Der Sieg der Rechtsradikalen FPÖ in Österreich: Das neue „Bedenkjahr“ 2024

Der Dichter Thomas Bernhard sah schon vor 30 Jahren das FPÖ – Unheil kommen.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 29.9.2024

1.

Es gibt „Bedenkjahre“ in Österreich seit 1988, „Bedenkjahre“ – ein pathetisches Wort, erfunden vom damaligen Bundeskanzler Franz Vranitzky. Es sollten Jahre sein, in denen die Österreicher gründlicher politisch nachdenken, und sich an Jahre erinnern, in denen es für Österreich auch furchtbar be-denklich wurde: Etwa 1938, als sehr viele Österreicher die Hitler-Herrschaft willkommen hießen und bejubelten.

2.

Ein weiteres, neues Bedenkjahr ist heute entstanden: Fast jeder dritte Wähler in Österreich stimmt anläßlich der Parlamentswahlen am 29.9.2024 für die rechtsradikale, viele Kenner sagen zu recht, faschistische Partei FPÖ und ihren frechen, manche sagen unverschämten Vorsitzenden Herbert Kickl.
2024 – ein Bedenkjahr also zum Durchbruch des Rechtsradikalismus in Österreich. Es ist die alte Leier rechtsextremer Forderungen: Die Kickl Partei will den Zuzug von Fremden, d.h. Flüchtlingen, nach Österreich stoppen; Zäune sollen die Einreise der Flüchtenden ins schöne ehemalige Habsburger Land verhindern, “schlimme Asylbewerber” sollen Fußfesseln erhalten; die Menschenrechte sind den FPÖ Leuten scheißegal, um es einmal auf dem verkommenen Sprachniveau der FPÖ Führer zu formulieren. Kickl und die Seinen wollen jedenfalls Österreich zu einer Festung umbauen. Diese Festung soll dann Ausländer-frei sein, Remigration ist das große ideologische Schlag-wort, wie üblich bei europäischen Rechtsextremen heute. Das Nazi -Ideal eines genetisch sauberen, weißen Europa der Herrenmenschen ist das politische Ziel. Am Samstag 28.9.2024 wurde typischerweise ein Video verbreitet, sichtbar und hörbar sind FPÖ Politiker die auf einem Begräbnis ein “Treuelied” der SS gesungen haben. Quelle: “Tagesspiegel”, 29.9.2024.

3.

Für uns ist es, philosophisch betrachtet, wichtig: Künstler, Schriftsteller und Dichter haben oft eine hohe politische Sensibilität. Sie können politische Entwicklungen gleichsam voraussagen, literarisch verschlüsselt manchmal, aber deutlich genug. Ich erinnere hier nur an Thomas Bernhard, er hat die politische Entwicklung seines „Heimatlandes“ Österreich immer aufs heftigste kritisiert, und in seinem Theaterstück „Heldenplatz“ von 1988  analysiert. Dabei wissen wir: Wenn Protagonisten in Bernhards Romanen oder Theaterstücken sprechen, ist es nicht unmittelbar Thomas Bernard, der da seine Meinung kundtut. Aber wir erinnern gern an die Einsicht Marcel Reich – Ranickis, der treffend schrieb: „Man würde es gar zu leicht machen, wollte man sich damit behelfen, dass Bernhard Invektiven gegen Österreich („gemeingefährlichster Staat“, „eine einzige geist -und kulturlose Kloake“) meist seinen Ich – Erzählern in den Mund legt“ (zit. in Marcel Reich-Ranicki, „Thomas Bernhard. Aufsätze und Reden“, Fischer – Taschenbuch 1995, Seite 90.) Mit anderen Worten: Bei aller Differenz zwischen Autorenmeinung und Rede der literarischen Protagonisten spricht doch auch immer Thomas Bernhard selbst in seinen Texten, zwar übertreibend, wie er gern sagt, aber immerhin.

4.

Das Theaterstück „Heldenplatz“ von Thomas Bernhard sollte also dringend erinnert werden angesichts des „Sieges“ der rechtsradikalen FPÖ. In der Wiener Hofburg, am Heldenplatz, regierten die Habsburger KaiserInnen, jetzt ist dort der Sitz des Bundespräsidenten. Am 15. März 1938 feierte dort eine enthusiastisch – verzückte Masse Adolf Hitler und den „Anschluss“ an das Hitler-Reich.

5.

Das berühmte Theaterstück „Heldenplatz“ schrieb Bernhard 1988, es wurde nach allerhand heftigster Polemiken im Burgtheater unter Claus Peymann am 4. November 1988 uraufgeführt. „Heldenplatz“ von Bernhard ist, ultrakurz gesagt, die Erzählung über zwei Brüder, zwei Juden: Der eine, Josef Schuster, konnte den latenten Antisemtismus in Österreich nicht mehr ertragen und stürzte sich aus dem Fenster. Sein Bruder Robert sieht auch allerorten den Antisemitismus in Österreich heute (1988), aber er hat nur noch wenig Kraft zu kämpfen:“Es gibt jetzt mehr Nazis in Wien als achtunddreißig“.

6.

Das Stück Heldenplatz sollte wieder gelesen und aufgeführt werden, selbst wenn wir wissen: Der Antisemitismus in Österreich wird heute übertroffen durch einen pauschalen Anti -Islamismus.Davon konnte 1988 so deutlich Thomas Bernhard noch nicht sprechen. Der von Bernhard gesehene heftige Antisemitismus (1988) muß heute bei der Lektüre von „Heldenplatz“ mit Feindlichkeit gegenüber Fremden und Ausländern und Flüchtlingen ergänzt werden. Wo von Juden im Stück die Rede ist, muss AUCH Flüchtling und Ausländer verstanden werden.

7.

Einige Zitate aus „Heldenplatz“ aus der Zweiten Szene, Worte von Robert Schuster:
„Das ganze Unglück (des Antisemitismus jetzt) ist ja kein überraschendes.“
Mein Bruder Josef „hat nicht damit gerechnet, dass die Österreicher nach dem Krieg viel gehässiger und noch viel judenfeindlicher gewesen sind als vor dem Krieg… Er hat nicht mehr gewusst, dass in Wien und überhaupt in Österreich die Verlogenheit zuhause ist“.
„Die Wiener und die Österreicher sind ja viel schlimmer als es sich euer Vater, mein Bruder Josef, hat vorstellen können.
Hört doch was die Leute reden, schaut sie euch an, sie begegnen einem doch nur mit Hass und Verachtung, gleich auf der Straße oder im Lokal“…

8.

„Die Leute mögen schreiben und reden, was sie wollen, der Judenhass ist die reinste, die absolute unverfälschte Natur des Österreichers“. (Robert Schuster in “Heldenplatz” von Thomas Bernhard).

9.

Ein „dezidiert politisches Buch“ (Ulrich Weinzierl) ist Bernhards großer Roman „Auslöschung“ von 1986. Er zeigt das Weiterleben der nationalsozialistischen Mentalität , „das Bernhard in den späten Jahren seines Schaffens immer nachdrücklicher zum Thema macht“ (Manfred Mittermayer, „Thomas Bernhard – Eine Biographie“, Residenz Verlag Salzburg, 2015, Seite 407). „Auslöschung“ ist die Geschichte Franz – Josef Muraus, der sich mit der Nazi-Vergangenheit und – Gegenwart seiner Eltern und seiner Familie auf Schloß Wolfsegg auseinandersetzt. „Seine Verwandten hatten immer zu den gerade an der Macht befindlichen gehalten und als geborene Österreicher die Kunst des Opportunismus wie keine zweite beherrscht“ (zit. „Auslöschung”  in Manfred Mittermayers Buch, dort S. 407).
Die Präsenz der Nazi – Welt in Österreich ist also DAS Thema des Bernhard Romans „Auslöschung“. Josef P. Mautner hat sich mit „Auslöschung“ in seiner Studie „Ein nationalsozialistisch-katholisches Syndrom“ (Würzburg, 2021) intensiv befasst. Und dann weitere politische Überlegungen angeschlossen: Die Mitschuld Österreichs und der ÖsterreicherInnen an den Verbrechen der Nazis sei keineswegs mit dem Ende der „Affäre“ um den Nazi – Mitarbeiter Staatspräsidenten Kurt Waldheim überwunden. Denn, so schreibt Mautner 2020, „es gibt die anhaltend rechtsradikal orientierte Politik der FPÖ, der es kaum gelingt, ihre Wurzeln im Verleugnung – und Verdrängungsmilieu der österreichischen Nachkriegsgesellschaft zu verbergen“ (S. 116). „Im Nachkriegsösterreich war die Justiz bei der Aufarbeitung der von NS – Verbrechen zu weiten Teilen säumig… In den sechziger Jahren endeten zahlreiche Verfahren mit Freisprüchen; in den siebziger Jahren folgte schließlich ein Abbruch der gerichtlichen Verfolgung von NS – Verbrechen“ (s. 115). Thomas Bernhard hat auf seine Art als Dichter auf die Präsenz der Nazis (in Wolfsegg) reagiert: Sein Protagonist Franz -Josef Maura löscht diese Nazi – Welt seiner Herkunft aus: Diese Nazi – Auslöschung ist leider bisher nur literarisch gelungen, nicht aber real in Österreich und überall, wo rechtsextreme Parteien wieder die Führung übernehmen wollen.

10.

Wer oder was gibt uns die Kraft zu hoffen, dass die Demokratie (in Österreich) diesmal stärker ist als 1938?  Ein „Bedenkjahr“sollte in tägliches kritisches Nachdenken umgewidmet werden. „Bedenktage“ sind erforderlich.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Peter Sloterdijk: Vordenker der Rechtsradikalen.

Hinweis auf ein Interview mit Sloterdijk vom 27.2.2016 mit der Zeitschrift CICERO

Von Christian Modehn am 24.9.2024.

Vorwort: Es ist erstaunlich, dass jetzt, nach den Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg, also nach dem deutlichen Sich – Durchsetzen der rechtsradikalen, von vielen faschistisch genannten Partei AFD nicht ausführlich auf die ideologischen Stichwortgeber dieser Partei hingewiesen wird. Zu diesen ideologischen Wegbereitern gehört sicher auch auch der philosophische Schriftsteller Peter Sloterdijk, dies ist eine begründete Meinungsäußerung.

1.
Angesichts der Wahlerfolge der rechtsextremen Partei AFD müssen sich Demokraten auch die Frage stellen: Wer sind die maßgeblichen und wirkungsvollen Vordenker für Positionen dieser Rechtsextremen? Vordenker sind einflußreiche Intellektuelle, die als Meister des vagen Ausdrucks gelegentlich dann doch in Interviews kurz und knapp ihre tiefe Überzeugung, ihre Ideologie, verbreiten: Auf deren Formeln können sich dann die rechtsextremen Parteien und ihre gehorsamen Massen einstellen, können ihnen folgen, auch in der rabiaten politischen Praxis. Das erleben wir leider seit einigen Jahren…

2.
Der viel schreibende „philosophische Schriftsteller“ Peter Sloterdijk, so nennt er sich selbst, hat in Heft 2/2016 der sehr rechts orientierten Zeitschrift CICERO ein Interview gegeben. Der Titel „Das kann nicht gut gehen. Peter Sloterdijk über Angela Merkel, die Flüchtlinge sind das Regiment der Furcht“. Sloterdijk verbreitet dort Thesen, die tatsächlich eine humane Flüchtlingsflüchtlingspolitik verhindern.

3.
Wir haben im März 2016 auf dieses Interview reagiert: LINK

Leider ist dieses Interview Sloterdijks offenbar weithin in Vergessenheit geraten.

Einige zentrale pauschale Thesen Sloterdijks, die  als Slogans von Rechtsextremen verwendet werden könnten:

– „Mit dem (sic!) Islam lässt sich keine authentische Zivilgesellschaft füllen.“ (Seite 20, Cicero).

– „Die deutsche Regierung hat sich (mit der Aufnahme der Flüchtlinge 2015) in einem Akt des Souveränitätsverzichtes der Überrollung preisgegeben.“ (Seite 21) Man beachte das in rechtsextremen Kreisen übliche Wort der “Überrollung” durch Flüchtlinge, CM)

– „Die postmodernisierte Gesellschaft existiert in einem surrealen Modus der Grenzenvergessenheit.“ (Seite 21)

– „Man glaubt hierzulande immer noch, eine Grenze sei dazu da, um sie zu überschreiten“. (S. 21).

– „Heute treten die Verwahrlosung des Journalismus, die zügellose Parteinahme (für die Flüchtlinge) allzu deutlich hervor“. (Seite 22)

– „Integration (der Flüchtlinge) ist ein Ausdruck, der einem unerreichbaren Ziel vorauseilt.“ (Seite 22).

– „Wir wären schon mehr als zufrieden, wenn man es zur beruhigten Koexistenz mit den Flüchlingen brächte, zu einer freundlichen Gleichgültigkeit gegenüber der Tatsache, dass es zu viele Leute gibt, mit denen man nichts gemeinsam hat. Wer kennt nicht die Momente, in denen man mit Stefan George sagen möchte: Schon eure Zahl ist Frevel“? (Seite 22). (So sprechen europäische Herrenmenschen, C.M.)

Von der EU hält Sloterdijk sehr wenig: „ Dem Nationalstaat darf man ein langes Leben prophezeien, weil er das einzige politische Großgebilde ist, das bis zur Stunde halbwegs funktioniert.“ (Seite 23).

– “Die Europäer werden früher oder später eine effiziente gemeinsame Grenzpolitik entwickeln. Auf Dauer setzt der territoriale Imperativ sich durch. Es gibt schließlich keine moralische Pflicht zur Selbstzerstörung.” (S. 23, das ist Schlußwort Sloterdijks im Interview)

Die LeserInnen sollten prüfen, welche dieser Sloterdijk – Thesen (2016 !) von der AFD direkt  bzw. leicht abgewandelt übernommen wurden und heute von dieser und anderen rechtsextremen Parteien verbreitet werden.

Wird  Sloterdijk ungewollt auch mal selbstkritisch: „ An jeder Ecke steht ein semantischer Drogenhändler“ (Seite 22). An wen denkt er wohl?

Unseren Kommentar, begründete Meinungsäußerung, kann man noch ausführlich nachlesen: LINK.

Zum ehem. Assistenten Sloterdijks an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe, Marc Jongen:

1.

Kaum hatte Sloterdijk 2016 das genannte Interview für CICERO gegeben, trat einige Monate später sein Assistent (an der Hochschule für Gestaltung, Karlsruhe) dann im Zentrum rechtsradikaler Ideologie, im Rittergut in Schnellroda, als viel gepriesener Referent auf: Am 17. Februar 2027 hielt Marc Jongen an diesem „Institut für Staatspolitik“ einen Vortrag mit dem Titel „Migration und Thymostraining“. Das Thema der Tagung war Gewalt, unter den Referenten waren auch zwei bekannte Vertreter der rechtsradikalen Szene, der US-Amerikaner Jack Donovan und der Österreicher Martin Sellner. Der Sloterdijk – Assistent Marc Jongen nannte dort die “Migranteninvasion” einen Akt der Gewalt gegen die Integrität des deutschen Volkes. Und er schwadronierte über Sloterdijks zentrales Stichwort ” Thymos” und “Thymos-Schwäche der Deutschen. “Den Islam” dagegen hielt er dagegen für eine gefährliche “thymotisch hoch aktive Kultur”…

2.

Für den Thymos als Zorn hatte sich Jongens Meister Sloterdijk bekanntlich in seinem Buch „Zorn und Zeit“ (2006, wie üblich bei Suhrkamp) stark gemacht. Thymos verstand der sprach-kreative Sloterdijk als „Regungsherd des stolzen Selbst“ (S. 24), ein Wortspiel, den manch einen an die neunzehnhundertdreißiger Jahre in Deutschland erinnerte. Aber dieser Regungsherd sei dann doch, so Sloterdijk als Übersetzer seiner eigenen Sprüche, als, so wörtlich, „Mannesmut“ bzw.“Beherztheit” (S. 26) zu verstehen. Mannesmut ist immer noch zornig genug und kriegerisch…Das Sloterdijk – Wort “Beherztheit” für Thymos verwendete Marc Jongen auch. Auch die schwammige Sloterdijk – Formel des “wohltemperierten Thymos” verwendete Jongen. Allein schon die Identität der von Jongen verwendeten Formeln mit Sloterdijk ist erstaunlich, siw wurden, wie gesagt, gesprochen in einem wichtigen Zentrum des rechtsradikalen Denkens, dem  “Institut für Staatspolitik”. Eine Studie über dieses Institut ist 2020 im VSA:Verlag Hamburg erschienen, “Das IfS. Faschist*innen des 21. Jahrhunderts”. Zu Jongen dort S. 130f.

3.

Marc Jongen gab in seinem Vortrag am 17.2.2017  Sprüche und Hetze und Beleidigungen von sich, die in in AFD Kreisen damals schon üblich waren. Jongen sprach vom „Merkel – REGIME“; sprach vom „hunderttausendfachen Eindringen kulturfremder Menschen…“, sprach vom „desaströsen Zustand der deutschen Medien wie auch eines Großteils der sogenannten Intellektuellen“, Jongen sprach vom „öffentlich-rechtlichen Sedierungsfunk und seiner dauerpalavernden Günstlinge“ usw., alles Stichworte, die in etwas versteckterer, milderer, CDU – FDP affiner Verträglichkeit auch von Sloterdijk im Interview mit CICERO vorgebracht wurden.

4.

Wie sein Meister Sloterdijk lobt auch Jungen in seinem Vortrag den Philosophen Heiner Mühlmann: Er lehrte auch an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe mit seinem Chef Sloterdijk. Sloterdijk weist in „Zorn und Zeit“, Seite 16, Fußnote 5, auf Heiner Mühlmann hin.“Das Sloterdijk-Alphabet“ hat übrigens ein eigenes Stichwort „Mühlmann“ und der Autor des Sloterdijk Alphabetes, Holger Freiherr von Dobeneck, ein Kenner also, schreibt klipp und klar: „Heiner Mühlmanns Buch „Natur und Kultur“ ist Sloterdijks favorisiertes Kulturmodell.“ (Seite 182). Jongen sagt in seinem Vortrag 2017 im rechtsextremen „Institut für Staatspolitik“ im Sinne von Mühlmann: „Am Anfang jeder Kultur, so Mühlmann, steht ein Akt der Gewalt, nämlich der Krieg oder, wie er es nennt, die Maximal-Stress-Cooperation (MSC). Indem die Individuen einer Population im Maximalstreß des Kampfes um Leben und Tod gegen einen realen oder zuweilen auch imaginierten Aggressor miteinander kooperieren und auf diese Weise zusammengeschweißt werden, schaffen sie die psychosozialen und affektiven, die »natürlichen« Grundlagen einer Kultur.“

5.

Man sollte diese Aussagen zum Krieg auch auf das Miteinander in der Demokratie beziehen: Da gibt es rechtsextreme Gruppen, die gegen einen Aggressor vorgehen, und diese Aggressoren  sind in erster Linie Ausländer, Flüchtlinge, demokratische Politiker, demokratische Journalisten, antifaschistische Kreise usw.

6.

Man beachte, dass der Autor des Buches “Das Sloterdijk Alphabet“ schon 2006 auf geistige, praktische Verbindungen Sloterdijks /Jongens mit dem „Institut für Staatspolitik“ im Rittergut Schnellroda hinweist (S. 260).

Copyright: Christian Modehn Religionsphilosophishcer Salon Berlin.

 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Wenn Faschismus sich in Deutschland durchsetzt…

Ein Hinweis von Christian Modehn am 28.8.2024

Ergänzung am 29.8.2024: Siehe auch den Hinweis auf eine Reportage über den von einem AFD Landrat geführten Landkreis Sonneberg in Süd – Thüringen (Nr. 17 in unserem Beitrag).

1.
Es ist nie zu spät, vor dem Faschismus zu warnen. Bei den Wahlen in Thüringen und Sachsen am 1.9.2024 werden laut Prognosen zwei populistische Parteien LEIDER sehr erfolgreich sein; eine Partei, die AFD, wird offiziell als rechtsextrem beurteilt, die andere, das BSR, ist offenbar von Stasi – Mitarbeitern durchsetzt, siehe die neueste Studie von Correctiv am 28.8.2024. LINK

2.
Wir weisen auf grundlegende Wesensbestimmungen faschistischen Denkens und Handelns hin, Wesensbestimmungen, die Umberto Eco, der international bekannte italienische Philosoph, Medienwissenschaftler und Autor (u.a. „Der Name der Rose“) vorgelegt hat, und zwar in seinem Buch „Der ewige Faschismus“ (deutsch: Hanser Verlag, 2020).

3.
Sie haben richtig gelesen: Es geht auch bei den rechtsextremen Parteien in Deutschland um eine Form von Faschismus bzw. des Nazi-Unwesens, und es ist ja nicht nur die AFD in Thüringen und Sachsen, für die diese Hinweis auf den Faschismus zutreffen. Ans europäische Ausland und die dortigen rechtsextrem – populistischen Parteien (FPÖ, Le Pen Partei, Italien, Niederlande, Spanien und so weiter) soll hier nur erinnert werden.

4.
Lesen Sie bitte einige zentrale Zitate aus dem genannten Buch von Umberto Eco: Er bezeichnet die „Wesensbestimmungen“ der verschiedenen Gestalten von Faschismus als „Ur-Faschismus“. De AFD und die anderen offiziell – rechtsextremen Parteien sind eine Form des Ur-Faschismus.

5.
Umberto Eco schreibt u.a.:
„Kultur ist für den Ur – Faschismus suspekt, sobald Kultur mit kritischen Haltungen identifiziert wird. Misstrauen gegenüber der intellektuellen Welt war stets ein Symptom des Ur-Faschismus… Man warf der moderne Kultur und der liberalen Intelligenz vor, sie hätten die überlieferten Werte verraten.“ (S. 33). Aber diese so genannten überlieferten Werte sind meist die Werte von vorgestern, man denke an den in rechtsextremen Kreisen einseitigen patriarchalen Familien-Begriff, die Abweisung von umfassender sexueller Aufklärung etc..

6.
Umberto Eco schreibt u.a.:
„Der Ur – Faschismus wächst und sucht sich Konsens, indem er die natürliche (aber überwindbare) Angst vor den Andersartigen (Fremden, Ausländern) ausbeutet und vertieft. Der erste Appell einer faschistischen oder vor-faschistischen Bewegung richtet sich immer gegen die sogenannten Eindringlinge. Daher ist der Ur-Faschismus per Definitionem rassistisch“ (S. 33).

7.
Umberto Eco schreibt u.a.:
„Der Ur – Faschismus entspringt individueller oder gesellschaftlicher Frustration. Heute, da die `Proletarier` Kleinbürger werden… wird der Faschismus sein Publikum in dieser neuen Mehrheit der Kleinbürger suchen“ (S.34).

8.
Umberto Eco schreibt u.a.:
“Der Ur- Faschismus beruht auf auf einem Populismus. In Demokratien haben die Bürger individuelle Rechte, aber politischen Einfluss können sie nur gemeinsam unter einem quantitativen Gesichtspunkt ausüben – die Mehrheit entscheidet! Für den Ur – Faschismus dagegen haben Individuen als Individuen keinerlei Rechte … der Führer wirft sich zum Interpreten der Bürger auf. Die Führer spielen dann die Rolle des Volkes… Der-Ur-Faschismus stellt sich gegen die `verrotteten parlamentarischen Regime…“ (S. 37)

9.
Umberto Eco schreibt u.a.:
„Der Ur-Faschismus tritt manchmal in gutbürgerlicher – ziviler Kleidung auf… Das Leben ist heute nicht so einfach, dass ein Faschist heute wieder die Bühne der Welt beträte und erklärte: Ich will ein zweites Auschwitz`. So einfach ist das nicht. Der Urfaschismus kann in unschuldigsten Gewändern daher kommen“. (S. 40)

10.
Umberto Eco schreibt u.a.:
Es ist unsere Pflicht, den Urfaschismus heute zu entlarven und mit dem Finger auf jede seiner Formen zu zeigen – jeden Tag, überall ins der Welt“ (S. 40).

11.
Es wurde und wird leider nicht von demokratischen Politikern und den Demokraten, den Bürgern, gesagt: Die Faschisten sind in gewisser Weise Selbstmörder: D.h.: Sie zerstören ihr  humanes Leben, jegliches demokratische Leben, das natürlich immer verbessert werden muss. Denn: Sind erst einmal Faschisten als Herrscher an der Macht, hört jede Kritik, jedes offene Wort auf, es gibt keine Individuen mehr, nur noch gehorsame Nummern, die nicht mehr nachzudenken brauchen. Der Mensch als geistiges Wesen ist tot. Und das wünschen sich heutige Wähler rechtsradikaler Parteien, ohne es explizit zu sagen und zu wissen…?

12.
Der größte Wahnsinn ist, wenn konservative demokratische Parteien so weit gehen und Positionen des Ur – Faschismus heute übernehmen, um Stimmen zu gewinnen. Sie müssten den Ur-Faschismus eine Gefahr für die Menschheit nennen.

13.
Damit wird nicht gesagt, dass alle Wähler rechtsextremer Parteien in Europa Ur – Faschisten sind. Es sind Menschen, die in ihrer Angst, etwas zu verlieren an materiellen Gütern, alle Energie gegen „die“ Ausländer, „die“ Flüchtlinge, die Minderheiten (Homosexuelle usw.) einsetzen, um diese angeblich bösen Anderen“ auszugrenzen.

14.
Das jetzt schon übliche und in aller Welt verwendete Konzept der Ur – Faschisten, nämlich die  Rückführung der Unerwünschten, Ausländer, pauschal “der” Muslims usw., stammt übrigens von der Autorin Bat – Ye Or, wir haben schon 2018 darauf hingewiesen. LINK

15.
Dieser Ur – Faschismus ist keineswegs nur eine europäische, tödliche Massen – Krankheit, sie wuchert aktuell in bestimmten Parteien in Israel, in islamischen Staaten, in den USA, in China (gegen die Menschenrechte, gegen die Uiguren etc.) usw.

16.

Und es ist die Frage, wie sehr demokratische Parteien nach rechtsextrem, also (prä?)-faschistisch (bereits) abdriften, wenn sie die in jeder Hinsicht zu verachtenden Positionen der Rechtsextremen übernehmen. Das tun Politiker auch in Deutschland jetzt und seit einiger Zeit, um ihre Partei am Leben zu erhalten ….Diese Haltung, ist Illusion, ist Unsinn: Wer als Wähler rechtsextrem ist oder ur – faschistisch im Sinne von Umberto Eco, der (die) bleibt bei seiner Partei.

Rechtsextreme und (Ur-) Faschisten werden von vernünftigen Menschen nur mit klaren demokratischen Positionen und Taten bekämpft; die universell geltenden Menschenrechte sind oberstes Gebot … und nicht nationalistisch – egoistische Interessen.

17.

Wer immer noch nicht weiß, dass prä-faschistische oder ur-faschistische Verhältnisse in Deutschland bereits herrschen , wenn AFD Leute einmal an der Macht sind: Der lese bitte die Reportage von Barbara Nolte “Wo die AFD regiert, sind Morddrohungen an der Tagesordung”, ein wichtiger Beitrag im TAGESSPIEGEL vom 29. August 2024, Seiten 6 bis 7.

Wir zitieren nur kurz (Seite 7) zu rechtsradikaler Gewalt in Sonneberg in Thüringen mit dem gewählten AFD Landrat Sesselmann; dort gab es natürlich eine AFD ultrafreundliche  Stimmung schon vor der Landratswahl. Die Journalistin Barbara Nolte war vor Ort und berichtet. “Eine Geflüchteten-Unterkunft im Landkreis wurde im vergangenen Jahr mehrfach von maskierten Tätern angegriffen, die mit Steinen warfen und Kinder, die im Hof spielten, rassistisch beleidigten…Kürzlich wurde die face-book Seite von `Sonneberg gegen Nazis` von ihren Betreibern nach elf Jahren mit der Begründung eingestellt, es sei zu gefährlich geworden. Hasskommentare, persönliche Anfeindungen und Morddrohungen sind an der Tagesordnung… Eine Verfünffachung von rechter, rassistischer Gewalt hat die thüringische Opferberatungsstelle EZRA im vergangenen Jahr im Landkreis Sonneberg registriert. Drei Viertel der Taten passierten nach der Wahl des Landrates Sesselmann… Eine Studie der Princeton University (USA) hat u.a festgestellt: Rechtsextreme Hasskriminalität breitet sich dort aus, wo Täter erkennen, dass ihre Taten die Unterstützung der Bevölkerung haben. Und dieses Gefühl hätten, so die Studie,  die Täter unter den Wählern der AFD; von denen stimmt fast die Hälfte der Aussage zu, dass Fremdenfeindlichkeit gegen Flüchtlinge manchmal gerechtfertigt sei, auch wenn sie in Gewalt umschlage!… Nicht nur Migranten, auch politische Gegner sind von Gewalt betroffen…Der Treffpunkt eines Kulturvereins wurde mit Steinen und Flaschen beworfen, die Gewalttäter  versuchten die Tür aufzubrechen und sie hätten dabei Neonazi-Parolen gerufen und den Hitlergruß gezeigt” ….

18. “Es ist fünf vor 33″ ist das treffende Motto des “Lichtkunst-Festivals” Weimar mit dem Titel `Genius Loci` vom 30.8. bis 1.9 2024 in Weimar und in der Gedenkstätte des ehem. KZ -Buchenwald bei Weimar. “Es ist fünf vor 33″: ein treffendes Motto, gültig – etwa als Untertitebl – für alle Talkshows der ARD und des ZDF in den nächsten Monaten?

Keine Frage: Ein historisches Ereignis wiederholt sich als solches nicht in der Geschichte, also auch heute nicht, aber manche dieser hier (Nr. 17) nur kurz genannten Verbrechen erinnern in gewisser Hinsicht (!) an das Ende der Weimarer Republik. Denn dies ist keine Frage: Die freie, demokratische Kultur haben die Nazis zuerst eingeschränkt, dann kaputt gemacht, bevor sie alles Humane im nationalistischen Wahn zerstörten.

Umberto Eco, Der ewige Faschismus, Hanser Verlag, Mit einem Vorwort von Roberto Saviano. Deutsch von Burkhard Kroeber. 79 Seiten, 10 €.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer-salon.de

Wenn ein Philosoph radikal wird

Über ein neues Buch von Jürgen Manemann
Ein Hinweis von Christian Modehn am 23.8.2024

1.
Das ist unser philosophischer Ausgangspunkt:
Philosophie ist Ausdruck des Philosophierens des einzelnen und der Gruppen. Und Philosophieren ist das Geschehen des kritischen Denkens und Reflektierens, ist also der lebendige Geist, die lebendige Vernunft… Und Denken und Reflektieren ist nicht nur die Praxis weniger Philosophieprofessoren. Sondern: Jeder Mensch denkt immer schon auf seine Art, entwickelt seine Werte etc. und kommt, dem eigenen Nachdenken entsprechend, zu Entscheidungen. Diese sind dann sichtbare „Gestalten“ des sich objektivierenden Geistes (greifbar in der Literatur, Kunst, usw. aber auch der Politik und Ökonomie usw.). Unsere Welt ist Objektivierung des Geistes (bzw. Ungeistes, wenn man an die totalen Egoisten, Nationalisten und andere politisch Verwirrte denkt).

2.
Philosophie als Philosophieren ist in jedem zuerst und vor allem eine bestimmte, sich aber wandelnde Lebensform. An den Universitäten werden diese unterschiedlichen Lebensformen philosophisch (in Texten objektiviert) studiert. Jeder philosophische Text ist Ausdruck einer bestimmten Lebensform des Autors.

3.
Also: Lebensformen sind für die Philosophien das erste: Das haben die griechischen Philosophen (in der Stoa, der Schule Epikurs, Platons usw.) nicht gelehrt, sondern gelebt, man lese die entsprechenden Studien von Pierre Hadot. LINK.

4.
Philosophie als Philosophieren als eine konkrete Lebensform präsentiert auch der Philosoph und Theologe Prof. Jürgen Manemann (Hannover). Er ist kein Philosoph im ruhigen Elfenbeinturm. Er mischt sich ein und ist aktiv politisch, umweltpolitisch tätig. Sein Engagement steht in Verbindung mit der Leitung des „Forschungsinstitutes für Philosophie Hannover“ (fiph). LINK
Das Forschungsinstitut verdient angesichts der Vielfalt seiner Angebote mehr Aufmerksamkeit…“Weiterdenken“ ist das Motto des 1988 gegründeten philosophischen Instituts, das regelmäßig auch Diskussions – Veranstaltungen für weite Kreise anbietet.

5.
Jürgen Manemmann ist politische sehr präzise engagiert in der internationalen Umwelt Bewegung mit dem Titel „Extinction Rebellion“ LINK,

In seinem Institut in Hannover werden auch von Jürgen Manemann Veranstaltungen zum Thema „Extinction Rebellion“ organisiert. LINK

6.
Wir wollen hier nur kurz auf das neue Buch „Rettende Umweltphilosophie“ von Jürgen Mannesmann empfehlend hinweisen. Das Buch mit ausführlichen Verweisen auf weitere Studien hat den treffenden Untertitel: „Von der Notwendigkeit einer aktivistischen Philosophie“. Denn das ist die Grundüberzeugung: Umweltphilosophie, wenn sie denn noch einen Beitrag leisten kann, Natur, Bäume etc., Tiere, Menschen, Umwelt angesichts der bewiesenen Probleme vor dem Verschwinden zu retten, kann nur „aktivistisch” sein,. Sie muss mehr als bloß hin und wieder aktiv sein, sondern sie muss sich im Sinne der „Aktivisten“ äußern, also derer, die ihr Leben einsetzen für die Rettung der Umwelt. Die an Demos dabei sind, sich blockierend auf Straßen setzen, etwas riskieren, sich selbst das Leben nicht einfach machen… um der Rettung der Umwelt willen.

7.
Philosophisch entwickelt Jürgen Manemann seine Erkenntnisse aus mit Hinweisen etwa auf das Denken Albert Schweitzers: Von ihm inspiriert, gilt es unbedingt festzuhalten: Der Schutz des einzelnen Lebewesens steht vor dem herrschaftlichen Anspruch des Kapitalismus, um des Profits willen ein paar Tiere oder tausend Bäume zugunsten des technischen Fortschritts zu opfern. Die vernünftige Maxime heißt: „Wir dürfen nicht alles tun, was wir Menschen technisch können; wir müssen uns immer so entscheiden, dass alles Tun sinnvoll ist für die Bewahrung der Umwelt…Jürgen Manemann wehrt sich aus aktuellem Anlass auch gegen den Ökofaschismus, der die gesamte Lebenswelt – auch die der Menschen – aufspaltet in die Kategorie des Lebenswerten und des Lebensunwerten, also der technisch – politisch gesehen Überflüssigen, „was weg kann“…

8.
In dem Buch werden auch praktische Übungen der Achtsamkeit und Kontemplation (S. 132) erwähnt, sie können das Engagement stützen und fördern. Sie sind Formen der Besinnung und des Nachdenkens, dabei wird entdeckt: Demokratie ist nicht zuerst eine Welt von vielen Behörden und Institutionen, Demokratie ist kein Riesen – Apparat, kein Dschungel umeinsehbarer Gesetze, sondern zuerst eine Lebensform, die durch die Phantasie und den Gestaltungswillen der einzelnen lebendig bleibt und vor Starrheit bewahrt wird. Protest, Widerspruch, Aktionen machen das demokratische Leben aus.

9.
Am interessantesten sind für einige wohl die Hinweise zu den Formen des „Aktivismus“ zugunsten der Rettung der Umwelt. Es geht darum, dass jeder und jede lernen muss, „Handlungsblockaden“ zu überwinden.Sie verfestigen sich, wenn man der schon üblichen ideologischen Einrede folgt: Die begrenzten Möglichkeiten der Rettung der Umwelt seien ohne Alternative… man könne also nichts Grundlegendes mehr verändern (S.139). Wer so denkt, tötet seinen kritischen Geist…

10.
Jürgen Manemann tritt ausdrücklich für den zivilen Ungehorsam ein, wenn es darum geht, die Umwelt vor der systematischen Vernichtung zu retten. „Aktionen des zivilen Ungehorsams dienen in erster Linie der politischen Sensibilisierung. Als `Whirlwind` – Aktionen unterbrechen sie das Weiter – So für einen Moment.“ (S. 108). Um aber wirksam zu sein, ist das „Community organizing“ wichtig, dadurch wird „Menschen geholfen, sich produktiv zu politisieren“ (ebd.). Wenn Menschen wie üblich behaupten, keine Zeit fürs politische (Umwelt -) Engagement zu haben, dann besteht die „Aufgabe darin, die Menschen davon zu überzeugen, das SIE als Menschen doch wichtig sind: Die Menschen wissen nämlich, dass sie für gewöhnlich es nicht sind“. (s. 110). Weil sie als Menschen wichtig sind, gilt es, dass sie selbst alles daran setzen, ein ethisch wertvolles Leben zu erreichen… Im Community Organizing entstehen Beziehungen und Netzwerke unter den Menschen, sie machen aus den vereinzelten Individuen GefährtInnen eines gemeinsamen Projekts. So werden Menschen zu GenossInnen, GefährtInnen, sie sind nicht länger KonkurrentInnen.“ Wichtig erscheint mir eine Fußnote (Nr. 26, S. 107), da werden Dorothee Sölle und Fulbert Steffensky aus ihrem Buch „Wider den Luxus der Hoffnungslosigkeit“ zitiert: „Wenn wir den raschen unmittelbaren Erfolg zum Kriterium machen, dann geraten wir in einen Allmachtswahn, der gerade die Quelle von Ohnmacht und Resignation wird.“

11.
Angesichts der zunehmenden Akzeptanz rechtsextremer und faschistischer Parteien jetzt wieder in Deutschland muss natürlich gefragt werden: Was unterscheidet eine vernünftige Form des gewaltfreien Widerstandes von den heftigen physischen und genauso verletzenden, geistig tötenden verbalen Attacken der Rechtsextremen und Nazis?
Diese Rechtsextremen haben als Projekt einen Zustand von Gesellschaft und Staat, in dem einige wenige Führer das absolute Sagen haben, deswegen kämpfen die ideologisch Verblendeten, um von der Last ihrer eigenen Freiheit, ihres eigenen Nachdenkens, endlich befreit zu sein. Um aufzuhören, FREIE Menschen zu sein.
Ganz anders die demokratisch gebundenen Menschen des gewaltfreien Widerstandes: Sie wollen die bessere Demokratie, die besseren Formen des Widerspruchs, des Dialogs, der Vielfalt.
Man denke also bloß nicht, Widerstand und Widerspruch gegen bestimmte Verirrungen des Staates seien immer dasselbe, egal, von wem sie geäußert werden.

12.
Das Buch „Rettende Umwelt-Philosophie“ zeigt, wie Philosophen heute eine neue Dimension des Philosophierens erschließen. „Aktivistisch“ im Sinne von Jürgen Manemann waren Philosophen doch öfter schon, man denke an die kluge Religionskritik von Voltaire und ohne heftige Leidenschaft fürs Vernünftige konnte selbst der zurückhaltende Immanuel Kant nicht leben und denken. Aktivismus ist Ausdruck der ethischen Einsicht: Es herrscht große Not und ich als Philosoph muss auf meine Weise helfend, rettend, eingreifen. Hoffend. Und das ist etwas anderes als “optimistisch”!

Jürgen Manemann, Rettende Umweltphilosophie. Von der Notwendigkeit einer aktivistischen Philosophie“. 162 Seiten, Transcript Verlag, 2023, 19,50€.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Die neue Garnisonkirche in Potsdam – Ein skandalöses Projekt.

Wer wird sich darüber freuen?
Ein Hinweis von Christian Modehn am 20.8.2024

Siehe auch am Ende meines Beitrags die Petition, die CAMPACT heute verbreitet!

1.

Ein bezeichnendes Zusammentreffen: Da wird bei den Wahlen in Ostdeutschland (Sachsen, Thüringen und Brandenburg) Anfang bzw. Ende September 2024 laut Umfragen mit außergewöhnlichen „Erfolgen“ der rechtsextremen Partei AFD gerechnet. Und ein paar Tage zuvor, am 22. August, wird mitten in Potsdam der authentisch nachgebaute Turm der Garnisonkirche eingeweiht und einen Tag später „für alle“ eröffnet.

2.

Wenn die Menschen das Wichtigste über die Garnisonkirche wissen, dann dieses: Es ist eine offizielle evangelische Kirche, in der am 21. März 1933 der „Tag von Potsdam“ stattfand. Seit diesem Ereignis galt die totale Herrschaft der Nazi – Partei NSDAP als unumstößlich fest gegründet. Weitere historisch irgendwie sonst noch interessanten Fakten zu dieser Kirche sind für Historiker und alle Interessierten erreichbar. Aber diese weiteren Fakten sind nichts als Details gegenüber der einen brutalen Tatsache: In dieser Garnisonkirche konnte Hitler seinen großen Durchbruch Richtung Diktatur feiern. Sie führte zur Vernichtung von 6 Millionen europäischen Juden, um nur von diesen Opfern der Gewaltherrschaft zu sprechen.

3.

Es ist für Demokraten und für etliche Protestanten schlicht ein Skandal, dass der Turm dieser Garnisonkirche nach vielen Jahren der Debatten und Planungen nun eingeweiht wird.
Die Verantwortlichen bekunden dabei jetzt schon ein schlechtes Gewissen, indem sie in der Werbung dieses überflüssige neue Bauwerk, den Turm, vor allem als idealen Aussichtsturm für Touristen anpreisen. Dabei sollen die Räume des Turm ja vor allem für Friedensdiskussionen und Ausstellungen genutzt werden. Als ob die evangelische Kirche in Potsdam nicht schon viele Kirchen und Gemeinderäume besitzt, in denen das ganze Jahr über Friedensarbeit und vielleicht sogar antifaschistische, also auch anti-AFD Arbeit, geleistet werden KÖNNTE!

4.

Dieser so genannte Garnison – Friedensturm und seine angedachten Projekte könnte man eher als eine Verschleierung von Tatsachen sehen: Es geht diesen Herren Initiatoren („Stiftung Garnisonkirche Potsdam“) zuerst um die Sichtbarkeit des authentischen Turms dieser Kirche des verdammten Tages von Potsdam: „Diese Garnisonkirche ist das Symbol der Einheit von Kirche, Staat und Militär. Das ist schon fatal in sich. In dieser Kirche wurden die deutschen Kolonialkriege gesegnet und sie hat als rechtsradikaler Identifikationsort in der Weimarer Republik gedient.“ Sagt der bekannte Architekt und Spezialist für Architekturtheorie Prof. Philipp Oswalt in einer Sendung des Deutschlandfunks am 20.6.2019. LINK (Quelle: https://www.deutschlandfunkkultur.de/philipp-oswalt-zum-wiederaufbau-der-garnisonkirche-diese-100.html)

5.

Wenn man denn als Kirchenleitung unbedingt einen hübschen alten Turm wieder nachbauen wollte: Warum verzichtet man nicht auf den belasteten Titel Garnisonkirche? Warum gibt man diesem Bauwerk nicht den treffenden bewusst sozusagen kontra-faktischen Titel „Friedenskirche?

6.

Die rund 42,5 Millionen Euro Baukosten dieses Turms des „Tages von Potsdam” werden zu mehr als der Hälfte aus Bundesmitteln finanziert, fünf Millionen Euro kommen aus kirchlichen Darlehen. LINK
Bundespräsident Steinmeier ehrt dieses hoch problematische und schon immer umstrittene Projekt und weiht diesen Turm am 22.8. 2024 ein.

7.

Einer der begeisterten langjährigen und unermüdlichen Unterstützer des Projekts Neubau des Turms der Garnisonkirche ist der ehem. Evangelische Bischof von Berlin, Wolfgang Huber. LINK

8.

Bestimmte Leute, über die in Zukunft wohl noch vermehrt kritisch zu sprechen sein wird, wollten also unbedingt diesen Titel „Garnisonkirche“.
Es zeigt sich auf andere Weise die Verbissenheit, mit der die evangelische Kirchenleitung in Berlin auch an dem Titel „Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche“ festhält, wobei alle allmählich wissen: Diese beiden Wilhelms waren zwar (leider) oberste Chefs der Evangelischen Kirche, aber sie waren vor allem auch Rassisten und Kolonialherren. Darüber hat der Religionsphilosophische Salon Berlin seit Jahren etliche detaillierte Hinweise verfasst, hat an entsprechende Behörden der evangelischen Kirche in dieser Sache geschrieben … aber – wie bei einigen Behörden noch üblich – keine Antwort erhalten. Zu peinlich halt auch dieser Titel. Vielleicht will die Kirchenleitung die Hohenzollern nicht erzürnen?? LINK

9.

Man muss diese genannten Zusammenhänge wirklich wahrnehmen, denn sie sind nicht zufällig: Es ist auch das merkwürdige zeitliche Zusammentreffen von Garnison – Turm Einweihung in Potsdam und den bevorstehenden Siegen der rechtsradikalen, zum Teil neofaschistischen AFD. Und zugleich muss man sehen: Die ideologische Verbissenheit der Kirche, die sich im Einsatz für den Garnisonkirchen – Turm zeigt, steht in einer einzigen Linie mit der Verblendung, mit der die Kirche, trotz aller Rassismus und Kolonialismus – Diskussionen, am Namen „Kaiser Wilhelm-Gedächtniskirche“ nach wie vor aus Sturheit festhält.

10.

Man wird in Zukunft erleben, ob diesen Turm der Garnisonkirche mehr alte und neue Nazis besuchen als Friedensfreunde, die sich ausgerechnet an diesem Ort des Schreckens weiter bilden wollen. Aber vielleicht begegnen sich beide Gruppe mit den viel zahlreicheren Touristen auf der Aussichtsplattform des Turms und staunen gemeinsam über die widersprüchliche preußische Pracht Potsdams…

11.

Zur Bau – Geschichte dieses skandalösen Projekts schreibt evangelisch.de  u.a.:
Eine Chronologie zeichnet den Wiederaufbau nach: 1984: Im westdeutschen Iserlohn gründen konservative und extrem rechte Bundeswehroffiziere um den Oberstleutnant Max Klaar die „Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel“ (TPG). Ziele sind die Wiederherstellung des Glockenspiels und im Fall einer Wiedervereinigung auch der Wiederaufbau der Garnisonkirche….(Quelle: siehe Fußnote in Nr. 6)

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

………………………………………………………….

DER AUFRUF, vermittelt von  CAMPACT, veröffentlicht am 21.8.2024:

 

Hitler nutzte sie für seine Machtinszenierung und bis heute ist sie Symbol der Rechtsextremen – die Garnisonkirche in Potsdam.[1] Morgen eröffnet Bundespräsident Steinmeier den neu errichteten Kirchturm. Zu diesem Anlass fordert der Architekt Philipp Oswalt vom „Lernort Garnisonkirche Potsdam“ auf WeAct, der Petitionsplattform von Campact: Die Stiftung Garnisonkirche Potsdam muss mit der nationalistischen Tradition brechen. Der Erinnerungsort muss sich deutlich von Rechtsextremen abgrenzen.

Hier klicken und Petition unterzeichnen
Gestartet von: Philipp Oswalt

Garnisonkirche Potsdam – die Verbindungen zu Rechtsextremen brechen!

An: Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier (Schirmherr der Stiftung Garnisonkirche Potsdam)

Der Turm der Garnisonkirche Potsdam wurde überwiegend mit Mitteln des Bundes und unter Ihrer Schirmherrschaft in den Jahren 2017 bis 2024 wieder aufgebaut. Der Bau ist nicht nur ein zentrales Symbol für den preußisch-deutschen Nationalismus, sondern seit über hundert Jahren auch für Rechtsextreme. So ist es bezeichnend, dass die Veteranenvereinigung der Waffen-SS HIAG zur Deutschen Wiedervereinigung im Oktober 1990 eine große Abbildung des Baus kommentarlos auf dem Cover ihrer Verbandszeitschrift platzierte. Und die rechtsextreme Zeitschrift Compact begrüßte mit einem dreiseitigen Artikel unter dem Titel „Preußens Herz muss wieder schlagen!“ das Wiederaufbauprojekt im Januar 2018 und erneut im Dezember 2023.

Wir fordern, dass das Projekt keine Anschlussfähigkeit für Rechtsradikale mehr bietet. Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier muss seiner Verantwortung als Schirmherr der Stiftung Garnisonkirche Potsdam gerecht werden und sich für folgende Forderungen stark machen:

  • ihre Satzung ändern und keinen Bezug mehr nehmen auf den „Ruf aus Potsdam“ von 2004, dem eine geschichtsrevisionistische Täter-Opfer-Umkehr zu Grunde liegt.
  • darauf verzichten, den Kirchturm mit dem noch fehlenden militärischen Bauschmuck und der Turmhaube zu versehen, und damit einen für jeden sichtbaren Bruch zur historischen Baugestalt vollziehen.
  • endgültig und bedingungslos auf den Nachbau des Kirchenschiffs verzichten und eine Koexistenz mit dem Bau des Rechenzentrums dauerhaft zustimmen, so dass die Geschichte des Ortes mit Bau und Gegenbau auch für zukünftige Generationen lesbar bleibt.
„Das Projekt ist in der Bevölkerung sehr umstritten. Der rechtsextreme Bundeswehroffizier Max Klaar initiierte mit der Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel das Vorhaben. Im Jahr 2000 stieg die evangelische Kirche in das Projekt ein und übernahm schließlich die Trägerschaft. Wegen divergierender inhaltlicher Vorstellungen trennten sich 2005 die Wege zwischen den Initiatoren und der Kirche. Aber die Konzeption des Baus inkl. seiner Nutzung entspricht bis heute dem Vorschlag, den Max Klaar Bischof Huber im Juli 2000 unterbreitet hatte.
Sicherlich, weder die Vertreter der Stiftung noch ihres Kuratoriums oder Beirats stehen für ein rechtslastiges oder gar rechtsradikales Gedankengut. Das wirft ihnen auch niemand vor. Doch die Geschichte des Ortes bis 1945 und die Geschichte des Wiederaufbauprojektes seit 1984 bis mindestens 2015 verlangen einen eindeutigen, unmissverständlichen und sichtbaren Bruch mit diesen beiden Traditionen. Dieser fehlt bis heute. So ist es wenig verwunderlich, dass Rechtsradikale wie Andreas Kalbitz, Billy Six oder die Zeitschrift Compact den Wiederaufbau ohne Einschränkung befürworten. In Namensgebung, baulicher Gestalt von Turm und Südfassade und Nutzung als Kirche stellt sich das Projekt ungebrochen in die Geschichte des Ortes, wie von Max Klaar vorgeschlagen und in den Gesprächen mit der Kirche durchgesetzt, die anfangs durchaus andere Ideen hierzu verfolgte. Dass ein Projekt an diesem Ort mit seiner jahrhundertelangen abgründigen Gewaltgeschichte eine Anschlussfähigkeit für Rechtsradikale bietet, ist ebenso unerträglich wie vermeidbar.
Diese Petition wurde initiiert vom Lernort Garnisonkirche und seines wissenschaftlichen Beirats:
Prof. Dr. Gabi Dolff-Bonekämper
Prof. Dr. Michael Daxner
Prof. PhD Geoff Eley
Prof. Dr. Karen Hagemann
Prof. PhD Susannah Heschel
Prof. Dr. Horst Junginger
Dr. Anette Leo
Prof. Dr. Philipp Oswalt
Prof. Dr. Andreas Pangritz
Dr. Agnieszka Pufelska
Prof. Dr. Wolfram Wette
Probst i.R. Michael Karg, Vorsitzender der Martin-Niemöller-Stiftung
Carsten Linke, Verein zur Förderung antimilitaristischer Traditionen in der Stadt Potsdam e.V.“
Hier klicken und Petition unterzeichnen
Diese Petition wurde auf WeAct, der Petitionsplattform von Campact, gestartet. Es ist keine Kampagne von Campact. Wir haben Dich und weitere zufällig ausgewählte Campact-Aktive angeschrieben, um zu sehen, was Du von der Petition hältst. Ob wir die Petition weiteren Campact-Aktiven empfehlen, hängt auch von Deiner Teilnahme ab. Wenn Dir das Thema wichtig ist, unterzeichne bitte und leite die Petition an Freundinnen und Freunde weiter.
 .
[1] „Garnisonkirche in Potsdam: Wie weiht man ein Symbol für Rechtsextreme ein?“, Spiegel Online, 19. August 2024
Datenschutzrichtlinie
Campact e.V. Artilleriestr. 6 – 27283 Verden / Aller – Tel. 0 42 31 . 957 440 – Fax 0 42 31 . 957 499

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Vertretungsberechtiger Vorstand: Christoph Bautz, Dr. Astrid Deilmann, Daphne Heinsen, Dr. Felix Kolb

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Verantwortlich für die journalistisch-redaktionellen Inhalte: Dr. Felix Kolb, Campact e.V., Artilleriestr. 6, 27283 Verden

 

 

 

Über die Niederlage der Vernunft wegen der Allmacht der Ideologien!

Ein philosophischer Hinweis und ein Projekt der Forschung!
Von Christian Modehn am 14.8.2024

Unsere These: Die allgemeine menschliche Vernunft erlebt deswegen so viele Niederlagen, weil die meisten Menschen Ideologien förmlich „vergöttern“ und nicht dem eigenen kritischen Nachdenken vertrauen.

1.
„Das Unvernünftige setzt sich immer mehr durch“. „Wir erleben eine Niederlage der Vernunft“. Man beklagt zurecht den katastrophalen Zustand des Klimas, der Ökologie, die ungerechte Verteilung des Einkommens, die Ignoranz weltweit gegenüber den Menschenrechten, man verurteilt – ohne Erfolg – den Krieg Putins gegen die Ukraine oder die Bombardements im Nahen Osten, man beklagt die zunehmende (Atom-) Waffenproduktion, den Fundamentalismus in allen Religionen und so weiter und so weiter. Aber Klagen und Jammern ohne Nachdenken, ohne Reflexion, führt zum Populismus, zu den angeblich einfachen „Lösungen“ der Rechtsextremen und Neo-Nazis. Und die machen alles noch schlimmer.

2.
Was kann hier Philosophieren, also die lebendige Übung der Philosophie, leisten? Kann Philosophieren Auswege zeigen? Philosophische Hinweise bieten „nur“ kritische Klarheit im Umgang mit Begriffen und Erkenntnissen zu den vielfältigen Ursachen der „Niederlage der Vernunft“.

3.
Zur Erinnerung: Einst konzentrieren sich Philosophen in ihrer Auseinandersetzung mit dem Thema „Niederlage der Vernunft“ auf das Argument: Die Vernunft ist stets größer als die Unvernunft. Denn nur die Vernunft kann Unvernünftiges als solches erkennen. Vernunft vermag also mehr als Unvernunft, sie ist umfassender als die Unvernunft. Logisch mag dass stimmen. Wer etwa, in einem extreme Beispiel, zugunsten der Unvernunft behauptet: „Hass auf `die anderen` soll gelten,“ muss damit rechnen, auch selbst gehasst zu werden und im Hass umzukommen. Wer kann diesen Selbstwiderspruch seines Denkens ertragen?

4.
Philosophisch sollte klar sein: Es gibt einen allgemeinen Maßstab der selbstkritischen Vernunft, einen Maßstab, der jedem zur Verfügung steht, Unvernunft und Vernunft zu unterscheiden. Es sind die universell geltenden Menschenrechte, sie sind konkreter Ausdruck der allgemeinen humanen Vernunft. Diese Erkenntnis gilt, selbst wenn faktisch, in der Praxis (der Politiker, der Ökonomen, der religiösen Führer etc.), die Menschenrechte – entgegen dem besseren Wissens und Gewissens der Akteure – nicht respektiert werden.
Die einzelnen Formulierungen der Erklärung der Menschenrechte haben eine gewisse Selbst – Evidenz, d.h. kein Mensch, der sich Empathie und Nachdenken bewahrt hat, kann die Menschenrechte ernsthaft für ungültig, für Unsinn, erklären: Er würde sich selbst schädigen. Diktatoren, die Menschenrechte mißachten, müssen sich einmauern und total schützen, weil sie wissen: Ihr Leben und Herrschen ist unmenschlich, und es könnte deswegen von vernünftigen Menschen vernichtet werden. Die Diktatoren wissen also wenigstens ansatzweise, dass sie Verbrecher sind und bestraft werden könnten – von vernünftigen Menschen.
Wichtig ist genauso: Die Menschenrechte in ihrer inhaltlichen Gestalt haben eine lange Geschichte, fragmentarisch langsam erarbeitet von leidenden Menschen vieler Jahrhunderte. Sie litten unter der Willkürherrschaft der Mächtigen.

5.
Die universell geltenden Menschenrechte sind Ausdruck der Vernunft. In ihnen findet sich – bei ständiger Bereitschaft der Weiterentwicklung der Menschenrechte – der humane Geist des Menschen. Die Menschenrechte sind also Normen und Maßstäbe, um konkret Vernunft von Unvernunft zu unterscheiden.

6.
Die universellen Menschenrechte bleiben auch dort gültig, wo sie nicht respektiert werden. Sie sind zwar in Europa im Rahmen der Philosophie der Aufklärung zuerst formuliert worden, aber sie sind deswegen nicht bloß relative Produkte eines nur “regionalen europäischen Denkens“. Die Opfer in den Lagern, Gefängnissen, Folterkammern der autoritären Diktaturen, die zum Schweigen gebrachten Journalisten und „normalen Oppositionellen“, verlangen weltweit heute wie schon zuvor immer nur das eine: Die Geltung der Menschenrechte. Die Menschenrechte sind also universal, sie sind auch eine spirituelle Quelle des Widerstandes gegen die zum Unrechtsstaat verfestigte Unvernunft. Die Menschenrechte sind, philosophisch – metaphysisch gesagt, in die Herzen der Menschen, aller Menschen geschrieben, selbst wenn viele Menschen, Politiker, Führer, Rassisten usw. die Stimme der Menschenrechte in ihrer Vernunft gewaltsam zum Schweigen zu bringen versuchen.

7.
Aber: Welchen Sinn hat es überhaupt, von „der“ Unvernunft“ und „der Vernunft“ zu sprechen? Unvernunft und Vernunft benennen einen Zustand, sozusagen eine Gestalt des „objektiven Geistes“, wie Hegel sagte. Die Frage ist dann entscheidend: Wer oder was hat denn den Zustand von Unvernunft bzw. der Vernunft geschaffen und produziert? Die Antwort ist klar: Es sind immer Menschen, die sich in ihrer Freiheit für bestimmte Projekte entscheiden, diese sind dann entweder Ausdruck von Vernunft oder Unvernunft oder eine „graue Mischung“ von beidem. Dann muss geklärt werden: Ist die Vernunft in dieser trüben Melange noch zu retten?

8.
Sprechen wir also immer von Menschen in ihrer Entscheidungsfreiheit, wenn wir über Unvernunft und Vernunft nachdenken. Wir müssen die Subjekte, die Organisationen nennen, die unvernünftige Verhältnisse schaffen. Und die wir als solche kritisieren und einschränken. Es gilt also von Lobbygruppen zu sprechen etwa in der Beeinflussung der Politiker… Diese Lobbygruppen wollen etwa als Verteidiger der Auto-Industrie unbedingt ein Tempolimit verhindern, was insgesamt unvernünftig ist, nebenbei gesagt: Wie selbst der ADAC sagt. Aber diese unvernünftigen Lobby – Machthaber und die ihnen gewogenen Parteien (FDP) setzen sich durch und verlängern unvernünftige Umwelt – Verhältnisse… Aber, Gott sei Dank, es gibt ja Wahlen in Deutschland!

9.
Unvernünftige Zustände sind „materiell“, objektiv gesellschaftlich sichtbarer Ausdruck ethisch fehlgeleiteten, unvernünftigen Entscheiden und Handelns. Das Unvernünftige ist auch, wenn Entscheidungen von einst, die jetzt als unvernünftig erkannt werden, nicht korrigiert werden. Man denke an bestimmte grundlegende Elemente der demokratische Verfassung und des Wahlsystems der USA (Beispiel: Wahlmänner). Und ist das Wahlsystem Frankreichs (Mehrheitswahlrecht) der Weisheit letzter Schluss? Kritiker sagen zurecht: Die Macht des Präsidenten in Frankreich erinnert an die Macht der Könige einst. Immerhin wurde bei der Abschlussveranstaltung der Olympiade in Paris am 11. August 2024 nur die Melodie der Marseillaise gespielt, nicht aber auch noch der widerliche kriegerische Text dieser Nationalhymne gesungen! Ein richtiger Schritt, sich von unvernünftigem alten Schrott zu befreien, so sehr auch manche diesen noch lieben…

10.
Die Niederlage der Vernunft bedeutet immer die Niederlage des Denkens vernünftiger Menschen und das Versagen der Menschen im Gebrauch der Vernunft. Es gibt sicher auch eine Art Gewöhnung „in die Unvernunft hinein“. Diese Unvernunft verfestigt sich, objektiviert sich und wird als das Normale und Übliche empfunden. Unvernunft bestimmt dann den Alltag. In einer solchen Un – Kultur der Unvernünftigen ist es für den einzelnen schwer, sich seiner eigenen Vernunft zu „bedienen“. Unvernunft – in der ganzen Vielfalt beginnt bei schlichtem Blödsinn bis hin zur Kriegs-Propaganda – und ist immer Ausdruck menschlicher Entscheidungen. Sie ist also eine miserable Gestalt des menschlicher Geistes, also der Freiheit, der Vernunft.

11.
Die Konsequenz ist: Es müssen Reserven vernünftigen Widerstands gepflegt oder erst aufgebaut werden.

12.
Unvernunft hat ihre Ursache in der schwer bezwingbaren Macht des Egoismus von Einzelnen und Gruppen, Lobby – Gruppen, Parteien, Religionen usw. Und der vielfältige Egoismus bedient sich der Ideologien – um die eigenen, unvernünftigen Denkmodelle und Handlungsweisen zu verschleiern oder mit einem gewissen Glanz aufzuwerten. Ideologien sind die „Verkleidung“ der verschiedenen Formen des Egoismus, Nationalismus, Rassismus, Fundamentalismus („Ich habe die Wahrheit“) usw.

13.
Die kritische Reflexion über Ideologien ist ein „sehr weites Feld“. Hier können nur einige Elemente zum Verstehen der Macht der Ideologie genannt und zur Diskussion werden.

14.
Jeder Mensch gestaltet sich im Laufe seines Lebens sein Selbstverständnis. Darin weiß der Mensch – oft noch umthematisch – was ihm in seinem Leben wichtig sein soll. Der Aufbau dieses Selbstverständnisses ist ein Prozess während des ganzen Lebens. Ergeben sich starke Vorlieben, Sehnsüchte, werden Ideale propagiert, dann greifen Menschen – auch aus Bequemlichkeit – auf vorhandene Lebenslehren, also Ideologien, zurück.

16.
Ideologien beziehen sich auf Ideale, also auf globale Entwürfe von Vorstellungen, „wie das Leben, mein Leben, eigentlich sein sollte“. Ideologien sind also ausführlich gestaltete Theorien, die Idealen einen Ausdruck geben wollen.
Die expliziten Überzeugungen, Anschauungen von der Welt und der Gesellschaft, also die universell geltenden Menschenrechte, sind keine Ideologien. Ideologien sperren sich gegen kritische Selbstreflexionen, dies gilt nicht für Erklärung der allgemeinen Menschenrechte!

17.
Die Ideologien nehmen einen Ausschnitt der Lebenswirklichkeit für das Ganze des Lebens des einzelnen und der Gesellschaft: Und sie reden den Leuten ein: Dieser Teil sei das Wichtigste und absolut zu Verteidigende im Leben, also etwa der Nationalismus, der Rassismus, der Antisemitismus, der Konsumismus usw. In den meisten europäischen Sprachen, so auch in der deutschen, haben Ideologien die typische – ISMUS Endung: Faschismus, Kommunismus, Stalinismus, Kapitalismus, Liberalismus, Sozialismus, Kolonialismus, Machismus, Feminismus, religiöser Fundamentalismus und so weiter.

18.
Jeder Mensch, der sich – oft noch unbewusst – einer Ideologie anschließt, sucht also Schutz in einem verengten geistigen Gehäuse, er will sich davor bewahren, sich selbst eigene Gedanken über den Zustand des eigenen Selbst und der Welt zu machen und eigenständig Entscheidungen zu treffen. Ideologien haben eine – letztlich schädliche Funktion.

19.
Ideologien decken sozusagen die „nackte“ (noch vor-ideologische) geistige Existenz zu. Kann der Mensch ohne diese ideologische Verkleidung leben? Er braucht wohl immer Ideale und Wahrheiten: Nur muss jeder wissen: Jedes Ideal, jede Wahrheit muss ich selber prüfen, der Maßstab wurde schon genannt! Und wenn ich ein Ideal habe, etwa einer Religion angehöre, dann immer in dem Bewusstsein: Das ist mein Ideal, meine Religion, die darf ich anderen nicht aufdrängen oder gar versuchen, sie mit Gewalt, Krieg, durchzusetzen. Jeder kann ja seine absolute Lebensweisheit haben, aber es wäre Wahn zu meinen: Was ich glaube, sollen alle anderen auch glauben!

20.
Mit der Übernahme von Ideologien werden Menschen blind für das Wahrnehmen der ganzen Wirklichkeit in ihrer Vielfalt und Fülle. Ideologien schränken die Freiheit der Wahrnehmung ein. Sie sind wie ein Panzer, der den Menschen und seine weitgehend stillgelegte Vernunft einsperrt! (Siehe auch Fußnote 1).
Ideologisch gebundene bzw. ideologisch verseuchte Menschen leben mit anderen Menschen in einer Art Kampfmodus: Wer nicht meiner Ideologie entspricht, ist tendenziell mein Feind. Der Patriarch von Moskau, Kyrill I., liefert die Kriegs – Ideologie für Putin. Der Patriarch behauptet, dieser Aufruf zum Töten des ukrainischen Feindes sein Theologie. LINK
Leider hat der Weltrat der Kirchen in Genf den Kriegstreiber Kyrill noch immer nicht aus diesem ökumenischen Weltrat rausgeworfen.

21.
Kann der Mensch vernünftig, also „unideologisch“, sozusagen „nackt“, allein mit seiner eigenen Vernunft, leben? Oder ist seit jeder Kindheit aufgrund der Erziehung immer das Hineingestelltseins des einzelnen in einen ideologischen Zusammenhang üblich und geradezu normal? Das wird so sein.
Ich meine aber, dass gerade der Mensch erst reif und als vernünftig – erwachsen gelten kann, wenn er dieses sein Hineingeworfensein in eine fixe Ideologie der Eltern usw. erkennt und dann als Beschränkung seiner Lebenswirklichkeit überwindet, mindestens eingrenzt. Erst dann entsteht das entscheidende, allein geistiges Leben fördernde anti – ideologische Bewusstsein: „Ich bin zuerst Mensch mit allen anderen Menschen, alle sind als Menschen gleichberechtigt, sollen die selben Lebenschancen haben.“
Dieses Wissen kann als das allgemeine Menschheitswissen gelten, es liegt noch vor jeder Ideologie. Dieses allgemeine Menschheitswissen muss immer der kritische Impulse sein, wenn man sich im Laufe seines Lebens mit den sich aufdrängenden Ideologien auseinandersetzt. Denn diese Ideologien werden immer werbend als „die“ Lösung auftreten, etwa Konsumismus, „Haben ist wichtiger als Sein“, „Gott wird nur in dieser meiner Kirche richtig gelehrt“ usw.

22.
Ideologien als Verwirrungen, als Zerstörungen der Vernunft, werden seit einigen Jahren mit aller ökonomischen Gewalt bestimmter Milliardäre durch die sogenannten neuen Medien verbreitet. Tiktok, Telegram, Facebook und vielen anderen Plattformen sind auf die Denk – und Sehgewohnheiten junger Menschen adaptiert. Und auf diese Plattformen, sozial genannt, verbreiten sich „Influencer – Prediger“ mit ihren Ergüssen Werbevideos: In der Rezeption dieser Unvernunft endet vieles mit Gewalt. Ein Beispiel: Der Verfassungsschutz etwa spricht von der „Tiktokisierung des Islamismus“. Der Staatsschutz ist angesichts dieser Unvernunft oft hilflos. Das ist die große Frage, auf die Demokratien dringend eine Antwort geben müssen: Etwa: Wie lässt sich der Multi – Milliardär Elon Musk in seinem totalen Einfluss innerhalb der sogenannten sozialen Medien stark einschränken?

20.
Wer gegen den offensichtlichen Sieg der Unvernunft (und es sind die Unvernünftigen, die siegen!) noch in letzter Minute etwas unternehmen möchte: Der (oder die) setze sich mit der Allmacht der Ideologien auseinander. Sie werden nur von schwachen Menschen bevorzugt, Menschen, die den Verzicht aufs eigene Denken und politische Urteilen bequem finden. Kant schon recht: Was trotz allem hilft: „Bediene dich deines eigenen Verstandes und deiner eigenen Vernunft“.

Fußnote 1:
Wenn in einer streng katholischen Familie ein Familienmitglied aus der Kirche austritt oder Protestant wird, dann wird dieser „Übeltäter“ aufgrund des katholischen Fundamentalismus aus der Familie ausgeschlossen. Das war früher in Deutschland und weiten Teilen Europas geradezu üblich, dieses inhumane Verhalten (gab es auch bei Protestanten) kommt aber auch heute noch vor. Im islamischen Raum gelten diese Erfahrungen bis heute! Konversionen vom Islam weg sind persönlich meist eine Gefahr für Leib und Leben. So wird Religion als Ideologie sichtbar. So viele Millionen religiöser Menschen leben im ideologischen – religiösen Kampfmodus…unter dem die anderen leiden müssen, wenn sie nicht Widerstand gegen die Ideologien leisten.

COPYRIGHT! : Christian Modehn, Religionsphilosophischer-Salon, Berlin.

 

 

 

 

 

 

Arm an Mitgliedern, reich an Immobilien: Die Kirchen, nicht nur in Berlin…

Die Finanzspekulationen der Kirchen heute: Immer noch ein Tabuthema.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 7.8.2024

Ergänzung am 24.8.2024: Eine wissenschaftliche Studie zeigt: 2,3 Prozent der Agrarfläche in Deutschland sind Eigentum der Kirchen, sie können durchaus Großgrundbesitzer genannt werden. LINK

Was die Kirchen in Deutschland an Immobilien und Boden als Eigentum haben, darüber wird jetzt intensiver geforscht. Das Thema ist wichtig, wenn man umfassend den tiefgreifenden religiösen Wandel in Deutschland, etwa auch in Berlin, verstehen will. Wir konzentrieren uns bei der Darstellung der Fakten und Beispiele vor allem auf die katholische Kirche besonders in der deutschen Hauptstadt.

1.
In Berlin lebten 2023 – laut Information des Erzbischöflichen Ordinariates vom 24.6.2024 – 275.399 Katholiken; 31.000 weniger als im Jahr 2020. An der Sonntags-Messe nahmen in Berlin 2023 noch 27.814 Personen teil. Die „Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz“ (EKBO) hatte Ende 2022 in der Hauptstadt 486.899 Mitglieder. Die Teilnahme am Gottesdienst wird – deutschlandweit – durchschnittlich mit etwa 3 Prozent angegeben, in manchen Bezirken Berlins werden es nach meinen Beobachtungen Gottesdienstteilnehmer  sehr viel weniger sein (wenn man von den überfüllten Gottesdienst an Heiligabend absieht).LINK

Jeder fünfte Berliner ist also Mitglied der beiden, einst groß genannten Kirchen. Berlin – ein christliche Stadt? War Berlin etwa früher, in der Weimarer Republik und danach, christlich? Sicher auch nicht, selbst wenn sich viel mehr Leute zu den Gottesdiensten in die großen Kirchen setzten.

2.
Das ist allgemein bekannt: Die Kirchen sind heute – nicht nur in Berlin, sondern in vielen Bundesländern – Organisationen von Minderheiten.
Die Kirchen sind, gegenüber früher, arm an Mitgliedern und TeilnehmerInnen an den Sonntagsgottesdiensten, reich aber an Immobilien und Eigentum an Boden und Gebäuden.

3.
Darüber versuchen jetzt einige Soziologen intensiver zu forschen, um Details zum Kircheneigentum freizulegen. Der TAGESSPIEGEL hat in seinem BERLIN -Teil am 2. August 2024 auf den Seiten B6 und B7 einige Erkenntnisse mitgeteilt, AutorInnen des Berichtes sind Katja Demirci und Nina Dreher. Sie weisen darauf hin, dass sich die entsprechenden Kirchen – Verwaltungen bei genaueren Nachfragen zum Thema sehr bedeckt halten und nicht allzu Konkretes in ihren Statements der Öffentlichkeit mitteilen wollen. Das Verhalten ist also nicht gerade kooperativ, Fachleute und Journalisten, die Fakten freilegen wollen, sind nicht besonders willkommen. Die Autorinnen fühlten sich in zutiefst bürokratische Verhältnisse versetzt, sie schreiben: „Antworten auf die Frage Baut die Kirche sozialen Wohnraum? – da wird bei beiden Kirchen(Behörden) auf einzelne Pfarreien verwiesen, die dann aber wiederum nicht frei sprechen kann, dürfen oder wollen“. Die AutorInnen schreiben weiter: „Jedes offizielle Statement wird intern intensiv abgesprochen, teilweise wochenlang“ (Seite B7 des „Tagesspiegel“ vom 2. 8.2024.

Die AutorInnen des Beitrags wissen natürlich, dass bei ständig sinkenden Mitgliederzahlen und damit auch wohl sinkenden Kirchensteuereinnahmen dieses Immobilien – und Boden – Eigentum den Kirchen als eine gute Vorsorge gilt für spätere, finanziell schlimmere Zeiten. Die dann noch verbliebenen Pfarrer und Prälaten müssen z.B. ihre beträchtlichen Gehälter noch weiter beziehen.
Andererseits wagen die AutorInnen am Ende die entscheidende sozialethische Frage angesichts Wohnungsnot, des Mangels an Mietswohnungen: „Wird auf den Berliner Kirchengrundstücken bezahlbarer Wohnraum gebaut? Oder wird der Profit im Vordergrund stehen?“ Mit dem Wort: „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, d.h. die Hoffnung auf ein sozialethisches Verkaufen der kirchlichen Eigentümer stirbt zuletzt. Nicht gerade ermunternd diese Worte, sie legen nahe: Die Kirche klammert sich wie jede andere Organisation in der kapitalistischen Welt ans Eigentum. Eigentum ist heilig, heißt es ja in der klassischen kirchlichen (und kapitalistischen) Ethik. Immerhin werden vielleicht einige Theologen außerhalb Berlins das Thema hoffentlich weiter vorantreiben, wie etwa der katholische Sozialethiker Prof. Martin Schneider in Eichstätt. Er plädiert sogar ausdrücklich „für eine innerkirchliche Bewegung, die sich der Immobilienfrage annimmt“ (Tagesspiegel, 2.8.2024, Seite B6)

4.
Einige Fakten:
„In Berlin lässt sich der kirchliche Bodenbesitz aus Liegenschaftsplänen berechnen: 1206 Hektar. Das sind 1,3 Prozent der Stadtfläche oder 3,4 mal so viel wie das Tempelhofer Feld,“ berichtet der „Tagesspiegel“. Den größten Teil dieser Liegenschaften machen landeskirchlich – evangelische und römisch katholische Grundstücke aus, heißt es dort. Und weiter: „Elf Prozent aller Kirchenflächen sind für Wohnhäuser vorgesehen – fast dreimal so viel Fläche wie der rund 50 Hektar große Park Hasenheide in Neukölln.“ Und dann: „Diese 139 Hektar Wohnbauflächen der Kirchen wären laut aktuellen Bodenrichtwerten rund 1,4 Milliarden Euro wert, wie aus den Berechnungen des Tagesspiegel Innovation Labs hervorgeht. Dafür haben wir die Berliner Bodenrichtwerte für Wohnraum ausgewertet. Besonders viele Flächen gibt es ausgerechnet in den von Wohnungsnot und Mietsteigerungen besonders betroffenen Bezirke: In Friedrichshain-Kreuzberg besitzt die Kirche mit 2,9 Prozent der Gesamtfläche anteilig am meisten Boden, in Mitte am zweitmeisten“, so die „Tagesspiegel“ – AutorInnen auf Seite B 6.
Wir ziehen eine Art Bilanz des ingesamt höchst anregenden Beitrags: „Aus den beiden großen Kirchen ist bezüglich am Gemeinwohl orientierter Planungen nichts Konkretes herauszubekommen. Protestantische wie katholische Verantwortliche für dieses Thema bleiben, so wörtlich, „vage“, sie „verweisen auf den langwierigen Prozess“ (B 7). Jedenfalls gibt es in den Kirchen eine weitgehende Tabuisierung des Themas Immobilienbesitz der Kirchen“ (B7). Und auch ein echter Skandal wird im Tagesspiegel mitgeteilt: Es geht bei der katholischen Kirche wirklich eher um materiellen Profit: Beispiel: Das bistumseigene Wohnprojekt „Petruswerk“ mit seinen 2.300 Wohnungen ging Anfang der 2000 Jahre „in den Besitz des Investors Douglas Fernando (Unternehmen: Avila Management & Consulting GmbH in Potsdam) über“. Und dann diese Information: Der Unternehmer Fernando vermietet sein neues Wohnprojekt in Neukölln „mindestens zehn Euro über dem Mietspiegel für vergleichbare Wohnungen“ (B 7, letzte Spalte). Und das ist ein weiterer Skandal: „Obwohl es damals in der katholischen Kirche Berlins offenbar Zweifel gab – woher kamen Fernandos Millionen ? – verkaufte das Erzbistum an den unbekannten Unternehmer Fernando“ (B 7).
Zum Unternehmer Douglas Fernando (er stammt aus Sri Lanka und ist Dr. theol. In katholischer Theologie, berichtet DIE WELT LINK
Diese Zeitung berichtet weiter: „Die Millionen für den Kauf (der Wohnungen des Petruswerkes) kamen von einer katholischen Hausbank in Essen. Eigentümer wurde die Firma Avila Management & Consulting GmbH, die neben Douglas Fernando zu je einem Drittel den Orden der unbeschuhten österreichischen und deutschen Karmeliter in Linz und München gehört“. Auch in Österreich ist Fernando aktiv, im Verbund mit den armen „Unbeschuhten Karmeliten“: LINK
Zur Karmel-Missionsstiftung: LINK

5.
Zu Gesamt-Deutschland:
„Neben den Kirchenbauten besitzen evangelische und katholische Kirche laut eines zwei jähre alten gemeinsamen Positionspapiers deutschlandweit 142.500 Gebäude!“ Der Religionsphilosophische Salon hat vor Jahren schon zu einem noch schwierigeren Thema recherchiert: 2015 wurde mein Beitrag in PUBLIK FORUM veröffentlicht: LINK :https://religionsphilosophischer-salon.de/6355_ordentliche-orden-neue-sehr-konservative-ordensgemeinschaften-im-katholizismus_religionskritik

Es geht um das absolute Tabuthema Eigentumsverhältnisse der sich arm nennenden katholischen Ordensgemeinschaften, von Frauen und Männern. Diese Orden betteln ja förmlich unter ihren Wohltätern um Geld, oft mit viel Erfolg, sie verschweigen aber, wie hoch ihre Gewinne sind aus dem Verkauf ihrer leerstehenden Klöster. Nur ein Beispiel: Wie viele tausend Euro hat etwa der Augustinerorden erhalten für den Verkauf seiner sehr schönen Klosteranlage im badischen Schloss Messelhausen im Jahr 2013? Das wird natürlich nicht verraten. (Quelle: LINK UND: LINK
Man soll wohl glauben, dass der Gewinn durch Verkauf nur für die Pflege der vielen alten und uralten Mönche und Nonnen verwendet wird? Die sterbenden Orden sorgen sich also nur um ihre Sterbenden? Die Orden mauern noch stärker, absolut möchte man sagen, wenn man es nur wagt, nach der Finanzlage einer Ordensprovinz etwa zu fragen.
Weitere Beispiele anstelle für viele andere: In Italien erlebt man etwa, dass Teile von bestens gelegenen Klöstern,. Jetzt mindestens halbleer wegen „Nachwuchsmangel“ in Luxus – Hotels umgebaut werden, so etwa das große Kloster-Hotel „Residenz Paolo VI“ des Augustinerordens unmittelbar in der Nähe der St. Peter Kathedrale, LINK
Erwähnt werden sollte auch das Luxus – Hotel, das die Augustiner von Prag in einem Teil ihres Klosters einrichteten. LINK

Lediglich von den Eigentumsverhältnissen einiger großer Abteien in Österreich waren damals für mich einige ganz kleine Informationen erreichbar, kurz beschrieben in dem PUBLIK – Forum Artikel aus dem Jahr 2015!

6.
Das ist klar: Die ohnehin schon reichen Kirchen und Klöster wollen mit dem Verkauf ihrer leerstehenden Häuser, Kirchen und Klöster noch mehr Geld für sich selbst ansammeln, wie viel und warum darf niemand wissen. Über die riesigen Eigentumsverhältnisse (Wohnungen!) Des Vatikans in ganz Rom, ist oft geschrieben worden, aber Genaues weiß man bis heute nicht aufgrund der absoluten Verschwiegenheit der Päpste und Prälaten. Immerhin haben sie irgendwie Armut als Ideal, aber diese gilt nur theoretisch, man denke an die Luxuswohnungen der Kardinäle im Vatikan.

7.
Als Berliner will ich doch noch an einige Verkäufe und Abrisse katholischer Gemäuer erinnern:
Die schöne Kirche St. Raphael in Gatow an der Havel wurde unter der Herrschaft von Kardinal Sterzinsky 2005 profaniert, danach vom neuen Eigentümer abgerissen. Wer seitdem als Katholik in dem seit Jahren schon expandierenden Gatow noch an einer Messe teilnehmen will, muss etliche Kilometer bis nach Kladow oder Spandau fahren, laufen, radeln. Für alte fromme Menschen äußerst „angenehm“. Seelsorge sieht anders aus.

Auch das Exerzitien- und Meditationshaus „Maria Frieden“ in Kladow, Lüdickeweg 5, wurde unter der Herrschaft von Kardinal Sterzinsky verkauft, viele Jahre lagen aufgrund eigener Beobachtungen Haus und Grundstück brach. Und es gibt noch einige spirituelle Menschen, die empfinden es als Schande, wie eine Kirche, die Seelsorge angeblich so wichtig nimmt, ausgerechnet dieses wunderbar an der Havel gelegene Meditationshaus verscherbeln konnte. Hätte nicht eine Gehaltskürzung der Prälaten und Pfarrer auf Dauer denselben Effekt gebracht? Aber daran denken diese Herren nicht.
Die Kirche „St. Albertus Magnus“ in Berlin wurde 2021 geschlossen und mit ihr gleich die ganze Gemeinde.., Sollen die Katholiken doch sehen, wo sie in weiter Entfernung noch Treffpunkte haben oder Gottesdienste feiern. An Alternativen wurde offenbar gar nicht erst gedacht, um wenigstens das Gemeindehaus als Treffpunkt zu erhalten, einige Laien hätten sich wohl gefunden, dieses Zentrum zu leiten…

8.
Man beachte: Alle Kirchenschließungen und Kirchenverkäufe oder Klosterverkäufe im katholischen Raum sind immer auch begründet durch den stetig zunehmenden Mangel an Priestern. Nur wenn diese Kleriker vorhanden sind, kann eine katholische Gemeinde – nach dem Kirchenrecht – überhaupt bestehen. Das war ja einst das Verbot der Basisgemeinden in Lateinamerika: Laien dürfen keine Eucharistie feiern, angeblich hat das Prophet Jesus so gewollt, behauptet der allmächtige Klerus allen ernstes bis heute. Wer wagt es, dies verrückte Theologie einen Wahn zu nennen? Luther ist lange tot….Jedenfalls: Nur der Priester darf und kann das angeblich wichtigste in der katholischen Glaubenslehre, nämlich die Eucharistie, feiern. Ist kein Priester da, fehlt der noch so kompetenten Laiengemeinde nach päpstlichem Verständnis eigentlich alles. Darum werden Priester aus aller Welt, aus Indien, Afrika, Philippinen etc. nach Deutschland als Gastarbeiter geholt, um die Lücken im vergreisten klerikalen Betrieb Deutschland (oder Frankreichs usw.) etwas zu füllen. Wie lange dieses misslingende Lückenstopfen geht, ist fraglich: Bald werden auch junge Inder und Philippinen merken, dass der Zölibat doch nicht so menschenfreundlich/männerfreundlich ist…

9.
Zurück nach Berlin: Heute hat die katholische Kirche in Berlin seltsamerweise „Man hat ja keine Geld“, heißt es, doch viele Millionen Euro zur Verfügung, um die St. Hedwigs-Kathedrale in Berlin – Mitte umzubauen, natürlich der Staat hilft kräftig, wir haben ja die offiziell geltende (Nicht-) Trennung von Kirche und Staat. Dieser riesige Umbau wurde von kompetenten Kritikern als sinnloser Eingriff natürlich vergeblich kritisiert, zudem wurde so eine beachtlich schöne Architektur zerstört. Nun steht nach der Renovierung der Altar “ENDLICH“ in der Mitte, weil eben der Priester, der Bischof zumal, nach katholischen Verständnis absolut in die Mitte gehört. Auf ihn sollen sich alle Blicke richten, auf ihn muss man in allem Glanz der Gewänder und Mitren etc., sehen und hören… Zu den Kosten des Umbaus berichtet das „Dom-Radio – Köln: „Weiterhin geht die Diözese von Gesamtkosten für die Sanierung der Kathedrale von rund 60 Millionen Euro aus.“ Zudem wird auch das benachbarte Bernhard Lichtenberg-Haus – wohl auch als Residenz der Herren Bischöfe – für etliche Millionen umgebaut.“  LINK

10.
Repräsentanz in der Mitte Berlins nahe der Oper und der Ministerien ist für Katholiken ganz wichtig. Auch wenn dieses Kirchen – Gebäude, von Friedrich II. einst entworfen, nur noch eine winziger werdende Minderheit beglückt.
Eine katholische Kirche ist nach offizieller Auffassung ein heiliger Tempel, ein „Gotteshaus“: Wer solche Gebäude schafft und restauriert, tut etwas für explizit religiöse Gefühle wahrscheinlich, aber nicht für die Kommunikation der unterschiedlichen Menschen im Sinne der Menschlichkeit Jesu von Nazareth.

11.
Also: Glanz und Gloria werden geschaffen als Illusion: Demnächst wird auch der neu gebaute „authentische“ Turm der evangelischen Garnison-Kirche in Potsdam eröffnet, am 22. August 2024 soll dies geschehen, der Ort des Hitler – Nazi-„Tages von Potsdam“ (21.3.1933) ist also fast original wieder da. So wie ja auch das Schloß der Preußen-Könige, dieser Kolonialherren und Kriegsherren, wieder fast original nachgebaut wurde…“Schöne“ veraltete Welt „Unter den Linden“…

12.
Die Einweihung des Turms der Garnisonkirche: Das überflüssige und hoch umstrittene, öffentlich bekämpfte Projekt wird u.a. von dem evangelischen Ex- Bischof Wolfgang Huber immer unterstützt. Die Initiative für den Wiederaufbau der Kirche ging nach dem Mauerfall von EX Bundeswehroffizier Max Klaar aus, einem Rechtsradikalen, wie die TAZ am 7..8.2024 Seite 2 schreibt. Auch die CDU Frau Gründers hatte sich für das Projekt stark gemacht. Die dort bald stattfinden sollende Friedensarbeit hätte die Kirche an jedem anderen bereits bestehenden Ort gestalten können, diese offizielle Begründung für den Sinn dieses Turms ist eine Farce. Dieses ganze Gerde ist „Versöhnungsrhetorik“ wie der Architekt Philipp Oswalt schon in PUBLIK Forum ausführlich darlegte. „Das Geld, das der Rechtsextremist Klaar für die Garnisonkirche gesammelt hatte, ist über Umwege doch in den Bau des Turms geflossen“, so Oswalt in TAZ, 7.8.2024 Seite 2. Und zu allem: Präsident Steinmeier hat die Schirmherrschaft für dieses verrückte Projekt übernommen….Der Geist soll sich noch rückwärts wenden, ist das die Botschaft dieses Garnison – Kirchen – Turmes???

13.
Dieser Neubau des Turms der Garnisonkirche passt aber sicher sehr „gut“ zu den hohen Wahlergebnissen der rechtsextremen Partei AFD bei den Wahlen in Brandenburg, Sachen und Thüringen wenige Wochen später, im September 2024. Man darf gespannt sein, wie es bei der Eröffnung des Turms der Garnisonkirche gelingt, begeisterte Rechtsextreme in freudigen Wut vom Gebäude fernzuhalten.

14.

Das ist zynisch: Vielleicht gibt es bald wieder einen neuen Tag von Potsdam, etwa mit dem rechtsextremen Herrn Höcke?
Dagegen müsste die Kirche alles tun, und nicht Türme eines widerlichen Nazi-Ortes wieder aufbauen! Gleichzeitig scheinen die Kirchen entschlossen zu sein, AFD – Mitglieder aus kirchlicher Verantwortung (Pfarramt, Gemeindekirchenrat etc.) auszuschließen. Aber das ist wohl nur Symbol – Politik! So kann man öffentlich gut demokratisch dastehen…und gleichzeitig sagen, wie die katholische Kirche ganz offiziell und lautstark: Die Kirche selbst sei selbstverständlich keine Demokratie! Warum? Weil der liebe Gott keine demokratische Kirche will, behaupten die Kleriker, denen eine demokratische Kirche gefährlich werden könnte. Siehe “Synodaler Weg” in Deutschland…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin