Willkommen im Religions-Philosophischen Salon Berlin

Der Religionsphilosophische Salon Berlin ist seit 2007 eine Initiative von Christian Johannes Modehn und Hartmut Wiebus.

Gründer und Initiatoren des „Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin“ sind:

Christian Modehn,  1948 in Berlin – Friedrichshagen geboren, nach dem Abitur am Goethe -Gymnasium in Berlin – Wilmersdorf, Studium der katholischen Theologie (Staatsexamen nach 6 Jahren Studium in München, St. Augustin bei Bonn bzw. Universität San Anselmo, Rom) und Philosophie (Magister Artium in München, über Hegel). Christian Modehn arbeitet seit 1973  als freier Journalist über die Themen Religionen, Kirchen und Philosophien, für Fernseh- und Radiosender der ARD, sowie für die Zeitschrift PUBLIK – FORUM, sowie früher auch für “Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt” (Hamburg), “Informations Catholiques Internationales” (Paris), “de bazuin” (Utrecht)  usw.. Zur Information über einige meiner Hörfunksendungen und Fernsehdokumentationen klicken Sie bitte  hier.

Hartmut Wiebus, 1944 in Seehausen/Altmark geboren, hat in Berlin (F.U.) Pädagogik (Diplomarbeit über Erich Fromm) und Psychologie studiert, und vor allem als evangelischer Klinikseelsorger gearbeitet.

…………

Seit Beginn der Corona-Pandemie im März 2020 gab es keine öffentlichen Salon – Veranstaltungen (“Präsenz-Veranstaltungen”) mehr, sondern nur Debatten in kleinerem Kreis; hingegen werden oft neue Beiträge als Hinweise zur Debatte auf unserer Website publiziert.

Warum ein religionsphilosophischer Salon?

1.

Der Titel und die „Sache“ „philosophischer Salon“ sind alles andere als verstaubt. Das Interesse an philosophischen Gesprächen und Debatten in überschaubarem Kreis, in angenehmer Atmosphäre (also in einem „Salon“), ist evident.
(Frontal-) Vorträge – etwa in Akademien – vor zahlreichem, weithin bloß zuhörendem Publikum sind oft Ausdruck autoritären Belehrens. Ein Salon ist ein freundlicher Ort des Dialogs.

2.

In unserem religionsphilosophischen Salon soll das Philosophieren geübt werden, also das selbstkritische, systematische Nachdenken. Das Thema Religion wird auch in den heutigen Philosophien ernst genommen. Philosophische Religionskritik hat nicht mehr Sinn zu beweisen, dass Religion bedeutungslos ist, im Gegenteil: Philosophische Religionskritik zeigt, welche Form einer vernünftigen Religion bzw. Spiritualität heute zur Lebensgestaltung gehören kann. Und welche Gestalten von Religion/Kirchen/”Sekten” alles andere als einen befreienden Charakter haben. Der Klerikalismus herrscht ungebrochen in der katholischen Kirche und den orthodoxen Kirchen; im weiten Feld des Evangelischen nimmt die Herrschaft der fundamentalistischen evangelikalen Kirchen ständig. freisinnige, vernünftige christliche Kirchen sind leider marginal (vgl. die Remonstranten). 

3.

Unser religionsphilosophischer Salon ist wichtig angesichts des tiefgreifenden religiösen Umbruchs in Deutschland /Europa. Die Bindung an die Kirchen lässt bekanntlich immer mehr nach. Die so genannte Säkularisierung nimmt zu. Aber Säkularisierung bedeutet gerade nicht automatisch Zunahme des Atheismus. Religionsphilosophische Salons können die Themen der Religionen und das subjektive Bewegtsein durch religiöse Fragen angesichts der Kirchenkrise vernünftig weiterführen, in der Freiheit des Geistes… über den Klerikalismus oder den vielfältigen religiösen Fundamentalismus hinaus.

4.

Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie gibt es nur im Plural, die (Religions-)Philosophien in Afrika, Asien und Lateinamerika dürfen nicht länger als „zweitrangig“ behandelt werden. In welcher Weise Religion dort zum „Opium“ wird angesichts des Elends so vieler Menschen, ist eine besonders relevante Frage, auch angesichts der Zunahme christlicher und muslimischer Fundamentalismen. Dringend wird die Frage: Inwieweit ist philosophisches Denken Europas eng mit dem kolonialen Denken verbunden?

5.

Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phien bieten also in ihren vielfältigen Entwürfen unterschiedliche Hinweise zur Fähigkeit der Menschen, ihre engen Grenzen zu überschreiten und sich dem im Denken zu nähern, was die Tradition Gott oder Transzendenz nennt. Dabei treten diese unterschiedlichen Entwürfe in einen lernbereiten Dialog. In unserem religionsphilosophischen Salon gibt es z.B.ein starkes Interesse am (Zen-) Buddhismus.

6.

Uns ist es wichtig uns zu zeigen, dass Menschen im philosophischen Bedenken ihrer tieferen Lebenserfahrungen das Endliche überschreiten können und sollen und das Göttliche, das Transzendente erreichen können. Das Göttliche als das Gründende und Ewige zeigt sich dabei im Denken als bereits anwesend. Es ist sozusagen unthematisch gegenwärtig im Geist des Menschen.
Wenn der Mensch nach dem Göttlichen fragt, hat er also notwendigerweise „immer schon“ ein gewisses Vorverständnis vom Göttlichen. Dieses „Vorwissen“ gilt, nebenbei, für alles Fragen und Suchen.

7.

Insofern ist Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie auch eine subjektive Form der Lebensgestaltung, d.h. eine bestimmte Weise zu denken und zu handeln.
Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie kennt keine Dogmen, sicher ist nur das eine Dogma: Umfassend selbstkritisch zu denken und alle Grenzen zu prüfen, in die wir uns selbst einsperren oder in die wir durch andere, etwa durch politische Propaganda, durch Konsum und Werbung im Neoliberalismus, eingeschlossen werden. In dieser Offenheit, Grenzen zu überschreiten, zeigt sich die Lebendigkeit der Religions -Philosophie. Philosophieren ist etwas Lebendiges, im Unterschied zu vielen klerikalen Konfessionen ist sie nichts Erstarrtes voller Verbotsschilder

8.

Diese „Entdeckungsreisen“ der Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phien können angestoßen werden durch explizit philosophische Texte, aber auch durch Poesie und Literatur, Kunst und Musik, durch eine Phänomenologie des alltäglichen Lebens, durch die politische Analyse der vielfachen Formen von Unterdrückung, Rassismus, Fundamentalismus. Mit anderen Worten: Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie findet eigentlich in allen Lebensbereichen statt, kann sich von allen „Produkten des Geistes“ (Hegel) bewegen lassen. Wer die Gesprächsthemen anschaut, die wir seit 2007 in den meist monatlichen Veranstaltungen („Salon-Abende“) in den Mittelpunkt stellen, wird von der großen Vielfalt überrascht sein. Bisher fanden ca. 100 Salon-Gespräche statt.

9.

Wo hat unser religionsphilosophischer Salon seinen Ort? Als Raum eignet sich nicht nur eine große Wohnung oder der Nebenraum eines Cafés, sondern auch eine Kunst – Galerie. In den vergangenen 7 Jahren fanden wir in der Galerie „Fantom“ in Charlottenburg freundliche Aufnahme. Zuvor in verschiedenen Cafés. Kirchliche Räume, Gemeinderäume etwa, sind für uns keine offenen und öffentlichen Räume. Sie sind meist nicht sehr „inspirierend“, d.h. sie sind „ungemütlich“, also keine Salons, sondern eher Amtsstuben.

10.

In unserem religionsphilosophischen Salon sind selbstverständlich Menschen aller Kulturen, aller Weltanschauungen und Philosophien und Religionen willkommen. Unser Salon ist insofern hoffentlich ein praktisches Exempel, dass es in einer Metropole – wie Berlin – Orte geben kann, die auch immer vorhandenen „Gettos“ überwinden.

11.

Unser religionsphilosophischer Salon sollte auch ein Ort freundschaftlicher Begegnung und menschlicher Nähe. Darum haben wir in jedem Jahr im Sommer Tagesausflüge gestaltet, mit jeweils 10 – 12 TeilnehmerInnen: Etwa nach Erkner (Gerhart Hauptmann Haus), Karlshorst (das deutsch-russische Museum), Jüterbog als Ort der Reformation, das ehem. Kloster Chorin, Frohnau (Buddhistisches Haus), Lübars… Außerdem gestalteten wir kleine Feiern in privatem Rahmen anlässlich von Weihnachten. Auch ein Kreis, der sich mehrfach schon traf, um Gedichte zu lesen und zu meditieren, hat sich aus dem Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon entwickelt. Aber alle diese Initiativen waren (und sind wohl) mühsam, u.a. auch deswegen, weil letztlich die ganze Organisation von den beiden Initiatoren – ehrnemtlich selbstverständlich – geleistet wurde und wird.

12.

Anlässlich der „Welttage der Philosophie“, in jedem Jahr im November von der UNESCO vorgeschlagen, haben wir größere Veranstaltungen mit über 60 TeilnehmerInnen im Berliner AFRIKA Haus gestaltet, etwa mit dem Theologen Prof. Wilhelm Gräb, dem Theologen Michael Bongardt. Der Berliner Philosoph Jürgen Große hat in unserem Salon über Emil Cioran gesprochen, der Philosoph Peter Bieri diskutierte im Salon über sein Buch „Wie wollen wir leben?“, die Politologin Barbara Muraca stellte ihr Buch „Gut leben“ vor, Thomas Fatheuer von der Heinrich – Böll- Stiftung vertiefte das Thema; der evangelische Pfarrer Edgar Dusdal (Karlshorst) berichtete über seine Erfahrungen in der DDR; der Theologe der niederländischen Kirche der Remonstranten, Prof. Johan Goud (Den Haag), war zweimal bei uns zur Diskussion, öfter dabei waren Dik Mook und Margriet Dijkmans – van Gunst aus Amsterdam…

Am 25.1.2023 notiert: Eine traurige Nachricht, ein großer Verlust für eine moderne “liberale Theologie”: Prof. Wilhelm Gräb, Prof. em. für praktische Theologie an der Humboldt-Universität Berlin,  ist am 23. Januar 2023 in Berlin nach langer Krankheit gestorben. Der Religionsphilosophische Salon Berlin verdankt ihm viele wichtige Anregungen und dankt nochmals auf diese Weise für insgesamt 65 Beiträge und Interviews, die Wilhelm Gräb in mehr als zehn Jahren für diese website gab. LINK.

Ich darf sagen, wir haben einen Freund verloren, der als ein Theologe der heutigen Moderne ungewöhnliche, aber richtige Perspektiven zeigte in seiner großen Aufgeschlossenheit und Freundlichkeit. Für ihn war die religiöse Glaubensform eines jeden Menschen wichtiger als die fixierenden, dogmatischen Lehren der Kirche. Diese theologische Freiheit, alle dogmatische Engstirnigkeit, allen Fundamentalismus auch in der evangelischen Kirche zu überwinden, “beiseite zu tun”, wie Wilhelm gern sagte, ist in ihrem radikalen Mut schon ziemlich einmalig. Ob diese Vorschläge und Ansätze zu einer Reformationen der Kirchen noch ernstgenommen werden, gerade in dieser “Kirchenkrise” ist eine offene Frage… Über seine Verdienste in der Forschung zu Schleiermacher wird später zu berichten sein.

Interessant in dem Zusammenhang das Interview, das uns Wilhelm Gräb 2012 zum Thema TOD und Sterben gab: LINK 

Zur theologischen Besinnung empfehle ich auch unser Interview mit Wilhelm Gräb “Der Gott der Liebe”. LINK:

Über vierzig viel beachtete Interviews mit dem protestantischen Theologen Prof. Wilhelm Gräb (Berlin, Humboldt – Universität) sind auf unserer Website publiziert. LINK.

Die Bilanz, vorläufig, Ende Juni 2022, formuliert: Einige wenige Interessenten außerhalb von Berlin haben die Idee des religionsphilosophischen Salons aufgegriffen. Aber wir können nicht sagen, dass etwa im kirchlichen Bereich, evangelisch wie katholisch, die Idee des freien und undogmatischen und offenen Salon-Gesprächs außerhalb der üblichen kirchlichen Räume (!), also in Café oder Galerien,  aufgegriffen und realisiert wurde. Das ist ein Faktum: Je mehr Christen aus den Kirchen austreten, um so ängstlicher und dogmatischer werden die Kirchen(führer), also auch ihre Pfarrer usw. Der Weg der Kirche in ein kulturelles Getto scheint vorgezeichnet zu sein, zumindest für die katholische Kirche. Tatsächlich haben sich über all die Jahre sehr sehr wenige “Vertreter” der großen Kirchen für unsere Initiative überhaupt interessiert. So konnten wir auch in jeder Hinsicht frei arbeiten!

