Jacques Bouveresse, französischer Philosoph, Literaturkenner und Kirchenkritiker

Ein Hinweis von Christian Modehn am 23. Juli 2024.

1.
In Deutschland ist der französische Philosoph Jacques Bouveresse ( 20.8.1940 – 9.5.2021) in weiten Kreisen nahezu unbekannt. In Frankreich gilt er als wichtiger Denker mit einem „Oeuvre philosophique majeure“, wie man dort sagt.
Kaum zu verstehen, dass seine großen Werke nicht ins Deutsche übersetzt wurden.
Jacques Bouveresse, stammt aus einer katholischen Familien im Département Doubs – an der Grenze zur Schweiz gelegen – , er ist auch mit theologischen Themen durchaus vertraut.

Jacques Bouveresse war ein außergewöhnlicher Mensch, nicht nur wegen seiner Sprachbegabung (er hatte z.B. einen akademischen Abschluss in Deutsch). Vor allem: Er hat – nicht nur aus Bescheidenheit, sondern um jegliche Abhängigkeiten zu vermeiden – offizielle „Dekorationen“, wie er sagte, also Orden und (staatliche) Auszeichnungen zurückgewiesen. Selbst die Ernennung zum “Chevalier de la Legion honneur“ lehnte er ab, jeglicher Konformismus war ihm zuwider, allerdings wurde ihm von der ökonomischen Hochschule HEC in Paris der Titel Dr. h.c. verliehen, 2019 empfing er den „Grand Prix de Philosophie“ von der „Académie Francaise“ für die Gesamtheit seines Werkes.

2.
Warum sollten wir uns für Bouveresse interessieren?
Er hat die Grenzen des philosophischen „Betriebes“ gesehen und sich Impulse der Erneuerung und dafür notwendige Ressourcen erhofft … auch von der Literatur. Er suchte Philosophie also auch dort, wo „man“ sie üblicherweise nicht vermutet. Vor allem mit dem österreichischen Schriftsteller Robert Musil und auch mit dem Autor Karl Kraus hat er sich intensiv befasst. Wichtig für Bouveresse ist vor allem der umfangreiche Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“. Bouveresse läßt sich von der Literatur anregen, die eigene Philosophie zu gestalten. Diese Erfahrung gilt es festzuhalten, wenn man sich vorstellen will, was Philosophieren und Philosophie heute sein sollte und sein könnte: Als kritisches Interessiertsein an allen Äußerungen, „Objektivierungen“ (Hegel), des Geistes.

3.
Bouveresse ist ein Rationalist, und er nennt sich so und ist stolz darauf und kämpft gegen alles Obskure in der Gesellschaft, gegen fundamentalistische Religionen und Kirchen (etwa in den USA) und gegen die postmodern sich nennenden Philosophen, die seiner Meinung nach die Beliebigkeit des totalen Relativismus pflegen und das „alles geht und alles ist möglich“ propagieren. Der Philosoph Jean -Matthias Fleury nennt Bouveresse einen „kritischen Historiker der Philosophie“: Er war also kritisch gegenüber der Postmoderne und modischen Tendenzen französischer Philosophen, Bernard-Henri Lévy oder Jean Marie Benoit warf er wissenschaftlichen und intellektuellen „Betrug“ vor. „Bouveresse war ein Polemiker und er war sehr bemüht, ein Minimum an praktischen philosophischen Regeln auszudrücken. Er hat Partei ergriffen für einen militanten Rationalismus, kritisierte gelegentlich heftig den Nihilismus à la Nietzsche. Und der schien ihm für eine ganze weite Fläche der französischen Philosophie der 1960- 1970ger Jahre charakteristisch zu sein, etwa in den gestalten Derrida, Lyotard und Foucault“ (siehe Fußnote 2).
Mindestens 50 philosophische Studien hat Jacques Bouveresse veröffentlicht; er war viele Jahre Professor an der Sorbonne und Mitglied des Collège de France, immer interessiert an dem weiten Umfeld der „analytischen Philosophie“ . Seine Doktorarbeit verfasste er 1975 über Ludwig Wittgenstein, damals in Frankreich noch relativ unbekannt. Regelmäßig veröffentlichte er Beiträge in der Monatszeitschrift „Le Monde diplomatique“. Und: „Bouveresse plante die philosophischen Übungen als eine Kunst der Lektüre und des Dialogs und als eine ständige Konfrontation mit dem Gedanken des anderen“, so Florence Vatan (im Vorwort zu Bouveresses Buch „La Passion et l exactitude“, 2024, S. 21., siehe Fußnote 1).

4.
Bouveresse war in seiner Entschiedenheit für möglichst umfassende Klarheit, für die konsequente Suche nach Gründen und Begründungen, der Verpflichtung der Wahrheit zu dienen sozusagen als Mensch bescheiden in seinem Auftreten und Argumentieren, die Ironie schätzend, mit einer Vorliebe für Philosophen, die bisher (in Frankreich) eher wenig Beachtung fanden, vor allem Wittgenstein und die „Wiener Schule“ .
Vor allem war er immer religionskritisch orientiert, gegen alle Irrationale, Frömmelnde, Mystizistische… Für religionsphilosophische Fragen ist besonders wichtig sein Werk „Peut-on ne pas croire? Sur la vérité, la croyance und la foi“, Marseille, 2007, 286 Seiten. Als Einführung in sein Denken empfiehlt sich Bouveresse, „Le Philosophie et le réell. Entretiens avec J.J. Rosat“, Hachette, Paris, 1998.

5.
Warum also ist ein Hinweis auf Bouveresse wichtig, wenn man den Zustand der Religionen vor allem in Europa und den USA kritisch untersucht?
Der zweifelsfreie Ausgangspunkt ist: Trotz aller Säkularisierung in Europa und Amerika gibt es ein deutliches Comeback eher fundamentalistischer Kirchen. Sie betonen übereinstimmend: Der Zusammenhalt ihrer Gesellschaften und ihrer Staaten könne nur durch die praktizierte (fundamentalistische) Religion garantiert werden. Es gebe also diesen Propagandisten zufolge eine Art praktische und auch politische Notwendigkeit, zur alten Religion und den überkommeneren Konfessionen zurückzukehren…

6.
An diesem Punkt der Analyse setzt Bouveresse in einem auf Deutsch publizierten Beitrag für „Le Monde diplomatique“ vom 13.5.2007 an. Der Aufsatz hat den Titel „Annäherung an die Funktion Gott“. Bouveresse bezieht sich dabei auf eine These des Philosophen und Autors Régis Debray: Er hatte behauptet, die „derzeitige Renaissance des Religiösen“ sei ein Beweis dafür, dass der religiöse Glaube überhaupt nicht zum Verschwinden zu bringen sei, auch nicht durch so genannte Ersatzreligionen. Bouveresse kritisiert zunächst, dass es nicht möglich ist, aus dem faktischen Vorhandensein z.B des Phänomens Kirche auf die Notwendigkeit ihres Fort – Bestehens zu schließen. Die Renaissance des Religiösen und auch das Wiedererstarken der alten Konfessionen sind also kein Bewies dafür, dass die klassischen Religionen und Konfessionen nun letztlich doch nicht gescheitert sind und Recht haben. Bouveresse schreibt: „Und selbst wenn die Gesellschaft der Rückkehr zu einem verloren gegangenen Glauben bedürfen sollte, welche Art von Glauben ist es dann genau, zu der sie angeblich zurückfinden muss? Sie einfach an das religiöse Bedürfnis der Gesellschaft zu erinnern, reicht jedenfalls anscheinend nicht, um sie diesen Glauben wiederfinden zu lassen.Noch einmal: Irgendeine Form des Glaubens als Faktum anzuerkennen ist nicht dasselbe wie die Unvermeidlichkeit des religiösen Glaubens zu behaupten, auch wenn Religionsphilosophen wie Debray diesen Unterschied gern herunterspielen.“

7.
Bouveresse deutet nur kurz und knapp an: Welche Religion kann in dieser zerstrittenen Welt und in der säkularen Gesellschaften noch Bestand haben, ohne dabei sinnlose Überlegenheitsansprüche gegen dem säkularen Staat zu betonen? Es kann sich dabei eigentlich nur um eine rational zugängliche Menschheitsreligion für alle Menschen handeln, eine Idee, die für Kant wichtig wurde in seiner Schrift „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“. Wenn Religionen und Kirchen heute eine Bedeutung haben können, dann so Bouveresse, wenn sie die republikanischen Werte, also die Menschenrechte, höher einschätzen, auch als Kriterium der eigenen Wahrheit als alle konfessionellen und religiösen Lehren und Weisungen. „Was genau brauchen wir eigentlich in religiöser Hinsicht? Könnte es nicht mehr oder weniger objektive Gründe geben, die eher für die eine als für die andere Glaubensentscheidung sprechen? Angenommen, man gesteht zu – was ohne Schwierigkeiten möglich sein sollte –, dass eine „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ (ungefähr im Kant’schen Sinn) immer noch eine Religion wäre. Gäbe es dann nicht ernst zu nehmende (intellektuelle, moralische, politische usw.) Gründe, eine derartige Religion solchen vorzuziehen, die die fraglichen Grenzen überhaupt nicht kennen?“

8. Die alten Religionen, Konfessionen, führen nicht aus der Krise
Wichtig ist dem entsprechend die These Bouveresses:
Hütet euch vor der Wiederkehr der alten Religionen in dieser Zeit, in der angesichts der vielfachen Krisen erklärt und verkündet wird, die Säkularisierung sei vorbei und die Zeit der alten Religionen beginne wieder. Bouveresse schreibt: „Mit Sicherheit wäre es dagegen ein Trugschluss, auf künstliche Weise herkömmliche Religionen in die Institutionen, Verhaltensweisen und Praktiken wieder einführen zu wollen – in der Hoffnung, so den sozialen Zusammenhang herstellen oder festigen zu können.“ In der jetzigen Situation eines globalen gesellschaftlichen Umbruchs mit zahllosen Krisen helfen nur „Veränderung und Reorganisation“ der Gesellschaft weiter. Dabei können die alten Religionen und ihre Lehren gar nicht mehr hilfreich sein, weil ja auch sie zu der tiefgreifenden politischen, ökonomischen und kulturellen Krise geführt haben. Noch einmal: Die alten Religionen und Kirchen sind also Mit – Verursacher des gegenwärtigen heillos wirkenden Zustandes der Welt.
Das heißt: Die altgewordene Religionen und altgewordenen und veraltet erscheinenden Konfessionen haben im globalem gesellschaftlichen Wandel und Zusammenbruch keine inspirierende, hilfreicheKraft mehr.

9.
Bouveresse sieht im Fortbestehen und Überleben der alten Religionen und der alten Götter nur eine Form der „Amnesie“, der Vergesslichkeit und Gedächtnisstörung der Menschen, hofsichtlich der Kraft der Religionen von einst. Er schreibt: „Diese Form der Amnesie lässt nach dem bitteren Scheitern einer Neuerung (der Religion, CM), die eine Zeit lang vielversprechend schien, mit Vorliebe die guten alten, immer bequemeren und beruhigenderen Lösungen wieder aufleben – obwohl man eigentlich weiß, dass diese Versuche, gelinde gesagt, nicht sehr erfolgreich gewesen sind.“ Mit anderen Worten: Die Kirchenführer der alten, aber nachweisbar im politischen und ökonomischen Bereich wirkungslosen Kirchenwelten, machen sich falsche Hoffnungen für eine Zukunft ihrer Kirchen, gerade wenn sie nichts weiter tun, als das Alte und angeblich „Ewige“ und „göttlich Verordnete“ unbeirrt und stur fortzusetzen, siehe etwa die Haltung der katholischen Kirche zur Ordination von Frauen; die päpstliche Ablehnung von Demokratie in der katholischen Kirche usw.. Diese Haltung hat zum langsamen Verschwinden der Kirchen-Bindung und Kirchen-Gläubigkeit in Europa geführt. Siehe die hohen Austrittszahlen aus den Kirchen etwa in Deutschland, Österreich, Holland, Belgien, England, Spanien, der Schweiz usw. ChristenInnen verlassen die Kirchen, weil diese ihnen antiquiert, irrational, bürokratisch, fundamentalistisch, paternalistisch usw. erscheinen. Und es wohl auch erfahrungsmäßig und nachweislich sind.
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FUßNOTE 1:
„La Passion de l Exactitude“ mit dem Untertitel „Robert Musil et la philosophie“, erschienen im Verlag Hors d` Atteinte, Marseille, 2024, mit einem Vorwort von Florence Vatan. 123 Seiten, 17€. Der Text geht auf eine auf Deutsch gehaltenen Vorlesung Bouveresses in Wien im Oktober 2008 zurück.

FUßNote 2:
Cinquante ans de philosophie française.“ Band 4, von Bernard Sichère, Paris 1998, S. 72.
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Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer-salon.de

Kann Lektüre heilen? Durch Bücher gesund werden?

Notizen zur Bibliotherapie und anderen Formen geistiger Therapien…

Ein Hinweis von Christian Modehn

1.
Kürzlich diskutierten wir über das Buch von Fabio Stassi „Die Seele aller Zufälle“, erschienen in der Edition Converso; ein Buch, das sich mit Sinn und Unsinn der „Bibliotherapie“ unterhaltsam auseinandersetzt. LINK.
„Die Seele aller Zufälle“ steht übrigens auf der Hotlist 2024 der „Bücher aus unabhängigen Verlagen“.

2.
Diese Form der Buch – Lesen – Therapie gibt es wirklich, dies sei allen therapeutisch noch etwas Unkundigen gesagt. In Kanada, etwa in der Provinz Québec, ist die Bibliotherapie weit verbreitet und offenbar wirksam, auch therapeutisch akzeptiert, die Pariser Tageszeitung „La Croix“ berichtete am 12.3.2024 darüber. LINK.

3.
Grundsätzlich kann man zu der Überzeugung neigen: Eigentlich ist jede Lektüre von Romanen, Erzählungen, Poesie etc. immer auch Ausdruck einer Suche nach Therapie, elementar als Hilfe vermutet gegen Langeweile und Einsamkeit, dann aber auch explizit als Suche nach Orientierung und als Impuls zum Weiter – Denken und in die Weite denken. Diese allgemeine Erwartung „Lesen hilft mir auch therapeutisch“ ist meist umthematisch, unreflektiert.

4.
Was ist die Grundsituation einer Bibliotherapie? Der Therapeut ist ein guter Kenner vieler „großer (aber auch eher unbekannter) Werke“ der Literatur,. Er empfiehlt nach einem eingehenden Gespräch mit einem Patienten (Klienten?) ein bestimmtes, ihm bekanntes Buch zur privaten Lektüre. Die Leitlinie der Therapie heißt wohl: „Wenn Sie dieses Buch, diesen Roman, diese Novelle, dieses Drama, dieses Gedicht usw. lesen, gründlich und in Ruhe meditieren, kann sich ihre spezielle seelische Problematik, vielleicht ihr seelisches Leiden (Melancholie, Hemmung im Umgang mit anderen, Genusssucht usw.) nicht nur klären, sondern auch abmildern, vielleicht heilen … eben durch reflektiertes Nachdenken über den Text des Buches, über das Schicksal der Protagonisten, deren Hoffnung und Lebenssinn… Vielleicht wird dann der heilende Gedanke sozusagen irgendwann „geschenkt“, und vielleicht sieht man sieht klarer und hoffnungsvoller in die Welt und auf das eigene Leben.

5.
Jede Therapie lebt wohl von der Ungewissheit, ob Heilung des Patienten möglich ist. Aber es gibt wohl Unterschiede: In den Psychotherapien etwa begegnet der Patient immer wieder einem leibhaftigen Menschen, einem „Spezialisten“ für seelische Leiden, zu dem der Patient und mit dem er – manchmal sehr oft – sprechen kann.
In der Bibliotherapie ist der einzelne mit einem Text konfrontiert, der eben nur ein „Gesprächspartner“ im übertragenen Sinne sein kann. Der Patient wie jeder Leser bestimmt die Deutung, die Interpretation, in der Auseinandersetzung mit dem Text selbst. Es ist eines der Grundgesetze der Hermeneutik, der Verstehenslehre von Texten, dass immer der Lesende seine subjektiven Verstehensbedingungen, seinen geistigen Horizont, nicht nur „mitbringt“. Sondern oft wird der Text einseitig, allzu subjektiv, förmlich überwältigt und fehl interpretiert. Allzu subjektive Deutungen können und sollten im Laufe der Lektüre korrigiert werden, erst dann kann von einem Verstehen die Rede sein. Bibliotherapie ist aufgrund dieser Stellung: „der einzelne Leser und sein Buch“, also auch ein anspruchsvolles, aber oft auch ein scheiterndes Unternehmen.

6.
Die Bibliotherapie aber erinnert an die Vielfalt reflektierender, geistiger Therapien: Über „Philosophie als Therapie“ haben Damian Peikert und Sam Adhar Ball ein Buch im angesehenen philosophischen Karl Alber Verlag (Freiburg) publiziert und dabei mit gutem Grund an die Überzeugung antiker Philosophen erinnert: Philosophie sei ursprünglich als Hilfe zum Leben und im Leben zu verstehen, ein Thema, das der Pariser Philosoph Pierre Hadot in den Mittelpunkt seiner Studien stellte. LINK. Über die Beziehung zwischen der therapeutischen Praxis etwa in der Stoa oder bei Epikur und der modernen Logo – Therapie (Viktor E. Frankl 1905-1997) wäre ebenfalls weiter nachzudenken.

7.
Von den verschiedenen Formen der Musiktherapie wäre zu sprechen. Musiktherapie im weiten Sinne, also Musik (und Singen ) ALS Therapie, bezieht sich nicht nur auf die seelische „Stärkung“ der einzelnen. Musik ALS Therapie, verstanden als Einheit von Sängern/Musikern und teilnehmenden Zuhörern, die in den Stadien auch Mitsingende waren, hat immer einen politischen Charakter: Eintreten für die Demokratie, „gegen die Konsumgesellschaft, gegen die apolitische Zerstreuung, den American Way of life…Die Musik schuf politische Identifikationen“, so Antonis Liakos in „Lettre International Nr 145, S. 21, Sommer 2024). Diese (!) Musik stärkt die einzelnen, gibt neuen Lebenssinn: Der Autor erinnert u.a. an Mikis Theodorakis, Ioannis Makropoulos, Christos Leonies und andere…“ Antonis Liakos schreibt: „Diese Konzerte, zu denen Menschenmassen strömten, waren selbst politische Ereignisse, Quellen eines aufrührerischen Geistes und eines grenzenloses Optimismus“ (ebd.).
Zu sprechen wäre auch von der Kunst-Therapie, d.h. auch der Mal – Therapie oder der Arbeit mit Collagen, die direkt in guten Kliniken (etwa speziell bei Krebskranken) schon eingesetzt wird.

8.
Noch einmal zur Bibliotherapie:
Johann Wolfgang von Goethe hat sehr persönlich gesprochen, als er von seinen melancholischen und depressiven Phasen in jungen Jahren berichtete: Aus der tiefen Krise (Suizid-Gedanken) konnte er sich nur befreien, wie er gesteht, als er weiter seine Texte verfasste: Literarisches Schreiben als Therapie also, dies ist sicher eine Praxis, die nicht nur hochbegabten Autoren wie Goethe vorbehalten ist. Anja Höfer schreibt in ihrem Essay über Goethes Kunstanschauung (in „Philosophie der Freude“, Leipzig 2003, S. 131).“ Goethe schildert, wie seine poetische Produktion einen inneren Heilungsprozess einleitet, in dem der Dichter sein eigenes Leiden in ästhetischer Form objektiviert und das Leiden so zugleich überwindet. Das Ergebnis dieses Prozesses bezeichnet Goethe nicht zufällig mit dem Wort Heiterkeit“. Und auf Seite 132 heißt es: „Für Goethe wird die dichterische Produktion zum probaten Mittel, um sich selbst immer wieder die rettende Heiterkeit abzunötigen… er spricht vom poetischen Talent mit seinen Heilkräften.“

9.
Inmitten des alltäglichen Lebens können und sollten also Formen geistiger Therapie entdeckt werden, wobei zur Überraschung wohl erkannt wird: Hilfen zur Gesundung durch bestimmte Formen geistiger/geistvoller Praxis stehen uns eigentlich immer in der genannten Vielfalt zur Verfügung. Leider kann man den Gottesdiensten der christlichen Kirchen diesen heilsamen Charakter eher selten zusprechen, sie sind meist Routine und das Dahersagen von frommen Stereotypen und alten, veralteten dogmatischen Sprüchen…

10.
Und selbst der größte Skeptiker wird erkennen: Er kann sich zu seiner eigenen skeptischen Lebenshaltung noch einmal selbst skeptisch verhalten, in der Kraft des reflektierenden Geistes eben: Inmitten dieser Skepsis-skeptischen Haltung wird der Skepsis sozusagen ihre Allmacht genommen. Es bleibt der Geist, dies ist auch die Vernunft, die Fixierungen und Ideologien durchschaut und überwindet… und – etwas metaphysisch gesagt – in die Weite des Geistes führt.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

Philosophische Aufklärung erfolgreich: Auf dem Lande … für die Bauern!

Beobachtungen in Reckahn bei Brandenburg/Havel

Ein Hinweis von Christian Modehn am 15.7.2024

1.
Kaum zu glauben: Es gab wirklich einen wohlhabenden Gutsbesitzer im Lande Brandenburg im 18. Jahrhundert, der nicht nur umfassend gebildet und dabei alles andere als reaktionär war. Mit der Philosophie der Aufklärung war er kenntnisreich eng verbunden, er kannte u.a. die Werke des Philosophen Immanuel Kant: Und er war kein bloßer Theoretiker oder gar Schätzer: Er dachte nicht zuerst an die Vermehrung seiner Güter, sondern förderte mit Geist und Tat die Bildung der armen Landbewohner in seiner Umgebung: Sein Name: Friedrich Eberhard von Rochow (1734 – 1805), seine Frau Christiane Louise (1734 – 1808) unterstützte die Reform-Projekte. Eigentlich ein weithin unbekannter Vertreter der Aufklärung. Diese Unkenntnis muss überwunden werden.
Es ging dem Ehepaar von Rochow um die Realisierung grundlegend neuer Konzeptionen der Volksaufklärung.
Für seine Projekte setzte von Rochow sein Vermögen ein! Reaktionäre Kreise aus seinem Stand kritisierten sein Engagement, sie behaupteten, Volksbildung führe die Menschen zur Aufruhr gegen die Obrigkeiten. Der Aufklärer und Pädagoge ließ sich von diesen Leuten nicht beeindrucken. Er hatte einen großen Freundeskreis um sich gesammelt, zumal von Rochow auch als (protestantischer) Domherr zu Halberstadt mit vielen „Philanthropen“, gebildeten Literaten, Künstlern, Philosophen zusammenkam.

2. Hinweis auf einige Grundsätze von Rochows:
„Wer hat mich berufen, mich zum Lehrer des Landvolkes aufzuwerfen? Meine kurze Antwort: Ich lebe unter Landleuten. Mich jammerte des Volkes. (S. 179, die Seitenzahlen beziehen sich auf das unten genannte Buch „Vernunft fürs Volk“)
„Die Menschheit liegt an heilbaren Übeln krank“(ebd. )…
„Da alle Menschenseelen aus EINEM Stoffe sind, so haben auch alle Stände gleichen Anteil an verhältnismäßiger Vervollkommnung“ (S. 140).

3.
Man kann die Leistungen von Rochows studieren, vor allem auch die Werte seines Wirkens besuchen und besichtigen: Vor allem die Volksschule im Ort Reckahn, daneben steht die barocke Kirche, in der damals progressive, aufgeklärte Prediger wirkten.
Die Volksschule wurde von dem Lehrer Heinrich Julius Bruns geleitet. Das Prinzip: In der Erziehung und Bildung sind sehr viel wichtiger als die üblichen Tadel und Strafen eben Lob, Freundlichkeit und Respekt.
Bildung fördert das Selberdenken, fördert die Weltkenntnis, das bessere praktische Leben im Alltag der Dörfer. Und: Jungen und Mädchen wurden in der Volksschule zu Reckahn gemeinsam unterrichtet. Das „Journal für Prediger“, wichtige Zeitschrift für Pfarrer im Sinne der Aufklärung, lobte diese Schule als „erste aller Volksschulen in Deutschland“ (S. 180).

4.
Die Kinder sollen zu reifen, selbstdenkenden, tugendhaften Menschen gebildet werden. Aber für von Rochow ist entscheidend: „ Der Mensch lebt nicht etwa deswegen tugendhaft, um Gottes Ehre zu befördern. Dieses Gottes Ehre befördern ist ein Nonsens. Moral hat nie den Zweck, Gottes Ehre zu befördern“ (S. 47). Der Mensch wird tugendhaft durch seine eigene Vernunft, ein Gedanke, der auch für Immanuel Kant wichtig wurde. „Rochow hat sich zweifelsohne mit Kant eingehend beschäftigt“, schreibt Gerhard Springer in dem genannten Buch „Vernunft fürs Volk“, Seite 51.

5.
Friedrich Eberhard von Rochow ist auch als Autor sehr weit verbreiteter Lesebücher mit hoher Auflage für Kinder und die Landbewohner bekannt geworden. Vor allem das „Lesebuch“ mit dem Titel „Der Kinderfreund“ erschien in vielen Auflagen und es wurde international verbreitet, dabei kann sein Engagement für die „Märkische Ökonomische Gesellschaft zu Potsdam“ hier nur erwähnt werden, deutlich ist, wie umfassend der aufgeklärte Denker von Rochow praktisch tätig war

6.
Ein VORSCHLAG:
Die vorbildliche Schule in Reckahn als Museum zu besichtigen und das Schloss (sowie der Park!) mit dem angrenzenden Gästehaus (!) sollte Ziel eines „philosophischen Ausflugs“ sein, zumal die interessante Stadt Brandenburg an der Havel nur wenige Kilometer entfernt ist. Und auch Kloster Lehnin (einst Zisterzienser -Kloster) ist in der Nähe.

Zu den Öffnungszeiten der Gebäude in Reckahn (leider ist die Barockkirche, wie so oft im Landes Brandenburg, meistens verschlossen) informiere man sich über das Internet, auch wegen der aktuellen Veranstaltungen! Im Schloss (- Museum) ist Samstags und Sonntags ein kleines Café geöffnet. www.reckahner-museen.de
www.gaestehaus-reckahn.de

Und genauso wichtig: Im Schloss können etliche Bücher und Studien über den Aufklärer Friedrich Eberhard von Rochow und seine Schule erworben werden. Wir empfehlen den Sammelband „Vernunft fürs Volk“, hg. von Hanno Schmitt und Frank Tosch, Henschel-Verlag 2001, 256 Seiten, viele Abbildungen, im Schloß für 7,50 € zu haben!
Die Adresse: Rochow – Museum und Gästehaus, Reckahner Dorfstr. 27, 14797 Kloster Lehnin, Ortsteil Reckahn. Tel. 033835/ 60672.
Das Schulmuseum: Tel. 033835/ 608870

Nach wie vor anregend für Ausflüge und kleine „Studienfahrten“ in die Mark Brandenburg ist das glänzend geschriebene Buch von Joachim Berger, „Mark Brandenburg. Freiheitlich und rebellisch. Ein Lese-Wander-Buch“ zu den Regionen Süd und West von Brandenburg. Das Buch ist zwar schon 1992 im Goebel – Verlag erschienen, aber wegen der vielen historischen Hinweise alles andere als „veraltet“. Das empfehlenswerte Buch ist antiquarisch noch zu erwerben. Zu Reckahn hat Joachim Berger selbstverständlich auch einen kleinen Essay geschrieben, S. 241-243 und wie in allen Kapiteln auch Fotos und Bilder publiziert.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

Parlamentswahlen in Frankreich: Jetzt hilft nur noch beten, glauben die Bischöfe.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 21.6.2024

Ergänzung zum Wahlverhalten des Ehepaars Klarsfeld: Veröffentlicht am 24.6.2024:

Unsere Hinweise zur Zustimmung zu den rechtsextremen Parteien in Frankreich (vor den Parlamentswahlen am 30.6. und am 7.7.2024) bezieht sich, unseren Schwerpunkten folgend, vor allem auf Katholiken und deren Führer.

Um der Objektivität und der umfassenden Information willen:
Wir finden es skandalös, dass jetzt das bekannte Ehepaar Serge und Beate Klarsfeld (Paris), geehrt wegen ihrer langjährigen Verfolgung von Nazi-Tätern, ihr Wahlverhalten zur Parlamentswahl 2024 öffentlich erklärt:
Sie wollen die Partei Marine Le Pens wählen, also den „Rassemblement National“ (RN). Dies ist die Nachfolgepartei des rechtsextremen „Front National“ des offen antisemitischen Vaters von Marine, also Jean-Marie Le Pen.

Man kann nur hoffen, dass dieses skandalöse Statement nicht Nachfolger findet, denn „die Klarsfeld“ sind doch „wer“…

Unsere Frage: Warum entscheiden sich Juden, die nach außen hin normalisierte, nach außen hin also nicht mehr antisemitische, hingegen immer noch explizit überaus muslimkritiische und sehr ausländerkritische Partei „Rassemblement National“ zu wählen?

Die Antwort des Ehepaars Klarsfeld: Sie wählen diese rechtsradikale, europafeindliche Partei RN aus dem einen Grund: Weil dieser Rassemblment National nicht explizit antisemitisch sein soll.

Das heißt: Für die beiden Klarsfeld wird ihre eigene Identität, also die Verbundenheit mit Israel und das Jüdischsein, zum entscheidenden und alleinigen Kriterium, eine insgesamt demokratie-feindliche Partei zu wählen.

Die beiden Klarsfeld halten ihre begrenzte jüdische Identität für wichtiger als die universalen Werte der Demokratie.
Wir haben im Zusammenhang der wichtigen Bücher des Philosophen Omri Boehm (Israel/USA) zum Thema mehrfach darauf hingewiesen. LINK.

Zurecht wurde wohl auch von den Klarsfeld früher einmal kritisiert, dass sehr viele Katholiken den Nazi-Freund, Général Pétain einst unterstützten, aus einem formal gleichen Motiv: Der Pétain förderte und unterstützte die katholische, die konfessionell Sache, die katholischen Schulen, die katholischen Werte der katholischen Familie etc. Er förderte die nun einmal begrenzte katholische Identität, die viele Katholiken (auch Bischöfe) wichtiger fanden, als für die Menschenrechte und die Demokratie in Frankreich einzutreten…

So haben sich Fixierungen auf begrenzte Identitäten gegen universalen demokratischen Werten am Leben gehalten und fortgesetzt, auch beim Ehepaar Klarsfeld.

Man muss diese Statements wohl eine Schande nennen. Juden in Frankreich urteilen ähnlich darüber, so befinden sich Kritiker in Deutschland in guter Gesellschaft. Siehe: LINK

Ein Vorschlag: Das Ehepaar Klarsfeld könnte alles tun, um ihren jüdischen Mitbürger Erich Zemmour davon abzuhalten, seine rechtsextreme Partei „Reconquete“ weiter auszubauen.

Zur Vertiefung: siehe die verschiedenen lesenswerten Beiträge der TAZ etwa. LINK. https://taz.de/Ehepaar-Klarsfeld-ueber-Frankreich/!6016087/

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

………………….. DER BEITRAG VOM 21.6.2024:

1.
Sie haben lange geschwiegen, die katholischen Bischöfe Frankreichs nach dem starken Rutsch ins Rechtsextreme auch unter den so genannten praktizierenden Katholiken, also nach den Europawahlen am 9. Juni 2024.
Im Unterschied zu den Verantwortlichen der protestantischen Kirche Frankreichs, die haben sofort präzise vor den Rechtsextremen gewarnt! (Siehe Fußnote 1)

2.
Am 20.6. hat sich nun die französische Bischofskonferenz aufgerafft, eine Stellungnahme zu den bevorstehenden Parlamentswahlen zu veröffentlichen, nachdem zahlreiche katholische Medien und einige katholische Laiengruppen das Schweigen der Hirten zum Sieg der Rechtsextremen am 9.6. 2024 öffentlich kritisiert hatten.

Am 23.6.versammelten sich doch noch einige Christen in Paris, um zu erklären: Die Rechtsextremen sind mit dem christlichen Gkauben nicht zu vereinbaren. (Quelle, Tageszeutung La Croix, Pars, 23.6.2024): “Un rassemblement de chrétiens « contre l’extrême droite » a été organisé, dimanche 23 juin, devant les Invalides à Paris. Un événement qui fait suite à la parution d’une tribune de 6 000 chrétiens expliquant refuser le Rassemblement national au nom de leur foi. Zur “christlichen Protest – Demo” am 23.6. selbst schreibt diese Zeitung: « “Nous sommes ici car nous voulons montrer que nos valeurs chrétiennes sont incompatibles avec celles prônées par l’extrême droite. » C’est le mot d’ordre que reprennent participants et organisateurs du rassemblement de chrétiens « contre l’extrême droite », dimanche 23 juin. Ils sont plus de 200 à s’être réunis, devant les Invalides à Paris.” Immerhin, einige politisch Vernünftige gibt es noch unter Frankreichs Christen vor der Wahl, sie raffen sich auf und demonstrieren. (CM)

3.
Im Mittelpunkt der Erklärung der Bischofskonferenz LINK  steht die Aufforderung, vor den Wahlen ein bestimmtes, neu formuliertes Gebet zu sprechen, siehe dazu Nr. 6. Von politischen Debatten jetzt in den Kirchen und Gemeindehäusern keine Rede, ebenfalls keine Rede, an den großen Demonstrationen gegen Rechtsextreme sollten Katholiken teilnehmen (das machen einige wenige Laien trotzdem). Kurz: Die Bischöfe sind eingeschlossen in ein ängstliches, nur frommes Weltbild.

4.
Zuvor ein Hinweis zu der Erklärung, die die Bischöfe als eine Art „Begleitung“ zu dem Gebet vor den Wahlen verstehen.
In dieser Erklärung ist deutlich: Die Bischöfe sehen durchaus, dass die Auflösung der Nationalversammlung das Land in unerwartete Unruhe („trouble“) führt.
Die Bischöfe fordern die Katholiken auf, verantwortungsbewusste Bürger zu sein, nicht etwa, weil sich diese Katholiken auf die Werte der Demokratie und der Menschenrechte zu allererst stützen. Sondern weil die katholische citoyens an „das Geheimnis von Tod und Auferstehung Jesu“ glauben und daraus ihre politische Hoffnung beziehen… Schuld an dem aktuellen „Malaise“ (Not) seien, so die Bischöfe, Individualismus und Egoismus, die Schwächung des Sinns für den Respekt für das menschliche Leben und die „Auslöschung Gottes im allgemeinen Bewusstsein und Gewissen.“ Außerdem sollen die Franzosen doch bitte die Meinungen der anderen Mitbürger respektieren, fordern die Oberhirten…
Es fällt auf. Mit keinem einzigen Wort werden die rechtsradikalen Parteien als Gefahr für die Demokratie und für den europäischen Zusammenhalt genannt. Die Bischöfe geben sich irgendwie neutral, sie geben – angesichts des langsamen Untergangs der Demokratie – keine konkrete Warnung oder gar konkrete Wahl – Empfehlung. Sie äußern sich jetzt vornehm neutral, als ob die Wähler es nur mit demokratischen Parteien zu tun hätten, bei denen Katholiken natürlich unterschiedliche Meinungen haben dürfen. Aber jetzt ist die Demokratie, ist Europa, bedroht. Irgendwie wirken die französischen Bischöfe, als wären sie aus der Gegenwart gefallen, als hätten sie die vielen hundert Skandale um ihre Priester (Sexueller Missbrauch) in tiefe Depressionen geführt.

5.
Dieses Schweigen der Bischöfe über die rechtsextremen Parteien, diese Angst, konkret Namen der problematischen Führer zu nennen, den Rassismus der rechtsextremen Parteien als solchen zu nennen sowie die Abwehr der Fremden… dieses Schweigen, diese klerikale Angst, sind ein Skandal.
Man kann also interpretieren:
Nicht nur die praktizierenden Katholiken, auch ihre klerikalen Führer, die Bischöfe, glauben nun an Marine Le Pens neues „moderates“ Programm der „dédiabolisation“ ihres Rassemblement National (RN). Madame Le Pen nannte ja ihr nach außen hin moderates Programm eine „Dédiabolisation“, eine „Entteufelung“ dieser Partei.
Wie naiv dürfen eigentlich Bischöfe sein? Oder haben diese Kleriker gar – wie ihre Vorgänger im 20. Jahrhundert – eine meist verstecke, manchmal offene Liebe gegenüber autoritären Politik-Entwürfen und rechtsextremen Politikern? Man denke nur an die Ergebenheit vieler französischer Bischöfe gegenüber dem autoritären Nazi – Freund Marschall Pétain…Oder sind die Bischöfe erfreut, dass der neue Parteichef des RN mal auf einer katholischen Schule war und deswegen so einbrechen katholisch angehaucht ist, oder dass die graue Eminenz des RN, Renaud Labane eifriger Katholik sein will, wenn auch im schismatischen Lager der Pius-Brüder, aber das muss ja nicht sooo schlimm sein, Hauptsache katholisch .. und Kämpfer für die Rechte der hetero-normativen Familie, für PRO LIFE und gegen den – angeblichen – Gender – Wahnsinn. Denn diese Kämpfe sind doch jetzt identisch mit katholisch!

6.
Jetzt hilft nur noch beten: Das bedeutet für klassischen katholischen Theologen: Gott wird schon vom Himmel aus das Flehen seiner Leute auf Erden erhören: Nur, er weiß selbst wahrscheinlich NICHT, was denn nun dieses Gebet seiner Leute in Frankreich konkret für ihn im Himmel bedeutet: Wo soll er denn nun mit seinem heiligen Geist eingreifen? Vielleicht Marine Le Pen zur Demokratin machen? Die Aufforderung zu beten, ist in den letzten Monaten unter Katholiken geradezu inflationär geworden, das nennt man Wunderglauben alter Art.
Gebet hat nur nachvollziehbaren Sinn, wenn mit diesem Wort „kritische Selbstreflexion“ mit dem Ziel demokratischen politischen Handelns gemeint ist. Daran denken die Herren der Kirche offenbar nicht im entferntesten. Sie glauben wider alle von Gott gegebene, deswegen heilige Vernunft, dass Gott im Himmel hört und erhört…Und die armen Katholiken hier jammern und leiden… und je nach Laune entscheidet.

7.
Das Gebet vor der Parlamentswahl:

« Dieu de vérité et de bonté, en ces temps de décisions fortes
pour notre pays la France,
aide-nous à discerner correctement ce qui est juste.
Renouvelle en nous, chaque matin, le goût de servir, pour que nous accomplissions nos tâches avec cœur
et garde-nous de mépriser quelque être humain que ce soit.
Viens, Esprit-Saint, éclairer ceux et celles qui seront choisis comme députés ou auront à gouverner notre pays.
Qu’ils puissent ensemble chercher le meilleur pour nous tous. 
Imprime en eux un grand sens du service du bien commun.
Sainte Vierge Marie, sainte Jeanne d’Arc, sainte Thérèse de l’Enfant Jésus, patronnes de la France, veillez sur notre pays.
Qu’il soit une terre de liberté, de justice, de fraternité et se tienne à la hauteur de son rôle dans l’histoire.
Aidez-nous à y être, à notre modeste place mais selon toute notre responsabilité, des disciples de l’Évangile.
Amen. »
Die Übersetzung kann jeder und jede leicht über die Übersetzungsdienste erhalten.
Es fällt mir in dem Gebet auf, wieder werden in totaler unpolitischer Haltung floskelhaft einige Sätzchen daher gesagt. Und vor allem: Die heilige Jungfrau Maria, die heilige Jeanne d Arc (sic, die kämpferische Heilige, die England besiegte!) und die heilige Theresia vom Kinde Jesu aus Lisieux, sie sind die Patroninnen Frankreichs … diese himmlischen heiligen Damen sollen „veillez sur Notre pays“, also „über unser Land wachen“.
Auch im Gebet wird kein Name, keine rechtsextreme oder antisemitische Partei genannt, die der liebe Gott doch bitte einschränken möge…
Ein Text, der heute schon Geschichte macht, ist eine Blamage, eine theologisch – politische Dummheit der Kirchenführer.
Fußnote 1:
Les instances de „l’Église protestante unie de France“ ont réagi dès le 13 juin 2024:
« Les résultats français des élections au Parlement européen nous accablent […] L’Église protestante unie de France ne peut pas se taire. […] Se tenir à l’écoute de l’Évangile a nécessairement des conséquences politiques qui s’opposent au programme du Rassemblement national. » (Quelle. Internet Zeitschrift „Témoignage Chretien“, Paris, 20.6.2024, LINK
Übersetzung:
„Die französischen Resultate der Wahlen zum Europaparlament bedrücken uns. Die Vereinigte Protestantische Kirche Frankreichs (also die Reformierten und die Lutheraner, CM) kann nicht schweigen. Wenn man auf das Evangelium hört, hat dies notwendigerweise politische Konsequenzen, die sich dem Programm des Rassemblement Nation (RN) widersetzen“.

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

 

Der ultraliberale Chef Argentiniens Milei erhält den Preis des ultraliberalen Friedrich A. Hayek in Hamburg

Ein Hinweis von Christian Modehn am 20. 6.2024.

Zur Demonstration in Hamburg gegen den Ultraliberalen MILEI in HAMBURG am 22.6.2024: LINK

1.
Der österreichische Ökonom Friedrich August Hayek (1899 – 1992) ist der bis heute, bekanntermaßen, sehr wirksame ökonomische Vordenker des Ultraliberalismus, also des radikalen Neoliberalismus, d.h. des Abbaus des (Sozial)-Staates.

Die neoliberale Zerstörerin des Sozialstaates Madame Thatcher rühmte Hayek ausdrücklich als ihr Vorbild. Reagan war auch Hayek – Fan…

Durch Hayeks Ideologie wird der Sozialstaat nicht nur geschmäht, er wird – zumal aktuell in Lateinamerika – heftigst abgebaut.
An Hayeks Ideologie klammert sich der neue Präsident Argentiniens, Javier Milei. Er vertritt die Ideologie des “Anarcho-Kapitalismus”, zu der auch der Rückbau des Rechtsstaates gehört. Dieser Herr, in Argentinien von den Demokraten verachtet und von einigen kritischen Bischöfen dort nich kritisiert, erhält am Wochenende in Hamburg (22. Juni 2024) die Hayek Medaille der Friedrich A. von Hayek – Gesellschaft. Da erkennt man die geistigen und vor allem ökonomischen Verbindungen! Die Liberalen in Deutschland scheinen sich zweifelsfrei mit diesem Herrn sehr wohl zu fühlen.

Der international bekannte Ökonom, Politologe und Theologe, Prof. Franz Hinkelammert (1931 – 2023) nimmt sich in seinem Buch »Die Dialektik und der Humanismus der Praxis«. VSA, 256 S.  auch Friedrich Hayek vor, der ausgehend von der These der »unsichtbaren Hand des Marktes« das automatische Gleichgewicht aller wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen behauptet. Damit gehe dieser weit über Adam Smith hinaus, der immerhin noch eingestand, dass der Markt zu seiner Zeit nur auf Kosten von ausgebeuteten, hungernden und elend sterbenden Arbeiterkindern stabilisiert werde. Hayek verleiht dem Marktabsolutismus eine religiöse Aura. Damit sanktioniere Hayek quasi jährliches millionenfaches Sterben an Hunger und Armut sowie die weitere Zerstörung der Erde,“ schreibt der Theologe Prof. Ulrich Duchrow.

Papst Franziskus hat jedenfalls im Februar 2024 mit einer sehr freundlichen Umarmung den Anarchokapitalisten und Ultraliberalen Herrn Milei  im Vatikan empfangen und begrüßt! So kann die von Papst Franziskus so oft zitierte Option “eine Kirche für die Armen zu sein”, auch gestaltet werden. Die Hayek – Ideologen befinden sich also in guter päpstlicher Gesellschaft der “Milei – Versteher”… LINK

2.
Mitglieder dieser sozialstaatsfeindlichen Hayek -Gesellschaft sind u.a.:

Der Opus – Dei – Priester Prof. Manfred Rhonheimer,

Die AFD FührerÎnnen Beatrix von Storch sowie Alice Weidel, sie ist allerdings aus diesem Club 2021 ausgetreten.

Der Autor Henryk M. Broder ist Mitglied dieser Gesellschaft.

Der Fürst von Liechtenstein Hans Adam II ebenso usw….

3.
Die Ideologie Hayeks ist die wohl wirksamste und schädlichste ökonomische Ideologie des brutalen Kapitalismus, die in den letzten Jahren formuliert und verbreitet wird … gegen den Sozialstaat und die Fürsorge des Staates für die Armen und an den Rand Gedrängten.

4.
Der liberale FDP Poliiker und jetzt Wirtschaftsminister Christian Lindner ist – immerhin ! – 2015 aus dieser „illustren“ reaktionären Hayek Gesellschaft ausgetreten. Wie viel Geist Hayeks in Lindners  Politik trotzdem steckt, wäre zu prüfen.

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

PS.:
Die Hayek Gesellschaft begründet die Ehrung des ultraliberalen argentinischen Präsidenten Milei mit den (in unserer Sucht sehr realitätsfernen, ideologisch fixierten) Worten:

„Der Vorsitzende der Hayek-Gesellschaft, Prof. Dr. Stefan Kooths, würdigt Milei als ambitionierten Reformer im Sinne Hayeks und der österreichischen Schule der Ökonomie… Mit seiner klaren Sicht auf die Kraft einer marktwirtschaftlichen Ordnung hat Argentinien die Chance, aus dem Interventionismus der Vergangenheit auszubrechen und wieder die Grundlagen für Freiheit, Wohlstand und sozialen Frieden zu legen. Und so weiter und so weiter… LINK   https://hayek.de/wp-content/uploads/2024/02/Pressemitteilung.pdf

Dass Präsident Milei von weitesten Kreisen der durch seine ultraliberale Politik notleidenden argentinischen Bevölkerung, gelinde gesagt, sehr unbeliebt ist, wird, in diesen liberalen Hayek – Kreisen, verschwiegen.

Siehe auch den aktuellen  Bericht über Milei in der selbst eher liberal eingestellten „DIE ZEIT“ vom 20.Juni 2024, im “Wirtschaftsteil” der Zeitung.

Aphorismen von Jürgen Große: “Von schwankender Gestalt”.

Ein Interview: Anläßlich des neuen Buches von Dr. Jürgen Große, Berlin.

Veröffentlicht am 17.6.2024

Herr Große, Sie haben als Historiker und Philosoph schon etliche Bücher auch zum Thema “Religion und Philosophie” vorgelegt. Nun ist Ihre neue Sammlung von Aphorismen mit dem Titel „Von schwankender Gestalt“ erschienen, mit den drei Kapiteln Kunst, Religion und Philosophie.
Um auf den Titel zu kommen: Ist für Sie der Aphorismus ein schwankendes, suchendes, umstrittenes, vielleicht auch gefährdetes Aussagen von Erkenntnissen, vielleicht sogar von Wahrheiten?



Ob umstritten, müssen die einschlägigen Literaturräte entscheiden, ob gefährdet, hängt selten vom Inhalt ab. Was unter dem Titel „Aphorismen“, heutzutage veröffentlicht wird, ist ja oftmals recht bieder, eine Kundgabe von gefestigten Überzeugungen, die nun auch bitte die restliche Welt teilen möge! Wobei viele Autoren sich in ihrer Unschuld tatsächlich für gefährdet glauben durch die unerhörten geistigen Kühnheiten, mit denen sie sich ans Licht wagen …
Doch selbst in der Karikatur wird eine Norm sichtbar, wie der Aphorismus, die Sentenz, die Maxime, um einmal ältere Ausdrücke zu benutzen, sein sollte. Mit der sogenannten Kleinen Form, also auch dem Aphorismus, geht man ein Risiko ein. Es besteht da ein literarischer Zwang zum Apodiktischen, Verkürzten, oft Einseitigen. Wenn man zudem noch in anderen Genres schreibt, riskiert man mit Aphorismen seinen guten Ruf. Dennoch, man muß es wagen, sich nackt in seinen Meinungen, Gefühlen, Vorurteilen zu zeigen, auch in der ganzen Ideologiehaltigkeit der eigenen Existenz. Sonst ist es bloße eitle Feierabendschreiberei und Ich-Dekoration.

Wer schreibt Aphorismen?

Es gibt heute Unmengen von „Aphorismen“-Büchern. Aber die lesbaren Aphorismen werden meistens nicht unter diesem Titel veröffentlicht, sondern finden sich in Nachlässen, Notizen, Nebenarbeiten von Schriftstellern. Aphorismen sind interessant, wenn der Autor gerade nicht das Schatzkästlein seiner gut abhangenen Lebenserfahrung und Weltsicht literarisch überhöht, um sie dem Leser schön formuliert aufzubinden. Sondern im Gegenteil, wenn der Schreiber seine eigenen Defizite literarisch auslebt, in einer gewissen Exhibition und Übertreibung. Steht ihm hierbei ein gewisses philosophisches Vokabular zu Gebote, dann kann das hilfreich sein – wenn es sich nicht als Bildungswissen, als Überzeugungswut in den Vordergrund drängt.
Gerade Philosophen oder einschlägig Studierte sind da gefährdet. Literarisch aufgepeppte Philosopheme interessieren keinen! Doch ächzen professionelle Philosophen, die sich in der Kleinen Form versuchen, oftmals unter ihrem akademischen Bildungsbuckel. Egal, ob solche Menschen ihre sonstige geistige Existenz literarisch auflockern oder feierlich gestalten wollen, es wirkt angestrengt, künstlich, weil das Verhältnis zur Sprache instrumentell bleibt.

Als Aphorismenschreiber hat man sicherlich eine Nähe zur Philosophie, doch im literarischen Idealfall dreht man das Verfahren der professionellen Philosophie um. Man sublimiert und objektiviert seine Subjektivität nicht, sondern man macht sie – gern mit dem Begriffsrepertoire philosophischer Objektivität – scharfumrissen sichtbar. Was dann umgekehrt auch die philosophischen Denkformen und -resultate in einem anderen Licht zeigt, in ihrer versteckten persönlichen Bedingtheit etwa.
Amüsant – und für Autor und Leser erträglich – wird das alles erst bei einer gewissen Natürlichkeit literarischer Sprache und philosophischer Bildung, das heißt eben nicht als Sonntagsschreiberei, sondern schon im Vollzug der Normalexistenz. Dennoch, die Unsicherheit des Autors über den Wert solcher Elaborate wird immer bleiben, somit auch das, was Sie vielleicht mit „Schwanken“ meinen.

Wer oder was bringt diese Gestalten (Aphorismen) denn zum Schwanken? Äußere, gesellschaftliche Kräfte oder der denkende Autor selbst? 



Offensichtlich ein Mißverständnis! Ich meinte mit der schwankenden Gestalt im Untertitel erst einmal das, was bei Hegel die Erscheinungsformen des absoluten Geistes sind, also Kunst, Religion, Philosophie. Eine liebe-, aber auch respektvolle Ironie meinerseits; Stabilisierungsversuche erzeugen bei mir jedenfalls immer Respekt! Denn ich bin überzeugt, daß besagtes Schwanken von Kunst, Religion, Philosophie eine Tatsache ist. Es zeigt den gefährdeten, krisennahen Zustand einer als autark gewollten Kunst, Frömmigkeit, Begriffsdichtung. Das Schwanken resultiert schlicht aus deren Emanzipation.
Man setzt diese Gefährdung pauschal, aber nicht unbegründet mit „der“ Moderne gleich, diese Ansprüche einer Kunst um der Kunst willen, eines Denkens um seiner selbst willen, aus sich selbst gegründet. Zum Aphorismus kommt man angesichts dessen vielleicht, weil er eine literarisch und intellektuell angemessene Ausdrucksform der Unruhe, der Unsicherheit ist. Wobei – es sind auch schon Systeme in Aphorismen entworfen worden …

Sind (für Sie) Aphorismen bevorzugte Formen philosophischer Aussagen? Oder „nur“ Anreize, Impulse, Irritationen, Provokationen?

Ich schreibe auch langatmige Sachbücher und Essays! Aber tatsächlich ist für mich der Aphorismus die philosophische Königsform, weil sie zur Reduktion und somit zur Selbstkonfrontation zwingt: Was will ich sagen? Wollte ich das sagen? Was habe ich da eigentlich gesagt? War das wirklich notwendig?
Es ist ein Selbstgespräch, aber im Rahmen akzeptierter sprachlicher Regeln. Eine Verbindung von Strenge und Freiheit. Ich muß da keine Rücksicht auf tatsächliche oder – wie beim Sachbuchschreiben – imaginierte Gesprächssituationen nehmen, wo es ein Gegenüber argumentativ oder rhetorisch zu bezwingen gilt, wo man die ganze Sprachlast des „also“, „somit“, „daher“ mitschleppt. Kurz, das intuitive Element dominiert, nicht das kausale oder narrative. Der Aphorismus reißt Phänomen- oder Problemzusammenhänge überhaupt erst an, fixiert sie in einem sententiösen Kürzel.
Es ist auch geistige Selbsterziehung. Ich erkenne mich in meiner subjektiven Begrenztheit, meinen Vorurteilen und Denkängsten, ich möchte mich davon befreien, doch nicht, indem ich meine Subjektivität scheinobjektiv und sachlich schick mache für die Öffentlichkeit, sondern indem ich sie mit literarischen Mitteln übertreibe, sie zur Größe von religiösen Dogmen und philosophischen Systemen aufblase und erkenne: Das ist zu groß für einen Menschen, um darin zu leben; der Mensch ist ein vielleicht mängelbehaftetes, aber lebendiges Ganzes; dieses wiederum ist nur in Teilen durch Systeme und Dogmen zu erfassen …

Wie würde sich Ihrer Meinung nach eine geeignete Form der Lektüre Ihrer Aphorismen gestalten? Könnte man sagen: meditativ, verweilend, protestierend, die Irritation als Antwort ausdrückend?

Nichts davon muß, alles kann. Wenn mir Menschen schreiben, daß sie hier und da etwas zu lachen fanden, bin ich glücklich und zufrieden.

In Ihren Aphorismen steckt sozusagen Ihre eigene Philosophie, also das, was Sie als Philosoph für „wesentlich“ halten. Welche Elemente würden Sie da nennen?

Eine gute Fangfrage! Sie läuft letztlich auf die Trennbarkeit von philosophischem Gehalt und literarischer Form heraus, mit der ein Aphoristiker aber seinen Bankrott erklärt hätte. Man kann aphoristische Texte nur bedingt nach ihrem Wesensgehalt referieren. Deshalb bin ich auch bei meinen eigenen Büchern zu Nietzsche oder Cioran an gewisse Grenzen gestoßen.
Doch Ihre Frage zu dem, was ich an der Philosophie wesentlich finde, kann ich beantworten. Philosophie muß Selbst- und Welterkenntnis verbinden können, auf eine sprachlich wie logisch überzeugende Weise. Vielleicht auch auf einmalige, einseitige Weise. Deshalb wohl die unausrottbare Vorstellung, es gäbe so etwas wie Primärautoren, eben Klassiker, auf deren originäre Einsichten man zurückgreifen könnte.

In dem Kapitel „Religion“ wird für mich deutlich, dass Sie mit den Formen des religiösen Glaubens ringen, dass Sie aber auch die Konkretheit von Glaubensformen und Glaubensinhalten ablehnen, aber dann doch daran denken: Irgendeine vernünftige und gute Gestalt von religiösem Glauben könnte es doch geben. Verstehe ich Sie da richtig?

Daß ich konkrete Glaubensinhalte ablehne, wäre zu viel gesagt. Überhaupt kann man ja Glaubensinhalte nicht kritisieren oder ablehnen wie Protokollsätze! Aber als Intellektueller, als Schriftsteller, erfasse ich sie natürlich von einem Standpunkt aus, der seinerseits kein religiöser, zumindest kein religiös-dogmatischer ist. Das ist jedoch keine Metaposition oder geistige Konsumhaltung. Das Religiöse wird bei mir nicht vernutzt, auch nicht aufgeputzt! Intellektuelle und Schriftsteller, die den Glauben zu sozialen Distinktionszwecken benötigen, als Einstecktüchlein an die bürgerliche Ausgehuniform geheftet – die finde ich einfach peinlich. [Herr Mosebach, Sie sind gemeint!] Und weiter: „Vernünftig“ und „gut“ wären schon sehr starke Ausdrücke für meine Klärungsversuche an dem, was „Glaube“ bedeutet. Keine Frage, Glaube kann Lebensform und Institution werden, auch spezielle Bewußtseinsform, in all diesen Fällen ist er dann deutlich von anderen Erfahrungsregionen abgehoben. Ich stelle mich da bewußt etwas ahnungs- oder vorurteilslos und suche die Gläubigkeit erst einmal auf einer alltäglichen, vielleicht banalen Ebene auf. Im banalen wie im anspruchsvollen Sinne kann nun aber niemand von sich selbst mit Sicherheit sagen, ob das sein „Glaube“ ist, was er denkt und fühlt!* Das ergibt sich erst aus Kontrasten mit anderen Erfahrungs- und Denkformen, natürlich auch mit anderen Glaubensinhalten, sprich, das geschieht im sozialen Raum. Und dann zeigt sich zum Beispiel: Gläubig wird jemand genannt, der von den – für andere Menschen – wirklichen Dingen behauptet, daß sie nicht wirklich sind oder wertvoll sind, und der von den – wiederum für andere Menschen – unwirklichen Dingen behauptet, daß sie wirklich sind oder wertvoll sind. So gelten dann schließlich ganze Menschengruppen als gläubig, andersgläubig oder ungläubig. In solchen Adjektiven drückt sich unvermeidlich das Glaubensverhältnis derer aus, die sie anderen anhängen.
*Speziell beim christlichen Glauben habe ich den Eindruck, daß sich sein Bekenner nie ganz sicher sein darf, ob er glaubt, ja auch nur, ob er richtig glaubt; die Sicherheit wäre dann wohl schon zu nahe beim Hochmut.

Die drei Kapitel des Buches, also Kunst – Religion – Philosophie, spielen also auf Hegels Überzeugung vom absoluten Geist an, der sich in drei Stufen zur Philosophie hin als höchster Form des Geistes entwickelt. Ist für Sie auch die Philosophie auch das Höchste der vernünftigen Leistungen des Menschen?

Ihrer Tendenz und ihrem Anspruch nach liefe das auf ein Ja hinaus. Aber das würde als Antwort wohl weder Sie noch mich befriedigen. Mir selbst käme eine Hierarchie entlang der (philosophischen) Vernünftigkeit arrogant und auch ein wenig borniert vor. Ich will damit nicht auf eine doppelte Wahrheit oder ähnliches hinaus, sondern sehe das Problem so ähnlich wie beim Glauben überhaupt: Seinem Ideal nach bringt jeder – dogmatisch befestigte – Glaube seine eigenen Maßstäbe mit, was als „seines“ zu gelten habe. Deshalb könnte es sein, daß auch die Philosophie sich nur im philosophischen Selbstgespräch befände, wenn sie die Vernunftquote von Kunst oder Religion zu ermitteln versuchen würde.

Menschen machen sich ihre Götter, das ist sicher ein zentraler Gedanke für Sie. Wie wäre es mit dem Gedanken: Gott als „schöpferische Kraft“ hat selbst in die Menschen diese seine göttliche Kraft (Geist, Vernunft) gelegt, dass sich die Menschen Götter machen? Die Götter und die Glaubensformen wären also Gottes „Produkt“! Dies wäre eine Überwindung der altbekannten Projektionslehre von Feuerbach.

Ein Entwicklungszirkel also, ein evolutionärer Pantheismus? Eventuell mit einer Perspektive auf die Konvergenz der Weltreligionen? Ich finde das spekulativ interessant und oft kühn und geistreich ausgeführt. Mein leichtes Unbehagen an solchen Spekulationen ist nicht prinzipiell inhaltlich-dogmatisch, sondern denkökonomisch begründet. Wenn man nämlich den Begriff Gott so weit von positiver Offenbarung hinweg ausdehnt (was bei einschlägig hermeneutischer Kunstfertigkeit ja theologisch machbar ist), dann leidet man vielleicht bald an einem Zuviel an Freiheit, weniger nett gesagt: an Beliebigkeit. Mich fesseln eher Denker und Autoren, die sich in engerem Rahmen abmühen. Die haben meine höchste Aufmerksamkeit, auch mein Mitgefühl. Mir fällt dazu das etwas grausame Nietzschewort von der ungeheuren Dummheit ein, daß man Jahrtausende nur gedacht habe, um etwas zu beweisen – und daß diese Dummheit erst den Geist groß gemacht habe.
Und zu Ihrer Eingangsformel: Da fällt mir ein anderer Titan des 19. Jahrhunderts ein, Karl Marx. Gewiß, Menschen machen sich ihre Götter wie ihre Geschichte selbst, aber eben auch unter vorgefundenen, nicht restlos frei wählbaren Bedingungen!

Jürgen Große, Von schwankender Gestalt, Kunst, Religion und Philosophie nach ihrer Befreiung. Taschenbuch, edition fatal, Potsdam 2024, 15 Euro.

Ebenso zum Thema von Jürgen Große: „Der Glaube der anderen. Ein Weltbilderbuch“ (2021),

“Der sterbende Gott” (2020).

Die Fragen stellte Christian Modehn.

Copyright: Dr. Jürgen Große, Berlin

42 Prozent der praktizierenden Katholiken in Frankreich wählen 2024 rechtsextreme Parteien (Europawahl)

42 Prozent der praktizierenden Katholiken in Frankreich stimmen zur Europa- Wahl 2024 für rechtsextreme Parteien.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 10.Juni 2024. Siehe auch unseren ausführlicheren Beitrag zu diesem Thema vom 14.6.2024: LINK:

1.
Das Meinungsforschungsinstitut IFOP (Paris) hat für die angesehene katholische Tageszeitung LA CROIX (Paris) festgestellt:

2.
42 Prozent der sogenannten praktizierenden Katholiken (d.h. sie nehmen gelegentlich an der Messe teil…) haben bei der Europawahl 2024 für die beiden rechtsextremen Parteien gestimmt:

32 Prozent für Marine Le Pens Partei „Rassemblement National“ (RN) (Von ALLEN Wählern erhielt RN „NUR“ 31 Prozent! )

und

10 Prozent der praktizierenden Katholiken stimmten für die noch rechtsextremere Partei „Reconquete“ von Eric Zemmour und der Nichte Marine Le Pens, Madame Maréchal. (Von allen Wählern erhielt Reconquete „NUR” 5,5 Prozent). (Madame Maréchal hat sich inzwischen von Zemmours Partei offiziell getrennt (14.6.2024) und will ihre Tante Marine Le Pen und ihr nach außen hin etwas rechtsradikal – moderateres “Rassemblement National” (RN) unterstützen…

Diese Partei “Reconquete”, obwohl von dem jüdischen Journalisten Eric Zemmour gegründet, hat offensiv für eine „christliche Identität“ geworben, um die Muslime auf diese Weise zu diskriminieren und einzuschüchtern. Denn reconquete bedeutet Rückeroberung, wie damals 1492, als die katholischen Könige Spaniens die Muslime vertrieben und die Juden zur Konversion zwangen….Reconquista auf Spanisch…

Diese Fakten berichtet La Croix am 10. 6.2024: LINK.

3.
Die Katholiken und ihre Oberhirten sind dann doch vielleicht noch etwas beruhigt: Denn nur 18 Prozent der regelmäßigen (!) TeilnehmerInnen an der Sonntagsmesse (das bedeutet in Frankreich wenigstens einmal pro Monat!) haben eine der beiden rechtsextremen Parteien gewählt, berichtet “La CROIX”.

4.
Für die sehr linke Partei „La France Insoumise“ haben 5 % der praktizierenden Katholiken gestimmt, für die Sozialisten 10 %, für die Grünen 4 %, für die Macron – Parteien (nur) 12 % und 14 % für die traditionellen Konservativen, genannt „Les Republicains“.

5.
Kommentar der Soziologen in Paris: Marine Le Pen ist mit ihrem milden Auftreten und ihren eher milden Sprüchen dann doch bei katholischen Publikum angekommen. Und hat sie verführt, ist unser Kommentar. Wer glaubt im Ernst, dass Marine Le Pen “eine lupenreine Demokratin” ist?

Sicher hat die praktizierenden Katholiken auch der Gesetzesentwurf Macrons in die rechtstextremen Parteien geführt, denn der Präsident ist für eine gesetzliche Form der aktiven Sterbehilfe eingetreten. Die rechtsextremen Parteien waren selbstverständlich dagegen. Diese Rechtsextremen lassen es lieber zu, dass im Mittelmeer Flüchtlinge aus Afrika aktiv/passiv das eigene Sterben erleben…

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de