Wenn Rechtsextreme die katholische Kirche lieben…

Der rechtsradikale französische Politiker Eric Zemmour will aus Frankreich Muslime rausschmeißen. Ein kritischer Hinweis auf das neue Buch Zemmours.
Von Christian Modehn. Am 9.November 2025

Dies ist ein Hinweis auf das heftige Bemühen eines Rechtsradikalen und Identitären, katholische Gläubige zu gewinnen: „Wir brauchen die Kirche als für uns hilfreiche Institution“, ist das Motto Zemmours.

Und: CSU-Politiker (Seehofer, Dobrindt) und AFD Politiker müssen wissen, wenn sie, wie so oft, verkünden: “Der Islam gehört nicht zu Deutschland”: Dann befinden sie sich in bester Gesellschaft mit dem Rechtsextremem Eric Zemmour, er verkündet: “Der Islam ist mit der französischen Republik nicht kompatibel.” (zit. S.100 im neuen Buch Zemmours “La messe n est pas dite”, Paris 2025).

1.
Sollte man wirklich die neue Publikation eines notorischen, mehrfach gerichtlich verurteilten französischen Rechtsextremen lesen und kritisch bewerten? Das hat nur Sinn, um die Lügen seiner Ideologie freizulegen, seine Unterstützer zu nennen und seine internationalen Connection.

2.
Eric Zemmours Partei „Reconquete“ gehört seit 2024 im Europa-Parlament zur rechtsextremen Fraktion „Europa der Souveränen Nationen“(ESN). Mitglied sind auch die „Alternative für Deutschland” (AFD) und weitere rechtsradikale Parteien aus Polen, Ungarn, der Slowakei usw.. Auf der “Buchmesse” der rechten und rechtsextremen Verlage in Halle am 9. Novembetr 2025 war auch ESN aus Brüssel vertreten, LINK … Bei der Präsidentschaftswahl in Frankreich 2022 erhielt Zemmours Partei 7,07% der Stimmen, danach gab es Streit unter den Parteimitgliedern und Parteiauschlüsse. Momentan schwächelt also „Reconquete“: Das neue Buch Zemmours soll Wähler gewinnen, und zwar katholische Wähler, hatten doch 2022 schon 10 Prozent der katholischen Wähler für Reconquete gestimmt. LINK

3.
Der Autor hat seinem neuen, kleinen Essay den katholisch gefärbten Titel gegeben: „La Messe n`est pas dite“ (Der Titel will etwa sagen: “Die Sache ist noch nicht erledigt“). Welche Sache? Diese ist für den Autor Eric Zemmour seit vielen Jahren schon absolut klar: Die Ausgrenzung, die Verachtung und der Rauswurf von Muslimen aus Frankreich (und aus Europa): „Das“ also ist noch nicht erledigt, sollte aber alsbald erledigt werden, meint Zemmour, wenn die Rechtsextremen die Herrschaft übernehmen, was ja in absehbarer Zeit leider durchaus wahrscheinlich ist. Zemmour bläht seine Attacken, seine Polemik, im Mittelteil seines „Opus“ auf … zu einer sehr einseitigen, irgendwie religionswissenschaftlich, „kulturell“ angehauchten Reflexion. Seine heftigen politischen Forderungen fasst er in den abschließenden Kapiteln zusammen. Und betont dort erneut seine Verbundenheit mit dem reaktionären Flügel des USA-Katholizismus. Vor allem nennt er J.D.Vance einen “brillanten Geist” (S. 116). Und Zemmour lobt ausdrücklich Papst Leo XIV. für seine “friedlichen und versöhnenden Intentionen” (S. 115), im Unterschied zum verhaßten Papst Franziskus, “der versuchte, die auf Identität zielende Rückkehr junger Europäer zu ihren kulurellen Wurzeln einzudämmen.”  (S. 115).

4.
Dabei steht für Zemmour (wie heute bei allen Rechtsextremen, Identitären usw.) diese etwas kulturell-philosophisch kaschierte Anti-Islam Polemik entschieden im Dienst der aktuellen politischen Abwehr und Vertreibung von Flüchtlingen aus Frankreich und Europa. Zemmour begründet seinen Hass gegen „den“ Islam auch mit Zitaten von Autoren der alten, traditionsreichen rechtsextremen Szene wie Maurice Barrès, Joseph de Maistre…

5.
Eric Zemmour hat im Jahr 2021 die Partei „Reconquete“ („Rückeroberung“) gegründet, die der rechtsextremen Partei von Marine Le Pen („Rassemblement National“, zuvor „Front National“) Konkurrenz macht. Aber Zemmours Partei gibt sich ungeniert noch rechtsextremer als die Le Pen – Partei. Der Name der Partei „Reconquete“ sagt alles: Es geht um die Rückeroberung, also die Befreiung Frankreichs von den Zerstörern der alten französischen, und zwar der katholischen Identität: Und diese Feinde sind für Zemmour die Muslime. „Reconquista“ ist der bekannte spanische Begriff für die „erfolgreiche“ Vernichtung und Verdrängung der Muslime aus dem katholischen Spanien Ende des 15. Jahrhunderts. Dass im 11. und 12. Jahrhundert die Muslime in Andalusien die entscheidenden Vermittler von Kultur für die Christen waren, verschweigt Zemmour selbstverständlich. Aufgeklärte und gebildete Christen, ihre Theologen, sind den Muslimen dankbar für ihre kulturelle Leistung.

6.
Über Eric Zemmours Leben, geboren 1958 in der Banlieue von Paris, mit seiner Herkunft aus jüdischen Kreisen Algeriens, über seine Studien, seine journalistische Arbeit, seine vielen Bücher, seine politische Hetze usw. kann man sich sehr ausführlich und sehr treffend über die französische wikipedia Seite informieren: LINK.
Über die Prozesse gegen ihn siehe dort die Rubrik „Condamnations, relaxes et poursuites judiciaires“ („Verurteilungen, Freisprüche und Gerichtsverfahren“), gelesen am 7.11.2025.

7.
Wichtig ist zunächst: Diese Kampfschrift Zemmours mit dem theologisch wirkenden Untertitel „Für eine jüdisch-christliche Wiederbelebung“ erscheint im Verlag „Fayard“ in Paris, der früher als großer literarischer Verlag einen guten Ruf hatte: Seit einigen Jahren gehört er dem katholischen Multimillionär Vincent Bolloré, er ist mit der rechtsextremen Partei „Rassemblement National“ von Madame Le Pen sehr hilfreich verbunden. Wegen seiner rechtsextremen Bindung hat Bolloré auch Zemmours Essay veröffentlicht und zum Preis von 10 Euro förmlich unters Volk geworfen. Gleichzeitig erscheinen bei Fayard auch Publikationen weiterer rechtsextremer Politiker und Ideologen: Von Philippe de Villiers, altbekannter rechter Politiker, jetzt Mitglied der Partei von Zemmour und von Jordan Bardella, er ist jetzt Vorsitzender der rechtsextremen Partei „Rassemblement National“ (die Le Pen Partei). Da sammelt sich also in Frankreich ein finanziell bestens ausgestatteter rechtsextremer Katholizismus, und dies leider mit Erfolg: Bei der Parlamentswahl 2024 stimmten 36% der Katholiken für die rechtsextreme Parteien, also für Reconquete und für die Partei Le Pens, 2012 waren es nur 20%. …LINK 

Über den rechtsextremen katholischen Milliardär Bolloré: Siehe den schon länger vorliegenden Hinweis des Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salons: LINK.
Genauso wichtig ist der Slogan der Rechtsextremen: Es geht um ein Plädoyer für die „jüdisch-christliche Kultur“, die auch der Untertitel des Zemmour Buches betont: Plötzlich werden nun von Rechtsextremen, die einst Juden hassten (wie der Vater von Marine Le Pen) und Juden verfolgten (wie die faschistischen Führer im Vichy-Regime) zu Bündnispartner im Kampf gegen die schlimmen Feinde, und dies sind „die“ Muslime. Rechtsextreme schmücken sich also als Rassisten jetzt mit einer gewissen philo-semitischen Ideologie.

8.
Wie gesagt: Der rechtsextreme, explizit traditionalistisch-katholische Milliardär Bolloré und Verlagschef von Fayard ist von Zemmours angetan, weil der Autor für eine starke katholische Kirche in Frankreich und Europa plädiert. Sie soll eine religiöse Bastion gegen den Islam werden. Zemmour bekennt: Kein Katholik, kein Christ zu sein, sondern sich als Jude zu einem – bei ihm diffus wirkenden – „Judäo-Christentum“ zu bekennen (S. 19). Aber er schätzt aus politischen, machtpolitischen Gründen eine mächtige, einflußreiche konservativ-traditionalistische Kirche: Ein Vordenker für diese politisch bedingte Bevorzugung der Kirche als einer hilfreichen Institution/Organisation ist Maurice Barrès.
Barrés Motto wird von Zemmour auf Seite 15/16 zitiert: „Ich unterstütze und verteidige den bedrohten Katholizismus, weil ich Patriot bin, im Namen des nationalen Interesses. Den Katholizismus aus unserer französischen Erde herausreißen, das hieße, unser ganzes nationales Gebäude erschüttern, unser ganze Zivilisation. Zwischen dem Katholizismus und unserer Zivilisation kann man nicht mehr unterscheiden.“ In einer Art geschichtsphilosophischen Ideologie schreibt Zemmour: „Ein heiliges Land ist diesem Volk Gottes versprochen: Frankreich“ (S. 34).
Mit dieser Bevorzugung des Katholizismus wird der klassische Protestantismus (Lutheraner, Reformierte…) von Zemmour zurückgewiesen, dieser Protestantismus sei von der Aufklärungs-Philosophie verdorben und genauso so gefährlich wie die Freimaurer. Aber Zemmour schätzt, wie gesagt, den traditionalistischen Katholizismus, mit der alten Messe in Latein, dem Klerikalismus, nicht aber den Katholizismus des Zweiten Vatikanischen Reformkonzils (S. 44 f.). Denn der moderne Katholizismus pflegt den Dialog der Religionen, auch den Dialog mit dem Islam…

9.
Gegen den Islam schreibt Zemmour (S. 50): „Der Islam ist eine Unterwerfung unter eine bevormundende und überholte Regel, die aus dem 7. Jahrhundert, aus der Wüste Arabiens, stammt, sie verschließt förmlich jeden Augenblick im Leben des Individuum: Denn Individualität und Freiheit werden negiert in einer totalitären Logik.“ Zemmour behauptet, die katholische Kirche hätte die Individualität gefördert, die Individuen gepflegt….von Hexenverbrennungen und Unterdrückung von Frauen, von Minderheiten usw. ist keine Rede bei ihm. Zemmour bastelt sich seine Kirchengeschichte zusammen…

10.
Zur „Identität“ Europas, dem Hauptthema des Identitären Zemmour: „Juden und Christen haben begriffen, dass einzig diese ihre gemeinsame Verbindung Frankreich und Europa retten kann von einer unausweichlichen und verheerenden Islamisation“ (S.90). Verlogen ergänzt Zemmour an dieser Stelle einmal, dass er gegen die Islamisation Frankreichs und Europas kämpft, nicht aber gegen „alle Muslims“. Damit will er sagen: Es gebe doch einige gute Muslims, etwa die Flüchtlinge aus dem Iran oder jene afrikanischen Muslime, die den französischen Lebensstil mit seiner Trennung von Kirchen und Staat schätzen. „Diese Muslims wissen, dass allein ein französisches Frankreich, das heißt ein Frankreich, das gleichzeitig christlich und vom Geist der Trennung von Kirchen und Staat geprägt ist, sie schützen kann…etwa vor familiärer Gewalt… (S. 91). Im Grunde will Zemmour suggerieren: Diese wenigen guten Muslims sollten am besten zum Katholizismus konvertieren…
Auf Seite 100 zeigt Zemmour sein wahres Gesicht. Er will islamische Menschen aus Europa „zurückführen! Er behauptet: „Der Islam ist tatsächlich inkompatibel mit der französischen Republik, wie er auch inkompatibel ist mit den Werten aller demokratischen Staaten des christlichen Europa… Einzig die Muslime, die dieses unser eherne Gesetz akzeptieren, werden bei uns bleiben können: Die anderen werden nach nach Hause zurückkehren müssen, um dort nach ihrem islamischen Gesetz in aller Strenge und Vollkommenheit zu leben. Denn es gibt ja mehr als 50 islamische Länder auf der Welt“ (S. 100/101).

11.
Die katholische Kirche als Institution soll für diesen rassistischen Kampf gegen die Muslime in Europa und für deren Rückführung „in die Heimat“ eine Bündnisparterin werden… „indem man etwa den Bau von großen Moscheen in Frankreich verbietet“. Zemmour will verhindern, dass große Moscheen das Stadtbild in Frankreich stören, bisher sind viele Moscheen in kleinen und häßlichen Garagen auf Hinterhöfen untergebracht. Also bitte keine „mosquées cathédrales“, fordert Zemmour… Und die offizielle katholische Kirche Frankreichs sieht er jetzt auf gutem Wege, indem sie sich gegen LGBT Menschen wehrt und gegen Feminismus und die Ideologie des Genre verurteilt. Und dann wünscht sich Zemmour: Es sollen bitte die Französinnen wieder mehr Kinder gebären, bei der großen Anzahl von Kindern in islamischen Familien Frankreichs ein dringendes Gebot zur Rettung der „Identität“ Frankreichs.
Das ganze Repertoire der rechtsextremen Ideologie bietet Zemmour auf, um die „Identität Frankreichs“ „zu retten“. Denn „die Islamisierung bedroht die Seele der Europäer“ (S. 105). Und als Krönung seiner Ideologie bezieht sich der Jude Zemmour auf die Erfinderin dieser Ideologie, die Jüdin Bat Ye Or.. und fordert wie sie das „Grand remplacement“: LINK    Das „große Ersetzen“ eines Teils der Bevölkerung: Also die Muslime werden „ersetzt“, das heißt rausgeschmissen! Aber wer ersetzt die die Muslime, wenn vielleicht nur noch hochbegabte, wertvolle und unpolitische, „kompatible“ Inder ins Land gelassen werden? Wer wird alsbald den alten Zemmour pflegen, vielleicht eine nette reiche rechte französische Dame aus seiner Partei?

12.
Das Pamphlet von Zemmour braut eine Ideologie zusammen, die unsere Demokratie zerstören wird. Die Rechtsextremen erobern mit ihren Hass- Sprüchen auch die Mentalität vieler naiver (katholischer) Bürger, die meinen: Ihre berechtigte aktuelle Kritik am Zustand unserer Demokratie dadurch zu bewältigen, wenn sie rechtsextreme, identitäre Parteien (wie Zemmour, Le Pen, AFD, Wilders, VOX etc.) unterstützen und wählen. Diese naiven Leute werden sich dann bei der Herrschaft dieser rechtsextremen Politiker wundern, wenn sie Kritik an der neuen rechtsextremen Regierung nicht mehr öffentlich äußern dürfen, weil dMeinungsfreiheit und Redefreiheit längst abgeschafft wurden. Dann beginnt bei einigen vielleicht das Aufwachen der Vernunft. Aber dann ist es zu spät.

Weitere kritische Hinweis zu Rechtsextreme Katholiken in Frankreich: LINK

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

Eine philosophische Anklage gegen die heutige Gesellschaft: Byung-Chul Han

Der Philosoph Byung-Chul Han hat am 24. Oktober 2025 in Oviedo, im „Teatro Campoamor“, den „Prinzessin von Asturien – Preis“ in der Kategorie „Kommunikationen Humanwissenschaften“ erhalten.
Ein Hinweis von Christian Modehn am 28.10.2025

1.
Die zahlreichen Studien des südkoreanisch – deutschen Autors finden auch in Spanien und Lateinamerika viel Interesse. Über die Vielfalt der Titel der Publikationen Hans kann man sich leicht etwa über wikipedia informieren. Man bedenke, dass die ersten Veröffentlichungen des Philosophen Han Fragen rund um Heidegger und den Zen- Buddhismus handeln. Die jüngste Publikation (2025) „Sprechen über Gott“ (Verlag Matthes und Seitz) als ein Dialog mit der Philosophin und Christin Simone Weil fehlt allerdings im Wikipedia Beitrag. Im Vorwort zu seinem neuen Buch “Sprechen über Gott” schreibt Han: “Ich empfinde eine tiefe Freundschaft, ja eine Seelenfreundschaft für Simone Weil. So kann ich, selbst fast nach  100 Jahren, von ihren Gedanken Gebrauch machen, um zu zeigen, dass es jenseits der Immanenz der Produktion und des Konsums, jenseits der Immanenz der Information und der Kommunikation eine andere, höhere Wirklichkeit, ja eine Transzendenz gibt, die uns aus dem ganz sinnentleerten Leben, aus dem bloßen Überleben, aus dem quälenden Seinsmangel herauszuführen und uns eine beglückende Seinsfülle zu geben vermag.”

2.
Seine Rede anläßlich der Preisverleihung in Oviedo hielt Byung – Chul Han auf Deutsch, sie ist eine heftige Verteidigung der Bedeutung der Philosophie in der neoliberalen Gesellschaft. Sie ist anregend und aufregend, wie es sich für Philosophie gehört.

3.
Wir zitieren einige Ausführungen aus dieser Rede, die wir der Website der Stiftung in spanischer Sprache entnehmen und über deepl.com ins Deutsche übersetzen. Hans Rede in Oviedo ist zugleich eine Verteidigung seiner philosophischen Positionen, die in Deutschland kritisiert wurden.
Die Website der „Princesa de Asturias Stiftung“ bietet den ganzen spanischen Text des Vortrags: LINK

…………..

4. Aus der Rede von Byung-Chul Han in Oviedo, 24.10.2025:
„In der Apologie, dem berühmten Dialog von Platon, erklärt Sokrates, nachdem er zum Tode verurteilt wurde, in seiner Verteidigungsrede, was die Aufgabe eines Philosophen ist. Die Aufgabe des Philosophen bestehe darin, die Athener aufzurütteln und wachzurütteln, sie zu kritisieren, zu irritieren und zu tadeln, so wie eine Bremse ein edles Pferd sticht und aufregt, dessen eigene Körperfülle es passiv macht, und es so anspornt und stimuliert. Sokrates vergleicht dieses Pferd mit Athen…

Ich bin Philosoph. Als solcher habe ich diese sokratische Definition der Philosophie verinnerlicht. Auch meine Texte zur Sozialkritik haben Irritationen hervorgerufen, Nervosität und Unsicherheit gesät, aber gleichzeitig viele Menschen aufgerüttelt. Bereits mit meinem Essay Die Gesellschaft der Müdigkeit habe ich versucht, diese Aufgabe des Philosophen zu erfüllen, indem ich die Gesellschaft ermahnte und ihr Gewissen aufrüttelte, damit sie aufwacht. Die These, die ich darlegte, ist in der Tat irritierend: Die unbegrenzte individuelle Freiheit, die uns der Neoliberalismus verspricht, ist nichts weiter als eine Illusion. Auch wenn wir heute glauben, freier denn je zu sein, leben wir in Wirklichkeit in einem despotischen neoliberalen Regime, das die Freiheit ausbeuten…

Ich habe auch mehrfach auf die Risiken der Digitalisierung hingewiesen. Nicht, dass ich gegen Smartphones oder die Digitalisierung wäre. Ich bin auch kein Kulturpessimist. Das Smartphone kann ein sehr nützliches Werkzeug sein. Es wäre kein Problem, wenn wir es als Instrument nutzen würden. Tatsächlich sind wir jedoch zu Instrumenten der Smartphones geworden. Das Smartphone nutzt uns, und nicht umgekehrt. Nicht das Smartphone ist unser Produkt, sondern wir sind seine Produkte. Oftmals wird der Mensch zum Sklaven seiner eigenen Schöpfung. Soziale Netzwerke hätten auch ein Mittel für Liebe und Freundschaft sein können, aber was dort vorherrscht, sind Hass, Falschmeldungen und Aggressivität. Sie sozialisieren uns nicht, sondern isolieren uns, machen uns aggressiv und rauben uns unsere Empathie…

Soziale Netzwerke ermöglichen eine grenzenlose Kommunikation. Dank der Digitalisierung sind wir miteinander verbunden, aber es fehlen uns echte Beziehungen und Bindungen. Das Soziale erodiert. Wir verlieren jegliches Einfühlungsvermögen, jegliche Aufmerksamkeit für unseren Nächsten. Ausbrüche von Authentizität und Kreativität lassen uns glauben, dass wir immer mehr individuelle Freiheit genießen. Gleichzeitig spüren wir jedoch diffus, dass wir in Wirklichkeit nicht frei sind, sondern vielmehr von einer Sucht zur nächsten, von einer Abhängigkeit zur nächsten taumeln. Ein Gefühl der Leere überkommt uns. Das Erbe des Liberalismus ist die Leere. Wir haben keine Werte und Ideale mehr, mit denen wir sie füllen könnten.

Etwas läuft nicht gut in unserer Gesellschaft.
Meine Schriften sind eine, manchmal sehr energische Anklage gegen die heutige Gesellschaft. Nicht wenige Menschen haben sich durch meine Kulturkritik irritiert gefühlt, wie jener sokratische Hornisse, die das passive Pferd stach und anspornte. Aber wenn es keine Irritationen gibt, wiederholt sich immer nur das Gleiche, und das macht eine Zukunft unmöglich. Es stimmt, dass ich die Menschen verärgert habe. Aber glücklicherweise haben sie mich nicht zum Tode verurteilt, sondern ich werde heute mit diesem wunderschönen Preis geehrt. Dafür danke ich Ihnen von ganzem Herzen. Vielen Dank.
………..

Die Presse in Spanien hat ziemlich ausführlich über die Ehrung Byung – Chul Hans berichtet, etwa die linksliberale Zeitung “El Pais” LINK   . Oder auch „la Vanguardia“ LINK
oder, in der Beilage zur eher konservativenn katholischen Tageszeitung „ABC“: LINK

Das neueste Buch Byung-Chul Hans befasst sich mit dem “Sprechen über Gott”, so der Titel (Matthes und Seitz Verlag 2025). Darin zeigt der Philosoph, wie er sich von der französischen Philosophin Simone Weil (1909 – 1943) innerlich bewegen und inspirieren lässt. Bemerkenswert, dass sich ein prominenter Philosoph mit der Frage nach Gott in einem jüdischen und christlichen Kontext berühren lässt. Byung-Chul Han sagt gleich zu Beginn: “Simone Weil hat sich in meiner Seele eingerichtet. Nun lebt und spricht sie in mir weiter…” Eine philosophische Meditation eines Philosophen, dessen erste Publkiationen Heidegger und dem Zen- Buddhismus galten! Nun sind die meisten seiner 252 Anmerkungen, “Fußnoten”, Zitate von Simone Weil, einer politisch hoch engagierten Frau, die sich aber in ihrer spirituellen Suche scheute, dem Christentum, der katholischen Kirche, durch die Taufe beizutreten.

Zusammenstellung durch den Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin.

 

 

 

 

Offene Kirchen als Kommunikationsorte: Ein Gastbeitrag von Dr. Christian Tietze

OFFENE KIRCHEN ALS KOMMUNIKATIONSORTE

Ein Gastbeitrag von Christian Tietze, Weimar, am 9.9.2025.

In Deutschland gibt es etwa 43000 Kirchen. Die meisten stehen im Kern der Städte, der Dörfer und der Siedlungen. Sie bilden häufig das Wahrzeichen eines Ortes, stehen im Schnittpunkt von Straßen, oder auf Plätzen, oder werden zu weithin sichtbaren Landmarken. Sie sind in der Regel die ältesten Gebäude eines Ortes, dienen als Denkmal oder der Orientierung und wirken nach außen als Namensgeber für Landschaften, für Persönlichkeiten oder historische Ereignisse. Ihre Bauweise unterscheidet sich in der Regel von den Gebäuden ihrer Umgebung. Sinngebung und Bedeutung sind eindeutig und einprägsam und werden auch so empfunden. Ihr Alleinstellungsmerkmal ist unumstritten. In Thüringen sind 50% der Kirchen ungenutzt, ein Teil soll abgerissen werden.
In unserer Zeit, in der Bodenwerte höchste Priorität besitzen, sich Gebäude an ihrem Wiedererkennungswert messen lassen und Stadtzentren als Zeichen von Prosperität, Erfolg und Kommunikation gelten, wirken Kirchen wie aus der Zeit gefallen. Aber jeder kennt sie. Sie sind Orte der Erinnerung einer Gemeinschaft, gelten als Zeichen eines Ordens, später eines selbstbewussten Bürgertums oder eines Herrschers. Heute sind sie nur noch Teil der weitgehenden Diversifizierung der Gesellschaft. Die vielfältigen Möglichkeiten der Medien lassen die Menschen nicht mehr zur Ruhe kommen. Gleichzeitig wird festgestellt, dass ein Drittel der Bevölkerung – das sind 28 Millionen Menschen – einsam ist. Warum?

Die Gemeinschaft hat sich verändert. Sie fällt auseinander. Großen Teilen der Gesellschaft mangelt es an wirklicher Kommunikation, an persönlicher Begegnung. Warum nutzen wir nicht die im Zentrum der Städte liegenden geschichtsträchtigen Gebäude, die Kirchen? Sie müssen offen sein, nicht nur die Türen bei Gottesdiensten, sondern für Musik und Versammlung, Film und Gespräch und anregende Ausstellungen. Es fehlen besonders große Ausstellungen, die über das Gemeindeleben hinausgehen: Krieg und Frieden, Ungerechtigkeit und Hunger, Nachbarschaftshilfe und Weiterbildung, Solidarität und Isolation sind die Themen unserer Zeit.

Ausstellungen können historische Entwicklungen erläutern, persönliche Leistungen als Vorbild darstellen, kritische Themen ans Licht bringen, politische Fehlentwicklungen benennen, kritisieren und zum Protest aufrufen. Die Mittel hierfür sind Texte, Bilder, Kunstwerke und Filme. Die Vielfältigkeit der Mittel kann und muss überraschend wirken und wird vielleicht eine neue Nachdenklichkeit erzeugen.
Gegenwärtig zeigen viele Gemeinden, dass sie ihre Kirchen für diese Zwecke nutzen wollen. Aber die meisten verlassen mit ihrem Angebot kaum die Grenzen ihres Sprengels. Sie berichten über die Erhaltung der Gebäude oder über Partnerschaften. Aber um ihre Möglichkeiten zu erweitern, müssen sie sich zusammenschließen, neue Kontakte knüpfen und Probleme der Gesamtgesellschaft ins Auge fassen. Der Blick nach außen fehlt oft, die Kritik an der Gesellschaft kommt zu kurz, die Natur und der Umweltschutz werden nicht genug ernst genommen. Und es fehlen für die Dauer von Ausstellungen begleitende Möglichkeiten des Zuhörens, der Ansprache und der Diskussion.

Aber dabei ist es doch so einfach an einem Gebäude Themen zu benennen, die alle angehen: Armut und Arbeitslosigkeit, Migration und Krieg, Natur und Umweltschutz – die Bewahrung der Schöpfung. Auch die Ausplünderung unseres Planeten, der Schutz der Menschenrechte, die Entstehung und Verbreitung von Diktaturen und der Hunger, der inzwischen Millionen Menschen quält. Wir haben mit den Kirchen einen Hintergrund und ein Mahnmal, das immer für Hilfe und Nächstenliebe stand, und doch allzu oft nur versagt hat.
Ausstellungen können alle Sinne berühren, können Bilder in unsere Welt zaubern, können die Kirche beim Wort nehmen und jeden Besucher in die Pflicht. Und sollten wir nicht hier, die Probleme dieser Welt und unserer Gesellschaft kritisch reflektieren? Es geht nicht nur um das Anschauen einer Ausstellung, sondern um Diskussion, vielleicht auch Streit, Erkenntnis und um Konsequenzen. Alles das kommt nicht von allein: Die Kirchen müssen gefunden werden, die Bereitschaft und Unterstützung erbeten und erkämpft werden, die Ausstattung muss verändert und flexibel gestaltet werden, die Sicherheit gewährleistet werden. Es gibt eine Fülle von Aufgaben.

Und auch an Kompetenz fehlt es, denn mit gutem Willen ist nur wenig geholfen und eher Anarchie geschaffen. Kooperation ist erforderlich: mit den Museen in der Nachbarschaft, mit Geldgebern, mit einem sensiblen Gestalter, einem erfahrenen Techniker, einer erfahrenen Pädagogin und einer begabten Sozialarbeiterin. Und es darf nicht an Aufsicht und geschulten Führern fehlen. Man wird freundliche Unterstützung erfahren und häufig Desinteresse, sogar Hass – aus Gründen der Konkurrenz. Und das alles in schnellem Wechsel. Mut und Ausdauer sind hier unabdingbar.
Hier soll als Beispiel die Ausstellung: „ERNST BARLACH – Fragen an unsere Zeit“ genannt werden, die in der Liebfrauenkirche in Halberstadt und in Erfurt zu sehen war. Es wurde nicht nur der Künstler Barlach mit seinen beeindruckenden Werken gezeigt, sondern auch das Zeitgeschehen, das in Bildern und Texten festgehalten wurde. Zudem wurden die persönlichen Auseinandersetzungen und das Leiden an seiner Zeit thematisiert. Die Verursacher des Geschehens, die Mitläufer und Profiteure, die Gewinner und die Opfer, die Ohnmächtigen und die Gewalttätigen, die Flüchtlinge und die Verführten werden sichtbar. Durch einen einstündigen Film werden die Lebensorte Barlachs in Erinnerung bleiben.
Schließlich sollten Ausstellungen nicht einmalig sein, sondern weitergereicht werden. Das Design der Ausstellung sollte weiter genutzt, die Themen könnten – je nach Möglichkeiten ergänzt, erweitert oder begrenzt werden. Ursprüngliche Rechte müssen dabei gewahrt werden.

Wie kann man solche Ausstellungen organisieren? Die Zeiten sprechen gegen größere und große Ausstellungen: Die Museen scheuen größere Ausstellungen, weil die Finanzierung aufwendig ist, die Qualitätsanforderungen an die Ausstellungsräume hoch sind, die Versicherungen eigene Forderungen stellen und die Objekte von Kurieren begleitet werden sollen. Aber braucht man das alles? Sind nicht Briefe und Texte, Stellungnahmen und Zeugnisse – natürlich gut recherchiert – auch von derselben Wirklichkeit wie Originale?
Die Arbeit an Ausstellungen ist Teamarbeit, vielleicht der Kirchenmusik vergleichbar. Sie erfordert Kooperation mit Museen. Die Themen sollten nicht direkt in Konkurrenz zur üblichen Museumsarbeit stehen. Soziale Probleme sind hier gefragt. Aktuelle Ereignisse erfordern eine Antwort. Und plötzlich kommen wieder Bilder in die Kirche; es sind Bilder der Gegenwart: Flucht und Vertreibung, blinde Zerstörungswut, Hass, das Quälen und Foltern von Gefangenen, Hunger und Krankheit. Wir haben heute die Leiden der Welt im Bild oder Film, aber wir brauchen auch einen Raum der Stille, der uns das Geschehen reflektieren lässt. Es sind die Kirchenräume, die Gespräche und Diskussionen fördern, um Hilfe und Veränderung zu bewirken.

copyright: Dr. Christian Tietze, Weimar,  christian.tietze@gmx.net

Die Rede Karl Schlögels in der Frankfurter Paulskirche am 19.10.2025

Bitte lesen: Die Rede des Historikers Prof. Karl Schlögel in Frankfurt, Pauls-Kirche, am 19. Oktober 2025, anläßlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels. LINK.

Am Ende seiner Rede in der Paulskirche sagt Karl Schlögel: Dass die UkrainerInnen  “uns beibringen, dass Landesverteidigung nichts mit Militarismus zu tun hat.”

Der “Religionsphilosophische Salon Berlin” hat sich seit langer Zeit schon für die Studien Karl Schlögels interessiert. Und ihm zu Ehren zu seinem  70. Geburtstag ein kleines, bescheidenes Dankeschön publiziert. LINK

Vernichten – Ein Wort, das unsere Gegenwart beschreibt…

…wenn „Die Philosophie ihre Zeit in Gedanken fasst“ (Hegel).
Hinweise auf eine “Zeitdiagnose” von Christian Modehn am 6.10.2025

1.
Dieser Satz hat eine bleibende Berühmtheit: „Philosophie ist ihre Zeit, ihre Gegenwart, in Gedanken und Begriffe, gefasst.“ So der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel in der Vorrede seiner „Rechtsphilosophie“ (1820).

2.
Hier wird eine „Zeitdiagnose“ vorgeschlagen – als ein Versuch einer globalen Einschätzung unserer Gegenwart, als eine These, die nicht auf die philosophisch üblichen Kriterien der universell geltenden Vernunft verzichtet. Bei der gebotenen Kürze können wir nur Hinweise bieten … zum weiteren Nachdenken und Forschen.

3.
Jede Gegenwart wird von nachdenkenden „Zeitgenossen“ als Krise erlebt. Krise verweist auf das griechische Verb κρίνειν, (krinein), es bedeutet unterscheiden und urteilen. Die entscheidende Frage zu unserer Krise heißt: Befindet wir uns nur in einem Umbruch, in einer Phase der Korrektur bzw. der Reformen des bisher Vertrauten? Oder findet ein radikaler Übergang statt aus der uns bislang bekannten Welt und ihrer Ordnung? Werden wir also in unserer jetzigen Krise von der Geltung von Demokratie und Menschenrechten getrennt, in eine weltweite Unordnung geführt, die von Gewaltherrschaft, Krieg, Zerstörung der Demokratie, Verachtung der Menschenrechte bestimmt ist? Diese Frage verstört, wird aber doch „insgeheim“ sicher als „nicht falsch“ bewertet und … meist verdrängt. Wir nennen einige Fakten, die auch uns heftig stören, Fakten, die unser Gewissen beleidigen und die wir widerlich finden, denen wir uns aber mit kritischer Erkenntnis stellen müssen… damit wir gemeinsam vielleicht eine Besserung erreichen…(Siehe unten auch den Hinweis auf das neue Buch “Zerstörungslust” von Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey).

4.
Wer die globale politische, ökonomische und ökologische Situation unserer Welt beschreibt und vernünftig bewertet, wird auf den Begriff Vernichtung nicht verzichten können. Die jetzt weltweit absolut bestimmenden politischen Herrscher sind vom Wahnsinn der Vernichtung getrieben. Sie sind in ihren vielfältigen Aggressionen kaum noch zu bremsen. Mit dem Begriff „Vernichtung“ wollen wir keineswegs nur „akademische“ Erkenntnisinteressen bedienen. Die Vernichtung von Strukturen und vor allem die gezielte Auslöschung von Menschen sind nicht nur bedeutungsvoll für die unmittelbar betroffenen Zonen der Vernichtung, etwa im Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Die schrecklichen Untaten der Hamas gegen Bewohner Israels am 7.10.2023 und danach die total maßlose Gewalt der Militärs Israels gegen Palästinenser im Gaza – Streifen betreffen uns weltweit genauso auch wie die gewaltsame Überwindung der Demokratie durch Donald Trump. Denn diese Untaten vernichten immer auch die seelische und geistige Verfassung der Menschen weltweit: Auch wir, noch im demokratischen Europa, wissen uns angesichts der Aggressionen dieser „Weltherrscher“ nicht nur hilflos, sondern sind von diesen und anderen Welt- Beherrschern in die Verzweiflung und Hilflosigkeit getrieben. Das zu sagen ist alles andere als Jammern, sondern Ausdruck einer kritischen Analyse.

5.
Wenn wir also „unsere gegenwärtige Zeit“ im Begriff der Vernichtung wahrnehmen: Dann ist in „Vernichtung“ immer auch das Wort NICHTS mit – enthalten: Und NICHTS als Prinzip von aktiver Politik weist auf den nihilistischen Inhalt dieser Politik hin: Nihilismus ist das rücksichtslose Zerstören der vorhandenen Welt aufgrund einer verblendeten Ideologie, etwa des Nationalismus oder des religiösen Fundamentalismus. Wenn Politiker also vernichtend handeln, realisieren sie eine Form von Nihilismus. Sie scheuen die Mühe vernünftiger Reformen, sind unfähig zum kritischen Umgang mit ihrer leitenden Ideologie. Sie meinen in ihrem Wahn, erst nach der Zerstörung ihrer vorhandenen Welt könne eine neue Welt auferstehen. Das haben einst Nazis und ihre Ideologen immer behauptet und heutige Diktatoren glauben das wieder und handeln offenbar danach.

6.
Politiker als Vernichter: Man lese noch einmal die aktuellen Stellungnahmen von Donald Trump, etwa seine Ankündigung eines möglichen Bürgerkriegs in den USA als Kampf gegen die angeblichen Sozialisten und Kommunisten und gegen die von Demokraten regierten Bundesstaaten. LINK

Man lese die auf diesen Bürgerkrieg unermüdlich seit Jahren schon vorbereitenden und viel beachteten Stellungnahmen von Steve Bannon. Schon 2017 berichtete „DIE WELT“: LINK

Man denke -noch wichtiger – an Mister JD Vance, den US – Vizepräsidenten, der sich seiner Konversion zum Katholizismus gern rühmt. Er ist nicht der einzige Katholik im entscheidenden, absolut militanten und aggressiven Ja – Sager Team von Mister Trump, vor allem auch Evangelikale sind einflußreich dabei, auch sie verwechseln den christlichen Glauben mit der gehässigen Trump-Ideologie des MAGA.
Evangelikale Bewegungen wollen die christliche Vorherrschaft in den USA durchsetzen, also eine christlich-fundamentalistische Autokratie. LINK
Der Milliardär Peter Thiel und Vance – Freund versteht sich „nur“ als Christ.
Einer der heftigsten Einpeitscher der vernichtenden Trump-Politik ist Stephen Miller, stellvertretender Stabschef im Weißen Haus, er stammt zwar aus einer eigentlich progressiven jüdischen Familie in Los Angeles, fühlt sich offenbar aber unter all diesen „Christen“ wohl. LINK
Nur eine von sehr vielen unverschämten Äußerungen Stephen Millers: In einem Interview auf Fox-News sagte er über die „Demokratische Partei“: “Es handelt sich um eine Organisation, die sich ausschließlich der Verteidigung von Schwerverbrechern, Bandenmitgliedern sowie illegalen ausländischen Mördern und Terroristen widmet. Die Demokratische Partei ist keine politische Partei. Sie ist eine inländische extremistische Organisation.”
Trump und Co. sind dabei, die USA zu einer Autokratie, manche objektiven Beobachter sagen zu einer Diktatur, umzubauen. Der Philosoph Jason Stanley, Yale University sieht in den USA deswegen für sich keine Lebens – und Arbeitsmöglichkeiten mehr, er ist – wie andere Intellektuelle – nach Kanada ausgewandert, immerhin haben US – Bürger noch ein Land, in das sie sich flüchten können! 
LINK

Siehe auch den aktuellen Bericht der katholischen Theologin in Chicago, Prof.Hille Haker, veröffentlicht auf der Website des Vatican. LINK

Und der US-Amerikaner Papst Leo XIV. aus Chicago hat bisher nicht grundlegend und deutlich und scharf die unsägliche Politik Trumps kritisiert, schreibt sogar kath.de am 8.10.2027: “Umso bedrückender ist das Verhalten der katholischen Kirche. Von den US-Bischöfen kam bislang kaum öffentlicher Widerspruch gegen diese Entwicklung (hin zur Diktatur in den USA) , und auch aus dem Vatikan hört man nur verhaltene Töne… Zwar habe Papst in allgemeinen Wort die so unmenschliche Behandlung von Einwanderern in den USA kritisiert…Aber “direkte Kritik an der Regierung seines Heimatlandes war von ihm bislang  nicht zu hören…Es reicht nicht, allgemeine Appelle zur Nächstenliebe zu wiederholen.”  Quelle: LINK 

7.
Wenn Trump und die Seinen die USA in eine Art Bürgerkrieg führen, ist der Trump Staat so „ausgelastet“, dass sein Interesse an praktischer Solidarität mit der bedrohten Ukraine verschwinden wird. Und die ohnehin schon zunehmend rechts-extrem – orientierten Europäer können jubeln: Die von ihnen verachtete Demokratie und die von ihnen verachteten Menschenrechte können nun auch hier – Trump als Vorbild – wirkungsvoll zerschlagen werden: Trump gilt als eine Art „heiliger Unterstützer und Inspirator“ rechtsradikaler Herrschaft. Dieses „MAGA“ – Ideologie wird längst auf europäische Staaten übersetzt: Etwa: „Make Ungarn grait Again“, „Make Tschechien Great Again“, Make Turkey great Again, „Make La France Great Again…und auch das: Siehe die Ideologie der AFD und anderer rechtsextremer Kreise sowie auch manche Kreise der CDU/CSU: „Germany first“.

8.
Die nihilistische Herrschaft als Vernichtung von Demokratie und Menschlichkeit durch das Trump Regime erzeugt die seelische, die geistige Zerrüttung der Bürger: Sie leben in den USA ständig in Angst, wenn sie denn Demokraten, Ausländer, Flüchtlinge, Bürger ohne Ausweispapiere, Menschen aus der weiten Community sind, die mit dem Kürzel „LGBTQIA+“ sehr anonym beschrieben wird. Aber auch die Europäer werden durch die Politik der Vernichtung zutiefst erschüttert, weil die MAGA Ideologie als Gift auf europäische Verhältnisse angepasst wird. Die Folgen dieser seelischen Traumata durch diese Politiker sind verheerend. Und vernünftige Leute müssen über ihre Naivität schmunzeln, die USA für eine Demokratie gehalten zu haben… Alte, eingeübte und eingepaukte politische Lehren zerbrechen und verschwinden also. Was kommt danach?

9.
Wer von der Herrschaft Trumps und der Seinen spricht, muss auch von Trumps Duz-Freund oder vielleicht, je nach dem bei Trumps jeweiliger Laune, auch Feind Wladimir Putin und seiner Kriegsherren in Russland sprechen. Das ist ja alles bekannt: Putin, der Aggressor im Krieg gegen die Ukraine, bedroht andere Länder Europas, nimmt immer mehr Einfluss auf die Politik in Europa; er unterstützt die rechtsextremen Parteien und die sehr rechtslastigen Politiker Europas (Orban und Co.).Putin versucht massiv, Wahlen in Europa zu beeinflussen, jetzt offenbar auch die Wahlen in Tschechien: „Am Mittwoch meldete der tschechische Inlandsgeheimdienst den massenhaften Einsatz prorussischer TikTok-Konten, die gezielt populistische Parteien unterstützten. Grundlage war eine Analyse der NGO Online Rizika.“ LINK
Den katholischen Bischöfen in Tschechien fiel nach dieser Wahl nichts anderes ein, als sofort dem Sieger, dem rechtslastigen Milliardär Babis, zu seinem Sieg zu gratulieren! Wahrscheinlich erhoffen sich die Bischöfe nach altbekannter Art, irgendwelche Vorteile für katholische Schulen oder für den Erhalt ihrer zerfallenden Kirchengebäude. LINK

10.
Wer vom Diktator Putin und seinem Regime spricht, muss auch von dessen ideologisch – religiöser Stütze sprechen, der Russisch – Orthodoxen Kirche, wird beherrscht vom Putin – Freund, dem Patriarchen Kyrill, wie dieser einst Mitglied des kommunistischen KGB. Patriarch Kyrill I. von Moskau ist seit Beginn des Mordens in der Ukraine ein Kriegstreiber und gleichzeitig der Verfolger der wenigen Priester, die als Christen noch ihre Stimme gegen diese Putin- Kirche erheben. Die sich um den steinreichen Patriarchen Kyrill sammelnden orthodoxen Bischöfe beseitigen jedenfalls weltweit den letzten Respekt für diese Kirche sowie für andere orthodoxe Kirchen Europas, die sich ebenso Putin andienen…Tatsache also auch dies: Die russisch – orthodoxe Kirche gehört zu den großen Vernichtern, den destruktiv Frommen! Und dies ist der Skandal: Diese korrupte Kriegstreibende Russisch – Orthodoxe Kirche ist  immer noch Mitglied im „Ökumenischen Rat der Kirchen“ in Genf. Die Leute in Genf dort hoffen – naiv – auf Dialog mit dem Kriegstheologen Kyrill…Sagen sie jedenfalls zur Entschuldigung ihres Nicht – Tuns in dieser Hinsicht.

11.
Wie lang ist die Liste der Staaten, die unsere Vorstellung von der Gültigkeit der Demokratie und der Menschenrechte vernichten? Wir sollten den Iran nennen oder viele andere Staaten, die sich auf islamische Werte lügnerisch berufen? Wir sollten vom Ein-Parteien-Staat China sprechen und der stalinistischen Diktatur in Nord-Korea? Und von den Diktaturen in Lateinamerika, in Venezuela, Nicaragua, El Salvador, Kuba und dabei das Leiden der Menschen im untergehenden „Staat“ Haiti nicht vergessen. Genauso wie wir nicht vergessen die Macht internationaler Konzerne, die in verbrecherischer Raff-Gier etwa in der Amazonas Region nicht nur viele tausend Quadratkilometer Wald, sondern damit auch den Lebensraum der Indigenas vernichten. Wir sollten von der Regierung Netajahus und seiner rechtsextremen Koalitionspartner sprechen und deren völlig unverhältnismäßigem brutalen Reagierens auf die Palästinenser im Gaza Streifen — als Rache auf die grausamsten Terror-Anschläge der Hamas am 7. Oktober 2023. Bekanntlich bedeutet der Spruch aus dem Alten Testament „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, dass man als frommer Jude einem Übel-Täter NUR den gleichen Schaden zufügen soll, den er selbst verursacht hat. Also: Was gelten eigentlich biblische Weisheiten in Israel, in dem explizit jüdischen Staat, der Demokratie der Juden, fragen auch einige Juden weltweit. Wir wissen auch keine Antwort ….66.000 Menschen sind bisher durch Angriffe des israelischen Militärs in Gaza getötet worden, 168.000 Menschen wurden in Gaza verletzt, Quelle: LINK 
Wer will diese endlose Liste der Vernichter und deren Vernichtung fortsetzen? Wer schreibt die langen Listen der kriminellen Banden, der international agierenden Mafia, der Drogen- Kartelle und so weiter und so weiter. Wer wagt dies alles in eine “Philosophie der Gegenwart”  zu übertragen?
Von Theologie reden wir gar nicht, die würde eher wie üblich behaupten: Da hilft nur noch beten. Aber betet Trump zum selben Gott wie Putin, wenn sie denn beten? Welche Bittgebete unterschiedlicher Beter soll Gott im Himmel erhören? Welch ein Wahn, diese alte Theologie der Bittgebete mit einem Gott, der unmittelbar ins Weltgeschehen eingreifen soll…Bittgebete können bestenfalls den einzelnen etwas seelisch beruhigen, mehr nicht.

12.
Die noch verbliebenen demokratisch denkenden Menschen in Deutschland und anderen Ländern Europas werden sich mit der Frage befassen müssen: Wir stark sind wir von diesen uns förmlich total umgebenden vernichtenden Herrschern schon selbst innerlich vernichtet, im Sinne von entmutigt, hoffnungslos, antriebslos, depressiv, den Machtverhältnissen irgendwie ergeben? Die Tatsache gestehen sich viele Menschen ein: Diese Vernichter – Herrscher haben uns schon fast fertig gemacht. Was bleibt uns? Haben wir Widerstandsreserven? Wir müssen genau hinsehen, wenn auch in Deutschland sehr konservative Politiker der üblichen sich konservativ nennenden, aber de facto schon sehr rechtslastigen Parteien von einer kulturellen und sozialen Wende nicht nur schwadronieren, sondern diese Wende (treffender wohl: diesen Kulturkampf) auch politisch durchsetzen… auf Kosten der Flüchtlinge, der „Ausländer“, der Armen. Diese Politiker der sich noch ziemlich dreist christlich nennenden Parteien denken gar nicht daran, angesichts steigender Sozialausgaben die Milliardäre und Multimillionäre zur Kasse zu bitten zwecks selbstverständlicher solidarischer, mitmenschlicher Hilfe in sozialer Not. Aber die Freunde und Vorgänger unserer Herren Politiker haben ja die bestehenden Gesetze geschaffen, mit denen es unmöglich ist, eine gerechte Steuer der Millionäre und Milliardäre gesetzlich einzurichten. Diese Form von Demokratie steht sich also doch mit ihren offenbar nicht mehr zu korrigierenden Gesetzen selbst im Wege…

13.
Eine traurige Erkenntnis also: Wir leben in einer Welt der Vernichtung und der Vernichter. Wer beklagt noch die Reduzierung der Entwicklungshilfe, wer beklagt noch den Stop von USAid durch den Herrscher Trump: er lässt damit zu, dass die Ärmsten in Afrika nicht mehr geimpft, nicht mehr elementaren gesundheitlichen Schutz erhalten. Wer tut noch etwas gegen das qualvolle Sterben von vielen tausend Menschen im Sudan? Man hat den Eindruck, es gibt wertvolle Tote (etwa in Isarel) und weniger wertvolle Tote, wie etwa im Sudan oder in Haiti, über die man guten Gewissens meist schweigen kann, um sich dann immer wieder nur den „wertvollen“ Toten in den Talkshows zuzuwenden…

14.1.
Was bleibt uns? Ich weiß nur Ansätze von Antworten: Weiterhin kritisch die Vernichter in ihrer Vernichtung benennen, also Erkenntnisse dazu öffentlich unermüdlich verbreiten und miteinander diskutieren. Also wieder die kleinen Gesprächsgruppen pflegen, die nicht wegen des Plauderns, nicht wegen eines gelangweilten BlaBla zusammenkommen, sondern um sich philosophisch wie politisch zu ermutigen … Um dann mutig zu handeln, die vernünftig gebliebenen Politiker ins Gespräch ziehen und sie unterstützen und den drohenden Ruck ins Rechtsradikale in Deutschland, Frankreich, Holland, Italien, Tschechien, Polen und so weiter und und so weiter zu stoppen…

14.2. Die AFD bekennt sich offen zu ihrer Strategie und Taktik der Vernichtung der Demokratie, d.h. der Machtübernahme durch die AFD: Die “ZEIT” berichtet am 9. Okt.2025 auf Seite 3 über die führende AFD Politikerin Beatrix von Storch. Sie hat am 6. und 7. Juli 2025 auf einer Klausur ihrer Fraktion “kurz und knapp die Strategie vorgestellt, mit der sie (von Storch) die AFD an die Regierung führen will.”Die wichtigste Forderung: die “Brandmauer” muss zu Fall gebracht werden, indem man Schwarz und Rot spaltet. Wie macht man das: “Erstens Kulturkampf…Zweitens die Gegensätze zwischen Union und SPD unüberbrückbar machen. Und drittens: der Union den Markenkern soziale Marktwirtschaft streitig machen. Wählergruppen der Union ansprechen. Die Angst vor Stimmverlusten an die AFD erhöhen”, so wörtlich von Storch zur Strategie der Zerstörung der Koalition, und damit der Erzeugung einer tiefen Krise der Demokratie und dann: Durch chaotische Zustände Wahlen mit absoluten erfolg der AFD, also scheinbar legal, die Macht übernehmen. Im Weißen Haus wird von Stroch schon mit allen Ehren empfangen. Ihre “Abteilung Attacke” (so die “ZEIT”) ist schon erfolgreich unterwegs…

AFD und die Demokratie Vernichtung: Ist dies ein zentrales Thema in Deutschland??? Solange ständig führende katholische Kreise (auch Bischöfe, auch Päpste) das Verbot von Abtreibungen zum obersten katholischen Glaubensgrundsatz erklären, an Pro-Life Demos Seite an Seite mit AFD Leuten herumlaufen, solange etabliert sich weiter eine Nähe von AFD Moral und katholischer Moral. Solange betreibt die katholische Kirchenführung ihre Werbung für die “Normalität ” der AFD. Es ist bezeichnend, dass die “ZEIT” in dem genannten Beitrag vermerkt: Beatrix von Storch, von der Konfessioin her evangelisch, nimmt an katholischen Messen teil, und zwar an den Messen der katholischen Traditionalisten und ihrer Liebe zur  Liturgie in lateinischer Sprache.

Ob dies die Kirche der Pius-Brüder am Berliner Breitenbach Platz ist oder die Kirche der mit Rom offiziell versöhnten Traditionalisten in der Weddinger St. Afra – Kirche wird leider von der ZEIT-Autorin Mariam Lau nicht gesagt. Schade eigentlich, das zu wissen wäre doch interessant. Genauso wird von Mariam Lau verschwiegen, dass Beatrix von Storch eng mit der internationalen katholisch – reaktionären Bewegung “Tradition Familie, Privateigentum” (deutscher Sitz in Frankfurt/M) verbunden ist. Dazu weitere Details: LINK 

15.
Man wird es mir als Philosophen und durchaus noch immer Verteidger  vernünftiger Formen der klassischen Metaphysik nicht übel nehmen, wenn ich angesichts der genannten vielfältigen Formen der Vernichtung meine: Mir bleibt TROTZDEM durchaus eine Art „metaphysischer Trost“. Der wird sich kaum an der Stoa orientieren, die zwar richtig sagte: Was uns allein im Denken und Handeln bestimmen sollte, ist unsere eigene Fähigkeit, in unserem begrenzten Umfeld das für uns und für andere Gute zu tun. Diese Antwort ist mir zu bescheiden und zudem auch zu unpolitisch: Grundlegender wäre die philosophische Frage: Gibt es vielleicht doch einen letzten uns tragenden Sinn-Horizont oder einen letzten sinnvollen „Boden“ auf dem wir stehen und von dem wir leben, auch wenn unser Dasein (und das der wirklich arm Gemachten im globalen Süden) zu Tode bedroht ist von Vernichtern weltweit? Diese „metaphysische Basis-Erkenntnis“ lässt sich verschieden interpretieren und ausweiten, bis hin ins Vernünftig-Religiöse und Vernünftig-Christliche. Da wird jeder und jede seinen Weg finden. Aber, angesichts der beschriebenen Vernichtung wird vernünftige Metaphysik eine Überlebenshilfe bleiben. Man lese zudem Erich Fromm, und seine Hinweise zu der erreichbaren lebensfreundlichen, der biophilen Haltung TROTZ aller heftigen Vernichtungserfahrungen, der Nekrophilie.

16.
Wir haben unsere Hinweise mit einem Wort des Philosophen Hegel begonnen, wir wollen mit einem Wort Hegels auch unsere Reflexionen abbrechen, diesmal folgt ein Zitat aus der Vorrede der „Phänomenologie des Geistes“ (1807): „Aber nicht das Leben, das sich vor dem Tode scheut und von der Verwüstung rein bewahrt, sondern das ihn erträgt, und in ihm sich erhält, ist das Leben des Geistes. Er gewinnt seine Wahrheit nur, indem er in der absoluten Zerrissenheit sich selbst findet. Diese Macht …ist der Geist nur, indem er dem Negativen ins Angesicht schaut, bei ihm verweilt. Dieses Verweilen ist die Zauberkraft, die das Negative in das Sein umkehrt.“
So kann man eine philosophische Hoffnung formulieren, die ganz der Macht des Geistes, der Vernunft und damit dem Argument, vertraut … zur Überwindung der Macht des Vernichtenden und der Vernichtenden.

Eine wichtige Neuerscheinung: Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey, “Zerstörungslust”. Suhrkamp Verlag, 2025, 453 Seiten, 30€. Ein Zitat: “Wir befinden uns in einem rechtsdriftenden politischen Zyklus, in dem Nationalkonservative, Libertär-Autoritäre und Anarchokapitalisten sich zusammenschließen und liberale Instuitutionen ins Visier nehmen. …Der `demokratische Faschismus` bekennt sich zur Demokratie, während er deren Fundamente untergräbt.”

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

 

 

 

 

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Die Möglichkeit der Unvernunft. Und die Notwendigkeit der Vernunft…

Philosophische Perspektiven zum Thema einer Ausstellung von Jan Böhmermann in Berlin
Hinweise von Christian Modehn am 3.10.2025

Die Vernunft verteidigen – ein ständiges Thema der Philosophie.
Aber kein Thema, bei dem man angesichts seiner „Komplexität“ an der Möglichkeit der Vernunft verzweifelt und sich für die Unvernunft in ihren verschiedenen Formen entscheiden sollte.

Wir werden aktuell an die Verteidigung der Vernunft erinnert durch die Ausstellung Jan Böhmermanns und seiner Gruppe Royale (ZDF) im „Haus der Kulturen der Welt“ in Berlin (vom 27.9 bis 19. 10. 2025). Jan Böhmermann hat seiner Ausstellung den Titel gegeben „Die Möglichkeit der Unvernunft“.

Wir bieten hier keine „Besprechung“ und auch keine “Rezension” dieser Ausstellung. Wir sind nur im guten Sinne provoziert vom Titel „Die Möglichkeit der Unvernunft“.

 

1.
Wer von Unvernunft spricht und damit etwa bestimmte Verhältnisse als unvernünftig bewertet, hat in seinem Denken einen – vielleicht noch wenig ausgearbeiteten – Begriff von Vernunft. Und er bewertet trotzdem Vernunft höher als Unvernunft, meint also, anstelle der bestehenden Unvernunft sollte eigentlich Vernunft herrschen und gelten.

2.
Man sollte das Thema, zumal für philosophisch ungeübte LeserInnen, an einfachen, aber eindringlichen Beispielen erläutern:
Wir wehren uns gegen eine Haltung, die wir Unvernunft nennen, wenn jemand in einem brennenden Haus das Feuer nicht löschen will, sogar in dem Wissen, dass dort Menschen verbrennen.
Wir wehren uns gegen eine Haltung, die wir Unvernunft nennen, wenn wir zusehen, dass Menschen bis zu Tode verprügelt werden.

3.
Vernunft ist also mitten im Leben, in unserer “Lebens-Praxis”, direkt oder unthematisch verwurzelt und lebendig. Und Unvernunft zeigt sich in großer Vielfalt, etwa in vielen Formen unmenschlichen Verhaltens.

4.
Vernünftig auf die in 2. genannten Beispiele reagieren geistig stabile und gesunde Menschen, also Menschen ohne Gehirnschäden und Menschen, die ideologisch nicht total verdorben sind durch Rassismus, Antisemitismus, Faschismus usw.
Die Beispiele machen darauf aufmerksam: Die Vernunft und damit die Vernunfterkenntnis als Bewertung einer menschlichen, ethisch – humanen Haltung und Handlung ist in den Menschen präsent. Natürlich wird gleich wieder an gewissenlose Massenmörder erinnert oder an die KZ – Henker, die aufgrund ihrer totalen Nazi -Ideologie tatsächlich ohne jegliche Betroffenheit Juden im KZ erschossen hatten oder in die Gas – Kammern schickten. Aber selbst Massenmörder oder KZ – Henker hatten noch einen Rest von Vernunft, weil sie sich vernünftigerweise um ihre eigene Gesundheit noch kümmerten oder ein bürgerliches Leben mit ihren gut umsorgten Kindern führten.

4.
Vernunft hat also im Geist, im “Innern” der Menschen ihren Ort, der nicht total zu zerstören ist durch Ideologien. Vernunft zeigt sich als eine ethische Haltung, sie will – unter allen Umständen – Gutes für die anderen Menschen und für sich selbst.

5.
Die im praktischen Leben sich zeigende Vernunft, die Gutes will für die anderen wie für sich selbst, stellt ein allgemeines formales Kriterium innerhalb der Lebensorientierung zur Verfügung. Ich erinnere nur an Kants „Kategorischen Imperativ“, der keine ethischen Inhalte beschreibt, sondern „nur“ formal im Handeln zum Nachdenken auffordert: Kann meine Lebensmaxime (also mein subjektiv gelebtes Leben mit seiner subjektiven Lebensphilosophie) allgemeines, also für alle Menschen geltendes Gesetz werden? Nur ein Beispiel: Kann mein Gebrauch von Pestiziden auf meinen Wiesen und Feldern allgemeines Gesetz werden? Sicher nicht, denn dann werde ich alsbald selbst kein gesundes Gemüse mehr essen können. Die Europäer haben offiziell, aber nicht de facto, den Einsatz von Pestiziden für Europa verboten, hingegen wird das Gift den armen Bauern im globalen Süden immer noch verkauft. LINK https://www.publiceye.ch/de/themen/pestizide/massive-zunahme-der-exporte-aus-der-eu

6.
Europa (aber auch die USA, Russland, China) handelt also wie der faschistische Herrenmensch, der sich einredet, wertvoller und besser zu sein als der arme Mensch, der arme Bauer, im globalen Süden. Die Idee der Gleichheit aller Menschen („alle Menschen haben den gleichen Wert und brauchen die gleiche Förderung“) wird also von den Herrschenden faktisch ignoriert oder mit diplomatischen Floskeln beiseite geschoben: Die Pestizid erzeugenden Konzerne sind einflussreicher als die Menschenrechte. Und selbst in Europa werden die Pflanzenschutzgifte immer noch verwendet: LINK https://www.tagesschau.de/investigativ/swr/pflanzenschutzmittel-pestizide-risikopruefung-100.html

7.
Unsere Hinweise zum “Kategorischen Imperativ” als Ausdruck der allgemeinen Vernunft haben uns weiter geführt zur Erkenntnis der universell geltenden vernünftigen Menschenrechte. Und sie führen zur Erkenntnis der „Arbeit“ unserer Vernunft: Unsere Vernunft kann sich selbst in ihren Aktionen und Erkenntnissen betrachten und bewerten und korrigieren. Das muss ganz genau gesehen werden: Unsere Vernunft kann sich auf ihre aktuellen Gestaltungen des Lebens beziehen und dabei unterscheiden: Diese Gestalt des Lebens ist vernünftig oder eben tatsächlich unvernünftig. Die Kriterien für vernünftig wurden schon genannt. Dabei zeigt sich: Vernünftig hat immer die Bedeutung von unersetzlich für ein humanes Leben, für eine geistige und materielle Entwicklung meiner selbst und der Gesellschaft, des Staates. Vernünftig hat also immer eine humane, man möchte sagen humanistische Bedeutung.

8.
Diese Erkenntnis der Kriterien für ein vernünftiges, also humanes Leben (siehe: Kategorischer Imperativ, Menschenrechte) ist zwar in Europa – durch Kant etwa – deutlich formuliert worden. Aber diese Erkenntnis ist nicht etwa regional begrenzt, bloß weil sie an einem Ort in Europa formuliert und publiziert wurde. Diese Erkenntnis ist universell.

9.
Selbst in den Kulturen Afrikas oder Asiens, und wohl auch in totalitären Regimen werden zumal leidende, gequälte Menschen immer ihre Rettung suchen im Insistieren auf der Geltung der Menschenrechte auch für sie. Selbst wenn die totalitäre Ideologie den Verstand der meisten Menschen so verblendet hat, dass sie verletzten Kindern, Frauen, Selten auf der genannten Straßen nicht helfen, werden sie doch wohl einem stolpernden Parteibonzen aufhelfen, weil sie wissen: Das kann für sie selbst vorteilhaft, also irgendwie dann doch gut sein…

10.
Diese kurzen Reflexionen zur Geltung der Vernunft in der Praxis des Lebens machen deutlich: Es gibt in der Menschheit tatsächlich Strukturen der einen, universell geltenden Vernunft. Wir haben dies für den Bereich des praktischen Lebens gezeigt. Auch für die theoretische Philosophie als einer Reflexion auf die allgemeine und wissenschaftliche Erkenntnis ließen sich Strukturen universell geltender Vernunft zeigen, man denke dabei, gleichsam nur als Einstieg zu diesem Thema, an die universelle Geltung mathematischer Erkenntnisse.

11.
Unser Ausgangspunkt war der Titel der Böhmermann Ausstellung „Die Möglichkeit der Unvernunft“. Über die weit verbreitete Unvernunft wäre nun mit den Mitteln und den Kriterien der universellen Vernunft zu sprechen: Da wird jeder und jede seine Erfahrungen beschreiben können, etwa mit unvernünftiger Praxis (die Scharlatane in allen Sparten), unvernünftiger Politik (Ignorieren des Klimawandels), unvernünftigen Parteiprogrammen etwa der Rechtsextremen („Deutschland ist kein Einwanderungsland“, „es gibt wertvolle Deutsche und schlechte, zu vertreibende, etwa die Flüchtenden“). Wichtig ist in der expliziten Kritik der Unvernunft zu wissen: Sie geschieht immer mit den Mitteln und den Kriterien der universellen Vernunft.

12.
Es gab vor kurzem noch eine Bewegung, die sich “postmoderne Philosophie” nannte und die auch etwas Furore machte. Sie versuchte uns einzureden, es gebe verschiedene „Vernünfte“, die alle irgendwie gleichberechtigt seien. „Anything goes“, war förmlich das Motto. Diese These von der nicht mehr in eine höhere Vernunft zu überführende Vielfalt der „Vernünfte“ geistert noch herum, hat sich aber philosophisch von selbst erledigt: Denn der postmoderne Philosoph, der eben die vielen Vernünfte propagiert, hat dann doch das Konzept von der einen Philosophie im Hinterkopf: Nur so kann er eben bestimmte Phänomene explizit eine von Philosophien nennen, andere aber eben Kunst oder Literatur oder Ideologie.

13.
Wichtig ist, dass die Erkenntnis der Gültigkeit der einen universell geltenden Vernunft auch für die verschiedenen Religionen angewendet werden muss. Denn wenn die willkürlich erfundenen Dogmen und religiösen Mythen aus einer gewissen inneren Widersprüchlichkeit befreit werden müssen (etwa: „Welcher Gott wirkt Wunder nur für mich, aber nicht für andere“), dann kommt man mit intern – dogmatischen Behauptungen der Religion selbst nicht weiter. Da helfen nur allgemein gültige vernünftige Erkenntnisse. Der Philosoph Omri Boehm hat treffend nachgewiesen. Selbst für den Gott des Alten Testamentes gilt das universelle Prinzip der Gerechtigkeit: Gott steht unter der allgemein gültigen, humanen Gerechtigkeit, das zeigt Boehm am Beispiel der fast „gelungenen“ Opferung Isaacs durch seinen Vater Abraham… Und die katholische Kirche wird in einigen Jahrhunderten wohl doch erkannt haben: Dass auch für die innere Gestaltung ihrer Struktur und Lehre nur die Menschenrechte wichtiger sind als irgendwelche ideologisch zusammen gesuchten Zitate aus dem Munde Jesu von Nazareth etwa zur Ausschließlichkeit des Priesteramtes nur für Männer. Mit Zitaten aus der Bibel lässt sich alles Mögliche beweisen oder alles Mögliche ablehnen. Da versagt die Theologie, die Dogmen wichtiger nimmt als philosophische Vernunft – Erkenntnisse. Gegen die exzessiven und zum Teil gewalttätigen evangelikalen Kirchen in den USA wird nur mit der Vernunft kritisch begegnen können.

14.
Dass es eine vernünftige, humane, nicht -hierarchische christliche Religion grundsätzlich geben kann und geben sollte, habe ich in der Auseinandersetzung mit Kants sehr lesenswerten „Religionsschrift“ (1793) gezeigt. LINK.

15.
Das Thema der Ausstellung Jan Böhmermanns in Berlin ist also philosophisch sehr inspirierend. Die Unvernunft im Plural aller nur denkbaren Verirrungen herrscht heute überall vor. Und eine vernünftige, d.h. menschliche, demokratische Welt mit der universellen Geltung der Menschenrechte bleibt auf ewig ein Ziel, wahrscheinlich ist es unerreichbar, aber der Gedanke an diese universell geltenden Vernunft ist in Zeiten total gewordener Unvernunft unverzichtbar und für den einzelnen zum Überleben in diesen Zeiten niemals aufzugeben.

14.
Was wir brauchen sind Medien und Veranstaltungen, die immer wieder im Detail vernünftig die Präsenz der Unvernunft aufzeigen.Leider sind viele Politiker in den Demokratien jetzt schon so unvernünftig, dass sie die Stimmen der vernünftigen Kritik kleinmachen, wenn nicht ausschalten wollen. Jan Böhmermann legt jedenfalls nach meiner Meinung immer wieder in seiner ZDF Sendung diese Dimensionen der Unvernunft frei. Dass die Anzahl seiner Sendungen von den ZDF Herren gekürzt werden soll, ist weiterer Ausdruck der Macht von Unvernunft. Unsere Frage bleibt:
Wie lange haben wir die Kraft, uns gegen die zunehmende Unvernunft allerorten zu wehren? Und wie sollen wir vernünftig mit Unvernünftigen, etwa Rechtsradikalen und deren Parteien umgehen.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Wenn die Kirchen zu viele Kirchen haben

„Leben statt Leere“: Zu einem neuen Buch (2025) über den Umgang mit „überflüssigen“ Kirchengebäuden

Hinweise von Christian Modehn am 30.9.2025

1.
Seit 1990 wurden in Deutschland 514 evangelische Kirchengebäude aufgegeben, davon wurden 128 abgerissen; bei den Katholiken wurden 603 „Gotteshäuser“ seit 1990 aufgegeben, davon 173 abgerissen. Quelle:„Plus- Minus“, Magazin der ARD/Das Erste am 24.9.2025.
Gerade der Abriss von Kirchengebäuden kann als Symbol verstanden werden für das stetige Verschwinden der Kirchen in Deutschland und Europa. Ob damit auch der christliche Glaube langsam aber „sicher“ verschwindet, ist eine andere Frage. Und: An irgendeinen Gott (vielleicht Götzen) glauben wohl die meisten, weil sie Menschen sind und immer irgendwie „gläubig“ sind, aber das ist Philosophie…

2. Immer weniger Kirchenmitglieder
Weil immer mehr Kirchenmitglieder in Deutschland aus der Kirche austreten, haben die Gemeinden und Landeskirchen bzw. die Bistümer wegen der ausbleibenden Kirchensteuern kein Geld (und kein bezahltes Personal) für den Erhalt ihrer vielen Kirchengebäude. 23.000 Kirchengebäude (oft mit Gemeinderäumen und Wohnungen) besitzt die Evangelische Kirche noch in Deutschland, 24.000 Kirchengebäude (oft mit Gemeinderäumen und Wohnungen) die katholische Kirche. Zu den großen Kirchen gehören (2024) 39 Millionen Mitglieder, für das Jahr 2060 werden schätzungsweise noch 23 Millionen Bewohner Deutschlands Kirchenmitglieder sein. Dass die Bewohner Deutschlands mehrheitlich in Zukunft wieder Kirchenmitglieder werden: Daran glauben wohl selbst die frömmsten Bischöfe nicht. Da ist also Eile angesagt, wollen die Kirchen Schließung, Verkauf, „Mischnutzung“ oder Abriss von Gotteshäusern mit den jeweiligen Kommunen sinnvoll und das heißt immer auch mit finanziellem Gewinn gestalten. PS: Über die vielen, z. T.”überflüssigen”, z.T. hübsch renovierten Dorfkirchen in Brandenburg habe ich 2020 einen provozierenden Beitrag verfasst. LINK

3. Könnten Kardinäle, Bischöfe, Pfarrer auf einen kleinen Teil ihres Gehaltes verzichten?
Man könnte denken: Zur Finanzierung des Erhalts wenigstens einiger, von den Gläubigen als sehr wichtiger angesehener bestehender Kirchen – Gebäude könnten auch die Kürzungen der Gehälter von Pfarrern, Oberkirchenräten, Erzpriestern und Bischöfen und Kardinälen beitragen, dies wäre ein schlichter solidarischer, aber öffentlich wirksamer Effekt. Kardinal Marx von München hat immerhin Ende Dezember 2020 tatsächlich 500.000 Euro aus seinem Privatvermögen (sic!) für „Betroffene des sexuellen Missbrauchs“ in seine Stiftung eingezahlt. Quelle: LINK
Kardinal Marx erhält – aus Staatsleistungen Bayerns – ein Monatsgehalt von etwa 13.600 €. Kardinal Woelki in Köln erhält ein Monatsgehalt von 13.800 €, ziemlich unbescheiden, wenn man bedenkt, dass sein Verhalten im Zusammenhang von sexuellem Missbrauch ein Hauptgrund war und ist für die große Austritts-„Welle“ im Erzbistum Köln…Quelle: LINK
Ein evangelischer Pfarrer verdient in Deutschland heute durchschnittlich 5.300€ brutto im Monat. Ähnliche Gehälter erhalten katholische Pfarrer, auch bei ihnen gilt: Oft mit freier Dienstwohnung…

4. Kirchen verkaufen und umwandeln: Alles andere als ein Nebenthema
Der vielfältige mögliche Umgang mit „überflüssig“ gewordenen, also nicht mehr klassisch für Gottesdienste/Messen zu nutzenden Kirchen bzw. Gotteshäusern ist alles andere als ein kulturelles „Nebenthema“. Diese Frage gehört ins Zentrum der Debatten über die Umbrüche der Religionen und Kirchen in Europa heute. Man beachte immer dabei: Für Protestanten sind Kirchengebäude eben nur Gebäude genutzt für Gottesdienste usw., aber eben nicht wie bei Katholiken eher verehrungswürdige „Gotteshäuser“…
Über eine umfangreiche Foto – Dokumentation von verfallenen, allmählich nur noch als Ruinen wahrnehmbaren Kirchengebäuden in einigen Ländern Europas habe ich im Jahr 2020 eine Rezension geschrieben. LINK
Dabei wird deutlich: In Frankreich wurden schon im 19.Jahrhundert viele Gotteshäuser von der Kirche aufgegeben, weil einfach die Gläubigen nicht mehr gläubig waren und die Messe nicht mehr besuchten, man sehe sich dazu etwa im Département Yonne oder in anderen Gegenden Burgunds oder des Limousin (Guéret!) um…

5. Ästhetisches – religiöses Erleben angesichts von (umgewandelten) Kirchen
Heute gilt in Deutschland die allgemeine ästhetische Überzeugung: Kirchengebäude in unseren Städten und Dörfern als Ruinen wahrzunehmen, ist nicht förderlich für einen guten Gesamteindruck und nicht inspirierend für einen letzten Rest spirituell – christlicher Stimmung unter den Bürgern. Ein schönes Kirchengebäude in einer grauen Stadtlandschaft oder in einem sonst langweiligen Dorf in Brandenburg empfinden selbst Atheisten noch als ästhetische Bereicherung. Und selbst die Kirchenleitungen sind überzeugt: Wenn bei umgewandelten Kirchengebäuden wenigstens nach außen hin eine „christliche Aura“ durch die erhaltenen Kirchen – Fassaden, Außenmauern, bunten Fenster und den Glockenturm (mit noch immer läutenden Glocken), dann sind solche Umwandlungen ein Erfolg. Der protestantische Theologen und EKD – Kulturbeauftragte Johann Hinrich Claussen definiert den klassischen Begriff für Gottesdienst, und dies ist der Begriff Liturgie, in einem sehr weiten Sinne: Er meint, Liturgie sei als Dienst auch im allgemeinen Menschlichen zu verstehen, nicht nur als explizite Gottes – Dienst – Veranstaltung (richtig „klassisch“). So kann seiner Meinung nach eine umgewandelte Kirche, etwa als Bibliothek, noch einen guten humanen Dienst leisten, also irgendwie dem Begriff Liturgie gerecht werden (Seite 118ff.) Claussen meint zudem sehr gewagt: „Wer an dem Kirchenbau vorbeigeht, entwickelt nicht selten so etwas wie alltägliche Liturgie. Man schaut hoch auf den Turm und seine Uhr, nimmt einen Glockenschlag wahr, lässt die Architektur für einen Augenblick auf sich wirken, erinnert sich kurz an hier Erlebtes, es kann sich dabei so etwas wie eine `Religion der Religionslosen?(Robert Musil) ereignen.“ (Seite 119). Ob sich dieses weltliche punktuelle und kurzfristige irgendwie spirituelle Liturgie – Erlebnis auch im Angesicht einer umgebauten Kirche sich ereignet, ist eine offene Frage: Zudem: Dieses kurze, irgendwie noch christlich geprägte Erleben angesichts eines umgewandelten Kirchengebäudes gilt sicher nur für Menschen, die diese Kirche einst von innen gesehen haben und vielleicht an einem Gottesdienst teilgenommen haben, aber diese alten Menschen sterben leider aus…

6. Zum Gottesdienst eine umgewandelte Kirche mieten
Das ziemlich umfangreiche neue Buch mit dem sehr provozierenden Titel „Leben statt Leere. Überlegungen und Anregungen zum Umgang mit unseren Kirchen“ ist auch deswegen wichtig, weil zu den AutorInnen keineswegs nur TheologInnen gehören, sondern vor allem SpezialistInnen für Baukultur und Stadtentwicklung, für Baudenkmäler, Fachleute fürs Stiftungswesen oder Gedenkstätten usw. Die 28 Essays handeln also von rechtlichen Problemen bei der „Nutzungserweiterung“ der Kirchen, beschreiben die Vielfalt neuer „Nutzungen“ der einst nur religiösen Kirchengebäude. Die gemeinsame Nutzung durch eine Kirchengemeinde wie auch durch „weltliche“ neue Nutzer scheint mir besonders wichtig zu sein. Nebenbei: In Amsterdam etwa mieten arm gewordene Kirchengemeinden am Sonntag ihre einstige Kirche für zwei Stunden, die sonst in ein Museum bzw. ein Kulturzentrum ist. In dem genannten Buch ist vor allem der Beitrag von Leona Lynen sehr inspirierend, wenn man konkrete, schon realisierte, vielleicht erfolgreiche Projekte kennenlernen will.

7. Die noch aktiven Kirchen sind meist leer
Der Titel des Buches „Leben statt Leere“ ist sehr provokativ: Er kann nämlich suggerieren: Einst, als die Kirchengebäude noch für Gottesdienste/Messen genutzt wurden, herrschte eigentlich Leere: Das ist sogar richtig, wenn man sich die Statistiken der Teilnahme am evangelischen Gottesdienst in einigen Städten und Dörfern anschaut: Da sitzen sonntags um 10 Uhr in vielen Gemeinden Berlins, Leipzigs, Hamburgs usw. nur einige wenige, ziemlich weit voneinander, in den Bänken. 3,3% der Protestanten in Deutschland setzen sich sonntags um 10 in die Kirche. Es gibt in Brandenburgs Dörfern beheizbare „Winterkirchen“ innerhalb der großen Kirchen. „Winterkirchen“ sind die Zimmerchen gleich am Eingang: Die dort aufgestellten 20 Stühle sind treffender Ausdruck der erwarteten TeilnehmerInnen von „Sonntags um 10 oder 11“. An der katholischen Sonntags – Messe nehmen im Erzbistum Berlin etwa noch etwa 8,5 % der Gläubigen teil. Aber auch hier gilt, zumindest in Berlin: Nach den Gottesdiensten werden die Kirchen verschlossen, weil auch kein „Freiwilliger“ mehr da ist, der „aufpasst“ und mögliche Diebe vertreibt. So stehen die großen Kirchen während der Woche also leer herum, die tatsächliche „Nutzungszeit” beträgt wahrscheinlich nur etwa 4 Stunden pro Woche, wenn man Orgelkonzerte, Taufen oder Trauungen zu den Gottesdiensten mitzählt. Gäbe es nicht die immer noch sehr gut „besuchten“ Heilig – Abend Gottesdienste, sähe die Jahres – Statistik zum Gottesdienstbesuch sehr düster aus.
Darum ist der Titel „Leben statt Leer“ treffend: Die vorhandenen Kirchengebäude stehen wirklich fast immer leer herum. Und selbst tagsüber offen gehaltene Kirchen stehen zu Zeiten leer, wo sie eigentlich genutzt werden könnten: Hier in Berlin – Schöneberg, wo ich lebe, sitzen sehr viele junge Leute an jedem Sommerabend auf Grünanlagen vor der Apostel -Paulus – Kirche, sie trinken und plaudern und lachen, eine Art kleine Oase. Die Kirche, schließt um 18 Uhr. Aber dann beginnt erst das turbulente Leben im unmittelbaren Umfeld der Kirche… In Paris habe ich einst so genannte „Nacht-Kirchen“ – offen meist am langen Wochenende- kennengelernt und für die ARD dokumentiert, wie die Kirchen St. Gervais, St. Severin, St.Leu usw… Sie waren bis über Mitternacht hinaus offen. Heute zwingt der „Vandalismus“ in den Kirchen zu früher Schließung… Vielleicht sind die Kirchen sogar ein ganz kleines Bißchen froh, weil sie heute keine ehrenamtlichen MitarbeiterInnen, „Aufsicht“, mehr haben. Damals waren die Gemeindepfarrer in ihren Nachtkirchen anwesend.

8. Viele schöne Fotos umgewandelter Kirchen
Das Buch „Leben statt Leere. Überlegungen und Anregungen zum Umgang mit alten Kirchen“ enthält auf 240 Seiten 28 Essays. Genauso wichtig aber ist: Das neue „Leben“ der Kirchen wird auf mindestens 60 ganzseitigen Farbfotos so anmutig und so schön präsentiert, dass man eigentlich denken kann: Prima, dass diese Kirchen nun keine expliziten Gotteshäuser mehr sind. Die umgebauten Kirchen sind jetzt sehr lebendige Häuser, etwa prächtige Buchhandlungen oder angenehme Kindergärten oder hübsche Theater oder gar nicht so bescheidene Kleiderkammern für Arme, auch die Jugendherbergen sind beachtlich, erstaunlich, dass einige Kirchenfenster und dezent erhaltenen Kreuze den Früstücksraum schmücken. Man möchte also meinen: Endlich haben diese einst grauen, selbst sonntags fast leeren und während der Woche fast immer verschlossenen Kirchen/Gotteshäuser eine sympathische, so menschliche, durchaus progressive Ausstattung erhalten… Und man wird Theologen fragen, ob sie diese Entwicklung ebenfalls sympathisch und entzückend finden können und – normativ betrachtet – finden dürfen.

9. Wer oder was ist schuld an den Kirchenschließungen?
Wer stellt eigentlich noch in kirchlichen und theologischen Kreisen die provozierende, aber sehr berechtigte Frage: Wer oder was ist eigentlich schuld daran, dass so viele Kirchen „überflüssig“ geworden sind? Soweit ich sehe, wird dieses Thema in dem Buch bedauerlicherweise nicht bearbeitet. Wer nach einer Antwort sucht: Man wird doch theologisch nicht im allgemeinen „die“ Säkularisierung oder „die“ Moderne dafür verantwortlich machen, dass nun so viele Kirchengebäude für die Kirchen selbst überflüssig geworden sind. Denn Tatsache ist: Beide Kirchen hatten und haben immer Jahresetats von vielen Milliarden Euro aus Kirchensteuereinnahmen. Der katholische Theologe Konstantin Manthey nennt in seinem Beitrag die Zahl von „fast zwei Millionen Kirchenangestellten“ heute (S. 125). Darf man fragen, was haben diese meist gut bezahlten Damen und Herren falsch gemacht, dass es zu einem solchen stetigen Kirchenaustritt von Millionen getaufter Christen kommen konnte und kann?

10. Die alte Dogmenwelt und die unverständlichen Gebete/Gesänge
Was würde ein sehr großes Wirtschaftsunternehmen tun, wenn es einen so miserablen „Erfolg“ erzielen würde wie die Kirchen, die Millionen Mitglieder verlieren, obwohl die finanzielle Ausstattung wirklich bestens war (und bis jetzt noch immer ist)? Aber der Rücktritt von Bischöfen oder EKD – Synodalen würde in dem Zusammenhang nicht mehr als richtiges Symbol eines „Schuldbekenntnisses“ sein. Aber die eigentliche „Schuld“ an der Misere der Kirchen ins Deutschland und Europa weist auf anderes, über das öffentlich, auch in der Theologie, kaum gesprochen wird: Es ist die nicht anders als aufgeblasen zu nennende uralte dogmatische Glaubenswelt der Kirchen; es sind die meist sehr altertümlichen Kirchen – Lieder und – Gesänge: Bezeichnenderweise haben die Katholische Bischöfe der Niederlande und Deutschlands fast all Lieder des niederländischen Theologen Huub Oosterhuis als Mess-Gesänge verboten. Diese Lieder sind aber wohl die einzigem, die ein denkender Christ heute noch singen kann.. Schuld sind auch die intellektuell kaum nachvollziehbaren Gebete und Fürbitten; die erstarrten Liturgien/Messen oder das „Trallala“ mancher Kindergottesdienste, all das hat den Abschied so vieler hundert tausend kritischer und denkender Menschen aus den Kirchen beschleunigt.
Wer hat als Teilnehmer der Messe nicht schon oft den Eindruck gehabt: Das ist doch alles immer der selbe Ritus, dieses reglementierte Auf und Ab von Hinknien, Aufstehen, Sitzen, standardisiert antworten auf standardisierte Aufforderungen und Gebete des Priesters. Und dann auch dies noch: Das Sprechen eher sinnloser Texte: Etwa vor dem Empfang der Kommunion (!) müssen die Gläubigen diese Worte sprechen: „Herr ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach“… Wo bitte ist denn „mein Dach“, unter dem ich die Kommunion nun erhalte und verzehre…. Antiquierte Redeweisen in den Messen bis heute: „Der Herr sei mit euch.“ „Und mit deinem Geiste…“ Wer sagt denn so was, muss Kirchensprache derart aus der Zeit fallen? Das ertragen die Leute einfach nicht mehr. Tausend Beispiele wären möglich, aber schon diese Hinweise zeigen: Sie haben sehr wohl mit den leeren Kirchen zu tun, mit den sich ständig leerenden Kirchen besser gesagt.
Das fehlt leider in dem Buch „Leben statt Leere“: Die ausgearbeitete selbstkritische Erkenntnis: Die Kirchen sind selbst schuld, dass sie jetzt auf ihren vielen überflüssig gewordenen Kirchengebäuden sitzen und diese dann abstoßen müssen.

11. Die fixierten Holzbänke aus den Kirchen endlich entfernen!
Ein weiterer Grund für die Leere der Kirchen, für die Abweisung kirchlicher Angeboten den alten Gotteshäusern: Diese Kirchen sind als Treffpunkte der Gemeinde schon von der Anordnung der Sitzgelegenheiten eine Katastrophe: Alle schauen nach vorn, meist auch nach oben, zum Altar, zu den unersetzlichen Priestern oder dem evangelischen Pfarrer, der manchmal noch in die Höhen der Kanzel zur 30 Minuten Predigt klettert. Und „alle“ schauen in die Höhe der Wahrheit … Noch wichtiger: Es sind diese wirklich widerlichen, fest verankerten Holzbänke, die nicht das geringste Gefühl von Kommunikation oder Wohlfühlen aufkommen lassen. Ich wage die These: Hätten die Gemeinden spätestens vor 50 Jahren die fest verankerten Holzbänke aus den Kirchen rausgeworfen und durch Stühle bzw. Sessel oder Polster oder bequeme Sofas ersetzt, Sachen also, die man auch in einen Kreis hätte stellen können zum Gottesdienst, dann hätte sich Kirche als sympathischer, einladender freundlicher Raum einer Gemeinde, einer „großen Familie“, bewiesen. Warum soll man das für die Menschen oft ungemütliche, weil kritisch – störende Evangelium Jesu von Nazareth nicht auf gemütlichen Stühlen verstehen können?

12. Die Kirchenführung zerstört die Idee „Kirchengemeinde in der Nachbarschaft“
Wenn sich die Kirchen jetzt und in naher Zukunft von vielen Kirchengebäuden trennen müssen, dann wird für die noch Interessierten – und das sind oft ältere Menschen – die bequeme Erreichbarkeit von Kirchen und Gemeindezentren fast unmöglich gemacht, es sei denn man nimmt lange Busfahrten in Kauf, um noch eine Kirche zu finden, in der die Messe gefeiert wird. Die gute und bequeme Erreichbarkeit von Kirchen und Gemeindezentren ist HEUTE um so dringender, wenn man an die vielfach dokumentierte Einsamkeit sehr vieler Menschen gerade in den großen Städten denkt: Wenn es denn offene, d.h.freundliche, wenig dogmatische Gemeinden gäbe, dann wären diese Gemeinden von hohem Wert gerade für „das seelisch wie politisch Beste einer Stadt“, nämlich die Pflege des Miteinanders. Aber alles wird gerade jetzt von den Kirchen selbst zerstört: Im Erzbistum Berlin etwa gilt das Konzept mit dem höchst fragwürdigen Motto: „Wo der Glaube Raum gewinnt“: Das bedeutet in Wahrheit: „Liebe (ältere, einsame) Gläubige gewöhnt euch an große weite Räume, wenn ihr noch eine katholische Kirche oder ein Gemeindehaus sucht. Kirchliche Nachbarschaft ist ab sofort ausgeschlossen.“
So sehr man auch in umgewandelten Kirchen und deren Bücherstuben oder Cafés oder Kleiderkammern über den Sinn des Lebens beiläufig reden kann: Eigentlich sollten Kirchengemeinden Orte der qualifizierten, freien und offenen Sinnsuche sein, der Frage nach dem Sinn des Lebens, Liebens und Arbeitens, der ungerechten Gesellschaft und der Klimakatastrophe, der Frage nach dem Sinn von Leiden, Sterben und Tod. Sicher haben die Kirchengemeinden gar nicht mehr dieses qualifizierte Person für Gespräche über diese auch therapeutischen Fragen… , insofern ist wohl realistisch, wenn die Kirchen mangels qualifizierten Personals ihre Kirchen verkaufen und „umwandeln“.

13.
Obwohl die vielfältigen Formen der Umwandlung von „überflüssigen“ Kirchen beide großen Konfessionen betrifft, beziehen sich in dem Buch, soweit ich sehe, nur drei katholische AutorInnen auf entsprechende Erfahrungen und Einsichten ihrer Kirche. Dabei ist klar: An einer ökumenischen Zusammenarbeit bei Verkauf und Umwandlung der Kirchen via Internet oder Ebay mangelt es immer noch, berichtete kürzlich (September 2025) das genannte „Plus- Minus“ Magazin der ARD.

14. Erzbischöfe in Berlin setzen auf teure Repräsentativ -Kirchen.
Wir wollen hier nur auf den Beitrag des katholischen Theologen und Kunsthistorikers Konstantin Manthey, Berlin, hinweisen. Er spricht erstaunlich kritisch über das Verhalten der Kirchen, also auch der katholischen Kirche, zu unserem Thema, er spricht von „Schockstarre“ und von der Obsession der „Besitzstandswahrung“.
Sehr wichtig ist der Hinweis Mantheys: Es werden in Berlin keine neuen Kirchen oder wenigstens kleine Gemeindezentren gebaut in Berlins 23 (sic) neuen Stadtquartieren mit vielen tausend Bewohnern: „Nirgendwo ist dort bisher ein kirchlicher Ort vorgesehen, ein christlicher Raum für Zusammensein und ähnliches…“ (S. 127).

15.
Ist wirklich kein Geld da, um wenigstens einige kleine religiöse oder theologische Salons anzumieten als Treffpunkte für religiös Interessierte, die es ja sicher auch in den neuen Stadtquartieren geben wird?
Tatsache ist: Geld haben die Kirchen heute noch sehr reichlich, das lässt sich etwa am Beispiel des Erzbistums Berlin: Das wird allerdings von Konstantin Manthey nicht dokumentiert: Die Rede muss also sein über die vielen Millionen Euro, die für die – eigentlich unnötige – Total- Renovierung der St. Hedwigskathedrale ausgegeben wurden: „Mit 44,2 Millionen Euro wurden die 2016 prognostizierten Gesamtkosten für den Umbau der Bischofskirche nur um rund 4 Millionen Euro überschritten“, heißt es im Erzbistum. Konkret: Zwölf Millionen Euro kamen vom Bund und acht Millionen Euro vom Land Berlin für den Umbau der Kathedrale, 28 Millionen Euro muss also die Kirche selbst bezahlen. Und zum Neubau des Bischofshauses und eines Kirchenzentrums, direkt neben der Kathedrale, „Bernhard Lichtenberg Haus“ genannt: „Hier waren zu Beginn 17 Millionen Euro veranschlagt worden, inzwischen rechnet das Erzbistum jedoch mit nahezu verdoppelten Kosten von 33,8 Millionen Euro – für die das Hauptstadtbistum zudem allein aufkommen muss.“ Quelle: LINK.

Schon 2024 hatte der “Tagesspiegel”  nachgewiesen: In Berlin ist der Bodenbesitz aller religiösen Gemeinschaften laut Liegenschaftsplan  mit 1.206 Hektar anzugeben. Das sind 1,3% der Stadtfläche, der evangelischen und katholischen Kirche gehört der größte Teil der Liegenschaften, wie der “Tagesspiegel” erneut am 1.10.2025, Seite 4 im Berlin – Heft berichtet. 1.206 Hektar sind etwa 12 Quadratkilometer im Besitz der Religionen, der Kirchen. Der Vatikan-Staaat hat 0,44 Quadratkilometer Fläche, der Berliner Bezirk Schöneberg 12,2 Quadtratkilometer.

16. In den Wohnbezirken verschwinden katholische Gemeinden
Die angeblich arme katholische Kirche Berlin setzt also auf Repräsentativ-Bauten in der Innenstadt, interessant für Touristen vor allem, die „Unter den Linden“ flankieren oder zum Humboldt – Forum eilen… Um an das nötige Geld zu kommen, werden von den Erzbischöfen Berlins Gemeindezentren und Kirchen in den dicht bewohnten Bezirken aufgegeben oder verkauft, wie etwa nun die Gemeinde mit großer Kirche im „Katharinenstft” (mit einem Kloster der Herz – Jesu – Priester) in Prenzlauer Berg.Über den Verkauf des Katharinenstiftes, auf einem „Filetgrundstück“, hat der Journalist Patrick Pohl am 14.7.2025 auf seiner website berichtet. Oder: Die St. Albertus Magnus Kirche im bevölkerungsreichen Wilmersdorf: „Die 61 Jahre alte St. Albertus-Magnus Kirche in Wilmersdorf/Halensee wurde schon im November 2023 geschlossen, von einer neuen Nutzung ist noch immer nichts zu sehen, Quelle: „Tagesspiegel“ am 8.9.2025. Alsbald wird wohl die St. Kamillus Kirche in Charlottenburg mit einem integrierten „Altenheim“ verkauft.
Mit anderen Worten: Die Kirchenleitung nimmt den Menschen die nahe Erreichbarkeit ihrer altvertrauten Gotteshäuser und Gemeindezentren zugunsten von Millionen teuren Renovierungen und Neubauten von Repräsentativgebäuden. Die Kirche will offenbar noch groß und mächtig und modern nach außen erscheinen…
Wie viele Kirchen ließen Berlins katholische Bischöfe schon abreißen oder verkaufen? Wir nennen nur: St. Raphael in Gatow, Bezirk Spandau), St. Agnes in Kreuzberg., St. Johannes Capistran Tempelhof. Erstaunlich, dass der in der Katholischen Akademie Berlin angestellte Theologe Konstantin Manthey von all den genannten Zusammenhängen keine Silbe verliert.

Auch im Bistum Dresden – Meißen setzen die Kirchenoberen auf repräsentative Bauten: Ca. 19.000 Katholiken sind zwischen 2014 und 2024 dort aus der Kirche ausgetreten, die Zahl der Katholiken im Bistum Sachsens beträgt noch 128.000. Trotzdem die Kirchenführung baut für 49 Millionen Euro einen riesigen kirchlichen Verwaltungsneubau in Dresden, Eröffnung 2025. LINK 

Nebenbei: Es gibt inzwischen bei wikipedia einen eigenen Beitrag über die vielen „profanierten Kirchen“ im Erzbistum Berlin: LINK

17. Wann werden in Deutschland Kirchen in Moscheen umgewandelt?
Eine eigentlich dringende Frage wird überhaupt nicht öffentlich erörtert, weder in dem genannten Buch noch in anderen Publikationen oder etwa in Akademieveranstaltungen. Die Frage ist: Warum werden leerstehende Kirchen nicht muslimischen Vereinen zum Umbau als Moschee angeboten? Man könnte auch denken. Warum nicht auch jüdischen Gemeinden zum Umbau in eine Synagoge. Aber für Neubauten von Synagogen ist ja gut gesorgt.
Warum also keine zu Moscheen umgewandelten Kirchen? Man muss als Antwort nicht lange spekulieren: Weil Muslime in Deutschland immer noch unter einem ungerechten Generalverdacht des Radikalen stehen. Weil „der Islam nicht zu Deutschland gehört”, wie einzelne CSU Politiker (wie Horst Seehofer, 2018 und zuvor schon der CDU Ministerpräsident Sachsens Stanislaw Tillich schon im Januar 2015 in einem Interview mit „Die Welt“) sagten: LINK https://religionsphilosophischer-salon.de/6160_der-islam-gehoert-nicht-zu-deutschland-wenn-das-logische-denken-versagt_denkbar
Diese pauschalen und dummen Sprüche „Der Islam gehört nicht zu Europa“ war und ist wohl die beste Werbung einiger CDU CSU Politiker für die AFD…

18. In Amsterdam: Von der St. Ignatius Kirche zur Moschee
Ich kenne nur ein Beispiel dafür, dass tatsächlich einmal eine katholische Kirche in eine Moschee verwandelt wurde. Das hat sich im toleranten Amsterdam ereignet: 1971 haben die Jesuiten an der Rozengracht 150, ganz in der Nähe des Anne – Frank – Hauses, ihre St. Ignatiuskirche aufgegeben müssen: Dann geschah ein interessantes Intermezzo: Die Kirche wurde kurzfristig in einen Teppich-Laden umgewandelt und erst danach, im Jahr 1981, von der Islamischen Stiftung Fatih (Islamitische Stichting Nederland Fatih Amsterdam) erworben und als Moschee eingerichtet. Ein unmittelbarer Übergang von Kirche zu Moschee war selbst in Holland wohl „zu viel des Guten“. Dabei reden doch viele christliche Theologen eigentlich ständig von der Gemeinschaft der drei monotheistischen Religionen, aber man belässt es lieber im unverbindlichen akademischen Milieu. Seit 1981 trägt die auch von außen noch wahrnehmbar ehemalige Kirche also offiziell den Namen „Fatih-Moschee“. Die Leistung der Moschee dort hat mir selbstverständlich Filmaufnahmen für meine Dokumentation fürs Erste über die Religionen in Amsterdam gestattet. LINK

19. Kirchen werden den Buddhisten oder Humanisten überlassen.
Wenn es den Kirchen ernst ist mit einem umfassenden ökumenischen und interreligiösen Dialog: Warum bieten sie ihre überflüssigen Gotteshäuser nicht auch Buddhisten an, warum nicht auch dem „Humanistischen Verband“, der ja bekanntlich gute Sozialarbeit leistet? Aber schon diese unsere Frage werden „kirchenleitende Herrschaften“ als utopisch zurückweisen. Nebenbei: Wie viele Kirchen wurden an fundamentalistische „freie charismatische Gemeinden“ verkauft? Diese sind bekanntlich in ihrer Lehre gefährlich, “nur” für die seelische Gesundheit der “Gläubigen”??? Man schaue sich heute diese machtvollen, z. T gewalttätigen fundamentalistisch – evangelikalen Kreise in den USA des Mister Trump an….

Zur weiteren Information siehe auch die website Aktion Kirchenabriss: https://www.moderne-regional.de/listing-category/hashtag-kirchenabriss/

Das genannte Buch „Leben statt Leere. Überlegungen und Anregungen zum Umgang mit unseren Kirchen“ wurde u.a von Klaus -Martin Bresgott und Johann Hinrich Claussen herausgegeben. Das Buch ist über Kulturbüro der EKD zu beziehen: Kulturbüro des Rates der EKD, Auguststraße 80, D-10117 Berlin, https://ekd-kultur.de/. kultur@ekd.de

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de