für die das Hauptstadtbistum zudem allein aufkommen muss”. LINK  am 22.11.2024.

Die prognostizierten Gesamtkosten für beide Teilprojekte belaufen sich damit auf 78 Millionen Euro. Zur Finanzierung gibt es staatliche Zuschüsse: Zwölf Millionen Euro vom Bund und acht Millionen Euro vom Land Berlin. Ferner geben die deutschen Bistümer zehn Millionen Euro dazu. Laut Erzbistum konnte eine ursprünglich erhoffte zusätzliche Unterstützung in Höhe von weiteren zehn Millionen Euro durch einzelne Bistümer “nicht realisiert werden”. Ferner seien aus ganz Deutschland rund 600.000 Euro Spenden eingegangen.” Kath.de am 13.11.2024.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer-Salon.de

 

Erich Klausener ist kein Märtyrer. Er war doch nur „kerndeutsch“ und „loyal“….

Wie Katholiken sich heute einen Nazifeind herbei phantasieren und einen „seligen Blutzeugen“ konstruieren.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 10.9.2024

Ein Vorwort:
Hier wird berichtet, wie Katholiken heute einen Nazigegner konstruieren und ihn zum „seligen Blutzeugen“, also Märtyrer im Nazi- Staat, aufbauen wollen. Ein Beispiel dafür, wie katholische Spiritualität ohne Respekt vor historischen Fakten auszukommen meint. Und das ist ein Thema der Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie. Sie befasst sich auch mit dem Zustand der real existierenden Kirchen heute.

Heilige und Selige werden “gemacht” von der Kirche, siehe dazu auch den Hinweis auf den im allgemeinen Scharlatan genannten “heiligen” Pater Pio (Nr. 24), der mit seinen “Wundmalen” sehr viel Geld einspielte…Und in einem gläsernen Sarg bis jetzt be – wundert werden kann.

1.
Die rechtsextremen Parteien in Deutschland (vor allem die AFD) finden immer mehr Zustimmung. In dieser Situation fühlen sich Katholiken in Berlin ermuntert, einen katholischen „Märtyrer“ im Widerstand gegen die Nazis als Vorbild zu etablieren. Die Devise ist wohl: Wenn es bis jetzt keine prominenten Katholiken als öffentliche Widerstandskämpfer gegen heutige Nazis gibt, dann soll wenigstens in der Vergangenheit ein katholischer Nazi – Widerstandskämpfer aufgebaut und propagiert werden.

2.
Als katholische Ausnahmegestalt im Berlin der dreißiger Jahre wird Dr. Erich Klausener hervorgehoben. In katholischen Publikationen wurde er schon etwa seit 1960 immer wieder gerühmt. Deswegen wurden auch Schulen und Straßen nach ihm benannt. Jetzt also ein neue Welle der Klausener – Begeisterung, weil es einen (gar nicht „runden“) Gedenktag gibt: Vor 90 Jahren, am 30.Juni 1934, wurde Erich Klausner von den Nazis in Berlin erschossen. Er war der Führer der katholischen Laienbewegungen in Berlin, war Mitglied der Zentrumspartei und hoher Beamter in Berliner Ministerien auch noch nach der „Machtergreifung“ Hitlers.

3.
Theologisch konservative, aber einflußreiche Klausener – Verehrer wünschen und beten (in eigens erstellten Gebetsheftchen, den „Novenen“) jetzt dringend, dass ihr Vorbild vom Papst selig gesprochen wird. „Selige“ befinden sich nach katholischer Lehre in der himmlischen Welt auf der Vorstufe zur Heiligkeit. Sie dürfen aber schon im Gebet um Hilfe und Beistand ersucht werden. Die Berliner wollen und sollen wohl alsbald beten: „Seliger Märtyrer Erich Klausener stärke uns im Kampf gegen die AFD“.

4.
Die heutigen Klausener Fans verlangen die historische Deutungshoheit über diese Person, mit allem Nachdruck und übereinstimmend wird Erich Klausener zum Blutzeugen, also zum Märtyrer, aufgebaut. Dieses Verhalten kann schlicht nur ignorant genannt werden. Mit einiger Recherche hätten die Klausener – Fans wissen können, was schon vor 10 Jahren der Soziologe Prof. Ekkehard Klausa in der Wochenzeitung „Die Zeit“ über den angeblichen „Widerständler“ Erich Klausener mitteilte: „Klausener hat die teuflischen Nazimächte nicht bekämpft. Er hat sie verkannt“, das steht in „DIE ZEIT“ vom 18.Juni 2014, Seite 17. Der wissenschaftliche Beitrag hat den auf Klausener bezogenen Titel „Er lobte seine Mörder“.

5.
Aber über wissenschaftliche historische Fakten setzt sich auch der päpstliche Nuntius in Berlin hinweg. Der Botschafter des Heiligen Stuhls in Berlin, Erzbischof Nikola Eterovic, nannte Klausener am 30.6.2024, „den ersten Berliner Blutzeugen“. Das katholische Kölner DOM Radio berichtet am 30. 6.2024: „Der Apostolische Nuntius in Deutschland, Erzbischof Nikola Eterovic, hat den Politiker Erich Klausener (1885-1934) als katholischen NS-Widerstandskämpfer gewürdigt. Der päpstliche Nuntius Eterovic hofft, dass das Zeugnis des ´ersten Berliner Blutzeugen`, also Klausener, dem aktuellen Mangel an Glaube abhelfen möge“. LINK
Auch der Weihbischof von Münster, Rolf Lohmann, betonte im Juni 2034 in Recklinghausen, wo Klausener als junger Mann auch wirkte: „Seine Überzeugungen haben Erich Klausener zum Märtyrer, zum Zeugen gemacht und uns Heutigen zum Vorbild“. LINK

6.
Über die Lebensgeschichte Erich Klauseners kann man sich leicht im Internet, etwa bei Wikipedia, informieren: Hier nur so viel: 1885 in Düsseldorf geboren, kam er als Jurist 1924 endgültig nach Berlin und arbeitete zunächst als leitender Beamter im Innenministerium (für die Polizei zuständig); wegen seiner führenden Rolle auch in der zahlenmäßig starken katholischen Laienbewegung wurde er aber von der Nazi – Regierung degradiert .. und 1933 ins Verkehrsministerium versetzt. Dort war Klausener für Schifffahrt zuständig. Göhring und Himmler hielten die katholischen Laienbewegungen für gefährlich und sie identifizierten ihren Mitarbeiter in den Ministerien, Dr. Erich Klausener, mit diesen – angeblich – oppositionellen Organisationen katholischer Laien. Professor Ekkehard Klausa schreibt: „Bis zu seinem Tod fand Klausener allenfalls zu partieller Opposition gegen das Regime, indem er etwa dem Verbot katholischer Arbeitervereine und Presseorgane widersprach. Für Göring jedoch war Klausener trotz seiner loyalen Haltung den Nazis gegenüber ein Exponent des verhassten politischen Katholizismus“, so in dem genannten Aufsatz in „DIE ZEIT“.

7.
Es ist wichtig, zwei Ereignisse im Jahr 1934 zu beachten:
Am 24. Juni 1934 fand der 32. „Märkische Katholikentag“ in Hoppegarten, nahe bei Berlin, statt. Katholische Massenveranstaltungen als Ausdruck machtvoller katholischer Präsenz in der Gesellschaft organisierte Klausener mit großer Leidenschaft, „Märkische Katholikentage“ hatte er schon zuvor organisiert.
In der Veranstaltung am 24. Juni mit 50.000 Teilnehmern in Hoppegarten war Klausener als Vorgetragener gar nicht vorgesehen. Er ergriff aber spontan zum Schluss doch das Wort und hielt eine kurze Rede. Der genaue Wortlaut allerdings ist nicht überliefert.

8.
Einige zentrale Aussagen nennt der katholische Journalist Ulrich Schoe, es sind Aussagen, die von Teilnehmern überliefert und dann zusammengetragen wurden.  Klausener empfahl demnach den Katholiken, „stolz auf den Glauben zu sein“, „frohe Katholiken zu sein“. Die wahrscheinlich letzen Worte dieser spontanen Rede sollen gewesen sein: „Treu stehe der Katholik zu Volk und Vaterland, auch sein Singen und Beten sei dem Vaterland geweiht“… (S. 49). Wichtig ist der Hinweis: „Von der Veranstaltung in Hoppegarten sandten der damalige Bischof Bares UND Erich Klausener ein Telegramm an Reichskanzler Adolf Hitler mit dem Inhalt: „50.000 Katholiken des Bistums Berlin verbinden mit dem Bekenntnis ihres Glaubens das feierliche Gelöbnis treuester Arbeit für Volk und Vaterland“. Katholiken Berlins gelobten, bevormundet von Bischof und Klausener, also Adolf Hitler „treueste Arbeit für Volk und Vaterland“ (S. 50). Die entscheidende Frage ist: Warum wurde dann der Autor eines solchen Treue-Gelöbnisses gegenüber dem „Führer“ ein paar Tage später erschossen? Er war doch zuvor schon als „loyaler katholischer Beamte“ den Nazi – Chefs bekannt!

9.
Am 30. Juni 1934 wird Klausener in seinem Büro im Verkehrsministerium auf Befehl des damaligen Chefs der Gestapo, des SS – Führers Reinhard Heydrich, von dem SS – Mitglied Kurt Gildisch erschossen. Dieses Verbrechen wird von den Nazis sofort als Selbstmord Klauseners umgedeutet und öffentlich so propagiert. Die Katholiken hingegen betonen: Der streng gläubige Katholik Klausener habe niemals einen Selbstmord, eine schwere Sünde in der katholischen Moral, begehen können. Sie protestieren dagegen, dass Klausners Leiche den Verwandten und dem Bischof nicht zugänglich wurde, dass er von den Nazis in aller Eile eingeäschert wurde…

10.
Natürlich, es wurde die einzelne Person, dieser Erich Klausener, ermordet. Aber er stand in der Sicht der Nazis sozusagen als Symbol für die als politisch aufmüpfig geltende katholische Laien – Bewegung.
Darum geht es: Erich Klausener wurde „nur“ als Symbol-Figur des – in der Sicht der Nazis – kritischen Laien – Katholizismus erschossen, sie wussten ja: Politisch war Klausener eine „urdeutsche, loyale“ Person.
Erich Klausener war also kein Widerstandskämpfer, das wussten selbst die Nazis. Es ist also problematisch, dass aus dieser Gestalt dann ein Erich Klausener als seliger schon Märtyrer gegen das Nazi – Regime gemacht wird.

11.
Diese Tatsachen werden jetzt katholischerseits verschwiegen: Kurz vor seiner Rede auf dem Katholikentag in Hoppegarten am 24. Juni 1934 lobte Klausner noch im Mai 1934 in kleinem Kreis die Nazi – Herrscher. Dies berichtet der Soziologe Ekkehard Klausa, in seiner Studie für “DIE ZEIT“. Zu diesem kleinen privaten Gesprächskreis gehörte auch Domvikar Walter Adolph, ihn zitiert Ekkehard Klausa: „Erich Klausner brach noch im Mai 1934 eine Lanze nach der anderen für das Dritte Reich. In seinem Eifer und seiner Hingabe, mit der er die Sache des nationalsozialistischen Regimes verteidigte, übersah er völlig, wie der Bischof Bares immer schweigsamer wurde und Klausners Lobeshymnen wie bittere Pillen schluckte.“ Bares hatte wohl keinen Mut, gegen den Nazi – Versteher Klausener aufzubegehren…

12.
Es ist also offenbar NICHT so, wie katholischerseits jetzt gern behauptet wird, als habe sich Klausener ab 1933 bis zu seinem Tod am 30.Juni 1934 zu einem deutlichen Nazi – Kritiker entwickelt. Das ist fromme Phantasie, bestimmte Katholiken wollen jetzt unbedingt ihren Nazi – Märtyrer“!
Ulrich Schoe bietet in seinem Beitrag über Erich Klausener (in: „Miterbauer des Bistums Berlin“, Berlin 1979, S. 54) eine Art Zusammenfassung der politischen Haltung Erich Klauseners: Der Text musste moderat ausfallen, es war ja schließlich ein Buch zu Ehren des Helden Klausener… Klauseners Haltung „gipfelte zweifellos in der anfänglichen Verkennung des Satanischen, das sich in der Person Hitlers und seines nationalsozialistischen Staatsaufbaus verkörperte. Klausener irrte im Ausdeuten der Zeichen der unter dem Nationalsozialismus angebrochenen Zeit, da er voller Hoffnung war, dass das Dritte Reich und die katholische Kirche sich auf friedlichem Wege zu einer Konkordanz finden werden. (S. 54).

13.
Ulrich Schoe ist also schon 1979 deutlich: Klausener irrte, er unterschätzte das Nazis-Regime..„Diese vertrauensvolle Gutgläubigkeit (gegenüber den Nazis) mag Klausener letztlich das Leben gekostet haben“ (ebd). Sollte man „gutgläubig“ mit naiv übersetzen? Als „Kerndeutscher“ , so Schoe, war Erich Klausener jedenfalls „kein Widerstandskämpfer in dem Sinne, dass er im aktiven Widerstand gegen Hitler gestanden habe“ (S. 50). Es war vielleicht eine Art Überheblichkeit, wenn Erich Klausener darauf setzte, dass er allein „den Reichtum und die Tiefe der katholischen Welt in den neuen NS Staat einbauen könne und diesem NS Staat zu einer positiv-christlichen Zielsetzung“ verhelfe (S. 47). Ein einzelner Katholik will die Ideologie „positiv – christlich“ korrigieren…Das darf man auch gut-gläubig nennen, wahrscheinlich dsann doch  naiv, vielleicht überheblich.

14.
Hedwig, die Ehefrau Klauseners, schreibt am 21.Juli 1934, nur drei Wochen nach dem Mord durch die Nazis, an den „Sehr geehrteren Herrn Reichskanzler Hitler“ zur Verteidigung ihres Mannes: Er habe „als Beamter mit heißer Vaterlandsliebe und ganzer Treue dem Staate und seinem Führer (sic) gedient“. Ein hilfloser Versuch, den Nazi – Mördern zu widersprechen, ihr Mann, sei ein Feind der neuen Regierung (Hitlers) und ein Hochverräter gewesen. (Quelle. „Miterbauer des Bistums Berlin“, Berlin 1979, S. 51).

15.
Wichtig ist, dass in der mir bekannten Literatur keine ausführliche Äußerung Klauseners, etwa seit 1930, zugunsten der bedrohten und verfolgten Juden überliefert ist. Über Juden sagt Klausener offenbar kein Wort der Hilfsbereitschaft und Nähe. „Privat geäußerte Kritik an den Konzentrationslagern oder an dem Judenboykott ist von Klausener nicht überliefert“, schreibt Ekkehard Klause in DIE ZEIT. Im Gegenteil, Klausener sieht sich in seinem Kampf gegen die in seiner Sicht sexuelle Freizügigkeit, auch in der Darstellung der Presse, von Hitler bestätigt. Mit ihm sieht Klausener sich eins im Kampf gegen den exzessiven Liberalismus. Weil nun Liberalismus auch von einigen Juden vertreten wurde, vermutet Ekkehard Klausa, gebe es bei Erich Klausener eine Art von „kulturellem Antisemitismus“ (siehe DIE ZEIT).
Was mussten maßgebliche Staatsbeamte – wie Erich Klausener – von den schon zu seiner Lebenszeit bestehenden KZs? Vor den Toren Berlins wurde schon am 21. März 1933 in Oranienburg das erste Konzentrationslager in der Region Brandenburg errichtet, zuvor waren schon in Nohra bei Weimar und in Dachau Konzentrationslager errichtet worden… Wie überflüssig und devot musste ein Klausener sein, als er Ende März 1933 nach dem Austritt Hitlers aus dem Völkerbund dem Führer ein Grußtelegramm schickte:“ In den Schicksalsstunden der Nation treten Katholiken des Bistums Berlin in unerschütterlicher Liebe zu Volk und Vaterland geschlossen hinter den Führer und Kanzler in seinem kämpf um Gleichberechtigung und Ehre der Nation“ (Zit. Ekkehard Klausa, DIE ZEIT.) Spricht so ein Katholik, der Blutzeuge und Märtyrer werden will?

16.
Klausener lebte in einer Welt voller Feinde, noch bevor die Nazis in sein Blickfeld rückten. Es waren die Liberalen, die sexuell Freizügigen, die Sozialisten, die Kommunisten, die Atheisten, die Freidenker, von seiner Haltung zu den ja manchmal ebenfalls liberalen Protestanten ist mir nichts überliefert. Klausener lebte also in einer Stadt Berlin, deren Menschen er mehrheitlich als seine Feinde ansehen musste. Allein die Nazis, milde von ihm interpretiert, entsprachen seinen Vorstellungen von Ordnung, Familie,Moral, Gottes – Glaube usw.

17.
Die anti-liberaleHaltung verband ihn mit der Ideologie der Nazis. Die Verbundenheit von katholischer Kirchen(Führung) mit rechtsextremen Ideologien und Herrschern ist bekannt, man denke an die Nähe von Kirche und Franco – Regime in Spanien, an die Nähe vieler führender Katholiken zu Mussolini, an die Jubeltöne vieler Bischöfe und Priester zugunsten des Maréchal Pétain in Frankreich und so weiter und so weiter.

18.
Es gibt sicher auch aktuelle politische Gründe, wenn jetzt Katholiken im Osten Deutschlands, also auch im Erzbistum Berlin, sich so deutlich für Erich Klausener stark machen: Er wird als Vorbild hingestellt offenbar für alle Wähler aktueller rechtsextremer Parteien: Ihnen wird gepredigt: Klausener sei zwar auch „zuerst“ nazifreundlich gewesen, irgendwann, wann genau wird katholischer nicht belegt, offenbar ab 1933/34, habe er sich von seinen Nazi – Sympathien getrennt, und sei zum Märtyrer geworden. Auch der Berliner Erzbischof Heiner Koch schließt sich dieser Meinung wider alle Fakten an, in seiner Radio – Predigt zu Klausener am 29.6. 2024 sagte er: “Für mich ist Erich Klausener heute noch aktuell, gerade weil er sich selbst korrigieren konnte. Er hatte verstanden, dass seine anfängliche Hoffnung, mit den Nationalsozialisten zu einer Einigung und Verständigung zu kommen, ein Irrtum war. Und er hat die richtigen Konsequenzen gezogen. Fehler eingestehen und mit aller Entschiedenheit korrigieren, das ist eine Qualität, die heute mindestens genauso wichtig ist wie vor 90 Jahren.“ Diese Worte sind bestenfalls „gut gemeint“, haben aber mit Erich Klauseners durchgängiger Bindung an Elemente der Nazi – Ideologie nicht viel zu tun. Eine spirituelle, aber kontra-faktische Predigt von Erzbischof Koch also. LINK

19.
Es finden jetzt (Sommer 2024) offiziell – katholisch bestimmte Erich Klausener Gedächtnisfeiern statt. Am 27.September 2024 etwa wird im „Klausener – Saal“ (sic) des „Bundesministeriums für Digitales und Verkehr“ eine Gedenkfeier stattfinden. Der bekannte „Auto – Freund“, der FDP – Minister Volker Wissing, wird in ökumenischem Geist (Wissing nennt sich evangelischer Christ) ein Grußwort halten.
Den Festvortrag „Klausener – Katholizismus zwischen Demokratie und Diktatur“ hält der Katholische Priester und Historiker Professor Stefan Samerski: Er lehrt u.a am Priesterseminar in Berlin – Biesdorf, das von der ultrakonservativen Bewegung „Neokatechumenaler Weg“ betrieben wird. Samerski ist auch eng verbunden mit dem „Militärischen und Hospitalischen Orden des hl. Lazarus in Jerusalem“, er ist außerdem Kaplan („Capellan de merito“) des „Religiösen und Militärischen Konstantinischen Ordens vom Hl Georg mit Sitz in Madrid“. Beide Orden sind nicht gerade als Orte eines progressiven Katholizismus bekannt. Siehe die “sudetendeutsche Akademie”, gelesen am 10.9.2024. LINK:
Auf die weitere Mitgliedschaft Samerskis im „Askanischen Hausorden Albrecht der Bär“ soll nur hingewiesen werden… Die „Sudetendeutsche Zeitung“ (mit den Sudetendeutschen ist Samerski eng verbunden) berichtete über das Priesterjubiläum Samerskis am 5. Juli 2024 in der ehemaligen Friedhofskirche St. Stephan, München- Isarvorstadt.

20.
Auch der junge Theologe Mike Schuster, Mitarbeiter im erzbischöflichen Ordinariat Berlin, hat sich mehrfach über Erich Klausener öffentlich geäußert, etwa auch in der katholischen Akademie Berlin… Mike Schuster betonte dort, das Zeugnis Erich Klauseners könne heute Mut schenken, es sei ein Aufruf zur Solidarität und Toleranz und so weiter und so weiter. Mike Schuster war führend engagiert in der konservativen Jugendbewegung zugunsten Papst Benedikts XVI., damals unter dem Titel „Generation Benedikt“ werbend tätig, jetzt tritt diese Papst – Fan -Bewegung unter dem Titel „Initiative Pontifex“ auf…Mike Schuster ist offensichtlich auch mit dem Neokatechumenat in Berlin-Biesdorf eng verbunden, er hat kürzlich mit dem neokatechumenalen Regens (Chef des Hauses dort), Pfarrer Marc Anton Hell, ein langes Interview über Männlichkeit geführt, die Leitidee des Neokatechumenalen -Theologen: „Gott ist Vater, also männlich, also orientieren sich Männer an Gott – Vater…“ Das Interview erschien im Pfarrnachrichtenblatt von St. Matthias, Nr.2, 2024, das muss hier erwähnt werden, weil ja die Öffentlichkeit sehr sehr selten theologische (!) Äußerungen des Neokatechumenats überhaupt einmal lesen kann. Auch das noch: Mike Schuster hat über die St. Matthias – Gemeinde und das Pfarrnachrichtenblatt eine theologische „Studienarbeit“ von 24 Seiten verfasst und publiziert, sie wurde angenommen von der Fern-Uni Hagen. LINK

21.
Schon am 24. 6. 2024 hatte der „Freundeskreis Dr. Erich Klausener“ zu einer Veranstaltung nach Hoppegarten eingeladen, dem Ort des Katholikentages 1934. Einer der Mitwirkenden, Dr. Johannes Bronisch, lässt es sich nicht nehmen, im „Pfarrnachrichtenblatt“ von St. Matthias Berlin – Schöneberg (Ausgabe Nr. 2/2024), wieder einmal Erich Klausener als „den ersten Blutzeugen des Bistum Berlin zu rühmen (S. 22) und zu behaupten „das stand allseits fest“… was  eine falsche Behauptung ist. Und weiter schreibt Bronisch:„ Niemand wird an Klausners Vorbildfunktion zweifeln und daran, dass die von ihm verkörperten Eigenschaften auch von dringender Notwendigkeit sind.“ (S. 23). Johannes Bronisch lässt es sich nicht nehmen, auch in diesem historischen Zusammenhang die progressiven Katholiken heute heftig fertigzumachen. Denn denen mangle es an der „ vollständigen und unverbrüchlichen Einheit mit Rom und der Lehre der Kirche“, und das gelte auch, so wörtlich, für die „offensichtlich große Mehrheit der auf dem synodalen Sonderweg wandelnden deutschen Oberhirten“ (S. 24). Da wird eine Kirchenspaltung beschworen! So viel Unverschämtheit gegenüber den Bischöfen hätte sich Erich Klausener nicht erlaubt! Aber Bronisch befindet sich in dieser Kritik in guter Gesellschaft mit Dr. theol. Josef Wieneke, dem leitenden Pfarrer der St. Matthias – Gemeinde (zu dieser Gemeinde „gehörte“ einst Familie Klausener). Auch der Pfarrer polemisiert immer wieder, so auch in dem Pfarrei – Blatt Nr. 2, 2024, S. 3), gegen den synodalen Weg. In dieser Katholischen Pfarrei St. Matthias herrscht seit Jahren das Neokatechumenat vor!

22.
Zusammenfassend:
Die Erinnerung an Erich Klausener wird jetzt von sehr konservativen katholischen Kreise dominiert und erforscht. Diese Kreise wollen auf ihre Art den Ton angeben. Und einen Märtyrer und Blutzeugen konstruieren, entgegen allen Fakten. So ist unser Thema nur ein weiteres Beispiel dafür, dass der Trend des Katholizismus in Deutschland immer weiter nach rechts, ins Konservative, ins Erstarrte, Dogmatische, rutscht. Von daher hatte es auch Sinn für mich, meine Zeit diesem Thema zu widmen…

23.
Das wünschen sich einige: Viel sinnvoller wäre es, wenn das Erzbistum Berlin nicht dieser zwiespältigen Gestalt Erich Klausener so viel Energie, so viele Gottesdienste, Tagungen, Podiumsdiskussionen und damit so viel Geld etc. widmen würde: Viel dringender und intellektuell und politisch anspruchsvoller und weiterführender wäre die Erinnerung an den tatsächlichen (!!) Nazi – Widerstandskämpfer Pfarrer Max Josef Metzger, der immerhin von 1940 bis 1943 in Berlin – Wedding gelebt hat. Auch Metzger ist also ein Berliner, wenn er auch nur ein paar Jahre weniger als Klausener in Berlin lebte. Erich Klausener ist, nebenbei gesagt, auch kein „echter“ ? „Berliner“, wie gern behauptet wird, Klausener lebte (nur) 10 Jahre hier. Um so länger bestimmte dann in West – Berlin sein ebenfalls theologisch extrem konservativer Sohn, der überaus einflußreiche Prälat Erich Klausener jr, katholisches Überleben in Zeiten des reaktionär herrschenden Kardinals Alfred Bengsch (danach wurde das katholische Leben unter Erzbischof Joachim Meisner noch unangenehmer)… LINK.

1943 wurde Pfarrer Metzger wegen mutiger und deutlicher Kritik an den Nazis ins Gestapo – Gefängnis verbracht … und am 17.4.1944 hingerichtet.
Metzger ist als Priester eng mit seinem Heimatbistum aus dem Erzbistum Freiburg i.Br. verbunden, und sein Erz – Bischof Conrad Gröber stand dem von Nazis Verurteilten Metzger nicht effektiv bei (siehe dazu: „Die Kirchen im Dritten Reich“, Band 1, Fischer Taschenbuch, 1984, S. 184).
Am 17.11.2024 wird der Nazi – Gegner und tatsächliche Märtyrer Pfarrer Max Josef Metzger selig gesprochen, endlich muss man sagen, man darf gespannt sein, wie sich der heutige Erzbischof von seinem Bischofs- Vorgänger Gröber distanziert.

24.

Heilige und Selige werden von der Kirche “gemacht”, d.h auch: Sie werden konstruiert, in ihrer ungewöhnlichen, angeblich einmaligen heiligen Bedeutung erfunden. Dazu gibt es eine umfassende Studie unter dem Titel “La fabrication des saints”, erschienen in der vom französischen Staat finanzierten Reihe “Carnets du patrimoine éthnologique”, 1995, Paris, Directeur de la publication: Gérard Ermisse). In diesem Buch mit 14 Aufsätzen ist auch ein Beitrag über den berühmten heiligen Scharlatan Pater Pio in Italien. Der Titel “Contestation et fabrication d un culte. Le Cas de Padre Pio de Pietrelcina”  (Seite 91 – 102). Autor ist Christopher McKevitt, vom Department of Public Health Medicine, UMDS, London.

Der Autor der wichtigen und zentralen, leider in katholischen Kreisen wenig beachteten Studie über Erich Klausener in „DIE ZEIT“ ist der Soziologe und Jurist Ekkehard Klausa, er wurde 2014 als „ehrenamtlicher Mitarbeiter der Forschungsstelle Widerstandsgeschichte in Berlin“ vorgestellt.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Arm an Mitgliedern, reich an Immobilien: Die Kirchen, nicht nur in Berlin…

Die Finanzspekulationen der Kirchen heute: Immer noch ein Tabuthema.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 7.8.2024

Ergänzung am 24.8.2024: Eine wissenschaftliche Studie zeigt: 2,3 Prozent der Agrarfläche in Deutschland sind Eigentum der Kirchen, sie können durchaus Großgrundbesitzer genannt werden. LINK

Was die Kirchen in Deutschland an Immobilien und Boden als Eigentum haben, darüber wird jetzt intensiver geforscht. Das Thema ist wichtig, wenn man umfassend den tiefgreifenden religiösen Wandel in Deutschland, etwa auch in Berlin, verstehen will. Wir konzentrieren uns bei der Darstellung der Fakten und Beispiele vor allem auf die katholische Kirche besonders in der deutschen Hauptstadt.

1.
In Berlin lebten 2023 – laut Information des Erzbischöflichen Ordinariates vom 24.6.2024 – 275.399 Katholiken; 31.000 weniger als im Jahr 2020. An der Sonntags-Messe nahmen in Berlin 2023 noch 27.814 Personen teil. Die „Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz“ (EKBO) hatte Ende 2022 in der Hauptstadt 486.899 Mitglieder. Die Teilnahme am Gottesdienst wird – deutschlandweit – durchschnittlich mit etwa 3 Prozent angegeben, in manchen Bezirken Berlins werden es nach meinen Beobachtungen Gottesdienstteilnehmer  sehr viel weniger sein (wenn man von den überfüllten Gottesdienst an Heiligabend absieht).LINK

Jeder fünfte Berliner ist also Mitglied der beiden, einst groß genannten Kirchen. Berlin – ein christliche Stadt? War Berlin etwa früher, in der Weimarer Republik und danach, christlich? Sicher auch nicht, selbst wenn sich viel mehr Leute zu den Gottesdiensten in die großen Kirchen setzten.

2.
Das ist allgemein bekannt: Die Kirchen sind heute – nicht nur in Berlin, sondern in vielen Bundesländern – Organisationen von Minderheiten.
Die Kirchen sind, gegenüber früher, arm an Mitgliedern und TeilnehmerInnen an den Sonntagsgottesdiensten, reich aber an Immobilien und Eigentum an Boden und Gebäuden.

3.
Darüber versuchen jetzt einige Soziologen intensiver zu forschen, um Details zum Kircheneigentum freizulegen. Der TAGESSPIEGEL hat in seinem BERLIN -Teil am 2. August 2024 auf den Seiten B6 und B7 einige Erkenntnisse mitgeteilt, AutorInnen des Berichtes sind Katja Demirci und Nina Dreher. Sie weisen darauf hin, dass sich die entsprechenden Kirchen – Verwaltungen bei genaueren Nachfragen zum Thema sehr bedeckt halten und nicht allzu Konkretes in ihren Statements der Öffentlichkeit mitteilen wollen. Das Verhalten ist also nicht gerade kooperativ, Fachleute und Journalisten, die Fakten freilegen wollen, sind nicht besonders willkommen. Die Autorinnen fühlten sich in zutiefst bürokratische Verhältnisse versetzt, sie schreiben: „Antworten auf die Frage Baut die Kirche sozialen Wohnraum? – da wird bei beiden Kirchen(Behörden) auf einzelne Pfarreien verwiesen, die dann aber wiederum nicht frei sprechen kann, dürfen oder wollen“. Die AutorInnen schreiben weiter: „Jedes offizielle Statement wird intern intensiv abgesprochen, teilweise wochenlang“ (Seite B7 des „Tagesspiegel“ vom 2. 8.2024.

Die AutorInnen des Beitrags wissen natürlich, dass bei ständig sinkenden Mitgliederzahlen und damit auch wohl sinkenden Kirchensteuereinnahmen dieses Immobilien – und Boden – Eigentum den Kirchen als eine gute Vorsorge gilt für spätere, finanziell schlimmere Zeiten. Die dann noch verbliebenen Pfarrer und Prälaten müssen z.B. ihre beträchtlichen Gehälter noch weiter beziehen.
Andererseits wagen die AutorInnen am Ende die entscheidende sozialethische Frage angesichts Wohnungsnot, des Mangels an Mietswohnungen: „Wird auf den Berliner Kirchengrundstücken bezahlbarer Wohnraum gebaut? Oder wird der Profit im Vordergrund stehen?“ Mit dem Wort: „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, d.h. die Hoffnung auf ein sozialethisches Verkaufen der kirchlichen Eigentümer stirbt zuletzt. Nicht gerade ermunternd diese Worte, sie legen nahe: Die Kirche klammert sich wie jede andere Organisation in der kapitalistischen Welt ans Eigentum. Eigentum ist heilig, heißt es ja in der klassischen kirchlichen (und kapitalistischen) Ethik. Immerhin werden vielleicht einige Theologen außerhalb Berlins das Thema hoffentlich weiter vorantreiben, wie etwa der katholische Sozialethiker Prof. Martin Schneider in Eichstätt. Er plädiert sogar ausdrücklich „für eine innerkirchliche Bewegung, die sich der Immobilienfrage annimmt“ (Tagesspiegel, 2.8.2024, Seite B6)

4.
Einige Fakten:
„In Berlin lässt sich der kirchliche Bodenbesitz aus Liegenschaftsplänen berechnen: 1206 Hektar. Das sind 1,3 Prozent der Stadtfläche oder 3,4 mal so viel wie das Tempelhofer Feld,“ berichtet der „Tagesspiegel“. Den größten Teil dieser Liegenschaften machen landeskirchlich – evangelische und römisch katholische Grundstücke aus, heißt es dort. Und weiter: „Elf Prozent aller Kirchenflächen sind für Wohnhäuser vorgesehen – fast dreimal so viel Fläche wie der rund 50 Hektar große Park Hasenheide in Neukölln.“ Und dann: „Diese 139 Hektar Wohnbauflächen der Kirchen wären laut aktuellen Bodenrichtwerten rund 1,4 Milliarden Euro wert, wie aus den Berechnungen des Tagesspiegel Innovation Labs hervorgeht. Dafür haben wir die Berliner Bodenrichtwerte für Wohnraum ausgewertet. Besonders viele Flächen gibt es ausgerechnet in den von Wohnungsnot und Mietsteigerungen besonders betroffenen Bezirke: In Friedrichshain-Kreuzberg besitzt die Kirche mit 2,9 Prozent der Gesamtfläche anteilig am meisten Boden, in Mitte am zweitmeisten“, so die „Tagesspiegel“ – AutorInnen auf Seite B 6.
Wir ziehen eine Art Bilanz des ingesamt höchst anregenden Beitrags: „Aus den beiden großen Kirchen ist bezüglich am Gemeinwohl orientierter Planungen nichts Konkretes herauszubekommen. Protestantische wie katholische Verantwortliche für dieses Thema bleiben, so wörtlich, „vage“, sie „verweisen auf den langwierigen Prozess“ (B 7). Jedenfalls gibt es in den Kirchen eine weitgehende Tabuisierung des Themas Immobilienbesitz der Kirchen“ (B7). Und auch ein echter Skandal wird im Tagesspiegel mitgeteilt: Es geht bei der katholischen Kirche wirklich eher um materiellen Profit: Beispiel: Das bistumseigene Wohnprojekt „Petruswerk“ mit seinen 2.300 Wohnungen ging Anfang der 2000 Jahre „in den Besitz des Investors Douglas Fernando (Unternehmen: Avila Management & Consulting GmbH in Potsdam) über“. Und dann diese Information: Der Unternehmer Fernando vermietet sein neues Wohnprojekt in Neukölln „mindestens zehn Euro über dem Mietspiegel für vergleichbare Wohnungen“ (B 7, letzte Spalte). Und das ist ein weiterer Skandal: „Obwohl es damals in der katholischen Kirche Berlins offenbar Zweifel gab – woher kamen Fernandos Millionen ? – verkaufte das Erzbistum an den unbekannten Unternehmer Fernando“ (B 7).
Zum Unternehmer Douglas Fernando (er stammt aus Sri Lanka und ist Dr. theol. In katholischer Theologie, berichtet DIE WELT LINK
Diese Zeitung berichtet weiter: „Die Millionen für den Kauf (der Wohnungen des Petruswerkes) kamen von einer katholischen Hausbank in Essen. Eigentümer wurde die Firma Avila Management & Consulting GmbH, die neben Douglas Fernando zu je einem Drittel den Orden der unbeschuhten österreichischen und deutschen Karmeliter in Linz und München gehört“. Auch in Österreich ist Fernando aktiv, im Verbund mit den armen „Unbeschuhten Karmeliten“: LINK
Zur Karmel-Missionsstiftung: LINK

5.
Zu Gesamt-Deutschland:
„Neben den Kirchenbauten besitzen evangelische und katholische Kirche laut eines zwei jähre alten gemeinsamen Positionspapiers deutschlandweit 142.500 Gebäude!“ Der Religionsphilosophische Salon hat vor Jahren schon zu einem noch schwierigeren Thema recherchiert: 2015 wurde mein Beitrag in PUBLIK FORUM veröffentlicht: LINK :https://religionsphilosophischer-salon.de/6355_ordentliche-orden-neue-sehr-konservative-ordensgemeinschaften-im-katholizismus_religionskritik

Es geht um das absolute Tabuthema Eigentumsverhältnisse der sich arm nennenden katholischen Ordensgemeinschaften, von Frauen und Männern. Diese Orden betteln ja förmlich unter ihren Wohltätern um Geld, oft mit viel Erfolg, sie verschweigen aber, wie hoch ihre Gewinne sind aus dem Verkauf ihrer leerstehenden Klöster. Nur ein Beispiel: Wie viele tausend Euro hat etwa der Augustinerorden erhalten für den Verkauf seiner sehr schönen Klosteranlage im badischen Schloss Messelhausen im Jahr 2013? Das wird natürlich nicht verraten. (Quelle: LINK UND: LINK
Man soll wohl glauben, dass der Gewinn durch Verkauf nur für die Pflege der vielen alten und uralten Mönche und Nonnen verwendet wird? Die sterbenden Orden sorgen sich also nur um ihre Sterbenden? Die Orden mauern noch stärker, absolut möchte man sagen, wenn man es nur wagt, nach der Finanzlage einer Ordensprovinz etwa zu fragen.
Weitere Beispiele anstelle für viele andere: In Italien erlebt man etwa, dass Teile von bestens gelegenen Klöstern,. Jetzt mindestens halbleer wegen „Nachwuchsmangel“ in Luxus – Hotels umgebaut werden, so etwa das große Kloster-Hotel „Residenz Paolo VI“ des Augustinerordens unmittelbar in der Nähe der St. Peter Kathedrale, LINK
Erwähnt werden sollte auch das Luxus – Hotel, das die Augustiner von Prag in einem Teil ihres Klosters einrichteten. LINK

Lediglich von den Eigentumsverhältnissen einiger großer Abteien in Österreich waren damals für mich einige ganz kleine Informationen erreichbar, kurz beschrieben in dem PUBLIK – Forum Artikel aus dem Jahr 2015!

6.
Das ist klar: Die ohnehin schon reichen Kirchen und Klöster wollen mit dem Verkauf ihrer leerstehenden Häuser, Kirchen und Klöster noch mehr Geld für sich selbst ansammeln, wie viel und warum darf niemand wissen. Über die riesigen Eigentumsverhältnisse (Wohnungen!) Des Vatikans in ganz Rom, ist oft geschrieben worden, aber Genaues weiß man bis heute nicht aufgrund der absoluten Verschwiegenheit der Päpste und Prälaten. Immerhin haben sie irgendwie Armut als Ideal, aber diese gilt nur theoretisch, man denke an die Luxuswohnungen der Kardinäle im Vatikan.

7.
Als Berliner will ich doch noch an einige Verkäufe und Abrisse katholischer Gemäuer erinnern:
Die schöne Kirche St. Raphael in Gatow an der Havel wurde unter der Herrschaft von Kardinal Sterzinsky 2005 profaniert, danach vom neuen Eigentümer abgerissen. Wer seitdem als Katholik in dem seit Jahren schon expandierenden Gatow noch an einer Messe teilnehmen will, muss etliche Kilometer bis nach Kladow oder Spandau fahren, laufen, radeln. Für alte fromme Menschen äußerst „angenehm“. Seelsorge sieht anders aus.

Auch das Exerzitien- und Meditationshaus „Maria Frieden“ in Kladow, Lüdickeweg 5, wurde unter der Herrschaft von Kardinal Sterzinsky verkauft, viele Jahre lagen aufgrund eigener Beobachtungen Haus und Grundstück brach. Und es gibt noch einige spirituelle Menschen, die empfinden es als Schande, wie eine Kirche, die Seelsorge angeblich so wichtig nimmt, ausgerechnet dieses wunderbar an der Havel gelegene Meditationshaus verscherbeln konnte. Hätte nicht eine Gehaltskürzung der Prälaten und Pfarrer auf Dauer denselben Effekt gebracht? Aber daran denken diese Herren nicht.
Die Kirche „St. Albertus Magnus“ in Berlin wurde 2021 geschlossen und mit ihr gleich die ganze Gemeinde.., Sollen die Katholiken doch sehen, wo sie in weiter Entfernung noch Treffpunkte haben oder Gottesdienste feiern. An Alternativen wurde offenbar gar nicht erst gedacht, um wenigstens das Gemeindehaus als Treffpunkt zu erhalten, einige Laien hätten sich wohl gefunden, dieses Zentrum zu leiten…

8.
Man beachte: Alle Kirchenschließungen und Kirchenverkäufe oder Klosterverkäufe im katholischen Raum sind immer auch begründet durch den stetig zunehmenden Mangel an Priestern. Nur wenn diese Kleriker vorhanden sind, kann eine katholische Gemeinde – nach dem Kirchenrecht – überhaupt bestehen. Das war ja einst das Verbot der Basisgemeinden in Lateinamerika: Laien dürfen keine Eucharistie feiern, angeblich hat das Prophet Jesus so gewollt, behauptet der allmächtige Klerus allen ernstes bis heute. Wer wagt es, dies verrückte Theologie einen Wahn zu nennen? Luther ist lange tot….Jedenfalls: Nur der Priester darf und kann das angeblich wichtigste in der katholischen Glaubenslehre, nämlich die Eucharistie, feiern. Ist kein Priester da, fehlt der noch so kompetenten Laiengemeinde nach päpstlichem Verständnis eigentlich alles. Darum werden Priester aus aller Welt, aus Indien, Afrika, Philippinen etc. nach Deutschland als Gastarbeiter geholt, um die Lücken im vergreisten klerikalen Betrieb Deutschland (oder Frankreichs usw.) etwas zu füllen. Wie lange dieses misslingende Lückenstopfen geht, ist fraglich: Bald werden auch junge Inder und Philippinen merken, dass der Zölibat doch nicht so menschenfreundlich/männerfreundlich ist…

9.
Zurück nach Berlin: Heute hat die katholische Kirche in Berlin seltsamerweise „Man hat ja keine Geld“, heißt es, doch viele Millionen Euro zur Verfügung, um die St. Hedwigs-Kathedrale in Berlin – Mitte umzubauen, natürlich der Staat hilft kräftig, wir haben ja die offiziell geltende (Nicht-) Trennung von Kirche und Staat. Dieser riesige Umbau wurde von kompetenten Kritikern als sinnloser Eingriff natürlich vergeblich kritisiert, zudem wurde so eine beachtlich schöne Architektur zerstört. Nun steht nach der Renovierung der Altar “ENDLICH“ in der Mitte, weil eben der Priester, der Bischof zumal, nach katholischen Verständnis absolut in die Mitte gehört. Auf ihn sollen sich alle Blicke richten, auf ihn muss man in allem Glanz der Gewänder und Mitren etc., sehen und hören… Zu den Kosten des Umbaus berichtet das „Dom-Radio – Köln: „Weiterhin geht die Diözese von Gesamtkosten für die Sanierung der Kathedrale von rund 60 Millionen Euro aus.“ Zudem wird auch das benachbarte Bernhard Lichtenberg-Haus – wohl auch als Residenz der Herren Bischöfe – für etliche Millionen umgebaut.“  LINK

10.
Repräsentanz in der Mitte Berlins nahe der Oper und der Ministerien ist für Katholiken ganz wichtig. Auch wenn dieses Kirchen – Gebäude, von Friedrich II. einst entworfen, nur noch eine winziger werdende Minderheit beglückt.
Eine katholische Kirche ist nach offizieller Auffassung ein heiliger Tempel, ein „Gotteshaus“: Wer solche Gebäude schafft und restauriert, tut etwas für explizit religiöse Gefühle wahrscheinlich, aber nicht für die Kommunikation der unterschiedlichen Menschen im Sinne der Menschlichkeit Jesu von Nazareth.

11.
Also: Glanz und Gloria werden geschaffen als Illusion: Demnächst wird auch der neu gebaute „authentische“ Turm der evangelischen Garnison-Kirche in Potsdam eröffnet, am 22. August 2024 soll dies geschehen, der Ort des Hitler – Nazi-„Tages von Potsdam“ (21.3.1933) ist also fast original wieder da. So wie ja auch das Schloß der Preußen-Könige, dieser Kolonialherren und Kriegsherren, wieder fast original nachgebaut wurde…“Schöne“ veraltete Welt „Unter den Linden“…

12.
Die Einweihung des Turms der Garnisonkirche: Das überflüssige und hoch umstrittene, öffentlich bekämpfte Projekt wird u.a. von dem evangelischen Ex- Bischof Wolfgang Huber immer unterstützt. Die Initiative für den Wiederaufbau der Kirche ging nach dem Mauerfall von EX Bundeswehroffizier Max Klaar aus, einem Rechtsradikalen, wie die TAZ am 7..8.2024 Seite 2 schreibt. Auch die CDU Frau Gründers hatte sich für das Projekt stark gemacht. Die dort bald stattfinden sollende Friedensarbeit hätte die Kirche an jedem anderen bereits bestehenden Ort gestalten können, diese offizielle Begründung für den Sinn dieses Turms ist eine Farce. Dieses ganze Gerde ist „Versöhnungsrhetorik“ wie der Architekt Philipp Oswalt schon in PUBLIK Forum ausführlich darlegte. „Das Geld, das der Rechtsextremist Klaar für die Garnisonkirche gesammelt hatte, ist über Umwege doch in den Bau des Turms geflossen“, so Oswalt in TAZ, 7.8.2024 Seite 2. Und zu allem: Präsident Steinmeier hat die Schirmherrschaft für dieses verrückte Projekt übernommen….Der Geist soll sich noch rückwärts wenden, ist das die Botschaft dieses Garnison – Kirchen – Turmes???

13.
Dieser Neubau des Turms der Garnisonkirche passt aber sicher sehr „gut“ zu den hohen Wahlergebnissen der rechtsextremen Partei AFD bei den Wahlen in Brandenburg, Sachen und Thüringen wenige Wochen später, im September 2024. Man darf gespannt sein, wie es bei der Eröffnung des Turms der Garnisonkirche gelingt, begeisterte Rechtsextreme in freudigen Wut vom Gebäude fernzuhalten.

14.

Das ist zynisch: Vielleicht gibt es bald wieder einen neuen Tag von Potsdam, etwa mit dem rechtsextremen Herrn Höcke?
Dagegen müsste die Kirche alles tun, und nicht Türme eines widerlichen Nazi-Ortes wieder aufbauen! Gleichzeitig scheinen die Kirchen entschlossen zu sein, AFD – Mitglieder aus kirchlicher Verantwortung (Pfarramt, Gemeindekirchenrat etc.) auszuschließen. Aber das ist wohl nur Symbol – Politik! So kann man öffentlich gut demokratisch dastehen…und gleichzeitig sagen, wie die katholische Kirche ganz offiziell und lautstark: Die Kirche selbst sei selbstverständlich keine Demokratie! Warum? Weil der liebe Gott keine demokratische Kirche will, behaupten die Kleriker, denen eine demokratische Kirche gefährlich werden könnte. Siehe “Synodaler Weg” in Deutschland…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

Austritte aus der Katholischen Pfarrei St. Matthias in Berlin – Schöneberg: Ein Beispiel für religiösen Wandel in Deutschland.

Diese begrenzte, kleine Detailstudie ist wichtig zum Thema:
„Das – zahlenmäßige – Verschwinden der katholischen Kirche in Berlin”

Ein Hinweis von Christian Modehn.

Siehe auch den aktuellen Beitrag zum Thema, publiziert am 15.4.2024 LINK.

1. Das Gemeindeblatt dieser Pfarrei St. Matthias hat manchmal Statistiken veröffentlicht, auch zur Zahl der „Austritte“, wie es in den Heften im Amtsdeutsch heißt. „Austritte“ ist ein Begriff, der für Sachen gilt. Es wurden nicht Menschen befragt, warum sie denn austreten. Es wurde nicht mitgeteilt, wie es mit Altersstruktur der „Austritte“ bestellt ist.

2.  Ich wohne (mit meinem Freund und Partner) als Laien-Theologe der katholischen Theologie und theologisch – philosophischer Journalist seit 1989 im „Pfarrbezirk“. Im Jahr 2010 bin ich aus der katholischen Kirche ausgetreten und Mitglied einer protestantischen Kirche der Niederlande geworden.

3. In dieser seit langer Zeit von sehr konservativen Priestern geprägten Gemeinde sind seit vielen Jahren auch jüngere Priester des Neokatechumenats (aus Polen, Lateinametrika, Italien aber auch aus Deutschland) tätig. Sie haben in der Abgeschiedenheit des eigenen Priesterseminars „Redemptoris Mater“ in Berlin-Biesdorf studiert…Diese Neokatechumenalen gelten im theologischen Verständnis als Sondergruppe, manche sagen als machtvolle Sekte in der katholischen Kirche. Ohne neokatechumenale Priester gäbe es wohl kaum noch jüngere Priester im Erzbistum Berlin, und ohne indische und afrikanische Priester gäbe es sicher keine “klerikale Versorgung” der kleiner werdenden Gemeinden in Berlin wie überall in Westeuropa….LINK.

4. Ich vermute, dass viele Katholiken aus dieser Gemeinde ausgetreten sind, die der schwulen und lesbischen Community angehören. Sie haben in dem Kiez von Berlin-Schöneberg ihre Treffpunkte und wohnen auch oft in dieser Gegend. Eine besondere „pastorale Offenheit“ für Gays habe ich in der Pfarrei St. Matthias überhaupt niemals gesehen. “Sie lebt förmlich auf dem Mond”, sagte mir ein lateinamerikanischer Theologe einmal, was die völlig ignorierte „Inkulturation“ angeht. „Messe lesen“ ist die Hauptsache der drei jetzt verbliebenen Priester, sie müssen vier Schöneberger katholische Kirchen (einst „Pfarreien) mit ihren Messen versorgen. Im Eucharistiefeiern, im Messelesen, wertet sich der Klerus absolut auf … wird unersetzlich, weil ja die Messe als „das Höchste“ im Katholizismus von den Priestern propagiert wird.

5.
Die Statistik:
Die erste Statistik wurde im Gemeindeblatt im März 2013 veröffentlicht, auf S. 24:
Im Jahr 2009: 178 Austritte (bei 10.477 Gemeindemitgliedern)
Im Jahr 2010: 201 Austritte
Im Jahr 2011: 187 Austritte
Im Jahr 2012: 193 Austritte bei 9.704 Gemeindemitgliedern.
In dieser Zeit wurden insgesamt 26 „Wiederaufnahmen“ (einst „Ausgetretener“, die diese Wiederaufnahme oft aus beruflichen Gründen tun) registriert und 10 Konversionen zum Katholizismus.

Die zweite Statistik, mit einer gewissen zeitlichen Lücke, betrifft die Jahre 2017 bis 2022, veröffentlicht in “Pfarrnachrcihten” im Frühjahr 2023, S. 43.
Im Jahr 2017: 150 Austritte
Im Jahr 2018: 207 Austritte
Im Jahr 2019: 312 Austritte
Im Jahr 2020: 297 Austritte
Im Jahr 2021: 475 Austritte
Im Jahr 2022: 411 Austritte.

Ergänzt am 17.4. 2025:

Im Jahr 2024: 398 Austritte (Pfarrnachrichten 1/2025, S. 44).

Das sind, von 2017 bis 2022 zusammen: 1.852 Austritte aus der Pfarrgemeinde St. Matthias, Berlin-Schöneberg.
Die Anzahl der „Wiederaufnahmen“ in diesen Jahren: 28.
Die Anzahl der Konversionen: 17 in diesen Jahren.
Die vier Schöneberger Kirchen sind nun zu einer Gemeinde zusammengefügt worden, und diese hat 16.079 Mitglieder im Jahr 2022.
Von den Gemeindemitgliedern sind 2.090 über 70 Jahre alt.

6.
Es wäre eine wichtige Aufgabe für Religionssoziologen und Mathematiker zu berechnen, wie viele Mitglieder diese Gemeinde in 20 Jahren noch zählt, berücksichtigt man einen Mittelwert der „Austritte“ und die Altersstruktur. Dann käme man – sozusagen von einem Nicht- Mathematiker hochgerechnet – auf eine Zahl der Gemeindemitglieder von ca. 7.000 Gemeindemitgliedern im Jahr 2043. Für diese geringe Anzahl – immer noch (???) mit vier Kirchengebäuden etc. (St. Matthias, St. Konrad, St. Dominikus, St. Elisabeth) – könnte dann gut ein einziger neokatechumenaler Priester – aus Polen, Italien oder Mexiko – die Messen lesen. Das könnte bei guter Gesundheit des Priesters klappen…

7.
Aber: Diese präzisen Hochrechnungen macht niemand, jedenfalls werden sie nicht publiziert. Genauso wenig wie die Anzahl der Priester in 20 Jahren, die immer noch und wohl ad aeternum alles beherrschen als unersetzliche Messeleser, ermittelt wird.
Auch das Durchschnittsalter der jetzt noch tätigen Priester wird nicht bekannt gegeben.
Es ist die Angst vor der Wahrheit, die sich da ausdrückt. Diese Wahrheit könnten die Religionssoziologie und die Mathematik, also Wissenschaften, mitteilen. Das will die Hierarchie aber nicht wissen…. So lebt der Katholizismus weiter im Nebel, aber „selbstverständlich“ in „guter Hoffnung“, hießt es.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Eine total katholische Welt… in Pfarrgemeinden in West-Berlin

Gegen das Vergessen: Ein Zeitzeuge aus den Jahren 1958-1965 erinnert sich.

Ein Hinweis von Christian Modehn, veröffentlicht am 14.2.2022

Dieser Hinweis ist ein theologisch – historischer Forschungsbeitrag. Das heißt: Er wird durch weitere Erkenntnisse und Erinnerungen regelmäßig ergänzt, und in einer noch unsystematischen Form werden diese neuen Erkenntnisse etc. erst einmal gesammelt und vor dem Vergessen bewahrt. C.M. am 13.1.2025.

BEISPIEL 1:  Die reduzierte Sprache in katholischen Familien war damals üblich. Hier wird nicht an das absolute Schweigen über Sexualität und Erotik erinnert. Hier geht es um anderes: C. fragt die Mutter am Sonntagsmorgen: “War meine Schwester M. schon”? Damit ist in in eingeweihten katholischen Kreisen nicht etwa der übliche Gang zur Toilette gemeint. Sondern: “War M. schon in der Sonntagsmesse?” Und die Mutter antwortet: “Nein, sie geht abends.” Das heißt: “Sie geht zur Abendmesse.” Und dann noch diese Formel: “Aber Vater musste schon um 7.” Soll heißen: Er musste schon zur Frühmesse gehen um 7 Uhr aus beruflichen Gründen.

Beispiel 2: Als ich längst aus der katholischen Kirche ausgetreten war (dies tat ich im Jahr 2010),  traf ich eines Tages den von früheren Interviews mir bekannten Franziskanerpater Josef in einem Buchladen in Berlin – Schöneberg. Er sah mich und ihm fiel als erstes ein, mich zu fragen: “Na, wo gehören Sie denn jetzt hin?” Er wusste von meinem Umzug aus “seinem Gemeindebezirk”. Und er meinte: Zu welcher katholischen Pfarrei ich denn nun “gehöre”. Welch ein administratives Denken… An meine Antwort kann ich mich nicht mehr erinnern, am liebsten hätte ich gesagt: Ich gehöre zu meinem Partner, aber das wäre wohl eine Überforderung für den Pater gewesen.

Beispiel 3: Wenn sich zwischen 1955 und 1975 Katholiken in  Berlin trafen, kam sehr schnell die Frage auf. “Na, wo gehören Sie denn hin?”,  gemeint war: Zu welcher katholischen Gemeinde man “gehört”. Offenbar erlebten diese Katholiken die Gemeinde/Pfarrei noch als Ort der Zugehörigkeit, wenn nicht der “Heimat”. Tante Lieschen antwortetet gern treuherzig: “Ich gehöre zwar zu Josef, gehe aber nach Herz Jesu”… (So die Titel der Kirchen)…Eine ferne Welt. Von diesem Gefühl der Beheimtung lebten die Pfarreien damals mit ihren Pfarrern und Kaplänen, denen Katholiken treu ergeben waren und denen man damals nur Bestes unterstellte. Sie waren ja die “Hochwürden”. Sexueller Missbrauch oder finanzielle Gier galten als Einzelfälle, oft von den Feinden der Kirche verbreitet. Mein Vater sagte dann gern: “Es menschelt bis zu Gott”, also bis in die höchsten Höhen der an Gott reichenden Klerus – Pyramide.

Beispiel 4: Die Verbundenheit der Katholiken in der einen überschaubaren Gemeinde war wohl für viele “Praktizierende” der wichtigste Grund, an den Gottesdiensten etc. teilzunehmen: Die Menschen suchten das Gespräch nach den Gottesdiensten, versprachen, einander zu besuchen, sich um einander zu kümmern… trotz aller immer halblaut vorgebrachten Kritik am Klerus (“an den unverständlichen Predigten zumal”, unverständlich nicht nur wegen der dogmatischen und moralischen Belehrungen, auch wegen der akustisch nicht verständlichen Sprache plötzlich eingesetzter etwa japanischer Priester, die einfach erst mal die deutsche Sprache hätten lernen sollen etc..).

Beispiel 5: Der Verlust der Gemeinde – (Bindung) ist nicht nur ein internes theologisches Problem. Soziologen erforschen längst, was der seit mindestens 50 Jahren anhaltende Verlust der Bindungen an Gemeinschaften, Gruppen, Vereine, “intermediäre Assoziationen” etc. für den einzelnen bedeutet. Es ist der (neoliberale, kpitalistische) Markt, der als Referenzgröße für alle Lebensbereiche jetzt gilt: Der vereinzelte, sich allein fühlende, “individualisierte” Mensch zählt nur noch als “Verbraucher”, “Konsument”, als “Nummer auf dem Arbeitsmarkt”: Der neoliberalen Marktideologie entsprechend zählt nur die marktkonforme Individualität. Siehe dazu etwa den Aufsatz von Oliver Nachtwey: “Entzivilisierung. Über regressive Tendenzen der westlichen Gesellschaften”, in: “Die grosse Regression”, Suhrkamp, 2017, dort S. 215 ff.

…………Der Beitrag von 2022: ………..

1.
Gegen das Vergessen: Das gilt auch für die „katholische Welt“ in der Mitte des 20. Jahrhunderts in West-Berlin. Wie diese Welt aussah, wie sie die Katholiken bestimmte und prägte, ist heute, zumal für die Jüngeren, nahezu unbekannt. Viele kennen heute bestenfalls den etwas „reformierten“ Katholizismus seit dem 2. Vatikanischen Konzil (1962-1965). Diese alte katholische Welt in den Pfarrgemeinden hatte für die intensiver Beteiligten und „Engagierten“ (Laien) durchaus etwas Totales, Abgeschottetes, Rund-um Betreutes…
Aus anderen Regionen Deutschlands, die zudem katholischer geprägt waren als die Diaspora-Situation in West-Berlin, könnten zweifellos viele Ergänzungen genannt werden.

Aber diese hier dokumentierte, umfassend prägende, also durchaus totale katholische Welt der  Jahre 1958 -1968, ist letztlich gescheitert, sofern man unter Scheitern die Nicht – Akzeptanz dieser religiösen Welt durch die betroffenen Katholiken (Laien) versteht. Diese Akzeptanz schwindet immer mehr, jetzt zumal, wegen der (sehr zögerlich) freigelegten “Fälle” von sexuellem Missbrauch durch Priester. Also von “Geistlichen”, “Hochwürden”, “Monsignores”, “Exzellenzen” (Bischöfe), “Patres” (also “Väter”) usw…

Diese totale katholische Welt aus der Mitte des 20. Jahrhunderts verschwindet also in Europa, um das Verschwinden zu verstehen, sollte man sich an diese “Welt” erinnern.

2.
Die folgende Liste katholischen Lebens in den Jahren 1958 bis 1968 bezieht sich auf die West – Berliner Gemeinden St. Carl Borromäus, Grunewald, und St. Ansgar, Tiergarten, vor allem.
Die meisten der hier genannten religiösen katholischen Veranstaltungen kenne ich aus eigenem Erleben, geboren wurde ich 1948 in Berlin (Ost) -Friedrichshagen. Als Kind lernte ich dort die St. Martins -Pfarrei in Berlin – Karlsdorf kennen.
Viele Informationen wurden aus familiärem Umfeld, etwa der Eltern, mitgeteilt.

Dabei wäre es noch ein eigenes Thema, an die Erfahrungen der katholischen Eltern in Berlin zu erinnern, da drehte sich auch die gesamte Freizeit (etwa in den Jahren 1920-1933) um die Teilnahme in der Gemeinde (etwa St. Sebastian, Berlin – Gesundbrunnen.)

3.
Es steht zudem fest, dass die hier mitgeteilten Informationen noch weitere inhaltliche Vertiefungen brauchen. Dies wäre eigentlich ein weites Feld für interessante kirchenhistorische oder mentalitätsgeschichtliche Forschungen.

4.
Aber die LeserInnen im Jahr 2022 bemerken schon bei dieser ziemlich umfangreichen Liste, dass diese katholische Welt bis vor kurzem noch die Katholiken bestimmen, prägen, wenn nicht beherrschen wollte. Die Betroffenen (Laien) merkten oft gar nicht, wie ihnen dadurch viel Lebenszeit, viel Lebensfreude, viel Interesse an weltlicher, politischer Kultur geraubt wurde, wie ein mögliches Engagement für politische und soziale Projekte dadurch zweitrangig wurde.

5.
Ob die Katholiken, die Laien wie die vielen Priester, die es damals noch gab, durch diese unglaubliche Fülle von religiösen Angeboten damals wirklich zu einer reifen Spiritualität fanden, ist eine offene Frage. Ich würde sie eher mit Nein beantworten. Spiritualität war nur Kirchenbindung, “Liebe zur Kirche“, wie heute noch manche ungeniert sagen. Wie kann man „die“ Kirche lieben? Christen sollen zuerst Gott lieben UND den Nächsten und sich selbst.

6.
Die folgenden Beispiele sind bewusst nicht systematisch sortiert, dadurch wird die bunte Fülle dieser katholischen Welt deutlich.

Gottesdienste und Gebetsstunden, also Veranstaltungen in der Kirche (hier vor allem die St. Ansgar Gemeinde im Bezirk Berlin – Tiergarten):

Frühmessen, bis ca. 1968 war es üblich, in vielen Berliner Kirchen sonntags die erste Messe schon um 6 Uhr anzubieten, werktags ebenso. Ich war als Ministrant oft sogar vor Schulbeginn in der Messe um 6.45 Uhr in St. Ansgar engagiert. Man stelle sich vor: Ein verschlafener Junge, 15 Jahre alt, auch die Mutter musste um 6 Uhr aufstehen, muss lateinische Verse mit dem Priester beten: Etwa: “Ad Deum qui laetificat juventum meam”, “Zu Gott (gehe ich), der meine Jugend erfreut”. Nach 20 Minuten war der Zauber vorbei: Während des 2. Vatikanischen Konzils musste ich die Lesungen auf deutach mit müder Stimme der Gemeinde vortragen, (nicht die Evangelientexte der Messe, das war Sache des Priesters). Dann das  “Ite Missa est”… 5 Personen feierten die Messe mit, manchmal 6…Und ich eilte zur Schule, fuhr mit der U Bahn mit Menschen aus einer anderen Welt…

Stille Messen, vor dem 2. Vatikanischen Konzil üblich; sie wurden in lateinischer Sprache vom Priester am Altar in ca. 20 Minuten „absolviert“. Die Messdiener mussten auf Latein den Gebeten des Pfarrers antworten, Wein und Wasser reichen für ein „Lavabo“ etc. Mit dem 2. Vatikanischen Konzil wurden diese „stillen“ , d.h. leise „brubbelnd gesprochenen oder gehauchten“ lateinischen Messen abgeschafft, die Traditionalisten (die Freunde Bischof Lefèbvres) pflegen sie bis heute.

Die Sonntagspflicht: Jeder Katholik ist laut Kirchenrecht verpflichtet, „Sonntags die Messe mit Andacht zu hören“, wie es offiziell heißt. Die Sonntagspflicht wird im offiziellen Katechismus aus dem Vatikan bis heute vorgeschrieben (§ 2180).

Die Osterbeichte, vor Ostern muss ein Katholik zur Beichte gehen. Als Beleg erhält er vom Pfarrer ein Bildchen, das die Teilnahme bestätigt. Auch die Teilnahme an der Kommunion zu Ostern wird durch ein Heiligen-Bildchen bestätigt.

Nüchternheitsgebote als Bedingung zur Teilnahme an der Kommunion in der Messe. Bis zu zwei Stunden vor Beginn der Messe hat der Priester und der Laie, der an der Kommunion teilnehmen will, nüchtern zu sein: Also keine Nahrung zu sich nehmen, nur etwas Wasser war erlaubt. Warum bloß? Der Leib Christi, in der Hostie, sollte offenbar auf einen „makellosen“ Magen stoßen…Das galt auch für Erstkommunion-Kinder bis etwa 1962, viele dieser „nüchternen“ Kinder (auch die Messdiener) wurden dann mangels Nahrung während der Messe ohnmächtig.

Heilige Stunde, eine Andachtsform, oft mit Anbetung der Hostie. Immer am Donnerstagabend vor dem Herz-Jesu-Freitag.

Herz Jesu Freitag, dies ist der 1. Freitag eines jeden Monats, mit einer besonders feierlichen Messe und der Zusage eines guten Todes bei regelmäßigem Besuch dieser Messe, meist am Abend gelesen. Nach dem Bau der Mauer durch die DDR wurde freitags in West-Berliner Kirchen die “Bistumsmesse” gefeiert, so sollte im Gebet die Einheit des Bistums Berlin real werden, sagten die Priester.

Complet, Abendgebet, oft von der „Pfarrjugend“ am Samstag-Abend gestaltet, meist sogar in lateinischer Sprache, mit werkwürdigen Bitten auf Lateinisch: Dass man gut schlafe und, so wörtlich,„nec polluantur corpora“. Diese Gebets-Bitte haben die wenigsten Jugendlichen beim Gesang verstanden: „Dass die Körper nicht durch nächtliche Pollution (Samenerguss) befleckt werden“ (war offenbar auch ein Anliegen der täglich diese Komplet singenden Mönche in den Klöstern, auch in Frauenklöstern? Das weiß ich nicht).

Novene, Gebete an neun aufeinanderfolgenden Tagen, um besondere Gnadengaben zu erbitten.

Ewiges Gebet, ein Tages – oder Wochen-Programm, rund um die Uhr sollte mindestens eine Person in der Kirche anwesend sein, um vor der Monstranz still zu beten.

Ablass Erwerben (etwa am 2.November für die Verstorbenen), trotz Luthers Kritik bis heute völlig eine selbstverständliche, auch von Papst Franziskus empfohlene Praxis in der katholischen Kirche.

Ein Triduum, drei Tage der Vorbereitung auf ein Hochfest, wie Pfingsten. Aber auch drei Tage „besondere Predigten.“ Ein Pflichtprogramm für „gute Katholiken“. „Gute Katholiken“ waren praktizierende Katholiken. Und praktizieren hieß in einem sehr begrenzten Verständnis von Praxis: An den Messen regelmäßig teilnehmen, zur Beichte gehen etc…

Volksmission „Motto: „Rette deine Seele“, Ordenspriester besuchen die Pfarrgemeinde zwei Wochen lang und predigen täglich mehrfach, meist getrennt für Männer, Frauen, Jugendliche. Dringendste Aufforderung zur Beichte (bei dem Volksmissionar).

Beichten beim fremden Beichtvater, wenn man nicht bei dem bekannten Gemeindepfarrer beichten will, der alles Private von der Familie kennt, kommt gelegentlich ein unbekannter fremder Beichtvater. An dessen „Beichtstuhl“ bilden sich dann lange Warteschlangen…Unvorstellbar, heute 2022, solche Bilder von vielen reumütigen Sündern in Deutschland noch in den Kirchen zu erleben.

Levitenamt mit feierlichem Einzug, Pfarrer, Diakon und Subdiakon zelebrieren gemeinsam das Hochamt, die wichtigste Messe am Sonntag.

Diese Levitenämter wurden oft beendet mit dem – in überfüllter Kirche – laut geschmetterten Bekenner – Lied „Ein Haus voll Glorie schauet, weit über alle Land“ (gemeint ist die römische Kirche). In der 6.Strophe dieses Liedes, in der alten Fassung bis 1975 gesungen, heißt es: „Viel tausend schon vergossen mit Heilger Lust ihr Blut, die Reihen stehen fest geschlossen in hohem Glaubensmut…“ Dieser Text stammt von einem J. Mohr 1877, in dem Gesangbuch für das Bistum Berlin „Ehre sei Gott“, die Nr.197. ” Die Reihen fest geschlossen“ …diesen Vers haben dann auch Nazis gegrölt.

Diese genannte 6. Strophe ist in dem neuen katholischen Gesangbuch „Gotteslob“ von 1975 (dort Nr. 639) nicht mehr enthalten, wie überhaupt der Text des Herrn Mohr revidiert wurde

Katholische Identität:

Das Lied „Ein Haus voll Glorie schauet, weit über alle Land“ möchte ich als katholisches „Kampflied“ bezeichnen, der Text definiert die Liebe zur Kirche als dem Haus voller Glorie. Es wurde bewusst eingesetzt gegen das protestantische „Kampflied“ „Ein feste Burg ist unser Gott“. Man beachte nur den Unterschied. In dem protestantischen Lied geht es im Text um Gottes Macht; im katholischen Lied um die römisch-katholische Kirche. Es ist diese totale Kirchenfixierung, die den Katholizismus bestimmt(e) und ihn oft in die Nähe zu einer umfassenden Ideologie rückt: Zuerst die Kirche, dann der liebe Gott.

Segensandachten, oft sonntags am Nachmittag oder am Abend gefeiert. Beten nach den Vorlagen des Gebetbuches und singen, gelegentlich werden vom Pfarrer auch fromme Texte verlesen: Das ist dann die „Christenlehre am Sonntagabend“. In jedem Fall sind Ministranten anwesend, die große Freude haben, Weihrauch zu schwenken und davon mit Freude viel zu verbrauchen.

Kreuzweg-Andachten, in den 6 Wochen vor Ostern, Betrachten der Kreuzwegbilder in der Kirche mit entsprechenden Gebeten, geleitet vom Pfarrer.

Ölbergstunden, das stille Beten am Gründonnerstag vom ca. 20 Uhr bis Mitternacht.

Rosenkranzandachten, immer möglichst täglich im Oktober, am Abend; aber auch während des Jahres oft einmal wöchentlich. Bei den stillen Messen (s.oben) beteten die TeilnehmerInnen der Messe gern den Rosenkranz, weil sie das leise gesprochene Lateinische, also die Messe selbst, nicht verstanden.

Maiandachten, Marien-Andachten oft täglich im Monat Mai, mit den merkwürdigsten und theologisch hochproblematischen Marien-Liedern. Man denke an das Lied „Maria Maienkönigin, dich will der Mai begrüßen“. Oder „Die Schönste von allen, von fürstlichem Stand“ oder „Mein Zuflucht alleine, Maria die reine, zu beten an“ (sic), „Über die Berge schallt s , lieblich durch Flur und Wald, Glöckchen dein Klang….“ (Siehe auch: „Mythos Maria“, von Hermann Kurze, München, 2014).

Müttermessen“, spezielle Werktagsmessen für Frauen und Mütter, selbst zu Wort gekommen sind sie in der Müttermesse natürlich nicht, sie waren passive ZuhörerINNEN.

Fastenpredigten, in den Wochen vor Ostern, der Fastenzeit, kamen mehr oder weniger begabte „auswärtige“ Prediger (oft Ordenspriester) in die Pfarreien und predigten intensiver und länger als gewöhnlich. Fragte ich die Leute, was denn der Inhalt der Predigt war, die Antwort: “War doch großartig.

Primizsegen, der frisch geweihte Neupriester segnet die einzelnen Gläubigen, weil ihm offenbar ganz „besondere geistliche Macht oder frische Segnungs-Energie“ zugetraut wird. Katholiken sagten mir: Für einen Primizsegen laufe ich mir die Schuhe kaputt”. Offenbar glaubte man, ein frischer Segen eines jungen Priesters sei wirkungsvoller… Katholischer Aberglaube halt.

Priestersamstag, an dem Tag werden Messen gehalten, um für Priesterberufe zu beten. Diese Gebete wurden vom lieben Gott seit ca. 1970 nicht mehr erhört: Kein junger Berliner wollte noch Priester werden, heute stammen sehr viele Priester in Berlin aus Polen, Spanien, Afrika, Indien, den Philippinen usw. Wenn von dort in absehbarer Zeit auch kein Priester mehr „aushilft“, kann „man den Laden (Katholizismus in Berlin) zumachen“, wie ein Pfarrer mir kürzlich (2021) sagte.

Nachtanbetung für Männer, sie trafen sich in Kirchen und Kapellen West-Berlin, um in der Fastenzeit von Freitagabend 22 Uhr bis Samstag 6 Uhr zu beten, zu beichten, Predigten zu hören.

Roratemessen, in der Adventszeit frühmorgens um 5 Uhr gelesene Messen, oft speziell für Jugendliche, die danach gemeinsam frühstückten bevor sie zur Schule usw. gingen.

Versehgänge: Der Priester bringt, oft begleitet von einem Ministranten, die Kommunion einem Schwerkranken und Sterbenden, der Priester „versieht“ ihn mit der Kommunion. Wer auf der Straße einen solchen Priester bei seinem „Versehgang“ traf, durfte ihn nicht ansprechen: „Er hatte den lieben Gott bei sich“, hießt die populäre Erklärung. In manchen bayerischen Kirchen war der Altar mit einem Tuch geschmückt, darauf stand: „Stille, hier wohnt Gott“. In Katholischen Kirchen dürfen die Gläubigen untereinander nur leise flüstern.

Gebotene Fast – und Abstinenztage: Ein Tag vor kirchlichen Hochfesten sollte der Katholik fasten und keinen Alkohol trinken, zu den Hochfesten zählte auch der 8. Dezember, das fest Martens Unbefleckte Empfängnis, also war der 7. Dezember einer der Fast – und Abstinenz Tage.

Der Kirchenchor: Er hält seine Proben einmal wöchentlich, in St. Ansgar wurden viele schlesische Lieder und schlichteste Messen (von Max Filke aus Schlesien) geprobt und aufgeführt an hohen Festtagen.

Der Organist (in St. Ansgar) zieht bei der Begleitung der Lieder oft alle Register, er erschlägt beinahe den Gesang der Gemeinde. Orgel als Herrschafts-Instrument. In evangelischen Kirchen versteht man trotz Orgelbegleitung meist noch den Gesang der Gemeinde.

Aushilfen durch Priester: Es gab bis ca. 1968 sehr viele Priester in Berlin, zum Teil pensioniert, zum Teil früh-pensioniert aus welchen ungenannten Gründen auch immer.Diese Priester wollten gern mal in einer Gemeinde die Messe lesen und predigen. Die Gemeindepfarrer waren also „entlastet“. In der Verwaltungszentrale, dem Ordinariat, war für jedes „Ressort“ selbstverständlich ein Priester, meist ein „Monsignore“ oder „Geistlicher Rat“ tätig. Sie wohnten oft in dem – von Laien – so genannten „Priesterpalais“, einer riesigen Villa in der Winklerstr. im eleganten Stadtteil Grunewald.Es gab in West-Berlin auch viele Ordenshäuser, das Dominikanerkloster St.Paulus in Berlin-Moabit war zeitweise geradezu überfüllt, auch mit jungen Priestern, die dann in St. Ansgar zur Messfeuer auftauchten und nach einigen Wochen wieder verschwanden (wegen eigener Eheschließungen etc.).

Veranstaltungen in den Gemeinderäumen

Beichtunterricht, Kommunionunterricht, Firm-Unterricht: Diese Unterrichtsstunden waren verpflichtend für alle, die an der Ersten Beichte mit ca. 8 Jahren, der Erstkommunion mit ca. 10 Jahren und mit ca. 12 Jahren an der Firmung durch den Bischof teilnehmen wollten. Ich erlebte diese Stunden, die sich oft über mehrere Wochen hinzogen, als Form der Indoktrination. Meine einzige als Achtjähriger: Was soll ich denn bloß dem Pfarrer im dunklen Beichtstuhl sagen? Da gab es Vorlagen, welche Sünden man denn begangen haben könnte… Man wählte aus.

Kirchenvorstand, Laien werden vom Pfarrer berufen, nach dem Konzil gewählt, um über die finanzielle Situation der Gemeinde zu wachen.

Pfarrgemeinderat, nach dem 2. Vatikanischen Konzil eingerichtetes Beratungsgremium von Laien, darunter auch Jugendlichen, die Mitglieder werden von anderen Gottesdienstteilnehmern gewählt. Erster Vorsitzender ist der Pfarrer, ohne seine Zustimmung geht gar nichts, es sei denn der Pfarrgemeinderat beschließt, eher gelbe Tulpen als roter Tulpen für den Altar zu verwenden…

Ministrantenrunde, damals nur männliche Minstranten, einmal wöchentlich eine Stunde mit dem Pfarrer, Festlegung der Ministranten-Einsätze, Liedersingen etwa: „Wilde Gesellen vom Sturmwind umweht“, Quiz. Für jedes Ministrieren erhielt der Ministrant 10 Pfennig, wurde durch eine Strichliste dokumentiert. Solange noch lateinische Messen gefeiert wurden, mussten die 10-12 Jährigen die vielen lateinischen Gebete auswendig lernen, dies wurde geübt etwa aus dem „Stufengebet“: „Ad deum, qui laetificat iuventutem meam“. Der Pfarrer brüllte dann in der Ministrantenstunde, wenn ein Junge versehentlich iuventutum sagte statt iuventutem… Welch eine eingepaukte Gebets-Entfremdung für Kinder, die in fremder Sprache des römischen Altertums beten sollten.

Katholische Pfarrbibliothek: Jede Gemeinde hatte eine eigene kleine, so genannte öffentliche Bibliothek, sie war aber nur sonntags nach den Messen geöffnet. In St. Ansgar gab es ihn der Pfarrbibliothek etwa 300 Bücher, vor allem Romane und katholische Jugendliteratur, ich konnte als einer der wenigen Leser Vorschläge zur Anschaffung von Neuerscheinungen machen.

Seelsorgestunde, zusätzlich zum Religionsunterricht in der Schule, katholische Unterweisungen imm Gemeindehaus am Nachmittag. Die Trinität würde erklärt oder die Jungfrau Maria beschworen. Über Sexualität würde kein Wort gesprochen. Auch nicht darüber, wie man sich als Kind/Jugendlicher bei Auseinandersetzungen mit den Eltern oder den Lehrern verhalten sollte.

Diese Gemeinden waren – im Rückblick – keine angenehmen „Orte“ des Lebens, des lebendigen Lebens. Manchmal dachte ich als 16 Jähriger, diese Gemeinden sind eigentlich Partei-Büros einer bestimmten Partei, Ost-Berlin war nahe für uns im Westen Berlins…

Männer – und Frauenrunde, einmal monatlich, oft Vorträge des Pfarrers zu theologischen/ideologischen Fragen.

Kolpingfamilie, Treffen für Ehepaare, die „Kolpingsfamilie“ hatte eine eigene Flagge, die etwa bei Prozessionen außen vorgeführt wurde. Gemütlichkeit war das Motto. Es gab auch katholische Arbeiutervereine, oder Katholisch-kaufmännische Vereine oder eine katholische Ärzte Gilde selbst für die katholischen Philatelisten gab es eine Gruppe in West-Berlin.

Vinzenz – und Elisabeth-Konferenz: Männer und Frauen treffen sich regelmäßig, um zu planen, welche Bedürftigen besucht und finanziell unterstützt werden sollen. Dabei handelte es sich um fast immer um „arme Katholiken“. Dies war eine Form des sozialen Engagements.

Bewegung für eine bessere Welt (gegründet von P.Lombardi SJ), Diskutieren über den Zustand der Welt. Ich erinnere mich: Eine Frau stpürzt ins Gemeindehaus von St. Ansgar, fragt: Ist hier die bessere Welt? Nein, sagt der Pfarrer, die ist in St. Canisius, bei den Jesuiten.

Weltmissionssonntag: Immer Ende Oktober gedachten die Gemeinden der katholischen Weltmission. Ich fand diesen Tag wegen des „internationalen Geistes“ als Schüler immer besonders wichtig!

Action Pater Leppich, Kreis von Aktivisten, die überall katholische Schaukästen aufstellen wollten.

Tanztee für katholische Jugendliche, damit die Jugendlichen nicht in säkulare Discos „abdriften“, sie sollen katholische PartnerInnen kennenlernen. Haben sie dann auch, manchmal schnell wieder geschieden…Aber der Pfarrer, Bernhard Schwerdtfeger, saß hinten im Raum und “passte auf”.  Um 22 Uhr war Schluss

Kreuzweg in der Stadt, katholische Männer ziehen mit einem Kreuz durch die Stadt. Vor Ostern, an einem Samstagnachmittag.

Fronleichnams Prozessionen, intensiv vorbereitet, mit Altären in den Straßen, Plätzen auch im Bezirk Tiergarten.

Autosegnungen, in Berlin, in der St. Christophorus Kirche, Neukölln. (Nebenbei: heute werden auch Handys etc. gesegnet, der Segen für homosexuelle Paare ist vom Vatikan verboten).

Die katholische Welt: Katholische Friedhöfe, katholische Krankenhäuser, katholische Schulen, katholische Gymnasien, katholische Kindergärten, katholische Buchhandlungen (Morus-Buchhandlungen in vielen Stadtteilen Berlins), katholische Ärzte für Katholiken, katholische Briefmarkengilde…: Die Totalität wird sichtbar. Es war schwer, sich dem nicht zu entziehen…

Caritas-Sammlungen: Ich beteiligte mich als Jugendlicher an der so genannten Straßensammlung, zog als den ganzen Samstag nachmittag und Abend mit einer Sammelbüchse aus Metall auch über den Ku-Damm und bettelte alle mir entgegen kommenden Passanten an. Ich war stolz, wenn dann am Sonntag aus der Büchse etwa 150 D Mark in Münzen hervorkamen.

Nicht erwähnt sind: Der “Bund Neudeutschland” (ND), die “katholischen Pfadfinder St. Georg”, der “Katholiscche Frauenbund”, der Dritte Orden des heiligen Dominikus, der Verein vom heiligen Land, der Fatima-Sühnekreuzzug, der Bund des deutschen katholischen Jugend BDKJ, das Kindermissionswerk, die Sternsinger, die Sommerausflüge der Gemeinde, der Gemeinde (Tanz) -Abend im Herbst (in der “Kongreßhalle” in Tiergarten, die “Informationsabende” über die Weltmission,  die Gespräche mit dem Pfarrer vor der krichlichen Trauung, “dem Ehesakrament”, und so weiter…

Es gab keine speziellen Bibelstunden, also keine Kreise, die sich nur mit der Lektüre und der Interpretation der Bibel befassten! Dazu waren die katholischen Pfarrer oft gar nicht in der Lage, schließlich war die historisch-kritische Bibelforschung bis ca. 1960 verboten bzw. Übel angesehen. In West – Berlin gab es EINEN speziell für Bibelfragen und das „Bibel-Werk“ zuständigen Pfarrer.

Es gab in den Jahren keine offiziellen ökumenischen Begegnungen mit den evangelischen Gemeinden in der Nachbarschaft.

Sonntags um 9.50 läuteten die Glocken der St. Ansgar Kirche und die Glocken der ca 100 Meter entfernten Evangelischen Kaiser-Friedrich-Gedächtniskirche gleichzeitig für die Gottesdienste um 10 Uhr. Und kein Christ kam auf die Idee, einfach mal den Gottesdienst der anderen Konfession zu besuchen.

Am Schriftenstand am Eingang der Kirche: Unglaubliche Presseerzeugnisse:
Broschüren, zum Beispiel: „Katholik, das musst du wissen“, vom Johannes
-Bund Leutesdorf. Zeitschriften: „Maria siegt“. „Hoffnung“, „Der Feuerreiter“, „Mann in der Zeit“, „Echo der Zeit“, „Petrusblatt“, „Der Jesusknabe“, „Stadt Gottes“ und so weiter

Die Anreden: Hochwürden, Herr Pfarrer XY, Herr Kaplan, Eminenz, Seine Durchlaucht (für den Vorsitzenden des ZK der Katholiken), Monsignore, Domherr, Domvikar, Geistlicher Rat, Erzpriester, Defensor Vinculi, Frauenseelsorger, Männerseelsorger.
Die Nonnen wurden als „ehrwürdige Schwestern“ genannt oder „Mutter Oberin“.

Wenn ein Kaplan sein Priesteramt aufgab und meistens dann heiratete, nannte man ihn im katholischen Milieu „einen Abgesprungenen“ oder „Abgefallenen“. Diese Abgesprungenen mussten das alte Wohngebiet verlassen, sie sollten kein „Ärgernis“ geben. Wer sich als Priester verliebt, erregt für Katholiken ein „Ärgernis“…

Ansätze zu einer Bewertung
Bis ça. 1968 nahmen von den 1.600 Mitgliedern der St. Ansgar Gemeinde in Berlin-Tiergarten ca. 500 Menschen an der Sonntagsmesse teil, dreimal wurde sonntags die Messe gefeiert. Diese Teilnahme entsprach auch kirchlichem Druck: der Sonntagspflicht!
Aber die Gemeinde bot auch Raum für allgemein menschliche, oft freundschaftliche Kommunikation. Manche nahmen wohl den Messbesuch bloß „in Kauf“, um danach noch lange Zeit mit anderen plaudern zu können, sich zu verabreden etc..

Diese starke Kirchenbindung damals hat sicher auch kulturell-soziale Gründe: Man denke an das Freizeit Verhalten damals; Gemeinde war auch ein Ort von kontrollierter, behüteter Freizeit, allerdings nicht immer, wenn man an die vielen Fälle von sexuellem Missbrauch durch Priester denkt. Darüber sprach damals niemand, auch wenn in der „weltlichen“ Presse, wie dem Tagesspiegel, gelegentlich Notizen des Missbrauchs veröffentlicht wurden. Ich erinnere mich an entsprechende kurze Meldungen aus dem Don-Bosco-Jugendheim in Berlin Wannsee (Leitung: der Salesianer-Orden, SDB), Pater von …XY wurde um 1965 aus dem Don-Bosco-Heim „versetzt wegen Unregelmäßigkeiten“, hieß es dann knapp im Tagesspiegel. Die katholische Kirchenzeitung berichtete selbstverständlich NICHT darüber…„Na ja, es menschelt halt bis zu Gott“, war die Standard – Antwort vieler Katholiken, und keiner wagte nachzufragen. Erst 2010 wurde aus diesem Don – Bosco – Jugendheim sexueller Missbrauch durch die dortigen Patres gemeldet: https://www.morgenpost.de/berlin/article103989118/Patres-sollen-Jungen-vergewaltigt-haben.html

Das Zweite Vatikanische Konzil gab den Katholiken endlich und zurecht ein Gefühl von individueller Freiheit und religiöser Wahl: Warum muss ich mich jeden Sonntag in die Kirche zur Messe setzen mit immer denselben Riten und fast schon zu Floskeln gewordenen Gebeten und den schlechten Predigten? Diese Frage stellten sich viele und entschieden sich individuell.

Heute hat die Kirche auch in Berlin die meisten Katholiken, als aktive Mitglieder, „verloren“. Die Gemeinden schrumpfen, sie werden „zusammengelegt“, kaum noch ein Pfarrer ist erreichbar, es werden Messen gelesen von den wenigen gestressten Priestern und alle wissen: In zehn Jahren bricht auch dieses System der Versorgung zusammen: Die Kirchenführer und die Laien sprechen öffentlich nicht differenziert und mit allem Wissen darüber, weil momentan der sexuelle Missbrauch durch Priester alle Debatten und Reflexionen beherrscht.

Das heutige Sterben der katholischen Gemeinden ist vor allem als ein Verlust an menschlicher Kommunikation zu beklagen. Und die Bischöfe lassen das alles zu, ohne endlich das totale Klerus-System zu beenden: Das da heißt: Nur ein Priester kann Messe feiern. Nur die Messe ist der Höhepunkt des Gemeindelebens. Solange die Kirche an diesen vom Evangelium unbegründeten Überzeugungen festhält, kann man alle Hoffnung für die katholische Kirche in Deutschland z.B. fahren lassen. Viele katholische Kirchen wurden in den letzten Jahren geschlossen, abgerissen, verkauft. Warum? Weil die Priester als “Gemeindelieter” fehlten! Oder weil die Priester zuvor nichts Vernünftiges, d.h Menschliches, Freundliches,  für die Gemeinde taten. So dass die Mitglieder halt “austraten”.  Das Ende der Kirchen – auch in Berlin – ist vor allem bedingt durch den Klerikalismus oder: protestantisch: durch den Bürokratismus. “Die Kirchen stehen die ganze Woche über leer und sind selbstverständlich bverschlossene. “Die verschlossene Kirche” wäre ein hübsches Thema für kritische Journalisten.

Die Zahl der LaientheologInnen in Berlin, die keine Arbeit in dieser Kirche fanden oder finden wollten, ist groß. Warum hätten sie nicht auch katholische Gemeinden „leiten“ können? Weil der allherrschende Klerus das nicht wollte und auch heute nicht will. Der Klerus will herrschen, allein und immer. Da hilft nur eine weitere Reformation, also NICHT etwa eine „Reform“ oder ein „Reförmchen“.

Am 2.9.2024: Ich lese, in er kathol.Zeitung “Tag des Herren” vom 1.9.2024 , dass der Erfurter katholische Bischof einem kathol.Diakon die Gemeindeleitung anvertraut hat, aber: Er darf nicht die Messe feiern! Und: Keinem Kranken das Krankensakrament reichen. usw. Das darf nur ein Priester, der aus Indien extra nach Erfurt eingeflogen wurde. Welche ein Wahn, darf man wohl sagen, oder genauso deutlich: Wie lächerlich diese Haltung.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin