PhilosophInnen verändern die Philosophie … und die politischen Zustände!

Ein wichtiges Buch über „Frauen, die das Denken der Moderne geprägt haben“
Ein Hinweis von Christian Modehn am 10.8. 2025

1.
Es ist ein allgemeines Vorurteil: Es gibt keine Philosophinnen. Schlimmer noch: „Philosophie ist nichts für Frauen.“ Man muss nur den Beitrag „Philosophinnen“ in Wikipedia anschauen: Da werden mindestens 180 Philosophinnen seit der Antike genannt…

2.
Jetzt ist ein Buch erschienen, das sich gut eignet, Philosophinnen kennen zu lernen: Und zwar mit dem Fokus: „Rebellinnen der Philosophie“. Und der Untertitel des Buches grenzt den zeitlichen Rahmen ein: „Frauen, die das Denken der Moderne geprägt haben“. Autorin ist die Philosophin Kristin Gjesdal, sie stammt aus Norwegen und lehrt seit einigen Jahren an der „Temple University“ in Philadelphia, USA. Die Philosophie des 19. Jahrhunderts ist vor allem ihr Schwerpunkt.

3.
Kristin Gjesdal bietet in ihrem neuen Buch keine trockene, abstrakte Geschichte der PhilosophInnen. Sie berichtet über 11 rebellische Philosophinnen in ihren Seminar-Veranstaltungen an ihrer Uni, sie berichtet also von philosophischen Frauen, die sich gegen alle Einschränkungen wehrten, die schon aufgrund ihres „Frauseins“ von der Männerwelt vorgegeben waren. Die Frauen gaben in ihren philosophischen Texten ihrer Rebellion gegen Frauenverachtung, Rassismus, Kolonialismus, Faschismus ihren reflektierten Ausdruck, viele Aspekte ihrer Kritik sind gültig bis heute.

4.
Kristin Gjesdal erzählt also anschaulich von ihren Seminaren zum Thema „Philosophinnen“, spricht von den Fragen und Problemen der StudentInnen, erläutert eigene Schwierigkeiten angesichts mancher Aussagen ihrer Protagonistinnen, stellt aber immer klar und lebendig die Position der Philosophinnen vor: Sie nennt selbst ihr Buch „populärwissenschaftlich“ (S. 285). Tatsächlich bietet sie doch zahlreiche Hinweise zum Weiterlesen, Weiterforschen.

5.
In dem 332 Seiten umfassenden Buch werden vom 18. Jahrhundert (Madame de Stael) bis ins 20/21. Jahrhundert (Angela Davis) 11 Philosophinnen vorgestellt: Germaine de Stael, die bislang weniger bekannte Karoline von Günderrode, dann Bettina Brentano von Arnim, Hedwig Dohm, Anna J. Cooper, und, was erstaunlich ist: Clara Zetkin und Rosa Luxemburg, sowie danach Lou Salomé, Gerda Walter, Simone de Beauvoir und auch Angela Davis (geb. 1944), sie ist als „Aktivistin“ auch oder gerade deswegen Philosophin geworden.

So unterschiedlich die philosophischen und politisch -ethischen Erkenntnisse dieser Frauen auch sind. Sie haben auch literarisch gearbeitet und veröffentlicht, oft Romane geschrieben, was dazu führte, dass in der Männer bestimmten Philosophie und Feuilletonwelt diese Philosophinnen „nur“ als Literaten hingestellt wurden. Alle Philosophinnen mussten sich gegen die Männerwelt behaupten.

6.
Hier können alle der elf „rebellischen Philosophinnen“ im einzelnen nicht vorgestellt werden.

Der Beitrag über Germaine de Stael (1766-1817) zeigt: Sie hat seit ihrem 20. Lebensjahr über Philosophie geschrieben, und auch ihre Romane („Corinne“, „Mirza“…) sind von philosophischen Reflexionen bestimmt. Madame de Stael ist auch wegen ihres „Bestsellers“: „Über Deutschland“ (1814) weltweit bekannt. Aber Kristin Gjesdal zeigt die politische Kritik Madame de Staels etwa zum Kolonialismus und zur Sklaverei. Über die vorgestellten und diskutierten Philosophinnen werden keineswegs „Lobeshymnen“ verbreitet: Madame de Stael etwa „war blind gegenüber ihren eigenen Privilegien“ in der reichen Clique von Paris.

LeserInnen zumal in den USA oder der BRD, die unter antikommunistischen Ideologien denken lernten, wird es verwundern, auch die deutsche Kommunistin Clara Zetkin (1857-1933) in der Reihe der Philosophinnen zu finden. Sie war die Freundin der Philosophin und Politikerin Rosa Luxemburgs. Aus ethischer Haltung zugunsten der Gerechtigkeit fand sie zur Philosophie und zur politischen Aktion. Sie verfasste Texte zur Frauenbefreiung, zum „Frauenstimmrecht“, kurz vor ihrem Tod schrieb sie noch einen antirassistischen Aufruf „Rette die Scotsboto Boys“: Zu Unrecht wurden neun afroamerikanische Männer zum Tode verurteilt, Clara Zetkin legte den Fall als Ausdruck von Rassenwahn der US – amerikanischen Gesellschaft und des Staates frei. Der international Frauentag ist ihre „Erfindung“… Bereits Anfang der 1920er-Jahre sprach sie von den Gefahren
des Faschismus. „Die extreme Rechte verspreche breiten Bevölkerungsschichten das Blaue vom Himmel, versuche aber im Wesentlichen, gute Bedingungen für einige wenige zu schaffen“, so referiert Kristin Gjesdal: „Dem Faschismus müsse mit Stärke begegnet werden , betont Zetkin und nicht mit physischer Gewalt, sondern mit organisiertem Widerstand“ (S. 147): Sozialdemokratischer Politik gegenüber war Clara Zetkin kritisch eingestellt: „Sozialdemokratie auch à la Sanders in den USA heute wäre für Zetkin und Rosa Luxemburg purer Revisionismus, also eine politische Haltung, die das Versprechen einer klassenlosen Gesellschaft zugunsten des Wunsches nach schrittweiser Verbesserung innerhalb der kapitalistischen Ordnung aufgegeben hat“, meint die Autorin (S. 147).
PS: Viele Clara Zetkin Straßen wurden nach der Wende in der ehemaligen DDR umbenannt, in 10 Orten in den „neuen Bundesländern“ gibt es noch Clara Zetkin Straßen. Und : Einige Bücher Clara Zetkins sind noch antiquarisch zu haben…

Uns freut es besonders dass der Philosophin und Sozialistin Rosa Luxemburg eine eigene Seminarstunde gewidmet war und dass Rosa Luxemburg damit in einem Kapitel ansatzweise gewürdigt wird. Rosa Luxemburg, 1871 geboren, wurde 1919 von preußischen Freikorps auf brutalste Weise ermordet. Über die Rolle der Berliner SPD in diesem Zusammenhang hat Sebastian Haffner Wesentliches und Treffendes gesagt! Was viele bis heute ignorieren: Für Rosa Luxemburg ist Sozialismus (damit ist nicht der „Sozialismus“ der SPD gemeint) wesentlich demokratisch. Dass eine Partei, die Bolschewisten Lenins sich anmaßt, die Interessen des Volkes zu vertreten, lehnt Rosa Luxemburg ab. Auch das bekannteste Werk Rosa Luxemburgs „Die Akkumulation des Kapitals“ von 1913 wird im philosophischen Seminar der „Temple University“ diskutiert (s. 165). „Mit ihrer Verteidigung der Macht des Volkes gegenüber der Macht der Partei gilt Luxemburg als Wegbereiterin eines humanistischeren Marxismus“(S. 172). Wir finden es bedauerlich, dass wie so in Publikationen über Rosa Luxemburg die spirituelle Interessiertheit der Sozialistin nicht erwähnt wird. Siehe deswegen unseren wichtigen Beitrag zu „Die Spiritualität der Rosa Luxemburg“: LINK.

Auch auf Angela Davis (geb. 1944 in Birmingham, Alabama, USA) als Philosophin weist das Buch hin. Sie studierte in Frankreich, und als sie 1963 von der Tötung von drei Mädchen in einer Kirche ihrer Heimatstadt durch den Ku-Klux-Klan hörte, kehrte sie in die USA zurück, dort traf sie den marxistischen Philosophen Herbert Marcuse. Angela Davis studierte Philosophie, in Deutschland etwa nahm sie an Vorlesungen von Theodor W. Adorno und Jürgen Habermas teil.
Aber sie hat ihre philosophische akademische Karriere aufgegeben: Sie engagierte sich politisch für die Menschenrechte, wurde wegen ihres politischen Engagements aus der Uni entlassen. „Heute ist Davis eine wichtige Denkerin, deren Werke auf den Leselisten vieler amerikanischer Universitäten stehen, sie ist das bekannteste Gesicht der Linken im US-Imperium“ schreibt Kristin Gjesdal (S. 256). „Angela Davis kann und muss philosophisch gelesen werden“ (S. 259). „Sie beschreibt, wie rassistische Vorurteile eine Art erfahrungsspezifisches a priori bilden, also etwas, das schlichtweg alle Erfahrungen charakterisiert. Eingebettet in Körper und Geist bilden rassistsiche Vorurteil dann den Hintergrund, vor dem die Welt uns erscheint“ (S. 260).

7.
Das Buch „Rebellinnen der Philosophie“ zeigt, dass gerade Frauen, auch gerade weil sie unterdrückt wurden und sich befreien mussten, einen neue Dimension in die Philosophien bringen. Sie lehren: Philosophie ist kein Selbstzweck. Sie hat das Ziel, vom eigenen erlebten Leben und dem Denken inmitten dieses Lebens zu einer umfassenden politischen – befreienden Praxis zu führen… um die Welt (hoffentlich) gerechter zu gestalten. Das letzte Kapitel im Buch „Auf eigenen Beinen“ sollte mit besonderer Aufmerksamkeit gelesen werden: Da reflektiert eine Philosophin über die Bedeutung der Philosophie heute, über ihre Erneuerung und Öffnung … durch das Denken von Frauen.

Kristin Gjesdal, „Rebellinnen der Philosophie. Frauen, die das Denken der Moderne geprägt haben“: Eicbborn Verlag, 2025, 322 Seiten, 24 €. Die Übersetzung aus dem Norwegischen: Sarah Schmidt. Das Buch ist zuerst in Norwegen im Jahr 2024 erschienen!

Copyright: Christian Modehn Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

Gefährliche Erinnerung: Die Arbeit von „Memorial“ in Russland und anderswo

Ein Hinweis auf ein wichtiges Buch

Von Christian Modehn am 3.8.2025

1. „Erinnern ist Widerstand:“ Das Motto von „Memorial“, der wichtigen NGO, gegründet in Russland. Eine Basisinitiative von Menschen, denen die Geltung der universellen Menschenrechte am wichtigsten ist: „Memorial“ legt die Verbrechen der russischen Diktatoren frei! Gibt den vielen tausend Ermordeten und Gequälten der Verbrechen Stalins sowie der folgenden Diktaturen bis zu Putin die Menschenwürde zurück, die Würde: einen Namen zu haben, nicht vergessen zu sein. Die kritische Erinnerung dient dem einzigen Zweck: Nie wieder diese Menschenquälerei durch Diktaturen. Nie mehr totalitäre Gewaltherrschaft.

2.
 Memorial ist eine in demokratischen Staaten und unter Demokraten hoch angesehene NGO. „Memorial“ studiert und dokumentiert in aller Objektivität seit mehr als 30 Jahren die Verbrechen der Sowjetherrschaft. Und Putin, der absolute Machthaber der Russischen Föderation, hat genau verstanden: Strukturen totalitärer Herrschaft werden durch die kenntnisreichen und widerständigen Mitarbeiter von „Memorial“ selbstverständlich auch in seinem Herrschaftsbereich freigelegt. Deswegen löste Putin die NGO „Memorial“ im Dezember 2021 auf, zwei Monate vor seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine. Am 10. Dezember 2022 erhielt die NGO “Memorial” den Friedensnobelpreis,  „Memorial“ hatte 80 Arbeitskreise in vielen Städten Russland.

3. 
Heute ist die Arbeit von Memorial in Russland sehr schwierig. Die Ergebnisse der aktuellen dortigen Recherchen werden im Exil publiziert.

In Berlin wurde „Memorial e.V.“ gegründet. LINK.
 Wichtig ist auch das große Angebot von Podcasts durch Memorial LINK:

4.
 Wer den Widerstand gegen das Sowjetimperium und die folgenden Diktaturen dort verstehen will, muss sich also mit Memorial befassen. Der C.H.Beck Verlag legt jetzt ein Buch vor, 14 Autorinnen bewerten einige Aspekte der Geschichte von Memorial und nennen den aktuellen Stand der Forschung und Dokumentation. Wir empfehlen das Buch ausdrücklich! Es umfasst 192 Seiten, darunter (auf mehr als 40 Seiten) kommentierte „Bilder und Fotos aus der Memorial-Sammlung“. Sie beziehen sich auf Kunst und Literatur, unter qualvollen Bedingungen in den Lagern entstanden, sowie auf Fotos der ersten öffentlichen Kundgebungen von „Memorial“ in Russland 1988. Die HerausgeberInnen des Buches “Memorial”: Irina Scherbakowa engagiert sich als Gründungsmitglied von Memorial im Exil weiter für die Arbeit Erinnerung und das Eintreten für Menschenrechte, Filipp Dzyadko und Elena Zhemkova sind als Gründungsmitglieder von Memorial in Russland jetzt in Berlin tätig.

5.
 Der Titel „Erinnern ist Widerstand“ ist sehr treffend gewählt, angesichts der von Rechtsextremen seit Jahren schon verspotteten Erinnerung – Kultur! Wer sich an die Verbrechen nicht nur in Russland erinnert, sondern weiter denkend auch an die Verbrechen gegen die Menschheit, verursacht von Staaten, Kulturen, Religionen, Parteien, legt das Negative frei, indem er auch einen Vorschein und Ausblick auf eine bessere, d.h. humane und demokratische Zukunft ermöglicht.
Die Erinnerung ist geistige wie seelische Arbeit, aber auch körperliche Arbeit… bedingt durch die weiten Reisen zu den Orten der Verbrechen und den Recherchen dort! Das Tätigkeit – Wort Gedenken erhält etwa bei Walter Benjamin die Zuspitzung des „Ein-Gedenkens“. Und damit ist wohl gemeint: Das Erinnerte sollte der Mensch in seinen eigenen Geist hin-ein-nehmen, also nicht bloß oberflächlich etwas Vergangenes zur Kenntnis nehmen, also nicht bloß historisch – faktisch an Daten und Namen erinnernd denken, sondern sie ein-gedenken, also das Erinnerte mit dem eigenen Geist eng verbinden, es in den eigenen Geist, ins eigene Leben, in die eigene Gefühlswelt hineinnehmen… und Sich Hineinversetzen…Es ist wohl diese Form des Ein – Gedenkens, die dem Erinnern durch die „Memorial“ Arbeit die wahre Bedeutung gibt.
Ein einzelner kann natürlich nicht überall und zu allen Themen Erinnerungsarbeit leisten. Jeder und jede kann nur an einer Stelle, an seinem Ort, seine Erinnerungsarbeit wählen, zu Russland eben oder zu anderen Diktaturen und autoritären Herrschaftsformen oder zu Religionen und Konfessionen, die im Fundamentalismus der Gewalt versinken.

6.
 Das neue Buch aus dem C.H. Beck Verlag dokumentiert die Rede von Jan Rachinsky anläßlich der Verleihung des Friedensnobelpreises am 10. Dezember 2022 in Oslo. Rachinsky legt allen Nachdruck darauf: Es sei das Gefühl und die Erkenntnis der bürgerlichen Verantwortung, die Menschen zur Memorial Erinnerungsarbeit führen. Es geht um die Verantwortung dafür zu sorgen, dass die leidenden und vernichteten Menschen früherer Generationen nicht dem Vergessen preisgegeben werden, „denn der Mensch empfindet seine Einheit mit vorangegangenen Generationen“ (S. 43). Interessant ist für mich, dass in einigen Beiträgen der „Memorial“ MitarbeiterInnen auf den Philosophen Karl Jaspers verwiesen wird als philosophischen Inspirator…

7.
 Irina Scherbakowa, Mitbegründerin von „Memorial“, berichtet ausführlich über den „Kampf für das Erinnern“. In den 35 Jahren der aktiven Präsenz in Russland konnten die MitarbeiterInnen von Memorial „Informationen aus Geheimarchiven öffentlich zugänglich machen und die Schicksale hunderttausender Staatsterror – Opfer aufklären…In einer Reihe von Städten wurden an Orten von Massengräbern Gedenktafeln und Gedenkzeichen für die Opfer politischer Repressionen angebracht… Das Archiv, das Memorial in den Jahren seiner Tätigkeit aufgebaut hat, umfasst hunderttausend Dokumente …Im Herbst 2021 wurde das Hauptgebäude von „Memorial“ in Moskau von Putin geschlossen, typischerweise ließ der Diktator die Eingangstür mit Handschellen verschließen! Und auch dies: Stalin erlebt in der russischen Gesellschaft seit Jahren wieder ein Come-back…In Berlin setzt Memorial seine Arbeit fort, in Paris befindet sich das Memorial Menschenrechtszentrum, es unterstützt die politischen Gefangenen…

8.
 Nur einige Hinweise zu einigen der 12 AutorInnen, die „Memorial“ kommentieren.
Alida Assmann bezieht „Memorial“ auf Repressionen außerhalb Russlands, sie nennt die Protestbewegung der „Mütter und Großmütter von der Plaza de Mayo“ in Buenos Aires gegen die Militärjunta. „Die Frauen haben für die Menschenrechte gekämpft und die Junta zu Fall gebracht, obwohl sie unbewaffnet waren und die Zivilgesellschaft repräsentierten…Ihre politische Macht lag in der Erinnerung an die Verbrechen der Militärjunta“ (S. 94).

Der Historiker Karl Schlögel zeigt, dass die Erfahrung von Terror und Gewalt in der Gegenwart die junge Generationen sensibel machen sollte für die Gewaltherrschaft, die frühere Generationen ausübten bzw. erleiden mussten. Schlögel hofft, dass durch diese intensive Konfrontation mit früheren Verbrechen „eine apolitisierte und apathische Gesellschaft aus ihrer Gleichgültigkeit herausgerissen wird.“ (S. 98).

Aus der Erfahrung des Leidens und der sinnlosen Gewalt (etwa durch den Diktator Putin) könnte dann im westlichen Europa der Wille zum Widerspruch und zum Widerstanden stehen. Eine Hoffnung!
Auf den Unterschied zwischen Widerstand und Resistenz macht Filip Dzyadko aufmerksam: Widerstand ist für ihn das direkte radikale und auch gewaltsame Vorgehen gegen eine Diktatur. Resistenz hingegen kann sich in verschiedenen noch „milderen“ Formen des Widerspruchs äußern, etwa durch öffentliche Kritik, durch sozialen Ungehorsam, Verweigerung, Ablehnung der Kooperation mit Behörden der Diktaturen…

Auch der Schriftsteller Jonathan Littell (Autor des Romans „Die Wohlgesinnten“) ist mit „Memorial“ verbunden durch seinen Einsatz zugunsten der Menschenrechte in den Tschetschenien Kriegen. Littell meint ziemlich provokativ, dass die heute inszenierten Kriege in der Ukraine, in China, in Israel usw. ablenken von der noch größeren Katastrophe, der „Zerstörung des Planeten durch die Menschheit, die sich im System des Kapitalismus verstrickt hat, in dem wir alle leben.“ ( S.160). Littell meint also, die heutigen Kriege, verursacht von Gewaltherrschern, seien so etwas wie Ablenkungsfaktoren: Sie lenken ab von dem größten aller dringenden Probleme: der Klimakatastrophe (S. 164). Tatsächlich ist das Interesse der Herrschenden an der Verhinderung der Klimakatastrophen jetzt weltweit zurückgegangen. Und fast alle großen Medien sprechen ständig  von Putin, Trump, Xi , der Hamas oder Netanjahu… Littell sagt: „Ich bin keineswegs überzeugt, dass unser Planet im Jahr 2100 noch geeignete Lebensbedingungen bieten wird. ..Ich habe keine Hoffnung, sie geht mir gegenwärtig vollkommen ab“ (S. 165, 164.).

9.
 Der „Tagesspiegel“ hat ein ausführliches Interview mit einem der Mitbegründer von Memorial publiziert: mit Oleg Orlow. Er wurde am 27.2. 2024 wegen eines Anti-Kriegs-Artikels zu zweieinhalb Jahren Lagerhaft verurteilt. Im Rahmen eines Gefangenenaustausches kam er fünf Monte später frei. Er betont, jetzt in Freiheit, in Berlin: Als 2021 Memorial „vom russischen Staat offiziell liquidiert wird, können Menschenrechtler nur noch in losen Vereinigungen tätig sein. Die Kollegen in Russland sammeln und registrieren wieder Informationen über die Menschenrechtslage in Russland. Veröffentlicht werden diese Daten aus Sicherheitsgründen dann von uns aus dem Ausstand heraus. Vor Ort bieten wir nach wie vor Rechtsbeistand für die Opfer staatlicher Repressionen an…“. („Tagesspiegel“ 1. August 2025, Seite 12.)

10.
 Solange es Menschen gibt, die so stark indoktriniert werden, dass sie sich aus Passivität, Faulheit, Bequemlichkeit die menschenfeindliche autoritäre Führung eines Führers wünschen, wird es immer Verfolgung und Unterdrückung der Mensch gebliebenen Menschen geben; wird es Lager geben, die zur umfassenden Vernichtung der so genannten Widerspenstigen, der Demokraten und Verteidiger der Menschenrechte bestimmt sind. Man fragt sich deshalb, ob nicht die Idee der „Memorial Arbeit“ als einer Basis – Initiative von Demokraten (und nicht von Historikern allein) überall wirksam werden sollte.
Die Geschichte der katholischen Kirche z.B. wird nicht umfassend nach Memorial- Art untersucht: Alle die verfolgten, gequälten und verbrannten Ketzer und Hexen, alle ohne großen Namen, alle die gemarterten Irrlehrer, die selbständig und ungehorsam Frommen, alle kirchlich Unterdrückten … sie werden bisher im großen Graben der Vergessenheit belassen. Sie finden keine Erwähnung in den großen Studien der Kirchengeschichte. Sie liebt ohnehin die großen Helden und Heiligen viel mehr als die „kleinen Leute“ in ihrer eigenen Art, ihren Glauben trotz aller Klerus-Herrschaft zu leben. 
Die vielen Namen der seelisch und körperlich Gequälten, der Mißhandelten und Getöteten, müssten natürlich auch in anderen Religionen freigelegt und öffentlich gemacht werden, etwa in der Religion der Muslime oder der Hindus oder der Buddhisten usw.
Die Philosophie und die Arbeitsweise von „Memorial“ sollte “universell” werden, wenn sich denn die Kirchenhistoriker auf diese Arbeit einlassen und vor allem in den Gemeinden entsprechende Memorial – Arbeitsgruppen entstehen. Die langsame und sehr restriktive Öffnung der Archive des Vatikans, auch der einzelnen Diözesen und vor allem der kritisch völlig unerforschten Zentralen der katholischen Ordensgemeinschaften ist bezeichnend.
Eines Tages werden auch die vielen tausend Namen der Missbrauchsopfer durch den Klerus veröffentlicht werden wie die vielen tausend Namen der klerikalen Täter.
Die „Memorial“ – MitarbeiterInnen in Russland waren auch mit heftigem Widerstand konfrontiert bei ihren Recherchen in den Lagern und Zentralen der Kommunistischen Partei usw. Diese mühevolle Arbeit kann katholische „Memorial“ – MitarbeiterInnen „trösten“, wenn sie denn etwa ihre umfassende Freilegung der Erinnerung zur weiter „vergangenen“ oder auch aktuellen Kirchengeschichte beginnen.

11. „Die Wahrheit wird euch frei machen“ sagt Jesus von Nazareth (Johannes-Evangelium 8.Kap., Vers 32). Eine treffende und aktuell bedeutsame Erkenntnis, die allerdings die meisten Hierarchen, Autokraten und alle Führer fürchten, auch in den Kirchen, selbstverständlich auch in den orthodoxen Kirchen, etwa im Patriarchat von Moskau: Dort herrscht der ehemalige KGB Mitarbeiter und Putin Freund Patriarch Kyrill als Kriegstreiber. Und … mit diesen Kirche will sich der Papst unbedingt in einer „Einheit“ zusammen schließen.
Die Kirchen haben Angst vor der Wahrheit, die frei macht. Denn durch die Freilegung von historischer Wahrheit könnten sich die Akteure sinnvollerweise auch von der Kirche als Institution befreien und … trotzdem Christen bleiben! Das würde das Ende dieser Institution befördern, die sich als katholische Kirche bekanntlich selbst und voller Stolz bis heute explizit als „nicht – demokratisch“ definiert; vielleicht will sie jetzt ein bißchen „synodal“ werden, aber ohne eine wirkliche Synode, d.h. ein Parlament mit Mehrheitsentscheidungen der Gleichberechtigten, einzuführen.

Die Adresse: “Memorial e. v. Deutschland”: Greifswalder Str. 5, 10405 Berlin

Memorial. Erinnern ist Widerstand“. C.H. Beck Verlag München, 2025, 192 Seiten, 25 €.

Copyright: Christian Mohn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Fördert die Regierung Netanjahu den Antisemitimus?

Die 28. der „Unerhörten Fragen“
Von Christian Modehn am 31.7.2025

Am 16.9.2025: Nach vielen Rückmeldungen beantworten viele LeserInnen diese Frage mit JA. Sie meinen, dass diese Regierung Netanjahus mit den Rechtsextremen in der Regierung (an die er sich aus persönlichen, egoistischen Gründen klammern muss)  tatsächlich  antisemitische Gefühle bewirkt oder fördert. Progressive Juden sind offenbar zu schwach, um diesem Netanjahu-Wahn sofort und absolut Einhalt zu gebieten!!  CM.

…………Am 31.7.2025:

Könnte es sein, dass die Netanjahu-Regierung in Israel in ihrem absolut unmenschlichen Umgang mit den Palästinensern in Gaza (und im Westjordanland) den allgemeinen Antisemitismus weltweit fördert? Antisemitismus in der westlichen Welt also verursacht durch Israels Politiker und durch die jüdischen Bürger Israels, die diese Politiker wählten?

Diese Frage wird in aller Vorsicht gestellt. In dem Wissen, dass gebildete Menschen Antisemitismus von Kritik an einer brutalen Regierung in Israel unterscheiden. Aber auch in dem Wissen, dass diese Unterscheidung bei sehr vielen Menschen leider nicht üblich ist. Und jetzt schwerfällt. Dass diese Regierung Israels de facto Antisemitismus erzeugt, wird verstärkt durch das Wissen: Dass Israel sich ursprünglich als ein „jüdischer Staat“ behauptet. Ein religiöser, biblischer Staat also, der, bei diesem Titel dem eigenen Anspruch folgend, gewisse grundlegende humane Prinzipien etwa der biblischen Propheten respektieren müsste! Der also dem entsprechend mehr auf Dialog mit den Feinden setzen müsste als auf permanente Unterdrückung des Feindes. Fördert also Israels Regierung den Antisemitismus in der “westlichen Welt”? Das ist wahrscheinlich!

Dies wird auch in dem Wissen gesagt, dass die Hamas Israel brutal angegriffen hat. Dies wird auch in dem Wissen gesagt, dass das übliche, angeblich biblisch begründete (aber nicht etwa christlich geltende) Prinzip der Rache „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ gegen den Feind maßvoll eingesetzt werden sollte.
Jetzt aber ist die tötende Gewalt Israels gegenüber dem Feind absolut maßlos geworden. Die Bilder des durch Isarel erzeugte Elends der Menschen in Gaza erinnern an leidende Menschen im KZ!
Hilfsorganisationen nennen das Elend der Palästinenser jetzt „die Hölle“ (Tagesschau 31.7.2025, 20. Uhr). Ist es also für bestimmte Juden normal geworden, dass jüdische Politiker die Hölle für andere erzeugen?
Nein, es gibt Widerspruch unter Juden in Israel und weltweit, aber leider bleibt der Widerspruch bisher wirkungslos. Woran liegt das? Wie weit darf Israel -Kritik durch Juden gehen? Die großartigen Studien des jüdischen Historikers Prof. Shlomo Sand (Tel Aviv) sind leider die Ausnahme, sie werden in Deutschland kaum beachtet, seine Studien verdienen weites Interesse! LINK  Kein deutscher TV Sender fragt Prof. Slomo Sand…Eine Rezension eines der Bücher von Shlomo Sand: siehe die Fußnote 1.

Gott sein Dank wehren sich gegen den Massenmord durch Israels Regierung einige vernünftige europäische Politiker. Deutsche sind bislang deutlich nicht dabei, wenn es jetzt um die Anerkennung eines Palästinenser Staates geht. Deutsche Politiker fördern also auch in dieser ihrer Zurückhaltung, Angst, Staatsräson, den von dieser Regierung in Israel erzeugten Antisemitismus? Darf man diese Situation paradox nennen? Das heißt: Deutsche Politiker (Merz und Co) fördern wieder in dieser ihrer genannten Zurückhaltung eine neue Form des Antisemitismus?

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

……..

Fußnote 1:

Shlomo Sand
Warum ich aufhöre, Jude zu sein
Propyläen Verlag. 156 Seiten. 18 €

Von Christian Modehn , erschienen in der Zeitschrift PUBLIK – FORUM  2014.

Shlomo Sand, Professor für Geschichte in Tel Aviv, bietet mehr als ein persönliches Bekenntnis. Er kann aus objektiven Gründen nicht länger Jude sein, weil er den heutigen Staat Israel ablehnt. Dabei gibt es für ihn keinen Zweifel, als polnischer Jude, 1942 in Österreich geboren, für das Existenzrecht Israels einzutreten. In dem „jüdischen Staat“ lebt er seit 1949. Aber gerade diese Definition findet er unerträglich. Denn Israel bevorzugt die Bewohner, die dem jüdischen Volk zugehören. Dabei ist es ein Mythos, so wörtlich, über die jüdische Rasse den Staat Israel zu definieren. Die „Rasse“ der Hebräer gibt es nicht. Jude, meint Sand, sei man einzig durch sein religiöses Bekenntnis. Als Atheist möchte er aufhören, als Jude zu gelten, kann es aber nicht, weil er vom Staat unaufhebbar dem „Volk“ zugerechnet wird. In dieser „Volksideologie“ sieht Sand zudem die Wurzel der verhängnisvollen Besatzungspolitik. Er plädiert für eine „republikanische Identität“ Israels mit dem absoluten Respekt der Menschenrechte und einer Zweistaatenlösung mit Palästina. Das Buch verdient intensive Diskussionen.

Philosophieren im Urlaub: Arbeit oder Erholung?

Ein Plädoyer fürs Philosophieren – auch in den Ferien
Von Christian Modehn am 27.7.2025

1.
Einige Stunden in der Ferienzeit als Philosoph(In) zu erleben, ist vielleicht ein ungewöhnlicher Vorschlag. Der Einwand kommt gleich: Ist denn nicht Philosophie etwas Anstrengendes, ist sie also in gewisser Hinsicht Arbeit? Und wollen wir uns Arbeit zumuten im Urlaub, der doch eher von der Lust am Nichtstun und Spiel, von der Lust an der Entspannung und Faulheit bestimmt sein sollte!
Vielleicht kann aber Philosophie zur Erholung beitragen, wenn man sie als eine besondere Form des Spiels versteht, des Gedankenspiels, als Freude am Fragen, am Zweifeln, am genauen Hinschauen und Verweilen … und als Freude darüber: Durch eigenes Nachdenken etwas mehr Klarheit im Leben erlangt zu haben. Diese Art, Heiterkeit und Klarheit durch eigenes Nach – und auch Voraus- Denken zu finden, nennen wir Philosophieren.

2.
Vorweg, um elementar für Klarheit zu sorgen: Philosophieren hat nichts zu tun mit Grübeln oder Phantasieren oder Tagträumen, was oft gemeint ist, wenn es in der Öffentlichkeit heißt: „Darüber könnte man lange philosophieren“. Etwa, ob der Verbrecher Putin irgendwann einmal selbst seine Kriege beendet…Philosophieren wird so zu etwas Irrealem, Utopischen, Spinösen, Zweifelhaften.

3.
Hingegen ist philosophieren die Praxis der Philosophie. Wie musizieren, bereits schon Klavier- oder Violine-Üben die Praxis der Musik ist. Ohne elementares Philosophieren gibt es keine Philosophie. Nun hat nicht jede(r) Philosophierende die Begabung oder die Zeit, seine Gedanken als „philosophisches Buch“ zu veröffentlichen. So wie auch nicht jeder, der Mozarts Sonaten übt, automatisch im Konzertsaal auftreten wird. Der Unterschied ist nur: Klavierspielen kann nicht jeder (lernen), hingegen Philosophieren ist eine Möglichkeit, die jedem und jeder gegeben ist. Man muss sie nur entdecken. Sie eröffnet auf ungeahnte Art grundlegende Erfahungen des Daseins. Ein Mensch kann unmusikalisch sein, der Mensch ist aber niemals unphilosophisch oder besser: “nicht-philosophierend”!

4.
Philosophieren ist etwas Elementares im Menschen, immer Gegebenes, Geschenktes, oft “schlummernd”, aber immer “aufzuwecken”. Bekanntlich ist der Mensch kein Tier wie etwa ein Hund oder ein Schwein, sondern ein, wie begrenzt auch immer, vernünftiges Wesen der Freiheit. Philosophieren als Leben des Geistes und der Vernunft geschieht immer: Und diese Erkenntnis stellt sich ein, wenn man wahrnimmt, dass jede unserer Entscheidungen Ausdruck unserer eigenen, oft gar nicht thematisierten Philosophie ist.
Ein Beispiel, und es ist ziemlich banal: Ob ich mir für 300 Euro eine Opernkarte für die schon dreimal gehörte „Entführung aus dem Serail“ kaufe oder ob ich diese 300 Euro einer Welthungerhilfe spende oder eine Gruppe von FreundInnen und Fremden (!) zum Essen einlade. In dieser Entscheidung zeigt sich meine Präferenz für bestimmte Werte, zeigt sich, was mir im Augenblick wichtig ist. Da wird mein philosophischer Lebensentwurf mir bewusst.

5.
Dabei wird deutlich: Wir Menschen entkommen sozusagen dem Philosophieren nie, wir sind ins Denken unüberwindbar immer förmlich eingelassen, jede Entscheidung ist Ausdruck unseres Lebensentwurfes. Selbst unsere Frage nach dem Wetter, kann eine philosophische werden, wenn uns bewusst wird: Warum sprechen wir mit anderen so gern übers Wetter? Fällt uns nichts anderes ein?

6.
Und wie ist es nun im Urlaub? Philosophieren beginnt dann etwa mit der Frage: Will ich mir wie seit 3 Jahren bei mir üblich die 40 Grad im Juli in Griechenland in einem überfüllten Hotel wieder zumuten? Mich dem Streß des Fliegens aussetzen und durch diese Form des Reisens die klimaschädlichste Art jeglicher„Fortbewegung“ überhaupt wählen? Oder will ich es wagen, in meiner nahe oder weiten Nachbarschaft, in kühleren Regionen hoffentlich, spazieren zu gehen, einmal in Ruhe die Umgebung und vielleicht die Museen kennenzulernen, vor allem die Natur dort zu erleben oder in Ruhe zu lesen … und eben … zu philosophieren. Und das heißt: In einem ruhigen Raum oder inmitten der Natur die Fragen zuzulassen, die sich dann wie von selbst aufdrängen: Warum ist die jetzt erlebte Ruhe und Stille eigentlich so hilfreich und wohltuend in meinem Leben? Warum berührt mich die Natur in ihrer steten Wandlung? Was bewegt mich da eigentlich etwas schon zu finden? Ist es die Schönheit der Blumen? Oder ihre Vergänglichkeit? Fühle ich mich eins mit der Natur? Was bedeutet deren Werden und Vergehen eigentlich? Jetzt bin ich im Urlaub unterwegs, aber bin ich nicht in Wahrheit immer unterwegs? Aber immer anders unterwegs, bloß: wohin denn? Was ist eigentlich mein Ziel? Wenn ich diese sich aufdrängenden Fragen zulasse, sie bedenke, also reflektierend hin – und herdrehe, an manchen Eindrücken und Erkenntnissen zweifle, dann bin ich schon mitten im Philosophieren.

7.
Aber ist dieses Philosophieren im Urlaub denn nun Arbeit, Denkarbeit? Das Sortieren der Begriffe, das Abwägen der sich mir aufdrängenden Argumente, ist tatsächlich eine Art Arbeit, sie verlangt Konzentration und Mut zur Abwehr jeglicher Ablenkungen. Aber ich verlange niemals von mir, im Urlaub philosophierend, einen langen Essay über Grundprobleme, etwa den Sinn des Lebens im allgemeinen, zu schreiben. Eine definitive Antwort auf die Frage: Was ist Wahrheit? werde ich auch im Urlaub nicht finden. Sich an diese Themen im Urlaub von 3-4 Wochen zu wagen, wäre anstrengende Arbeit, Denk – Arbeit, verbunden mit Lektüren, vielen Fach – Gesprächen, dem Setzen von Fußnoten usw.

8.
Aber zur Ruhe kommen, innehalten, die Umgebung betrachten, die Natur wahrnehmen, ihr in Stille (Kontemplation)  begegnen; eine gotische Kathedrale oder eine Barockkirche betrachten und neugierig erleben und nicht nach drei Minuten wieder verlassen, weil man eine „Sehenswürdigkeit“ abhaken kann auf einer so gfurchtbaren “to-do-Liste” im Urlaub: Es gibt eine “alternative” Tätigkeit im Urlaub und sie ist ein Vergnügen, keine Arbeit. Die ist ein zweckfreies Verhalten, ohne Leistungsdruck, ohne den üblichen “Zeitdruck”, ohne Kontrolle durch einen Chef etc.… Im Philosophieren bin ich völlig frei, mir bislang ungewöhnliche Fragen zu stellen und dabei förmlich aus der Zeit herauszutreten.  Wenn ich in einer Barockkirche zur Ruhe komme: Kann mich die Bilderwelt erdrücken, die Frage lass eich zu: Warum sieht man überall Darstellungen der „Jungfrau Maria“. Ist Maria vielleicht doch eine geheime Göttin im Katholizismus?

9.
Die Auswahl der Themen inmitten eines philosophierenden Alltags im Urlaub  ist endlos. So weit und bunt wie das Leben, so vielfältig wie das Leben des Geistes, der Vernunft und unserer Gefühle. Philosophieren lebt nur von dem Mut, sich seine eigenen Gedanken zu machen und auch vorläufige Erkenntnisse, wenn nicht vorläufige Wahrheiten wie ein Geschenk des Nachdenkens anzunehmen. Für Kant war das philosophische Denken auch eine Frage des Mutes! (“Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen”).
Nur ein Mensch, der selbst philosophiert, wird mit anderen dann auch philosophieren wollen und können. Dialoge der Philosophierenden können inspirierend sein, am besten in kleinem Kreis, wenn man einander respektiert und auch das Zuhören schätzt oder die  „Denkpausen“ des Schweigens nicht als peinlich deutet. Absolute Wahrheiten wird man auch dann nicht entdecken, aber die Vielfalt der Blickwinkel respektieren und aus die eigene begrenzte Sichtweise gegen eine andere natürlich auf andere Art auch begrenzte Sichtweise tauschen, die alsbald aber auch überwunden wird…im Philosophieren.

10.
Manche „philosophierende Anfänger“ sagen mir: Wie sehr es ihnen Denk – Freude bereitet, in der deutschen Sprache einige tatsächlich in die Tiefe führende Worte und Begriffe mit neuem Erstaunen wahrzunehmen und dann philosophierend „auseinanderzunehmen“.
Immer wieder wird dann das Verb „Aufheben“ genannt, das sich als „hoch-heben“, aber auch „ungültig machen”, aber auch als „bewahren“ zeigt. Hegel liebte das Verb aufheben sehr.
Oder: Wiederholen: Ich hole etwas wieder …hole es in meine Gegenwart hinein. Oder auch: Ich repetiere eine alte Erkenntnis, wiederhole übend ein Klavierstück. Oder: Ich besorge, hole mir, etwas Verlorenes wieder…
Oder man denke an das Verb gedenken, das etwa bei Walter Benjamin die Zuspitzung des Ein-Gedenkens erhält. Und damit kann gemeint sein: Das Erinnerte in den eigenen Geist hin-ein-nehmen, also nicht bloß oberflächlich etwas Vergangenes zur Kenntnis nehmen, also bloß historisch – faktisch an Daten denkend gedenken, sondern eben ein-gedenken, d.h. das Erinnerte mit dem eigenen Geist verbinden, das Erinnerte in den eigenen Geist, ins eigene Leben, in die eigene Gefühlswelt hineinnehmen… Sich hineinversetzen….

11.
Oder man philosophiere gerade bei einem Aufenthalt als Tourist im Ausland über „den Fremden“. Wenn ich über die deutsche Grenze gehe, bin ich im Ausland. Dann bin ich in der Fremde, bin ich ein Fremder. Früher mietete man in Pensionen „das Fremdenzimmer“. Aber auch innerhalb Deutschlands, meiner “Nicht – Fremde”, kann ich schnell in der Fremde sein und zum Fremden werden: Ich fühle mich entsetzlich fremd unter religiösen Fundamentalisten aller Konfessionen und Religionen, ich fühle mich absolut fremd unter klassischen Nazis und den nur noch auf die Machtübernahme sinnierenden Nazis der AFD. Fremd können mir auch einige Familienmitglieder werden. Und dann folgt eine andere philosophierende Wahrnehmung: Wer Fremde, etwa Flüchtlinge, als die Anderen, die „nicht zu mir/uns gehören“, in „meinem“ Land als Bedrohung erlebt und diese Menschen rausschmeißen will, vergißt: Dieser nationalistische Feind aller Fremden ist selbst fast überall – auch in seiner eigenen Selbstwahrnehmung – ein Fremder. Wer dann noch weiter denkt, dem zeigt sich wie eine politische Forderung: Es kommt darauf an, Gesellschaften und Staaten so zu gestalten, in der alle Menschen human und gleichberechtigt leben können, im Wissen, dass jeder und jede eigentlich fast immer  fremd oder befremdlich ist: Zunächst ist jeder Mensch ein Fremder, durch Verständnis und Toleranz kann jeder remde zum Freund werden.
In dieser ungerechten Welt ist es üblich, dass es “wertvolle Fremde” gibt, also finanzstarke Fremde, zu denen die Europäer oder die Nordafrikaner gehören, die weltweit explizit als Fremde auftreten können und dann auch erwarten, dass sie im Gastland etwa in Peru oder Ghana als Menschen gut behandelt werden. Nur haben diese „wertvollen Fremden“ sich mit ihrem Geld das Recht erobert, ohne Mühe wieder aus den Ländern des globalen Südens , Peru oder Ghana, ausreisen zu können. Die „demokratischen“ Gesetze der „wertvollen Fremden“ verbieten es aber ihren Gastgebern im globalen Süden, ihrerseits problemlos zu reisen und sich in der Fremde niederzulassen.

12.
Auch das ist zentral beim Philosophieren im Urlaub: Es ist die überraschende Kraft der menschlichen Vernunft: Wir denken etwas, und und gleichzeitig schaut unsere Vernunft auch noch begrifflich auf unser Denken und ihr Resultat: Und stellt die Frage: Stimmt das Wahrgenommene und Gedachte und Erkannte? Unser philosophierendes Denken korrigiert sich also von selbst, man muss es nur zulassen, um immer wieder neue Wahrheiten zu entdecken.

So wird unser Leben zu einem Unterwegssein … zu immer neuen Erkenntnissen oder auch Wahrheiten, die vielleicht umgriffen sind von dieser bleibenden Wahrheit: Der Mensch sollte nie stagnieren, sich nie fixieren. Er sollte also immer ein Reisender sein. Die Alten, die religiösen Menschen zumal, sagten: Der Mensch ist immer ein Pilger.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Exzentrisch, asketisch, spirituell: Zum 100. Todestag des Komponisten Erik Satie am 1. Juli 2025

Ein Hinweis von Christian Modehn am 28.6.2025

1.
An Erik Satie (17.5.1866 – 1.7.1925) erinnern: Den Musiker und Komponisten, den Menschen, den so viele für skurril und rätselhaft hielten und halten, der aber auch so viele begeistert mit seiner Musik …. des minimalen Klangs, der irritierenden Einfachheit, der Mißachtung üblicher musikalischer Regeln. Satie zeigt sich immer wieder als eigenständiger, Ungewohntes und Ungehörtes schaffender Komponist, er ist keiner „Schule“ verpflichtet und verzichtet auf brillante oder schillernde musikalische Effekte… darüber ist viel geschrieben worden. Wir zitieren nur den einen Satz: „Die aufscheinende Skepsis Saties gegenüber etablierten Vorstellungen vom musikalischen Kunstwerk hat spätere Künstler bis hin zu John Cage nachhaltig beeinflusst.“ Zitat siehe: LINK.

2.
Wir wollen auf den Esoteriker hinweisen, und dazu gehört auch: an den eher unbekannten Kirchengründer Eric Satie erinnern. Zunächst in enger Verbindung mit den esoterischen „Rosenkreuzern“ suchte Satie seinen eigenen Weg: Er verließt diese Gemeinschaft und gründete 1893 seine eigene Kirche und gab ihr den etwas schwierigen und durchaus mysteriös klingenden Titel: „Église Métropolitaine d’Art de Jésus Conducteur“, „Metropolenkirche der Kunst von Jesus dem Lenker“. Kirchen zu gründen war in Frankreich keine Seltenheit: Intellektuelle, Schriftsteller und Künstler wollten sich vom herrschenden dogmatischen und weithin monarchistisch gesinnten Katholizismus absetzen und gründeten eigene Kirchen-Gemeinschaften. Satie zeigt sich also nicht nur in seinen Kompositionen, auch in seiner Kirchen-Gründung und seiner Messe als mutiger, Konventionen sprengender Individualist. Siehe auch Fußnote 1.

3.
Es gehört zum exzentrischen Charakter Erik Saties, dass er das einzige Mitglied seiner Kirche blieb und wohl auch bleiben wollte; er gab zwar sein Gemeindeblatt heraus, aber er fand keine Mitglieder und wollte wahrscheinlich auch keine um sich sehen in seinem Haus, der „Kirchenzentrale“ in Arcueil bei Paris. Aktuelles Foto: LINK.

4.
In diesem spirituellen Erleben komponierte er um 1895 eine von ihm selbst so bezeichnete „Messe der Armen“, weil er sich selbst als Asket, als Künstler „am Rande“ verstand. Satie hatte offenbar für sich selbst ein Gelübde der Armut ausgesprochen, einer Armut, die er selbst in seinem Lebensstil zeigte.
Mit der ihm vertrauten mondänen Welt von Montmartre und ihren Vergnügungen hatte er offenbar gebrochen. Olivier Messiaen hat diese Messe zuerst aufgeführt. Sie enthält von den üblichen Gebeten (den „Ordinarien“) der römisch – katholischen Messe lediglich das Kyrie, hingegen aber auch Gebete, etwa speziell „für die Reisenden und die Seeleute in Todesgefahr“ und zum Schluß auch ein „Gebet für meine Seele“. Diese Satie – Messe hat den Untertitel, offenbar an Gott adressiert: „Intende Votis supplicum“, „Sei bedacht auf das Flehen des Gebetes.“

5.
Die spirituelle Prägung Eric Saties könnte uns inspirieren, seine Musik, seine Klaviermusik, etwa die „Gnossiennes“ auch als Ausdruck einer ungewöhnlichen, nicht – dogmatischen Frömmigkeit zu hören und zu verstehen. Und musikalisch ins Meditieren zu kommen.

Fußnote 1: LINK

Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon

Das Bode- Museum in Berlin als ein heilender Ort.

Wenn Museen mehr sind als „Orte der Besichtigung“
Ein Hinweis von Christian Modehn.

1.
Das religiöse Erleben in Europa verändert sich weiter: Jetzt wird in Berlin das prächtige „Bode-Museum“ als Ort der ganzheitlichen Heilung entdeckt und als solcher gestaltet. Museen, einst (nur) Orte der Bewahrung und Besichtigung alter oder neuer Kunst, im Schlendern ein bißchen neugierig begangen, entdecken nun eine durchaus neue , ungewöhnliche kulturelle und explizit therapeutische Aufgabe, eine ungewöhnliche „Mission“ könnte man sagen.
In einem Raum des Bode-Museums können es sich die BesucherInnen auf eigens bereitgestellten Kissen bequem machen, sie sollen die Bilder und Skulpturen längere Zeit betrachten, danach die Augen schließen, in ihr Selbst, die Seele, hinein hören, meditieren, Abstand nehmen vom Alltag und die heilende Kraft einer Madonna oder einer Buddha-Statue wahrnehmen… und – nach längerer Pause im Museum – beschwingter den Heile-Raum verlassen…Zum Bode-Museum: LINK

2.
Ein Saal des Bode-Museums – zunächst, vielleicht werden es noch mehr ? – ist eine Stätte seelischer Beruhigung und möglicherweise Selbstheilung: Kunst soll die mentale Gesundheit verbessern, heißt der Auftrag. Voraussetzung ist: Im Museum selbst einüben, langsamer zu leben, bedächtiger zu sehen, Kontemplation im Museum also. Die Räume des Bode-Museums sind dafür gut geeignet. Kunst soll seelisch Belastete, Kranke, trösten, sagen die Verantwortlichen, die mit kompetenten medizinischen Einrichtungen, wie der Charité in der Nachbarschaft, zusammenarbeiten. Allerdings, berichtet Hanno Rautenberg in DIE ZEIT (28.Mai 2025, S. 43), wird als Heilungsprozess im Bode-Museum vor allem die Heilung der individuellen Seele angestrebt. Dass die Begegnung mit Kunst immer auch zur Mobilisierung der Veränderung der meist miserablen Welt führen sollte, wird dabei offenbar eher als zweitrangig angesehen. Aber welche Kunst heilt? Wer wählt nach welchen Kriterien heilende Kunst für sein Museum aus? Spielt dabei dann doch Kunst aus der explizit religiösen (auch christlichen) Welt eine Rolle? Anders gefragt: Könnten wir auch politisch konnotierte Bilder von George Grosz oder Edvard Munch (“Der Schrei”) als Impuls zur seelischen Heilung wahrnehmen?

3.
Rautenberg meint auch, im Bode – Museum werde im Rahmen dieser „Kunsttherapie im Museum” ein „Glaube ohne Gott“ befördert: Offenbar ein transzendentes Schweben ohne Ziel (Göttliches, Ewiges). Was möglich, aber nicht in jedem Fall so eingeschränkt gestaltet werden muss.
Der protestantische „liberale Theologe“ Friedrich Schleiermacher in Berlin war einer Verteidiger der „Kunst-Religion“: In seinen „Reden über die Religion“ von 1799 spricht er von Kunst – Religion, wenn „der Kunstsinn für sich allein übergeht in Religion“ (166 f), etwa wenn ein Kunstwerk den Betrachter, Hörer, Leser gleichsam aus eigener ästhetischer Kraft dazu bringt, „sich über das Endliche zu erheben“ (167). Zur Kunstreligion: FUßNOTE 1.

4.
Nun also: Museen als Tempel der seelischen Heilung. Wenn daraus ein Trend wird, was nicht auszuschließen ist, wenn denn die Kuratoren der Museen diese Kompetenz weiter entwickeln: Dann wird bildende Kunst heilsam; Musik gibt es schon seit langem als Therapie in Gruppen oder auch als individuelle Therapie der Musik-Erlebenden, Hörenden: Auch Literatur ist seelisch heilsam, eine entsprechende Forschungs-Richtung hat sich längst etabliert. LINK. Und Hegel hat sogar gewagt zu sagen: (Seine) Philosophie sei Gottesdienst, so in “Vorlesungen über die “Philosophie der Religion”, Suhrkamp, Bd. 16, dort S. 28. In unserem Beitrag die Nr 19. im LINK 

5.
Die Kirchen und ihre dort stattfinden Gottesdienste können auch aufgrund der aktiven Präsenz von anderen, also der Gemeinschaftserfahrung, und der Riten und Symbole, ebenfalls heilende Orte sein. Grundsätzlich mag das gelten. Aber die oft sehr  schnell „absolvierten“, in der offiziellen Sprache: „zelebrierten“ Messen in katholischen Kirchen haben wohl nur sehr bedingt einen heilsamen, beruhigenden Charakter. Die zwanghaft immer gleiche Gestalt der Liturgie in der Messe hat etwas Lähmendes, man möchte sagen für TeilnehmerInnen Langweiliges. Es sind sozusagen Theateraufführungen, die immer derselben Struktur folgen. Die Teilnahme an diesen Messen (wie an den klassischen evangelischen Gottesdiensten, ebenfalls in starrem Ritus) nimmt bekanntlich ständig ab, ein Beweis, dass diese Veranstaltungen von sehr vielen Christen als nicht mehr heilsam erlebt werden.
In jedem Fall haben die Kirchen nun durch die „heilenden Museen“ etwas Konkurrenz bekommen. Schon komisch: Die Kirchengebäude in Deutschland, zumal die protestantischen, sind außerhalb der Gottesdienste meist verschlossen, aber sonst gratis zu betreten. Die „heilenden Museen“ haben feste Öffnungszeiten und verlangen Eintrittsgebühren: Aber dorthin gehen viele Menschen gern. Eine Mode? Gewiss nicht: Die heilenden Museen sind wohl ein weiterer Beleg für den tiefgreifenden religiösen Wandel in Europa. Und nebenbei: Die Verantwortlichen in den Museen heißen Kuratoren. Der Priester in den katholischen Gemeinden etwa heißt „Kuratus“, in Frankreich „curé“. Vielleicht wird es Zeit, dass sich der Kurator und der Kuratus, also die KuratorInnen und PfarrerInnen, auch die Curés, zusammensetzen und Gemeinsames und Trennendes austauschen. Viele Kirchenbesucher, Touristen in Scharen der Kathedralen, erleben die „Gotteshäuser“ ja längst als Museen, in denen sie sich fremd fühlen und so fragte man mich in Berlin kürzlich in einer Kirche: Wer hängt denn da am Kreuz? Etwas mehr Bildungsarbeit in ihren Kirchen als Museen während der Woche und am Sonntag täte gut. Zu “Rezeption” der nun wieder restaurierten Dorfkirchen in Brandenburg: LINK.

6.
Wer das Bode – Museum besucht sollte nicht versäumen, die Ausstellung „Der Engel der Geschichte“ anzuschauen und sich danach, davor, wie auch immer, in einen philosophischen Text Walter Benjamins genau zum Thema vertiefen. LINK

FUßNOTE 1:

Die „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders“ (1797 sind Gemeinschaftsprodukt von Wilhelm Heinrich Wackenroder (1773–1798) und Ludwig Tieck (1773–1853), dieses Buch “kann als die erste und wichtigste Programmschrift der Kunstreligion gelten (wenngleich der Ausdruck selbst noch fehlt). In Aufsätzen eines fiktiven Mönchs wird darin geschildert, wie verschiedene Protagonisten von Werken der Musik oder der bildenden Kunst (namentlich von den Renaissancekünstlern Dürer, Michelangelo, Raffael und Leonardo) in einen Zustand der Erhebung versetzt werden, der unverkennbar Züge religiöser Kontemplation trägt, auch wenn dabei bestimmte christliche Glaubensinhalte keine konstitutive Rolle spielen.” Quelle: LINK

Sehr viel ausführlicher hat sich der “liberale Theologe” Prof. Wilhlem Gräb (+ 2023) in seinem Buch “Vom Menschsein und der Religion”, Tübingen 2018, auf den Seiten 247-303 zum Thema “Kunst und Religion” geäußert. LINK 

Copyright: Christian Modehn Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

 

 

 

 

 

Augustinus, ein problematischer Heiliger, ein rigider Theologe der spätantiken Welt

Hinweise von Christian Modehn am 26. Mai 2025

Siehe auch unseren Beitrag zur Theologie Augustins: “Für eine Befreiung von der Theologie Augustins” vom 10.6.2025: LINK

1.
Mehr als ein paar kritische theologische und philosophische Stichworte zum Denken Augustins (354-430) (und den nach ihm benannten Ordensgemeinschaften) werden hier nicht mitgeteilt. Sie laden ein, weiter zu studieren. Das riesige Werk von Augustinus umfasst 26.000 Buchseiten und 5,2 Millionen Worte: FUßNOTE 1.  Augustin war und ist einer der großen, der viel zu oft zitierten, viel zu oft studierten Theologen der Kirchen. Luther und Calvin schätzten ihn, Blaise Pascal und Karl Barth, um nur etwas die Wirkungsgeschichte anzudeuten. Man möchte sagen: Theologisch konservative Theologen waren mit Augustinus eng verbunden. Augustinus – klingt immer konservativ, innerlich, elitär.

2.
Dieser Hinweis wird publiziert, um vor einer neuen spirituellen Begeisterung für die Theologie und Spiritualität Augustins zu warnen. Denn es ist mehr als wahrscheinlich, dass angesichts des Papstes Leo XIV., Mitglied des Augustinerordens, (OSA, dies ist die die offizielle Abkürzung dieses Ordens) bald Sentenzen und Florilegien oder Ähnliches aus dem Gesamtwerk Augustins allüberall erscheinen. Zuletzt legte der große Philosoph und ehemalige Jesuit Ladislaus Boros ein spirituelles Augustin – Lese- Buch vor: „Aufstieg zu Gott“, Olten, 1982.

3.
Papst Leo XIV. hat in seinen ersten Ansprachen stets sehr nachdrücklich auf den heiligen Augustinus verwiesen. Er nannte sich sofort als Papst „ein Sohn des heiligen Augustinus“, was insofern mit einer leichten Ironie zu verstehen ist, denn der heilige Augustinus selbst hatte einen leiblichen Sohn mit Namen Adeodat, „der von Gott Gegebene.“ Der Name der Mutter, mit der Augustinus viele Jahre zusammenlebte, ist weder von ihm noch einem Zeitgenossen überliefert. Ein Beispiel für die Geltung von Frauen? Monika, die katholische Mutter Augustins, wurde von ihrem Sohn immer wieder erwähnt und sehr verehrt. Zu Adeodat: Fußnote 2.

4.
Es ist aber sehr beachtlich, dass der Augustinus – begeisterte Papst Leo XIV. selbst schon am 18.Mai 2025 in seiner ersten großen, wichtigen Predigt zur Amtseinführung betonte: “Es geht niemals darum, andere durch Zwang, religiöse Propaganda oder Machtmittel zu vereinnahmen, sondern immer und ausschließlich darum, so zu lieben, wie Jesus es getan hat.“ Und der Augustiner Papst Leo XIV. machte diese Aussage noch deutlicher: „Wir sind gerufen, allen Menschen die Liebe Gottes zu bringen, damit jene Einheit Wirklichkeit wird, die die Unterschiede nicht aufhebt, sondern die persönliche Geschichte jedes Einzelnen und die soziale und religiöse Kultur jedes Volkes zur Geltung bringt.“ Das sind hoffentlich programmatische, man möchte beinahe sagen: anti – augustinische Worte. LINK

Der Augustiner Papst Leo XIV. widerspricht also der höchst problematischen Weisung des Bischofs Augustinus, man solle die unwilligen Menschen auch zwingen, den Glauben anzunehmen… Augustinus bezieht sich dabei auf das Gleichnis Jesu vom großen Gastmahl (Lukas14,23). Dieses Wort Jesu ist eine Einladung fremder Gäste zu einem Festmahl, es hat aber nichts mit zwanghafter Einfügung von Ketzern in die katholische Kirche zu tun, wie Augustinus dieses Jesuswort umdeutete. Augustinus versteht es als „Aufforderung zur Gewaltanwendung und er verwendet es neben anderen Argumenten als Beleg zur Billigung von Gewaltmaßnahmen gegen Häretiker. Das von Augustinus  verwendete Zitat hatte für die Ketzerbekämpfung in Mittelalter und Neuzeit verheerende Wirkung.“ LINK:

5.
Damit ist eine nicht akzeptable Überzeugung Augustins erstmal durch päpstliches Wort hoffentlich erledigt und in die Archive verbannt. Die Frage aber bleibt, wie wird der Augustinerpapst Leo XIV. mit anderen problematischen theologischen Äußerungen seines Meisters Augustin umgehen. Augustiner sind eher Theologen der Mitte, des Ausgleichs, nicht der radikalen Veränderung: Luther war in dieser (!) Hinsicht anders…

Grundlegendes gilt für alles Augustinus – Studium: Kurt Flasch, der große Philosoph und Augustinus – Kenner und Augustinus – Forscher, hat zum richtigen Verständnis Augustins darauf hingewiesen: Erst nach der Taufe Augustus im Jahr 387 liegen uns Texte Augustins vor. Bis zum Jahr 397 war Augustin dem freien, vernünftigen philosophischen Denken (etwa Ciceros) eng verbunden. Er respektierte den menschlichen Willen, sah im menschlichen Verstand die Garantie der humanen Selbständigkeit.

Im Jahr 397 hingegen verfasst Augustin seine Schrift, die er dem Mailänder Bischof Simplician widmete: „Quaestiones ad Simplicianum“, „Fragen an Simplicianus.” Damit will er betonen: Es gibt eine Korrektur des eigenen theologischen Denkens bei ihm: hin zu einer rigiden Theologie der durch Gottes Gnade Erwählten. Kurz vor seinem Tod verfasst Augustin seine Revisionen zum eigenen Gesamt – Opus, „Retractationes“ genannt. In der Schrift von 397  entwickelt er seine zentrale Lehre von der göttlichen Gnade: Sie wird von Gott einigen Erwählten gewährt, vielen aber nicht. So wurde charakteristisch für Augustins Verständnis der Kirche: “Die grundlos freie Berufung einer kleinen Anzahl von Menschen zum ewigen Heil…“ (Kurt Flasch, Das philosophische Denken im Mittelalter, Reclam Verlag, 2020, S.40).

6.
Erbsünde:
Zu dem Thema ERBSÜNDE, einem entscheidenden Mittelpunkt der Theologie des Bischofs Augustinus, hat der religionsphilosophische Salon schon etliche Essays vorgelegt. Und dabei an die verheeren Folgen dieses Dogmas erinnert: LINK. Dabei haben wir uns vor allem auf die zahlreichen gründlichen Studien des unabhängig forschenden Philosophen und Philosophiehistorikers Prof. Kurt Flasch bezogen. Wir plädierten damals für die Abschaffung des Dogmas der Erbsünde: Denn die sogenannte Erlösung durch Jesus Christus lasse sich auch ohne diese leib – und sexfeindliche Erbsünden-Lehre Augustins entwickeln und verstehen. Augustinus hat seinen theologischen Gegner, Bischof Julian von Eclanum, aufs heftigste bekämpft…(Fußnote 3)
Wir wollen hier zum Thema Thema Erbsünde einige persönliche Worte Kurt Flaschs zitieren, aus einem Interview, das die Redakteurin im Deutschlandfunk, Christiane Florin im Jahr 2021, mit ihm führte: Zuerst erinnerte Kurt Flasch daran, dass nach den ausführlichen Studien der Paulusbriefe Augustins Überzeugung verstärkt wurde: Der Mensch sei verworfen, wegen der Erbsünde. Und dann sagte Flasch, nicht ohne Erregung bei diesem seinem Spezial-Forschungsthema: „Also ich kritisiere den Gott, der eine tyrannische, antihumanistische Wendung nimmt. Das ist bei Augustin so. Der späte Augustin ist antihumanistisch – wegen seiner Erbsündenlehre. Die `Augustinisten“ (die Pro – Augustin argumentierenden Forscher, CM) waren sauböse gegen mich. Das kann man schon sagen – und mit den merkwürdigsten Mitteln. Allein schon deswegen, weil ich Augustin als einen sich entwickelnden Mann dargestellt habe, als einen, der verwirft und selbst als Irrtum bezeichnet, was er bis 397, also schon im reifen Alter, gelehrt hatte. Nicht nur seine heidnische Zeit, sondern gerade seine frühchristliche Zeit hat er verurteilt. Und er hatte dann diesen Willkürgott, wie ich sage, also diesen Welttyrannen. Ja, die Augustinisten waren böse auf mich“. LINK

7.
Weltgestaltung
„Ein konkretes Programm christlicher Weltumgestaltung gar im Sinne einer Anleitung zur Ergreifung der politischen macht durch die Kirche, gar auch den Bischof von Rom, lag Augustins Denken fern“ (Flasch, Das philosophische Denken… S. 52). Augustins Buch „Der Gottesstaat“ enthielt keine Geschichtsphilosophie und keine politische Ethik. Aber das Buch verstärkte die Tendenz, den Sinn des Lebens im Jenseits zu suchen und alle irdischen Instanzen diesem jenseitigen Sinn unterzuordnen. Die irdischen Vertreter des jenseitigen Lebenssinns, also der Klerus, profitierte von dieser Instrumentalisieren des gesamten irdischen Lebens. (Ebd. . 55).

8.
Auch das Thema „Augustinus und die Frauen“ zeigt einen problematischen und heute nicht mehr vermittelbaren Augustinus. Eine Konferenz des Augustinus – Instututes des Ordens in Würzburg hatte im Jahr 2004 über „Augustins Wertschätzung der Frau“ veranstaltet. Die evangelische Theologin Larissa Carina Seelbach fasste ihre Ausführungen zusammen: „Obwohl Augustin die Unterordnung der Frau im Rahmen der etablierten Rollenverteilung nicht aufgeben wollte und an keiner Stelle eine radikale Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse forderte, erkannte er jedoch immerhin die geistige Ebenbürtigkeit der Frau. Denn für die Gottebenbildlichkeit des Menschen als «homo» trägt die reale körperliche Erscheinungsform von Mann und Frau und das soziale Gefälle zwischen beiden ja nichts aus. Die Gottebenbildlichkeit findet sich nicht im Körper, sondern im Geist von männlichen und weiblichen Menschen gleichermaßen. Folgendes lässt sich festhalten: Augustin vereinte in seiner Theologie seine persönliche Wertschätzung gegenüber Frauen mit den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen seiner Zeit samt deren Forderung nach weiblicher Unterordnung. Wegweisend ist, dass der einflussreichste Denker der Alten Kirche die Frau in ihrem Verhältnis zu Gott gleichgestellt sah. Gemessen am heutigen Verständnis von Gleichberechtigung wirken Augustins Bemühungen allerdings kaum bahnbrechend. Es bleibt jedoch kurzsichtig, das Frauenbild des Kirchenvaters auf ein Motto wie „Die Last mit der Lust“ bzw. „Ein Leben zwischen Lust und Liebe“ zu reduzieren. Aus seiner Zeit heraus hat Augustin ganz Entscheidendes für ein neues Verständnis der Gleichwertigkeit von Mann und Frau geleistet, denn er bestand auf der damals durchaus bahnbrechenden Feststellung: „Das weibliche Geschlecht ist ja kein Gebrechen, sondern Natur.
Eine wohlwollende Interpretation … im Augustinus – Institut des deutschen Augustiner…   LINK :

9.
Der Orden:
Hinsichtlich der Beschreibung der spezifischen Spiritualität des Augustinerordens bleiben die Erklärungen aus dem Orden selbst und auch von dem Augustinus- Fan Papst Leo XIV., der selbst etliche Jahre als oberster Prior den Orden leitete, eher sehr vage: Immer wieder wird auf das gemeinsame Leben der Ordensbrüder verwiesen, auf den Respekt der verschiedenen Begabungen, die Suche nach Einheit bei aller Verschiedenheit der Charaktere usw. Dabei wird auch daran erinnert, dass Augustinus nicht der Gründer des Ordens ist, der Orden wurde erst Mitte des 13. Jahrhunderts von Päpsten (!) gegründet und nach dem Vorbild der Franziskaner und Dominikaner als Bettelorden organisiert.

10.
Der Augustinerorden und der Augustiner Martin Luther
Der Reformator Martin Luther war Mitglied des Augustiner Ordens, damals noch offiziell „Augustiner Eremiten“ genannt. Die Zustände in den meisten Klöstern im 16. Jahrhundert, nicht nur bei den Augustinern, waren bekanntlich alles andere als vorbildlich, kein Wunder, dass viele Mönche die von Luther eröffnete Freiheit nutzten und das Kloster verließen und – wie Luther selbst – heirateten. Dadurch kam es zur Schließung vieler Klöster. Man kann sich als Beobachter nicht des Eindrucks erwehren, dass die Augustiner – etwa in Deutschland – darunter litten und leiden, dass ausgerechnet aus ihrem Orden in katholischer Sicht die Kirchenspaltung geschah. Deswegen sind sie angesichts der Hierarchie theologisch nicht die Mutigsten, Fortschrittlichsten. Luther als Erneuerer der Christenheit zu sehen unf so zu verkünden, liegt ihnen fern. Und der Orden OSA erklärt selten, warum es zwei Augustiner – Reform-Orden aus dem 16. Jahrhundert (bis heute) gibt: Die “Augustiner – Rekollekten” (OAR) und die “Augustiner- Barfüßer” (OAD). Weil der Orden OSA selbst in Spanien höchst reformbedürftig war.
Der Generalobere des Augustinerordens (OSA) in Rom, Pater Alejandro Moral, nahm 2017, im Luther – Gedenkjahr, Stellung:Der Augustinerorden bewertet die Reformation durch sein früheres Mitglied Martin Luther kritisch. Der Wittenberger Theologe habe sich nicht nur persönlich von den Augustinern abgewandt, sondern das Ordensleben an sich “mit aller Kraft verdammt” und eine Massenflucht aus den Klöstern mitbefördert. “Der Schaden für den Orden und das religiöse Leben in Deutschland war enorm”, schreibt der Generalprior des Augustinerordens, Alejandro Moral Anton, in einem Beitrag der Vatikanzeitung “Osservatore Romano.“
Der Augustiner – Orden habe “keinen Grund, den Beginn der Reformation vor 500 Jahren zu feiern, aber sicher, an ihn zu erinnern”, so Pater Moral. Der Ordensobere verwies auf “positive Aspekte”, die daraus entstanden seien – wie die Aufwertung des Individuums, die zentrale Stellung der Bibel und eine volksnahe Liturgie, aber auch die Entwicklung des Gemeinsinns und eine “gesunde Laizität”. Auch ein zentraler Punkt in Luthers Denken, die Gnade in der Rechtfertigungslehre, liege “in der augustinischen Linie“. Luther habe zweifellos eine “religiöse Krise” ausgelöst. Diese habe den Grund “zwar nicht für einen Laizismus, aber für den Prozess der Säkularisierung und der Geburt eines neuen Europa” gelegt. Der Ordensobere betonte zugleich, Luther habe bis 1521 mit “Martin Luther, Augustiner” unterzeichnet, bis 1524 sein Ordensgewand getragen und bis ans Lebensende Gewohnheiten seines Klosterlebens beibehalten. (veröffentlicht am 26.10.2017  katholisch.de).

Dass sich Augustiner innerhalb der Ökumene für eine versöhnte Verschiedenheit der verschiedenen Kirchen einsetzen ist also – bis jetzt – nicht bekannt. Sie studieren lieber höchst ausführlich das uralte Opus ihres Meisters Augustinus auch in einem eigenen Institut in Rom. Muss man ja machen: Aber ist der “Blick in die Vergangenheit” am dringendsten?

11.
In Deutschland gehören noch 32 Priester dem Augustinerorden an, in Österreich sind es drei, in Holland vielleicht noch fünf, das Durchschnittsalter wird offiziell nicht genannt. Die belgische Augustinerprovionz konnte ihr Überleben retten durch die Einreise von jungen Augustinern aus Togo und Benin, sie sind heute in Belgien bestimmend. Zentrum des Ordens in Deutschland ist Würzburg: Dort haben sie vor einigen Jahren ihre große Kirche ganz neu gestaltet, und das verdient Anerkennung. LINK
Auch wenn im Augenblick kein deutscher Augustiner als „bekannter Theologe“ oder als „Augustinus-Forscher“ hervortritt: Sehr sympathisch und für katholische Verhältnisse durchaus mutig ist, dass zwei Würzburger Augustiner sich explizit der katholischen Bewegung „Outinchurch“ für einen gerechten Umgang mit homosexuellen Priestern, Ordensfrauen, Pastoralreferenten usw. angeschlossen haben.
Der bekannteste aus Deutschland stammende Theologe des Augustinerordens war übrigens der Berliner Gregory Baum (1923-2017), der als Jude in Kanada konvertierte und dort dem Orden beitrat, später aber wieder austrat, und in einer letzten Publikationen in Montréal sich – endlich wie einige dort sagen – als queer outetete. Gregory Baum war auf dem 2. Vatikanischen Konzil tätig in der Kommission „Dialog mit Juden“. LINK

12.

Man mag es  augustinische “Ausgewogenheit” und “Liebe zur Mitte” und “Wohlwollen gegen alle” nennen, wenn jetzt bekannt wird: Papst Leo XIV. schickt den bekanntermaßen extrem reaktionären Kardinal Sarah, den expliziten Papst – Franziskus FEIND,  zu volkstümlichen folkloristischen Feierlichkeiten zu Ehren der heiligen Anna in die Bretagne. Wenn das so weitergeht… LINK zu Sarah in der Bretagne:  LINK zum reaktionärsten aller Reaktionären Kardinal Sarah.

Fußnote 1:
Das hat der Historiker Prof. Otto Wermelinger, Fribourg, 1982, mitgeteilt, vielleicht ist der Umfang der Augustinustexte jetzt noch größer geworden. Quelle: Orientierung, Jesuitenzeitschrift, Zürich, 1982, Seite 249).

Fußnote 2:
„Sohn des heiligen Augustinus“. Ein gewagtes Wort für Leute, die wissen, dass Augustinus vor seiner Bekehrung zum katholischen Glauben, in einer heterosexuellen, 13 Jahre dauernden Beziehung lebte, sein wirklicher. Sein leiblicher Sohn hieß „Adeodat“, d.h.: der von Gott – Gegebene.
Adeodat starb 390 im Alter von 18 Jahren. Er wurde wie sein Vater Augustinus 387 in Mailand getauft. Seine „Lebensgefährtin“ wurde von der damals schon katholischen Mutter Augustins, Monnika, nach Afrika zurückgeschickt, sie wollte ihren Sohn – mütterlich besorgt – lieber mit einer katholischen Frau verheiraten. Aber das gelang nicht. Sexualität war dann Augustins Sache nicht mehr. Er wurde Priester und dann Bischof von Hippo in Nordafrika, im heutigen Algerien Anaba. .
Im Augustiner – Orden wurden Adeodat und seine Mutter eher verdrängt: „Das Schweigen über Adeodat und seine Mutter, eine Konkubine, rührte möglicherweise daher, dass sie auf erschreckende Weise an die relativ ungezügelte Lust Augustins in seinen frühen Jahren erinnerten – etwas, das auch von christlichen Schriftstellern über Jahrhunderte hinweg übergangen wurde. Zu diesen Autoren gehörten Mitglieder des Ordens des Heiligen Augustinus, die Augustinus als Vorbild für das Leben in einer religiösen Gemeinschaft darstellen wollten und nicht als jemanden, der fehlbar sei.“ Quelle: LINK         Nebenbei: Immerhin nannten sich im 7. Jahrhundert zwei Päpste Adeodat.

Fußnote 3: Zum Kampf Augustins gegen seinen theologischen Gegner Bischof Julian von Eclanum: Siehe die wichtuge Studie :”Kampfplätze der Philosophie. Große Kontroversen von Augustin bis Voltaire”, von Kurt Flasch, dort die Kapitel I und II, Verlag Vittorio Klostermann, 2008, S. 11- 42.

Die in unserer Sicht beste kurze Einführung zu Augustin: Kurt Flasch, „Einführung in sein Denken“. Reclam Verlag, 1994, 480 Seiten, leider nur noch antiquarisch zu haben.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.