Willkommen im Religions-Philosophischen Salon Berlin

Der Religionsphilosophische Salon Berlin ist seit 2007 eine Initiative von Christian Johannes Modehn und Hartmut Wiebus.

Gründer und Initiatoren des „Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin“ sind:

Christian Modehn,  1948 in Berlin – Friedrichshagen geboren, nach dem Abitur am Goethe -Gymnasium in Berlin – Wilmersdorf, Studium der katholischen Theologie (Staatsexamen nach 6 Jahren Studium in München, St. Augustin bei Bonn bzw. Universität San Anselmo, Rom) und Philosophie (Magister Artium in München, über Hegel). Christian Modehn arbeitet seit 1973  als freier Journalist über die Themen Religionen, Kirchen und Philosophien, für Fernseh- und Radiosender der ARD, sowie für die Zeitschrift PUBLIK – FORUM, sowie früher auch für “Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt” (Hamburg), “Informations Catholiques Internationales” (Paris), “de bazuin” (Utrecht)  usw.. Zur Information über einige meiner Hörfunksendungen und Fernsehdokumentationen klicken Sie bitte  hier.

Hartmut Wiebus, 1944 in Seehausen/Altmark geboren, hat in Berlin (F.U.) Pädagogik (Diplomarbeit über Erich Fromm) und Psychologie studiert, und vor allem als evangelischer Klinikseelsorger gearbeitet.

…………

Seit Beginn der Corona-Pandemie im März 2020 gab es keine öffentlichen Salon – Veranstaltungen (“Präsenz-Veranstaltungen”) mehr, sondern nur Debatten in kleinerem Kreis; hingegen werden oft neue Beiträge als Hinweise zur Debatte auf unserer Website publiziert.

Warum ein religionsphilosophischer Salon?

1.

Der Titel und die „Sache“ „philosophischer Salon“ sind alles andere als verstaubt. Das Interesse an philosophischen Gesprächen und Debatten in überschaubarem Kreis, in angenehmer Atmosphäre (also in einem „Salon“), ist evident.
(Frontal-) Vorträge – etwa in Akademien – vor zahlreichem, weithin bloß zuhörendem Publikum sind oft Ausdruck autoritären Belehrens. Ein Salon ist ein freundlicher Ort des Dialogs.

2.

In unserem religionsphilosophischen Salon soll das Philosophieren geübt werden, also das selbstkritische, systematische Nachdenken. Das Thema Religion wird auch in den heutigen Philosophien ernst genommen. Philosophische Religionskritik hat nicht mehr Sinn zu beweisen, dass Religion bedeutungslos ist, im Gegenteil: Philosophische Religionskritik zeigt, welche Form einer vernünftigen Religion bzw. Spiritualität heute zur Lebensgestaltung gehören kann. Und welche Gestalten von Religion/Kirchen/”Sekten” alles andere als einen befreienden Charakter haben. Der Klerikalismus herrscht ungebrochen in der katholischen Kirche und den orthodoxen Kirchen; im weiten Feld des Evangelischen nimmt die Herrschaft der fundamentalistischen evangelikalen Kirchen ständig. freisinnige, vernünftige christliche Kirchen sind leider marginal (vgl. die Remonstranten). 

3.

Unser religionsphilosophischer Salon ist wichtig angesichts des tiefgreifenden religiösen Umbruchs in Deutschland /Europa. Die Bindung an die Kirchen lässt bekanntlich immer mehr nach. Die so genannte Säkularisierung nimmt zu. Aber Säkularisierung bedeutet gerade nicht automatisch Zunahme des Atheismus. Religionsphilosophische Salons können die Themen der Religionen und das subjektive Bewegtsein durch religiöse Fragen angesichts der Kirchenkrise vernünftig weiterführen, in der Freiheit des Geistes… über den Klerikalismus oder den vielfältigen religiösen Fundamentalismus hinaus.

4.

Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie gibt es nur im Plural, die (Religions-)Philosophien in Afrika, Asien und Lateinamerika dürfen nicht länger als „zweitrangig“ behandelt werden. In welcher Weise Religion dort zum „Opium“ wird angesichts des Elends so vieler Menschen, ist eine besonders relevante Frage, auch angesichts der Zunahme christlicher und muslimischer Fundamentalismen. Dringend wird die Frage: Inwieweit ist philosophisches Denken Europas eng mit dem kolonialen Denken verbunden?

5.

Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phien bieten also in ihren vielfältigen Entwürfen unterschiedliche Hinweise zur Fähigkeit der Menschen, ihre engen Grenzen zu überschreiten und sich dem im Denken zu nähern, was die Tradition Gott oder Transzendenz nennt. Dabei treten diese unterschiedlichen Entwürfe in einen lernbereiten Dialog. In unserem religionsphilosophischen Salon gibt es z.B.ein starkes Interesse am (Zen-) Buddhismus.

6.

Uns ist es wichtig uns zu zeigen, dass Menschen im philosophischen Bedenken ihrer tieferen Lebenserfahrungen das Endliche überschreiten können und sollen und das Göttliche, das Transzendente erreichen können. Das Göttliche als das Gründende und Ewige zeigt sich dabei im Denken als bereits anwesend. Es ist sozusagen unthematisch gegenwärtig im Geist des Menschen.
Wenn der Mensch nach dem Göttlichen fragt, hat er also notwendigerweise „immer schon“ ein gewisses Vorverständnis vom Göttlichen. Dieses „Vorwissen“ gilt, nebenbei, für alles Fragen und Suchen.

7.

Insofern ist Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie auch eine subjektive Form der Lebensgestaltung, d.h. eine bestimmte Weise zu denken und zu handeln.
Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie kennt keine Dogmen, sicher ist nur das eine Dogma: Umfassend selbstkritisch zu denken und alle Grenzen zu prüfen, in die wir uns selbst einsperren oder in die wir durch andere, etwa durch politische Propaganda, durch Konsum und Werbung im Neoliberalismus, eingeschlossen werden. In dieser Offenheit, Grenzen zu überschreiten, zeigt sich die Lebendigkeit der Religions -Philosophie. Philosophieren ist etwas Lebendiges, im Unterschied zu vielen klerikalen Konfessionen ist sie nichts Erstarrtes voller Verbotsschilder

8.

Diese „Entdeckungsreisen“ der Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phien können angestoßen werden durch explizit philosophische Texte, aber auch durch Poesie und Literatur, Kunst und Musik, durch eine Phänomenologie des alltäglichen Lebens, durch die politische Analyse der vielfachen Formen von Unterdrückung, Rassismus, Fundamentalismus. Mit anderen Worten: Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie findet eigentlich in allen Lebensbereichen statt, kann sich von allen „Produkten des Geistes“ (Hegel) bewegen lassen. Wer die Gesprächsthemen anschaut, die wir seit 2007 in den meist monatlichen Veranstaltungen („Salon-Abende“) in den Mittelpunkt stellen, wird von der großen Vielfalt überrascht sein. Bisher fanden ca. 100 Salon-Gespräche statt.

9.

Wo hat unser religionsphilosophischer Salon seinen Ort? Als Raum eignet sich nicht nur eine große Wohnung oder der Nebenraum eines Cafés, sondern auch eine Kunst – Galerie. In den vergangenen 7 Jahren fanden wir in der Galerie „Fantom“ in Charlottenburg freundliche Aufnahme. Zuvor in verschiedenen Cafés. Kirchliche Räume, Gemeinderäume etwa, sind für uns keine offenen und öffentlichen Räume. Sie sind meist nicht sehr „inspirierend“, d.h. sie sind „ungemütlich“, also keine Salons, sondern eher Amtsstuben.

10.

In unserem religionsphilosophischen Salon sind selbstverständlich Menschen aller Kulturen, aller Weltanschauungen und Philosophien und Religionen willkommen. Unser Salon ist insofern hoffentlich ein praktisches Exempel, dass es in einer Metropole – wie Berlin – Orte geben kann, die auch immer vorhandenen „Gettos“ überwinden.

11.

Unser religionsphilosophischer Salon sollte auch ein Ort freundschaftlicher Begegnung und menschlicher Nähe. Darum haben wir in jedem Jahr im Sommer Tagesausflüge gestaltet, mit jeweils 10 – 12 TeilnehmerInnen: Etwa nach Erkner (Gerhart Hauptmann Haus), Karlshorst (das deutsch-russische Museum), Jüterbog als Ort der Reformation, das ehem. Kloster Chorin, Frohnau (Buddhistisches Haus), Lübars… Außerdem gestalteten wir kleine Feiern in privatem Rahmen anlässlich von Weihnachten. Auch ein Kreis, der sich mehrfach schon traf, um Gedichte zu lesen und zu meditieren, hat sich aus dem Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon entwickelt. Aber alle diese Initiativen waren (und sind wohl) mühsam, u.a. auch deswegen, weil letztlich die ganze Organisation von den beiden Initiatoren – ehrnemtlich selbstverständlich – geleistet wurde und wird.

12.

Anlässlich der „Welttage der Philosophie“, in jedem Jahr im November von der UNESCO vorgeschlagen, haben wir größere Veranstaltungen mit über 60 TeilnehmerInnen im Berliner AFRIKA Haus gestaltet, etwa mit dem Theologen Prof. Wilhelm Gräb, dem Theologen Michael Bongardt. Der Berliner Philosoph Jürgen Große hat in unserem Salon über Emil Cioran gesprochen, der Philosoph Peter Bieri diskutierte im Salon über sein Buch „Wie wollen wir leben?“, die Politologin Barbara Muraca stellte ihr Buch „Gut leben“ vor, Thomas Fatheuer von der Heinrich – Böll- Stiftung vertiefte das Thema; der evangelische Pfarrer Edgar Dusdal (Karlshorst) berichtete über seine Erfahrungen in der DDR; der Theologe der niederländischen Kirche der Remonstranten, Prof. Johan Goud (Den Haag), war zweimal bei uns zur Diskussion, öfter dabei waren Dik Mook und Margriet Dijkmans – van Gunst aus Amsterdam…

Am 25.1.2023 notiert: Eine traurige Nachricht, ein großer Verlust für eine moderne “liberale Theologie”: Prof. Wilhelm Gräb, Prof. em. für praktische Theologie an der Humboldt-Universität Berlin,  ist am 23. Januar 2023 in Berlin nach langer Krankheit gestorben. Der Religionsphilosophische Salon Berlin verdankt ihm viele wichtige Anregungen und dankt nochmals auf diese Weise für insgesamt 65 Beiträge und Interviews, die Wilhelm Gräb in mehr als zehn Jahren für diese website gab. LINK.

Ich darf sagen, wir haben einen Freund verloren, der als ein Theologe der heutigen Moderne ungewöhnliche, aber richtige Perspektiven zeigte in seiner großen Aufgeschlossenheit und Freundlichkeit. Für ihn war die religiöse Glaubensform eines jeden Menschen wichtiger als die fixierenden, dogmatischen Lehren der Kirche. Diese theologische Freiheit, alle dogmatische Engstirnigkeit, allen Fundamentalismus auch in der evangelischen Kirche zu überwinden, “beiseite zu tun”, wie Wilhelm gern sagte, ist in ihrem radikalen Mut schon ziemlich einmalig. Ob diese Vorschläge und Ansätze zu einer Reformationen der Kirchen noch ernstgenommen werden, gerade in dieser “Kirchenkrise” ist eine offene Frage… Über seine Verdienste in der Forschung zu Schleiermacher wird später zu berichten sein.

Interessant in dem Zusammenhang das Interview, das uns Wilhelm Gräb 2012 zum Thema TOD und Sterben gab: LINK 

Zur theologischen Besinnung empfehle ich auch unser Interview mit Wilhelm Gräb “Der Gott der Liebe”. LINK:

Über vierzig viel beachtete Interviews mit dem protestantischen Theologen Prof. Wilhelm Gräb (Berlin, Humboldt – Universität) sind auf unserer Website publiziert. LINK.

Die Bilanz, vorläufig, Ende Juni 2022, formuliert: Einige wenige Interessenten außerhalb von Berlin haben die Idee des religionsphilosophischen Salons aufgegriffen. Aber wir können nicht sagen, dass etwa im kirchlichen Bereich, evangelisch wie katholisch, die Idee des freien und undogmatischen und offenen Salon-Gesprächs außerhalb der üblichen kirchlichen Räume (!), also in Café oder Galerien,  aufgegriffen und realisiert wurde. Das ist ein Faktum: Je mehr Christen aus den Kirchen austreten, um so ängstlicher und dogmatischer werden die Kirchen(führer), also auch ihre Pfarrer usw. Der Weg der Kirche in ein kulturelles Getto scheint vorgezeichnet zu sein, zumindest für die katholische Kirche. Tatsächlich haben sich über all die Jahre sehr sehr wenige “Vertreter” der großen Kirchen für unsere Initiative überhaupt interessiert. So konnten wir auch in jeder Hinsicht frei arbeiten!

Hinweis zu unseren Themen:
Eine Übersicht unserer Themen im Salon von Februar 2020 bis 2015 finden Sie hier. Die Themen von 2009 bis 2015 werden demnächst dokumentiert. Genauso wichtig wie die Salonabende sind auch die religionsphilosophischen und religionskritischen Hinweise Christian Modehn, publiziert auf der Website www.religionsphilosophischer-salon.de , bisher sind dort ca.1.300 Beiträge als „Hinweise“ veröffentlicht, mehr als eine Million vierhundertausend „Klicker“ gab es bisher (Stand 27.6.2022).

Der geplante religionsphilosophische Salon am 27.3.2020 über Hegel musste leider wegen der Corona – Pandemie ausfallen. Wir hoffen, dass noch einmal Salon – Gespräche stattfinden können. Sicher auch über Hegel.
Dass die Veranstaltung über Hegel anlässlich seines 250. Todestagesausfallen musste, ist aber besonders zu bedauern. Einige einführende Hinweise zur Philosophie Hegels hatte ich für den 27.3. 2020 vorbereitet, klicken Sie hier. Nach wie vor empfehle ich das große „Hegel-Handbuch“ von Walter Jaeschke, J.B. Metzler Verlag, 3. Auflage, 540 Seiten, nur 24, 90Euro.

Unser letztes Salongespräch fand am Freitag, den 14.Februar 2020 , wie immer um 19 Uhr statt, über das Thema: “Das Kalte Herz”. Mehr als ein Märchen (von Wilhelm Hauff). „Das kalte Herz“ offenbart die “imperiale Lebensweise”. 22 TeilnehmerInnen waren dabei. Leider mussten wir – wie öfter schon – acht Interessierten absagen, weil der Raum eben klein ist und nur eine Gruppe eine Gesprächssituation ermöglicht. Aber das große Interesse, ohne jede öffentliche Werbung, allein im Internet, und ohne jede Finanzierung von außen, ist schon bemerkenswert. Für einige vertiefende Hinweise zur imperialen Lebensweise: Beachten Sie diesen LINK.

PS: Der religionsphilosophische Salon Berlin erhält von keiner Seite finanzielle Zuwendungen oder Unterstützung. Wir sind unabhängig und frei. Alle Arbeit für den Salon, also Organisation und die Impuls-Referate und die Moderation, leisten wir ehrenamtlich. Von den TeilnehmerInnen eines Salon-Abends werden lediglich 5 Euro erbeten … für die Raummiete in der Galerie Fantom.

Wir haben unsere philosophischen, religionsphilosophischen und theologischen Gespräche im Salon als Ausdruck der Spiritualität der freisinnigen protestantischen Remonstranten – Kirche (in Holland) verstanden. Dabei haben wir, ebenfalls der offenen, freisinnigen Theologie der Remonstranten entsprehend, keine Werbung für diese protestantische Kirche “betrieben”. 

Copyright: Christian Modehn und Hartmut Wiebus.

Dantes Poesie: Hilfreich, heilsam, erlösend.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 6.10.2024 aus Anlass des neuen Buches von Fabio Stassi!

Pünktlich zur Frankfurter Buchmesse 2024: Etwas Neues über Dante!

1.
Dantes Poesie hat heilende Kraft, betont der Schriftsteller Fabio Stassi: Dante Alighieri (geb. 1265 in Florenz – gestorben 1321 in Ravenna) als inspirierenden, hilfreichen Dichter – Therapeuten entdecken: ein anspruchsvolles Unternehmen. Fabio Stassi, Autor zahlreicher Romane wie „Die Seele aller Zufälle“, arbeitet auch als Bibliothekar an der römischen Staats – Universität La Sapienza.

2.
Dante war ein mittelalterlicher, ein frommer, ein theologisch gebildeter, immer Papst-kritischer Mensch. Die Lektüre seiner Werke zeigt ihn als einen Dichter von HEUTE, meint Stassi, nicht nur, weil seine Texte körperliche wie seelische Leiden heilen bzw. wenigstens lindern, aber auch weil sie die zerrütteten politischen Verhältnisse freilegen. „Die Göttliche Komödie“ Dantes ist „ein Schrei nach radikaler Reform“, schreibt auch der Philosoph Kurt Flasch (Fußnote 1). Ergänzend zu Stassi sollte man wohl auch meinen: Dantes „Göttliche Komödie“ hält die Sehnsucht nach dem Himmel, dem Paradies Gottes – trotz oder wegen der Hölle – offen. Das war Dantes religiöse Überzeugung, ob man sie heute als „bloß mittelalterlich“ bewerten sollte und bewerten darf, ist die Frage.

3.
Zur Frankfurter Buchmesse 2024 mit dem Gastland Italien wird also eine herausfordernde These publiziert: „Wer sich auf die Poesie Dantes einlässt, wird ein neuer Mensch.“ Die „heilbringende Poesie“, so Fabio Stassi, kann die Vorstellung von religiöser Erlösung fördern! Stassis Bibliotherapie hat nun also höchste Ansprüche. Die noch etwas etwas bescheidenere Bibliotherapie, der Roman „Die Seele aller Zufälle“,  ist 2018 in Italien erschienen. Zur Bibliotherapie: LINK.

4.
Fabio Stassis leider etwas zu kurzer neuer, sehr persönlicher Essay erscheint auf Deutsch unter dem Titel: „Ich, ja ich werd` Sorge tragen für dich“, erschienen in der Edition Converso, Karlsruhe. LINK. Übersetzt man den italienischen Titel dann heißt das Buch: „Und ein schöner Vers heilt mich von allem Übel.“
Den Essay hat Stassi anläßlich eines Dante – Festival 2021 in Rom (auf dem Gelände der Basilica di Massenzio) verfasst.

5.
Dante selbst kennt seelische Qualen (den Verlust von Beatrice, seiner hoch verehrten Freundin) und er weiß aus eigener Erfahrung, was körperliche Leiden (Herzkrankheiten) an Unlust am Leben erzeugen. Aber Dante hat die Kraft, in seiner Poesie über das eigene Leiden hinauszuschauen, hinaus zu leben, möchte man sagen und die LeserInnen gerade deswegen zu trösten.

6.
Stassi bezieht sich in seinem Essay auf die Hauptwerke Dantes. Berühmt ist sein großes und großartiges Werk „Divina Comedia“ (1319), auf Deutsch „Göttliche Komödie“. Es liegen in deutscher Sprache fünfzig Übersetzungen des ganzen Werkes und siebenundzwanzig Teilübersetzungen vor. Das philosophische und politische Hauptwerk Dante „Über die Monarchie“ (1313) wird leider von Stasi nicht berücksichtigt.

7.
In der „Divina Comedia“ beschreibt Dante seinen eigenen Weg zum Paradies, er führt durch die Hölle und „Vorhölle“. Die Schilderung der Qualen der von Gott Bestraften und Verurteilten ist außergewöhnlich heftig und für die Leser anstrengend, schockierend: Aber Dante empfindet Mitleid für die Verdammten, betont Stassi (S. 17). Die Begegnung mit den Höllen Bewohnern soll wohl bei den LeserInnen eine heilsame Warnung haben, etwa: „Folgt nicht dem Lebensmodell der Übeltäter.“ Ob diese Warnung vor der Hölle auch heute noch wirksam ist, sei dahingestellt. Mit dem Glauben an einen Gott als den Weltenherrscher ist auch der Glaube an einen Gott als gerechten Richter aller Menschen verloren gegangen. Man hat den Eindruck: Verbrecher selbst aus so genannten christlichen Kulturen Europas (Putin nennt sich orthodoxer Christ, Hitler blieb sein ganzes Leben Mitglied der katholischen Kirche, General Franco war erz-katholisch usw.) haben offenbar überhaupt keine Angst vor einem ewigen Aufenthalt in der Hölle. Sonst würden sie sich anders verhalten. Dies nur das Rande, sozusagen als Fortführung der Gedanken Fabio Stassis.

8.
Dantes Poesie hat selbst in höchster Not, unter heftigster Lebensbedrohung, geradezu eine spirituelle Kraft. Stassi erinnert, dass der Schriftsteller Primo Levi im KZ Auschwitz einige Verse Dantes präsent hat und dadurch einen Mitgefangenen Italienisch lehrt…Stassi erinnert auch an den großen russischen Dante – Kenner Ossip Mandelstamm, er hatte noch in den Todes – Lagern Stalins einige Verse Dantes als eine Art letzten Trost im Gedächtnis.

9.
Dantes Poesie und Dichtung kann, wie er selbst in einem Brief schreibt, „die Lebendigen in diesem Leben (durch die Poesie) aus dem Zustand des Elends herausführen und zum Glück leiten“ (vgl. S. 79). Stassis Therapie durch Poesie hat politische Konsequenzen. Er nennt die Schmerzen seines Landes, „das seit Jahrhunderten unter den immer gleichen Übeln leidet: Jeder Aspekt des Nationalcharakters wird von Dante untersucht, Servilismus, Schmeichelei, Neigung zu Trägheit, Hochmut, abgründige Obsession der Fleischeslust“ (S. 60). Und Dante sagt im Blick auf seine Landsleute: „Die blinde Habgier hat euch ganz verhext! Ihr seid ja wie das Nuckelkind, das verhungert, aber die Amme wegstößt ( Paradies XXX, 139, zit. S 61 bei Stassi).

1o.
Sehr verständlich, wenn Stassi seinen Essay in einer gewissen Trauer und Melancholie beschließt: „Wenn die Dichter und die Schriftsteller und die anderen Bannerträger der Vernunft die Stimme verlieren, sind es die Diktatoren, die sie wiederfinden.“ (S 77)

11.
Mit Interesse werden die LeserInnen auch das Nachwort des Schweizers Autors und hervorragenden Dante – Spezialisten Ralph Dutli lesen (S. 107 ff.): “Die tiefste Hölle ist bekanntlich bei Dante kein übereifriges Heizungsunternehmen, sondern eine gigantische Kühltruhe.“ (S. 113). Vor allem Dutlis Hinweis auf den russischen Dante-Kenner Ossip Mandelstam ist wichtig: „In sein eigenes, anti-stalinistische Pamphlet, die `Vierte Prosa` von 1929/30, führte Mandelstamm gleichsam als Signal ein Dante Zitat ein, den Anfangsvers von Dantes Inferno – `Mitten auf unserer Lebensreise` – und Mandelstam bezeichnete damit seinen Eintritt in die Hölle der dreißiger Jahre unter Stalin… und die Beschwörung des Kannibalismus (bei Dante) ist bei Mandelstam eine Anspielung auf die ihre Kinder essenden Bauern während der von Stalin angeordneten Hungerkatastrophe des Holodomor (`Tötung durch Hunger`) 1931-1933 in der Ukraine“ (S. 120f.).

12.
Ich wünschte mir, dass Stassi bald erklärt, wie denn die Beziehungen der von ihm hoch gelobten hilfreichen Poesie zu den bekanntermaßen auch hilfreichen Weisheits – Sprüchen der griechischen Philosophie (Stoa, Epikur, Neoplatonismus) sind oder die Beziehungen zu den Weisheitssprüchen des Alten Testaments, dort etwa das Buch „Jesus Sirach“. Stassi lässt sich von seiner Überzeugung leiten: „Allein die Poesie, das sei nochmals betont, kann mehr als die Philosophie, mehr als die Religion und jedwede andere Disziplin den Menschen zur Heilung, zur Glückseligkeit und so letztendlich zur Gesundheit führen“ (S. 42). Zweifellos eine sehr steile These, wobei da noch zu fragen wäre, ob Glückseligkeit (“letztendlich”, nur?) Gesundheit ist.

13.
Ich suche in dem zweifellos kurzen Essay auch Hinweise auf die heftigste und allzu berechtigte Papstkritik, die Dante in den Kapiteln über die Hölle in der „Göttlichen Komödie“ äußert (und auch in dem schon erwähnten Buch „Über die Monarchie“). Man denke also an Dantes Verurteilung der in jeder Hinsicht unwürdigen und korrupten Päpste zu seiner Lebenszeit, also an Bonifaz VIII., Clemens V. oder Johannes XXII.

14.
Und weiter, um die Bibliotherapie Stassis im Sinne Dante weiter zu konkretisieren: Wäre es nicht auch eine Art Therapie, wenn Katholiken angesichts der vielen verbrecherischen Päpste aus der katholischen Kirche austreten und einfach sagen: Es reicht mir! Gibt es also einen heilsamen, befreienden Kirchenaustritt aufgrund von Dante Lektüren  auch heute?

15.
Irritierend bleibt, dass die Päpste des 20. Jahrhunderts bis hin zu Papst Franziskus voller Lob und beinahe überschwänglich auf Dante (den Papst – Feind) und sein Werk hinweisen. Papst Franziskus urteilt in seinem ausführlichen Dante – Text vom 25.3.2021 sehr milde und objektiv wohl auch falsch, wenn er schreibt: „Dante würde in einigen (sic) Bereichen der Kirche Verfallserscheinungen anprangern…“ Dabei war Dante DER mittelalterliche Kirchen – und Papstkritiker überhaupt! Und dies, obwohl – oder weil – alle seine Sehnsucht dem Himmel galt, dem Glanz des Ewigen, des Lichtes, dem Paradies, …vielleicht auch bloß der umfassend humanen Weltordnung? Siehe Fußnote 3: Papst Paul VI. über Dante!)

Fußnote 1:
Kurt Flasch, Kampfplätze der Philosophie“, Frankfurt M.-2008, S 184).

Fußnote 2:
Papst Franziskus über Dante zum 700. Todestag 202P: LINK. https://www.vatican.va/content/francesco/de/apost_letters/documents/papa-francesco-lettera-ap_20210325_centenario-dante.html

Fußnote 3:
Papst Paul VI. sagte über Dante manchmal in erstaunlicher Nähe zu Fabio Stassis These: »Die Göttliche Komödie ist von ihrer Zielsetzung her in erster Linie praktisch und transformativ. Sie will nicht bloß poetisch schön und moralisch gut sein, sondern sie möchte den Menschen radikal verändern und ihn von der Unordnung zur Weisheit, von der Sünde zur Heiligkeit, vom Elend zum Glück, von der furchterregenden Vision der Hölle zur selig machenden Schau des Paradieses geleiten«. (Papst Paul VI. In seinem Apostolischen Schreiben „altisssimi cantus“, 1966.)
………………
ZUM BUCH: Fabio Stassi,“ Ich, ja ich werd‘ Sorge tragen für dich. Kurze Abhandlung über Dante, die Dichtung und den Schmerz“ .
Aus dem Italienischen von Monika Lustig. Mit einem Nachwort von Ralph Dutli. 128 Seiten.
Verlag: Edition CONVERSO, Karlsruhe. 22,00 €

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer-Salon.de

Der schöne Schein von katholischer Modernität und die dunkle Realität heute.

Was man über die Entwicklungen im Katholizismus jetzt wissen sollte. Einige Fakten.
Hinweise von Christian Modehn.

1. “Klerikalismus ist Sünde” sagt der Papst.
Papst Franziskus ist wahrscheinlich der erste Papst, der den Klerikalismus aufs heftigste öffentlich kritisiert und explizit verurteilt. Der Papst ist als oberster Kleriker („heiliger Vater“) über die Verhaltensweisen und Ideologien der heute lebenden Kleriker, also der Priester in der römisch-katholischen Kirche, total empört. In seiner wohl Biographie zu nennenden Veröffentlichung mit den Titel „Leben. Meine Geschichte in der Geschichte“ (2024, ein in mehreren Sprachen herausgegebenes Buch, auf Deutsch bei HarperCollins) sagt Papst Franziskus: „Klerikalismus ist eine wahre Krankheit, eine Pest, Klerikalismus ist Sünde, eine Perversion, Klerikalismus habe die Macht, die Kirche zu zerstören usw…“ (die Belege auf den Seiten 256-257). Und dann auch dieses: „Klerikalismus ist das Gegenteil von Synodalität“, so auf Seite 257. Und der Leser denkt Ende September 2024 daran, dass ab 2. Oktober 2024 wieder die Weltsynode in Rom tagen wird: Und alle wissen schon jetzt: Synode im eigentlichen Sinne ist diese Veranstaltung nicht: Die Kleriker sind die große Mehrheit der Teilnehmer; Mehrheits-Entscheidungen der Synodalen haben keine Bedeutung, alle Entscheidungen der Synodalen müssen vom Papst gutheißen oder verworfen werden. Und der Anteil der Frauen unter den Synodalen ist sehr gering. Dabei sind mindestens eine halbe Milliarde der Katholiken weltweit Frauen! 45 Frauen unter den 368 Synodalen sind stimmberechtigt., berichtet katholisch.de am 1.10.2024. Anne Soupa, eine französische Historikerin und Theologin über die uralte Angst des Klerus vor den Frauen, diese Angst gilt auch für den Papst und seine Synode: LINK  Das Thema Diakonat für Frauen hat der Kleriker, Papst Franziskus, ausgeschlossen. Und die Presse ist bei den Synoden-Debatten nicht zugelassen. Von umfassender Demokratie ist auf der Weltsynode keine Spur. Der Klerikalismus, verstanden auch als päpstliche Allmacht, besteht also auch wie vor weiter. Was sollen dann aber diese Verbal – Attacke des Papstes gegen den Klerikalismus? Nur eine von anderen, schnell daher gesagten emotionalen päpstlichen Ausrutschern oder Launen? Wahrscheinlich ist das so.

2. Keine Analyse des “perversen Klerikalismus”.
Man beachte: Die Verurteilung des Klerikalismus, als, so wörtlich, Perversion, als Sünde, als Zerstörung der Kirche, als Pest usw. wird vom Papst nur kurz als Empörung ausgesprochen, sie wird von ihm nicht tiefer analysiert, geschweige denn überhaupt präzise definiert. Man könnte also den Eindruck haben: Der Papst äußert seine Klerikalismus – Empörung, um noch etwas Beifall in katholischen – progressiven Kreisen zu erhalten: Diese Gruppen sind ja bekanntlich mit sehr gutem Grund antiklerikal. Und diese sollen sich nun über einen verbal antiklerikalen Papst freuen…
Nebenbei: Es ist durchaus zum Schmunzeln, dass die Klerikalismus – Attacken des Papstes in einer Epoche stattfinden, in der die aus Europa selbst stammenden Kleriker de facto, also für alle nachweisbar, zu einer aussterbenden Berufs – Gruppe gehören. Der viel besprochene „enorme Priestermangel“ (und die Vergreisung des Klerus) in Europa kann nur noch durch den Import von vielen tausend Klerikern aus Afrika, Indien, den Philippinen, aus Polen auch noch vorläufig noch etwas ausgeglichen werden. Aber der Klerikalismus besteht auch mit wenigen Priestern fort.

3.
Schon im Jahr 2014 hatte Papst Franziskus in seiner Ansprache vor den Kardinälen den Klerikalismus aufs heftigste kritisiert und die in päpstlicher Sicht irregeleiteten Kardinäle und Bischöfe am päpstlichen Hof eigentlich verurteilt….LINK

4.
Aber entscheidend ist: Die heftigste Zurückweisung des Klerikalismus durch den Papst hat für ihn selbst und seine Theologie kaum praktische Konsequenzen. Der Papst könnte bei der Allmacht seines Amtes das unsägliche Zölibatsgesetz für Kleriker sofort abschaffen. Das wäre kirchenrechtlich möglich. Der Papst ahnt doch hoffentlich: Das Zölibatsgesetz, die Verpflichtung der Priester, sich ohne erotische – sexuelle Liebesbeziehung irgendwie „keusch“, vielleicht a- sexuell, vielleicht zunehmend homosexuell, durchs klerikale Leben zu schlagen, ist fraglos ein Grund fürs Entstehen des krankhaften, vom Papst pervers genannten Klerikalismus. Und der Klerikalismus zeigt sich in der Öffentlichkeit als neurotische Herrschaft, als Allmachtsgefühl, als Überzeugung von heiliger Auserwähltheit, als neurotischer Zwang, eigene, auffallende Priestergewänder (Talare etc.) in der Öffentlichkeit zu tragen… Man lese das Buch von Eugen Drewermann „Kleriker“ erneut!

5. Papst Franziskus hält gegen alle theologische Erkenntnis am Zölibat fest.
Selbstverständlich gibt es in dieser verrückt gewordenen Welt voller Rassismus und Rechtsextremismus und Ignoranz der Klimakatastrophe etc. philosophische dringendere Themen. Aber Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie also Religionskritik muss sich um dieses Thema kümmern. Einen kritischen Journalismus, also einen, der sich mit Kirchenfragen als Investigativer Journalismus befasst, gibt es bekanntlich nicht. Wir erinnern also an dieses Thema, weil der Papst aus seinem offenbar innersten Zorn auf den Klerikalismus heute keine wirksamen, praktischen Konsequenzen zieht.
2014 sagte er noch auf einer Pressekonferenz, „weil der Zölibat kein Dogma ist, ist die Tür (zur Aufhebung des Zölibates ) Immer offen“. Aber schon 2019 lehnte der Papst dann die Forderung der so genannten „Amazons – Synode“ im Vatikan ab, verheiratete Männer als Priester wenigstens für den Amazonas- Bereich zuzulassen. Und 2023 sagte er dem argentinischen Publikation „Perfil“: „Ich bin noch nicht bereit, das Zölibatsgesetz zu überprüfen“. In einem Brief an französische Seminaristen vom 1. 12. 2023 zeigte Papst Franziskus auch noch seine Bindung an eine fundamentalistische Bibelauslegung, als er behauptete: „Der Priester ist zölibatär, weil Jesus es war, ganz einfach.“ LINK
Und auch auf der Weltsynode, die am 2.Oktober 2024 in Rom beginnen wird, hat der Papst, nach wie vor allmächtig, das Zölibatsgesetz NICHT als Thema auf die Tagesordnung gesetzt. Und die synodalen Schäfchen folgen brav der päpstlichen Verfügung…

6. Nur Kleriker leiten die Kirche.
Papst Franziskus setzt also (trotz der vielen tausend Missbrauchs-Verbrechen durch den Klerus) das von ihm so verhasste klerikale System in aller Form fort, zum Schaden der ganzen Kirche und … auch der Gesellschaft: Denn neurotische Priester, möglicherweise pädosexuelle Täter, sind nun einmal keine guten Seelsorger… in schwierigen Zeiten zumal.
Sicherlich, es gibt einige päpstliche kosmetische Reförmchen: Zum Beispiel: Einige Frauen arbeiten jetzt in päpstlichen Behörden, einige Frauen arbeiten sozusagen als Notlösung in bischöflichen Bürokratien, Ordinariate genannt; einige wenige Frauen sind TeilnehmerInnen der Weltsynode im Oktober 2024. Im ganzen aber bleibt es dabei: Papst Franziskus unternimmt nichts Grundlegendes gegen die Macht des Klerus, die Leitung der Kirche bleibt absolut Kleriker-, also Männer Sache.

7. Katholische Kirche ist stolz, nicht demokratisch zu sein.
Und die katholische Kirchenführung betont jetzt erneut, wie stolz sie ist, keine Demokratie zu sein, keine demokratische Strukturen etc. zu haben und bei dem Ausschluss der Frauen vom Priester auch die universal geltenden Menschenrechte zu missachten. … Und all das sagt die Kirchenführung ungeniert, zu einer Zeit, in der in den wenigen noch verbliebenen Demokratien dann die Demokratie von Rechtsextremen abgeschafft werden wird.
Noch einmal: Die katholische Kirche tut so, als würde sie mit diesen Synoden einen modernen und demokratischen Anschein wecken. Die Realität ist anders: Papst Franziskus negierte in seinem Buch „Leben“ (Verlag HarperCollins 2024, Seite 64) jegliche Hoffnung auf eine demokratisch – katholische Kirche: „Die Kirche ist doch, wie ich häufig genug sage, kein Parlament!“

8. Fundamentalistische Theologie des Papstes
Aber der angeklagte, aber auch wie bestehende Klerikalismus zeigt seine Macht auch in seinen Weisungen zur spirituellen Praxis der Glaubenden, der Laien und der „einfachen Priester“. Und dieser Einfluß klerikaler Theologie, also meist fundamentalistischer Theologie. Siehe dazu die Bibelauslegung des Papstes, siehe dazu u.a jetzt wieder das Insistieren auf die absolute biologische Fixierung auf die zwei von Gott angeblich auf immer fest gelegten Geschlechter, so der Papst am 28.9. 2024 in Löwen, Belgien. Und von dieser fundamentalistischen Rede des Papstes hat sich die katholische Universität Löwen, Belgien, distanziert! LINK
Es geht also um die Vorherrschaft klerikaler Theologie und klerikaler Spiritualität heute. Der Papst unternimmt nichts, um abergläubische Praktiken der Frömmigkeit und Spiritualität zu unterbinden. Im Gegenteil, er unterstützt diese Formen abergläubischer Spiritualität sogar noch.
Zur theologischen Erinnerung: Religiöse Praktiken können nicht nur nach inner-religiösen oder inner-theologischen Kriterien beurteilt werden, sondern vor allem nach universell allgemeinen Grundsätzen der Vernunft. Diese selbstkritische Vernunft hat ihren Ausdruck in den universell gelten Menschenrechten. Deswegen ist die Kategorie „Aberglaube“ im religiösen Bereich auch in der katholischen Kirche berechtigt und notwendig. Das heißt: Ein vernünftiger Mensch kann nicht zulassen, dass die Religionen und Kirchen und Päpste etc. heute ausschließlich selbst definieren, was Religion, Glaube, Spiritualität ist.

9. Ablass wird propagiert: Von Martin Luther nichts gelernt.
Alte, theologisch längst obsolete Praktiken werden wieder propagiert: Das Jahr 2025 wird in der katholischen Kirche als „Heiliges Jahr“ gefeiert. Und das bedeutet: Etwa 25 Millionen Pilger werden in Rom erwartet. Sie werden zweifellos die leeren Kassen des Vatikans füllen: Denn der „heilige Stuhl“ hat ein Haushaltsdefizit von ca.80 Millionen Euro, wie der Papst vor dem Kardinalskollegium betonte, so wurde am am 20.9. 2024 berichtet.

Auch der Ablass wird wieder im heiligen Jahr besonders gewährt! Der Ablass ist keineswegs in den „Verließen“ des Vatikans verschwunden nach Luthers Kritik, nein, er wird nach wie vor offiziell propagiert. LINK.

10. An den Teufel glauben!
Der Glaube an den Teufel wird nach wie vor offiziell vom Papst gefördert und unterstützt: Am 25.9.2024 belehrte Papst Franziskus in seiner wöchentlichen Generalaudienz: „Der Teufel existiert, er verführt die Menschen dazu, seine Existenz abzulehnen.“
Der Exorzismus als katholischer Ritus, Menschen aus der Macht des Teufels zu befreien, wird nach wie vor von Priestern praktiziert, auch wenn die Kirchenführung jetzt, so der Papst in seiner Ansprache am 25.9.2024, etwas vorsichtiger vorgehe bei der rituellen Vertreibung des Teufels…
Auch dies: Exorzismus – Kurse finden an der Universität „Regina Apostolorum“ in Rom (unter der Leitung des höchst umstrittenen katholischen Ordens „Legionäre Christi) seit vielen Jahren regelmäßig statt. „Nach Schätzungen von Geistlichen sind allein in Italien rund 400 Exorzisten tätig.“ LINK
Wer etwa die Websites französischer Bistümer studiert, findet immer wieder den Hinweis auf die zuständigen Exorzisten. Etwa für das Erzbistum Paris LINK https://dioceseparis.fr/service-de-l-exorcisme.html. Oder ein Beitrag aus „Le Monde“ 2021: LINK

11. Die Kleriker sind absolut wichtig, weil nur sie die Messe zelebrieren dürfen!
Die absolute Vorrangstellung des Klerus in der Katholischen Kirche wird nach wie vor auch in der Spiritualität und der Glaubenslehre zementiert. Die Priester stehen an erster Stelle, weil nur sie die heilige Messe zelebrieren dürfen. Diese Messe wird als das absolut Höchste innerhalb der katholischen Spiritualität propagiert. Ohne Priester keine Messe, ohne Messe keine wahre Spiritualität. Wenn Priester fehlen, müssen „halt eben“ die überflüssigen Kirchengebäude geschlossen und verkauft werden. Das ist jetzt Praxis in Europa. Natürlich verlassen sehr viele Millionen nachdenkliche Menschen in Europa diese Kirche, so dass auch deswegen die Gebäude überflüssig werden…
Die ursprüngliche, biblische Mahlfeier der Gemeinde als Gedenken an Jesus von Nazareth wurde durch den Klerus zu einer kultischen Opferhandlung (zur Messe) umgewidmet, dieser kultischen Opferhandlung kann nur der geweihte Priester (ein Mann natürlich) vorstehen. (Vgl. den Beitrag des Theologen Helmut Jaschke „Das Eucharistieverständnis der katholischen Kirche ist überholt“ in Publik-Forum 17/2024, Seite 38.)

12. “Ich betete zur Mutter Gottes”.
Der Marien – Kult ist in der heutigen katholischen Kirche, Stand September 2024, kaum zu bremsen:
Papst Franziskus ist intensivster Verehrer der Jungfrau Maria. Seit jungen Jahren verehrt er besonders die wundertätige Jungfrau Maria mit dem Titel „Maria Knotenlöserin“: Der Papst sagt: „Ich hab mich Maria ganz hingegeben und gespürt, wie sie mir geholfen hat, alle meine Knoten zu lösen. ….Die Hingabe an die Mutter Gottes muss klar, schön, rein und schlicht sein, Maria und ihr Sohn (in dieser Reihenfolge, sic CM) müssen immer an erster Stelle stehen“, so in dem Buch des Papstes mit dem Titel „Leben“, Verlag HarperCollins. Seite 123. Dort war er auch sehr ehrlich: „Ich betete zur Mutter Gottes“ (Seite 73).

13. Maria erscheint auf Erden
Die überschwängliche Verehrung Mariens im Wallfahrtsort Medjugorje in Bosnien wird jetzt vom Papst anerkannt, selbst wenn er es verbietet, die monatlichen Äußerungen der dort aus dem Himmel hereinschwebenden Maria als Offenbarungen zu deuten. Quelle. Die Übernatürlichkeit, also Echtheit der Erscheinungen Marias auf bosnischem Boden, wird also vom Papst nicht bestätigt, so weit ist man theologisch schon gekommen. Um die vielen tausend Medjugorje – Pilger nicht zu brüskieren, drückt der Papst dann doch ein insgesamt positives Urteil über den Wallfahrtsort und die Botschaften Mariens dort aus: Insgesamt sei dieser Ort der Auftritte Mariens in Medjugorje „ein Schatz“ für die Frommen, den es zu pflegen gilt.
LINK
Die website katholisch.de nennt weitere Orte der Erscheinungen Mariens und angeblicher Wunder. „Zu nennen sind Trevignano bei Rom, Brescia und Como in der Lombardei, Kalabrien im Südwesten Italiens, gefolgt vom spanischen Wallfahrtsort Chandavila.“ LINK

14. Blutwunder als Spiritualität moderner Menschen.
Neben der höchst lebendigen Marien-Verehrung ist der so genannte mysteriöse, nicht mystische (!) Volksglaube vor allem in Italien, Spanien, Portugal, Lateinamerika sehr lebendig. Diese Frommen wollen das Göttliche oder ihren Gott und ihre Heiligen wirklich greifen, sehen, spüren, riechen…Bekannt ist die Vorliebe der Neapolitaner für das Blutwunder des heiligen Januarius (San Gennaro). Das Blut befindet sich in einer Ampulle, es darf sich aber erst verflüssigen nach einem zu Ehren des Heiligen gefeierten Messe. Aber im September 2024 war das Blut bereits vor der Messe verflüssigt, und das gilt als ein böses Omen. Aber der kompetente Blutwunder – Spezialist, der Erzbischof, beruhigte die nervösen und furchtsamen Frommen. Der katholische Aberglaube erzeugt Angst: Denn das Ausbleiben des Blutwunders wird in Verbindung gebracht mit den (bevorstehenden ?) vulkanischen Aktivitäten in der Nähe Neapels…

15.  Ein heilihger Scharlatan
Offiziell propagiert und fördert nach wie vor der Klerus auch eine exzessive Heiligen – und Reliquien- Verehrung. Über den Kapuziner-Pater Pio, den Scharlatan mit den Wundmalen Jesu an den Händen, wurde oft berichtet: Er ruht in einem Glassarg in San Giovanni Rotondo. Papst Franziskus holte die Kapuziner – Mumie in seinem Glassarg sogar in den Petersdom nach Rom. LINK

16. Das heilige Herz  auf Reisen.
Nicht weniger interessant ist die aktuelle Verehrung des jungen Heiligen Carlo Acutis (1991-2006), dessen Leiche im offenen Sarkophag in Assisi ausgestellt wird. Dem toten Körper hat man allerdings das jugendliche Herz entnommen (nicht für mögliche Transplantation), sondern: Die Kirche schickte dieses heilige konservierte Herz im Jahr 2024 auf Pilgerfahrt quer durch Europa. Selbst Katholiken fanden diese Rundreise eines Herzens geschmacklos. Um das Herz des jungen Toten wurde das Bekenntnis Carlo Acutis angebracht: „Die Eucharistie ist meine Autobahn zum Himmel“.

17. Psychiater vermeiden im Apostlischen Palast
Papst Franziskus hasst also den perversen, sündigen Klerikalismus. Aber er hasst offenbar nicht die Kleriker. Aber er persönlich will doch Vorbild sein und lehnt klerikale Bevorzugung ab, das darf nicht vergessen werden. Er findet das für Päpste übliche Leben in den Palästen des Vatikans unerträglich. Entsprechend äußerte er sich in seiner Biographie mit dem Titel „Leben“ (2024): „Hätte ich mich nach der Papstwahl entschieden, in die Päpstliche Wohnung des apostolischen Palastes zu ziehen, dann hätte ich vermutlich über kurz oder lang einen Psychiater gebraucht“ (S. 221). Zur Erinnerung: Papst Benedikt XVI. hat mit seinem Sekretär Erzbischof Georg Gänswein in diesem apostolischen Palast offenbar recht gern gewohnt, Papst Johannes Paul II. übrigens auch…Waren diese geistlichen Herrschaften während all der Jahre des isolierten Wohnens im Apostolischen Palast beim Psychiater?

18.
Weitere Beispiele für den Klerikalismus und für den damit zusammenhängenden Aberglauben in der katholischen Kirche heute können die LeserInnen aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen einbringen. Wir brechen diese religionskritischen Hinweise hier erst einmal ab.

19.
Mit dem Fortbestehen des Klerikalismus und damit der Kleriker als einem herausgehobenem, besonderen exklusiven Stand begibt sich die katholische Kirche weiterhin ins Getto.
Und damit zusammenhängend: Mit der ungebrochenen Förderung populärer Frömmigkeit und veralteter Theologien wird diese Gettobildung weiter gefördert.

20.
Wenn gelegentlich der Anschein erweckt wird, wie jetzt durch die „Weltsynode“ im Oktober 2024, die katholische Kirche suche den Anschluß an die demokratische Moderne, sie habe die Absicht, mit einfacher, nachvollziehbarer Glaubens -Lehre auch kritisch denkende Menschen religiös zu interessieren: Dann sollte man wissen: Es handelt sich immer nur um Reförmchen des Klerus, also um leichte Veränderungen der klerikal bestimmten Kulissenlandschaft. Erst wenn es keinen herausgehobenen Klerus – Stand mehr gibt, wird diese Kirche menschenfreundlicher, frauenfreundlicher vor allem, sagen wir es: Erst dann wird diese Kirche modern und vernünftig werden und den Weisungen des armen Propheten Jesus von Nazareth entsprechend leben.

21. Dieser Hinweis  bezieht sich nur auf die römisch – katholische Kirche. Ähnliche Studien sollten zu den orthodoxen Kirchen unternommen werden oder natürlich auch zu den fundamentalistischen evangelikalen Kirchen und den Pfingstkirchen.
Wenn man sich nur das weite bunte Feld der christlichen Kirchen ansieht, und von kritischen Beobachtungen zum Islam oder zum Judentum absieht, dann muss man sagen: Das „Christentum“ ist heute ganz überwiegend noch anti-modern, anti-demokratisch, anti-feministisch bestimmt. Und man fragt sich: Wie sinnlos ist eigentlich die kritische theologische Wissenschaft, wenn die Herren der Kirchen gar nicht die Erkenntnisse der theologischen Wissenschaften respektieren. Man sollte dieses Verhalten Dummheit nennen.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Der Sieg der Rechtsradikalen FPÖ in Österreich: Das neue „Bedenkjahr“ 2024

Der Dichter Thomas Bernhard sah schon vor 30 Jahren das FPÖ – Unheil kommen.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 29.9.2024

1.

Es gibt „Bedenkjahre“ in Österreich seit 1988, „Bedenkjahre“ – ein pathetisches Wort, erfunden vom damaligen Bundeskanzler Franz Vranitzky. Es sollten Jahre sein, in denen die Österreicher gründlicher politisch nachdenken, und sich an Jahre erinnern, in denen es für Österreich auch furchtbar be-denklich wurde: Etwa 1938, als sehr viele Österreicher die Hitler-Herrschaft willkommen hießen und bejubelten.

2.

Ein weiteres, neues Bedenkjahr ist heute entstanden: Fast jeder dritte Wähler in Österreich stimmt anläßlich der Parlamentswahlen am 29.9.2024 für die rechtsradikale, viele Kenner sagen zu recht, faschistische Partei FPÖ und ihren frechen, manche sagen unverschämten Vorsitzenden Herbert Kickl.
2024 – ein Bedenkjahr also zum Durchbruch des Rechtsradikalismus in Österreich. Es ist die alte Leier rechtsextremer Forderungen: Die Kickl Partei will den Zuzug von Fremden, d.h. Flüchtlingen, nach Österreich stoppen; Zäune sollen die Einreise der Flüchtenden ins schöne ehemalige Habsburger Land verhindern, “schlimme Asylbewerber” sollen Fußfesseln erhalten; die Menschenrechte sind den FPÖ Leuten scheißegal, um es einmal auf dem verkommenen Sprachniveau der FPÖ Führer zu formulieren. Kickl und die Seinen wollen jedenfalls Österreich zu einer Festung umbauen. Diese Festung soll dann Ausländer-frei sein, Remigration ist das große ideologische Schlag-wort, wie üblich bei europäischen Rechtsextremen heute. Das Nazi -Ideal eines genetisch sauberen, weißen Europa der Herrenmenschen ist das politische Ziel. Am Samstag 28.9.2024 wurde typischerweise ein Video verbreitet, sichtbar und hörbar sind FPÖ Politiker die auf einem Begräbnis ein “Treuelied” der SS gesungen haben. Quelle: “Tagesspiegel”, 29.9.2024.

3.

Für uns ist es, philosophisch betrachtet, wichtig: Künstler, Schriftsteller und Dichter haben oft eine hohe politische Sensibilität. Sie können politische Entwicklungen gleichsam voraussagen, literarisch verschlüsselt manchmal, aber deutlich genug. Ich erinnere hier nur an Thomas Bernhard, er hat die politische Entwicklung seines „Heimatlandes“ Österreich immer aufs heftigste kritisiert, und in seinem Theaterstück „Heldenplatz“ von 1988  analysiert. Dabei wissen wir: Wenn Protagonisten in Bernhards Romanen oder Theaterstücken sprechen, ist es nicht unmittelbar Thomas Bernard, der da seine Meinung kundtut. Aber wir erinnern gern an die Einsicht Marcel Reich – Ranickis, der treffend schrieb: „Man würde es gar zu leicht machen, wollte man sich damit behelfen, dass Bernhard Invektiven gegen Österreich („gemeingefährlichster Staat“, „eine einzige geist -und kulturlose Kloake“) meist seinen Ich – Erzählern in den Mund legt“ (zit. in Marcel Reich-Ranicki, „Thomas Bernhard. Aufsätze und Reden“, Fischer – Taschenbuch 1995, Seite 90.) Mit anderen Worten: Bei aller Differenz zwischen Autorenmeinung und Rede der literarischen Protagonisten spricht doch auch immer Thomas Bernhard selbst in seinen Texten, zwar übertreibend, wie er gern sagt, aber immerhin.

4.

Das Theaterstück „Heldenplatz“ von Thomas Bernhard sollte also dringend erinnert werden angesichts des „Sieges“ der rechtsradikalen FPÖ. In der Wiener Hofburg, am Heldenplatz, regierten die Habsburger KaiserInnen, jetzt ist dort der Sitz des Bundespräsidenten. Am 15. März 1938 feierte dort eine enthusiastisch – verzückte Masse Adolf Hitler und den „Anschluss“ an das Hitler-Reich.

5.

Das berühmte Theaterstück „Heldenplatz“ schrieb Bernhard 1988, es wurde nach allerhand heftigster Polemiken im Burgtheater unter Claus Peymann am 4. November 1988 uraufgeführt. „Heldenplatz“ von Bernhard ist, ultrakurz gesagt, die Erzählung über zwei Brüder, zwei Juden: Der eine, Josef Schuster, konnte den latenten Antisemtismus in Österreich nicht mehr ertragen und stürzte sich aus dem Fenster. Sein Bruder Robert sieht auch allerorten den Antisemitismus in Österreich heute (1988), aber er hat nur noch wenig Kraft zu kämpfen:“Es gibt jetzt mehr Nazis in Wien als achtunddreißig“.

6.

Das Stück Heldenplatz sollte wieder gelesen und aufgeführt werden, selbst wenn wir wissen: Der Antisemitismus in Österreich wird heute übertroffen durch einen pauschalen Anti -Islamismus.Davon konnte 1988 so deutlich Thomas Bernhard noch nicht sprechen. Der von Bernhard gesehene heftige Antisemitismus (1988) muß heute bei der Lektüre von „Heldenplatz“ mit Feindlichkeit gegenüber Fremden und Ausländern und Flüchtlingen ergänzt werden. Wo von Juden im Stück die Rede ist, muss AUCH Flüchtling und Ausländer verstanden werden.

7.

Einige Zitate aus „Heldenplatz“ aus der Zweiten Szene, Worte von Robert Schuster:
„Das ganze Unglück (des Antisemitismus jetzt) ist ja kein überraschendes.“
Mein Bruder Josef „hat nicht damit gerechnet, dass die Österreicher nach dem Krieg viel gehässiger und noch viel judenfeindlicher gewesen sind als vor dem Krieg… Er hat nicht mehr gewusst, dass in Wien und überhaupt in Österreich die Verlogenheit zuhause ist“.
„Die Wiener und die Österreicher sind ja viel schlimmer als es sich euer Vater, mein Bruder Josef, hat vorstellen können.
Hört doch was die Leute reden, schaut sie euch an, sie begegnen einem doch nur mit Hass und Verachtung, gleich auf der Straße oder im Lokal“…

8.

„Die Leute mögen schreiben und reden, was sie wollen, der Judenhass ist die reinste, die absolute unverfälschte Natur des Österreichers“. (Robert Schuster in “Heldenplatz” von Thomas Bernhard).

9.

Ein „dezidiert politisches Buch“ (Ulrich Weinzierl) ist Bernhards großer Roman „Auslöschung“ von 1986. Er zeigt das Weiterleben der nationalsozialistischen Mentalität , „das Bernhard in den späten Jahren seines Schaffens immer nachdrücklicher zum Thema macht“ (Manfred Mittermayer, „Thomas Bernhard – Eine Biographie“, Residenz Verlag Salzburg, 2015, Seite 407). „Auslöschung“ ist die Geschichte Franz – Josef Muraus, der sich mit der Nazi-Vergangenheit und – Gegenwart seiner Eltern und seiner Familie auf Schloß Wolfsegg auseinandersetzt. „Seine Verwandten hatten immer zu den gerade an der Macht befindlichen gehalten und als geborene Österreicher die Kunst des Opportunismus wie keine zweite beherrscht“ (zit. „Auslöschung”  in Manfred Mittermayers Buch, dort S. 407).
Die Präsenz der Nazi – Welt in Österreich ist also DAS Thema des Bernhard Romans „Auslöschung“. Josef P. Mautner hat sich mit „Auslöschung“ in seiner Studie „Ein nationalsozialistisch-katholisches Syndrom“ (Würzburg, 2021) intensiv befasst. Und dann weitere politische Überlegungen angeschlossen: Die Mitschuld Österreichs und der ÖsterreicherInnen an den Verbrechen der Nazis sei keineswegs mit dem Ende der „Affäre“ um den Nazi – Mitarbeiter Staatspräsidenten Kurt Waldheim überwunden. Denn, so schreibt Mautner 2020, „es gibt die anhaltend rechtsradikal orientierte Politik der FPÖ, der es kaum gelingt, ihre Wurzeln im Verleugnung – und Verdrängungsmilieu der österreichischen Nachkriegsgesellschaft zu verbergen“ (S. 116). „Im Nachkriegsösterreich war die Justiz bei der Aufarbeitung der von NS – Verbrechen zu weiten Teilen säumig… In den sechziger Jahren endeten zahlreiche Verfahren mit Freisprüchen; in den siebziger Jahren folgte schließlich ein Abbruch der gerichtlichen Verfolgung von NS – Verbrechen“ (s. 115). Thomas Bernhard hat auf seine Art als Dichter auf die Präsenz der Nazis (in Wolfsegg) reagiert: Sein Protagonist Franz -Josef Maura löscht diese Nazi – Welt seiner Herkunft aus: Diese Nazi – Auslöschung ist leider bisher nur literarisch gelungen, nicht aber real in Österreich und überall, wo rechtsextreme Parteien wieder die Führung übernehmen wollen.

10.

Wer oder was gibt uns die Kraft zu hoffen, dass die Demokratie (in Österreich) diesmal stärker ist als 1938?  Ein „Bedenkjahr“sollte in tägliches kritisches Nachdenken umgewidmet werden. „Bedenktage“ sind erforderlich.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Peter Sloterdijk: Vordenker der Rechtsradikalen.

Hinweis auf ein Interview mit Sloterdijk vom 27.2.2016 mit der Zeitschrift CICERO

Von Christian Modehn am 24.9.2024.

Vorwort: Es ist erstaunlich, dass jetzt, nach den Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg, also nach dem deutlichen Sich – Durchsetzen der rechtsradikalen, von vielen faschistisch genannten Partei AFD nicht ausführlich auf die ideologischen Stichwortgeber dieser Partei hingewiesen wird. Zu diesen ideologischen Wegbereitern gehört sicher auch auch der philosophische Schriftsteller Peter Sloterdijk, dies ist eine begründete Meinungsäußerung.

1.
Angesichts der Wahlerfolge der rechtsextremen Partei AFD müssen sich Demokraten auch die Frage stellen: Wer sind die maßgeblichen und wirkungsvollen Vordenker für Positionen dieser Rechtsextremen? Vordenker sind einflußreiche Intellektuelle, die als Meister des vagen Ausdrucks gelegentlich dann doch in Interviews kurz und knapp ihre tiefe Überzeugung, ihre Ideologie, verbreiten: Auf deren Formeln können sich dann die rechtsextremen Parteien und ihre gehorsamen Massen einstellen, können ihnen folgen, auch in der rabiaten politischen Praxis. Das erleben wir leider seit einigen Jahren…

2.
Der viel schreibende „philosophische Schriftsteller“ Peter Sloterdijk, so nennt er sich selbst, hat in Heft 2/2016 der sehr rechts orientierten Zeitschrift CICERO ein Interview gegeben. Der Titel „Das kann nicht gut gehen. Peter Sloterdijk über Angela Merkel, die Flüchtlinge sind das Regiment der Furcht“. Sloterdijk verbreitet dort Thesen, die tatsächlich eine humane Flüchtlingsflüchtlingspolitik verhindern.

3.
Wir haben im März 2016 auf dieses Interview reagiert: LINK

Leider ist dieses Interview Sloterdijks offenbar weithin in Vergessenheit geraten.

Einige zentrale pauschale Thesen Sloterdijks, die  als Slogans von Rechtsextremen verwendet werden könnten:

– „Mit dem (sic!) Islam lässt sich keine authentische Zivilgesellschaft füllen.“ (Seite 20, Cicero).

– „Die deutsche Regierung hat sich (mit der Aufnahme der Flüchtlinge 2015) in einem Akt des Souveränitätsverzichtes der Überrollung preisgegeben.“ (Seite 21) Man beachte das in rechtsextremen Kreisen übliche Wort der “Überrollung” durch Flüchtlinge, CM)

– „Die postmodernisierte Gesellschaft existiert in einem surrealen Modus der Grenzenvergessenheit.“ (Seite 21)

– „Man glaubt hierzulande immer noch, eine Grenze sei dazu da, um sie zu überschreiten“. (S. 21).

– „Heute treten die Verwahrlosung des Journalismus, die zügellose Parteinahme (für die Flüchtlinge) allzu deutlich hervor“. (Seite 22)

– „Integration (der Flüchtlinge) ist ein Ausdruck, der einem unerreichbaren Ziel vorauseilt.“ (Seite 22).

– „Wir wären schon mehr als zufrieden, wenn man es zur beruhigten Koexistenz mit den Flüchlingen brächte, zu einer freundlichen Gleichgültigkeit gegenüber der Tatsache, dass es zu viele Leute gibt, mit denen man nichts gemeinsam hat. Wer kennt nicht die Momente, in denen man mit Stefan George sagen möchte: Schon eure Zahl ist Frevel“? (Seite 22). (So sprechen europäische Herrenmenschen, C.M.)

Von der EU hält Sloterdijk sehr wenig: „ Dem Nationalstaat darf man ein langes Leben prophezeien, weil er das einzige politische Großgebilde ist, das bis zur Stunde halbwegs funktioniert.“ (Seite 23).

– “Die Europäer werden früher oder später eine effiziente gemeinsame Grenzpolitik entwickeln. Auf Dauer setzt der territoriale Imperativ sich durch. Es gibt schließlich keine moralische Pflicht zur Selbstzerstörung.” (S. 23, das ist Schlußwort Sloterdijks im Interview)

Die LeserInnen sollten prüfen, welche dieser Sloterdijk – Thesen (2016 !) von der AFD direkt  bzw. leicht abgewandelt übernommen wurden und heute von dieser und anderen rechtsextremen Parteien verbreitet werden.

Wird  Sloterdijk ungewollt auch mal selbstkritisch: „ An jeder Ecke steht ein semantischer Drogenhändler“ (Seite 22). An wen denkt er wohl?

Unseren Kommentar, begründete Meinungsäußerung, kann man noch ausführlich nachlesen: LINK.

Zum ehem. Assistenten Sloterdijks an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe, Marc Jongen:

1.

Kaum hatte Sloterdijk 2016 das genannte Interview für CICERO gegeben, trat einige Monate später sein Assistent (an der Hochschule für Gestaltung, Karlsruhe) dann im Zentrum rechtsradikaler Ideologie, im Rittergut in Schnellroda, als viel gepriesener Referent auf: Am 17. Februar 2027 hielt Marc Jongen an diesem „Institut für Staatspolitik“ einen Vortrag mit dem Titel „Migration und Thymostraining“. Das Thema der Tagung war Gewalt, unter den Referenten waren auch zwei bekannte Vertreter der rechtsradikalen Szene, der US-Amerikaner Jack Donovan und der Österreicher Martin Sellner. Der Sloterdijk – Assistent Marc Jongen nannte dort die “Migranteninvasion” einen Akt der Gewalt gegen die Integrität des deutschen Volkes. Und er schwadronierte über Sloterdijks zentrales Stichwort ” Thymos” und “Thymos-Schwäche der Deutschen. “Den Islam” dagegen hielt er dagegen für eine gefährliche “thymotisch hoch aktive Kultur”…

2.

Für den Thymos als Zorn hatte sich Jongens Meister Sloterdijk bekanntlich in seinem Buch „Zorn und Zeit“ (2006, wie üblich bei Suhrkamp) stark gemacht. Thymos verstand der sprach-kreative Sloterdijk als „Regungsherd des stolzen Selbst“ (S. 24), ein Wortspiel, den manch einen an die neunzehnhundertdreißiger Jahre in Deutschland erinnerte. Aber dieser Regungsherd sei dann doch, so Sloterdijk als Übersetzer seiner eigenen Sprüche, als, so wörtlich, „Mannesmut“ bzw.“Beherztheit” (S. 26) zu verstehen. Mannesmut ist immer noch zornig genug und kriegerisch…Das Sloterdijk – Wort “Beherztheit” für Thymos verwendete Marc Jongen auch. Auch die schwammige Sloterdijk – Formel des “wohltemperierten Thymos” verwendete Jongen. Allein schon die Identität der von Jongen verwendeten Formeln mit Sloterdijk ist erstaunlich, siw wurden, wie gesagt, gesprochen in einem wichtigen Zentrum des rechtsradikalen Denkens, dem  “Institut für Staatspolitik”. Eine Studie über dieses Institut ist 2020 im VSA:Verlag Hamburg erschienen, “Das IfS. Faschist*innen des 21. Jahrhunderts”. Zu Jongen dort S. 130f.

3.

Marc Jongen gab in seinem Vortrag am 17.2.2017  Sprüche und Hetze und Beleidigungen von sich, die in in AFD Kreisen damals schon üblich waren. Jongen sprach vom „Merkel – REGIME“; sprach vom „hunderttausendfachen Eindringen kulturfremder Menschen…“, sprach vom „desaströsen Zustand der deutschen Medien wie auch eines Großteils der sogenannten Intellektuellen“, Jongen sprach vom „öffentlich-rechtlichen Sedierungsfunk und seiner dauerpalavernden Günstlinge“ usw., alles Stichworte, die in etwas versteckterer, milderer, CDU – FDP affiner Verträglichkeit auch von Sloterdijk im Interview mit CICERO vorgebracht wurden.

4.

Wie sein Meister Sloterdijk lobt auch Jungen in seinem Vortrag den Philosophen Heiner Mühlmann: Er lehrte auch an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe mit seinem Chef Sloterdijk. Sloterdijk weist in „Zorn und Zeit“, Seite 16, Fußnote 5, auf Heiner Mühlmann hin.“Das Sloterdijk-Alphabet“ hat übrigens ein eigenes Stichwort „Mühlmann“ und der Autor des Sloterdijk Alphabetes, Holger Freiherr von Dobeneck, ein Kenner also, schreibt klipp und klar: „Heiner Mühlmanns Buch „Natur und Kultur“ ist Sloterdijks favorisiertes Kulturmodell.“ (Seite 182). Jongen sagt in seinem Vortrag 2017 im rechtsextremen „Institut für Staatspolitik“ im Sinne von Mühlmann: „Am Anfang jeder Kultur, so Mühlmann, steht ein Akt der Gewalt, nämlich der Krieg oder, wie er es nennt, die Maximal-Stress-Cooperation (MSC). Indem die Individuen einer Population im Maximalstreß des Kampfes um Leben und Tod gegen einen realen oder zuweilen auch imaginierten Aggressor miteinander kooperieren und auf diese Weise zusammengeschweißt werden, schaffen sie die psychosozialen und affektiven, die »natürlichen« Grundlagen einer Kultur.“

5.

Man sollte diese Aussagen zum Krieg auch auf das Miteinander in der Demokratie beziehen: Da gibt es rechtsextreme Gruppen, die gegen einen Aggressor vorgehen, und diese Aggressoren  sind in erster Linie Ausländer, Flüchtlinge, demokratische Politiker, demokratische Journalisten, antifaschistische Kreise usw.

6.

Man beachte, dass der Autor des Buches “Das Sloterdijk Alphabet“ schon 2006 auf geistige, praktische Verbindungen Sloterdijks /Jongens mit dem „Institut für Staatspolitik“ im Rittergut Schnellroda hinweist (S. 260).

Copyright: Christian Modehn Religionsphilosophishcer Salon Berlin.

 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Jesus als Mann. Aber: Christus als Witwer, als gay, als Frau?

Was die Phantasie mit dem armen Mann aus Nazareth so alles macht.
Anläßlich des Buches „Christus (m/w/d)“ von Anselm Schubert

Von Christian Modehn am 15.9.2024

1.
Welche seltenen Themen suchen sich Theologieprofessoren, wie viel Zeit widmen sie Problemen, die en vogue sind? Etwa der Frage: Wie männlich war Jesus von Nazareth, und zu welchem Mann wurde Christus gemacht, welches andere Geschlecht könnte er gehabt haben? Ein Freund sagte mir: Das sind Themen, die nicht von sehr dringender Relevanz sind, wenn man nur an die aktuellen Debatten der zerrissenen Gesellschaft und der verfeindeten Staaten denkt, an die Klima – Katastrophen, die Sehnsucht nach heilender Transzendenz und nach Sinn, nach Respekt, vielleicht auch noch nach einer Kirche, die ihre veralteten Dogmen endlich beiseite legt und die Klerusherrschaft abschafft…
Aber Anselm Schubert zeigt, mit welcher Phantasie Fromme und weniger Fromme sich auf das Thema „Christus (m/w/d)“ schon seit dem 2. Jahrhundert mit der Wucht aller ihrer Phantasie eingelassen haben. Auch die christliche Religion lebt von Phantasie, Projektion, man könnte manchmal auch sagen vom frommen Wahn derer, die sich Christen nennen.

2.
Dies nur als Einstimmung auf die Lektüre des Buches „Christus (m/w/d)“, mit dem Untertitel „Eine Geschlechtergeschichte“. Die Studie (396 Seiten, davon 117 Seiten wissenschaftliche Anmerkungen Literaturhinweise) hat der protestantische Erlanger Kirchenhistoriker Prof. Anselm Schubert nach Jahre langem Studium verfasst. Erschienen ist das Buch im C.H. Beck Verlag, 2024. Ganz zum Schluss, im „Dank“ bei seinen Helfern für diese ungewöhnliche Studie, schreibt Professor Anselm Schubert: „Dieses Buch ist über eine lange Reihe von Jahren entstanden“ (S. 277). Wohl wahr, man glaubt es sofort, so viele Quellen und Literaturverweise zu diesem bislang kaum bearbeiteten Thema wird man so leicht nicht mehr finden.

3.
Das Buch ist in gewisser Hinsicht eine Meisterleistung, eine Meisterleistung des Fleißes und der Energie, die absonderlichsten Fragen zur Männlichkeit “Christi“ bzw. „Jesu Christi“ zu erforschen: Wer hat sich schon einmal mit Themen befasst wie: „Der mystische Bräutigam“ (S.85), „Die Trinitarische Weiblichkeit“ (S.78), „Der geschlechtslose Erlöser“ (S. 66), „Die Seitenwunde Jesu als Uterus und Vagina“ (S.113 ff.). Wie sonderbar interessiert, darf man sagen: verrückt, waren viele kirchlich Fromme damals…Sie hatten keine Scheu zu sagen: „Die Brüste Christi stillen mit Milch“ (S. 105). Auch sehr „erbauend“: „Jesus als Witwer“ (S. 217) oder inspirierend der „Polygame Jesus der Mormonen“ (S. 221). Natürlich darf bei dem Thema nicht der schwule Jesus (S. 229) fehlen. Bibelfeste LeserInnen erinnern sich daran, dass Johannes, offenbar der Jüngste in der 12-Apostel-Schar, oft an der Brust Jesu, „des Herrn“, ruhte bei gemeinsamem Speisen. Eine Idee, die viele tausend Künstler begeisterte: Man beachte, dass Hans Schäufelin in seinem Abendmahlsgemälde (1515) diesen Jüngling Johannes sogar auf den Schoß Jesu setzte. War das etwa ein heimlicher Ausdruck von Pädophilie? Da entsteht – nebenbei – die Frage: Hat die „Pädophilie“ im zölibatären Klerus vielleicht eine ihrer Wurzeln in pädophil deutbaren Gemälden, Ikonen, die allüberall in katholischen Räumen zu finden sind? Ich kam auf diese Idee, als ich in der sehr geräumigen Sakristei einer Kathedrale in Spanien, also dort, wo sich die Priester für den „heiligen Dienst“ ankleiden und auskleiden, eine Fülle von nackten männlichen Putten und nackten heiligen (?) Knaben entdeckte… Eine gute Inspiration für die Priester vor dem „heiligen Opfer“, der Messe…

4.
Das Buch des Kirchenhistorikers Anselm Schubert bietet Einsichten und Einblicke in eine schier unerschöpfliche Materialfülle zu allen nur denkbaren Fragen zur Männlichkeit, zur Sexualität, Diversität, Weiblichkeit und Homosexualität von Christus.
Anselm Schubert verteidigt in einem Interview mit „Christ und Welt/Die Zeit“ vom 12.9.2024, Seite 15, seine mühevolle Kleinarbeit: Bestimmte Menschen und Gruppen hätten halt ein „ein Bedürfnis gehabt, sich mit Christus auf ihre Weise zu identifizieren. Jede und jeder sucht sich immer auch etwas Eigenes in Christus.“ Jedem und jeder sein, ihr Christus also. Ob es allerdings theologisch normative Grenzen dieses Bedürfnisses der Christus-Frommen geben sollte, wird nicht erörtert.

5.
Religiöse Phantasie gibt es auch heute: Vielleicht kommt jemand auf die hübsche Idee angesichts der Raumfahrt heute, Christus als den ersten Raumfahrer zu verehren, angesichts seiner biblisch besprochenen und als heiliges Fest gestalteten „Himmelfahrt“. Vielleicht wird der Weltraumfahrer Christus bei seinem Aufstieg sogar von seiner unbefleckten Mutter Maria begleitet, die laut katholischem Dogma auch eine „Aufnahme in den Himmel“ post mortem (z. T. staatliches Fest am 15. August) kennt und erfahren sein dürfte. Man sieht an diesen Beispielen, wie religiöse Traditionen zu Phantastereien und zu Wahn verführen können. Noch eine Idee: Über den leiblichen Vater Jesu von Nazareth, den „heiligen Joseph“, wird im Neuen Testament fast nichts aussagt, dennoch oder gerade deswegen entwickelte sich allmählich eine eigene ausgebreitete Josephs – Forschung, die „Josephologie“, mit einem Schwerpunkt in Montréal. LINK. https://www.saint-joseph.org/fr/

6.
Anselm Schubert hat sich vorgenommen, so wörtlich, „den letzten blinden Fleck“, also das bisher total Vernachlässigte in der Jesus/Christus – Forschung, auszubreiten und hervorzuheben, also die Frage nach der geschlechtlichen Identität und sexuellen Orientierung Christi (S. 21). Trotz dieser Materialfülle habe ich den Eindruck, dass eine tiefere theologische und historisch fundierte Reflexion hilfreich gewesen wäre: Etwa eine Antwort auf die Frage: Warum kamen denn vor allem die Mystiker und die Mystikerinnen im Mittelalter auf diese so absonderliche Ideen…Hatten sie nichts Besseres zu denken und zu tun? Schämten sie sich vielleicht sogar über ihre – in unserer heutigen Sicht ! – hoch merkwürdigen Ideen, Phantasien, Projektionen und sogar abartigen Themen? Wer sich durch diese von Schubert ausgebreiteten historischen Details förmlich lesend durchgeboxt hat, sagt sich am Schluss: Wie konnte sich eine ungebremste, sich religiös nennende Phantasie über die Sexualitäten Christi da nur in dieser christlichen Kirche breit machen. Waren die sonst so strengen Bischöfe und Päpste ausnahmsweise mal großzügig, weil sie dachten: Hauptsache die Leute sind fromm?

7.
Freilich: Das Hauptproblem für Theologen, nicht nur angesichts dieser Studie, muss genannt werden: Im Neuen Testament, das ist die entscheidende Hauptquelle aller auf Jesus bezogenen Studien ist, wird Jesus von Nazareth eindeutig als Mann beschrieben: Er wurde als Knabe nach jüdischem Gesetz beschnitten. Und er ist als Mann identifiziert worden im Prozess, der zu seiner Hinrichtung führte; an seinem Kreuz hoch oben wurde der Titel „König der Juden“ von den Römern angebracht und nicht etwa „Königin der Juden“.
Und trotz dieser evidenten Männlichkeit Jesu explodierte förmlich die fromme Phantasie einige Jahrzehnte nach Jesu Tod. In den Gemälden zur Geburt Jesu wird dieser Neugeborne als Junge gezeigt, und dazu schreibt Schubert: „Aber er war für viele Christinnen und Christen eben manchmal doch ein Mädchen, ein Androgyn oder etwas, das sich in den Kategorien menschlicher Geschlechtsidentitäten schlicht nicht fassen ließ“ (S. 22). Mit anderen Worten: Die Künstler (und die Literaten und die Theologen) nahmen sich ab dem 3. Jahrhundert die Freiheit, um auch der Kultur der Umgebung zu entsprechen, Christus als Mädchen oder als Androgyn oder, wie Schubert befremdlich schreibt, „als ETWAS“ (sachlich?,CM) darzustellen, das aus den Geschlechtsidentitäten herausfällt…
Aus Jesus wurde dann, wie Schubert zeigt, die göttliche „Weisheit“, er wurde als „androgyn“ usw. gedeutet, und das bis ins 18. Jahrhundert hinein. Dann aber wurde Christus vor allem in harter Gegenüberstellung gedeutet: Man lehrte: Der Mensch ist eben nur männlich ODER nur weiblich, so hieß die rabiate allgemeine Norm. Erst die feministische Philosophie und Theologie hat diese schlichte und falsche Definition der Identitäten aufgehoben. Sehr viele Christen und Kirchenführer halten aber diese veralteten Identitäten für absolut gültig, auch jetzt noch.

8.
Über die gelebte Sexualität Jesu von Nazareth wird im Neuen Testament nichts, aber auch gar nichts berichtet. Genauso wie nichts explizit über den Humor Jesu gesagt wird oder über seine ja durchaus denkbaren körperlichen Krankheiten, etwa wegen des vielen Wanderns in glühender Hitze usw. Dass er leibhaftiger Mensch war, wird nur in seiner Vorliebe fürs Essen und fürs Trinken guten Weines angedeutet. Vielleicht ist diese Vorliebe damals schon typisch männlich? Die Menschlichkeit des Mannes Jesus von Nazareth wird also im Neuen Testament auf ein Minimum an „Informationen“ reduziert. Die Geschichten, Mythen, von der Geburt Jesu und seiner Kindheit, wurden, kurz und bündig, erst spät in die Evangelien aufgenommen.

9.
Jesus als der religiöse Mensch, als der Prediger, als Kritiker bestehender jüdischer Religion, wird immer im Neuen Testament auch als der keusche, enthaltsame Mann dargestellt. Was wäre denn auch passiert, wenn Jesus als Mann Kinder gezeugt hätte, wie hätte die Kirche diese Jesus- Kinder bewerten müssen? Unvorstellbar, dass nach Jesu Tod seine Söhne als dann kirchlich zu deutende Gottessöhne herumlaufen und sich so systematisch eine Art Gottessohn – Geschlecht auf Erden etabliert! Undenkbar eine solche dann entstehende Dynastie der „Gott – Menschen“ und Erlöser…
Mit anderen Worten: So klug waren die ersten Christen schon: Jesus durfte also gar keine gelebte Sexualität haben! Anselm Schubert sagt in einem Interview für katholisch.de am 21.8.2024: „Eine Ehe Jesu wird nirgends in der Bibel erwähnt – und dem wäre sicher so gewesen, wenn er eine geführt hätte. Den Zölibat halte also auch ich für die wahrscheinlichere Variante.“ Wichtiger ist: Jesus durfte in kirchlicher Sicht überhaupt keine Ehe führen und schon gar nicht – wie und mit wem auch immer – Kinder zeugen.
PS: Die Gottessöhne und – töchter entstanden aber dann auf andere Weise doch, indem die Kirche lehrte: Jeder Christ (wenn nicht sogar jeder Mensch) ist mit dem heiligen Geist ausgestattet, als Gottes Sohn und Tochter… Solche tiefer gehenden Überlegungen vermisse ich im Buch von Anselm Schubert.

10.
With zu übersehen ist für die sexuelle Enthaltsamkeit Jesu von Nazareth etwas anderes, das meines Erachtens von Anselm Schubert nicht ausführlich herausgearbeitet wird. Denn es ist allgemein anerkannte Tatsache: Jesus von Nazareth war vom alsbaldigen Ende aller Zeiten überzeugt, und mit diesem Ende wird das Gottesreich Wirklichkeit (vgl. Matthäus 10,23 oder Markus 9,1 und 13,30. „Jesu Naherwartung (des ankommenden Reiches Gottes) ist das alles entscheidende Element: Es prägt Jesu Verhalten und Tun“, so der katholische Theologe Prof. Hermann Baum in seinem Buch „Die Verfremdung Jesu“, erschienen im katholischen Patmos Verlag, 2006, dort S. 35). Vor allem Paulus zeigt in seinen Briefen, etwa im 1. Thessalonicher – Brief aus dem Jahr 51: Wenn das Ende der Welt bevorsteht, dann sind alle Fragen nach einer möglichen Ehe, Sexualität, Frauen – oder Männer-Freundschaften usw. völlig zweitrangig.
Die Erwartung Jesu vom alsbald bevorstehenden Ende der Welt und dem Beginn des Reiches Gottes ist wohl der entscheidende Schlüssel für das Desinteresse Jesu von Nazareth selbst, sich irgendwie sexuell aktiv zu betätigen oder seine sexuelle Identität hervorzutun. Jesus war demnach de facto bloß ein Mann, ein jüdischer Mann, und das ist alles, was historisch zu sagen ist.

11.
Die ersten Christen hätten ja auch sagen können: Jesus von Nazareth war ein Mann, also evident ein jüdischer Mann. Und dann hätten sie in ihrer beliebten theologischen Deduktion sagen können: Unser christlicher Gott wird also („inkarniert“ sich!) ein jüdischer Mann. Und damit, dem kirchlichen Dogma entsprechend, wird auch die zweite Person in der göttlichen Trinität, Jesus – Christus, jüdisch, also Teil der jüdischen Gemeinschaft. Das heißt: Der christliche Gott des kirchlichen Dogmas wird also Jude. Damit werden natürlich zwei Weltbilder miteinander verschränkt, das jüdische (Gott als handelnder, liebender, zorniger Gott) und das griechische Weltbild der Trinität bzw. eines philosophischen Gottes: Dieser überlässt die Menschen und die Welt nach der Schöpfung sich selbst…
Trotzdem, dieser ketzerische Gedanke „Der trinitarische Gott wird jüdisch“ drängt sich spekulativ auf, nachdem man sich durch diese Fülle von Phantasien und frommem Wahn zur Männlichkeit, Weiblichkeit, Homosexualität, Diversität Christi in diesem Buch durchgeboxt hat. Ein ungeheuerlicher Gedanke, gewiss, der bisher nicht diskutiert wurde.

12.
Bei diesem Faktum zum jüdischen Mann (und Propheten) Jesus von Nazareth könnte eigentlich die Studie von Anselm Schubert wirklich enden. Aber das Haupt – Problem aller christlichen Theologie ist bekanntlich: Für Christen (also für Glaubende schon wenige Jahre nach Jesu Tod und seiner geglaubten Auferstehung) ist Jesus von Nazareth immer der Christus, der Erlöser. Jesus ist eben nicht Christus, und Christus ist nicht Jesus, obwohl dies immer behauptet wird.
Spätestens seit dem 3. Jahrhundert wird Jesus im Dogma zum Gottessohn erklärt bzw. dann seit dem 4.Jahrhundert zu einer „Person“ der göttlichen Trinität. Diese göttlich – menschliche Christus – Gestalt wurde von der frühen Kirche und ihren Theologen nur konstruiert, also „gemacht“ (vom heiligen Geist natürlich, sagen die Dogmatiker…), um den armen, sehr begrenzten Jesus von Nazareth sozusagen für alle Menschen und immer, außerhalb des Judentums, bedeutend und „erlösend“ zu machen. Und mit dieser „Umwidmung“ dieses kulturell – religiös begrenzten jüdischen Jesus zu einem universalen Christus werden alle geistigen Türen der Phantasie und des frommen Wahns geöffnet, um sich auch mit dem Sexualleben dieses Christus (nicht mehr dieses Jesus!) zu befassen, wie es in Nr. 3 unseres Hinweises in der hier gebotenen Kürze angedeutet wurde. Mit der „Umwidmung“ Jesu zum universalen, allen Kulturen und Sprachen zugänglichen Christus wurde es möglich, dass jeder und jede sich so seine phantastischen Gedanken über diesen seinen Christus machen konnte. Der Glaube ist ja immer individuell, keine Frage! Aber meiner Meinung nach haben die frommen MystikerInnen im Mittelalter doch allzu stark ihr erotisches Ego in ihre Glaubensergüsse und Christus – Bindungen einfließen lassen. Also, ein sehr sehr weites Feld frommer bzw. esoterischer und literarischer, künstlerischer und theologischer Spekulationen wird eröffnet.

13.
Das Buch von Anselm Schubert wird zu weiteren theologischen und kulturwissenschaftlichen und sicher auch spekulativen Forschungen zur Sexualität „Christi“ führen. Schubert macht in seinem Buch auf die Themen weiterer Diskussionen aufmerksam: „Geschlecht galt in der Antike (auch zur Zeit Jesu) eher als moralische und intellektuelle Eigenschaft, nicht als körperliche. Man ging von einer einzigen menschlichen Geschlechtlichkeit aus, die sich auf einer Skala bewegte zwischen weiblich und männlich, wobei das Männliche höherwertig galt…“ (Die Zeit, 12.9.204, Seite 15.)

Anselm Schubert, „Christus (m/w/d). Eine Geschlechtergeschichte.“ C.H.Beck Verlag München , 2024, 396 Seiten, 32€.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

Erich Klausener ist kein Märtyrer. Er war doch nur „kerndeutsch“ und „loyal“….

Wie Katholiken sich heute einen Nazifeind herbei phantasieren und einen „seligen Blutzeugen“ konstruieren.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 10.9.2024

Ein Vorwort:
Hier wird berichtet, wie Katholiken heute einen Nazigegner konstruieren und ihn zum „seligen Blutzeugen“, also Märtyrer im Nazi- Staat, aufbauen wollen. Ein Beispiel dafür, wie katholische Spiritualität ohne Respekt vor historischen Fakten auszukommen meint. Und das ist ein Thema der Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie. Sie befasst sich auch mit dem Zustand der real existierenden Kirchen heute.

Heilige und Selige werden “gemacht” von der Kirche, siehe dazu auch den Hinweis auf den im allgemeinen Scharlatan genannten “heiligen” Pater Pio (Nr. 24), der mit seinen “Wundmalen” sehr viel Geld einspielte…Und in einem gläsernen Sarg bis jetzt be – wundert werden kann.

1.
Die rechtsextremen Parteien in Deutschland (vor allem die AFD) finden immer mehr Zustimmung. In dieser Situation fühlen sich Katholiken in Berlin ermuntert, einen katholischen „Märtyrer“ im Widerstand gegen die Nazis als Vorbild zu etablieren. Die Devise ist wohl: Wenn es bis jetzt keine prominenten Katholiken als öffentliche Widerstandskämpfer gegen heutige Nazis gibt, dann soll wenigstens in der Vergangenheit ein katholischer Nazi – Widerstandskämpfer aufgebaut und propagiert werden.

2.
Als katholische Ausnahmegestalt im Berlin der dreißiger Jahre wird Dr. Erich Klausener hervorgehoben. In katholischen Publikationen wurde er schon etwa seit 1960 immer wieder gerühmt. Deswegen wurden auch Schulen und Straßen nach ihm benannt. Jetzt also ein neue Welle der Klausener – Begeisterung, weil es einen (gar nicht „runden“) Gedenktag gibt: Vor 90 Jahren, am 30.Juni 1934, wurde Erich Klausner von den Nazis in Berlin erschossen. Er war der Führer der katholischen Laienbewegungen in Berlin, war Mitglied der Zentrumspartei und hoher Beamter in Berliner Ministerien auch noch nach der „Machtergreifung“ Hitlers.

3.
Theologisch konservative, aber einflußreiche Klausener – Verehrer wünschen und beten (in eigens erstellten Gebetsheftchen, den „Novenen“) jetzt dringend, dass ihr Vorbild vom Papst selig gesprochen wird. „Selige“ befinden sich nach katholischer Lehre in der himmlischen Welt auf der Vorstufe zur Heiligkeit. Sie dürfen aber schon im Gebet um Hilfe und Beistand ersucht werden. Die Berliner wollen und sollen wohl alsbald beten: „Seliger Märtyrer Erich Klausener stärke uns im Kampf gegen die AFD“.

4.
Die heutigen Klausener Fans verlangen die historische Deutungshoheit über diese Person, mit allem Nachdruck und übereinstimmend wird Erich Klausener zum Blutzeugen, also zum Märtyrer, aufgebaut. Dieses Verhalten kann schlicht nur ignorant genannt werden. Mit einiger Recherche hätten die Klausener – Fans wissen können, was schon vor 10 Jahren der Soziologe Prof. Ekkehard Klausa in der Wochenzeitung „Die Zeit“ über den angeblichen „Widerständler“ Erich Klausener mitteilte: „Klausener hat die teuflischen Nazimächte nicht bekämpft. Er hat sie verkannt“, das steht in „DIE ZEIT“ vom 18.Juni 2014, Seite 17. Der wissenschaftliche Beitrag hat den auf Klausener bezogenen Titel „Er lobte seine Mörder“.

5.
Aber über wissenschaftliche historische Fakten setzt sich auch der päpstliche Nuntius in Berlin hinweg. Der Botschafter des Heiligen Stuhls in Berlin, Erzbischof Nikola Eterovic, nannte Klausener am 30.6.2024, „den ersten Berliner Blutzeugen“. Das katholische Kölner DOM Radio berichtet am 30. 6.2024: „Der Apostolische Nuntius in Deutschland, Erzbischof Nikola Eterovic, hat den Politiker Erich Klausener (1885-1934) als katholischen NS-Widerstandskämpfer gewürdigt. Der päpstliche Nuntius Eterovic hofft, dass das Zeugnis des ´ersten Berliner Blutzeugen`, also Klausener, dem aktuellen Mangel an Glaube abhelfen möge“. LINK
Auch der Weihbischof von Münster, Rolf Lohmann, betonte im Juni 2034 in Recklinghausen, wo Klausener als junger Mann auch wirkte: „Seine Überzeugungen haben Erich Klausener zum Märtyrer, zum Zeugen gemacht und uns Heutigen zum Vorbild“. LINK

6.
Über die Lebensgeschichte Erich Klauseners kann man sich leicht im Internet, etwa bei Wikipedia, informieren: Hier nur so viel: 1885 in Düsseldorf geboren, kam er als Jurist 1924 endgültig nach Berlin und arbeitete zunächst als leitender Beamter im Innenministerium (für die Polizei zuständig); wegen seiner führenden Rolle auch in der zahlenmäßig starken katholischen Laienbewegung wurde er aber von der Nazi – Regierung degradiert .. und 1933 ins Verkehrsministerium versetzt. Dort war Klausener für Schifffahrt zuständig. Göhring und Himmler hielten die katholischen Laienbewegungen für gefährlich und sie identifizierten ihren Mitarbeiter in den Ministerien, Dr. Erich Klausener, mit diesen – angeblich – oppositionellen Organisationen katholischer Laien. Professor Ekkehard Klausa schreibt: „Bis zu seinem Tod fand Klausener allenfalls zu partieller Opposition gegen das Regime, indem er etwa dem Verbot katholischer Arbeitervereine und Presseorgane widersprach. Für Göring jedoch war Klausener trotz seiner loyalen Haltung den Nazis gegenüber ein Exponent des verhassten politischen Katholizismus“, so in dem genannten Aufsatz in „DIE ZEIT“.

7.
Es ist wichtig, zwei Ereignisse im Jahr 1934 zu beachten:
Am 24. Juni 1934 fand der 32. „Märkische Katholikentag“ in Hoppegarten, nahe bei Berlin, statt. Katholische Massenveranstaltungen als Ausdruck machtvoller katholischer Präsenz in der Gesellschaft organisierte Klausener mit großer Leidenschaft, „Märkische Katholikentage“ hatte er schon zuvor organisiert.
In der Veranstaltung am 24. Juni mit 50.000 Teilnehmern in Hoppegarten war Klausener als Vorgetragener gar nicht vorgesehen. Er ergriff aber spontan zum Schluss doch das Wort und hielt eine kurze Rede. Der genaue Wortlaut allerdings ist nicht überliefert.

8.
Einige zentrale Aussagen nennt der katholische Journalist Ulrich Schoe, es sind Aussagen, die von Teilnehmern überliefert und dann zusammengetragen wurden.  Klausener empfahl demnach den Katholiken, „stolz auf den Glauben zu sein“, „frohe Katholiken zu sein“. Die wahrscheinlich letzen Worte dieser spontanen Rede sollen gewesen sein: „Treu stehe der Katholik zu Volk und Vaterland, auch sein Singen und Beten sei dem Vaterland geweiht“… (S. 49). Wichtig ist der Hinweis: „Von der Veranstaltung in Hoppegarten sandten der damalige Bischof Bares UND Erich Klausener ein Telegramm an Reichskanzler Adolf Hitler mit dem Inhalt: „50.000 Katholiken des Bistums Berlin verbinden mit dem Bekenntnis ihres Glaubens das feierliche Gelöbnis treuester Arbeit für Volk und Vaterland“. Katholiken Berlins gelobten, bevormundet von Bischof und Klausener, also Adolf Hitler „treueste Arbeit für Volk und Vaterland“ (S. 50). Die entscheidende Frage ist: Warum wurde dann der Autor eines solchen Treue-Gelöbnisses gegenüber dem „Führer“ ein paar Tage später erschossen? Er war doch zuvor schon als „loyaler katholischer Beamte“ den Nazi – Chefs bekannt!

9.
Am 30. Juni 1934 wird Klausener in seinem Büro im Verkehrsministerium auf Befehl des damaligen Chefs der Gestapo, des SS – Führers Reinhard Heydrich, von dem SS – Mitglied Kurt Gildisch erschossen. Dieses Verbrechen wird von den Nazis sofort als Selbstmord Klauseners umgedeutet und öffentlich so propagiert. Die Katholiken hingegen betonen: Der streng gläubige Katholik Klausener habe niemals einen Selbstmord, eine schwere Sünde in der katholischen Moral, begehen können. Sie protestieren dagegen, dass Klausners Leiche den Verwandten und dem Bischof nicht zugänglich wurde, dass er von den Nazis in aller Eile eingeäschert wurde…

10.
Natürlich, es wurde die einzelne Person, dieser Erich Klausener, ermordet. Aber er stand in der Sicht der Nazis sozusagen als Symbol für die als politisch aufmüpfig geltende katholische Laien – Bewegung.
Darum geht es: Erich Klausener wurde „nur“ als Symbol-Figur des – in der Sicht der Nazis – kritischen Laien – Katholizismus erschossen, sie wussten ja: Politisch war Klausener eine „urdeutsche, loyale“ Person.
Erich Klausener war also kein Widerstandskämpfer, das wussten selbst die Nazis. Es ist also problematisch, dass aus dieser Gestalt dann ein Erich Klausener als seliger schon Märtyrer gegen das Nazi – Regime gemacht wird.

11.
Diese Tatsachen werden jetzt katholischerseits verschwiegen: Kurz vor seiner Rede auf dem Katholikentag in Hoppegarten am 24. Juni 1934 lobte Klausner noch im Mai 1934 in kleinem Kreis die Nazi – Herrscher. Dies berichtet der Soziologe Ekkehard Klausa, in seiner Studie für “DIE ZEIT“. Zu diesem kleinen privaten Gesprächskreis gehörte auch Domvikar Walter Adolph, ihn zitiert Ekkehard Klausa: „Erich Klausner brach noch im Mai 1934 eine Lanze nach der anderen für das Dritte Reich. In seinem Eifer und seiner Hingabe, mit der er die Sache des nationalsozialistischen Regimes verteidigte, übersah er völlig, wie der Bischof Bares immer schweigsamer wurde und Klausners Lobeshymnen wie bittere Pillen schluckte.“ Bares hatte wohl keinen Mut, gegen den Nazi – Versteher Klausener aufzubegehren…

12.
Es ist also offenbar NICHT so, wie katholischerseits jetzt gern behauptet wird, als habe sich Klausener ab 1933 bis zu seinem Tod am 30.Juni 1934 zu einem deutlichen Nazi – Kritiker entwickelt. Das ist fromme Phantasie, bestimmte Katholiken wollen jetzt unbedingt ihren Nazi – Märtyrer“!
Ulrich Schoe bietet in seinem Beitrag über Erich Klausener (in: „Miterbauer des Bistums Berlin“, Berlin 1979, S. 54) eine Art Zusammenfassung der politischen Haltung Erich Klauseners: Der Text musste moderat ausfallen, es war ja schließlich ein Buch zu Ehren des Helden Klausener… Klauseners Haltung „gipfelte zweifellos in der anfänglichen Verkennung des Satanischen, das sich in der Person Hitlers und seines nationalsozialistischen Staatsaufbaus verkörperte. Klausener irrte im Ausdeuten der Zeichen der unter dem Nationalsozialismus angebrochenen Zeit, da er voller Hoffnung war, dass das Dritte Reich und die katholische Kirche sich auf friedlichem Wege zu einer Konkordanz finden werden. (S. 54).

13.
Ulrich Schoe ist also schon 1979 deutlich: Klausener irrte, er unterschätzte das Nazis-Regime..„Diese vertrauensvolle Gutgläubigkeit (gegenüber den Nazis) mag Klausener letztlich das Leben gekostet haben“ (ebd). Sollte man „gutgläubig“ mit naiv übersetzen? Als „Kerndeutscher“ , so Schoe, war Erich Klausener jedenfalls „kein Widerstandskämpfer in dem Sinne, dass er im aktiven Widerstand gegen Hitler gestanden habe“ (S. 50). Es war vielleicht eine Art Überheblichkeit, wenn Erich Klausener darauf setzte, dass er allein „den Reichtum und die Tiefe der katholischen Welt in den neuen NS Staat einbauen könne und diesem NS Staat zu einer positiv-christlichen Zielsetzung“ verhelfe (S. 47). Ein einzelner Katholik will die Ideologie „positiv – christlich“ korrigieren…Das darf man auch gut-gläubig nennen, wahrscheinlich dsann doch  naiv, vielleicht überheblich.

14.
Hedwig, die Ehefrau Klauseners, schreibt am 21.Juli 1934, nur drei Wochen nach dem Mord durch die Nazis, an den „Sehr geehrteren Herrn Reichskanzler Hitler“ zur Verteidigung ihres Mannes: Er habe „als Beamter mit heißer Vaterlandsliebe und ganzer Treue dem Staate und seinem Führer (sic) gedient“. Ein hilfloser Versuch, den Nazi – Mördern zu widersprechen, ihr Mann, sei ein Feind der neuen Regierung (Hitlers) und ein Hochverräter gewesen. (Quelle. „Miterbauer des Bistums Berlin“, Berlin 1979, S. 51).

15.
Wichtig ist, dass in der mir bekannten Literatur keine ausführliche Äußerung Klauseners, etwa seit 1930, zugunsten der bedrohten und verfolgten Juden überliefert ist. Über Juden sagt Klausener offenbar kein Wort der Hilfsbereitschaft und Nähe. „Privat geäußerte Kritik an den Konzentrationslagern oder an dem Judenboykott ist von Klausener nicht überliefert“, schreibt Ekkehard Klause in DIE ZEIT. Im Gegenteil, Klausener sieht sich in seinem Kampf gegen die in seiner Sicht sexuelle Freizügigkeit, auch in der Darstellung der Presse, von Hitler bestätigt. Mit ihm sieht Klausener sich eins im Kampf gegen den exzessiven Liberalismus. Weil nun Liberalismus auch von einigen Juden vertreten wurde, vermutet Ekkehard Klausa, gebe es bei Erich Klausener eine Art von „kulturellem Antisemitismus“ (siehe DIE ZEIT).
Was mussten maßgebliche Staatsbeamte – wie Erich Klausener – von den schon zu seiner Lebenszeit bestehenden KZs? Vor den Toren Berlins wurde schon am 21. März 1933 in Oranienburg das erste Konzentrationslager in der Region Brandenburg errichtet, zuvor waren schon in Nohra bei Weimar und in Dachau Konzentrationslager errichtet worden… Wie überflüssig und devot musste ein Klausener sein, als er Ende März 1933 nach dem Austritt Hitlers aus dem Völkerbund dem Führer ein Grußtelegramm schickte:“ In den Schicksalsstunden der Nation treten Katholiken des Bistums Berlin in unerschütterlicher Liebe zu Volk und Vaterland geschlossen hinter den Führer und Kanzler in seinem kämpf um Gleichberechtigung und Ehre der Nation“ (Zit. Ekkehard Klausa, DIE ZEIT.) Spricht so ein Katholik, der Blutzeuge und Märtyrer werden will?

16.
Klausener lebte in einer Welt voller Feinde, noch bevor die Nazis in sein Blickfeld rückten. Es waren die Liberalen, die sexuell Freizügigen, die Sozialisten, die Kommunisten, die Atheisten, die Freidenker, von seiner Haltung zu den ja manchmal ebenfalls liberalen Protestanten ist mir nichts überliefert. Klausener lebte also in einer Stadt Berlin, deren Menschen er mehrheitlich als seine Feinde ansehen musste. Allein die Nazis, milde von ihm interpretiert, entsprachen seinen Vorstellungen von Ordnung, Familie,Moral, Gottes – Glaube usw.

17.
Die anti-liberaleHaltung verband ihn mit der Ideologie der Nazis. Die Verbundenheit von katholischer Kirchen(Führung) mit rechtsextremen Ideologien und Herrschern ist bekannt, man denke an die Nähe von Kirche und Franco – Regime in Spanien, an die Nähe vieler führender Katholiken zu Mussolini, an die Jubeltöne vieler Bischöfe und Priester zugunsten des Maréchal Pétain in Frankreich und so weiter und so weiter.

18.
Es gibt sicher auch aktuelle politische Gründe, wenn jetzt Katholiken im Osten Deutschlands, also auch im Erzbistum Berlin, sich so deutlich für Erich Klausener stark machen: Er wird als Vorbild hingestellt offenbar für alle Wähler aktueller rechtsextremer Parteien: Ihnen wird gepredigt: Klausener sei zwar auch „zuerst“ nazifreundlich gewesen, irgendwann, wann genau wird katholischer nicht belegt, offenbar ab 1933/34, habe er sich von seinen Nazi – Sympathien getrennt, und sei zum Märtyrer geworden. Auch der Berliner Erzbischof Heiner Koch schließt sich dieser Meinung wider alle Fakten an, in seiner Radio – Predigt zu Klausener am 29.6. 2024 sagte er: “Für mich ist Erich Klausener heute noch aktuell, gerade weil er sich selbst korrigieren konnte. Er hatte verstanden, dass seine anfängliche Hoffnung, mit den Nationalsozialisten zu einer Einigung und Verständigung zu kommen, ein Irrtum war. Und er hat die richtigen Konsequenzen gezogen. Fehler eingestehen und mit aller Entschiedenheit korrigieren, das ist eine Qualität, die heute mindestens genauso wichtig ist wie vor 90 Jahren.“ Diese Worte sind bestenfalls „gut gemeint“, haben aber mit Erich Klauseners durchgängiger Bindung an Elemente der Nazi – Ideologie nicht viel zu tun. Eine spirituelle, aber kontra-faktische Predigt von Erzbischof Koch also. LINK

19.
Es finden jetzt (Sommer 2024) offiziell – katholisch bestimmte Erich Klausener Gedächtnisfeiern statt. Am 27.September 2024 etwa wird im „Klausener – Saal“ (sic) des „Bundesministeriums für Digitales und Verkehr“ eine Gedenkfeier stattfinden. Der bekannte „Auto – Freund“, der FDP – Minister Volker Wissing, wird in ökumenischem Geist (Wissing nennt sich evangelischer Christ) ein Grußwort halten.
Den Festvortrag „Klausener – Katholizismus zwischen Demokratie und Diktatur“ hält der Katholische Priester und Historiker Professor Stefan Samerski: Er lehrt u.a am Priesterseminar in Berlin – Biesdorf, das von der ultrakonservativen Bewegung „Neokatechumenaler Weg“ betrieben wird. Samerski ist auch eng verbunden mit dem „Militärischen und Hospitalischen Orden des hl. Lazarus in Jerusalem“, er ist außerdem Kaplan („Capellan de merito“) des „Religiösen und Militärischen Konstantinischen Ordens vom Hl Georg mit Sitz in Madrid“. Beide Orden sind nicht gerade als Orte eines progressiven Katholizismus bekannt. Siehe die “sudetendeutsche Akademie”, gelesen am 10.9.2024. LINK:
Auf die weitere Mitgliedschaft Samerskis im „Askanischen Hausorden Albrecht der Bär“ soll nur hingewiesen werden… Die „Sudetendeutsche Zeitung“ (mit den Sudetendeutschen ist Samerski eng verbunden) berichtete über das Priesterjubiläum Samerskis am 5. Juli 2024 in der ehemaligen Friedhofskirche St. Stephan, München- Isarvorstadt.

20.
Auch der junge Theologe Mike Schuster, Mitarbeiter im erzbischöflichen Ordinariat Berlin, hat sich mehrfach über Erich Klausener öffentlich geäußert, etwa auch in der katholischen Akademie Berlin… Mike Schuster betonte dort, das Zeugnis Erich Klauseners könne heute Mut schenken, es sei ein Aufruf zur Solidarität und Toleranz und so weiter und so weiter. Mike Schuster war führend engagiert in der konservativen Jugendbewegung zugunsten Papst Benedikts XVI., damals unter dem Titel „Generation Benedikt“ werbend tätig, jetzt tritt diese Papst – Fan -Bewegung unter dem Titel „Initiative Pontifex“ auf…Mike Schuster ist offensichtlich auch mit dem Neokatechumenat in Berlin-Biesdorf eng verbunden, er hat kürzlich mit dem neokatechumenalen Regens (Chef des Hauses dort), Pfarrer Marc Anton Hell, ein langes Interview über Männlichkeit geführt, die Leitidee des Neokatechumenalen -Theologen: „Gott ist Vater, also männlich, also orientieren sich Männer an Gott – Vater…“ Das Interview erschien im Pfarrnachrichtenblatt von St. Matthias, Nr.2, 2024, das muss hier erwähnt werden, weil ja die Öffentlichkeit sehr sehr selten theologische (!) Äußerungen des Neokatechumenats überhaupt einmal lesen kann. Auch das noch: Mike Schuster hat über die St. Matthias – Gemeinde und das Pfarrnachrichtenblatt eine theologische „Studienarbeit“ von 24 Seiten verfasst und publiziert, sie wurde angenommen von der Fern-Uni Hagen. LINK

21.
Schon am 24. 6. 2024 hatte der „Freundeskreis Dr. Erich Klausener“ zu einer Veranstaltung nach Hoppegarten eingeladen, dem Ort des Katholikentages 1934. Einer der Mitwirkenden, Dr. Johannes Bronisch, lässt es sich nicht nehmen, im „Pfarrnachrichtenblatt“ von St. Matthias Berlin – Schöneberg (Ausgabe Nr. 2/2024), wieder einmal Erich Klausener als „den ersten Blutzeugen des Bistum Berlin zu rühmen (S. 22) und zu behaupten „das stand allseits fest“… was  eine falsche Behauptung ist. Und weiter schreibt Bronisch:„ Niemand wird an Klausners Vorbildfunktion zweifeln und daran, dass die von ihm verkörperten Eigenschaften auch von dringender Notwendigkeit sind.“ (S. 23). Johannes Bronisch lässt es sich nicht nehmen, auch in diesem historischen Zusammenhang die progressiven Katholiken heute heftig fertigzumachen. Denn denen mangle es an der „ vollständigen und unverbrüchlichen Einheit mit Rom und der Lehre der Kirche“, und das gelte auch, so wörtlich, für die „offensichtlich große Mehrheit der auf dem synodalen Sonderweg wandelnden deutschen Oberhirten“ (S. 24). Da wird eine Kirchenspaltung beschworen! So viel Unverschämtheit gegenüber den Bischöfen hätte sich Erich Klausener nicht erlaubt! Aber Bronisch befindet sich in dieser Kritik in guter Gesellschaft mit Dr. theol. Josef Wieneke, dem leitenden Pfarrer der St. Matthias – Gemeinde (zu dieser Gemeinde „gehörte“ einst Familie Klausener). Auch der Pfarrer polemisiert immer wieder, so auch in dem Pfarrei – Blatt Nr. 2, 2024, S. 3), gegen den synodalen Weg. In dieser Katholischen Pfarrei St. Matthias herrscht seit Jahren das Neokatechumenat vor!

22.
Zusammenfassend:
Die Erinnerung an Erich Klausener wird jetzt von sehr konservativen katholischen Kreise dominiert und erforscht. Diese Kreise wollen auf ihre Art den Ton angeben. Und einen Märtyrer und Blutzeugen konstruieren, entgegen allen Fakten. So ist unser Thema nur ein weiteres Beispiel dafür, dass der Trend des Katholizismus in Deutschland immer weiter nach rechts, ins Konservative, ins Erstarrte, Dogmatische, rutscht. Von daher hatte es auch Sinn für mich, meine Zeit diesem Thema zu widmen…

23.
Das wünschen sich einige: Viel sinnvoller wäre es, wenn das Erzbistum Berlin nicht dieser zwiespältigen Gestalt Erich Klausener so viel Energie, so viele Gottesdienste, Tagungen, Podiumsdiskussionen und damit so viel Geld etc. widmen würde: Viel dringender und intellektuell und politisch anspruchsvoller und weiterführender wäre die Erinnerung an den tatsächlichen (!!) Nazi – Widerstandskämpfer Pfarrer Max Josef Metzger, der immerhin von 1940 bis 1943 in Berlin – Wedding gelebt hat. Auch Metzger ist also ein Berliner, wenn er auch nur ein paar Jahre weniger als Klausener in Berlin lebte. Erich Klausener ist, nebenbei gesagt, auch kein „echter“ ? „Berliner“, wie gern behauptet wird, Klausener lebte (nur) 10 Jahre hier. Um so länger bestimmte dann in West – Berlin sein ebenfalls theologisch extrem konservativer Sohn, der überaus einflußreiche Prälat Erich Klausener jr, katholisches Überleben in Zeiten des reaktionär herrschenden Kardinals Alfred Bengsch (danach wurde das katholische Leben unter Erzbischof Joachim Meisner noch unangenehmer)… LINK.

1943 wurde Pfarrer Metzger wegen mutiger und deutlicher Kritik an den Nazis ins Gestapo – Gefängnis verbracht … und am 17.4.1944 hingerichtet.
Metzger ist als Priester eng mit seinem Heimatbistum aus dem Erzbistum Freiburg i.Br. verbunden, und sein Erz – Bischof Conrad Gröber stand dem von Nazis Verurteilten Metzger nicht effektiv bei (siehe dazu: „Die Kirchen im Dritten Reich“, Band 1, Fischer Taschenbuch, 1984, S. 184).
Am 17.11.2024 wird der Nazi – Gegner und tatsächliche Märtyrer Pfarrer Max Josef Metzger selig gesprochen, endlich muss man sagen, man darf gespannt sein, wie sich der heutige Erzbischof von seinem Bischofs- Vorgänger Gröber distanziert.

24.

Heilige und Selige werden von der Kirche “gemacht”, d.h auch: Sie werden konstruiert, in ihrer ungewöhnlichen, angeblich einmaligen heiligen Bedeutung erfunden. Dazu gibt es eine umfassende Studie unter dem Titel “La fabrication des saints”, erschienen in der vom französischen Staat finanzierten Reihe “Carnets du patrimoine éthnologique”, 1995, Paris, Directeur de la publication: Gérard Ermisse). In diesem Buch mit 14 Aufsätzen ist auch ein Beitrag über den berühmten heiligen Scharlatan Pater Pio in Italien. Der Titel “Contestation et fabrication d un culte. Le Cas de Padre Pio de Pietrelcina”  (Seite 91 – 102). Autor ist Christopher McKevitt, vom Department of Public Health Medicine, UMDS, London.

Der Autor der wichtigen und zentralen, leider in katholischen Kreisen wenig beachteten Studie über Erich Klausener in „DIE ZEIT“ ist der Soziologe und Jurist Ekkehard Klausa, er wurde 2014 als „ehrenamtlicher Mitarbeiter der Forschungsstelle Widerstandsgeschichte in Berlin“ vorgestellt.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Wahlen in Sachsen und Thüringen: Wenn Dummheit sich durchsetzt.

Philosophische Hinweise auf die Wahlen in Sachsen und Thüringen am 1.9.2024

Von Christian Modehn am 4.9.2024.

Einige LeserInnen haben uns gebeten, den Hinweis vom 1.9.2024 als Grundlage für weitere Diskussionen – eher kurz und bündig, als Thesen, anzubieten. Zum Thema „Philosophie der Dummheit“ werden wir weitere Hinweise publizieren.

1.

Jeder Mensch ist in der Lage zu philosophieren. Philosophieren als Aktivität der Philosophie ist Ausdruck dessen, was den Menschen zum Menschen macht: Vernunft, Geist, Seele, Empathie.

2.

Der philosophierende Mensch schaut aus der Distanz auf sein Leben. Das bedeutet, er fragt sich, welchen Sinn, welche Konsequenzen, seine politischen Entscheidungen haben.

3.

Die Qualität auch der politischen Entscheidungen bestimmen Maßstäbe, die in sich widerspruchsfrei sind und für alle Menschen in allen Situationen universell gelten. Diese Maßstäbe sind die Menschenrechte (Erklärung der UN von 1948). Parteipolitische Maßstäbe sind also relativ, weil ideologisch begrenzt, sie unterliegen selbst den universellen Maßstäbe der Menschheit, also den Menschenrechten.

4.

Wer eine Partei wählt, deren Programm und damit deren Ziele er genau gar nicht kennt und trotzdem wählt, kann als dumm gelten. Diese Menschen treffen in einer Wahl für eine Partei grundlegende Entscheidungen für sich wie für die Gesellschaft… und wissen nicht genau, wen und was sie da wählen. „Dummheit ist der mangelhafte Umgang mit den eigenen Fähigkeiten“, schreibt der Philosoph Martin Seel. (Fußnote 1). Diese Dummheit ist gefährlich für den einzelnen wie für die Gesellschaft und den Staat, wenn es sich um eine Partei handelt, die letztlich die Demokratie abschaffen will, die gesichert rechtsextrem ist und faschistische Führer hat. Dies ist die AFD. (Siehe Fußnote 5)

5.

Wer diese Partei AFD wählt, aber durchaus so ungefähr weiß, welche politischen Ziele diese Partei anstrebt, ist ebenfalls dumm zu nennen: „Diese Dummen sind damit zufrieden, vieles nur halb zu wissen und halb zu können. Sie sind mit sich zufrieden, denn sie halten sich für klug genug“, schreibt der Philosoph Martin Seel (Fußnote 2). Und weiter schreibt Seel: “Was über den Horizont der Dummen geht, erscheint ihnen abstrus oder bedrohlich. Eben das kann die Dummen zu einer Bedrohung für andere machen: Dumme schlagen um sich, sobald ihnen zugemutet wird, sich einer komplexen Realität zu stellen” (S. 63).Beispiele für dieses “Um-sich-Schlagen”  kennen wir zur Genüge, man denke an die Gewaltattacken Rechtsextremer gegen Demokraten, gegen demokratische Aktivisten, gegen demokratische Politiker…(Siehe Fußnote 6)

6.

Nur einige der insgesamt Demokratie – feindlichen Ziele der AFD: Die AFD will das von ihr so genannte „Machtmonopol der Altparteien aufbrechen“. Das kann nur heißen: Die AFD will letztlich allein regieren, wenn das Machtmonopol der demokratischen Parteien (von der AFD Alt-Parteien genannt, um das angeblich Veraltete dieser demokratischen Parteien zu bezeichnen) nicht nur „aufgebrochen“ ist, wie es im Text heißt, sondern wohl letztlich gebrochen ist.
Bei einer Herrschaft der AFD haben die Bürger als Bürger nichts Wesentliches mehr zu bestimmen. Manche Philosophen erinnern in dem Zusammenhang an das bekannte und wahre Sprichwort schon aus dem 19. Jahrhundert (auch von Brecht zitiert): “Nur die aller dümmsten Kälber wählen ihren Schlächter selber.“

7.

Die AFD will die Entmachtung der öffentlich-rechtlichen Sender. Die AFD möchte auch aus bekannten Gründen den von ihr verhaßten Verfassungsschutz aufheben, das heißt: Dies ist der übliche erste Schritt der Rechtsradikalen: Die Freiheit der Presse zerstören, dann die demokratische Justiz abbauen.

8.

Verstörend auch der Satz des AFD Programms: „Mehr Rückbesinnung auf erfolgreiche Konzepte der Wissensvermittlung in der DDR“. Details nennt die nun offenbar SED freundliche AFD nicht, offenbar denkt sie an die Doktrin der Vorherrschaft einer Partei, die die Indoktrination und Ideologisierung schon in der Schule durchsetzt.

9.

Ebenso unklar und ebenso bewusst mehrdeutig formuliert ist auch die AFD These Nr. 7: „Es müsse der Sicherheitsstandard erreicht werden, den wir jahrzehntelang gewohnt waren“. Was soll das heißen? Sind gemeint die Jahrzehnte (1949-1989) der von der Stasi „sicher“ unterdrückten Bevölkerung der DDR? Oder meint die AFD gar die „Sicherheitsstandards“ der NDSAP von 1933 bis 1945? Die DDR wie die Naziherrschaft kamen ohne heftigste Verfolgung von politischen Feinden bekanntlich nicht aus. Wollen diese verheerenden Zustände die AFD Wähler allen Ernstes in Thüringen? Also: “Nur die aller dümmsten Kälber wählen ihren Schlächter selber.“

10.

Auch über die Verbundenheit der AFD mit Putin ist in den Thesen zu lesen, über das uralte, verstaubte Ideal der hetero-normativen Ehe ebenso usw.

11.

Was sagen Philosophen über die Dummheit? Es ist durchaus ein zentrales Thema, Grundlegend ist: Es ist der Mangel an Reflexion und eigenem kritischen Urteilsvermögen, der Dummheit prägt. Die Philosophin Hannah Arendt nennt Gedankenlosigkeit das schlimmste Übel unter dummen Menschen (oder dumm gemachten oder dumm geblieben Menschen). Ein typisches Beispiel eines gedankenlosen Menschen, ist für Hannah Arendt der Nazi – Verbrecher Adolf Eichmann: Gedankenlos, d.h.unreflektiert, also dumm sind Menschen wie Eichmann, die ohne kritische Besinnung und ohne eigene kritische Prüfung den Weisungen und Sprüchen der Führer, auch der Parteiführer gehorsam Folge leisten, die dummen Menschen können nicht NEIN sagen.

12.

Der Philosoph Immanuel Kant äußert sich manchmal skeptisch, was eine Heilung von Dummheit angeht: Er schreibt: „Der Mangel an Urteilskraft ist eigentlich das, was man Dummheit nennt, und einem solchen Gebrechen ist gar nicht abzuhelfen.”(Fußnote 4). Hingegen betont Kant auch, dass jeder Mensch aus der „selbstverschuldeten Unmündigkeit (Dummheit) herausfinden kann: Aber das ist für Kant eher ein gemeinschaftliches Unternehmen. Dummheit ist jedenfalls ein wichtiges philosophisches Thema, Heidi Kastner, Fachärztin für Psychiatrie, nennt allein in ihrem Buch „Dummheit“, Wien 2022, 10. Auflage !, 18 weitere philosophische psychologische Titel zur Dummheit.

13.

Auch der Psychotherapeut Erich Fromm hat sich mit der allgemein um sich greifenden Dummheit befasst, er sah sie in der Fixierung des Denkens aufs rein Technische, sozusagen in der Pflege der bloß technischen Intelligenz. „Dummheit ist das Gegenteil von Vernunft, nicht das Gegenteil von (technischer) Intelligenz“, schreibt Erich Fromm in dem Beitrag „Der Mensch in der kapitalistischen Gesellschaft“, Erich Fromm Gesamtausgabe Band 4, S. 123. Vernunft als Nicht – Dummheit bedeutet für den Psychotherapeuten: „ Zwischen Gut und Böse unterscheiden, das Ziel des Lebens ist Liebe und Vernunft zur Entfaltung bringen“ (ebd.). „In dem Maße, wie ein Mensch sich einer Partei gleichschaltet, kann er die Stimme seines Gewissens nicht mehr hören geschweige denn danach handeln“. In dem Beitrag „Jenseits der Illusionen“ von 1962 schreibt Erich Fromm, in der Gesamtausgabe Band 9, S.137): „Dummheit ist ein Resultat der Unterwürfigkeit, der Angst und des inneren Abgestorbenseins…“

14.

Wichtig also ist diese Unterscheidung: Dummheit ist nicht das Gegenteil von Intelligenz. Intelligente Menschen etwa im technischen Bereich, dort sehr kundig und begabt, können durchaus dumme Menschen sein: Sie gehen sozusagen in der Technik auf, kennen nichts anderes… Klugheit, nicht Intelligenz, ist also der Gegenbegriff zur Dummheit. Und klug ist ein Mensch, der über sein Leben im ganzen kritisch reflektiert. Klugheit in dem Sinne ist mit Weisheit identisch, also mit einer philosophierenden Lebenshaltung.

15.

Unser Thema ist umfassend und es bedarf weiterer Reflexionen und Studien: Über die „Lust am Untergang“ wäre zu sprechen, auch mit Psychologen, die die Motive erforschen, warum Bürger diese AFD wählen und offenbar ihren eigenen seelischen, geistigen und politischen Untergang wünschen. Denn der angezielt Untergang ist in dem Fall mit dem Untergang der Demokratie identisch.

16.
Demokratie ist natürlich niemals faktisch „die beste aller Welten“: in Demokratien werden Fehler gemacht. Aber Demokraten sind bereit, Fehler einzugestehen, diese zu korrigieren und eine besser Demokratie zu gestalten. In der Alleinherrschaft eines Herrschers in einem Einparteiensystem gibt es bekanntlich keine demokratische Entwicklung.

 

Nebenbei:

Eine erfreuliche Nachricht, TAZ am 1.9.2024: ERFURT taz : Björn Höcke hat es zum dritten Mal nicht geschafft, ein Direktmandat zu holen, dabei ist er extra nach Greiz gegangen, weil er im Eichsfeld, seiner Heimat, schon zwei Mal gescheitert war. Den Wahlkreis Greiz II gewinnt aber Christian Tischner von der CDU.

– Der Philosoph und Autor Umberto Eco erinnert in seinem Buch „Der ewige Faschismus“, Hanser Verlag, 2020, an Formen des `Ur – Faschismus`. Ein lesenswerter Text! Siehe dazu unseren Hinweis, LINK

– Siehe auch das Buch von Philipp Ruch, „Es ist 5 vor 33“, Ludwig – Verlag, 2024. Und siehe das Interview mit dem Tagesspiegel (Patrick Wildermann): https://www.tagesspiegel.de/kultur/philipp-ruch-vom-zentrum-fur-politische-schonheit-der-schlaf-des-kanzlers-ist-wirklich-durch-nichts-zu-storen-12308258.html

Das BSW konnte hier nicht näher untersucht werden, also etwa dessen Verständnis für Verhandlungen mit Diktator Putin… Das ist für Europa genauso gefährlich wie die entsprechende Haltung der AFD

FUßNOTEN:

Fußnote 1:
Martin Seel, „111 Tugend 111 Laster,“ S. Fischer Verlag, 2001, S 62.

Fußnote 2, Ebd. S. 63

Fußnote 3, Thesen der AFD Thüringen zur Landtagswahl:
https://www.afd-thueringen.de/thuringen-2/2024/07/die-10-thesen-der-landtagswahl-2024/
Gelesen am 1.9.2024 und am 4.9.2024

Fußnote 4, Kant, „Kritik der reinen Vernunft“, Ausgabe B, Seite 178. , dort als Fußnote mit Sternchen. In der Ausgabe des Felix Meiner Verlages, Hamburg, 1956, Seite 194.

Fußnote 5: Der Fernseh-Moderator und Autor Jan Böhmermann schreibt in einem Beitrag für “Die Zeit” (29.8.2024, Seite 43) sehr treffend:” Wer aus dem Gefühl der Abhängigkeit heraus freiwillig Menschen von gestern wählt, darf sich nicht wundern, wenn das Gefühl der Abhängigkeit danach noch stärker wird. Es wird ganz, ganz finster werden für Sachsen, Thüringen und Brandenburg”.

Fußnote 6: Der Wiener Autor und kritische Beobachter (auch) der (österreichischen ) rechtsextremen Parteien ROBERT MISIK schreibt am IPG Journal vom 5.9.2024: “Hatte man vor gar nicht allzu langer Zeit noch allgemein dem Urteil angehangen, die radikalen Rechtsparteien müssten sich mäßigen, um eine Chance auf Mehrheiten zu erlangen, so ist dies heute nicht mehr der Fall. Ja, man kann sogar sagen: Das Gegenteil ist heute der Fall. Je mehr Radikalität, je mehr Polarisierung und Hass, je irrer an der Eskalationsschraube gedreht wird, umso größer ist der Erfolg der Rechtsparteien. Über die Brandbeschleuniger der sozialen Medien schüren sie Ressentiments und Verbitterung bei ihrem Publikum; und das Publikum, das immer mehr außer Rand und Band gerät, wirkt wiederum auf die Parteien zurück.”

 

 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.