Hinweis zu unseren Themen:
Eine Übersicht unserer Themen im Salon von Februar 2020 bis 2015 finden Sie hier. Die Themen von 2009 bis 2015 werden demnächst dokumentiert. Genauso wichtig wie die Salonabende sind auch die religionsphilosophischen und religionskritischen Hinweise Christian Modehn, publiziert auf der Website www.religionsphilosophischer-salon.de , bisher sind dort ca.1.300 Beiträge als „Hinweise“ veröffentlicht, mehr als eine Million vierhundertausend „Klicker“ gab es bisher (Stand 27.6.2022).

Der geplante religionsphilosophische Salon am 27.3.2020 über Hegel musste leider wegen der Corona – Pandemie ausfallen. Wir hoffen, dass noch einmal Salon – Gespräche stattfinden können. Sicher auch über Hegel.
Dass die Veranstaltung über Hegel anlässlich seines 250. Todestagesausfallen musste, ist aber besonders zu bedauern. Einige einführende Hinweise zur Philosophie Hegels hatte ich für den 27.3. 2020 vorbereitet, klicken Sie hier. Nach wie vor empfehle ich das große „Hegel-Handbuch“ von Walter Jaeschke, J.B. Metzler Verlag, 3. Auflage, 540 Seiten, nur 24, 90Euro.

Unser letztes Salongespräch fand am Freitag, den 14.Februar 2020 , wie immer um 19 Uhr statt, über das Thema: “Das Kalte Herz”. Mehr als ein Märchen (von Wilhelm Hauff). „Das kalte Herz“ offenbart die “imperiale Lebensweise”. 22 TeilnehmerInnen waren dabei. Leider mussten wir – wie öfter schon – acht Interessierten absagen, weil der Raum eben klein ist und nur eine Gruppe eine Gesprächssituation ermöglicht. Aber das große Interesse, ohne jede öffentliche Werbung, allein im Internet, und ohne jede Finanzierung von außen, ist schon bemerkenswert. Für einige vertiefende Hinweise zur imperialen Lebensweise: Beachten Sie diesen LINK.

PS: Der religionsphilosophische Salon Berlin erhält von keiner Seite finanzielle Zuwendungen oder Unterstützung. Wir sind unabhängig und frei. Alle Arbeit für den Salon, also Organisation und die Impuls-Referate und die Moderation, leisten wir ehrenamtlich. Von den TeilnehmerInnen eines Salon-Abends werden lediglich 5 Euro erbeten … für die Raummiete in der Galerie Fantom.

Wir haben unsere philosophischen, religionsphilosophischen und theologischen Gespräche im Salon als Ausdruck der Spiritualität der freisinnigen protestantischen Remonstranten – Kirche (in Holland) verstanden. Dabei haben wir, ebenfalls der offenen, freisinnigen Theologie der Remonstranten entsprechend, keine Werbung für diese protestantische Kirche “betrieben”. 

Copyright: Christian Modehn und Hartmut Wiebus.

„Ohne Erbsünde glauben“. 10 Fragen und Antworten anlässlich einer theologischen Diskussion

Ein Hinweis von Christian Modehn,  am 8. Juni 2017.

Aus aktuellem Anlaß noch einmal am 11.11.2024 publiziert: Weil nicht (nur) Strukturreformen heute als dringende Reformen in der katholischen Kirche gelten sollten, sondern vor allem Reformen der nicht mehr vermittelbaren Dogmen. Zum Beispiel das sinnlose Dogma der Erbsünde. CM.

Siehe auch  “Muss der christliche Glaube Angst machen?” LINK sowie Weiteres zum Thema “Gegen die Erbsünde”:  LINK

1.Frage

Die Lehre von der Erbsünde ist, etwa in der katholischen Kirche, ein Dogma, also eine definierte Glaubenslehre. Kann man sich denn heute von einem Dogma mit dieser umfassenden Lehre befreien?

Ja, kann man und sollte man. Das kann nicht nur der einzelne, aufgeklärt denkende Glaubende, indem er dieses Dogma in dieser Form eben für sich beiseite lässt. Und das tun sehr viele. Die Befreiung von diesem Dogma kann aber prinzipiell auch das katholische Lehramt heute vollziehen. Wenn es denn so viel Vernunft walten lässt und erkennt: Dieses Dogma zur Erbsünde ist nicht Weiterlesen ⇘

Das Trump – Regime kritisieren: Die großartige Bischöfin Mariann Edgar Budde.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 22.1.2025

1.
Die Bischöfin hat Mut: Sie kritisiert beim traditionellen Gottesdienst einen Tag nach der Amtseinführung Präsident Trump und die Seinen und seine Clique. Und die sitzen in den Kirchenbänken, sie müssen zuhören, schließlich geben sie sich ja irgendwie als „Gott-gläubig“ aus, wie Trump oder als katholisch wie sein Vizepräsident Vance, sie können also die “National Cathedral” im Nordwesten von Washington D.C. nicht verlassen.

Diese Worte der Bischöfin Mariann Edgar Budde (65) von der Episcopal-Church werden – weltweit – im Gedächtnis bleiben, es sind mutige Worte, man könnte sagen von prophetisch – kritischem Geist bestimmt: So viel Mut hat nur eine Frau gegenüber dem selbsternannten All-Herrscher. Ein Auszug aus der Predigt der Bischöfin:

2.
„Lassen Sie mich eine letzte Bitte äußern. Millionen Menschen haben ihr Vertrauen in Sie gesetzt. Und wie Sie gestern der Nation erzählt haben, haben sie die schützende Hand eines liebenden Gottes gespürt. Im Namen unseres Gottes bitte ich Sie, Erbarmen mit den Menschen in unserem Land zu haben, die jetzt Angst haben.“ Und die Bischöfin erwähnt schwule, lesbische und transgender Familien, Trump hatte in seinem Wahn schon in seiner Antrittsrede erklärt, dass er per Dekret verfügt, dass es nur zwei Geschlechter gibt, Transgender Menschen haben keine Lebensrecht.
3.
Die Bischöfin denkt auch an die von Trump Wahn bedrohten Einwanderer, sie sagt: „Diese Menschen bestellen unsere Felder, sie reinigen unsere Bürogebäude, arbeiten in Geflügelfarmen und auf Schlachthöfen, waschen das Geschirr ab, nachdem wir in Restaurants gegessen haben, und diese Einwanderer übernehmen Nachtschichten in Krankenhäusern“. Sie seien vielleicht keine offiziellen Staatsbürger, „aber sie zahlen Steuern und sind gute Nachbarn“. Und sie seien gläubige Mitglieder „unserer Kirchen, Moscheen, Synagogen, Gurdwaras und Tempel.“

4.
Wie zu erwarten explodierte Trump nach dieser kritischen prophetischen Rede der Bischöfin: Er wetterte gegen die, wie er sagte, linksradikale Trump -Hasserin, nannte sie eine so genannte Bischöfin, der Gottesdienst sei insgesamt langweilig gewesen. Und natürlich auch dies: Trump fordert von der Bischöfin und der Kirche eine Entschuldigung. Republikaner – Politiker wollen die Bischöfin auf die „Abschiebeliste“ setzen…Interessant, dies nun noch mal offiziell zu hören: „Abschiebeliste“.

5.
Wie erbärmlich devot und ergeben dagegen war das Gebet, das der New Yorker Cardinal Timothy Dolan zur Amtseinführung sprach (Fußnote 1), wie albern auch die religiöse Show, an der sich auch ein Rabbiner und ein Evangelikaler mit frommen Worten beteiligten, Bilder der Trump Ergebenheit bestimmter Religionsführer, die Ergebenheit erinnert manche an die Verbundenheit der Russisch – Orthodoxen Kirche mit dem Diktator PUTIN.

6.
Es ist davon auszugehen, dass das Trump – Regime auch einen Kirchen – Kampf eröffnen könnte und dann genau unterscheidet: Zwischen Trump -gewogenen Frommen, vor allem den Evangelikalen, die werden gefördert. Und die anderen, die kritischen Theologen und Bischöfen aus den verbliebenen kritischen und weithin vernünftigen so genannten „Mainline – Churches“ (Episcopals, Presbyterians, einige Lutheraner und etliche Katholiken), sie werden wohl unter Trump ausgegrenzt und mundtot gemacht.

7.
Die Predigt von Bischöfin Mariann Edgar Budde ist nicht nur historisch, sie ist ein Hoffnungszeichen, dass sich Widerstand gegen Trump schon jetzt, sofort, äußert. Und auch dies: PolitikerInnen mit demokratischer Gesinnung in den wenigen verbliebenen demokratischen Staaten hätten wohl nie und nimmer den Mut, solche Worte an Mister Trump zu richten. Sie bleiben diplomatisch, wollen es sich nicht mit dem absoluten Machthaber verderben, sie haben Angst vor Trump. Er wird als absoluter Herrscher akzeptiert?

…………

Fußnote 1:
Aus dem Gebet von Cardinal Dolan für Trump am 20.1.2025::
„We, blessed citizens of this one nation under God, humbled by our claim that “In God We Trust,” gather indeed this Inauguration Day to pray: for our president Donald J. Trump, his family, his advisers, his Cabinet, his aspirations, his vice president; for the Lord’s blessings upon Joseph Biden, for our men and women in uniform, for each other, whose hopes are stoked this new year, this Inauguration Day, we cannot err in relying upon that prayer from the Bible, upon which our president will soon place his hand in oath, as we make our own the supplications of King Solomon for wisdom as he began his governance…“

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Zur Predigt von Bischöfin Mariann Edgar Budde etwa den Bericht in der Tageszeitung Standard, Wien: https://www.derstandard.at/story/3000000254028/die-pastorin-die-trump-nicht-zum-ersten-mal-die-leviten-gelesen-hat

Und auch ein Video: https://de.video.search.yahoo.com/yhs/search?fr=yhs-tro-freshy&ei=UTF-8&hsimp=yhs-freshy&hspart=tro&p=Mariann+Edgar+Budde&type=Y219_F163_204671_042423#id=0&vid=7648f2b81cb1279903393fe80cc53d6b&action=click

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Als Jesus zum Gott erklärt wurde: Das Bekenntnis des Konzils von Nizäa (325) überwinden

Ein Hinweis von Christian Modehn am 22.1.2025

Ein Vorwort:
Die Kirchen klammern sich auch heute sehr gern an Vergangenes, verteidigen alte, tote Dokumente, wiederholen sie, kauen sie durch, beten sie nach. Darum geht es in diesem Beitrag. Wer also die Kirchen heute verstehen will, sollte sich auch mit dieser kirchlichen Leidenschaft für Vor-Vor-Gestern befassen und dem zähen Verteidigen unverständlicher Dogmen.

1.
Das ökumenische Konzil von Nizäa vor 1700 Jahren (325) elementar zu kennen und kritisch zu bewerten, ist nicht bloß Sache von Fachtheologen und Fachphilosophen. Denn mit dem metaphysisch hoch abstrakten Glaubensbekenntnis des Konzils von Nizäa (Fußnote 1) wurde der christliche Glaube zu einer Art spätantiker Theorie bzw. Ideologie. Dabei wurde in den Glaubensbekenntnissen auch nach dem Konzil von Nizäa die Verbundenheit der Christen mit dem Juden Jesus von Nazareth weitgehend ins Unbedeutende degradiert. Weil das Christentum eine Religion für alle (für die Heiden) sein sollte, glaubten die Kirchenführer, die Nähe des Christentums zum Juden Jesus von Nazareth (und damit zum Judentum insgesamt) reduzieren zu müssen. Das ist ein entscheidender Fehler des Konzils.
Zusammenfassend gesagt: Das Konzil von Nizäa ist also heute nur ein Problem, nur eine Belastung. Lässt sich dieser Fehler (d.h. der Verzicht auf den Juden Jesus von Nazareth im Bekenntnis des Konzils) noch korrigieren? Dies sollte eine der entscheidenden kritischen Fragen anläßlich des Nizäa – Jubiläums 2025 sein.
Genauso wichtig wäre das Eingeständnis der Kirchenführer heute: Dieses Glaubensbekenntnis von Nizäa und das spätere des Konzils von Konstantinopel (381) und dann von Chalcedon (451) sind ein Irrweg, sie haben aus einem lebendigen Glauben eine großspurige metaphysische Theorie gemacht inklusive der Klerus – Herrschaft. Diese Nizäa – Konstantinopel Bekenntnisse haben also nur noch historischen Wert, sie sind keine Hilfe zu einem Leben im Sinne Jesu von Nazareth. Darum also geht es in diesen knappen Hinweisen. Ob mit dieser Abwehr dieser Konzils – Bekenntnisse konstruktive Debatten eröffnen, ist bei der Bindung der katholischen und orthodoxen Theologie an die Kirchenführung sehr zweifelhaft.

2.
Ein ganz großes ökumenisches Jubiläum der Kirchen wird in diesem Jahr 2025 (offizieller Gedenktag ist der 19. Juni) gefeiert. Als hätten die Kirchen in dieser verrückt gewordenen Welt nichts Dringenderes zu tun…
Die meisten christlichen Kirchen (vornehmlich die katholische und die orthodoxen Kirchen) preisen schon heute, wie zuvor schon, die Konzilsbeschlüsse von Nizäa. Nizäa heißt heute Iznik, eine kleine Ortschaft in der Türkei nahe Istanbul.

3.
Die Kirchenführer werden das Glaubens-Bekenntnis aus dem Jahr 325 also alsbald bestätigen und nachbeten (ein Beispiel in Fußnote 2).
Mit dem Konzil setzte sich die umfassende Dogmatisierung und damit Versteinerung des christlichen Glaubens durch. Der christliche Glaube wurde mit einer metaphysischen Begrifflichkeit der griechischen Philosophie definiert. Gott wurde sehr plastisch als handelndes Wesen, als Person, gedacht, ihn glaubten diese Theologen und ihre Kaiser förmlich „in den begrifflichen Griff zu bekommen“. Dadurch, so hofften diese Herren, sollte der christliche Glaube universell für alle gedanklich erreichbar sein, was vielleicht für einige gebildete Philosophen damals zutraf.

4.
Es begann also spätestens im 4. Jahrhundert die Zeit, in der die Kirchenführer und ihre Theologen nur noch den universellen Christus im Blick hatten, jene göttliche Heilsgestalt, dem sich alle Menschen weltweit anschließen sollten. Die Kirchenführer glaubten, völlig unbescheiden, wenn nicht arrogant, von Gott sehr Genaues zu wissen: Etwa: Vom Leiden der Menschen und den Sünden könne nur Gott persönlich die Menschen befreien. Darum muss Gott selbst in die Welt kommen, und sei es in der Gestalt des Logos aus dem Himmel herab. Und dieser Logos als „Sohn Gottes im Himmel“ ist Christus auf Erden…Tatsächlich aber war diese universelle Christusgestalt immer noch mit Jesus von Nazareth verbunden und deswegen sprach man und spricht heute noch von Jesus Christus. Dieses undeutliche Schwanken in den christlichen Texten zwischen Jesus und dann Jesus Christus oder schließlich nur noch „Christus“ – etwa als Pantokrator (Allherrscher) in den Basiliken als Mosaik gestaltet – ist auch in üblichen alten Kirchen-Liedern zu beobachten, etwa in den populären Weihnachtsliedern, aber das ist ein anderes Thema.

5.
Christen von Island bis Japan, von Mexiko bis zum Kongo sollen heute die Glaubens – Formeln spätantiker griechischer Philosophie nachsprechen. So wird bis heute eine Spiritualität propagiert, die fast niemand – und dann nur mit vielen Wörterbüchern und Erläuterungen – versteht. Religiöse Entfremdung sollte man das nennen. Diese spätantiken Floskeln und „Mysterien“ werden z.B. den 1,4 Milliarden Katholiken als gültiges Bekenntnis aufgezwungen: Wer diese Worte nicht nachspricht, kann – etwa als offizieller Theologe – als Ketzer ausgestoßen werden. Bekanntlich hat sich die katholische Kirche definitiv festgelegt , niemals auch ein irgendwann einmal formuliertes Dogma wieder zu korrigieren oder sogar abzuschaffen. Man denke etwa an das Dogma der unbefleckten Empfängnis Mariens durch ihre imaginäre Mutter Anna oder an das Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes, vom Wahn des Erbsünden-Dogmas ganz zu schweigen. All das soll „geglaubt“ werden. So auch das Glaubensbekenntnis von Nizäa.

6.
Einige elementare Informationen zum Konzil von Nizäa im Jahr 325:
Die Voraussetzung für dieses Treffen ist: Kaiser Konstantin hatte sich 312 persönlich dem Christentum zugewandt. Er war von der in seinen Augen wundertätigen Lehre der Christentums und seines Gottes so begeistert, dass er sich als Laie wie eine Art Bischof gerierte. Er war leidenschaftlichst daran interessiert, die Christen, damals noch eine Minderheit von 10 Prozent der Bewohner des Reiches, einig und stark zu machen. Denn problematische theologische Lehren hatten sich ausgebreitet, eine etwa wurde vorgetragen von dem Theologe Arius: Er hatte erkannt: Jesus Christus sei nur ein Geschöpf Gottes, des ewigen „Gott – Vaters“, wenn man so will. Aber Jesus Christus sei selbst nicht als Gott zu bezeichnen. Genau darüber berieten die ca. 300 Bischöfe in Nizäa, sie kamen zu dem Schluß: Jesus Christus ist mit Gott, dem Vater, wesensgleich (homoousios heißt das viel zitierte griechische Wort) und wesenseins mit Gott- Vater. Und der wird als der Schöpfer der Welt gedacht, eine Gedanke, der wichtig bleibt. Aber hier geht es um anderes: Jesus Christus muss als Gott bezeichnet und verehrt werden. Es ist also der göttliche Logos, der Sohn von Gott – Vater, der in Jesus von Nazareth Mensch wird und einige Jahre auf dieser Erde, in Judäa – Israel, gelebt hat.

7. Nebenbei etwas theologisch Absurdes:
Dieses Problem liegt nahe, wird aber kaum gestellt und bleibt theologisch bis jetzt unbeantwortet: Wenn der göttliche Logos (der Sohn) also auf die Erde herabsteigt, wie es heißt, und Mensch wird, dann ist doch sozusagen der Platz des Sohnes neben Gott – Vater im Himmel für ein paar Jahre leer. Das heißt: Es gab also einmal eine himmlische Logos – freie Zeit: Wenn man das Problem auf die Trinität bezieht, muss man sagen: So etwa ab dem Jahr 2 bis ca. zum Jahr Jahr 35 (Jesu Tod) gab es nur eine unvollständige Trinität. Man sieht an diesem Beispiel, zu welchen absurden Spekulationen man heute noch kommt, wenn man das Dogma bedenkt: Jesus Christus ist Gott.

8.
Man hat in den Kirchen meines Wissens immer vermieden, wenn denn von der Menschwerdung des Logos die Rede war, zu sagen: „Der Logos wurde Jude.“ Oder anders gesagt: Gott wurde doch nicht etwa nur im allgemeinen „irgendwie Mensch“. Sondern: Gott wurde Jude (in Jesus von Nazareth). Eine Formulierung, die natürlich auch wieder paradox ist: Denn Gott war ja sozusagen jüdisch, gedacht im Sinne der Mythen und Erzählungen der hebräischen Bibel.

9.
Einige weitere historische Fakten:
Die Gültigkeit der Konzilsbeschlüsse von Nizäa und den danach folgenden Konzilien mussten von den jeweiligen Kaisern bestätigt werden. Der Kampf um die geistliche, theologische Vormacht von Kaisern und Päpsten hatte begonnen.
Theologen und Bischöfe, die sich gegen die von der Mehrheit angenommenen Bekenntnisse wandten, wurden exkommuniziert, so etwa der in Alexandrien lehrende Theologe Arius. Gegen ihn wandte sich besonders der äußerst einflußreiche heftige Patriarch von Alexandria, Athanasius, mit aller Macht.
Aber mit Gewalt und Strafen lassen sich Ideen nicht töten: Auch Arius sammelte seine Anhänger, die jeweiligen Feinde wurden bis aufs Blut verfolgt und gehasst, es kam zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Ein abstraktes, philosophisch – metaphysisches Glaubensbekenntnis kann allerhand Unheil bewirken, Frieden jedenfalls nicht. Und die erwünschte theologische Einheit als Uniformität zur Sicherung der Innenpolitik im Reich brachte das Konzil auch nicht. Nach dem Konzils von Chalcedon (451) wurde die gegensätzliche, verfeindete Vielfalt der Kirchen mit ihren unterschiedlichen Glaubensbekenntnissen ganz evident, etwa in den so genannten „alt-orientalischen Kirchen“, die (in Äthiopien, als Kopten in Ägypten usw..) bis heute glauben: Jesus Christus habe nur eine einzige, nämlich eine göttliche Natur gehabt (Monophysiten).

10.
Das Konzil von Nizäa kann man nur als Start für weitere dogmatische Festlegungen verstehen. In Konstantinopel versammelten sich im Jahr 391 erneut viele Bischöfe, Laien waren bestenfalls als Beobachter irgendwie dabei, schon damals, nur die „Laien – Kaiser“ beherrschten das Ganze. In Konstantinopel wurde nun auch die Göttlichkeit des heiligen Geistes als Dogma und Glaubensbekenntnis verkündet. Der heilige Geist wurde als dritte Person Teil der göttlichen Dreifaltigkeit. In der Trinitätslehre wurde das gedankliche Wagnis probiert: Drei Personen, Vater, Sohn und Heiliger Geist, haben nicht nur das eine gemeinsame göttliche Wesen gemeinsam, sie sind auch zu dritt dieses eine göttliche Wesen. Der Theologe Hermann Baum nennt in seinem immer noch sehr empfehlenswerten Buch „Die Verfremdung Jesu“ (Düsseldorf 2006, S. 154) diese Trinitäts-Lehre ein „bloßes Gedankenkonstrukt“ (S. 154). „Es entzieht sich jeder menschlichen Vorstellungskraft“ (S. 155). Und man kann mit Hermann Baum nur schmunzeln, wenn dieses gedankliche Ungetüm den Glaubenden bis heute als absolutes Geheimnis, als hinnehmbares und hinzunehmendes göttliches Mysterium empfohlen wird. Da ist der in den Niederlanden lehrende katholische Theologe Edward Schillebeeckx mutiger und vor allem ehrlicher, wenn er sagte: Auf diese Trinitätslehre sollte die Kirche heute verzichten (LINK ) Aber das macht sie nicht, sie mutet den Glaubenden Unsägliches, Mysterium genannt, Nicht Nachvollziehbares, zu. Das heißt: Die Kirchen bieten den Glaubenden „Steine statt Brot“, kann man mit der Bibel sagen. Die Frommen lieben das Unverständliche, das Mysteriöse, das sie ja auch zusätzlich und anderweitig in esoterischen Kulten finden und pflegen. Religion wird also ins Nebulöse gedrängt. Und der alles interpretierende Klerus kann seine phantasiereiche Macht zeigen…

11.
Wird nun aber Jesus Christus als Gott und zugleich auch als Mensch gedacht und verehrt, entsteht wie von selbst die Frage: Hat der in Palästina lebende Jesus (Christus) denn nun zwei Willen gehabt, einen göttlichen und einen menschlichen Willen? Wie passten diese beiden Willen in der einen Person Jesus Christus zusammen? Diese hochspekulativen Fragen will ich hier nicht weiter ausbreiten: Es sollte nur gezeigt werden, mit welchem hochspekulativen Kram sich die Christen damals befassten, hatten sie sich erst mal eingelassen in die Übernahme spätantiker Philosophie als Formulierung des universellen christlichen Glaubens. Ein hübsches Detail zu den zwei Willen in der einen Person Christi: „Als Papst Martin I. (649 – 653) sich zugunsten von zwei natürlichen Willen in Jesus Christus äußerte und ihn die Patriarchen von Konstantinopel und Alexandrien wegen ihrer Ansicht: „Jesu Christus hatte nur einen Willen“ mit dem Kirchenbann belegte, ließ ihn der Kaiser im Jahr 653 nach Konstantinopel verschleppen und als Hochverräter auf die Krim verbannen. Im Konzil von Konstantinopel 680 wurde dann doch gelehrt: Jesus Christus habe zwei Willen gehabt, „ungetrennt, unveränderlich, unteilbar und unvermischt in ihm“, wie es „weise“ und unverständlich heißt. (Siehe dazu das Buch des katholischen Theologen Hermann Baum, „Die Verfälschung Jesu“, S, 161.)

12.
Wichtig bleibt, und darauf muss noch einmal ausdrücklich hingewiesen werden: Im Glaubensbekenntnis von Nizäa ist von Christus als dem göttlichen Logos die Rede, entsprechende Inspirationen schon des Johannes – Evangeliums aufgreifend. Aber in dem Nizäa- Bekenntnis ist von dem Juden Jesus von Nazareth nur sehr marginal die Rede. Kein Wort in einem offiziellen Glaubensbekenntnis von der Bergpredigt Jesu, von Jesu Gleichnissen, von seiner Verbundenheit mit den Menschen, den Frauen, den Leidenden usw. Es ist der Verlust des Erzählens, der Beispiele, der diese Glaubensbekenntnisse so ins Abstrakte – Uninteressante – Nicht – Bewegende führt. Es wird keine Geschichte erzählt von diesem Jesus, den man nun ehren und verehren soll. Diese dann für gültig erklärten und ewig nachgeplapperten Bekenntnisse sind so entleiblicht und enthistorisiert, dass sie Assoziationen an Parteiprogramme wecken. Diese Bekenntnisse wollen ja eigentlich Erlösung erzählen, aber sie sind eher eine Ideologie, die fast niemand versteht. Und, wie gesagt, die Schande, dass diese Ideologie bis heute fortgesetzt wird. „Erlösung erscheint hier isoliert vom aktuellen Leben, Erlösung wird bezugslos…Allein das historisch greifbare irdische Wirken Jesu von Nazareth vermag das zu erschließen, was christlich Erlösung bedeutet.“ (So der katholische Theologe Hans Kessler, S. 59 und 61). Und der katholische Professor für Altes Testament Fridolin Stier schreibt in seinen „Aufzeichnungen“ „Vielleicht ist irgendwo Tag“ ( Herder – Verlag 1993 S. 38): „Haben die christologischen Bekenntnissätze, die Dogmen, die sagen, definieren, bestimmen, was Jesus ist, als solche die Kraft, die Begegnung mit Jesus zu vermitteln? Oder ist es so, dass von der christologischen Ikone die Aktivität des lebendigen Jesus verdeckt wird?“ Noch deutlicher wird der Theologe und Historiker Maurice Sachot, der in seinem Buch auch den Religionshistoriker René Nouailhat (Strasbourg) zitiert: „Die christologischen Definitionen sind nicht mehr Ausdruck der Glaubensbekenntnisse von Personen oder von Gruppen. Die Definitionen drängen sich vielmehr auf wie institutionelle Kategorien, wie der Ausdruck eines neuen Machtdiskurses …“ (Seite 214).

13. Der Vorschlag:
Es wäre Thema eines heutigen, vernünftigen christlichen Glaubensbekenntnisses: Es sollte regional – kulturell verschieden sein und Ausdruck des wirklichen Glauben der Menschen sein. Man könnte in die Richtung denken:
Christen verehren den Propheten Jesus von Nazareth, sie schätzen dessen Menschenfreundlichkeit und Liebe, seine Bereitschaft, für die Gerechtigkeit einzutreten und zu sterben. Und sie sind überzeugt, dass ein solcher Mensch im Tod nicht ins Nichts versinkt. Und sie werden sagen: Dieser jüdische Mann Jesus von Nazareth lebte in enger liebevoller Verbundenheit mit einem absoluten Seinsgrund und Lebensgrund, den man als Symbol Gott nennen kann. Und dieser Jesus fühlte sich geleitet von seiner menschlichen Vernunft, die etwas Heiliges ist im Menschen und die selbstverständlich in allen Menschen lebt und wirkt und wie beim Propheten Jesus von Nazareth etwas Ewiges ist.
Für mich ist das Glaubensbekenntnis der niederländischen Remonstranten Kirche von 2006 ein Beispiel für ein heute mögliches Bekenntnis, das übrigens bei den Remonstranten nicht vorschrieben ist, sondern als Impuls und Orientierung verstand wird: LINK. https://forum.remonstranten-berlin.de/94/ein-neues-glaubensbekenntnis-ein-ausdruck-der-freiheit/

Fußnote 1: Das Glaubensbekenntnis von Nikäa.

Ich glaube an den einen Gott,
den Vater, den Allmächtigen,
den Schöpfer alles Sichtbaren und Unsichtbaren.

Und an den einen Herrn Jesus Christus,
den Sohn Gottes,
der als Einziggeborener aus dem Vater gezeugt ist, das heißt: aus dem Wesen des Vaters,
Gott aus Gott, Licht aus Licht,
wahrer Gott aus wahrem Gott,
gezeugt, nicht geschaffen,
eines Wesens mit dem Vater (homoousion to patri);
durch den alles geworden ist, was im Himmel und was auf Erden ist;
der für uns Menschen und wegen unseres Heils herabgestiegen und Fleisch geworden ist,
Mensch geworden ist,
gelitten hat und am dritten Tage auferstanden ist,
aufgestiegen ist zum Himmel,
kommen wird um die Lebenden und die Toten zu richten;

Und an den Heiligen Geist.

Auf Griechisch:
Πιστεύομεν[1] εἰς ἕνα Θεόν Πατέρα παντοκράτορα, πάντων ὁρατῶν τε καὶ ἀοράτων ποιητήν.

Καὶ εἰς ἕνα κύριον Ἰησοῦν Χριστόν, 
τὸν υἱὸν τοῦ Θεοῦ, 
γεννηθέντα ἐκ τοῦ Πατρὸς μονογενῆ, 
τουτέστιν ἐκ τῆς οὐσίας τοῦ Πατρός, 
Θεὸν ἐκ Θεοῦ, φῶς ἐκ φωτός, Θεὸν ἀληθινὸν ἐκ Θεοῦ ἀληθινοῦ, 
γεννηθέντα, οὐ ποιηθέντα, ὁμοούσιον τῷ Πατρί,
δι’ οὗ τὰ πάντα ἐγένετο, τά τε ἐν τῷ οὐρανῷ καὶ τὰ ἐπὶ τῆς γῆς,
τὸν δι’ ἡμᾶς τοὺς ἀνθρώπους 
καὶ διὰ τὴν ἡμετέραν σωτηρίαν κατελθόντα 
καὶ σαρκωθέντα καὶ ἐνανθρωπήσαντα,
παθόντα, καὶ ἀναστάντα τριτῇ ἡμέρᾳ, 
καὶ ἀνελθόντα εἰς τοὺς οὒρανούς,
καὶ ἐρχόμενον κρῖναι ζῶντας καὶ νεκρούς.

Καὶ εἰς τὸ Ἅγιον Πνεῦμα.)
…………

Das Nicäno-Konstantinopolitanum von 451 (auch Nicaeno-Konstantinopolitanum oder Nizäno-Konstantinopolitanum oder Großes Glaubensbekenntnis genannt) ist auch ein Glaubensbekenntnis, es wird als „Credo“ oft in den Messen und Gottesdiensten verwendet. Im Katholischen Gesangbuch Gottlob hat es die Nr. 586,2, im evangelischen Gesangbuch z. b. In Württemberg die Nr. 687.

Der deutsche Text der katholischen Kirche:

Wir glauben an den einen Gott,
den Vater, den Allmächtigen,
der alles erschaffen hat, Himmel und Erde,
die sichtbare und die unsichtbareWelt.
Und den einen Herrn Jesus Christus,
Gottes eingeborenen Sohn,
aus dem Vater geboren vor aller Zeit:
Gott von Gott, Licht vom Licht,
wahrer Gott vom wahren Gott,
gezeugt, nicht geschaffen,
eines Wesens mit dem Vater;
durch ihn ist alles geschaffen.
Für uns Menschen und zu unserem Heil
ist er vom Himmel gekommen,
hat Fleisch angenommen
durch den Heiligen Geist von der Jungfrau
Maria
und ist Mensch geworden.
Er wurde für uns gekreuzigt unter Pontius
Pilatus,
hat gelitten und ist begraben worden,
ist am dritten Tage auferstanden nach der
Schrift
und aufgefahren in den Himmel.
Er sitzt zur Rechten des Vaters
und wird wiederkommen in Herrlichkeit,
zu richten die Lebenden und die Toten;
seiner Herrschaft wird kein Ende sein.
Wir glauben an den Heiligen Geist,
der Herr ist und lebendig macht,
der aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht,
der mit dem Vater und dem Sohn
angebetet und verherrlicht wird,
der gesprochen hat durch die Propheten,
und die eine, heilige, katholische
und apostolische Kirche.
Wir bekennen die eine Taufe
zur Vergebung der Sünden.
Wir erwarten die Auferstehung der Toten
und das Leben der kommenden Welt.
Amen.

Fußnote 2:
Nur ein Beispiel für viele, wie heute in katholischen Medien von den Feierlichkeiten des Konzils von Nizäa gesprochen wird: Das eigentlich theologisch – progressive katholische „Haus am Dom“ in Frankfurt/M. kündigt sein Symposium zu Nizäa (6. – 8.3.) u.a. mit diesen Worten an: „Das Konzil von Nizäa zeigt mit seinen Beschlüssen das normative Idealbild einer einzigen, organisatorisch geeinten, in Lehre und Praxis einheitlichen und, in diesem Sinne, ökumenischen Gesamtkirche“. Diese Behauptungen sind zu lesen in dem Programm dieser Akademie zum Halbjahr 2025, S. 15.

Literaturempfehlungen:
Angesichts der immensen Fülle von Fachliteratur zum Thema empfehlen wir zum weiteren Studium vor allem das leider nur noch antiquarisch zu erwerbende Buch des katholischen Theologen und Philosophen:
Hermann Baum „Die Verfremdung Jesu“, Düsseldorf 2006. Dieses grundlegende, äußerst wichtige Buch sollte man bestellen, solange dieses Buch überhaupt verfügbar ist.

Paul Veyne, „Als unsere Welt christlich wurde (312 -394).“ „Untertitel: Aufstieg einer Sekte zur Weltmacht. C.H.Beck Verlag, 2008. Sehr detaillierte Studien des international geschätzten Althistorikers.

Hans Kessler, „Erlösung als Befreiung“, Düsseldorf 1972.

Gottfried Bachl, „Der schwierige Jesus“, Innsbruck -Wien, 1996.

Maurice Sachot, „L invention du Christ. Genèse d une religion“, Paris 1998.

 

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon. de

Die Autobiografie des Papstes: Aus Rom nicht viel Neues: “Hoffen”.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 17.1.2025

1.
Papst Franziskus läßt jetzt weltweit sein neues Buch (384 Seiten in der deutschen Ausgabe) verbreiten, der Titel: „Hoffe. Die Autobiografie“, gemeint ist also „die“ (maßgebliche) Autobiografie. Bekanntlich hat Papst Franziskus erst 2024 sein ebenfalls autobiografisches Buch „Leben“ veröffentlicht mit dem Untertitel „Meine Geschichte in der Geschichte“. Historiker werden diese und viele andere autobiografische Äußerungen (in den zahlreichen Papst – Interviews in Büchern und Zeitschriften) kritisch zusammentragen und vergleichen… „Hoffe“ jedenfalls erscheint zeitgleich in 80 Ländern! Zum Buch LEBEN (2024) des Papstes: LINK . 

Manche Ausführungen im Buch “Leben” (2024) wurden in das Buch “Hoffe” (fast) wörtlich übernommen, siehe “Leben” S. 216 f. und “Hoffe” S. 245 f.,  wobei “Leben” präziser etwa Namen einzelner Kardinäle nennt. Man hat den Eindruck, weite Teile des Buches “Hoffe” seien unter einem  starken Zeitdruck (mit dem Co – Autor Carlo Musso) und sehr in Eile geschrieben worden. Sonst wäre die Argumentationen eines doch so gewichtig als “Die Autobiografie”  herkommenden Buches sorgfältiger und zusammenhängender.

2. HOFFE!
Erstaunlich an der neuesten und wohl auch letzten Autobiografie des Papstes ist der Titel „Hoffe“ (im italienischen Original „SPERA“.) „Hoffe“ meint eine Aufforderung, wenn nicht einen Befehl, es fehlt bloß noch ein Ausrufungszeichen im Titel: Vielleicht sagt es Papst Franziskus zu sich selbst: Hoffe, und er würde wohl ergänzen: Hoffe trotz der vielen Franziskusfeinde im (höheren) Klerus. “Hoffe“ gilt aber auch den LeserInnen, und sie können prüfen, ob die spirituellen und theologischen Vorschläge zugunsten der Hoffnung in dem Buch weiterführen. „Hoffe“ als Buch-Titel passt auch kommerziell bestens ins “Heilige Jahr 2025“, es steht unter dem Motto „Pilger der Hoffnung“. Bei so viel verbaler Hoffnung werden dann doch auch einige tausend der 35 Millionen Rom – Pilger 2025 das Buch kaufen. LINK zu einigen Feinden von Papst Franziskus.

3. Wenig Auto-Biografisches
Erstaunlich ist aber vor allem, dass der Papst sein Buch „Die Autobiografie“ nennt. Denn objektiv und literarisch betrachtet, erzählt er nur auf den ersten ca. 170 Seiten wirklich Autobiografisches. Auf den übrigen 200 Seiten, die in die sehr interessante Zeit seines Papstamtes führen, geht es um eine Art Melange von autobiografischen Erinnerungs – Elementen und eher erbaulichen spirituellen Fragmenten.

4.
Auf den ersten 120 Seiten erfahren die LeserInnen viele Details aus der großen Familie Bergoglio mit allen Omas und Opas und Tanten und Verwandten auch in der alten Heimat im Piemont (Italien.) Es sind ja Migranten aus dem Piemont, die sich da in Argentinien niederließen. Diese eigene familiäre Migrationsgeschichte hat der Papst nie vergessen: Sein erster Besuch als Franziskus galt bekanntlich der Flüchtlings -Insel Lampedusa. Man liest also im ersten Drittel der Autobiografie viel über vorbildliche und sehr hilfsbereite Priestern (vor allem aus dem Salesianerorden Don Boscos, den der Papst wohl auch jetzt besonders schätzt). Lang und breit wird von Vater und Mutter und den Geschwistern in Buenos Aires erzählt. Diese ausführlich ausgebreitete familiäre und nachbarschaftliche Nähe der Menschen damals in Buenos Aires läßt ahnen, wie sehr auch Papst Franziskus ein Mensch der Gemeinschaft, der Freundschaft, ist. Alleinsein ist ein Horror für ihn, darum weigerte er sich auch, als Papst abgeschirmt von den Menschen, im Apostolischen Palast zu leben. Allein (wo möglich noch mit einem Assistenten Georg Gänswein) im apostolischen Palast zu wohnen … das hätte ihn in die Psychiatrie geführt, sagte er….(Zitat in “Leben” (2024), S. 221.

5. Theologische Elemente
Es ist nicht falsch, in einer Autobiografie des Papstes, etwas ausführliche Beschreibungen und Bewertungen von Ereignissen und Begegnungen während seines so genannten „Pontifikats“ (seit 2013, immerhin seit 12 Jahren) zu erwarten. Aber diese Erwartungen werden nicht erfüllt . Die LeserInnen werden in den letzten etwa 12 Kapiteln mit hübschen poetischen Titeln („Mit den tiefinnersten Schwingungen gehen“, „Die Wanderung durch dunkel Täler“, „Nach dem Ebenbild eines lächelnden Gottes“ usw…) immer wieder einzelne theologische Erkenntnisse und Beurteilungen finden oder auch pastorale Prinzipien. Manches ist radikal: „Eine der größten Sünden, die wir Kleriker begangen haben , ist es, diese Kirche zu maskulinisieren“ (S. 232). Oder „Die Kirche muss hinausgehen und sich schmutzig machen“ (S. 235). Radikal erscheint auch: „Die Kirche ist eine Frau. Wir Kleriker sind Männer, aber wir sind nicht die Kirche“. Und anschließend ins Mystische abrutschend: „Die Kirche ist eine Frau, weil sie eine Braut ist“ (S. 232). Man denke also weiter: Kleriker als Männer mit dem Zölibatsgesetz haben dann doch eine Braut: Die Kirche. Und die Kinder dieser Verbindung dürfen selbstverständlich nur geistliche Kinder sein, bei leiblicher Liebe zahlt dann der Bischof Alimente. „Christen sind nicht rückwärtsgewandt“ heißt es richtig auf Seite 264. Und noch einmal eine Seite weiter: „Tradition bedeutet vorwärts zu gehen… Die Kirche ist nicht die Gemeinschaft der `guten alten Zeit`.“ Tatsächlich zeigt Papst Franziskus überhaupt äußerst wenig Toleranz gegenüber den Traditionalisten oder den vielen jungen Priestern, die so gern nur die alte lateinische Messe feiern wollen. Und in reaktionären, eigentlich obskuren Gemeinschaften („Verbum incarnatum“, „Soldalicio“) räumt er nach vielen Jahren großer Geduld auf. Aber es sind immer nur die knappen Hinweise, die verstören, wo die LeserInnen inhaltlich mehr erwarten, etwa zur Frage eines neuen, III. Vatikanischen Konzils. Da sagt der Papst: “Wir müssen erst noch vollständig das Zweite Vatikanische Konzil umsetzen und dass wir noch entschiedener die höfische Kultur in der Kurie (im Vatikan usw.) hinwegfegen müssen… Die Kirche ist keineswegs der letzte europäische Hofstaat einer absoluten Monarchie“ (S. 266).
In dem schon genannten Buch „Papst Franziskus: Leben“ (aus dem Jahr 2024) heißt es hingegen auf Seite 255: „Es stimmt, dass der Vatikan die letzte absolute Monarchie in Europa ist…“ Dies nur als ein Beispiel für die gedankliche Entwicklung von Papst Franziskus… LINK
Natürlich kann Papst Franziskus seine Zeit als Jesuit und Kardinal von Buenos Aires unter der Militärdiktatur nicht übergehen. Aber Neues erfährt man auf den wenigen Seiten (S. 163) auch nicht, erneut bestätigt der Papst, als Erzbischof eine Messe in der Residenz des Junta-Oberhauptes gelesen zu haben, um zwei Jesuiten auf diese Weise zu retten… Erzbischof Bergoglio litt in dieser Zeit enorm, er schreibt: „Deswegen bekam ich fast ein Jahr lang Unterstützung durch eine Psychiaterin, eine sehr kluge und fähige Jüdin…“ (S. 165).

6. Zwei Schritte vor, ein Schritt zurück
In der Autobiografie „Hoffe“ sucht man vergeblich Beurteilungen zum Stand der Ökumene mit Protestanten, man sucht vergeblich weiterführende theologische Gedanken, etwa: ob nicht das Papsttum heute ganz neu gestaltet werden müsste, etwa mit fünf oder sechs „Regional – Päpsten“ auf allen Kontinenten; man findet nichts zur Abschaffung des Zölibatsgesetzes, nichts zur Reduzierung der umfassenden Dogmen – Berge. Im Gegenteil: “Wir müssen aus der Starre heraustreten. Und das bedeutet nicht, dass wir einen Weg gehen, der Glaubenswahrheiten relativiert“ (S. 373). Aber gleich danach die Einschränkung: „Dabei müssen wir der Versuchung entsagen, den Glauben zu kontrollieren, denn der Herr Jesus lässt sich nicht kontrollieren“ (ebd.). Das ist typisch Franziskus: Die ganze alte Lehre mitschleppen, ein bißchen an ihr kratze… Aber dann doch nicht die Reformer (denn das sind ja Dogmen – Kritiker) „kontrollieren“, wobei Papst Franziskus behauptet: Die Glaubenswahrheiten der Kirche wären mit dem „Herrn Jesus“ identisch…Lang und breit wiederholt Papst Franziskus seine totale Ablehnung des Krieges, jedes Kriegs. Aber dass anstelle des Katechismus – Unterrichts bei Katholiken nun umfassende Friedenserziehung zur Gewaltlosigkeit erfolgen sollte, liest man nicht…In den letzten Monaten fällt auf: Das einzige, was dem Papst noch zum Frieden in der Welt einfällt, ist das Bittgebet: Man lese die vatikan-news, sie dokumentieren die vielen täglich wechselnden Bitt – Gebete des Papstes, für Haiti oder Gaza, für die Ukraine oder Myanmar, für Opfer von Gewalt oder von Waldbränden und so weiter: Bittgebete als letzte Rettung päpstlicher Macht?

7. Eine Bilanz
Wer wird Bilanz ziehen und dabei realistisch fragen: Was hat die Regierungszeit von Papst Franziskus nachweislich, sichtbar, spürbar, „gebracht“? Ich meine: Die Bilanz fällt mager aus: Innerkirchlich ist der Papst manchmal ein paar Schritte vorwärtsgegangen, hat etwa Frauen als oberste Büroleiterinnen in vatikanischen Behörden zugelassen, aber eben nicht Frauen als Diakoninnen und Priesterinnen. Er hat aufs heftigste den Klerus kritisiert, aber das Grundübel des Klerus, den verpflichtenden Zölibat, nicht abgeschafft, obwohl er das von heute auf morgen als Papst hätte tun können. Er hat sehr häufig verständnisvoll von Homosexuellen gesprochen, so wie man über Schwerkranke spricht. Aber die gleichberechtigte Ehe von Homosexuellen und dann auch die entsprechende kirchliche Hochzeitsfeier total abgelehnt. Afrikas reaktionäre Bischöfe und mit ihnen die Politiker bestimmten als explizite Feinde von Homosexuellen sozusagen die offizielle katholische Moral.

Papst Franziskus hat sich stark gemacht für die katholische Volksreligion, die er in Argentinien schon sehr hoch schätzte, also den Kult rund um die Heiligen, den Reliquienkult, das Ablasswesen, die Wallfahrten und vor allem die völlig Hingabe an Maria, die er Mutter Gottes nennt oder in seiner kindlichen Frömmigkeit als „Knotenlöserin“ verehrt. Mit dieser mittelalterlichen Volksfrömmigkeit, die oft an Aberglauben grenzt, wird der Klerus die jungen gebildeten Menschen in Europa nicht mehr für die katholische Kirche gewinnen. Es liegen unterschiedliche geistige Welten zwischen dem Vatikan und Europa, möchte man sagen. Der Katholizismus als dominante Konfession ist in Europa vorbei, verantwortlich dafür sind auch die vielen Priester, die sich sexuellem Missbrauch hingaben. Papst Franzikus betont in seinem Buch “HOFFE” mehrfach, an der Seite der Opfe zu stehen!

Man wird in einer Bilanz sagen müssen: Ein moderner Theologe ist Papst Franziskus nicht, selbst wenn er nach außen sympathisch – „so menschlich“ wirkt. Hat der Theologe Bergoglio Werke seines Jesuiten und Theologen Karl Rahner gelesen, kennt er wenigstens den Namen Hans Küng, hat er  Bücher der Befreiungstheologen Gustavo Gutierrez oder Leonardo Boff gelesen und nicht nur die argentinischen Vertreter der Volksreligiosität?
So sind die Leserinnen nicht erstaunt, dass in der Liste der in „Hoffe“ erwähnten Bücher nur zwei explizit theologische Titel auftauchen, ein Titel stammt von Romano Guardini (1965) und eines vom französischen Jesuiten de Lubac („Betrachtungen über die Kirche von 1954). Natürlich freut man sich, dass ein Papst überhaupt mal einen den Soziologen, nämlich Zygmunt Bauman, erwähnt oder sogar Bert Brecht oder Songs aus Opern oder unter den für ihn wichtigen Filmen nicht nur Don Camillo und Peppone nennt, sondern auch Arbeiten Federico Fellinis. Aber hat säkulare Kunst auch den Papst etwas säkularer gemacht? Hat er von er Säkularität (bzw. der Laizität) etwas gelernt? Eine offene Frage… Einige deutsche LeserInnen werden sich freuen, dass Papst Franziskus in „Hoffe“ die ökumenische (protestantische) Theologin Dorothee Sölle erwähnt (S. 106f.).

Die Bilanz des Pontificates fällt noch bescheidener aus, wenn man an die außenpolitische Wirkung des Staatschefs Papst Franziskus (er ist ja Chef des Staates „Heiliger Stuhl“) denkt. Frieden kann ein Papst weder als spirituelles Oberhaupt noch als Staatschef schaffen. Wer danach fragt, wird auf hilfreiche Friedens – Gespräche der päpstlichen Diplomaten verwiesen, aber nachweisbare Ergebnisse können nicht genannt werden, bestenfalls die übliche caritative Hilfe, und das ist schon etwas. Den Hunger in der Welt konnte auch er nicht relevant reduzieren. Katholiken sollen ja für Arme Geld spenden, nicht aber umfassend informiert auch ungerechte Strukturen verändern… Die praktische Gültigkeit der Menschenrechte weltweit konnte der Papst auch nicht durchsetzen, kein Wunder, möchte man sagen, denn der Vatikan hat zur UNO Erklärung der Menschenrechte von 1949 eher nicht ein distanziertes Verhältnis.

8.
Was also bleibt abgesehen von dem diffusen Befehl „Hoffe“? Es gibt viel „Wind“ auch unter diesem Papst, viel innerkirchlicher Reformeifer ohne durchgreifende Reformen, es ging immer um innerkirchliche Querelen, die nicht vorankommen. Wir erleben also letztlich eine Fortsetzung katholischer Stagnation mit einem durchaus ja netten und zugewandten Papst Franziskus. Ob so viel nach außen gezeigte Freundlichkeit in Person noch einmal auf dem Papstthron wiederkehrt, ist sehr die Frage, wenn man bedenkt, dass 1,5 Milliarden Katholiken nach den uralten Regeln zu führen, eher hartes Durchgreifen erfordert. Und: Die klerikale Männerwelt wird ad aeternum fortbestehen. Ihr Frauen, lasst alle Hoffnung auf Priestertum der Frauen fahren. Papst und Klerus glauben nach wie vor eisern: Gott selbst in der Gestalt Jesu Christi habe die katholische Kirche als Klerus – Kirche begründet und so, wie sie ist, auch gewollt. Gegen solche steilen Thesen kommt selbst der heilige Geist nicht an.

9.
Trotz aller Kritik: Papst Franziskus hat es mit persönlichem Einsatz bis ins höchte Alter gewagt, diesen korrupten Klüngel des Klerus im Vatikan etwas aufzulösen und „in die Wüste zu schicken“; er hat versucht, die Kirche – in seiner Sicht – wieder stärker an die Vision des Jesus von Nazareth zu binden. Weil er von vielen wirklich persönlichen Feinden INNERHALB der Kirche (Kurie etc.) umgeben war und ist, konnte er wahrscheinlich  nur kleine Reformen fördern. Ob er zu einer wirklich grundlegenden Reformation der katholischen Kirche auch theologisch in der Lage gewesen wäre, ist die Frage. Denn Papst Franziskus wollte auf die Vorherrschaft seiner eigenen volkstümlichen (naiven) Frömmigkeit nicht verzichten. Er sah nicht, dass es die vielen unsäglichen und unverständlichen Dogmen sind, die den Zugang zum Glauben heute versperren. Aber im Unterschied zum unterkühlten theologischen Verwalter und Ketzer – Verfolger Ratzinger/Benedikt XVI. und im Unterschied zum Dogmen besessenen, alle Menschen “neu” missionierenden Polen Johannes Paul II. ist Papst Franziskus doch ein gewisser Lichtblick der Nächstenliebe, für die Armen zumal… und dies gilt in der ohnehin sehr trüben und abzulehnenden Reihe derer, die sich einst Stellvertreter Christi auf Erden nannten, ohne dabei vor Scham im Boden zu versinken. Sie haben etwa im 19. Jahrhundert den Katholizismus geistig und theologisch auf Dauer zerstört, indem sie ihn als absolut anti-modern (und antisemitisch) definierten! Und zerstörerisch waren nicht etwa die wenigen klugen aufklärerischen Philosophen. Papst Franziskus versuchte auf seine Art, da etwas “heilend” zu wirken. Mit mäßigem Erfolg.

Papst Franziskus, „Hoffe. Die Autobiografie“, 384 Seiten inkl.Bildteil, Kösel Verlag, München. 24€.

Copyright: Christian Modehn, religionsphilosophischer-salon.de

Alleinsein überwinden … durch Einsamkeit!

Ein provozierender, aber hilfreicher Hinweis: Einsamkeit als reflektierte Lebensform
Von Christian Modehn

1.
Über den Unterschied von Alleinsein und Einsamkeit muss erneut gesprochen werden. Nicht nur, weil die deutsche Sprache zwei unterschiedliche Begriffe für dieses Phänomen des „Auf sich-Selbst-Gestelltseins“ des Menschen anbietet. 2013 hatten wir zum Thema schon einige Hinweise publiziert. LINK . Nun muss aus aktuellem Anlass erneut darüber gesprochen werden: 20 Prozent der Weltbevölkerung, so das Meinungsforschungsinstitut Gallup im Jahr 2024, seien „häufig von Einsamkeit betroffen.“ (Fußnote 1). Diese Einsamkeit sei für die Betroffenen auch eine gesundheitliche Gefährdung und für den politischen und sozialen Zusammenhalt eine Belastung. „Etwa ein Drittel der Erwachsenen in Deutschland fühlt sich zumindest teilweise einsam, knapp 20 Prozent fühlen sich sogar sehr einsam.“ LINK
Dieses Phänomen, in dem Zeitungsbericht „Einsamkeit“ genannt, wird dann sozialwissenschaftlich definiert: „Unter Einsamkeit wird ein negatives Gefühl verstanden, nach dem die individuellen sozialen Beziehungen qualitativ oder quantitativ als nicht ausreichend empfunden werden. Bleibt dieses Gefühl über längere Zeiträume erhalten, können z.T. schwerwiegende psychische und physische Krankheitsbilder die Folge sein.“

2.
In der Presse wird – einer populären Üblichkeit folgend – von Einsamkeit gesprochen, wobei tatsächlich Alleinsein gemeint ist. Unsere These ist: Das weit verbreitete Alleinsein können Gesellschaft, Organisationen, der Staat überwinden helfen. Einsamkeit ist hingegen die Erfahrung und die Erkenntnis dessen, was den Menschen ausmacht, klassisch gesagt, was sein „Wesen“ ist. Um diese Einsamkeit kann sich nur jeder einzelne Mensch selbst bemühen. Dann findet er erneut in die Gemeinschaft der anderen. Schon jetzt zusammenfassend gesagt: Einsamkeit als menschliche Lebensform ist das überwundene Alleinsein. Insofern ist es wünschenswert, wenn Alleinsein zur Einsamkeit wird. Einsame Menschen sind allein.

3.
Menschen, die allein sind, sind die Alleinlebenden, diejenigen, die „niemanden (mehr) haben“, die „Allein-Stehend“ sind, oft isoliert und nicht beachtet. Sie werden inmitten so vieler Leute eher nur wie etwas Anonymes, wie eine Nummer, wahrgenommen. Alleinlebende können diese Lebensform natürlich auch vorübergehend selbst frei gewählt haben, gemeint sind in den sozialwissenschaftlichen Studien die Alleingelassenen, Abgeschiedenen und Abgeschriebenen, die Isolierten… oft wegen des Alters, des Abbruchs von Beziehungen und Freundschaften, wegen der Fremdheit in der umgebenden Kultur. Oder weil sie zu einer sexuellen Minderheit gehören in einem letztlich immer noch repressiven, oft feindlichen System.

4.
Auf diesen Unterschied zwischen Einsamkeit und Alleinsein hinzuweisen ist keine philologische oder philosophische Pedanterie oder Spitzfindigkeit, das Thema hat politische Bedeutung:
Die isolierten, die etwa wegen ökonomischer Zwänge oder persönlicher schicksalhafter Entwicklungen alleinlebenden Menschen, solche die „niemanden haben“, sind das unerfreuliche Gesicht der individualisierten Gesellschaft. Vereinzelt, allein lebende Menschen sind eben auch in ihrer Lebensenergie geschwächt, sie organisieren sich nicht, kämpfen nicht für bessere Lebensbedingungen, haben nicht die Kraft, für umfassende Gerechtigkeit einzutreten, die bei einer Reform des ökonomischen und politischen Systems auch ihnen zugute kommen könnte. Allein-Lebende sind als vereinzelte Menschen für jede Form von Staatlichkeit letztlich ungefährliche Bürger, vielleicht ist dies sogar willkommen und erwünscht, wenn auch die sozialen Kosten zur Unterstützung der depressiv gewordenen Alleinlebenden beträchtlich sein können, falls diese Menschen denn Therapieplätze überhaupt noch finden. Rebellion zugunsten besserer, kommunikativer Lebensverhältnisse sind von Alleinstehenden, Menschen die allein sind und niemanden mehr haben, nicht zu erwarten.

5.
Früher waren in Europa die Kirchengemeinden Orte, in denen sich Alleinlebende wohlfühlen konnten: Diese Orte, Gemeindezentren, Kirchen mit ihren Gruppen(veranstaltungen) verschwinden aber zunehmend. Der Grund: Weil es – etwa in der katholischen Kirche – immer weniger Pfarrer gibt, werden kommunikative Gemeindezentren geschlossen oder abgerissen. Und kein Alleinlebender (etwa älterer Mensch) protestiert gegen diese Zerstörung von Kommunikation durch klerikale Kirchenbehörden. Aber das ist ein anderes großes Thema…

6.
Was ist Einsamkeit? Allgemein und gebotener Kürze gesagt: Der einsame Mensch hat gerade im Rückzug auf sich selbst das Fühlen und Denken des Selbst geübt und dabei zu seinem eigenen individuellen Leben gefunden. Der in dieser Weise einsame Mensch ist der reife, reflektierte Mensch, der als Einsamer natürlich mit anderen lebt und sich der Gemeinschaft erfreut. Aber ehe es dahin kommt, soll die Selbst – Reflexion geübt werden. Der Philosoph Michel de Montaigne (1533-1592) hat in seinem umfangreichen Bekenntnis, „Essays“ genannt, ein Kapitel (Nr. 39 im „Ersten Buch“) der Einsamkeit gewidmet. (Fußnote 2). Montaigne brauchte den Rückzug angesichts der Belastungen und Gefährdungen durch die politischen Verhältnisse, er brauchte den Rückzug in seine Bibliothek. Und dort fand er im Alleinsein zur Einsamkeit: Sie war die Erfahrung, im reflektierten Rückzug als Mensch wesentlich zu leben, die Tiefe des Lebens zu sehen, auf den eigenen Geist zu achten und die eigene Seele zu spüren. Montaigne wollte sich als einsamer Mensch erkennen, um sich selbst annehmen zu können, er schreibt: „Es ist eine höchste und gleichsam göttliche Vollendung, sich seines eigenen Wesens redlich froh werden zu können“. Und: „Die größte Sache der Welt ist, dass man sich selbst zu gehören weiß“.

7.
Einsamkeit ist also für Philosophien, Spiritualitäten, Traditionen der Literatur und der Kunst eine produktive Lebensform, die jeder entwickeln kann. Gesprächskreise können dabei Inspirationen bieten. Dabei ist Einsamkeit kein Zustand, der einmal definitiv erreicht wird: Ein einsamer Mensch wird in Gemeinschaft leben, aber er wird sich dabei schützen vor dem ständigen Gerede und den aufgezwungen Aktivitäten durch andere. Er sucht immer wieder den Rückzug, denn nur in der Stille kann der Mensch reflektieren, nur in Ruhe kann er das tun, was für ihn wichtig ist, was ihn leben lässt: Meditieren, malen, musizieren, schreiben, sich im Nachdenken, Philosophieren üben, das immer um die entscheidende Frage geht: Wer bin ich eigentlich, wie will ich mit anderen leben, wo will ich hin, woher komme ich? Welche (falschen) Entscheidungen habe ich getroffen, wie bereite ich mich auf mein Lebens-Ende vor? Einsamkeit ist also ein Begriff, der menschliches Leben im emphatischen Sinne meint.

8.
Der Philosoph Martin Heidegger legt in seinen Vorlesungen unter dem Titel „Die Grundbegriffe der Metaphysik“ (1929) allen Nachdruck darauf, die Einsamkeit einzuüben. Und diese Übung beginnt damit, meine eigene begrenzte Lebenszeit anzunehmen, also die eigene Endlichkeit anzunehmen. Und da wird mir deutlich: Dass ich immer ein einzelner bin, einmalig für mich die Möglichkeit habe, mein eigenes Leben zu gestalten. Heidegger schreibt: „Diese Vereinzelung ist jene Vereinsamung, in der jeder Mensch allererst in die Nähe zum Wesentlichen aller Dinge gelangt, zur Welt“ (Fußnote 3.)

9.
Das Alleinsein lässt sich überwinden mit Hilfe von (Therapie-) Gruppen, durch gerechtere Sozialhilfen, bessere Wohnungen usw. Dann können alleinlebende Menschen zu einsamen Menschen, die als einsame gerade in Verbindung mit anderen leben, weil sie die Tiefe des Lebens erfahren und verstehen.
Das Einsamsein als kommunikative Lebensform lässt sich einüben durch philosophische Gesprächskreise, Lektüregruppen…
Warum kommt der Staat nicht auf die Idee, diese „Basis-initiativen“ zu fördern? Warum gibt es keinen eigenen philosophischen Studiengang mit dem Ziel: ModeratorIN von philosophischen Gesprächssalons zu werden?
Solche Gesprächskreise in aller respektierten Freiheit an vielen Orten und Stadtteilen zu fördern ist genauso wichtig und für die Menschen hilfreich wie die Finanzierung großer Opernhäuser und Theater, an deren unglaublich teuren Aufführungen nur noch die sehr wohlhabenden Leute teilnehmen (können).

Fußnote 1:
Tagesspiegel, 27.12.2024, Seite 3.

Fußnote 2:
Montaigne, “Essays”, Eichborn Verlag, Übersetzt von Hans Stilett, 1998, Seite 124ff. Bes. S 126.

Fußnote 3:
Martin Heidegger, Die Grundbegriffe der Metaphysik. Frankfurt am Main 1983, Seite 8.

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

 

 

„Der Sündenfall des Christentums“: Zur Theologie des Friedens. 


Die bahnbrechende Studie des niederländischen Friedenstheologen, des Remonstranten Gerrit Jan Heering zum frühkirchlichen Pazifismus ist als Übersetzung jetzt wieder greifbar.

Ein Gast Beitrag von Peter Bürger, Düsseldorf von der „Edition Pace“ am 22.12.2024.

Zunächst ein Hinweis: Bevor wir im „Regal: Pazifismus der frühen Kirche“ demnächst neue Studien darbieten, wird hier ein weiteres historisches Werk wieder zugänglich gemacht, das trotz des Abstandes von einem Jahrhundert noch immer wichtige Impulse geben kann. Zum editorischen Vorgehen sei bezogen auf die ganze Reihe angemerkt: Wir versehen die Werke aus früheren Zeiten nicht mit einem kritischen Anmerkungsapparat, in dem Abweichungen zu heutigen Sichtweisen und Erkenntnissen jeweils kommentiert werden (Beispiel: Darstellung und Gewichtung der Friedensbotschaft der Hebräischen Bibel), sondern rechnen mit mündigen Leserinnen und Lesern, die die geschichtlichen Kontexte einer Arbeit vor Augen haben.

1.
Der Erste Weltkrieg führte den niederländischen Theologen Gerrit Jan Heering (1879-1955) zu einem radikalen Antikriegsstandpunkt. Im Vorwort zu dem hier neu edierten Werk „Der Sündenfall des Christentums“ (Erstauflage NL 1928, dt. Übersetzung 1930) schreibt er: Ich will „ernsthaft auseinandersetzen, dass Christentum und Krieg – jetzt mehr denn je – unversöhnliche Gegensätze sind. Ich will zwischen die christliche Lehre und die Ideologie des Krieges einen Keil treiben. Beide Systeme sind von der Geschichte zwangsweise zusammengeführt und werden jetzt in künstlicher Weise zusammengehalten. Ich will an das christliche Gewissen und an das von diesem Gewissen gelenkte vernünftige Denken appellieren und fragen, ob es nicht die höchste Zeit ist, dass Kirche und Christen sich prinzipiell gegen das ganze Kriegswesen auflehnen. … Es war eine verhängnisvolle Wendung in der Geistesgeschichte, die während und nach der Zeit von Kaiser Konstantin sich vollzog; durch das enge Bündnis zwischen Staat und Kirche ging das Bewusstsein des Gegensatzes zwischen Christentum und Krieg … verloren …; das schlimmste ist, dass man (seither) … ruhig Böses gut nennt. … Die Art, wie in allen christlichen Ländern die Kirche direkt in das gegenseitige Gemetzel des letzten Krieges [1914-1918] hineingezogen worden ist, nämlich als unentbehrlicher, als inspirierender Faktor, demonstriert jenen Sündenfall in deutlichster und greulichster Weise. Es ist kein größerer Abstand und Gegensatz denkbar, als zwischen Christus und dem modernen Krieg. Wer dies verneint, hat die Realität eines von beiden oder beider nicht klar gesehen. Das militärische Christentum unserer Tage kann nicht schärfer gerichtet werden, als es durch das Christentum Christi geschieht.“

2.
Gerrit Jan Heering – geboren am 15. März 1879 in Pasuruan/Indonesien, gestorben am 18. August 1955 in Oegstgeest – wirkte nach seinem Universitätsstudium lange als Hochschullehrer des Theologischen Seminars der Remonstranten in Leiden (NL). Als junger Pfarrer heiratete er im Jahr 1905 Alida van Bosse; die beiden wurden Eltern von fünf Söhnen. – Heeringʼs Leidenschaft gehörte der Kanzel. Seine Predigten zeichneten sich durch eine starke persönliche Überzeugungskraft aus; verschiedene Predigtsammlungen sind in Buchform veröffentlicht worden (‚Unser Vertrauen‘; ‚Zeugnisse aus dunkler Zeit‘ 1940; ‚Was uns erhält‘). Predigen bedeutete für Heering die durch den Glauben getragene ‚freie prophetische Verkündigung des Evangeliums, im Dienste und zur Ehre des heiligen Gottes‘. – Gerrit Jan Heering entwickelte eine eigene „Dogmatik auf der Grundlage der Evangelien und der Reformation“, schrieb über den „Ort der ‚Sünde‘ in der freisinnigen-christlichen Dogmatik“ (1912) und über „Die Selbstständigkeit der Seele“ (1917).

3.
Der Erste Weltkrieg führte Gerrit Jan Heering zu einem radikalen Antikriegsstandpunkt, beeinflusst von Hilbrandt Boschma (1869-1954), der bereits während der Kriegszeit 1914-1918 an verschiedenen Orten pazifistische Lesungen abhielt: „Kreuz oder Kanone?“ – „Warum kein Krieg? Weil der Krieg die radikalste Sünde gegen Gott ist.“ Heering fasste seine eigenen Studien und Einsichten 1928 in dem Werk „Der Sündenfall des Christentums“ zusammen (s.u.). Er grün­dete mit anderen „Kerk en Vrede“ (Church and Peace), wurde Vorsitzender dieser Vereinigung auf nationaler Ebene und war für viele Jahre auch international eine der leitenden Persönlichkeiten des neuen kirchlichen Friedensnetzes.

4.
Die Friedensbewegung in den Niederlanden zeigte sich schon vor dem Ersten Weltkrieg gut organisiert, vielgestaltig (‚Tolstojaner‘, Anarchisten, sozialistische Antimilitaristen …) und übernational vernetzt. Mit Gerrit Jan Heering und Persönlichkeiten, die ihm nahestanden, wurde sie durch eine neue Strömung mit ökumenisch-friedenskirchlicher bzw. friedenstheologischer Programmatik bereichert. Wie bedeutsam die 1928 vorgelegte Untersuchung des gelehrten Remonstranten zum ‚konstantinischen Sündenfall‘ und dessen mögliche Überwindung über die Landesgrenzen hinaus war, führen uns gleich vier Übersetzungen in andere europäische Sprachen vor Augen. 1933 ist der Verfasser sogar für den Friedens-Nobelpreis vorgeschlagen worden.

5.
Der bekannte Dominikaner und Friedenstheologe vor allem in der Weimarer Republik, P. Franziskus Maria Stratmann (1883-1971), schrieb bald nach Erscheinen der deutschen Ausgabe von Heerings Werk „De zondeval van het Christendom“ in einer Rezension (Der Friedenskämpfer. Organ der Katholischen Friedensbewegung 5. Jg. / 1931, S. 69-76):
„Einem Christen tut es weh, vom ‚Sündenfall des Christentums‘ reden zu hören. Je stärker er seine Religion liebt, um mehr schmerzt ihn jede Anklage. Aber gerade die starke Liebe muß hellsichtig sein, damit Krankes geheilt, Schwaches gestärkt werden kann. Die Christen, die die Geschichte des Christentums mit Einschluß der Kriegsgeschichte ganz in der Ordnung finden, sind sicher nicht die besten und erweisen ihm einen schlechten Dienst…“

6.
In seinem Geleitwort zur deutschen Ausgabe des Werkes von 1930 hatte der evangelische Theologe Martin Rade (1857-1940) ge­schrieben: „Wenn der nächste Krieg kommt, werden die Kirchen nicht mehr geschlossen zu den Armeen stehn. Es wird dann nicht ohne schwere innere Konflikte gehen. Wie sie sich abspielen, wie sie sich lösen werden, weiß kein Mensch. Je länger die gegenwärtige Atempause dauert, desto besser mag es sein.“ (Neuausgabe, S. 10). Doch die ‚Atempause‘ bis zum nächsten Menschenschlachten im Zweiten Weltkrieg dauerte nur kurz. Die amtlichen Leitungen der beiden deutschen Großkirchen leisteten ab 1939 für den ‚Hitlerkrieg‘ (!) doch wieder – ziemlich ‚geschlossen‘ – kriegstheologischen Beistand in großem Umfang und riefen – mit durchschlagendem Erfolg – die Getauften zum Gehorsam gegenüber der Obrigkeit im NS-Staat auf (Dokumentation: https://kircheundweltkrieg.wordpress.com/). Nach 1945 haben die i. d. R. vom Staat besoldeten Kirchenhistoriker wunderliche Verteidigungstexte zu diesem abgründigen Komplex verfasst – und nicht wenige ‚weltliche Vertreter‘ der Geschichtswissenschaften haben ihnen dabei unter dem Vorzeichen sogenannter „Historisierung“ assistiert.

7.
Heerings Anliegen wird gegenwärtig verstanden, wenn etwa der Bischof von Rom bezeugt, es könne im Licht des Evangeliums keine ‚gerechten Kriege‘ geben und Christen müssten schon Herstellung oder Besitz atomarer Massenvernichtungswaffen als verwerflich brandmarken.

8.
Jedoch der vom niederländischen Seelsorger und Theologieprofessor nach dem Ersten Weltkrieg ersehnte radikale Bruch mit dem konstantinischen Staatskirchenparadigma hat in den privilegierten nationalen Kirchengebilden, zumal im Militärkirchenwesen, nie stattgefunden. Die völlig irrationale militärische Heilslehre stößt in diesem Zusammenhang heute nirgendwo auf eine Fundamentalkritik, während der Militarismus unentwegt Felder des öffentlichen Lebens für sich ‚zurückerobert‘. Leider gibt es viele Gründe, das ehedem bahnbrechende Werk „Der Sündenfall des Christentums. Eine Untersuchung über Christentum, Staat und Krieg“ gerade jetzt wieder allgemein zugänglich zu machen. Möge es vielen zur Erschütterung und zu einem klaren Denken in der Kriegsfrage verhelfen.

Copyright: Peter Bürger Düsseldorf, Dezember 2024 ǀ  

Die Digitale Erstauflage der Neuedition
 ist beim Lebenshaus Schwäbische Alb e.V. abrufbar:
Gerrit Jan Heering: Der Sündenfall des Christentums. – Eine Untersuchung über Christentum, Staat und Krieg. Aus dem Holländischen übersetzt durch Octavia Müller-Hofstede de Groot, 1930. Neu ediert von Peter Bürger in Kooperation mit: Lebenshaus Schwäbische Alb, Ökumenisches Institut für Friedenstheologie, Portal Friedenstheologie. (= edition pace ǀ Regal: Pazifismus der frühen Kirche 4). Digitale Erstausgabe der Neuedition. Düsseldorf ǀ Gammertingen, 12.12.2024.
https://www.lebenshaus-alb.de/magazin/media/pdf/Heering_S%C3%BCndenfall.pdf

Die gedruckte Buchausgabe im Handel:
Gerrit Jan Heering: Der Sündenfall des Christentums. – Eine Untersuchung über Christentum, Staat und Krieg. Aus dem Holländischen übersetzt durch Octavia Müller-Hofstede de Groot, 1930. (= edition pace ǀ Regal: Pazifismus der frühen Kirche 4). Norderstedt: BoD 2024.
(ISBN: 978-3-7693-2488-4; Paperback; 316 Seiten; Preis: 12,99 Euro)
https://buchshop.bod.de/der-suendenfall-des-christentums-gerrit-jan-heering-9783769324884

Eine etwas ausführlichere Darstellung dieses Beitrags von Peter Bürger finden Sie auf der website www.remonstranten-berlin.de    LINK.

“Die Hoffnung stirbt zuletzt”. Widerstand gegen die Verzweiflung!

Kant lehrt uns, die Hoffnung zu bewahren.
Ein Hinweis von Christian Modehn am Ende der Kant – Jahres 2024 … in der Hoffnung, dass Kant weiter intensiv diskutiert wird.

Die Erkenntnisse des Philosophen Immanuel Kant wollen unbedingt verhindern, dass die Hoffnung wirklich “zuletzt stirbt”. Denn das wäre das Ende. Wir sollen gemeinsam alles dafür tun, dass wir die Berechtigung, das Recht, haben die Hoffnung zu leben und die Hoffnung niemals aufzugeben.

Diese Hoffnung ist alles andere als ein naiver Optimismus. Sie ist alles andere als eine politische nationalistische Ideologie, die den Menschen in den USA einen “amerikanischen Traum” empfiehlt und einredet. Siehe dazu die Nr.10 und 11 in diesem Hinweis.

1.
„Die Hoffnung stirbt zuletzt.“ Wie ein Slogan hat sich dieser Satz in unseren dunklen Zeiten verbreitet und durchgesetzt.
Die Frage ist: Was ist eigentlich zuvor schon alles gestorben, an Weisheiten, Einsichten, Überzeugungen, wenn man einen solchen Satz sagt? In der christlichen Tradition spricht der Apostel Paulus von „den menschlich entscheidenden Dreien“, also von „Glaube, Hoffnung und Liebe.“ Um bei unserem Thema zu bleiben: Dann sind offenbar Glaube und Liebe schon gestorben. Dann bleibt nur noch die Hoffnung als das Letzte vor einem definitiv gedachten Ende, dem Nichts … oder dem Himmel?

2.
Immanuel Kant kann bei dem Thema weiterhelfen: Hoffnung und aktives Hoffen ist ein zentrales Thema seiner Philosophie. Auch Hoffen und Hoffnung führt ihn selbstverständlich über den Bereich des wissenschaftlich exakt Erkennbaren hinaus. Und so wird auch hier sichtbar: Kant hat zwar als Anhänger des Physikers Newton seine Karriere begonnen, aber er musste als Philosoph über die Physik hinaus denken … in eine vernünftig begründete Metaphysik: Kant als den „Zermalmer der Metaphysik“ zu bezeichnen, ist also falsch. Kant war ein Metaphysiker und Religionsphilosoph (und Kirchenkritiker LINK (2024)  LINK)
Nur als ein Metaphysiker konnte er auch die heute so dringende Frage beantworten: „Was darf ich hoffen?“ Sie steht im Zusammenhang mit der Frage Kants: „Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Und: Was darf ich hoffen?“

3.
Für Kant kann es Hoffnung nur geben, weil wir Menschen hoffen DÜRFEN, wie er ausdrücklich sagt. Das Hoffen – „Dürfen“ ist eine Art rechtlich begründeter Erlaubnis zu hoffen. Ich habe also also aufgrund meine Menschsein die Berechtigung zu hoffen. „Also hoffen wir doch“, möchte man etwas aufdringlich fordern. Oder:„Habe den Mut, deine in dir vielleicht noch versteckte Hoffnung zu leben“…

4.

“Hoffnung ist für Kant die entscheidende moralische Einstellung der Vernunft. Die richtige moralische Einstellung gegenüber der Zukunft ist (für ihn) Hoffnung.” Schreibt die Soziologin Eva Illouz in “Explosive Moderne”, Suhrkamp 2024, S. 43. Moralisch bedeutet für Kant: “Der Würde des Menschen entsprechend”.

5.
Hoffen zu dürfen ergibt sich für Kant in der Auseinandersetzung mit der Frage nach dem SINN meines und der anderen Menschen Leben. Dieser alles gründende Sinn des Lebens eröffnet sich, zeigt sich, für den einzelnen inmitten des Tuns des Gerechten: Im Eintreten für Gerechtigkeit und gerechte Gesetze darf der Mensch das alles Entscheidende hoffen: dass sich die vorhandene Welt mit ihren Staaten langsam aber sicher der Utopie des Reiches Gottes annähert. Und zum Reich Gottes gehört für Kant auch der Frieden in der ganzen Welt. Seine bis heute vielbeachtete Schrift „Zum ewigen Frieden“ konnte Kant 1795 veröffentlichen.

6.
Dass Welt – Frieden nur in „republikanischen Staaten“ möglich wird, ist eine der wichtigen Voraussetzungen Kants. Es sind die freien Staatsbürger, die entscheiden, ob ein Krieg sein soll oder nicht. Es liegt also in der Entscheidung der Menschen, dass sie die Hoffnung auf einen Weltfrieden aktiv politisch fordern und gestalten! Kant betont, dass nur moralisch gesinnte Politiker dieses große Hoffnungsprojekt realisieren können, nicht etwa solche, die sich ihre Moral unabhängig vom Kategorischen Imperativ egoistisch erfinden.

7.
Eine menschliche Organisation, die uns lehren kann, Hoffnung haben zu dürfen und praktisch Hoffnung zu gestalten, ist für Kant grundsätzlich die (protestantische) Kirche. Wenn Kant in dem Zusammenhang von Kirche spricht, meint er damit die Vereinigung aller rechtschaffenden Menschen, die den Frieden auf dieser Welt schrittweise befördern. Politisches Handeln ist in der Kirche notwendig, sofern es dem Weltfrieden dient.

8.
Der dogmatische Glauben der Kirche wird bei Kant also aufgehoben zugunsten einer Gemeinschaft derer, die den Frieden der Welt als Ausdruck ihres Glaubens an das Reich Gottes verstehen. Und dieses Handeln ist nur möglich in der Kraft der Hoffnung. Die Theologen sollen also den Glaubenden sagen: „Ihr habt alle Berechtigung zu hoffen“. Und diese Hoffnung dürfen sich die Menschen (in der Kirche) nicht zerstören lassen, durch zynische Einwände, etwa: „dass doch alles nichts nützt“ usw. „Diesem Zynismus dürfen wir niemals erliegen“, betont Kant. Zynismus kann tödlich sein. „Es ist für Kant ein Gebot der moralischen Selbstachtung, an den politischen Zielen von Rechtsstaat, liberaler Demokratie, Gerechtigkeit, internationaler Kooperation und globalem Frieden festzuhalten. Denn ohne Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Frieden ist ein menschenwürdiges Leben nicht möglich. Wir können (und dürfen CM) diesen Anspruch nicht aufgeben, sonst geben wir unsere Menschlichkeit auf“ (Marcus Willaschek, „Kant“, München, 2024, S 42f.).

9.
Dieser politische Aspekt der Hoffnung im Denken Kants ist oft eher übersehen worden. Viele LeserInnen konzentrierten sich auf Kants eher individualistische Überzeugung: Dass der rechtschaffene Mensch in dieser Welt mit so vielen Übeltätern zwar scheitert und darüber zu verzweifeln droht. Aber, so meint Kant, aufgrund der von ihm als Postulat konzipierten Unsterblichkeit der Seele, habe der gescheiterte, aber rechtschaffene Mensch die begründete Hoffnung: einen Zustand des (göttlichen) „Höchsten Gutes“ zu erleben. Den „der gegenwärtige Zustand der Welt, in dem viele Menschen unverschuldet leiden, ist nach Kant eine moralische Zumutung“ , also etwas zu Überwindendes. (Marcus Willaschek, Kant, a.a.o. S.138).

10.

Die Soziologin Eva Illouz analysiert in ihrem neuen sehr empfehlenswerten Buch “Explosive Moderne” (Berlin, Suhrkamp, 2024) auch die falsche, weil unmenschliche “Hoffnungs” – Propaganda etwa in den kapitalistischen USA: Dort wird Hoffnung als reflektierte vernünftige Lebensorientierung zugunsten eines aktiven Handelns im Sinne der Menschenrechte völlig umgedeutet in den “amerikanischen Traum”: Und der verspricht den Armen und dem Mittelstand eine glänzende materielle Zukunft, einen Aufstieg nach oben mit einem Leben in unbegrenztem Reichtum. “In Gesellschaften, die so von Ungleichheit bestimmt sind wie die USA, ermöglicht diese Hoffnung es, Klassenkonflikte zu verwischen und die vielfältigen Weisen, in denen die Gesellschaft ihre Versprechen bricht, unkenntlich zu machen” (Eva Ellouz, a.a.o. S. 67). Wer dem amerikanischen Traum folgt, lebt also als Mensch, der von dem ewigen Erfolgsstreben nicht lassen kann und dann doch in dieser falschen Hoffnung scheitert. Der amerikanische Traum verändert die Hoffnung in die Erwartung künftigen materiellen Wohlstands, in die Hoffnung auf ein Leben , “das nie Zufriedenheit erlangen kann und in vergeblichem Warten versandet. ” (a.a.O. S. 71).

11.

Von dieser politischen Ideologie der Hoffnung als einem reduzierten, nur ökonomisch – kapitalistischen Traum kann  philosophische Reflexion befreien, die Überlegungen Kants oder auch die Erkenntnisse Václav Havels , des entscheidenden Denkers der “Samtenen Revolution” in der Tschechoslowakei. Im Jahr 1985, noch unter kommunistischer Herrschaft, reflektierte Havel über die wahre Hoffnung in dem Buch “Kreuzverhör”: “Hoffnung ist ein Zustand des Geistes…Hoffnung ist eine Dimension unserer Seele…Hoffnung ist keine Prognostik. Sie ist eine Orientierung des Herzens, die die unmittelbar gelebte Wwlt übersteigt und irgendwo in der Ferne verankert, hinter ihrn Grenzen…Hoffnung ist nicht Optimismus… Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat – ohne Rücksicht darauf, wie es ausgeht” (zit. in Illlouz S. 55). Die Nähe der Erkenntnisse Havels zu denen Immanuel Kants müssten hier weiter ausgearbeitet werden, sie sind offensichtlich:  “Hoffnung ist die Gewissheit, dass etwas Sinn hat…”

12.
Wer das neueste Buch des Historikers und Autors Rutger Bregman (Niederlande) liest mit dem Titel „Moralische Ambition“, Rowohlt – Verlag, 2024, hat den Eindruck: Da werden Kants Erkenntnisse aktualisiert, da wird das Hoffen – DÜRFEN als Erlaubnis und Aufforderung, zu hoffen und politisch tätig zu werden, für heute kreativ aufgegriffen und weiter geführt. “Wer wird leben im Gedächtnis der Menschen?” Ein zentraler Satz Rutger Bregmans: „Nicht die reichsten, sondern die hilfreichsten Menschen werden von der Geschichte erinnert“.

13.
Nebenbei:
Über die Bedeutung des in der Hoffnung erschlossenen höchsten Gutes wird diskutiert: Die einen Kant – Kenner betonen: Im Sinne Kants werde dann Gott im „Jenseits“ die moralische Qualität eines jeden Menschen prüfen und die Bösen bestrafen und die Guten belohnen. Im Laufe der Zeit, betont der Kant – Forscher Marcus Willaschek, habe sich „Kants Verständnis des höchsten Gutes immer weiter von einer `religiösen` zu einer `säkularen` Konzeption verschoben“ (S. 142). Gott werde nicht mehr als himmlischer Richter gesehen, sondern als ein Schöpfer, „der die Natur so geschaffen hat, dass wir Menschen in ihr das höchste Gut aus eigener Kraft realisieren können“ (ebd.).

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

Von der Tiefe in die Stille – Wege in die Freiheit: Durch Musik!

Ungewöhnliche neue Klänge der Orgel: Die Komponistin Claire M. Singer.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 17.12.2024

1.
Musik führt ins Nachdenken … eigener Art, Musik erweckt den Geist und ermuntert die Sinne, führt ins Schweigen. Erst dann werden wieder wahre Worte wirklich. Musik ist deswegen unverzichtbar. Aber Musik hat in sich selbst ihren eigenen Sinn, dient keinem „Nutzen“, keinem greifbaren Zweck. Und auch dies ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit: Musik – auch in der Rolle der ZuhörerInnen – ist eine Vielfalt von eigenen Sprachen, die wir nicht in die Begriffssprachen übersetzt können. Oder nur in Andeutungen und Metaphern.

2.
Wir empfehlen heute im „Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin“ das Werk einer Komponistin und Performerin von Orgel – Musik, es geht um eine Verbindung von klassischen Klängen und elektronischer Musik. Die Orgel – Komponistin Claire M. Singer (sie spielt auch Cello) lässt sich dabei von ihrer Heimat Schottland inspirieren. Ohne in Klischees zu geraten: Es ist wohl das Erleben dort von dramatisch zu nennenden Landschaftsformen… in einer Natur der Stille und der Widersprüche gleichzeitig. Werden sie sich versöhnen? Musikalisch vielleicht. Und wenn man schon versucht, diese Musik in Worten weiter zu geben: Es werden eher “Flächen” präsentiert, also lang andauernde, oft gleichbleibende Klänge, die in Abgründe weisen oder sanft in eine Höhe streben. “Flächen”, auf denen sich oft eine Art sanfter Gesang zeigt…Hoffnungszeichen vielleicht, Wege in die Freiheit auf einem dunklen “Boden”, auf “Flächen”…

3.
Claire M. Singer LINK hat für ihre Kompositionen (erschienen als CD bei TOUCH Music UK) zahlreiche Auszeichnungen erhalten. Seit 2012 ist Claire M. Singer Musikdirektorin für Orgel am preisgekrönten Veranstaltungsort Union Chapel in Islington, London.
Sie gründete das Festival „Organ Reframed” zur Präsentation experimenteller Orgel- Musik.

4.
Wir empfehlen Claire M. Singers CD mit dem Titel „Saor“, ein Wort aus der Irischen Sprache: Es bedeutet “frei”.

5.
Thaddeus Herrmann, Redakteur bei DASFILTER,  LINK , dem Medium und der Plattform für Kultur und Gesellschaft der Gegenwart, hat eine „Plattenkritik“ verfasst:

„Wie 2023 plötzlich auszuhalten war“
Aus den Ohren, aus dem Sinn. Sechseinhalb Jahre ist es her, seit ich zuletzt über die schottische Komponistin Claire M Singer schrieb. Nun ist seitdem auch tatsächlich wenig von ihr erschienen: „Saor“ ist ihr drittes reguläres Album, dazwischen gab es noch eine EP und eine Compilation mit Stücken, die in der Zwischenzeit purzelten.
„Saor“ ist mein Album des Jahres. Es reißt mich mit wie nichts anderes mich in den vergangenen zwölf Monaten mitgerissen hat. Die Art und Weise der konzertanten Entschleunigung, die Singer in und mit ihrem Orgelspiel entfaltet, war mein Rettungsanker in den vergangenen Monaten, in denen es familiär einiges durchzustehen gab, eine Periode der Vorbereitung auf die nächste Phase in meinem Leben. Das unendliche Glück, das mir persönlich widerfuhr (und anhält) war der eine Kraft gebende Ruhepol, die Stücke auf „Saor“ der andere.
Für Singer markiert „Saor“ den Beginn einer Alben-Trilogie, in der sie die Eindrücke langer Wanderungen durch ihre schottische Heimat verarbeitet. Sie schreibt: „Saor follows two narratives: my trekking across the Cairngorm mountains in Aberdeenshire through the granite plateaux, corries, glens and straths, and my exploration of the 1872 Conacher organ in Forgue Kirk Aberdeenshire where many of my ancestors lie.“ („Saor folgt zwei Erzählungen: meiner Wanderung über die Cairngorm-Berge in Aberdeenshire durch die Granitplateaus, Kare, Täler und Senken und meiner Erkundung der Conacher-Orgel von 1872 in Forgue Kirk, Aberdeenshire, wo viele meiner Vorfahren liegen.“)
Mit ihrer Liebe zur Orgel als Instrument ist längst nicht mehr allein. Viele Musiker:innen – gerade die :innen – haben die Kraft der Pfeifen, egal ob groß oder klein, in den vergangenen Jahre für sich entdeckt. Singer putzt sie alle weg. Die langgezogenen Aufbauten, die schiere Kraft und Macht der sich Schritt für Schritt und Akkord für Akkord entwickelnden durchkomponierten Drones legt einen Mantel des Schweigens über alles mit Beats. „Saor“ ist eine hymnische Superlative der euphorischen Zurückhaltung. Wie die Musikerin ihr Orgelspiel mit Mellotron, Trompete, Cello, Klarinette und Elektronik verbindet absolut meisterhaft. Mal hell und strahlend, mal dunkel und dräuend, mal auch bewusst noisy. „Saor“ („frei) ist ein kammerspielerischer Befreiungsschlag.

Quelle: LINK.

Claire M. Singer „Saor“, Published by Touch Music, UK, 2023. Im deutschen Internet für 13,80 € erhältlich.

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