Putin wird auch in Afrika kirchlich unterstützt: Die Russisch-orthodoxe Kirche wird auch in Südafrika aktiv

Ein Hinweis von Christian Modehn

Die meisten Südafrikaner und ihre PolitikerInnen freuen sich jetzt über Putins Beistand. Nun können sich diese Leute in der Republik auch Putins russisch-orthodoxer Staatskirche in Südafrika anschließen. Die Macht Putins über ein Land muss eben total sein. Und dieser Griff des russischen Herrschers nach Afrika ist auch Teil seines Angriffskrieges gegen die Ukraine und die Demokratien des Westens.

1.
Im Zusammenhang der aktuellen Bindung der Regierung der Republik Südafrika an Putins Russland hat auch die Putin-treue und Putin-hörige Russisch-orthodoxe Kirche mit ihrem Patriarchen Kyrill I. offiziell in Johannesburg eine Diözese errichtet, gleichzeitig eine weitere russisch-orthodoxe Diözese in Kairo.
Dies hatte die „Heilige Synode“ des Moskauer Patriarchats schon am 29.12. 2021 beschlossen. Außerdem wurden mehr als 100 Priester aus acht afrikanischen Ländern, die bisher dem (griechischen) Patriarchen von Alexandria unterstanden, in die russisch-orthodoxe Kirche übernommen, auf deren „Wunsch“, wie es in Moskau heißt. (Quelle: https://www.cath.ch/newsf/le-patriarcat-de-moscou-accompagne-la-presence-russe-en-afrique/)

2.
Wegen der aktuellen politischen Ambitionen Russlands in der Republik Südafrika wird hier nur auf die Etablierung des russischen Bistums Johannesburg hingewiesen.

Bislang waren auch orthodoxe Kirchen in Afrika als Missionare tätig, wie die Katholiken, die Protestanten, die Evangelikalen, Pfingstler und so weiter. Aber diese orthodoxen Missionen wurden vor allem von der griechisch-orthodoxen (!) Kirche geleitet, vor allem in Kenia gibt es eine große orthodoxe Kirche.
Dass nun die russisch-orthodoxe Kirche die Tätigkeit der griechisch-orthodoxen Kirche offenbar in ganz Afrika zurückgedrängt, hängt auch mit inner-orthodoxen Streitereien zusammen. Denn die griechisch-Orthodoxen (unter der Leitung des Patriarchen von Alexandria) unterstützen offiziell die Ukraine und die dortige von Russland unabhängige ukrainisch-orthodoxe Kirche. Das kann die Putin-hörige russisch-orthodoxe Kirche nicht hinnehmen. Zwei orthodoxe Kirchen kämpfen also um den Einfluß in Afrika, siegreich ist die russisch-orthodoxe. Sie wird nie mehr ihre Präsenz in Südafrika aufgeben…Jede orthodoxe Kirche, die – wie die Griechen – die Ukraine unterstützt, wird drangsaliert von dem Putin Freund, dem russischen Patriarchen. Wie Putin, ein KGB Mitglied (einst).

3.
Aber dies ist nur ein Motiv für die Etablierung einer russisch-orthodoxen Institution in Südafrika. In diesem Staat geht es auf die Dauer um die Etablierung einer südafrikanisch-russischen Partnerschaft.

Das neue Exarchat in Afrika Ist der Bischof von Jerewan in Armenien, Leonid Gorbacev.

Leonid Gorbacev ist nun derneue russisch-orthodoxe Bischof für Afrika, er ist schon dabei, in Südafrika neue, mächtige Kirchen zu bauen oder einzuweihen: Wie etwa die Pfarrei „Saint John of The Ladder“, gegründet 2022, https://www.theladderon136.com/blank-page.

Schon im Januar 2022 hatte der ökumenische „Südafrikanische Kirchenrat“ die „Russisch-orthodoxe Kirche in Südafrika“ herzlich willkommen geheißen. Die Provinz Gauteng (mit Johannesburg und Pretoria) sei wohl der beste Platz für die Russen, meinte der Generalsekretär dieses offiziellen südafrikanischen ökumenischen Dachverbandes, Bischof Malusi Mpumlwana. Er hat sich auch offen „für eine Mitgliedschaft der Russen im südafrikanischen Kirchenrat“ ausgesprochen. (Quelle: https://www.urdupoint.com/en/world/south-african-council-of-churches-recognizes-1447731.html). Und er zeigte sich angesichts der allgemeinen Sympathie Südafrikas für Putins Russland optimistisch und hilfsbereit: „Als Mitglied in unserem Kirchenrat kann die russisch-orthodoxe Kirche uns ansprechen, welche Ratschläge sie benötigt“, sagte Bischof Malusi Mpumlwana.

4.
Der neue, für Südafrika zuständige Bischof Leonid Gorbacev hat jedenfalls seit langem Verbindungen zu privaten russischen Militärgruppen – darunter die „Firma Wagner“. „Diese Wagner-Leute kämen dem Projekt des Bischofs zugute, weil er damit einflussreiche Fürsprecher und auch eine Schutzmacht habe“, sagt Natallia Vasilevich. (Quelle: https://www.evangelisch.de/inhalte/209622/16-12-2022/orthodoxe-kirchen-im-konflikt-russische-kirche-will-afrika-expandieren, 16.12.2022). Natallia Vasilievich war Leiterin des Zentrums “Ecumena” in der belarussischen Hauptstadt Minsk.

5.
Und die Konsequenz in Südafrika: Fast niemand will es sich mit einer russisch-orthodoxen Kirche anlegen, die solche Verbündete hat, sagt die Frau Vasilevitch, Spezialistin für orthodoxe Kirchen, jetzt lebt sie in Bonn als Dozentin an der Universität.
Vielleicht gilt diese Angst vor kritischen Äußerungen gegenüber der Putin-Kirche auch für Südafrikaner, die z.B. im Ökumenischen Weltrat der Kirchen (ÖRK) in Genf arbeiten. Werden die Südafrikaner in Genf eher nationalen, südafrikanischen Gefühlen folgen oder werden sie erkennen, dass die Führung der russisch-orthodoxen Kirche sich soweit von christlichen Grundsätzen entfernt hat, dass für sie kein Platz in einem „Weltrat der CHRISTLICHEN Kirchen“ sein kann.

6.
Nicht nur Putin, auch die Putin-Kirche mit ihrer „Mission“ in Afrika wird die Welt noch lange beschäftigen. Wie sagte doch der für Südafrika zuständige Bischof, jetzt mit dem Titel geehrt „Metropolit Leonid von Klin“ (alias Gorbacech), am 12.1.2022, der offiziellen Website des Moskauer Patriarchats „Russian Orthodox Church“: „Jetzt arbeiten wir an einem voll-umfänglichen Programm nicht nur für die Entwicklung der Pfarreien, sondern auch zur Sicherstellung einer vollwertigen Präsenz des Russisch-orthodoxen Kirche auf dem afrikanischen Kontinent, das schließt liturgische, erzieherische und humanitäre Komponenten ein“.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophioscher Salon Berlin

 

Ein Jahr Krieg Russlands gegen die Ukraine. Der „Ökumenische Weltrat der Kirchen“ (Genf) bleibt nach wie vor “milde“ gegenüber den Kriegsherren in Moskau

Ein Hinweis von Christian Modehn zum Kriegstreiber, dem Patriarchen Kyrill von Moskau und seiner familiären Connection mit Genf. Veröffentlicht am 20.2.2023.

Siehe auch die 24, schon früher veröffentlichten Hinweise zum Thema “Kyrill I., die russisch-orthodoxe Kirche und Putin”: LINK

Siehe auch den Hinweis auf die heftige Präsenz der russisch-orthodoxen Kirche in Südafrika.  LINK

Die These dieses Hinweises vom 20.2.2023: Der “Ökumenische Weltrat der Kirchen” (ÖRK) in Genf kann sich bis jetzt nicht entschließen, den Chef der russisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Kyrill I. von Moskau und seine von ihm geführte Kirche aus diesem wichtigen und angesehenen internationalen ökumenischen Gremium als Mitglied rauszuwerfen oder wenigstens die Mitgliedschaft “ruhen zu lassen”. Dies als deutliche Strafe für die ideologisch-theologische Unterstützung Kyrills für Putin und seinen Krieg. Beide waren für den KGB tätig, beide sind vielfache Millionäre, beide sind Feinde des ukrainsichen Volkes und der Demokratie. Diese tolerante, verständnisvolle Haltung des ÖRK gegenüber Kyrill I. halten viele christliche Beobachter für einen Skandal, der aber noch korrigiert werden könnte, falls sich der ÖRK in dieser Hinsicht (Krieg Putins…) der Haltung der demokratischen Welt anschließen möchte. Ob das geschieht, ist angesichts der im folgenden dokumentierten Aussagen des neuen Generalsekretärs des ÖRK eher zweifelhaft. Es geht um die Frage: Wie naiv darf die christliche Nächstenliebe unter Christen sein? Müssen sich christlich nennende Kriegshetzer bestraft werden, auch von Christen und einem eigentlich doch geschätzten Gremium wie dem ÖRK? Mit anderen Worten: Wie stark blamiert sich eigentlich der ÖRK in dieser Frage bis heute? 

Zur Erinnerung nur diese Tatsachen aus der jüngsten Vergangenheit:  Kyrill hatte kürzlich den Tod junger russischer Soldaten – er nannte sie “unserer Jungs” – mit den Worten gerechtfertigt: “Sie erheben sich aus den Schützengräben und gehen dem Tod entgegen.” Kyrill hatte Gegner Russlands als “Kräfte des Bösen” und Russlands Präsident Wladimir Putin als wahren Christenmenschen bezeichnet.

1.
Die demokratische Welt versucht mit allen Mitteln, Putin zu isolieren, seinem kriegerischen Wahn ein Ende zu setzen und die Putin-Oligarchen wenigstens finanziell zu bestrafen.
Aber was machen die Christen, die sich im „Ökumenischen Rat der Kirchen“ (ÖKR) in Genf versammelt haben und in ihrem Club die meisten evangelischen und orthodoxen Kirchen (352 Mitgliedskirchen) zusammenführen…zu theologischen Debatten, Kongressen und vor allem zur Erzeugung von Dokumenten aus den vielen „Ausschüssen“, wie man dort sagt.
Einen der ihren, den Patriarchen Kyrill von Moskau, mit seiner Kirche seit 1961 Mitglied im ÖRK, ermahnen die Genfer ökumenischen Ratsmitglieder eher milde zur Zurückhaltung in seinem nationalistischen Hass auf den Westen. Von Kyrills schamloser Kriegs-Propaganda für seinen mordenden Freund Putin aus gemeinsamen KGB Zeiten, sprechen die ökumenischen Verantwortlichen in Genf nur zurückhaltend. „Man muss ja mit allen im Dialog bleiben“, heißt es. Dialog also auch mit Leuten, die Mord und Totschlag aufs Übelste praktizieren. Falls dieser besprochene und behauptete Dialog mit Kyrill häufig stattgefunden haben sollte, dann sollte bitte der ÖRK präzise und genau mitteilen, wie denn die Friedens-Erfolge ihrer so sanften Dialog-Strategie mit Kyrill und seiner nationalistischen Kirche aussehen. Davon ist sehr wenig zu hören, oder ist man so bescheiden und spricht nicht vom Dialog Genf-Kyrill?

2.
Es kommt noch schlimmer, schlimm für alle, die wissen, dass den Menschen in der Ukraine alle Hilfe und Nähe gebührt, und die wissen, dass die Überwindung Putins und seines christlich sich nennenden Ideologen, Patriarch Kyrill, jetzt dringend geboten und selbstverständlich ist.
Merkwürdige Äußerungen gibt es von dem neuen Generalsekretär des ÖRK, von dem aus der Republik Südafrika stammenden Theologen Professor Dr. Jerry Pillay, Mitglied einer der presbyterianischen Kirchen in Südafrika.
Prof.Dr. Pillay wurde am 17.Februar 2023 in Genf offiziell in sein hohes und international wichtiges Amt mit einem feierlichen Gottesdienst „eingesetzt“.

Um schon eine Zusammenfassung der Erkenntnisse zu bieten, die Prof. Dr. Pillay in dem jetzt folgenden Interview verbreitet: Der neue Generalsekretär des ÖRK gibt sich im ganzen gesehen eher Russland freundlich, er verliert kein Wort über das Leiden der UkrainerInnnen, mit anderen Worten: Er ist in der Einschätzung der Rolle Kyrills und seines Neffen, des Erzpriesters Mikhail Gundjajew, irgendwie naiv.

3.
Die Zeitung REFORME, die Kirchenzeitung der Kantone Genf, Bern, Jura und weiterer Kantone, hat mit dem neuen Generalsekretär Prof.Dr. Pillay aus Südafrika am 16.2.2023 ein Interview veröffentlicht. Das Interview stammt vom schweizerischen protestantischen Pressedienst „Protestinfo“, das Interview führte der Journalist Lucas Vuilleumier.  LINK.

Über den Autor Lucas Vuilleumier LINK

4.
Das Interview fand statt in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu Veröffentlichungen schweizerischer und vieler anderer Zeitungen über die Spionage – Tätigkeit Kyrills im ÖKR in den neunzehnhundertsiebziger Jahren. Diese Erkenntnisse beziehen sich auf neue Forschungen im „Schweizer Bundesarchiv“ . In den Zeitungsbeiträgen wurde die seit langem bekannte sichere Vermutung nun als Erkenntnis ausgebreitet: Der damalige sowjetische Bischof Kyrill war Mitglied des KGB, wie sein Freund Putin, und als solcher wurde Kyrill als Spion inmitten der Ökumene eingesetzt.
Siehe :LINK. Und auch: . LINK

5.
Die interessante Frage also ist, was sagt zu dieser auch international verbreiteten Erkenntnis der neue aus Südafrika stammende Generalsekretär Pastor Prof. Dr. Jerry Pillay?
„Es gibt tatsächlich Spekulationen zu dem Thema seit einer gewissen Zeit. Der ÖKR hat eines seiner „Zentralkomitees“ beauftragt, dass es diese Information (der Spionagetätigkeit durch Kyrill im ÖKR) verifiziert. Aber wir haben niemals Beweise in dem Sinne gefunden. Falls jemand diese besitzt, würden wir diese Beweise gern betrachten.“
Mein Kommentar dazu: Die Erkenntnisse liegen im Schweizer Bundesarchiv ja vor, vielleicht sollte der Generalsekretär des ÖRK mal nach Bern reisen….

6.
Zu diesen Äußerungen Pillays gleich kritische Bemerkungen
Erstens: Mit dieser Antwort wird versucht, von höchster Ebene des ÖRK die sehr deutlichen Hinweise auf Spionagetätigkeit durch Kyrill in Genf beiseite zu schieben.Kyrill soll in gutem Licht dastehen!
Zweitens: Die Verleugnung dieser Spionage – Tätigkeit durch den neuen Generalsekretär des ÖRK jetzt, mitten im Krieg Putins, hat Erstaunen hervorgerufen, und manche fragen sich, ob diese so moderate Einschätzung Kyrills durch den ÖRK auch etwas mit der offenkundigen offiziellen Freundschaft der Regierung Südafrikas mit der Russischen Föderation zu tun hat. Bekanntlich hat der russische Außenminister Lawrow vor kurzem noch Südafrikas Außenministerin Naledi Pandor in Pretoria getroffen: Sie sagte: “Ich bin stolz, dass wir exzellente diplomatische Beziehungen pflegen”, was Lawrow natürlich genauso sah (Quelle: Süddeutsche Zeitung, 23. 1.2023, Ein Beitrag von Bernd Dörries). Tatsache ist: Die Regierung Südafrikas gibt sich offiziell neutral, aber mit deutlicher Sympathie für Russland, offenbar aus alter Treue, weil Moskau einst den ANC im Kampf gegen das Apartheidsregime unterstützte… Die SZ schreibt weiter: „Auf die Frage, ob sie den russischen Besucher Lawrow erneut aufgefordert habe, aus der Ukraine abzuziehen, sagte Pandor, dass die Situation heute eine völlig andere sei, vor allem, weil es seither einen “massiven Transfer von Waffen” gegeben habe. Russland zum Rückzug aufzufordern, sei daher zu “simplistisch und kindisch“ (ebd.).

7.
Zur Erinnerung: Im ÖRK in Genf ist die Russisch-orthodoxe Kirche mit ihrem Kriegstreiber und Putin-Freund, dem Patriarchen Kyrill von Moskau an der Spitze, immer noch als ordentliches Mitglied vertreten.

Die Bindung Kyrills nach Genf, zum ÖRK, wird auch sozusagen familiär noch verstärkt: Denn der Neffe Kyrills, Mikhail Gundjajew (Gundjajew ist auch der bürgerliche Name des Patriarchen), ist der aktuelle Repräsentant des Moskauer Patriarchats im ÖRK in Genf. Man hat also vorgesorgt, dass alles Tun in Genf familiär besprochen werden kann, KGB Leute wissen, wie man agiert.

Der Journalist Lucas Vuilleumier vom protestantischen schweizerischen Pressedienst stellt die Frage an den Generalsekretär: „Verstehen Sie, dass dies (d.h. die hohe Funktion des Neffen des Patriarchen im ÖRK) ein gewisses Misstrauen erzeugen könnte?

Die Antwort des der ÖRK Generalsekretär, Prof.Dr. Jerry Pillay aus Südafrika: „Der Erzpriester Mikhail Gundjajew ist der ständige Repräsentant der russisch-orthodoxen Kirche beim ÖRK und der internationalen Organisation in Genf. Ich habe ihn am Montag, den 13. Februar (2023) getroffen, um mit ihm über diese Fragen zu diskutieren. Er hat erkennen lassen, dass er für die russisch-orthodoxe Kirche arbeitet, dass er seine Unterstützung für sein Land einbringe”.

Was immer diese „Unterstützung für sein Land“, also Putins Land, bedeutet, wird leider nicht weiter erfragt!

Dann folgen Sätze des neuen Generalsekretärs des ÖRK, die auch großes Erstaunen hervorrufen sollten:
Aber dies ist kein Grund den Verdacht aufkommen zu lassen, dass er (der Erzpriester und Neffe des Patriarchen) Beziehungen unterhält mit der russischen Regierung“.
Der Neffe redet also NICHT mit seinem lieben Onkel, dem Patriarchen, der ein gute Beziehung zu Putin hat? Wer soll diesen Blödsinn glauben?

Prof. Jerry Pullay fährt dann fort: „Sicherlich, die Anwesenheit des Erzpriester und Neffen des Patriarchen innerhalb des ÖRK kann Misstrauen hervorrufen. Aber es ist nicht opportun und nicht gerecht, Leute mit einer Etikette auszustatten oder jemanden ohne Beweis zu misstrauen. Der Erzpriester versichert und erklärt sehr deutlich, nicht für die russische Regierung zu arbeiten“.

Die richtige Frage heißt anschließend: „Wie können Sie denn wissen, dass er nicht lügt“

Die Antwort des Generalsekretärs:
„Hätte ich den geringsten Zweifel, hätte ich eine Untersuchung verlangt. Wir sind nicht die Polizei, aber wir haben die Möglichkeit, ernsthafte Maßnahmen gegen unsere Mitglieder zu ergreifen“.

Frage:
Wie können Sie sich schützen vor dieser Art von (politischer) Instrumentalisierung?

Der ÖRK Generalsekretär Jerry Pillay antwortet:
Der ÖRK begibt sich nicht in eine Hexenjagd, wenn sich jemand mit dem ÖRK anschließt. Wir arbeiten auf der Basis des Vertrauens mit den religiösen Chefs (sic!) und wir hoffen, dass jeder von denen ehrlich ist in seiner Verbindung mit Gott und in seinen Beziehungen zu anderen. Der ÖRK ist eine brüderliche Gemeinschaft der Kirchen und wir werden fortfahren, unseren Verantwortlichen der Kirchen zu vertrauen und wir werden auch bei Bedarf danach handeln“.

Frage:
Viele wundern sich, dass der ÖRK darauf verzichtet hat, die Mitgliedschaft der russisch orthodoxen Kirchen im ÖRK auszusetzen, diese Kirche unterstützt den Krieg, den Putin gegen die Ukraine führt, warum handelt der ÖRK so?

Antwort:
“Es gibt tatsächlich ein Aufruf, dass wir deutlicher sein sollen bei diesem Thema. Wenn Sie die Erklärungen unser Zentralkomitees untersuchen und auch die Resultate unserer letzten Vollversammlung (in Karlsruhe 2022):
Da haben wir dem Moskauer Patriarchat eingeschärft, eine akzeptablere Position anzunehmen. Und wir haben selbst Kyrill getroffen, um mit ihm darüber zu sprechen. Der ÖRK unterstützt weder den Krieg noch die Gewalt. Jedoch, wenn wir die Mitgliedschaft einer Kirche im ÖRK aussetzen, was gewisse Leute fordern, dann wird der Dialog abgebrochen, und dies ist nicht die Art und Weise, wie der ÖRK funktioniert. Gewiss, eine Aussetzung der Mitgliedschaft der russisch-orthodoxen Kirche im ÖRK könnte ein starkes Zeichen für gewisse Personen sein (für welche dieser gewissen Personen sagt der Herr Generalsekretär nicht, meint er die leidenden UkrainerInnen??, CM). Aber wir müssen bis zum Ende dieses Dialogs mit Kyrill gehen, um eine derartige Entscheidung zur Aussetzung der Mitgliedschaft zu treffen.”

Kommentar von Christian Modehn: Das letzte Treffen der ÖRK Verantwortlichen mit Kyrill in Moskau fand am 17. Oktober 2022 statt, falls es weitere Treffen und Dialoge gegeben hat, bitte ich um Nachricht.

Frage:
Vonseiten einer christlichen Organisation, gilt es da nicht eine Wahl zu treffen zwischen dem Evangelium und der „Aufrechterhaltung des Dialogs?

Antwort:
Wir können keiner Mitgliedskirche sagen: Das, was ihr macht oder denkt, widerspricht dem Wort Christi, ohne vorher theologische Unterhaltungen bis zu Ende geführt zu haben. Das ist das Wesen des Dialogs…”

Frage: Die besonders wichtig ist;
Der ÖRK hat sich trotzdem viel entschiedener verhalten, als eine gewisse Kirche in Südafrika die Apartheid verteidigte?

Antwort:
Ja. Die Kampagne des ÖRK gegen den Rassismus stellte eine klare Positionsbestimmung gegen die Apartheid und den Rassismus in Südafrika dar, das hat dazu geführt, dass sich die rassistische „Niederländisch-reformierte Kirche in Südafrika“ aus dem ÖRK zurückgezogen hat.

Kommentar: Vom Leiden der Schwarzen im Rassisten Regime ließ sich der ÖRK bewegen. Vom Leiden der Menschen in der Ukraine lässt sich der ÖRK nicht definitiv bewegen, sonst hätte der ÖRK Herrn Kyrill und seinen Apparat, „orthodoxe“ Kirche genannt, längst aus dem ÖRK verabschiedet. In Südafrika protestierte der ÖRK gegen einen Staat, im Krieg Russlands gegen die Ukraine müsste der ÖRK gegen ein kirchliches Mitglied des ÖRK handeln, aber das scheint aus christlicher “Dialogberitschaft” nicht möglich zu sein.
Wahrscheinlich will der ÖRK als die letzte relevante Organisation in der westlichen Welt in die Geschichte eingehen, die bis zum Schluss noch Dialoge mit dem verbrecherischen Regime Russlands führte.

Der Gesamteindruck
Das Interview offenbart einen gegenüber Putins Krieg und seinem religiösen Ideologen Kyrill hilflosen und ängstlichen ÖRK. Es ist bezeichnend für das Denken des Herrn Professor Pillay vom ÖRK, dass er kein einziges Mal das Wort Ukraine oder UkainerInnen oder gar das Leiden der Menschen in der Ukraine in den Mund nimmt. Dieser Herr im ÖRK offenbart nach meinem Eindruck eine gewisse Sympathie für Kyrill, vielleicht ist er auch zu sehr Südafrikaner, er will die neu entdeckte Liebe seines Landes zum heutigen Russland nicht gefährden. Wäre ja furchtbar, wenn Putin Südafrika nicht unterstützte…
Falls ich mich in dieser Sache täusche, freue ich mich über entsprechende gegenteilige Nachweise mir Daten und Fakten.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.    Übersetzung des Interviews aus dem Französischen: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

…………..

Falls das Interview mit dem neuen Generalksekretär Prof.Dr.Jerry Pillay nicht mehr im www. verfügbar sein sollte odetr entnommen wird, hier der französische Text:

Kirill espion à Genève: «Nous n’avons jamais trouvé de preuves en ce sens”

16 février 2023
Le chef de l’Eglise othodoxe russe, espion pour le KGB au Conseil œcuménique des Eglises (COE) à Genève dans les années 1970? Jerry Pillay, nouvellement à la tête de cette organisation comptant 352 Eglises, réclame des preuves. Et rassure sur l’actuel rôle du neveu de Kirill dans ses murs.

Le patriarche Kirill aurait agi en tant qu’espion pour le compte du KGB lorsqu’il siégeait au COE. Est-ce un risque inévitable pour une grande organisation internationale comme la vôtre?

Il y a effectivement des spéculations à ce sujet depuis un certain temps: cela ne date pas d’hier. Le COE a notamment mandaté l’un de ses comités centraux pour qu’il vérifie cette information. Mais nous n’avons jamais trouvé de preuves en ce sens. Si quelqu’un les possède, nous aimerions les consulter.

Le neveu de Kirill, Mikhail Goundiaev, est l’actuel représentant du Patriarcat de Moscou au COE. Comprenez-vous que cela puisse engendrer une certaine méfiance?

L’archiprêtre Mikhail Goundiaev est le représentant permanent de l’Eglise orthodoxe russe auprès du COE et des organisations internationales à Genève. Je l’ai rencontré ce lundi 13 février afin de discuter avec lui de ces questions. Il a indiqué qu’il travaillait pour l’Eglise orthodoxe russe, qu’il apportait son soutien à son pays, mais ce n’est pas une raison de soupçonner qu’il entretient des rapports avec le gouvernement russe. Certes, sa présence au sein du COE peut susciter de la méfiance, mais il n’est ni opportun ni juste d’étiqueter les gens ou de s’en méfier sans preuve. Il affirme clairement ne pas travailler pour le gouvernement russe.

Comment pouvez-vous savoir qu’il ne ment pas?

Si j’avais eu le moindre doute, j’aurais demandé une enquête. Nous ne sommes pas la police, mais nous avons la possibilité de prendre des mesures sérieuses contre nos membres.

Comment se prémunir contre ce genre d’instrumentalisation du COE?

Le COE ne se lance pas dans une chasse aux sorcières à chaque fois que quelqu’un nous rejoint. Nous travaillons sur la base de la confiance avec des chefs religieux et espérons que chacun d’entre eux est honnête dans son lien avec Dieu et ses relations avec les autres. Le COE est une communauté fraternelle d’Eglises et nous continuerons à faire confiance en nos responsables d’Eglises et agirons en cas de besoin.

Beaucoup s’étonnent que le COE ait renoncé à suspendre l’Eglise orthodoxe russe, qui soutient la guerre que mène Poutine contre l’Ukraine. Pourquoi?

Il y a effectivement un appel à ce que nous soyons plus clairs sur le sujet. Pourtant, si vous examinez les déclarations de nos comités centraux et les résultats de notre dernière assemblée, nous avons enjoint le Patriarcat de Moscou à adopter une position plus acceptable, et avons même rencontré Kirill afin de lui en parler. Le COE ne soutient ni la guerre ni la violence. Pour autant, si vous suspendez une Eglise, ce que certains demandent, le dialogue se rompt — ce qui n’est précisément pas la manière de fonctionner du COE. Certes, cette suspension serait un signal fort pour certaines personnes, mais nous devons aller au bout de ce dialogue avant de prendre une telle décision.

De la part d’une organisation chrétienne, n’y a-t-il pas un choix à faire entre l’Évangile et le maintien du dialogue?

Justement, nous ne pouvons pas dire à une Eglise membre que ce qu’elle fait ou pense est contraire à la parole du Christ sans avoir mené des conversations théologiques à terme. C’est l’essence même du dialogue, tandis que nous tentons de comprendre nos points de vue conformément aux Écritures.

Le COE s’était pourtant montré plus ferme quand certaines Eglises sud-africaines défendaient l’apartheid…

Oui. La campagne du COE contre le racisme représentait une prise de position claire contre l’apartheid et le racisme en Afrique du Sud, ce qui a débouché sur le retrait de l’Eglise réformée néerlandaise du COE.

Récemment, le COE a également refusé de s’aligner sur la position de l’ONU en décidant de ne pas parler d’apartheid concernant l’attitude d’Israël envers la Palestine. Pourquoi?

Je ne dirais pas que le COE a exprimé un refus. L’Assemblée a décidé de ne pas délibérer sur l’utilisation du mot «apartheid» afin d’approfondir les discussions à l’interne à propos de ce conflit. Si en 2016 j’ai moi-même écrit un article où j’utilisais ce terme, après avoir visité les deux pays, c’est parce que l’injustice que j’y ai vue à l’égard des Palestiniens m’a saisi. Venant moi-même d’Afrique du Sud, j’ai utilisé un terme que je connais très bien, mais qui dans le cas de ce conflit, en ce moment, n’est peut-être pas approprié.

Avez-vous peur des représailles?

J’ai surtout peur d’être mal compris. Quand j’ai publié cet article, un journaliste m’a traité d’antisémite, ce qui est inacceptable. Le COE est en constant dialogue avec la communauté juive et nous recevons régulièrement des rabbins du monde entier à Genève. Ce genre d’accusation mal informée et sans fondement vient bien souvent de personnes qui ont un agenda politique et sont heureuses de s’en servir. Le COE, lui, ne fait pas de politique. Mais si, dans le conflit israélo-palestinien, la violence vient des deux bords, je crois pouvoir dire que le système oppressif de l’État d’Israël sur la population palestinienne est injuste. Et le COE refuse l’injustice.

 

 

 

 

„Katholizismus gehört nicht zur Moderne“ Der protestantische Theologe Ernst Troeltsch konnte den Katholizismus nicht mehr ernst nehmen

Ein Hinweis von Christian Modehn anläßlich des 100. Todestages des Theologen und Philosophen und Soziologen Ernst Troeltsch

Das Vor – Wort:
Die zentrale Erkenntnis des Theologen, Philosophen, Historikers und Soziologen Ernst Troeltsch (1865-1923) zum Katholizismus: Die römisch – katholische Kirche ist als machtvolle Institution der Prototyp des dogmatisch – hierarchischen Christentums. Als eine „dogmatische Heilsanstalt“ gehört der Katholizismus nicht mehr in die demokratische Moderne, selbst wenn die katholische Kirche faktisch als „Altertum“ unter den christlichen Konfessionen noch fortbesteht. Davon war der umfassend Gelehrte Ernst Troeltsch zumal angesichts der Verurteilungen und Verdammungen der Päpste, Gregor XVI. und Pius IX., überzeugt.
Eine gewisse Zukunft des Christentums in der demokratischen Moderne konnte sich Troeltsch insgesamt eher in kleinen Gemeinschaften vorstellen, in freien (ökumenischen) Zusammenschlüssen. Er verwendete in dem Zusammenhang den inhaltlich neutralen Begriff „Sekten“. Und abgesehen von diesen kleinen Gemeinschaften sah er eine Zukunft des Christentums in der Mystik als der lebendigen „inneren“ Frömmigkeit der einzelnen.
Diese Erkenntnisse können heute zur Diskussion anregen und zu denken geben, vor allem angesichts der geradezu verzweifelten Versuche progressiver katholischer Laien weltweit, einen „synodalen Weg“ (nicht etwa eine Synode als demokratisches Organ auch mit mitentscheidenden Laien!) in der Papstkirche durchzusetzen. Die progressiven Katholiken wollen also trotz aller Widerstände der mächtigen und einflußreichen Konservativ-Erstarrten eine leicht reformierte katholische institutionelle Form gegenüber dem Vatikan „erkämpfen“ , eine katholische Kirche also, die ein bißchen Demokratie realisiert. Und sie wollen vor allem dafür sorgen, dass endlich Frauen alle Rechte in dieser Kirche erhalten. Dies also ist der aktuelle Ausgangspunkt.

1.
An Gedenktagen (100. Todestag von Ernst Troeltsch) kritisch zu denken, hat also nur Sinn, wenn ein aktueller Ausgangspunkt formuliert ist und eine bestimmte Frage leitend ist.

Ernst Troeltsch wurde am 17.2.1865 in der Nähe von Augsburg geboren. Vor 100 Jahren, am 1.Februar 1923 ist er in Berlin gestorben. Er war, summarisch aber treffend gesagt, eine wahre Geistesgröße, nicht nur zu seiner Zeit, sondern anregend auch heute. Sein Werk ist äußerst umfangreich, zur Biographie siehe etwas Wikipedia oder die neue große und empfehlenswerte Studie von Friedrich Wilhelm Graf.

2. Was denkt Troeltsch über den römischen Katholizismus?
Bei dem Protestanten Troeltsch wird man bei dem Thema zuerst auf die Reformation Martin Luthers verwiesen. Er sieht in Luthers Tat NICHT schon den definitiven Sieg eines modernen christlichen Glaubens. Luther ist für ihn die zentrale Gestalt des „Altprotestantismus“, ein Titel, den er verwendet wegen Luthers Bindung an die „alte (katholische) Zeit kirchlicher Autoritätskultur mit ihrer Heils – und Erlösungslehre“ (Wilhelm Gräb, 17) und dem dann entstehenden typisch lutherischen „Staatskirchentum“ (ebd. 22). Zweifellos hat Luther das Individuum und die private Frömmigkeit geschätzt, er hat gegenüber der Klerus – und Papstherrschaft das „allgemeine Priestertum“ der „Laien“ herausgestellt und verteidigt. Aber er war doch theologisch noch in mittelalterlichen Welten befangen (Teufelsglaube etc.)

3.
Dieser „Altprotestantismus“ des 16. und 17. Jahrhunderts hat also NICHT die Moderne entscheidend gefördert oder gar hervorgebracht. Erst die spätere Verbindung protestantischer Theologie mit den Lehren der Aufklärung machte den Protestantismus in Deutschland, d.h. dessen Universitäts-Theologie, zu einer modernen Religion. Troeltsch spricht dann von „Neuprotestantismus“. Das Programm des Neuprotestantismus seit dem 18. Jahrhundert „besteht in der Suche nach einer der neuzeitlich-modernen Rationalität und Autonomie nicht widersprechenden, sondern dem neuzeitlichen Bewusstsein angemessenen Gestalt von Lehre und Leben des reformatorischen Christentums“ (Prof. Christian Albrecht), LINK.

Das Verhältnis von Vernunft und Religion wird also im „Neuprotestantismus“ neu bestimmt. Es ist die Vernunft, die historisch-kritische, wissenschaftliche Vernunft, die jetzt hilft, die Bibel angemessen zu verstehen. Und: Das Christentum hat nicht mehr die nur im Glauben anerkannte Sonderstellung der „absoluten, einzig wahren Religion“, das Christentum wird vielmehr Teil der allgemeinen Religionsgeschichte.

4.
Diese Erkenntnis, nun auf den Katholizismus bezogen, verlangt zunächst eine unbefangene, objektive Beschreibung des Zustandes dieser Kirche in der Sicht von Troeltsch: Der Katholizismus kennt kein allgemeines Priestertum aller, also auch der Laien, das allgemeine Priestertum hat selbstverständlich gegenüber dem besonderen Priestertum des Klerus und des Papstes eine Gleichberechtigung. Der Katholizismus weigert sich, mindestens bis ca.1960, die Bibel als einen Text zu lesen und zu erforschen, der nur mit der historisch-kritischen Forschung adäquat verstanden werden kann.

5.
Troeltsch kennt einige vernünftig gesinnte Katholiken innerhalb der römischen Kirche, sie werden aber als so genannte Modernisten von den Päpsten verfolgt und ausgegrenzt, wie etwa der „Modernist“ Freiherr von Hügel, mit dem Troeltsch etliche Jahre korrespondierte. Im Oktober 1905 verfasste Troeltsch einen Brief an diesen vatikanischen „Ketzer“, den „Modernisten“, Friedrich von Hügel (1852-1925), einen von 23 Briefen an ihn): „Meiner Empfindung nach ist Ihr Katholizismus so wenig katholisch als mein Protestantismus protestantisch; wir haben beide die Christlichkeit der modernen Welt.“ Der Historiker Andreas Lindt schreibt: Bei aller Sympathie Troeltschs für die katholisch verfolgten Modernisten „konnte und wollte man zur Papstkirche (!) als moderner liberaler Protestant keine ernsthaften innere Beziehung finden“ (zit. In „Theologische Berichte IX“, Benziger Verlag 1982, Seite 81).
Es geht für Troeltsch also um eine neue, offene Ökumene. Prof. Friedrich Eilhelm Graf betont: „In kritischer Distanz zur latenten Kulturkampfmentalität im liberalprotestantischen Milieu war Troeltsch davon überzeugt, dass sich eine religiöse Erneuerung des Christentums nur durch einen die Grenzen der Kirchen überschreitenden, insoweit ökumenischen Austausch ernsthaft Gläubiger fördern lasse“, betont Prof.Friedrich Wilhelm Graf, LINK . Das aber bedeutet: Nur freie Zusammenschlüsse von Christen verschiedener Konfessionen passen noch in eine demokratische Welt mit demokratischen Mentalitäten.

6.
In seinem äußerst umfassenden und umfangreichen theologischen Hauptwerk „Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen“ (veröffentlicht 1912) hat Troeltsch eine herausragende Leistung vollbracht. Soziologische Kategorien wendet er zum Verständnis der christlichen Konfessionen an. Er schreibt: Der Katholizismus hat „in steigendem Maße die Innerlichkeit, die Persönlichkeit und die Beweglichkeit der Religion der festen Objektivierung in Dogma, Sakrament, Hierarchie, Papsttum und Infallibilität (Unfehlbarkeit des Papstes) geopfert“ (S. 980). Darum können eher kleine christliche Gruppen (er spricht von „Sekten“) das christliche „Reich der Liebe“ leben, die großen Kirchen, wie der Katholizismus, können als Massenbewegungen die Radikalität des Evangeliums kaum realisieren. Troeltsch nennt als positives Beispiel des Christentums die individuell gelebte Mystik, aber die sei fast nur noch in den Ordensgemeinschaften lebendig. Troeltschs eigene Spiritualität war wohl von der mystischen Dimension bestimmt. Nebenbei: Man denke daran, dass der katholische Theologe Karl Rahner (1904 – 1984) sagte 1966: „„Der Fromme der Zukunft wird ein ‘Mystiker’ sein, einer, der etwas ‚erfahren’ hat, oder er wird nicht mehr sein.“ — Karl Rahner, Frömmigkeit heute und morgen. In Geist und Leben 39 (1966), S. 335
Das hätte der Protestant Ernst Troeltsch genauso sagen können. Vielleicht hat diese Erkenntnis Rahner aber bei Troeltsch gelesen? Wäre ja zu wünschen…

7.
Für Troeltsch ist die Zeit der großen institutionell machtvollen, hierarchischen Kirchen vorbei. Am Ende seiner großen Studie schreibt er:
„Die Tage des reinen Kirchentypus in unserer Kultur sind gezählt. Die Selbstverständlichkeiten der modernen Lebensanschauung fallen mit denen der Kirche nicht mehr zusammen.“.

8.
Der Historiker Andreas Lindt beendet seine Hinweise mit Anmerkungen, die auch heute aktuell sind:
„Die Sympathien protestantischer Theologen für die katholischen Modernisten haben meist etwas Wehmütig-Resigniertes: Hier wäre Hoffnung gewesen auf eine Auflockerung des starren vatikanischen Systems, aber diese Hoffnung scheiterte am harten Einspruch Roms und letztlich an der inneren Logik der von der kurialen Kirchenleitung propagierten konsequenten Selbstisolierung. So haben bekannte evangelische Kirchenhistoriker wie Karl Holl in ihren Äußerungen zu den innerkatholischen Entwicklungen jener Zeit in absehbarer Zukunft keine Wende zum Besseren mehr erwartet, – aber trotzdem daran festgehalten, auf lange, sehr lange Sicht werde die Geschichte den Modernisten einmal recht geben“ (ebd.).

9.
Ernst Troeltsch hat sich seit 1918 für die bedrohte Republik eingesetzt, vor allem als Berliner „Spitzenkandidat“ der linksliberalen „Deutschen Demokratischen Partei“ (DDP).In seinen Briefen machte er „seine Verachtung für das Versagen der Eliten des alten monarchischen Systems deutlich, die in ihrer politischen Blindheit und Arroganz Deutschland und Europa in eine Katastrophe gestürzt hätten“, schreibt Friedrich Wilhelm Graf, der Autor der neuen großen Troeltsch Biographie, in einem Beitrag der Zeitschrift der Bayer. Akademie der Wissenschaften, 2020, Seite 55.

Literatur:
-Wilhelm Gräb, „Vom Menschsein und der Religion“, Mohr Siebeck Verlag, Tübingen 2018.
-Friedrich Wilhelm Graf, “Ernst Troeltsch. Theologe im Welthorizont“. C.H.Beck Verlag, 2022.
-Andreas Lindt, in: „Theologische Berichte IX“, Benziger Verlag 1982.
-Karl Rahner SJ, Frömmigkeit heute und morgen. In Geist und Leben 39 (1966), S. 335.
– Ernst Troeltsch, Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen. IN: Gesammelte Schriften. Scientia, Aalen 1977 (Nachdruck der Ausgabe Tübingen 1922).

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

„Kriege enden immer“: Wie trivial dürfen Aussagen von WissenschaftlerInnen sein?

Die 11. Unerhörte Frage
Ein Hinweis von Christian Modehn   Was bedeutet „unerhört“? „Unerhört“ werden außerordentliche Themen genannt. Unerhörte Fragen müssen entfaltet, beschrieben werden, um ihre provokative Kraft zu bezeugen.

1.

Diese These hört und liest man jetzt oft: „Kriege enden immer“. So auch jetzt, von der Soziologin Eva Illouz (Jerusalem und Paris) in DIE ZEIT vom 16. 2. 2023, auf Seite 46. Sie schreibt diesen Satz ganz an den Anfang ihres auch sonst verstörenden Beitrags.

Die „unerhörte Frage“ also heißt: Enden Kriege immer?
Die Antwort, kurz und knapp: Nein. Kriege enden nie. „Nach dem Krieg ist immer vor dem Krieg“, heißt ein populäres, aber realistisches und treffendes Sprichwort. Oder auch das Wort ist gültig: „Wir leben immer in Zwischenkriegszeiten“.

2.

Einige Hinweise zum Hintergrund dieser 11. „unerhörten Frage“:
Die „Erkenntnis“ ist trivial, dass bestimmte Kriege, zu bestimmten Zeiten von bestimmten Kriegsparteien begonnen und über eine bestimmte Zeit im blutigen Schlachtengetümmel ausgetragen… einmal enden. Der 30-Jährige Krieg endete 1648, und der 1. Weltkrieg 1918 und der 2. Weltkrieg endete 1945…

Aber was soll der Satz: „Kriege enden immer“ in dieser Unbestimmtheit? Soll er die LeserInnen beruhigen? Und welche LeserInnen, und in welchen Staaten? Etwa die jetzigen Opfer des Krieges Russlands gegen die Ukraine trösten?

„Endeten“ denn mit einem so genannten Friedensschluss die bisherigen Kriege wirklich und wirksam zugunsten eines bleibenden Friedens? Was passierte zum Beispiel nach dem Versailler Friedensvertrag? Die Nazis nutzten gewisse Belastungen des Friedensvertrages aus und begannen mit Zustimmung des deutschen Volkes in kriegerischem und antisemitischem Wahn einen neuen Krieg, einen Weltkrieg.
Und was passierte in den Jahren nach dem 2. Weltkrieg in Europa? Es gab z.B. Kriege auf dem Balkan, die bis heute eigentlich nicht „beendet“ sind. Oder man denke an den „Kalten Krieg“. Dessen Auswirkungen, mindestens auf die Mentalitäten in Ost und West, sind bis heute wirksam. Von den Kriegen, die von den USA, nach 1945, etlichen fernen Ländern erklärt wurden, ganz zu schweigen. Man müsste auch von Russland und seinen Kriegen in Tschetschenien ( seit 1994 bis 2009) sprechen…Sind die Tschetschenen jetzt friedlich?

3.

Es ist historisch evident: Friedensschlüsse beenden Kriege immer nur kurzfristig. Die Kriegsbereitschaft ist in nationalistischen und ideologisch verwirrten (!) Nationen nicht „tot zu kriegen“, so dass es immer wieder zu Mord und Totschlag größten Ausmaßes kommt.

Darum ist es unerfindlich, wie die Soziologin wie Prof Eva Illouz diese triviale These verkünden kann: „Kriege enden immer“. Eine sinnvolle, weiterführende These müsste lauten: „Frieden gibt es z.B. nur durch eine universale Friedenserziehung, sie muss Pflichtfach in allen Schulen aller Länder werden“. Friedenserziehung muss also in den Zeiten zwischen den Kriegen wirksam werden und aus Kriegstreibern langfristig Friedensfreunde machen. Und aus Nationalisten Weltbürger. Ein Ziel, das in die fernere Zukunft weist? Gewiss, aber es ist ein Ziel, das sich die humane Menschheit vornehmen muss, wenn sie Menschenrechte und Menschenwürde nicht als Floskeln versteht.

Wenn man in dem Zusammenhang das Wort Pazifismus noch verwenden will: Pazifismus hat nur Sinn als vorbereitende Verhinderung von Kriegen. Sind Kriege erst einmal Realität, kommt aller Pazifismus (oder harmloser: alle Option für ein friedliches Miteinander Verschiedener) zu spät. Da helfen eher diplomatische Verhandlungen für einen kurzfristigen Frieden.

4.

Trübe Aussichten also im Blick auf den Krieg, den Russland gegen die Ukraine seit einem Jahr aufs Widerlichste und Grausamste führt. Die Brutalität vieler Russen gegenüber „den Ukrainern“ wird auch nach einem Friedensvertrag fast unheilbar sein. Und auch die zutiefst verletzten UkrainerInnen müssen ihr Leiden in langen Therapien „bearbeiten“. Daran scheint die Soziologin Eva Illouz nicht zu denken.

5. Eva Illouz wünscht sich einen “totalen und vernichtenden Sieg für die Ukraine”

Es gibt eine weitere, sehr verstörende Aussage in DIE ZEIT, wenn Illouz ihren verständlichen Wunsch nach einem Ende des Krieges mit den fetten Lettern überschreibt: „Ich wünsche mir einen totalen Sieg“. Sie ergänzt, unglaublich, aber wahr: „Ich wünsche mir einen totalen und vernichtenden Sieg für die Ukraine“ (ebd.). Also, mit anderen Worten: Sie wünscht sich einen totalen Sieg über Russland. Ich will die Bedeutung eines „totalen Sieges“ nicht weiter reflektieren, was das im einzelnen heißt. Aber das Wort „totaler Sieg“ oder „totaler Krieg“ weckt jedenfalls hoffentlich schlimme Erinnerungen an die Zeit der Nazi-Propaganda.

Nein! Ein „totaler und vernichtender Sieg“ über Russland kann kein „Ende bringen“, wie Illouz es sich wünscht. Ein solcher Sieg könnte „Frieden“ kurzfristig bringen, nicht aber den dauerhaften Frieden für die Ukraine, für Russland und die Welt. Wie kann eine gebildete Frau solches schreiben und veröffentlichen? Russland in Schutt und Asche legen, das heißt doch „totaler Sieg“. Kann man das als Mensch, als Demokrat, als Christ als Jude usw. wünschen – trotz aller widerlichen Ungeheuerlichkeiten der Russen in diesem Krieg gegen die Ukraine?
Man muss kein Prophet sein: Russen, die in Schutt und Asche darniederliegen nach einem „Sieg“ der Ukraine und Europas und der USA, werden, sobald sie wieder „bei Kräften“ sind, kriegerisch zuschlagen, Krieg führen. So taten es die meisten Nationen nach einer vergleichsweisen Niederlage.

6. “Die Ukraine wird auf Territorium verzichten müssen”

Aber Eva Illouz hat dann wohl während des Schreibens ihres Beitrags selbst Zweifel an ihren Behauptungen bekommen. Sie hält es am Ende ihres Artikels für, so wörtlich, „wahrscheinlich“, dass weder die USA noch Europa sich wegen der Ukraine auf einen Krieg mit Russland einlassen werden. Darum „wird der Krieg wahrscheinlich durch UKRAINISCHE territoriale Kompromisse enden“. Mit anderen Worten: Eva Illouz meint, die demokratische Welt wird nach einer gewissen Zeit die Ukraine, und das sind die Menschen in der Ukraine, fallen lassen. Die demokratische Welt werde also die Ukrainerinnen dazu bringen, auf ihr eigenes Territorium zugunsten des Tyrannen Putin zu verzichten. Und es ist schon eine Unverschämtheit, wenn die Soziologieprofessorin Eva Illouz dann noch schreibt: „WIR müssen uns wohl widerwillig auf die Option einstellen“. Wer ist „WIR“? Die Demokraten oder auch die UkrainerInnen? Ich vermute, das WIR sind die Demokraten, auch Frau Illouz, die dem Tyrannen nachgeben, weil die demokratische Welt viel zu spät und immer zögerlich der Ukraine wirksame Hilfe leistete.

Dieser Verrat an der Ukraine ist gemeint, wenn die Soziologieprofessorin Illouz ihren Essay mit dem trivialen Satz beginnt: „Kriege enden immer“. So rundet sich der Artikel mit den Worten: „Der Krieg wird wahrscheinlich durch ukrainische territoriale Kompromisse enden“. Was für eine Niederlage der demokratischen Welt! Was für ein Skandal der Humanität.

PS: Ich habe wahrlich nicht die Absicht, die Reihe „Unerhörte Fragen“ in Zukunft mit so ausführlichen Erläuterungen auszustatten. Aber der Beitrag von Eva Illouz, die früher vernünftige Sachen (etwa in „Lettre International“) geschrieben hat, ist so verstörend, dass ich für die Ausführlichkeit meines kritischen Hinweises um Verständnis bitte. Dieser Hinweis weckt hoffentlich den Wunsch, in diesen verrückten Zeiten aufmerksam Zeitungsbeiträge zu lesen und sich zu fragen: Was schreiben da eigentlich diese berühmten Intellektuellen?

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

 

 

Bertolt Brecht – Dimensionen seines (Un)Glaubens

Ein Hinweis von Christian Modehn

1. Das fromme Elternhaus

Zum 125. Geburtstages von Bertolt Brecht (am 10.2.2022) ist uns die Frage wichtig: Welche Aspekte von Glauben, religiös bzw. christlich oder atheistisch bzw. kommunistisch, zeigen sich in Brechts Leben und in seinem Werk?
Dass sich Bertolt Brecht nicht gerade als kirchlicher Christ verstand, ist bekannt. Aber was ist Brechts eigene Spiritualität, diese Wort kann man wohl verwenden, trotz einer Philosophie, die man materialistisch nennen kann. Brecht ist skeptisch, kirchenkritisch und atheistisch geprägt, auch wenn er, der spätere Dichter („Stückeschreiber“) aus einer christlichen Familie in Augsburg stammt: Vater katholisch, Mutter protestantisch, als Kind evangelisch getauft … und später greift er immer wieder Motive der christlichen Tradition in seinen Stücken auf. Offenbar hat ihn auch die fromme protestantische Mutter mit ihren biblischen Geschichten bleibend geprägt.

2. Die Bibel

In der Evangelischen „Barfüßerkirche“ in Augsburg nahm der junge Brecht an Gottesdiensten teil. Die Bibel schätzte er auch später als Sammlung literarischer und poetischer Texte, als Anregung fürs eigene Dichten.
An „Brechts über Jahrzehnte biblisch durchsetzte Sprache, in Anspielung, Ironie, Satire, Überstieg“ erinnert der Literaturkritiker Paul Konrad Kurz (Orientierung, Zürich, 1978, S 57). „Brecht hat die Lutherbibel tatsächlich zeit seines Lebens fleißig, ordentlich und aufmerksam studiert, ihrer Bedeutung und ihrer Sprachform nach“, schreibt Thomas O. Brandt in “Brecht und die Bibel“ , (Zeitschrift PMLA, Vol. 79, No. 1 (Mar., 1964), pp. 171-176 Published by: Cambridge University Press).
Der Brecht – Spezialist Prof. Jan Knopf betont: „Die Bibel wurde ihm auch – und wohl ganz wesentlich – durch seine Großmutter mütterlicherseits (Friederike Brezing) auf nacherzählende Weise vermittelt. Die genauere Luther-Bibel-Lektüre dürfte erst in die Zeit des Halbwüchsigen und dann auch jungen Mannes fallen, der die Bibel nicht als Gottes Wort, sondern als Geschichten-Buch rezipierte und vor allem deshalb schätzte, weil sie vor allem im Alten Testament brutal und offen ins volle Menschenleben griff und deshalb von ihm auch als „böse“ u. a. eingeschätzt wurde: eine Fundgrube an Stoffen, Menschenschicksalen und Menschentypen (Archetypen), die er – wie später auch andere Stoffe und Ereignisse – in seinen Werken umsetzte“. (https://www.ekiba.de/detail/nachricht-seite/id/5842-bertolt-brecht-und-die-religion-die-bibel-als-geschichtenbuch/?cat_id=328)

3. Kirchenkritik

Brecht wusste von dem mörderischen Wahnsinn des 1. Weltkrieges, er hat auch später über die Kriegsbegeisterung der Kirchen reflektiert. Und auch die politisch-reaktionären Kräfte in den Kirchen nach 1919 waren ihm bekannt. Der „Atheismus“ von Brecht ist also, biographisch gesehen, Widerspruch zu den sich mehrheitlich politisch reaktionär verhaltenden Kirchen. Man muss Brechts Ablehnung des kirchlich-dogmatischen Glaubens an den Kirchen-Gott also im Kontext sehen. Er lehnt ein ideologisch geprägtes Gottesbild ab, das verbreitet wird vom herrschenden Klerus zugunsten der (kapitalistisch) Herrschenden. Brecht lehnt die Bindung an ein Bild einer göttlichen Wirklichkeit ab, weil sie nicht (die Armen) befreit, sondern unterdrückt. „Die Kirche kollaboriert mit weltlichen Herrschaftsinteressen. Ihr Gott dient als Lückenbüßer, als Tatsachenverschleierung, als Handlungsersatz. Mit Gottesbildern vertrösten die Herrschenden die Beherrschten auf ein fernes Jenseits“ (Paul Konrad Kurz, Brechts Kritik an Gottesbildern, Orientierung, Jesuitenzeitschrift, Zürich, 1978, S.57). Aber auch dies ist wichtig: „Brecht hat die Person des armen Jesus von Nazareth nie ins Blickfeld bekommen“, ders. in: „Religionskritik von der Aufklärung bis zur Gegenwart“, Freiburg 1979, S. 49).

4. Gottesfrage

„Brecht war auf alle Fälle kein Atheist, denn die Atheisten zeichnen sich dadurch aus, dass sie mehr als alle Gläubigen dauernd von Gott reden, weil sie offenbar ein Bedürfnis haben, ihn abzuschaffen. So lässt sich etwa auch Nietzsche besser verstehen, der ständig von etwas redete, von dem er behauptete, das gäbe es gar nicht“, betont Prof. Jan Knopf. (a.a.O).
Brecht fühlte sich durchaus befreit und entlastet, als er ein göttliches Gericht im Jenseits ablehnte. In seinem Gedicht „Gegen die Verführung“ (1925) gibt es keine Angst mehr vor der Hölle, denn „es gibt kein Morgen mehr“. Auf die Hoffnung der Auferstehung zu verzichten ist sozusagen der Preis, um nicht mehr länger an die Hölle gebunden zu sein. Um so heftiger ist sein Plädoyer für das Leben jetzt: “Das Leben ist am größten, es steht nichts mehr (Weiteres, CM) bereit“. Dann wird Brecht allerdings dogmatisch, wenn es am Schluß dieses Gedichtes heißt: „Ihr sterbt mit allen Tieren, und es kommt nichts nachher“. Auch dies eine Aussage eines Glaubens, woher seine Überzeugung stammt, sagt Brecht nicht.
Brecht legte aber doch wert auf die religionskritische Differenzierung: In seinem Stück „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ als einem Stück zur Praxis des Klassenkampfes, stehe nicht „die Existenz Gottes, der Glaube zur Diskussion, sondern (nur) das Verhalten des religiösen Menschen“ (in: Bertolt Brecht: Gesammelte Werke in 20 Bänden Suhrkamp. Frankfurt/Main 1967. Band 17: Schriften zum Theater 3. S. 1021.)
Als Johanna Dark von den „Schlachthöfen“ sich von ihrem Glauben abgewandt hat, sagt sie am Ende des Stückes: „Die aber unten sind, werden unten gehalten, damit die oben sind oben bleiben…“ Und unmittelbar danach sagt Johanna:
„Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht, und es helfen nur Menschen, wo Menschen sind“ . Das Stück „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ konnte als gekürzte Hörspielfassung noch 1932 aufgeführt werden, Theaterinszenierungen wurden von den Nazis danach verboten.

5. Alte chinesische Weisheit

Was bedeutet Brecht die offensichtliche Verbindung mit alten chinesischen Philosophien und Weisheitsbüchern, eine Nähe, die etwa in dem Gedicht „Legende von der Entstehung des Buches des Taoteking…“ deutlich wird … oder auch noch heute zu sehen ist in der Ausstattung seiner Ost-Berliner Wohnung (Chaussseestr. 125) mit klassischen „chinesischen Rollbildern“?
Die „Spiritualität“ Brechts ist vielschichtig. Aber sie hat eine Mitte: Sie ist gebunden an das Bekenntnis, für die Sache der Unterdrückten mindestens vor allem verbal, mit den Mitteln der Dichtung und des Theaters, einzutreten. Er konnte als Stückeschreiber eben nur mit seinen Stücken „praktisch“ wirken, selbst in Ost-Berlin lebte er vergleichsweise privilegiert, ein österreichischer Pass bot ihm eine gewisse Sicherheit vor möglichen Einschränkungen des DDR – Staates. Es gab also eine gewisse “DDR-Skepsis” bei Brecht!

6. Spiritualität bei einem Materialisten

„Spiritualität” als eine Philosophie des eigenen Lebens wird bei Brecht anschaulich in seinen Äußerungen zugunsten des (theoretischen) Mitleidens mit den Armen. Davon spricht Hanna Arendt ausdrücklich: „Brecht litt an der Leidenschaft des Mitleids“, schreibt sie, das Mitleid leuchte aus seinen Theaterstücken hervor. Brechts Interesse und Leidenschaft fürs Mitleid mit den Armen führten ihn, so Arendt, zu einer sehr deutlichen Sympathie für die kommunistische Ideologie, selbst wenn er kein „Marx-Spezialist“ war, aber Marx und Engels doch als die „Klassiker“ bezeichnete. Aus seiner (theoretischen) Leidenschaft für die Armen wird, Arendt, verständlich, „der Entschluss, sich der kommunistischen Partei anzunähern, der Entschluss wird nicht nur verständlich, sondern beinahe selbstverständlich“, „wo anders hätte er denn sonst unterkommen können?“ (Arendt, S. 297). Nebenbei gefragt: Er hätte sich ja die Frage stellen können, ob er nicht auch in der SPD (oder in der etwas radikaleren USPD) hätte „unterkommen“ können, aber die waren eben nicht „richtig“ revolutionär… Immerhin gab es aber auch seit 1920 christlich-sozialistische Gruppen, etwa um den Theologen Paul Tillich, aber davon wusste Brecht wohl nichts.
Was Brecht mit elementarer christlicher Spiritualität grundsätzlich verbindet, ist, „die Wunder des Lebens zu lieben“, darauf weist auch Hannah Arendt ausdrücklich hin (S. 284): Brecht interessierte die elementare Verbindung von Himmel und Erde, die Unschuld des einfachen Lebendigseins. „Den Wundern des Lebens jenseits aller Zivilisation galt Brechts erste Liebe“.

7.  Brechts Kommunismus

Daran hat zumindest Hannah Arendt keinen Zweifel: „Brecht hielt an der kommunistischen Ideologie mit einem oft das Groteske streifenden, doktrinären Eigensinn fest“ (,S. 261). Mitglied der Partei wurde er nicht! Es verfasste aber eine „Lobpreisung Stalins“ (S. 262). Und auch dies: „Unmittelbar nach Stalins Tod schrieb Brecht, dieser sei =die Verkörperung der Unterdrückten von fünf Erdteilen gewesen= (so schrieb Brecht in der Zeitschrift `Sinn und Form`, Ost-Berlin 1953, S. 10), von Arendt auf S. 390 zitiert)…Verstörend auch Brechts Lied „Lob der Partei“ (1930, in: “Die Maßnahme”) … dieses Lied erinnert an das bekannte KP-Kampflied „Die Partei, die Partei, die hat immer recht“ (von Louis Fürnberg, 1949)

8. Skepsis

Jan Knopf nennt einen entscheidenden Mittelpunkt von Brechts Lebensphilosophie: “Das Sichere ist nicht sicher” (und noch nicht einmal das ist sicher) kennzeichnet wohl verbunden mit dem Satz “Die Widersprüche sind die Hoffnungen” am besten Brechts Haltung. (Quelle: https://www.ekiba.de/detail/nachricht-seite/id/5842-bertolt-brecht-und-die-religion-die-bibel-als-geschichtenbuch/?cat_id=328)
Dazu gehört auch das (selbstkritische) Bewusstsein, das in dem Stück „Aufstieg und Untergang der Stadt Mahagoni“ zum Ausdruck kommt. Nachdem von Fressen und Saufen und sinnlichen Genüssen in dieser Stadt der Oberflächlichkeiten die Rede ist, kommt der Satz: „Aber etwas fehlt“.
Skepsis lehrte Brecht auch gegenüber der unbegrenzten Begeisterung fürs ungebremste Forschen: Im „Leben des Galilei“ sagt der verfolgte Forscher: „Ich halte dafür, dass das einzige Ziel der Wissenschaft darin besteht, die Mühseligkeit der menschlichen Existenz zu erleichtern. …Ihr mögt mit der Zeit alles entdecken, was es zu entdecken gibt, und euer Fortschritt wird doch nur ein Fortschreiten von der Menschheit weg sein. Die Kluft zwischen euch und ihr kann eines Tage so groß werden, dass euer Jubelschrei über irgendeine neue Errungenschaft von einem universalen Entsetzensschrei beantwortet werden könnte. (Suhrkamp S. 537).

9. Der Mittelpunkt

Die Skepsis mag ein entscheidender Mittpunkt in Brechts Lebensphilosophie sein. Aber bekanntlich kann jeder der eigenen Skepsis skeptisch gegenüberstehen. Und was zeigt sich dann dem skeptischen Skeptiker, welche erste, alles grundlegende Gewissheit? Bei aller Skepsis denkt Brecht zugunsten des leidenschaftlichen, aber theoretischen Interesses an der Befreiung der Unterdrückten, der arm Gemachten, er denkt und schreibt und arbeitet als „Stückeschreiber“, dass ihnen Gerechtigkeit zuteil wird. Es ist das Engagment eines “Aktivisten des Wortes”.
Ein Ausgegrenzter, ein Verfolgter, insofern ein Leidender, war Brecht selbst in der Zeit seiner Vertreibung aus Deutschland, aber materiell elend erging es ihm in diesen Jahren vergleichsweise nicht. Es war das Leiden an den politischen, den faschistischenVerhältnissen, das ihm zusetzte.
Aber wie kommt es eigentlich, dass wir von einem linken Dichter und „Stückeschreiber“ sozusagen eine makellose Übereinstimmung von theoretischer Erkenntnis und praktischem Lebensstil erwarten? Also höhere moralische Erwartungen haben, als die, die man bei rechten, bürgerlichen, „liberalen“ Autoren äußert? Vielleicht enthält das Bekenntnis eines Autors , kritisch, links oder gar revolutionär gesinnt zu sein, eine sich fast von selbst einstellende Vermutung: Der Typ müsste dann doch eine Art “Held” sein, könnte sogar doch ein authentischer Christ sein – trotz aller eigener gegenteiliger Behauptungen. Christsein ist bekanntlich nicht automatisch mit einer dogmatischen Kirchenbindung verbunden. Und : “Gott ist kein Christ“, wie der südafrikanische Bischof Tutu einmal treffend sagte, Gott ist der Gott der Gerechtigkeit.

Mit anderen Worten: Wer für Gerechtigkeit eintritt, auf seine ihm individuell mögliche Art, und sei es die des “Stückeschreibers”, ist, wenn man den Begrif mangels besserer Begriffe noch will, mit Gott oder “Gott” oder der “Gottheit” verbunden. ( Desmond Tutu, Gott ist kein Christ. Mein Engagement für Toleranz und Gerechtigkeit, Ostfildern 2012. Siehe dazu auch Wilhelm Gräb, „Vom Menschsein und der Religion, Tübingen 2018, S. 215. )

Literaturhinweise:

„Die Stücke von Bertolt Brecht in einem Band“, Suhrkamp, 1978.

Hanna Arendt, „Menschen in finsteren Zeiten“, München 2012, Kapitel über.Brecht, 2012, als Vortrag im BR 1969 gesendet.

Karl-Josef Kuschel, „Im Fluss der Dinge“. Hermann und Bertolt Brecht im Dialog mit Buddha, Lotse und Zen, 2008.

Merle Clasen, „Wie hast du s mit der Religion,“ (über Brecht, https://kobra.uni-kassel.de/bitstream/handle/123456789/2008030720662/DissertationMerleClasen.pdf?sequence=10&isAllowed=y

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Das Erdbeben und die Philosophie. Sind religionsphilosophische Hinweise etwa zynisch?

Ein Hinweis von Christian Modehn. Die 10. “Unerhörte Frage”.

Was bedeutet „unerhört“?
„Unerhört“ werden außerordentliche Themen genannt.
Als „unerhört“ gilt, wenn ein wahres Wort, ein vernünftiger Vorschlag, von anderen nicht gehört und nicht wahr-genommen wird, also un-erhört bleibt. Unerhörte Fragen müssen entfaltet, beschrieben werden, um ihre provokative Kraft zu bezeugen.

1.

Das Erdbeben in der Türkei und Syrien vom 6. Februar 2023 ist zuallererst eine Herausforderung, ein Appell, eine Verpflichtung, schnell und umfassend den leidenden Menschen zu helfen.

Das Erdbeben in der Türkei und Syrien ist eine der ganz erschreckenden, großen Erdbeben – Katastrophen der Geschichte.

Es erinnert an das heute immer noch zitierte Erdbeben von Lissabon am 1.11. 1755, das so heftig war, dass die Erschütterungen viele hundert Kilometer von Lissabon entfernt deutlich spürbar waren.

Das Erdbeben von Lissabon 1755 hat tiefe Erschütterungen auch unter damaligen Philosophen ausgelöst, vor allem die Arbeiten Voltaires sind vom Erdbeben in Lissabon bestimmt.

Es wurde damals die Frage gestellt: Wie kann Gott diese Katastrophe zulassen? Ist er noch der gute Gott, der gute Schöpfer dieser Welt?

Wird diese Frage auch angesichts der Erdbeben – Katastrophe in der Türkei und Syrien 2023 gestellt? Interessiert sie die Menschen, wird sie von Philosophen und Theologen reflektiert werden?

Das ist möglich und wahrscheinlich, trotz aller Säkularisierung des Denkens im allgemeinen. Wie dieses konkrete Ereignis im islamischen – theologischen Kontext diskutiert wird? Das bleibt abzuwarten (geschrieben am 8.2.2023, CM).

Aber entscheidend ist, bevor man in unkritische, sich bloß “metaphysisch” nennende Fantasien abschweift: Es muss genau festgestellt werden, in welchem nachweisbaren Umfang menschliches Versagen, also auch das Versagen von Politikern, für den Tod so vieler Menschen wegen des Erdbebens verantwortlich ist. Das Erdbeben  in der Türkei vom 6. Februar 2023 ist nicht nur “Schicksal”.

2.

Wer sich religionsphilosophisch mit diesem Thema befasst, muss also zuerst die politischen Kontexte analysieren, bevor philosophische Reflexionen interessant sein können:

Also: Was hat die türkische Regierung ignoriert an Warnungen kompetenter türkischer Geologen?  „Hüseyin Alan leitet die Kammer der Ingenieur-Geologen in der Türkei. Er hatte Behörden und sogar das Präsidialamt erst kürzlich vor Erdbeben in der Region gewarnt, die es jetzt getroffen hat – doch keine Antwort erhalten.“ (Der SPIEGEL, 7.2.2023).

Wurden die Häuser in dem Erdbeben gefährdeten Gebiet in der Türkei entsprechend sicher gebaut, was ja prinzipiell möglich ist? Die türkischen Geologen und Ingenieure und kritischen Politiker sagen: Nein.

Es gab Dutzende Beben in den vergangenen 20 Jahren in der Türkei. Viele tausend Menschen kamen ums Leben. Es ist nachweislich (und wohl bewusst) versäumt worden, alle Häuser und Neubauten erdebensicher zu bauen.  Staatspräsident Recep Erdogan lügt also, wenn er jetzt sagt: “Diese Dinge (Erdbeben) geschehen einfach, das ist ist Schicksal” (Tagesspiegel, 11.2.2023, Seite 8). Erdbeben als Erdbeben werden Menschen nicht verhindern können, insofern ist Erdbeben AUCH “ein bißchen” Schicksal; aber die Ausmaße des Leidens der Menschen in Erdbebengebieten können eingeschränkt, wenn nicht verhindert werden. Bleibt zu hoffen, dass die Menschen in der Türkei sich jetzt, förmlich im Leiden “aufgewacht”, von Erdogan befreien können.

Erst wer menschliche Fehler und Versäumnisse angesichts dieser (und anderer) Katastrophe(n) festgestellt und bewiesen hat, kann zur religionsphilosophischen Frage kommen:
„Warum hat Gott als der Schöpfer der Welt diese Katastrophe nicht verhindert und zugelassen?“

Diese Frage wird nur diejenigen bewegen, die einen „Schöpfer“ der Welt noch im Denken annehmen können.

Wer sich in seinem Denken einmal darauf einlässt, kommt zu einigen Einsichten: Und die erscheinen etwas abstrakt, sie sind vorsichtige Hinweise, die gar nicht zynisch gemeint sind. Auch wenn diese Frage die Grenzen des Erkennbaren berührt, können doch einige Hinweise weiteres Nachdenken fördern:

Wenn Gott die Welt erschaffen hat, dann hat er die Welt als Welt erschaffen. Welt ist dann als endliche, begrenzte, fehlerhafte Welt zu verstehen. Wäre die Welt vollkommen, fehlerfrei, nicht-endlich, dann wäre sie förmlich eine göttliche Wirklichkeit neben dem „schöpferischen Gott“. Und die klassische Metaphysik sagt dazu: Wenn Gott wirklich als Gott gedacht ist, dann kann er neben sich nicht noch einen weiteren Gott, also eine göttliche und perfekte Welt neben sich haben. In einer als Gott gedachten perfekten Welt gäbe es dann auch keinen Tod mehr. Der Mensch wäre selbst ein ewiges Wesen, würde er dann noch (ewige?) Nachkommen zeugen und gebären usw.? Die philosophische Spekulation erreicht jetzt förmlich absurd wirkende Dimensionen. Bescheidenheit ist also auch philosophisch gefordert. Diese ist aber etwas anderes als der prinzipielle Denk – Verzicht, überhaupt das Erdbeben mit einem schöpferischen Gott oder göttlichen Wesen in Verbindung zu bringen.

Die klassische Metaphysik beharrt also auf der Erkenntnis: Die Welt ist endlich, fehlerhaft, begrenzt. Die Menschen sind dem Geschehen einer nicht immer voll kontrollierbaren Natur ausgesetzt, wie etwa dem Erdbeben. Es kann ja prinzipiell sein, dass eines Tages die verheerenden Erdbeben stark eingeschränkt werden können, durch Forschung, Voraussage, und kompetente Politiker…

3.

Trösten diese Gedanken der unvollkommenen Schöpfung die betroffenen Opfer? Zunächst ist ihre Wut auf die korrupten “Politiker” in der Türkei und den Diktator in Syrien am größten. Aber solange die Überlebenden und Leidenden noch die Hoffnung und den Überlebensmut bewahren und aus ihm heraus das „Danach“ gestalten, ist doch eine geistvolle inspirierende Kraft in ihnen lebendig und wirksam. Sie werden sich hoffentlich für demokratische Politiker in ihren Ländern einsetzen können, mit Hilfe der wenigen auf dieser noch Welt noch verbliebenen Demokratien! Die heldenden Demokraten werden gleichsam auch zu Boten der Hoffnung, um es einmal etwas pathetisch, aber treffend zu sagen.

Philosophen und Metaphysiker nennen diese geistvolle und inspirierende Überlebenskraft der Hoffnung eine Art „Funken“ der Ewigkeit, der in den Menschen (als den „Geschöpfen eines Ewigen, Göttlichen…) lebt. Und hoffentlich niemals zum Verschwinden zu bringen, niemals zu töten, ist.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

Willkommen im Religions-Philosophischen Salon Berlin

Der Religionsphilosophische Salon Berlin ist seit 2007 eine Initiative von Christian Johannes Modehn und Hartmut Wiebus. Seit Beginn der Corona-Pandemie im März 2020 gab es keine öffentlichen Salon – Veranstaltungen (“Präsenz-Veranstaltungen”) mehr, hingegen werden oft neue Beiträge als Hinweise zur Debatte auf unserer Website publiziert.

Warum ein religionsphilosophischer Salon?

1.

Der Titel und die „Sache“ „philosophischer Salon“ sind alles andere als verstaubt. Das Interesse an philosophischen Gesprächen und Debatten in überschaubarem Kreis, in angenehmer Atmosphäre (also in einem „Salon“), ist evident.
(Frontal-) Vorträge – etwa in Akademien – vor zahlreichem, weithin bloß zuhörendem Publikum sind oft Ausdruck autoritären Belehrens. Ein Salon ist ein freundlicher Ort des Dialogs.

2.

In unserem religionsphilosophischen Salon soll das Philosophieren geübt werden, also das selbstkritische, systematische Nachdenken. Das Thema Religion wird auch in den heutigen Philosophien ernst genommen. Philosophische Religionskritik hat nicht mehr Sinn zu beweisen, dass Religion bedeutungslos ist, im Gegenteil: Philosophische Religionskritik zeigt, welche Form einer vernünftigen Religion bzw. Spiritualität heute zur Lebensgestaltung gehören kann. Und welche Gestalten von Religion/Kirchen/”Sekten” alles andere als einen befreienden Charakter haben. Der Klerikalismus herrscht ungebrochen in der katholischen Kirche und den orthodoxen Kirchen; im weiten Feld des Evangelischen nimmt die Herrschaft der fundamentalistischen evangelikalen Kirchen ständig. freisinnige, vernünftige christliche Kirchen sind leider marginal (vgl. die Remonstranten). 

3.

Unser religionsphilosophischer Salon ist wichtig angesichts des tiefgreifenden religiösen Umbruchs in Deutschland /Europa. Die Bindung an die Kirchen lässt bekanntlich immer mehr nach. Die so genannte Säkularisierung nimmt zu. Aber Säkularisierung bedeutet gerade nicht automatisch Zunahme des Atheismus. Religionsphilosophische Salons können die Themen der Religionen und das subjektive Bewegtsein durch religiöse Fragen angesichts der Kirchenkrise vernünftig weiterführen, in der Freiheit des Geistes… über den Klerikalismus oder den vielfältigen religiösen Fundamentalismus hinaus.

4.

Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie gibt es nur im Plural, die (Religions-)Philosophien in Afrika, Asien und Lateinamerika dürfen nicht länger als „zweitrangig“ behandelt werden. In welcher Weise Religion dort zum „Opium“ wird angesichts des Elends so vieler Menschen, ist eine besonders relevante Frage, auch angesichts der Zunahme christlicher und muslimischer Fundamentalismen. Dringend wird die Frage: Inwieweit ist philosophisches Denken Europas eng mit dem kolonialen Denken verbunden?

5.

Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phien bieten also in ihren vielfältigen Entwürfen unterschiedliche Hinweise zur Fähigkeit der Menschen, ihre engen Grenzen zu überschreiten und sich dem im Denken zu nähern, was die Tradition Gott oder Transzendenz nennt. Dabei treten diese unterschiedlichen Entwürfe in einen lernbereiten Dialog. In unserem religionsphilosophischen Salon gibt es z.B.ein starkes Interesse am (Zen-) Buddhismus.

6.

Uns ist es wichtig uns zu zeigen, dass Menschen im philosophischen Bedenken ihrer tieferen Lebenserfahrungen das Endliche überschreiten können und sollen und das Göttliche, das Transzendente erreichen können. Das Göttliche als das Gründende und Ewige zeigt sich dabei im Denken als bereits anwesend. Es ist sozusagen unthematisch gegenwärtig im Geist des Menschen.
Wenn der Mensch nach dem Göttlichen fragt, hat er also notwendigerweise „immer schon“ ein gewisses Vorverständnis vom Göttlichen. Dieses „Vorwissen“ gilt, nebenbei, für alles Fragen und Suchen.

7.

Insofern ist Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie auch eine subjektive Form der Lebensgestaltung, d.h. eine bestimmte Weise zu denken und zu handeln.
Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie kennt keine Dogmen, sicher ist nur das eine Dogma: Umfassend selbstkritisch zu denken und alle Grenzen zu prüfen, in die wir uns selbst einsperren oder in die wir durch andere, etwa durch politische Propaganda, durch Konsum und Werbung im Neoliberalismus, eingeschlossen werden. In dieser Offenheit, Grenzen zu überschreiten, zeigt sich die Lebendigkeit der Religions -Philosophie. Philosophieren ist etwas Lebendiges, im Unterschied zu vielen klerikalen Konfessionen ist sie nichts Erstarrtes voller Verbotsschilder

8.

Diese „Entdeckungsreisen“ der Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phien können angestoßen werden durch explizit philosophische Texte, aber auch durch Poesie und Literatur, Kunst und Musik, durch eine Phänomenologie des alltäglichen Lebens, durch die politische Analyse der vielfachen Formen von Unterdrückung, Rassismus, Fundamentalismus. Mit anderen Worten: Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie findet eigentlich in allen Lebensbereichen statt, kann sich von allen „Produkten des Geistes“ (Hegel) bewegen lassen. Wer die Gesprächsthemen anschaut, die wir seit 2007 in den meist monatlichen Veranstaltungen („Salon-Abende“) in den Mittelpunkt stellen, wird von der großen Vielfalt überrascht sein. Bisher fanden ca. 100 Salon-Gespräche statt.

9.

Wo hat unser religionsphilosophischer Salon seinen Ort? Als Raum eignet sich nicht nur eine große Wohnung oder der Nebenraum eines Cafés, sondern auch eine Kunst – Galerie. In den vergangenen 7 Jahren fanden wir in der Galerie „Fantom“ in Charlottenburg freundliche Aufnahme. Zuvor in verschiedenen Cafés. Kirchliche Räume, Gemeinderäume etwa, sind für uns keine offenen und öffentlichen Räume. Sie sind meist nicht sehr „inspirierend“, d.h. sie sind „ungemütlich“, also keine Salons, sondern eher Amtsstuben.

10.

In unserem religionsphilosophischen Salon sind selbstverständlich Menschen aller Kulturen, aller Weltanschauungen und Philosophien und Religionen willkommen. Unser Salon ist insofern hoffentlich ein praktisches Exempel, dass es in einer Metropole – wie Berlin – Orte geben kann, die auch immer vorhandenen „Gettos“ überwinden.

11.

Unser religionsphilosophischer Salon sollte auch ein Ort freundschaftlicher Begegnung und menschlicher Nähe. Darum haben wir in jedem Jahr im Sommer Tagesausflüge gestaltet, mit jeweils 10 – 12 TeilnehmerInnen: Etwa nach Erkner (Gerhart Hauptmann Haus), Karlshorst (das deutsch-russische Museum), Jüterbog als Ort der Reformation, das ehem. Kloster Chorin, Frohnau (Buddhistisches Haus), Lübars… Außerdem gestalteten wir kleine Feiern in privatem Rahmen anlässlich von Weihnachten. Auch ein Kreis, der sich mehrfach schon traf, um Gedichte zu lesen und zu meditieren, hat sich aus dem Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon entwickelt. Aber alle diese Initiativen waren (und sind wohl) mühsam, u.a. auch deswegen, weil letztlich die ganze Organisation von den beiden Initiatoren – ehrnemtlich selbstverständlich – geleistet wurde und wird.

12.

Anlässlich der „Welttage der Philosophie“, in jedem Jahr im November von der UNESCO vorgeschlagen, haben wir größere Veranstaltungen mit über 60 TeilnehmerInnen im Berliner AFRIKA Haus gestaltet, etwa mit dem Theologen Prof. Wilhelm Gräb, dem Theologen Michael Bongardt. Der Berliner Philosoph Jürgen Große hat in unserem Salon über Emil Cioran gesprochen, der Philosoph Peter Bieri diskutierte im Salon über sein Buch „Wie wollen wir leben?“, die Politologin Barbara Muraca stellte ihr Buch „Gut leben“ vor, Thomas Fatheuer von der Heinrich – Böll- Stiftung vertiefte das Thema; der evangelische Pfarrer Edgar Dusdal (Karlshorst) berichtete über seine Erfahrungen in der DDR; der Theologe der niederländischen Kirche der Remonstranten, Prof. Johan Goud (Den Haag), war zweimal bei uns zur Diskussion, öfter dabei waren Dik Mook und Margriet Dijkmans – van Gunst aus Amsterdam…

13.

Am 25.1.2023 notiert: Eine traurige Nachricht, ein großer Verlust für eine moderne “liberale Theologie”: Prof. Wilhelm Gräb, Prof. em. für praktische Theologie an der Humboldt-Universität Berlin,  ist am 23. Januar 2023 in Berlin nach langer Krankheit gestorben. Der Religionsphilosophische Salon Berlin verdankt ihm viele wichtige Anregungen und dankt nochmals auf diese Weise für insgesamt 65 Beiträge und Interviews, die Wilhelm Gräb in mehr als zehn Jahren für diese website gab. LINK.

Ich darf sagen, wir haben einen Freund verloren, der als ein Theologe der heutigen Moderne ungewöhnliche, aber richtige Perspektiven zeigte in seiner großen Aufgeschlossenheit und Freundlichkeit. Für ihn war die religiöse Glaubensform eines jeden Menschen wichtiger als die fixierenden, dogmatischen Lehren der Kirche. Diese theologische Freiheit, alle dogmatische Engstirnigkeit, allen Fundamentalismus auch in der evangelischen Kirche zu überwinden, “beiseite zu tun”, wie Wilhelm gern sagte, ist in ihrem radikalen Mut schon ziemlich einmalig. Ob diese Vorschläge und Ansätze zu einer Reformationen der Kirchen noch ernstgenommen werden, gerade in dieser “Kirchenkrise” ist eine offene Frage… Über seine Verdienste in der Forschung zu Schleiermacher wird später zu berichten sein.

Interessant in dem Zusammenhang das Interview, das uns Wilhelm Gräb 2012 zum Thema TOD und Sterben gab: LINK 

Zur theologischen Besinnung empfehle ich auch unser Interview mit Wilhelm Gräb “Der Gott der Liebe”. LINK:

Über vierzig viel beachtete Interviews mit dem protestantischen Theologen Prof. Wilhelm Gräb (Berlin, Humboldt – Universität) sind auf unserer Website publiziert. LINK.

Die Bilanz, vorläufig, Ende Juni 2022, formuliert: Einige wenige Interessenten außerhalb von Berlin haben die Idee des religionsphilosophischen Salons aufgegriffen. Aber wir können nicht sagen, dass etwa im kirchlichen Bereich, evangelisch wie katholisch, die Idee des freien und undogmatischen und offenen Salon-Gesprächs außerhalb der üblichen kirchlichen Räume (!), also in Café oder Galerien,  aufgegriffen und realisiert wurde. Das ist ein Faktum: Je mehr Christen aus den Kirchen austreten, um so ängstlicher und dogmatischer werden die Kirchen(führer), also auch ihre Pfarrer usw. Der Weg der Kirche in ein kulturelles Getto scheint vorgezeichnet zu sein, zumindest für die katholische Kirche. Tatsächlich haben sich über all die Jahre sehr sehr wenige “Vertreter” der großen Kirchen für unsere Initiative überhaupt interessiert. So konnten wir auch in jeder Hinsicht frei arbeiten!

Hinweis zu unseren Themen:
Eine Übersicht unserer Themen im Salon von Februar 2020 bis 2015 finden Sie hier. Die Themen von 2009 bis 2015 werden demnächst dokumentiert. Genauso wichtig wie die Salonabende sind auch die religionsphilosophischen und religionskritischen Hinweise Christian Modehn, publiziert auf der Website www.religionsphilosophischer-salon.de , bisher sind dort ca.1.300 Beiträge als „Hinweise“ veröffentlicht, mehr als eine Million vierhundertausend „Klicker“ gab es bisher (Stand 27.6.2022).

Der geplante religionsphilosophische Salon am 27.3.2020 über Hegel musste leider wegen der Corona – Pandemie ausfallen. Wir hoffen, dass noch einmal Salon – Gespräche stattfinden können. Sicher auch über Hegel.
Dass die Veranstaltung über Hegel anlässlich seines 250. Todestagesausfallen musste, ist aber besonders zu bedauern. Einige einführende Hinweise zur Philosophie Hegels hatte ich für den 27.3. 2020 vorbereitet, klicken Sie hier. Nach wie vor empfehle ich das große „Hegel-Handbuch“ von Walter Jaeschke, J.B. Metzler Verlag, 3. Auflage, 540 Seiten, nur 24, 90Euro.

Unser letztes Salongespräch fand am Freitag, den 14.Februar 2020 , wie immer um 19 Uhr statt, über das Thema: “Das Kalte Herz”. Mehr als ein Märchen (von Wilhelm Hauff). „Das kalte Herz“ offenbart die “imperiale Lebensweise”. 22 TeilnehmerInnen waren dabei. Leider mussten wir – wie öfter schon – acht Interessierten absagen, weil der Raum eben klein ist und nur eine Gruppe eine Gesprächssituation ermöglicht. Aber das große Interesse, ohne jede öffentliche Werbung, allein im Internet, und ohne jede Finanzierung von außen, ist schon bemerkenswert. Für einige vertiefende Hinweise zur imperialen Lebensweise: Beachten Sie diesen LINK.

Gründer und Initiator des „Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin“ sind:
Christian Modehn, 1948 in Berlin – Friedrichshagen geboren, hat nach dem Abitur in West-Berlin Theologie (Staatsexamen über Heidegger) und Philosophie (M.A. über Hegel) studiert: In Berlin (F.U.), St. Augustin, Bonn und München. Er arbeitete von 1973 bis 2007  immer als freier Journalist, über die Themen Religionen, Kirchen und Philosophien, für Fernseh- und Radiosender der ARD, sowie für die Zeitschrift PUBLIK – FORUM. Zur Information über einige meiner Hörfunksendungen und Fernsehdokumentationen klicken Sie bitte hier.
Und:
Hartmut Wiebus, 1944 in Seehausen/Altmark geboren, hat in Berlin (F.U.) Pädagogik (Diplomarbeit über Erich Fromm) und Psychologie studiert, und vor allem als evangelischer Klinikseelsorger gearbeitet.

Der religionsphilosophische Salon Berlin erhält von keiner Seite finanzielle Zuwendungen oder Unterstützung. Wir sind unabhängig und frei. Alle Arbeit für den Salon, also Organisation und die Impuls-Referate und die Moderation, leisten wir ehrenamtlich. Von den TeilnehmerInnen eines Salon-Abends werden lediglich 5 Euro erbeten … für die Raummiete in der Galerie Fantom.

Christian Johannes Modehn und Hartmut Wiebus, am 8.5.2021, erneut bearbeitet am 27.6.2022.