Die Papstansprache Ostern 2025: Ausdruck des Elends.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 20.4.2025

Eine Notiz am 21. 4.2025: Wir haben diesen Hinweis nach der Urbi – et – Orbi Veranstaltung am Ostersonntag geschrieben und veröffentlicht: Da wusste niemand, dass dieser Auftritt von Papst Franziskus der letzte und seine – von einem Priester verlesene – Osterbotschaft wohl die letzte öffentliche Äußerung ist. Uns hat die Osterbotschaft des elenden Papstes bewegt und zu kritischem Nachdenken geführt, das wir dann am Ostersonntag, 20.4.2025, veröffentlichten. Unsere Kritik an solchen allgemein gehaltenen, meist nur floskelreichen Papst – Ansprachen zu Ostern oder Weihnachten bleibt bestehen, trotz einer gewissen Trauer über den Tod dieses zweifellos ungewöhnlichen und in mancher Hinsicht mutigen Papstes Franziskus: Er war kein Freund des Klerus und seiner Macht, er sagte das öffentlich von Anbeginn seines Pontifikates! LINK Aber er hatte nicht die Kraft, den Klerus einzuschränken und das verheerende Zölibats-Gesetz  abzuschaffen. Die Macht dazu hätte er als Papst gehabt. Aber diese Macht hat er – aus Angst?, vor wem ?, nicht genutzt. Und den Frauen wollte er stur und fundamentalistisch nicht umfassend gleiche Rechte in der Kirche geben. Insofern bleiben die Erinnerungen an Papst Franziskus dann doch düster. Es ist halt nach wie vor ein Elend mit dem Papsttum… Ob der nächste Papst dieses Elend beseitigt, ist ungewiss… CM.

Am Ostersonntag 20.4.2025 geschrieben und veröffentlicht: 

1.
Papst Franziskus, Ostern 2025:
Er kann fast nicht mehr sprechen,
sich nicht mehr bewegen,
lässt seine Botschaft verlesen,
schaut stumm auf die Menschen des Peters-Platzes:
Ein Bild des Erbarmens. Des Elends.
„Urbi et Orbi“: Nur ein mühsamer Hauch. Der hilflose Pontifex maximus.
Muss das sein? Eine unerhörte Frage: Unsere Antwort: Nein. Das muss nicht sein.
Manche frommen Leute und auch Fundamentalisten werden hingegen jubeln: „So ein standhafter Schwerkranker, der sich auch noch öffentlich zeigt. Er ist wie der Apostel Paulus, der da sagte: Im Leiden bin ich groß“. Ähnliche Worte des Neuen Testaments werden gern zitiert, wenn sich katholische Kleriker, Päpste zumal, unersetzlich finden.

2.
Traurige Ostern 2025:
Nicht nur, weil ein Schwerkranker seine Botschaft verlesen ließ. Diese selbst ist hilflos und voller allgemeiner Sprüche. Es sind eher Gemeinplätze für eine schwerkranke, hilflose Welt voller Gewalttäter. Da hätte eine gewagte, humane Botschaft mit konkreten Forderungen gut getan. Warum nicht eine klare Zielvorstellung formulieren: Etwa: Die katholischen Gemeinden sollen Orte des Friedens und des Dialogs werden!
Aber nein: Wie immer beim „Urbi et Orbi“: Moralische Gemeinplätze, das tausendmal, schon von früheren Päpsten, ausgesprochene Bedauern: dass da und dort und nun überall und immer mehr Krieg und Hunger und Elend herrschen. Die Namen der verantwortlichen Übeltäter werden vom Päpsten aus diplomatischen Gründen niemals genannt: Päpste sind ja auch Staatschefs, da muss man vorsichtig sein und das Wohl der eigenen Kirche bedenken… Deswegen, aus diplomatischen Gründen, kein präzises Wort gegen den Kriegsherrn Putin, offenbar will der Papst es sich auch nicht mit dem Patriarchen und widerlichen Kriegsideologen Kyrill von Moskau verderben. Der Papst liebt ja so die Orthodoxie… Bloß keine Namen nennen, bloß nicht konkret werden!

3.
Wie erbärmlich die päpstlichen Worte zur Ukraine: „Möge der auferstandene Christus der gepeinigten Ukraine das österliche Geschenk des Friedens zuteilwerden lassen und alle Beteiligten ermutigen, ihre Bemühungen um einen gerechten und dauerhaften Frieden fortzusetzen.“ Erschreckend, diese päpstliche Friedenspolitik der leeren frommen Sprüche. „Bla Bla“, muss man sagen.
Auch kein Wort über den sich zum Faschisten entwickelnden Mister Trump, kein Wort über die miserablen sozialen Zustände im Heimatland Argentinien unter dem Libertären Milei und so weiter…

4.
Natürlich: Papst Franziskus ist nicht nur sehr alt, er ist auch schwer krank, wenn auch nun ständig „auf dem Weg der Besserung“, wie es offiziell jetzt immer heißt.
Natürlich: Kein vernünftiger Mensch will einen reaktionären Papst als Nachfolger. Aber es ist wahrscheinlich kein Zeichen der Heiligkeit für einen „heiligen Vater“, in einer Welt voller Gewalt, voller Diktatoren und Gewaltherrscher in den USA wie in Russland und Iran und China und Israel und so weiter und so weiter, an seinem Amt als Schwerkranker festzukleben und allgemeine fromme Sprüche zu Ostern in die Welt zu senden. Ein heiliger Vater sollte auch ein politischer Prophet sein.  Aber tatkräftige Propheten waren die Päpste eher sehr selten. Ob der Nachfolger von Papst Franziskus vieles besser und vernünftiger macht, ist auch unwahrscheinlich in dieser abgeschotteten Welt der Kleriker. Ein Elend ist es mit dem Papsttum, mit der ewigen Klerusherrschaft…

5.
Diese gut gemeinte, aber inhaltlich leere und schlicht –  fromme Papstrede 2025 werden einige mit einem weinenden Auge hören und lesen, Worte von „diesen armen Greis, der sich so viel Mühe gibt.“
Die frommen Massen auf dem Petersplatz haben ihrem Idol zugejubelt, in die Höhe, förmlich und fröhlich – verzückt in den Himmel geschaut, um ihn, den „heiligen Vater“ auf der Loggia hoch oben zu sehen… Oft hatten die Frommen und die Schaulustigen eine Flagge ihres Landes in der Hand: Ausdruck des katholischen Universalismus oder des katholischen Nationalismus?

6.
Aber es wird noch einige wenige Menschen geben, voller Irritation darüber, dass die katholische Kirchenführung die Botschaft des Evangeliums einfach nicht besser, konkreter, politischer und in prophetischer moderner Sprache sagen kann und sagen will.

7.
Von der theologischen Deutung der Auferstehung Jesu von Nazareth durch die Kirchenführung wollen wir hier eher schweigen. Nur dieses: Warum verbreiten Päpste und Prälaten theologischen Unsinn noch heute : „Das Grab Jesu war leer“? Der Geist eines jeden Menschen erlebt die Auferstehung, nicht der Leib.

Und die Protestanten sind die großen Schweigenden zu allem, was Rom und den Papst und urbi et orbi betrifft. Ökumenische Zusammenarbeit nennt man das.

Die Ansprache des Papstes Ostern 2025: LINK

Die Wahl eines Papstes als sehr winziges Element von Demokratie in der katholischen Kirche:  LINK

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Karfreitag: Alles Ewige, alles Wahre ist vernichtet.

Hegels Interpretation des Karfreitag … weltlich, säkular verstanden.
Ein Hinweis von Christian Modehn am 14.4.2025.

1.
„Gott selbst ist tot“: Dieser provozierende Satz gehört tatsächlich zur klassischen christlichen Spiritualität. Er steht im Zentrum am Karfreitag, beim Gedenken an den Kreuzestod Jesu von Nazareth, der dann freilich in der üblichen, orthodox genannten Formel als „Gottes-Sohn“ gedeutet und verehrt wird.

2.
Wir wollen die spirituelle Erkenntnis Satz „Gott selbst ist tot“ weltlich, also auch politisch, neu verstehen. Damit wollen wir auch der Forderung des Theologen und Nazi – Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer entsprechen: „Wir müssen es riskieren, anfechtbare Dinge zu sagen, wenn dadurch nur lebenswichtige Fragen aufgerührt werden.“ (Brief aus dem Nazi – Gefängnis Tegel am 3.8.1944). Und am 16.7.1944 notierte er die inzwischen bekannte, aber bis jetzt nicht realisierte Forderung einer „nicht-religiösen Interpretation der biblischen Begriffe“…Zu Bonhoeffers Provokationen: LINK.

3.
„Gott selbst ist tot“- dieser Satz ist wohl für klassisch Fromme befremdlich: Denn Gott kann doch gar nicht sterben, behaupten sie. Und darum haben sie den Satz „Gott selbst ist tot“ auch relativiert: Es war ja „bloß“ Gottes Sohn, Jesus Christus, der am Kreuz gestorben ist. Der Kreuzestod Jesu ist eine geschichtliche Tatsache, im Unterschied zur Auferstehung Jesu von den Toten, diese ist kein historisch nachweisbares Faktum.

4.
Wie fanden Christen zu der Erkenntnis „Gott selbst ist tot“? In Zeiten schlimmsten Leidens, der Trostlosigkeit im Dreißigjährigen Krieg, hat der Jesuit Friedrich von Spee (1591-1635) ein Gedicht bzw. Kirchenlied verfasst , die ersten Worte heißen: „O Traurigkeit, o Herzeleid, ist das denn nicht zu klagen! Gottes des Vaters einzig Kind wird zu Grab getragen.“
 Weitergedacht hat der protestantische Pfarrer und Dichter Johann Rist (1607-1667), als er im Jahr 1641 in einer zweiten Strophe den Inhalt radikalisierte: „O große Not! Gottes Sohn liegt tot, am Kreuz ist er gestorben…“.. Das Lied ist Teil des evangelischen Gesangbuchs (von 1993).

5.
Bis heute aktuell interpretiert und gedeutet wurde diese theologische Überzeugung „Gottes Sohn ist tot“ von dem Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831). Und Hegel weist uns den Weg zu einer weltlichen, säkularen Interpretation des Karfreitag – Satzes „Gott selbst ist tot“.

6.
Hegel hat in seinen mehrfach gehaltenen „Vorlesungen zur Philosophie der Religion“ in Berlin (1818-1831) im Blick auf den Karfreitag gelehrt: „Gott ist gestorben. Gott ist tot.“ Und Hegel übersetzt dann den Begriff Gott in weltliche Wirklichkeiten: Hegel fährt fort: „Dieses ist der fürchterlichste Gedanke, dass alles Ewige, alles Wahre nicht ist; dass die Negation selbst in Gott ist; der höchste Schmerz, das Gefühl der vollkommenen Rettungslosigkeit, das Aufgeben alles Höheren ist damit verbunden“ (Suhrkamp, Theorie Werkausgabe, Band 17, S. 291).

7.
Hegel spricht also davon, dass der Tod Gottes (bzw. des Sohnes Gottes) ein Ereignis ist, das als „Aufgeben alles Höheren“ übersetzt wird. Und das heißt konkret: „Alles Ewige, alles Wahre“ ist nicht mehr, es existiert nicht mehr, ist verschwunden, Ewiges und Wahres haben keine Bedeutung. In dieser grundstürzenden Erfahrung des Zusammenbruchs entsteht der „fürchterliche Gedanke und das Gefühl der „vollkommenen Rettungslosigkeit“, wie Hegel sagt. Der Tod Gottes ist also, Hegel folgend, säkular und neu als der Zusammenbruch der humanen Welt zu verstehen.

8.
Karfreitag sollte also der Tag der Besinnung auf den Zusammenbruch der humanen Welt sein. Und dies ist die heutige Weltsituation, die nicht Resultat eines Naturereignisses ist: Es sind vielmehr Menschen, die diesen Zusammenbruch aus freier Entscheidung betreiben: Menschen, die die Klimakatastrophe erzeugen und nicht umfassend korrigieren und bremsen können oder wollen. Es sind Menschen, die Mord und Zerstörung zu ihrem politischen Geschäft machen. Es sind Menschen, die Diktatoren und Autokraten und andere Verbrecher an die Macht wählen, in den USA, in Russland, in Israel, in Ungarn, in Indien und so weiter. Es sind Menschen, die in noch funktionierenden Demokratien die Feinde der Demokratie wählen, etwa die Partei AFD, die Rechtsextremen in Frankreich und den Niederlanden. Es sind Menschen, die als Lobbyisten einflußreich genug sind, um eine Reichensteuer, Millionärs-und Milliardärs-Steuer, politisch zu verhindern. Sie wäre ein Ausdruck der gerechten, d.h. der sozialen Demokratie. Dies wird von sich noch dreist „christlich” nennenden Parteien auch in Deutschland verhindert.

9.
Der Philosoph Hegel hat den Zusammenbruch der humanen Welt, der im Ereignis des Todes Gottes am Karfreitag angezeigt wird, im Rahmen seiner Philosophie dann wieder „aufgehoben“, d.h. in eine positive Denkrichtung verwiesen durch den religionsphilosophischen Gedanken der Auferstehung. Aber Hegel kommt das Verdient zu, überhaupt den Tod Gottes in aller Tiefe gedacht zu haben.

10.
Wichtig ist für uns in dem Versucht einer „weltlichen Interpretation des Karfreitags“: In seiner „Phänomenologie des Geistes“ (1807) bietet Hegel schon eine säkulare, vernünftige und nicht-religiöse Antwort auf die Frage: Wie kann der Mensch dem Tod, in unserem Beispiel auch dem Tod Gottes, begegnen?
In der Vorrede zur „Phänomenologie des Geistes“ (Seite 36 in der Suhrkamp – Ausgabe, Band 3) bezieht sich Hegel auf die Kraft des menschlichen Geistes – auch dem Tod gegenüber. Hegel schreibt: „Nicht das Leben, das sich vor dem Tode scheut und von der Verwüstung rein bewahrt, sondern das den Tod erträgt und in ihm sich erhält, ist das Leben des Geistes. Der Geist gewinnt seine Wahrheit nur, indem er in der absoluten Zerrissenheit sich selbst findet. Diese Macht ist der Geist nicht, indem er von dem Negativen wegsieht … sondern der Geist ist diese Macht nur, indem er dem Negativen ins Angesicht schaut, bei dem Negativen verweilt. Dieses Verweilen ist die Zauberkraft, die das Negative in das Sein umkehrt.“

11.
Dem Negativen ins Angesichts schauen: Das kann angesichts des genannten „Zusammenbruchs der humanen Welt“ bedeuten: Nicht nur schauen, nicht nur das Elend betrachten, sondern aktiv eintreten für die Rettung der Theorie betreiben, nicht nur ins Ästhetische sich zurückziehen, es geht um aktives „Verweilen“ beim Negativen, dem drohenden Tod. Dieses aktive Verweilen hat dann, wie Hegel schreibt, die „Zauberkraft, das Negative ins lebendiges, konstruktives Sein“ zu verwandeln. Diese Kraft, dem Negativen standzuhalten, kann von Hegel wie eine als Metapher „Zauberkraft“ genannt werden: Aber bei diesem Begriff „Zauberkraft“ spielt nichts Esoterisches , Wunderbares eine Rolle, sondern es wird nur das Überraschende formuliert: Einzig die „verweilende“, kritische Analyse der Verhältnisse, kann das „Negative in das Sein“, also in Leben, verwandeln. So kann der „Zusammenbruch der humanen Welt“ vielleicht noch aufgehalten werden.

12.
Karfreitag – weltlich, säkular verstanden, sollte also auch ein Tag des Gedenkens werden an die Widerstandskraft des Geistes, an die kritische Kraft der Vernunft angesichts der genannten miserablen Verhältnisse. Wahrscheinlich wird sich diese Widerstandskraft auf Dauer nur mobilisieren lassen, wenn sie selbst sich gegründet weiß in einem absoluten alles gründenden Sinnhorizont. Ein Gedanke, der dem Religions-Philosophen Hegel wichtig war. Und uns im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin noch immer ist.

13.
Unser Thema könnte natürlich weiter vertieft werden mit Hinweisen auf Nietzsche, etwa auf die Rede von „Gott ist tot“ in der „Fröhlichen Wissenschaft“ (Nr. 125). Siehe Fußnote 1.
Uns interessiert sehr die Erkenntnis Nietzsches, am Schluss dieses Absatzes Nr. 125 formuliert: „Was sind denn diese Kirchen noch, wenn sie nicht die Grüfte und Grabmäler Gottes sind?“ Diese Frage haben die Kirche bis jetzt unbeantwortet gelassen. In dieser These, „Kirchen als Grabmäler Gottes“, sollte an die Mitschuld der Kirchenleitungen und der Christen erinnert werden am genannten „Zusammenbruch der humanen Welt“: Weil die Kirchenleitungen und die Frommen sich nachweislich ums Dogmatische und Spirituelle vor allem kümmerten und eben nicht um das auch politische Ziel der gerechten humanen Welt für alle. Theologisch nennt man dieses Ziel „Reich Gottes“. „Jesus verkündete das Reich Gottes … und gekommen ist die Kirche“, sagte sehr treffend der große französische Theologe Alfred Loisy (1857-1940). Er wurde von der römisch katholischen Kirche exkommuniziert.

 

Fußnote 1.

„Habt ihr nicht von jenem tollen Menschen gehört, der am hellen Vormittage eine Laterne anzündete, auf den Markt lief und unaufhörlich schrie: „Ich suche Gott! Ich suche Gott!“ – Da dort gerade viele von denen zusammenstanden, welche nicht an Gott glaubten, so erregte er ein großes Gelächter. Ist er denn verlorengegangen? sagte der eine. Hat er sich verlaufen wie ein Kind? sagte der andere. Oder hält er sich versteckt? Fürchtet er sich vor uns? Ist er zu Schiff gegangen? ausgewandert? – so schrien und lachten sie durcheinander. Der tolle Mensch sprang mitten unter sie und durchbohrte sie mit seinen Blicken. „Wohin ist Gott?“ rief er, „ich will es euch sagen! Wir haben ihn getötet – ihr und ich! Wir alle sind seine Mörder! Aber wie haben wir dies gemacht? Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was taten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Gibt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht? Müssen nicht Laternen am Vormittage angezündet werden? Hören wir noch nichts von dem Lärm der Totengräber, welche Gott begraben? Riechen wir noch nichts von der göttlichen Verwesung? – auch Götter verwesen! Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder? Das Heiligste und Mächtigste, was die Welt bisher besaß, es ist unter unsern Messern verblutet – wer wischt dies Blut von uns ab? Mit welchem Wasser könnten wir uns reinigen? Welche Sühnefeiern, welche heiligen Spiele werden wir erfinden müssen? Ist nicht die Größe dieser Tat zu groß für uns? Müssen wir nicht selber zu Göttern werden, um nur ihrer würdig zu erscheinen? Es gab nie eine größere Tat – und wer nur immer nach uns geboren wird, gehört um dieser Tat willen in eine höhere Geschichte, als alle Geschichte bisher war!“ – Hier schwieg der tolle Mensch und sah wieder seine Zuhörer an: auch sie schwiegen und blickten befremdet auf ihn. Endlich warf er seine Laterne auf den Boden, daß sie in Stücke sprang und erlosch. „Ich komme zu früh“, sagte er dann, „ich bin noch nicht an der Zeit. Dies ungeheure Ereignis ist noch unterwegs und wandert – es ist noch nicht bis zu den Ohren der Menschen gedrungen. Blitz und Donner brauchen Zeit, das Licht der Gestirne braucht Zeit, Taten brauchen Zeit, auch nachdem sie getan sind, um gesehen und gehört zu werden. Diese Tat ist ihnen immer noch ferner als die fernsten Gestirne – und doch haben sie dieselbe getan!“ – Man erzählt noch, daß der tolle Mensch desselbigen Tages in verschiedene Kirchen eingedrungen sei und darin sein Requiem aeternam deo angestimmt habe. Hinausgeführt und zur Rede gesetzt, habe er immer nur dies entgegnet: „Was sind denn diese Kirchen noch, wenn sie nicht die Grüfte und Grabmäler Gottes sind?“

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer-Salon.de

 

 

An die Auferstehung „vernünftigerweise glauben“!

Kants Beitrag zur “Unsterblichkeit” … zum Osterfest.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 9.4.2025

1.
Die Auferstehung Jesu von Nazareth ist keineswegs ein Thema, das für religiöse oder kirchlich-fromme Leute reserviert ist. Die Auferstehung Jesu, verbunden mit der Frage: Was bedeutet sie für alle anderen Menschen, ist auch ein Thema der Philosophie. Also des umfassend kritischen Nachdenkens. Auch Immanuel Kant hat sich auf das Thema eingelassen, für ihn waren Themen der Religion keineswegs tabu, sie waren eingebunden in seine praktische Philosophie. Kants Erkenntnisse zur Auferstehung sind, hinischtlich des theologischen Inhalts, eher bescheiden, sie wehren allen Überschwang und fromme Phantasie ab. Aber es bleibt doch beachtlich, dass – sozusagen mit einem elementaren Inhlt – die Auferstehung Jesu und der Menschen „vernünftigerweise“, wie Kant sagt, geglaubt werden kann.

2.
In seinem schon damals viel beachteten Buch „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ (1793, Fußnote 1) setzt sich Kant kritisch mit dem Glauben an Gott auseinander, auch mit dem kirchlichen Glauben, der sich auf die Offenbarung, also auf die Bibel stützt: In diesem Glauben an geschichtliche Ereignisse nimmt der Mensch unmittelbar die Worte der Bibel, so sie wie da stehen, zum Maßstab der persönlichen Spiritualität.

3.
Das Leben Jesu endet für Kant in der „öffentlichen Geschichte“ (also in historischer Sicht) mit Jesu Tod. Sehr richtig betont er: Nur die “Augen seiner Vertrauten“ (so Kant, B 191) hätten ihn als Auferstanden und in den Himmel Auffahrenden erlebt und gedeutet. Daran klammern sich bis heute viele fromme Leute und mißverstehen die Auferstehung als ein historisches Ereignis.
Das wortwörtliche Verstehen der Bibeltexte lehnt Kant mit guten Gründen ab, schließlich sind Elemente der historisch – kritischen Bibelwissenschaft schon damals bekannt. Kant lehnt die Jesus – Gestalt aber nicht prinzipiell ab, sie versteht er als ein „Urbild der allein Gott wohlgefälligen Menschheit“ (B 192). Im vierten Kapitel der “Religionsschrift” nennt Kant ausführlich “zur Beglaubigung dieser seiner (Jesu) Würde, als göttlicher Sendung”, ausführlich einige zentrale Lehren Jesu. Kant lobt sie, weil sie “die alles entscheidende reine moralische Herzensgesinnung” fördern und nicht eine erstarrte, auf Statuten gründende religiöse Haltung. (Siehe dazu Seiten B 239 – B 243).

4.
Innerhalb seines Buch, im „Dritten Stück“ mit dem Titel „Sieg des guten Prinzips über das böse“, stellt Kant seine vernünftige Deutung der Auferstehung Jesu vor. Sie kann für alle Menschen nachvollziehbar sein. Auf Seite B 191 nimmt Kant dazu in einer längeren Fußnote ausführlich Stellung! Man muss beachten, dass diese kritische, vernünftige „Religionsschrift“ Kants in Zeiten königlicher Zensur Friedrich Wilhelm des Zweiten veröffentlicht wurde, in einer Zeit mit allen Attacken von orthodox-glaubender, konservativ – theologischer Seite. Darum argumentiert Kant hier eher bedächtig und vorsichtig.

5.
Zunächst steht für Kant fest: Wenn der kirchlich – fromme Glaube an Auferstehung und Himmelfahrt „buchstäblich genommen“ wird, ist er „der sinnlichen Vorstellungsart der Menschen zwar sehr angemessen.“ ABER „sinnliche Vorstellungen“ allein sind bloß zufällige Impressionen einzelner, sie können im Bereich der allgemeinen Vernunft nicht gültig sein. Darum sagt Kant: Diese sinnliche Vorstellung von der Auferstehung ist der „Vernunft sehr lästig“ (B 192), das heißt: Sie stört, sie hat in einem vernünftigen Denken keine Geltung.

6.
Wegen der Zensur schreibt Kant offenbar bewusst in eher schwierig nachvollziehbaren Formulierungen, aber seine Position ist deutlich: Ein „Klumpen Materie“, also der menschliche Körper, kann gar nicht in eine Ewigkeit auferstehen. Für die Vernunft ist es unvorstellbar, den Körper„in Ewigkeit mit uns zu schleppen“ (B 193). Diese im ganzen mühsam formulierte Zurückweisung der kirchlich üblichen „Auferstehung des Leibes“ ist also eine Art Vorsichtsmaßnahme angesichts der Zensurbestimmungen in Preußen bei dem sehr konservativ-frommen König Friedrich Wilhelm II. Kant vermag deswegen nicht klipp und klar seine Erkenntnis sagen: Eine leibliche Auferstehung ist für die Vernunft nicht denkbar. So bleibt es dabei: Diese fromme Vorstellung ist der Vernunft nur „sehr lästig“.

7.
Etwas deutlicher geht es dann weiter: „Die Hypothese des Spiritualismus vernünftiger Weltwesen ist der Vernunft günstiger.“ (B 192). „Spiritualismus“ ist der Gegenbegriff zu Materialismus und meint die Eigenständigkeit des Geistigen gegenüber dem Materiellen.
Konkret bedeutet diese Hypothese: „Der Körper bleibt tot in der Erde und doch kann dieselbe Person lebend dasein.“ Das heißt: „Der Mensch kann dem Geiste nach (in seiner nicht – sinnlichen, materiellen Qualität zum Sitz der Seligen, also in den `Himmel, gelangen.“ Bei dieser Idee der Auferstehung des Geistes wird der „Auferstandene“ nicht „in irgendeinen Ort im unendlichen Raume (und den wir auch Himmel nennen) versetzt.“
Damit sagt Kant: Es gibt nur eine – letztlich nicht klar beschreibbare Auferstehung des Geistes, der Seele, eine leiblichen Auferstehung würde ja bedeuten, dass die Körper irgendwie im unendlichen Raume, im Himmel, herumschwirren. Es ist der Geist der vernünftigen Weltwesen, der Menschen, der „zum Sitz der Seligen“ (also zu Gott) gelangt.

8.
Schon zu Beginn dieser längeren Fußnote schreibt Kant: Auferstehung und Himmelfahrt bedeuten als Vernunftideen „den Anfang eines anderen Lebens und den Eingang in den Sitz der Seligkeit, das ist in die Gemeinschaft mit allen Guten“. Kant meint damit den Eintritt des Geistes in die göttliche Wirklichkeit, den Himmel, in dem sich die Geister „der guten Menschen“ treffen, der Menschen, die für gut befunden wurden nach einem Urteil Gottes.

9.
Kant spricht über die Auferstehung auch in seinen großen zentralen Werken im Zusammenhang von “Unsterblichkeit“ und Gott..
Die Einbindung des Themas in Kants praktische Philosophie ist dabei zentral! Und dabei führt er in anspruchsvolle Überlegungen.

10.
Zumal in den Reflexionen Kants zum „höchsten Gut“ wird die Hoffnung auf die Glückseligkeit thematisiert: Diese kann der Mensch erhoffen, wenn er sein Leben gemäss der vernünftigen Sittlichkeit gestaltet hat.
Wer gemäß dem „Kategorischen Imperativ“ lebt, gestaltet sein Leben über den materiellen Eigennutz hinaus, er verzichtet auf viele Vorteile, nimmt aber durch den praktischen Respekt für das „moralische Gesetz in ihm“ (Kategorischer Imperativ) schon teil an der „besseren Welt der vollkommenen Gerechtigkeit“, also „dem höchsten Gut,“ betont Kant.

11.
Alle Menschen sollten so glücklich werden, wie sie es aufgrund ihres sittlichen Lebens verdienen. Diese zentrale Forderung verbindet Kant mit zwei „Postulaten“, wie er sagt, mit dem Postulat der Unsterblichkeit der Seele und der Existenz Gottes.
Diese anspruchsvollen Überlegungen haben zur grundlegenden Voraussetzung: Wenn der Mensch in seiner Vernunft einem moralischen Sollen begegnet, dann hat diese Erkenntnis des Sollens nur Sinn, wenn der Mensch diesem Anruf des Sollens auch praktisch entsprechen kann. Und daraus ergeben sich weitreichende Konsequenzen.

12.
In aller Kürze: „Zwar können wir, wie Kant in seiner `Kritik der reinen Vernunft` gezeigt hat, nicht wissen, ob es einen Gott gibt und ob unsere Seele unsterblich ist. Aber wir müssen dies vernünftigerweise glauben, weil wir nur so verstehen können, wie wir unserer Pflicht nachkommen können, das höchste Gut (die vollkommene gerechte Welt) zu verwirklichen“, schreibt der Kant – Spezialist Marcus Willaschek in seiner Studie „Kant“ S. 140 (Fußnote 2). „Nun bin ich verpflichtet, das höchste Gut zu verwirklichen. Doch das ist nur möglich, wenn meine Seele unsterblich ist und Gott existiert. Denn: Nur eine unsterbliche Selle kann sich in einem unendlichen Prozess tatsächlich der vollkommenen Tugend annähern. Und nur Gott als „Allmacht und Allgüte“ kann dafür sorgen, dass der moralische Handelnde endgültig glücklich wird.“ Aus der Reflexion auf die menschlichen moralischen Pflichten ergibt sich also, dass wir „vernünftigerweise glauben“ können, dass es Unsterblichkeit der Seele und die Existenz Gottes gibt. „Zumindest dann, wenn es um die Voraussetzungen moralischer Pflichterfüllung geht und keine eindeutigen Indizien dagegen sprechen, ist es durchaus rational, etwa an Gott und die Unsterblichkeit auch ohne ausreichende Belege zu glauben.“ (Willaschek, S.141)

13.
Kant zeigt auf seine Art und unter seinen Voraussetzungen, dass es vernünftig ist, an die Auferstehung zu glauben. Und diese Erkenntnis kann nicht nur die philosophischen Debatten über ein ewiges Leben der Seele bereichern. Diese Erkenntnis kann auch eine persönliche Spiritualität inspirieren und wegen der vernünftigen Bescheidenheit von Kants Aussagen vor allzu großem frommen Enthusiasmus bewahren wie auch vor verzweifeltem Nihilismus angesichts des Todes.

14.

Für Sokrates ist der eigene Tod, das eigene vorzeitige Sterben, nicht das größte Übel. Darin kommt bei ihm zum Ausdruck “die Überzeugung von der Unsterblichkeit der Seele, die bei Kant als Idee und Postulat der praktischen Vernunft wiederkehrt.” (Fußnote 3).  Zur Überzeugung von der Unsterblichkeit seiner Seele ist Sokrates durch die Reflexion auf den in ihm lebendigen LOGOS geführt worden.

Fußnote 1:
Wie üblich wird nach der 2. Auflage zitiert, vor den Seitenzahlen steht deswegen immer immer ein B.

Fußnote 2:
Marcus Willaschek, „Kant. Die Revolution des Denkens“. C.H.Beck Verlag, München, 2023.

Fußnote 3:

Heinrich Niehues – Pröbsting, “Die antike Philosophie”, Fischer Taschenbuch Verlag, 2004, Zitat auf Seite 183. Auch S. 203.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Dietrich Bonhoeffer – der Provokateur!

Für Bonhoeffer sind Gerechtigkeit und „Reich Gottes auf Erden“ der absolute Mittelpunkt.
Ein Hinweis von Christian Modehn am 2. 4. 2025.

Das Motto:
Dietrich Bonhoeffer, der große Theologe und NAZI – Widerstandskämpfer, viel zitiert und selten in der Praxis respektiert, würde heute wohl auch eine Form von Widerstands üben: Es wäre der Widerstand gegen die dogmatische Borniertheit der Kirchen. Gegen das Fortsetzen der uralten Hierarchien und Klerus Herrschaft. Gegen die Bürokratie in den Kirchen trotz permanenten Schwunds an Mitgliedern. Und, um das Wesentliche zu sagen, er würde wohl sich selbst zitieren: Aus seinem Brief im Nazi – Gefängnis Tegel: „Ist nicht die Gerechtigkeit und das Reich Gottes auf Erden der Mittelpunkt von allem? Nicht um das Jenseits, sondern um diese Welt … geht es doch.“ So Bonhoeffer in seinem Brief aus dem Nazi – Gefängnis Berlin – Tegel am 5.5.1944. Fußnote 1.

“Die Kirche muss aus ihrer Stagnation heraus…Wir müssen es auch riskieren, anfechtbare Dinge zu sagen, wenn dadurch nur lebenswichtige Fragen aufgerührt werden.” (Bonhoeffer, Notiz im Brief aus dem Gefängnis Tegel am 3.8.1944.)

1.
Wer Bonhoeffer liest, lernt, was wesentlich ist. Deswegen muss man heute feststellen: Von allerhand Nebensächlichkeiten reden die Christen und ihre Kirchenführer nach wie vor. Von Strukturreformen und Strukturreförmchen, von mehr oder von weniger Halleluja in Gottesdiensten und so weiter. Aber sie sprechen eben nicht vom politischen Kampf zugunsten globaler Gerechtigkeit, auch Klimagerechtigkeit, sie sprechen nicht von dem, was Reich Gottes auf Erden sein könnte und sollte: Friede, Gleichheit, Brüderlichkeit, Freiheit. Nur darauf kommt es an … zum Überleben der Welt und der Menschen!

2.
Dietrich Bonhoeffer hatte als Widerstandskämpfer gegen die Nazis ein deutliches Wissen von dem, was entscheidend und wichtig ist und von dem, was beiseite gelegt, abgeschafft werden sollte in den Kirchen. Im Nazi – Gefängnis Berlin -Tegel hatte er 1944 noch die Kraft, wenn auch situationsbedingt fragmentarisch, die christlichen Religion, die Kirchen, in Europa zu analysieren und globale Vorschläge zur Reformation zu machen. Seine Gefängnisbriefe aus dem Jahr 1944 sind unter dem Titel “Widerstand und Ergebung” veröffentlicht. Dietrich Bonhoeffer wurde am 9.4. 1945 in Flossenbürg, Bayern, hingerichtet, LINK

3.
Die Christen in Deutschland und ihre Kirchenführer täten gut daran, zumal bei dem stetigen Schwund an Mitgliedern und dem sehr geringen Ansehen ihrer Institutionen, die Zukunft der Kirchen radikal neu zu verhandeln und neu zu gestalten. Sehr hilfreich, sehr inspirierend kann dabei die Auseinandersetzung mit den radikalen Erkenntnossen Bonhoeffers im Gefängnis Tegel sein. Die Erinnerung an Bonhoeffers 80. Todestag am 9. April kann also nur eine für die Institution Kirche „gefährliche Erinnerung“ sein, eine verstörende, aufrüttelnde Erinnerung, allerdings ist es eher unwahrscheinlich, dass dies bei dem üblichen „Betrieb“ der Gedenktags – Feierlichkeiten und der Routine der Kirchenbürokratie der Fall sein wird. „Wir müssen es auch riskieren, anfechtbare Dinge zu sagen, wenn dadurch nur lebenswichtige Fragen aufgerührt werden.“ Fußnote 2.

4.
Die Kirchen und ihre TheologInnen, die evangelischen zumal, forschen zwar seit Jahrzehnten zu Dietrich Bonhoeffer. Die Zahl der entsprechenden Studien und Biografien ist – auch international gesehen – „sehr groß“. Die Wissenschaftler wissen von Bonhoeffer sehr viel. Die Kirchen und die verbliebenen Christen wissen einiges „in der Theorie“, wollen sich aber von ihm nicht in der eigenen Praxis inspirieren lassen – zugunsten einer neuen Kirche in „religionsloser Zeit“.

5.
Das Gedicht Bonhoeffers „Von guten Mächten treu und still umgeben“ fehlt als Kirchenlied fast nie in einer liturgischen Handlung: Im Gottesdienst sonntags, zur kirchlichen Trauung, zur Bestattung und so weiter. Das Lieblings-Lied der heutigen Protestanten (mehrfach vertont !) wurde sogar ins neue katholische Gesangbuch „Gotteslob“ aufgenommen. Der Publizist Volker Weidermann, durch theologische Publikationen bisher eher nicht hervorgetreten, widmet dem berühmten Bonhoeffer Gedicht – Bekenntnis eine umfangreiche, sehr beachtenswerte, zum Teil berührende Interpretation in DIE ZEIT vom 27. März 2025. Dieses „ausserkirchliche“ Interesse an dem Gedicht liegt daran, dass Bonhoeffer hier den Gott der Bibel mit den eher dogmatisch – offen zu verstehenden guten, behütenden „Mächten“ verbindet. Und diese „guten Mächte“ werden von ihm contrafaktisch, als total anders als die absolut bösen Mächte der totalitär Herrschenden definiert. Die guten Mächte werden trotz allem und letzten Endes hilfreich – herrschend sein, bestimmend, tragend, Sinn stiftend.

6.
Die Kirchen halten dieses Glaubensbekenntnis Bonhoeffers, wenige Wochen vor seiner Hinrichtung geschrieben im Kellergefängnis der Nazis in der Prinz -Albrecht-Straße, für zeitlos und international gültig. Hingegen: Die radikalen Äußerungen Bonhoeffers zur Zukunft der Kirchen in einer religionslosen Welt, ebenfalls im Gefängnis 1944 geschrieben, halten die Kirchen für interessante, aber eben doch bloß zeitbedingte Reflexionen. Sie seien sozusagen nur bedingt von den erbärmlichen Lebensbedingungen im Nazi- Gefängnis. Und wegen dieser „Begrenzung“ eben nicht nicht von allgemeiner inspirierender Gültigkeit.
Aber diese Abwehr von Bonhoeffers Erkenntnissen ist falsch. Gerade in existentiell extremen Situationen werden Wahrheiten entdeckt, die über den aktuellen Moment der Notiz bleibend gültig sind. Genau das schreibt Bonhoeffer selbst im Gefängnis Tegel: „Die Seele bildet in der Einsamkeit Organe, die wir im Alltag kaum kennen.“ (Fußnote 3).

7.
Bonhoeffers Gedanken im Gefängnis sind keineswegs außergewöhnliche Ausrutscher: Er hatte schon 1934 bewiesen, wie er unter einer Erstarrung der Kirchen gelitten hatte, als er sich in dieser Sache Rat suchend ausgerechnet an den Hinduisten und Humanisten Mahatma Gandhi wandte: Am 17. Oktober 1934 verfasste Bonhoeffer an ihn einen ausführlichen Brief. Darin spricht er von der Botschaft Christi, die so viele Menschen enttäusche und zwar aufgrund der Erscheinungsform der Kirche. Und Bonhoeffer drückt seine Überzeugung aus, dass das Christentum ganz anders werden muss, und zwar durch eine „Neugeburt“: Und die sei nichts anderes als der praktische Respekt der Kirche vor der Bergpredigt Jesu. Was aber ist der Inhalt der Bergpredigt Jesu? Es geht ausschließlich um humane Werte, die Bonhoeffer später auch in seinen Überlegungen zur Kirche im Gefängnis 1944 formulierte!
Dieser Brief Bonhoeffers an Gandhi wurde erst 2020 entdeckt und er beweist einmal mehr: Die radikale Kritik am Zustand der Kirchen ist für ihn kein spezielles Thema aus der Einsamkeit des Nazi – Gefängnisses. Radikale Kirchenkritik ist DIE Dimension im Denken Bonhoeffers. Der Brief an Gandhi: Fußnote 4.

Zur politrischen Analyse Bonhoeffers “Die Menschen werden durch Diktatoren, Rechtsextreme dumm gemacht”: LINK.

8.
Wie erinnern an einige zentrale Ausführungen Bonhoeffers in seinen Briefen, die im Gefängnis Tegel seinem Freund, Eberhard Bethge, zukommen lassen konnte. Sie wurden nach seinem Tod in „Widerstand und Ergebung“ publiziert.

9.
Die erste zentrale Erkenntnis Bonhoeffers findet sich in einer Passage anläßlich der Taufe des Sohnes seines Freundes Eberhard Bethge, die Überlegungen sind in „Widerstand und Ergebung“ unter dem Titel „Du wirst heute zum Christen getauft“ publiziert. Fußnote 5.
Einige wichtige Erkenntnisse:
Die Kirche muss nach Bonhoeffer ganz neu verstehen, was Versöhnung und Erlösung, Heiliger geist, Kreuz und Auferstehung bedeuten. „Alles das ist so fern“…
Die jetzige Kirche kämpft nur um Selbsterhaltung, sie ist unfähig, „Träger des versöhnenden und erlösenden Wortes für die Menschen und die Welt zu sein“.
Und wahres Christsein wird heute nur in zweierlei bestehen: „Im Beten und im Tun des Gerechten unter den Menschen.“
„Es wird später eine neue Sprache in der Kirche gesprochen werden“, so Bonhoeffers Hoffnung, „vielleicht ganz unreligiös, aber befreiend und erlösend wie die Sprache Jesu…“
Diese Überlegungen Bonhoeffers sind Teil der von ihm selbst noch geplanten „Bestandsaufnahme des Christentums“ (von der er in seinem Brief am 2.8.1944 schreibt.) Fußnote 6.

Nebenbei: Bestandsaufnahme des Christentums: Wer wagt sich an ein solches Projekt heute? Wer macht eine Bestandsaufnahme des Papsttums und der Päpste? Wer macht eine kritische eine Bestandsaufnahme der so furchtbar engen Kirche – Staat-Beziehungen etwa in den Lutherischen Kirchen oder der Konkordate des Vatikans mit faschistischen Diktatoren, etwa in Spanien ?

10.
Hinweise zum theologischen Hintergrund der Reflexionen Bonhoeffers zur Kirche und zum Glauben bieten einige Überlegungen zur„religionslosen Zeit“, notiert in einem ausführlichen Brief an Eberhard Bethge am 30.4.1944, (Fußnote 7).
„Wir gehen einer völlig religionslosen Zeit entgegen“.
„Die Menschen werden radikal religionslos“
Es gibt heute kein „religiöses A-Priori der Menschen“ mehr, also die traditionelle These sei ungültig: Jeder Mensch ist schon als Mensch “irgendwie“ religiös.
„Unserem ganzen bisherigen Christentum wird das Fundament entzogen“
Bonhoeffers Diagnose: Es gibt in den Kirchen heute nur einige „letzte Ritter“ (also noch dogmatische Fromme, CM) oder ein paar „intellektuell Unredliche“ wie er sagt, bei denen „wir“ (als Pfarrer) „religiös“ noch landen können. Unter den Bedingungen werden die „klassischen“, bisher vertrauten Kirchen verschwinden.

11.
Welche dogmatische Lehre, welche Struktur, kann Kirche dann noch haben? „Was bedeutet eine Kirche, eine Gemeinde, eine Predigt, eine Liturgie, ein christliches Leben in einer religionslosen Welt?“
Kann Kirche “von Gott sprechen ohne Religion“, also ohne religiösen Bezug?
Bonhoeffer ringt mit der Frage, welche Bedeutung das Transzendieren des Menschen hat. Einerseits lehnt er das „religiöse A-Priori“ in jedem Menschen ab. Andererseits spricht er in seinem Brief vom 9.3.1944 von Bindungen ans Übersinnliche unter den Mitgefangenen, von deren „Glauben an Übersinnliches“: Etwa: „Drück mir die Daumen“, „Unberufen (toi – toi)“, „Holz anfassen“, „Keiner entgeht seinem Schicksal“… Fußnote 8.

12. Ein persönliches Bekenntnis Bonhoeffers:
 „Oft frage ich mich, warum mich ein christlicher Instinkt häufig mehr zu den Religionslosen als zu den Religiösen zieht?“ (Fußnote 9). Unter Religionslosen kann Bonhoeffer freier und ehrlicher den Namen Gottes aussprechen als unter den üblich-Frommen. Sie sprechen von Gott, auch aus Denkfaulheit, wie Bonhoeffer ausdrücklich sagt, als einem „deus ex machina“, einem Gott, der zu einer Art Lückenbüßer degradiert wird.
„Ich möchte von Gott sprechen nicht an den Grenzen, sondern in der Mitte, nicht in den Schwächen, sondern in der Kraft, nicht also bei Tod und Schuld, sondern im Leben und im Guten der Menschen“.
Dieses Sprechen von Gott gilt wohl auch für Kirche im ganzen, es kann heute aber nur gelingen, wenn tatsächlich der Inhalt der kirchlichen Verkündigung ein anderer wird. Vieles Uralte und Angestaubte muss verschwinden (wie das unsägliche Dogma der Erbsünde).

13.
Die Kirchen in Deutschland beginnen langsam und zögernd anzuerkennen, dass die Gestalt der christlichen Religion heute sehr weitgehend keine Zustimmung mehr findet. Der entscheidende Lernschritt ist: In dieser „religionslosen Welt“ hat die Kirche vor allem die Aufgabe, die humane Botschaft bzw. die Weisheitslehren Jesu von Nazareth zu sagen und selbst praktisch zu leben: Also die humanen Haltungen, die in der Bergpredigt, in den Gleichnissen Jesu (Barmherziger Samariter usw…) oder in den „Reden Jesu zum Weltgericht“ (Matthäus 25, 31 ff, bes. 35 ff.) zur Sprache kommen.Alle Riten, alle Liturgien, alle Predigten, Wallfahrten, Segnungen, “heilige Jahre“ mit ihrem verstörenden Ablass usw. können irgendwie als kulturelle Veranstaltungen weiterhin stattfinden, aber sie können im Sinne Bonhoeffers nicht länger als authentischer Ausdruck des christlichen Glaubens gelten. Nur darauf kommt es an: Wie Bonhoeffer sagt: „Beten und Tun des Gerechten.“ Das heißt ins Heute übersetzt: „Innere Sammlung, Meditation, Poesie UND gleichzeitig Kampf um Gerechtigkeit und Frieden für alle.“ Das ist wenig und viel und eigentlich alles.

14.
Über die manchmal anklingende Abweisung der Philosophie und der Metaphysik durch Bonhoeffer wäre eigens zu reden und wird zu einem späteren Moment geschehen. Vor allem sehen wir seine Abweisung des „religiösen A-Priori“ kritisch, und er selbst relativiert diese seine Überzeugung auch: Siehe Nr. 11 in diesem Hinweis.
Und geradezu in die mystische Philosophie führt die kurze Notiz am 3.8. 1944: „Das Jenseitige ist nicht das unendlich Ferne, sondern da Nächste“ (Fußnote 10). Das heißt: Gott ist in mir….in jedem Menschen. Das ist aber schon wieder Metaphysik…

15.
Eine Interpretationshilfe bietet Bonhoeffer selbst fast am Ende seiner schriftlichen Äußerungen, am 3.8.1944 noch im Gefängnis Tegel: „Ich fühle mich als ein `moderner` Theologe, der doch noch das Erbe der liberalen Theologie in sich trägt“ (Fußnote 11). Und liberale Theologie verschmäht philosophisches Denken bekanntlich nicht.

16.

„Ist nicht die Gerechtigkeit und das Reich Gottes auf Erden der Mittelpunkt von allem? Nicht um das Jenseits, sondern um diese Welt … geht es doch.“ Dieses Wort Bonhoeffers, zu Beginn dieses Hinweises schon erwähnt, kann als Mittelpunkt des theologischen und religiösen und auch persönlich – spirituellen Denkens und Lebens Bonhoeffers gelten. Und zwar mit gutem Grund: Auch dem Propheten Jesus von Nazareth und seiner Botschaft ging es um nichts anderes.

So wird deutlich: Es gibt eine Unfähigkeit der Kirchen, damals wie heute, in ihrer Praxis wie in ihren “großartig” ausgebauten Theologien, tatsächlich diesem einen Mittelpunkt zu entsprechen. Die Erstarrung der Kirchen, ihre so geringe Kreativität, ihr fehlender politischer Mut zugunsten der Gerechtigkeit und der Gleichheit aller Menschen einzutreten  – ist auch in der Ignoranz – oder der Angst – begründet, diesem Mittelpunkt zu entsprechen. Kirchen, die diesem von Bonhoeffer genannten Mittelpunkt entsprechen, bleiben nicht so, wie sie zuvor und “immer schon” waren. Sie werden selbst zu Orten der Gerechtigkeit und des Reiches Gottes. Und sie hören auf, Behörden und Bürokratien und Klerus – Männer – Vereine (wie die katholische Kirche) zu sein.

17.

Der evangelische Theologe und Publizist, Autor des vielbeachteten Buches “Die Sache mit Gott” (1966!), Heinz Zahrnt,  bewertet die geringe Wirkung von Bonhoeffers Vorschlägen zur Erneuerung der Theologie, der kirchlichen Sprache, dem religionslosen Christentum im Jahr 1966: “Bonhoeffer hat die Erneuerung der christlichen Verkündigung nicht erlebt. Und wir haben sie bis auf den heutigen Tag nicht erlebt. Die Kirche hat ihre Gestalt noch nicht verändert und erneuert. Zu einem großen Teil kämpft sie nach wie vor um ihre Selbsterhaltung, als wäre sie ein Selbstzweck. Es ist nach dem Kriege genau das eingetreten, wovor Bonhoeffer die Kirche gewarnt hatte: Durch eine vorzeitige neue organsatorische Machtentfaltung hat sie ihre Umkehr und Läuterung verzögert. “(Zit. nach der DTV Ausgabe, 1972, S. 182).

Fußnoten:
1: Seite 144, in: Dietrich Bonhoeffer „Widerstand und Ergebung“, 23. Auflage 2019, Gütersloher Verlagshaus
2. „Widerstand…“ S. 201 vom 3.8.1944.
3.“Die Seele bildet in der Einsamkeit Organe, die wir im Alltag kaum kennen” ist ein Zitat von Dietrich Bonhoeffer, das in seinem Brief an seine Verlobte Maria von Wedemeyer vom 19. Dezember 1944 aus dem Gefängnis in Berlin-Prinz-Albrecht-Straße stammt.
4. Brief an Gandhi: https://www.dietrich-bonhoeffer.net/bonhoeffer-aktuell/bonhoeffer-einzelmeldung/news/bisher-unbekannter-brief-entdeckt/
Einige Zitate: „Die westliche Christenheit muss aus der Bergpredigt neu geboren werden…“
“Wenn es irgendwo ein sichtbares Beispiel für das Erreichen solcher Ziele gibt, sehe ich es in Ihrer Bewegung. Ich weiß selbstverständlich, dass Sie kein getaufter Christ sind; doch die Menschen, deren Glauben Jesus pries, gehörten zumeist auch nicht zu der offiziellen Kirche ihrer Zeit.“ Der vollständige Text des Briefes: siehe unten.
5. „Widerstand … S. 157f.
6 .„Widerstand… S. 211.
7. „Widerstand… S. 140 f.
8. „Widerstand… S. 126.
9. „Widerstand.. S. 142
10. „Widerstand. S. 200..
11. „Widerstand, S. 201.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

…………….

Siehe auch unseren Beitrag zu einigen Erkenntnissen in “Widerstand und Ergebung”, veröffentlicht 2019. LINK

Der Brief Bonhoeffers an Mahatma Gandhi: Deutsche Übersetzung des Briefes von Dr. Wolfgang Huber
Quelle: https://www.dietrich-bonhoeffer.net/bonhoeffer-aktuell/bonhoeffer-einzelmeldung/news/bisher-unbekannter-brief-entdeckt/

Pastor Lic. Dietrich Bonhoeffer
23, Manor Mount. S.E 23.London. 17. Oktober 1934
Verehrter Mahatmaji!
Es geschieht auf Grund der außerordentlich bestürzenden Situation in den europäischen Ländern und in meinem eigenen Land, Deutschland, dass ich es wage, mich persönlich an Sie zu wenden; und ich hoffe, Sie werden mir das verzeihen. Ich habe lange Zeit gewartet, aber nun haben die Dinge sich so zugespitzt, dass ich es nicht für gerechtfertigt halte, länger zu warten. Wie ich weiß, haben Sie ein offenes Ohr für jede Notlage, wo auch immer sie auftritt; deshalb vertraue ich darauf, dass Sie es nicht ablehnen, mir Hilfe und Rat zuteil werden zu lassen, obwohl Sie mich nicht kennen, und mir meine Fragen nachsehen.
Die große Not in Europa und besonders in Deutschland besteht nicht in der wirtschaftlichen und politischen Unordnung, sondern es geht um eine tiefe geistliche Not. Europa und Deutschland leiden unter einem gefährlichen Fieber und sind dabei, sowohl die Selbstkontrolle als auch das Bewusstsein für das zu verlieren, was sie tun. Die heilende Kraft für alle menschliche Bedrängnis und Not, nämlich die Botschaft Christi, enttäuscht immer mehr nachdenkliche Menschen auf Grund ihrer gegenwärtigen Organisationsform. Gewiss gibt es hier und dort einzelne Christenmenschen, die das ihnen Mögliche tun, um die organisierte Christenheit zu einer grundlegenden Erneuerung zu bewegen; aber die meisten organisierten Körperschaften der christlichen Kirchen wollen die tatsächliche Herausforderung nicht wahrnehmen. Als christlicher Pfarrer finde ich diese Erfahrung enttäuschend und niederdrückend. Ich habe keinen Zweifel daran, dass nur wahres Christentum unseren westlichen Völkern zu einem neuen und geistlich gesunden Leben verhelfen kann. Aber die Christenheit muss sehr anders werden, als sie sich gegenwärtig darstellt.

Es hat keinen Sinn, die Zukunft vorauszusagen, die in Gottes Hand liegt; aber wenn uns nicht alle Zeichen täuschen, läuft alles auf einen Krieg in naher Zukunft hinaus; und der nächste Krieg wird gewiss den geistlichen Tod Europas zur Folge haben. Deshalb brauchen wir in unseren Ländern eine wirklich geistlich geprägte und lebendige christliche Friedensbewegung. Die westliche Christenheit muss aus der Bergpredigt neu geboren werden; das ist der entscheidende Grund dafür, dass ich Ihnen schreibe. Aus all dem, was ich von Ihnen und Ihrer Arbeit weiß, nachdem ich Ihre Bücher und Ihre Bewegung über einige Jahre studiert habe, schließe ich, dass wir westlichen
Christinnen und Christen von Ihnen lernen sollten, was mit dem Wirklichwerden des Glaubens gemeint ist und was ein Leben erreichen kann, das dem politischen Frieden und dem Frieden zwischen ethnischen Gruppen gewidmet ist. Wenn es irgendwo ein sichtbares Beispiel für das Erreichen solcher Ziele gibt, sehe ich es in Ihrer Bewegung. Ich weiß selbstverständlich, dass Sie kein getaufter Christ sind; doch die Menschen, deren Glauben Jesus pries, gehörten zumeist auch nicht zu der offiziellen Kirche ihrer Zeit. Wir haben große Theologen in Deutschland – der größte von ihnen ist nach meiner Überzeugung Karl Barth, dessen Schüler und Freund ich glücklicherweise bin –, die uns von neuem die großen theologischen Gedanken der Reformation lehren; aber keiner zeigt uns den Weg zu einem neuen christlichen Leben in kompromissloser Übereinstimmung mit der Bergpredigt. In dieser Hinsicht suche ich bei Ihnen Hilfe.
Die große Bewunderung, die ich für Ihr Land, seine Philosophie und seine Führer, für Ihr persönliches Wirken unter den Ärmsten Ihrer Mitmenschen, für Ihre erzieherischen Ideale, für Ihr Eintreten für Frieden und Gewaltlosigkeit, für die Wahrheit und ihre Kraft empfinde, hat mich dazu gebracht, dass ich unbedingt im nächsten Winter nach Indien kommen möchte – und zwar zusammen mit einem Freund, der durch die gleichen Gedanken und Fragen bewegt ist. Er ist Physiker und Ingenieur. In ganz Europa bin ich gereist und habe ich gelebt. Ich fuhr in die USA, um zu finden, wonach ich suchte; doch ich fand es nicht. Ich möchte mir nicht selbst vorwerfen müssen, dass ich eine große Gelegenheit in meinem Leben versäumt habe, um die Bedeutung christlichen Lebens, eines wirklichen Gemeinschaftslebens, von Wahrheit und Liebe in der Wirklichkeit zu verstehen. Die Frage, die ich Ihnen vorlegen möchte, ist, ob ich die Erlaubnis erhalte, mit Ihnen einige Zeit in Ihrem Ashram zu verbringen, um Ihre Bewegung zu studieren. Ich habe kein Vertrauen in kurze Interviews, sondern bin davon überzeugt, dass man miteinander leben sollte, wenn man einander kennenlernen möchte. Ich habe jetzt genug Geld gespart, um meine Reise zu bezahlen, müsste aber in Indien sehr billig leben. Halten Sie das für möglich? Ließe sich beispielsweise eine zu Ihrer Bewegung gehörende Familie finden, bei der ich wohnen könnte, und wäre eine Art von Hauslehrertätigkeit für deren Kinder eine mögliche Gegenleistung? Natürlich ist diese Frage von geringerer Bedeutung als mein großer Wunsch, Ihre Bewegung kennenzulernen – ein Vorhaben, für das ich jedes mögliche Opfer zu bringen bereit wäre.
Ich bin 28 Jahre alt, Deutscher, Dozent der Theologie an der Berliner Universität, gegenwärtig Pfarrer von zwei deutschen Gemeinden in London. Zugleich bin ich internationaler Jugendsekretär des Weltbunds für internationale Freundschaftsarbeit der Kirchen; in der ökumenischen Bewegung arbeite ich seit einigen Jahren, woraus viele gute Freundschaften erwachsen sind. Ich habe einige Bücher geschrieben – über die Lehre von der Kirche, über Schöpfung und Fall – und erlaube mir, Ihnen mit getrennter Post einen sehr kurzen englischsprachigen theologischen Artikel zu schicken, den ich vor drei Jahren in den USA geschrieben habe.
Nun möchte ich Sie nicht länger für meine Angelegenheiten in Anspruch nehmen. Eine Antwort von Ihnen erwarte ich mit großer Spannung. Ich füge einen Brief von Mr. C. F. Andrews bei. Auch den Bischof von Chichester, Dr. Bell, habe ich gebeten, Ihnen ein paar Worte über mich zu schreiben.
Nochmals bitte ich Sie um Entschuldigung dafür, dass ich mich persönlich an Sie gewandt habe. Ich verbleibe, verehrter Mahatmaji, sehr ehrerbietig.
Ihr mit Ihnen verbundener
Dietrich Bonhoeffer

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Abelard oder die (Ohn-) Macht der Vernunft … im Mittelalter

Über die aktuelle Bedeutung des Philosophen und Theologen Petrus Abelard
Ein Hinweis von Christian Modehn

Ein Vorwort: Warum an Abelard erinnern? Weil er als Theologe schon im Mittelalter allen Wert darauf legte: Die Vernunft des Menschen ist entscheidend im Studium der Dogmen und Kirchenlehren:  „Der Mensch kann nur glauben, was er zuvor verstanden hat. Und es ist lächerlich andere zu lehren, was sie nicht verstehen können“ (Zitat von Abelard, siehe Fußnote 1.)

1.
Für das „Mittelalter“ haben Etiketten und Klischees („dunkel“, „unterentwickelt“, „abergläubisch“…) keine vorrangige Geltung. Die Jahrhunderte zwischen Altertum und Renaissance, „Mittelalter“ genannt, sind von lebendiger Vielfalt, das „Licht“ (die Vernunft) setzt sich langsam durch, gegen die Finsternisse des (Aber)-Glaubens…
Das gilt besonders für die Philosophien. Der Plural Philosophien muss betont werden: Thomas von Aquino war keineswegs der einzige maßgebliche oder einflußreiche Denker, das behaupten manchmalTheologen, zumal katholische. Streit, Debatte, und damit Ketzereien waren selbstverständlich.

2.
Wir wollen an Petrus Abelard erinnern, den Philosophen und Theologen, der traditionelle Lehren nicht gehorsam wiederholte, der den Zweifel pflegte und Kritik lobte; und vor allem: Der eine neue Interpretation des Christentums vorlegte: Ein Beispiel: Die Vorstellung von einem himmlischen Vater – Gott, der seinen Sohn (Christus) dem Kreuzestod zur „Erlösung der Menschheit“ überlässt, lehnte Abelard ab.

3.
Mit dem französischen Philosophen Petrus Abelard (geboren im Jahr 1079 in Le Pallet, in der Nähe von Nantes, gestorben am 21. April 1142 bei Chalon-sur-Saone) machte die „Weltgeschichte einen Ruck!“ Er war “einer erfolgreichsten Neuerer in der Geschichte der Philosophie“ und auch der Theologie: Diese Bewertung ist für einen der großen Kenner mittelalterlicher Philosophien, Prof. Kurt Flasch, nicht zu hoch gegriffen. So schreibt er in seinem Buch „Kampfplätze der Philosophie“ (Frankfurt M., 2008, S. 139 bzw. 131): „Durch Zweifeln kam Abälard zum Forschen, durch Forschen zur Wahrheit“, (S. 129), „er dachte die Wahrheit als etwas, das noch zu finden ist“ (ebd.). Probleme mit der Kirche, die auch damals glaubte“, „die Wahrheit zu besitzen“, waren für ihn damit „vorgrammiert.”

4.
Literarisch Interessierte kennen Abelard von den Korrespondenzen mit Héloise, seiner Gebliebten. Heute haben Forscher ihre Zweifel, dass Abelard Autor dieser Liebesbriefe ist. Es empfiehlt sich, schreibt Kurt Flasch, vorerst „Abelards philosophisches Werk ohne Zuhilfenahme des Briefwechsels mit Héloise zu interpretieren“. So schreibt Flasch in seiner umfangreicher Studie „Das philosophische Denken im Mittelalter“ (Reclam, 4. Auflage, 2020, S. 241). Über die tragische Liebesbeziehung Abelard – Héloise gibt es bekanntlich viele literarische, durch Phantasie angereicherte Zeugnisse, auch von Rousseau.
Tatsache ist, ohne hier eine umfangreiche Biographie zu präsentieren: Der Onkel der Héloise, der angesehene Priester Fulbert, duldete die Liebesbeziehung nicht: Héloise zog sich dann in ein Kloster zurück. Nach allerhand Querelen ließ Fulbert den Abelard überfallen und entmannen: Und der Ärmste zog sich dann als Mönch ins Kloster St. Denis zurück, das er bald aber wieder verließ: Er hatte ein sehr bewegtes, unruhiges Leben zwischen der Universität Paris und Klöstern als den Zufluchtsorten vor seinen vielen theologisch – konservativen Gegnern, wenn nicht Feinden. Dennoch ist die Fülle seiner Werke voller neuer Ideen erstaunlich. Da spricht ein Denker, der mit der philosophischen Vernunft auch die theologischen Lehren untersucht, interpretiert und neu formuliert. Die Übergänge zwischen Philosophien und Theologien waren im Mittelalter eher selbstverständlich.
Das – lateinisch verfasste – umfangreiche Werk des Philosophen und Theologe Abelard ist erhalten.
Er war ein radikaler Erneuerer…, deswegen wurde er von einflußreichen konservativen Autoritäten kritisiert und verleumdet, wie Bernhard von Clairvaux oder Wilhelm von Thierry. In einem „Konzil“ von Sens (in Burgund) wurde ihm im Jahr 1140 noch der Prozess gemacht, er galt dann als Häretiker, meinte der Papst. Abelard wollte in Rom widersprechen, starb aber auf der Reise dort hin.

5.
Dabei waren viele Lehren Abaelards, die im Konzil von Sens (1140) verurteilt wurden,  in heutiger kritischer theologischer Sicht durchaus treffend und inspirierend.

– „Der Heilige Geist ist die Seele der Welt.“ Das heißt: Dies ist eine  „Definition“ des “heiligen Geistes” in der Welt  durchaus modern und hilfreich.

– „Der freie Wille aus eigener Kraft reicht aus, um etwas Gutes zu bewirken.“ Das heißt: Die Aussage bezieht sich auf die „Schöpfung“ des Menschen durch Gott. Und Gott hat dem Menschen einen freien Willen gegeben und die Vernunft, deswegen kann der Mensch sich frei entschieden, Gutes zu tun und gut zu sein.

– „Christus hatte nicht den Geist der Gottesfurcht.“ Das heißt: Christus war als „Menschensohn“ auch Gott gegenüber frei und erkannte: Gott ist Liebe, er ist kein Tyrann, der willkürlich immer noch ins Weltgeschehen eingreift …

„Die Macht der Priester, zu binden und zu lösen, wurde nur den Aposteln gegeben und nicht ihren Nachfolgern.“ Das heißt: Der Klerus, Papst, Bischöfe usw. maßen sich an, so Abelard, von Gott dazu bestimmt zu sein, über das Wohl und Wehe und Heil der Menschen zu entscheiden.

– „Äußere Handlungen machen den Menschen weder besser noch schlechter“. Das heißt: Abelard legt allen Nachdruck darauf: Der ethische Wert einer Handlung eines Menschen wird nicht im äußeren Tun sichtbar. Der ethische Wert des Menschen ist die innere, seelische Qualität, das Reflexionsvermögen, der gute Wille. (Quelle: https://www.pierre-abelard.com/)

6.
Ein modern Philosoph und modern zu nennender  Theologe war Abelard aber sicher noch nicht, selbst wenn er den Wert der Erkenntnis des einzelnen Menschen auch in der Ethik anerkannte. „Abelard löste den Schein auf, als sei ethisches Handeln nur Konformität mit objektiven Regeln… Er hob hervor, dass die innere Zustimmung allemal in unserer Macht steht“, schreibt Kurt Flasch in „Das Philosophische Denken im Mittelalter“ , S. 251.

7.
In seiner Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie lehrte er, für mittelalterliche Verhältnisse eher unüblich, dass Gott einzig Liebe sei: „Der Gott Abelards sah sein eigenes Interesse darin, von dem Menschen frei geliebt und von ihnen als seinen Freunden, nicht seinen Knechten, verstanden zu werden“ (S. 252). Aber, hier wie in anderen theologischen Themen, hat sich Abelard nicht durchgesetzt, betont Kurt Flasch. „Weder Thomas von Aquino noch Luther folgten ihm…Sie kontaminierten seine Ideen mit den Vorstellungen, die er hatte überwinden wollen.“ ((S 253).

8.
Trotz dieser Probleme und der eher geringen Rezeption seiner Vorschläge: Abälard hat im Mittelalter als ein verfolgter Außenseiter, hoch gebildet und unter Studenten sehr geschätzt, „eine neue Variante des christlichen Denkens geschaffen“, sagt Kurt Flasch. Abelard setzte sich für den Dialog mit Juden und Arabern ein. „Es war Abelards Überzeugung, dass die göttliche Weisheit, die zweite Person der Trinität, auch die nichtchristlichen Denker inspiriert habe. Auf dieser Grundlage begann Abelard die Tradition friedvoller (irenischer) Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie …so gelang es bald, ein neues Konzept für das Verhältnis zu Islam und Judentum zu entwickeln“, schreibt Flasch (S. 253) , ein Konzept, das man als „natürliche“, mit dem Menschen als Menschen schon mitgegebene Religion bezeichnen könnte.
Und Kurt Flasch kann zurecht nicht darauf verzichten zu betonen, wie sehr Luther in seiner Theologie (auch des Antisemitismus) „weit unter dem Niveau Abaelards, Bulls und Nikolaus von Kues stand. Luther verlöre sofort, wenn man ihn mit mittelalterlichen Autoren auch nur mittleren Ranges vergliche (S. 681 in Reclam Buch)

9.
Über die Wirkungsgeschichte dieses ungewöhnlichen mittelalterlichen Denkers wäre zu sprechen: Manche Verbindungen zum Denken Hegels könnten sich andeuten: Für Hegel war seine eigene Philosophie mit der Theologie eng verflochten: Seine Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie habe als Philosophie die gleichen Inhalte wie die Theologie, betonte er, nur: Seine Philosophie sage eben den Glauben in Begriffen aus, sie hebe dadurch den anschaulichen Glauben ins begriffliche Denken auf…In seiner „Geschichte der Philosophie“ geht Hegel nur kurz auf Abelard ein. Mittelalterliche Philosophien waren nicht der Schwerpunkt Hegels.

10.
Papst Benedikt XVI. erwähnte in seiner „Generalaudienz“ vom 4. November 2009 Abelard im Zusammenhang bzw. im Vergleich mit dem viel konservativeren Mönch Bernhard von Clairvaux. Über Abelard sagte Benedikt XVI.: „Er bestand darauf, die Absicht des Subjekts als einzige Quelle für die Beschreibung der Freundlichkeit oder Bosheit moralischer Handlungen zu betrachten und so die objektive moralische Bedeutung und den Wert von Handlungen zu vernachlässigen: gefährlichen Subjektivismus. Dies – wie wir wissen – ist ein sehr aktueller Aspekt für unsere Zeit, in der Kultur oft von einem wachsenden Trend zum ethischen Relativismus geprägt zu sein scheint: Nur das Selbst entscheidet, was im Moment gut für mich wäre.“ (Quelle: https://www.vatican.va/content/benedict-xvi/de/audiences/2009/documents/hf_ben-xvi_aud_20091104.html)

11.
Es tut gut, an so genannten „eckigen Gedenktagen“ innezuhalten und sich auch bislang eher unbekannten Philosophen und Theologen zuzuwenden. Dabei wird deutlich, wie sehr unsere „übliche Bildung“ allzu sehr fixiert ist auf groß gemachte Größen, also auf Sieger und deren „runde Gedenktage“, diese groß gemachten, dogmatisch oder politisch korrekten Größen sind solche, die sich durchgesetzt haben, weil die Herrschaft, auch die Kirchenherrschaft, mit diesen bequem für die eigenen Ziele der Herrschaft umgehen konnte. Mit Abelards Erfolg hätte die Macht des Klerus auf Dauer keinen Bestand gehabt, die freie, auch theologische Forschung und Wissenschaft hätte sich früher durchgesetzt, die dumme, von Zweifeln völlig unberührte Machtgier der Päpste, etwa eines Bonifaz VIII., hätte keine Chancen gehabt. Mit einer gewissen geschichtsphilosophischen Melancholie endet also dieser „eckige Gedenktag“ an Petrus Abelard.

12.
Und heute? In Abelards Geburtsort Le Pallet bei Nantes wurde 1978 ein „Kulturverein Abélard“ gegründet, der auf seiner website zahlreiche Essays und Hinweise zu dem bedeutenden, aber in Frankreich sehr viel mehr als in Deutschland bekannten Philosophen und Theologen bietet. Allein der unterschiedloiche Umfang der wikipedia Beiträge zu Abelard auf Französisch und auf Deutsch ist erstaunlich. In Frankreich sind Straßen und Schulen nach Abelard benannt. Der “Kulturverein” in Le Pallet empfiehlt u.a. auf seiner website auch einen  Spaziergang durch Paris auf den Spuren Abelards…

Fußnote 1:
Zit. In „Histoire de la France religieuse“, Tome 1, dirigé par Jacques le Goff. Edition du Seuil, Paris, 1988, s. 342-343. Den Beitrag verfasst André Vauchez.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

Die PapstWAHL: Es gibt doch ein wenig Demokratie in der katholischen Kirche

Hinweise zu einer bevorstehenden Papstwahl
Von Christian Modehn am 23.3.2025

Das Motto: “Wenn schon bei der Papstwahl (WAHL!) minimale demokratische Grundsätze üblich sind, dann kann es ja eigentlich in der Kirche insgesamt nur besser werden…das heißt: Dann könnte doch “eigentlich” die ganze Kirche demokratisch organisiert werden, den universell geltenden Menschenrechten verpflichtet.” Absolute Utopien zu äußern, ist in der katholischen Kirche noch ein letzter Rest von positiver Verzweiflung…

1.
Bald wird wohl eine Papst-WAHL stattfinden. Und man glaubt es kaum: Es ist tatsächlich eine WAHL.
Also gibt es doch ein ganz klein wenig Demokratie in der katholischen Kirche?

2.
Dass die römisch -katholische Kirche keine Demokratie ist und wohl niemals eine Demokratie sein wird, haben Päpste immer gelehrt. Zuletzt noch Papst Franziskus, als er ins einem Buch „Leben“ (S. 64) erklärte:„Die Kirche ist, wie ich häufig genug sagte, kein Parlament“! Welche Regierungsformen haben kein Parlament? Alle autoritär regierten Regime…
Die Herren der Kirche sind also felsenfest überzeugt: Christus als Stifter der Kirche will als Regierungsform die absolutistische Monarchie des Papstes.

3.
Dazu gibt es zahllose hilflose, aber kritische Erläuterungen: In der katholischen Wochenzeitung “Kirche und Leben“ (Münster) schreibt der katholische Pfarrer Stefan Jürgens sehr richtig und treffend: „Die katholische Kirche ist eine absolutistische Monarchie. Sie wird regiert von Papst und Bischöfen, deren Autorität aufgrund der Weihe als unumstößlich gilt. Dadurch können sie so viel Schaden anrichten, wie sie wollen: Sie bleiben im Amt… Nichtgeweihte Katholiken bleiben abhängige Untertanen.“ Quelle: LINK

4.
Ein ganz klein wenig Demokratie gibt es aber doch noch in dieser Kirche: Wenn ein neuer Papst gewählt werden soll, also in der Konklave, gibt es wirklich etwas Demokratie, weil das elementare Wählen – Dürfen zur Demokratie gehört. Wenn heute, am 23. 3.2025, ein Papst gewählt werden müsste: Dann würden sich 138 Kardinäle „unter 80 Jahren“ an der Wahl beteiligen dürfen. Noch ältere Herrschaften scheiden als Kandidaten aus.

5.
Aber: Die Wahlmänner, die Kardinäle, sind nicht vom Kirchenvolk gewählt worden. Sie wurden in einsamen und durchaus willkürlichen Entscheidungen einzig des Papstes in dieses Wählerkollegium berufen. Einzig nicht demokratisch bestimmte alte Herren, meist auch gar nicht wirkliche Repräsentanten der Glaubenden in ihren Bistümern, wählen also… Dies ist nicht gerade ein starkes Symbol für Demokratie…

6.
Aber, wie gesagt, der Papst wird in der Sixtinische Kapelle des Vatikans von Kardinälen gewählt: Ein bißchen demokratisch mutet die – selbstverständlich vom Papst allein bestimmte – Regelung der Wahl an: Wenn sich nach 34 Wahlgängen (sic) die offenbar zerstrittenen Kardinäle auf keinen Papst – Kandidaten einigen konnten: Dann soll eine Stichwahl stattfinden zwischen den zwei an absolut vorderster Stelle Platzierten. Als zum Papst gewählt gilt, wer eine qualifizierte Mehrheit erreicht hat. Sollte es gar nicht erst bis zu den nun wirklich unwahrscheinlichen 34 erfolglosen Wahlen kommen, dann gilt: Gewählt ist der Kardinal zum Papst, der eine Zweidrittelmehrheit (!) auf sich vereinigen kann.

6.
Noch einmal: Der Papst wird also nicht von seinem Vorgänger ernannt; es sucht kein Gremium, wie bei der Nachfolge des Dalai Lama, Hände ringend in den Dörfern und Städten nach einem geeigneten (jungen?) Kandidaten. So viel Esoterik mag selbst der Vatikan nicht.

7.
Auch das ist doch demokratisch in dem Konklave: Es gibt ganz offen und offiziell zugegeben Parteibildungen unter den Kardinälen: Die einen sind theologisch konservativ bzw. reaktionär, die anderen nicht ganz so konservativ. Und die kämpfen gegeneinander, auch schon, solange ein Papst lebt.

8.
Es gibt sogar so etwas wie Wahlpropaganda: Vor den eigentlichen Wahl – Sitzungen werden von einigen Kardinälen kurze Statements gehalten, in denen die besonders auffälligen Papstkandidaten Vorstellungen ihres „Programms“ skizzieren. Kardinal Bergoglio soll einen ziemlich radikalen Kurz – Vortrag in diesem Vor – Konklare gehalten haben: „Die Kirche solle aus sich selbst herausgehen und sich öffnen“, war die Hauptaussage (Fußnote 1).

9.
Gar nicht demokratisch hingegen ist die absolute „höchste Geheimhaltungsstufe“ während des ganzen Konklave: Nur Kardinäle sind anwesend, der ganze Wahl- Saal ist abgeschotte, kein Journalist ist als Beobachter dabei. Demokratische Transparenz ist ausgeschlossen. „Die Fenster werden geschlossen, alle Funknetze abgeschaltet“, beschreibt Papst Franziskus die eigene Wahl zum Papst in seinem Buch „Hoffe“, Seite 241. LINK

10.
Die äußerst bescheidenen demokratischen Elemente der Papstwahl werden allerdings von einer theologischen Frage gestört: Denn nach katholisch – theologischer Überzeugung, ist es der heilige Geist, die dritte Person der göttlichen Trinität, die die Wahl des neuen Papstes letztlich leitet und bestimmt. Im üblichen Prozedere der Papstwahl handelt also indirekt Gott selbst durch die Kardinäle: Die aber dann üblicherweise mit Zweidrittelmehrheit einen der ihren zum Papst wählen. Also ein bißchen mag Gott wohl auch demokratische Mehrheitsentscheidungen! Diese göttliche Vorliebe für etwas Demokratie gilt allerdings nur bei der Papstwahl. Wenn Laien etwa in Mehrheitsentscheidungen einen Priester zum Bischof wählen wollen…. Nein, das geht ja nun gar nicht… Das will Gott nicht! Niemals! Sagen die auf Gottes Seite sich glaubenden Kleriker.

11.
Das Problem ist nur: Wie gottverlassen sind dann eigentlich die Kardinäle der Mindeheit, die diesen Kardinal gerade nicht zum Papst wählten? Und wenn wirklich einmal 34 Wahlgänge notwendig sind, um den Pontifex maximus zu wählen: Hat dann der heilige Geist förmlich gestreikt? War Gott zu schwach? Waren die Herren Kardinäle zeitweise gottverlassen?

12.
Der heilige Geist wird in der Bibel oft als ein Wehen oder ein Windhauch, sogar als Sturm zu Pfingsten, beschrieben. Auch dafür gibt es in dieser Kirche jetzt noch materiell – sichtbare, geradezu wunderbare Restbestände. Denn die Wahlergebnisse der in der Sixtinischen Kapelle wählenden Kardinäle werden mitgeteilt durch das Wehen von Rauch aus einem häßlichen Schornstein: Grauer Wind (also sozusagen ein bißchen grauer heiliger Geist) signalisiert die fehlgeschlagene Wahl. Erst der weiße leichte, reine, man möchte sagen göttliche Wind als Rauch sagt: „Wir haben einen Papst,“

13.
Alle, die sich in diese autoritäre, nicht – demokratische Kirche eingebunden fühlen oder bloß katholische Folklore lieben, jubeln bei diesem Spektakel. „Wir“ haben wieder einen ein bißchen demokratisch gewählten, aber dann letztlich und immer nicht – demokratisch agierenden Stellvertreter Christi auf Erden…

14.
Man stelle sich vor:
Die katholische Kirche als Organisation mit eins Komma vier MILLIARDEN Mitgliedern in allen Ländern dieser Erde würde sich offiziell als demokratisch strukturiert und regiert zeigen, inklusive der offiziellen Anerkennung und Realisierung der universell gelten allgemeinen Menschenrechte (Uno, 1948): Was wäre dies für ein Zeichen in dieser jetzt verrückt gewordenen en Welt, in der immer mehr Staaten und Menschen ins reaktionär Antidemokratische und Faschistische abrutschen?

15.
Weiß der Papst und seine klerikale Clique eigentlich, welches Unheil – auch als Trostlosigkeit – er anrichtet, wenn er die universell geltenden Menschenrechte, auch und vor allem für Frauen, in seiner eigenen Männer- Organisation, katholische Kirche genannt, ignoriert? Welch eine Schande für die heutige Menschheit.

Fußnote 1:
Das Buch von Papst Franziskus, „Leben“. 2024, Seite 213 f.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

 

Ein philosophisch – christliches Glaubensbekenntnis für heute und morgen.

Vom Apostel Paulus inspiriert … und darüber hinaus.
Ein Hinweis von Christian Modehn am 12.3.2025

1. Eine Vorbemerkung:

Bekenntnisse des christlichen Glaubens können heute auch kurze Essays, Aphorismen oder philosophische Poesie sein.

Dies gilt angesichts der immer noch üblichen Geltung der nahezu unverständlichen Bekenntnisse aus dem 4. und 5. Jahrhundert.

Im Neuen Testament, in der „Apostelgeschichte“, wird eine merkwürdige Geschichte erzählt (Kapitel 17, Vers 16 – 34):
Der Apostel Paulus hält sich in Athen auf, einem Zentrum verschiedener philosophischer Schulen, der Stoiker, Epikureer und Neuplatoniker. Und mit diesen Philosophen sucht Paulus das Gespräch, so die Erzählung.

Wir haben das philosophisch geprägte Bekenntnis des Apostels Paulus dort, auf dem Areopag in Athen, neu formuliert. Und dabei entsteht eine Art philosophisch begründendes, sehr kurzes Glaubens – Bekenntnis mit einem universellen Interesse. Dieses Bekenntnis führt noch weiter: Zu einem leidenschaftlichen Ja zu den universell geltenden Menschenrechten. Sie werden Teil des heutigen christlichen „Glaubensbekenntnisses“.

2.
Zunächst das philosophisch orientierte christliche Bekenntnis, inspiriert vom Paulus-Text in der Apostelgeschichte Kapitel 17, Vers 16 – 34:

„Gott hat die Welt erschaffen und alles in ihr. Der Herr über Himmel und Erde wohnt nicht in Tempeln, die von Menschenhand gemacht sind.
Gott gibt allen das Leben. Keinem Menschen ist Gott fern.
In ihm leben wir. In ihm bewegen wir uns und sind wir. Wir Menschen sind von seiner Art.“
Bis dahin folgen wir dicht den Aussagen des Apostels Paulus, jetzt folgt unsere Interpretation der Aussagen des Paulus zu Jesus Christus:

“Der Mensch Jesus von Nazareth lebte ganz mit Gott verbunden.
Nach seinem Tod erkannten seine Freunde: Er hat den Tod überwunden, so wie alle Menschen den Tod überwinden: Denn alle Menschen sind mit dem Ewigen verbunden: Denn in ihm (Gott) leben wir. In ihm bewegen wir uns und sind wir.“ (Zur Erschaffung der Welt, Fußnote 1 unten)

An dieses klassische Glaubensbekenntnis schließt sich eine Erweiterung des christlichen Glaubensbekenntnisses an:

„Der christliche Glaube ist nur wirklich, wenn er in der Praxis der Mitmenschlichkeit lebt. Entscheidende Orientierung dafür bietet die „Erklärung der universell geltenden Menschenrechte“ von 1948: Dabei können durchaus neu erkannte soziale, klimabezogene oder Gender – bezogene Menschenrechte hinzukommen.
Aber darauf kommt es an: Die Menschenrechte und die Pflichten der Menschen, diese Rechte praktisch zu respektieren, sind Teil des christlichen Glaubens, also des Glaubens an eine göttliche Wirklichkeit: Sie hat jeden Menschen mit einer absolut wertvollen, ewigen, göttlichen Qualität geschaffen. Das ist eine Erkenntnis seit Albertus Magnus, Meister Eckart, Hegel … Diese Erkenntnis würde aber im engen religiösen Bereich verbleiben, wenn nicht die politische Dimension der Menschenrechte für die Verbindung des Glaubens mit der Praxis der Menschen sorgen würde.“

(Siehe auch das Interview mit dem Berliner Theologen Prof.Wilhelm Gräb (+2023) über “Die Erklärung der Menschenrechte als Bekenntnisgrundlage einer universalen ReligionLINK

3.
Es ist bemerkenswert, dass der Autor der Apostelgeschichte im unmittelbaren Umfeld der Areopag – Erzählung den christlichen Glauben nicht etwa als Dogma, als Lehre, als Doktrin bezeichnet, sondern: Als „neuen Weg“. (Apg. 19,9, in der „Einheitsübersetzung“ der Bibel).
Der christliche Glaube als „WEG“ – eine sympathische „Definition“, die heute nahezu in Vergessenheit geraten ist!

NEBENBEI:

4. Paulus lebte und lehrte zwei Jahre bei einem Philosophen in Ephesus

Der Apostel Paulus lebte zwei Jahre in Ephesus bei einem Philosophen: Tyrannus, sein für uns etwas ungewöhnlicher Name. Paulus konnte im Saal des Philosophen seine christliche Lehre verbreiten. Tolerant sind die Philosophen! Paulus war zuvor aus der Synagoge rausgeworfen worden. LINK:

NEBENBEI:

5. Kein direkter Bezug zu „Dionysius, dem Areopagiten“.

Am Ende der Erzählung „Paulus in Athen“ wird berichtet: Einige wenige ZuhörerInnen hätten sich nach dem Bekenntnis und der Predigt des Apostels Paulus dem christlichen Glauben zugewandt, unter ihnen wird ein „Dionysius, der Areopagit“ (Vers 34) erwähnt.
Dieser Dionysius ist nicht identisch mit dem Philosophen aus dem 6. Jahrhundert, der sich – zur eigenen Aufwertung – „Dionysius Areopagita“ nannte: Es handelt sich um einen griechisch schreibenden Christen und philosophischen Autor von vier Texten, darunter „Über mystische Theologie“.
Was diesen Dioysius mit dem Bekenntnis und der Predigt des Apostels Paulus in Athen, auf dem Areopag, ein wenig verbindet: Die Betonung der Ähnlichkeit des Menschen mit Gott durch die „Gottähnlichkeit der Vernunft“… Aber für diesen Dionysius ist Gott letztlich das Unnennbare, alle menschlichen sprachlichen Äußerungen über Gott sind für diesen Meister der „negativen Theologie“ unzutreffend. Da war ja Paulus bekanntlich ganz anderer Meinung.

Fußnote 1: Das Wort “Gott als Erschaffer der Welt” kann hier nicht weiter entwickelt werden, es hat nichts zu mit fundamentalistischer Bibelinterpretion. Das Wort “Gott als Schöpfer der Welt” ist gemeint als die Konsequenz des Denkens selbstbewusster Subjektivität: Diese versteht sich als eine kontingente Realität der Welt und weiß dabei, dass sie nicht über die eigene Existenz, die eigene Präsenz in dieser Welt, verfügt. Subjektivität, der Mensch, ist also auf den Gedanken eines gründenden Grundes angewiesen. Dieser Grund hat Subjektvität in die Welt freigesetzt. Man kann ihn Gott nennen, das Absolute, das/den Ewige(n), also das in allem und allen Anwesende…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin