Pier Paolo Pasolini: Vor 50 Jahren, am 2.November 1975, wurde Pasolini in Ostia bei Rom ermordet, im Alter von 53 Jahren
Ein Hinweis von Christian Modehn am 1.11.2025
An den Filmemacher, Poeten, Schriftsteller, Schauspieler und Künstler Pier Paolo Pasolini wollen wir im Religionsphilosophischen Salon erinnern, nicht etwa „umfassend.“
Sondern nur an ein Ereignis wollen erinnern, das bisher wenig Beachtung gefunden hat, aber mehr ist als eine Marginalie: Etwa 100 katholische Bischöfe haben 1964 im römischen Ariston – Kino eine Sonder – Aufführung von Pasolinis Film „Il vangelo secondo Matteo“ erlebt („Das 1. Evangelium“, so der deutsche Titel, also das Evangelium nach Matthäus“).
Paolo Tritti, Autor der offiziell katholischen website www.logosmatera.it , berichtet über das Ereignis. Er bezieht sich dabei auf die Stellungnahmen von Kardinal Loris Capovilla, er war der Privat-Sekretär von Papst Johannes XXIII. : LINK
1.
Etwa 100 Bischöfe waren aus dem Petersdom im Vatikan, dem entscheidenden Versammlungs Ort des 2. Vatikanischen Konzils, ins Kino nach Rom gefahren, sie hatten die „heiligen Hallen“ gegen ein weltliches Kino getauscht.
Paolo Tritti schreibt zum Hintergrund des ungewöhnlichen Kino-Besuches: „Es entstand die unerwartete und sensationelle Initiative einer Anfrage des „Sekretariats des Konzils“ und des „Internationalen Katholischen Filmbüros“, dass Pasolinis „Evangelium-Film“ den Konzilsvätern gezeigt werden könnte. Kardinal Capovilla berichtet: „Ich erinnere mich noch genau, wie während des Konzils öffentlich bekannt gegeben wurde, dass es eine Vorführung von „Das Evangelium nach Matthäus“ geben würde, die den Bischöfen im Konzil vorbehalten war. Es war eine offizielle Vorführung, sicherlich keine heimliche.“ Sogar „Le Monde“, die Tageszeitung in Paris, berichtete darüber. Dieser Kino – Besuch der Konzils – Väter war ein Ereignis, das von den damals schon böswilligen Traditionalisten unter den Bischöfen diffamiert wurde: Sie behaupteten, die Bischöfe würden im Kino an einer „kommunistischen Kundgebung“ teilnehmen. Denn es war ja bekannt: Pier Paolo Pasolini ist nicht nur ein (von der katholischen Moral zu verurteilender) Homosexueller, er ist auch ein Kommunist, trotz seiner Schwierigkeiten mit der Partei.
2. Das ist tatsächlich erstaunlich: Die 100 Bischöfe waren von einem Film begeistert, den ein Marxist bzw. Kommunist, zudem ein Homosexueller und alles andere als ein Freund der klerikalen Hierarchie, realisiert hat. Die Bischöfe konnten ihre Einsicht beim Betrachten des Films nicht verdrängen: Selbst ein kommunistischer Homosexueller kann eine für den Glauben wichtige Erkenntnis haben und dieser in seinem Film Gestalt geben. Paolo Tritti schreibt: „Am Ende der Filmvorführung spendeten die Bischöfe zwanzig lange Minuten Beifall für den Film eines „marxistischen“ Regisseurs, er ließ der ganzen Welt das sehr menschliche Antlitz Christi wieder entdecken. Dieses Evangelium, wie Monsignore Angelicchio sagte, „hob die Menschlichkeit Christi hervor, sein Menschsein unter den Menschen”. Die Menschlichkeit Jesu, nicht die göttliche Allmacht Christi, wird also durch einen Kommunisten und homosexuellen Filmemacher den Bischöfen nahegebracht. Kann man sich solche Erschütterungen des Klerus, solche Lernbereitschaft, heute noch vorstellen? Der Theologe Edward Schillebeeckx sprach von „Fremdprophetie“, also von dem Erleben, dass von außerhalb der christlichen und kirchlichen Institutionen entscheidende Erkenntnisse zum „Wesen des Christentums“ vermittelt werden. Gibt es heute noch dafür eine Bereitschaft in der klerikalen Kirche?
3. Die Bischöfe waren im Kino Ariston beeindruckt, als sie im Vorspann die Widmung des Films für Papst Johannes XXIII. lesen mussten! Der reformorientierte und mit dem Armen des einfachen Volkes verbundene Papst, der Initiator des wichtigen Reformkonzils, war während der Dreharbeiten Pasolini zu „Il vangelo secondo Matteo“ gestorben.
4. In gewisser Weise waren sie sich begegnet: Pasolini war zufällig am 4. Oktober 1962 in Assisi, als auch Papst Johannes XXIII. die „Stadt des Heiligen Franziskus“ besuchte. Während des Aufenthaltes des Papstes in Assisi las Pasolini das Matthäus-Evangelium im Neuen Testament. „Aus dieser Lektüre entstand, wie man weiß, die Idee für den Film,“ schreibt Paolo Tritto. Seinen Film stellte Pasolini 1964 fertig, vor allem mit Laiendarstellern aus Süditalien arbeitete er. Susanna, Pasolini Mutter, hatte die Rolle Marias, der Mutter Jesu, übernommen. Der junge Philosoph Giorgio Agamben stellte den Apostel Philippus dar.
Pasolini hält sich dicht an den Text des Matthäus-Evangeliums, ihm liegt daran, Jesus als Menschen zu zeigen, aufseiten des armen Volkes und gegen die etablierte Hierarchie.
5. „Ist es möglich, dass die Kirche,“ wie Kardinal Capovilla bemerkte, „den Film von Pasolini brauchte, um zu erkennen, was Matthäus geschrieben hatte? Offensichtlich ja. Die Kirche brauchte Pasolini, um die traurige Vorstellung eines fernen Gottes, der taub für die Schreie der Menschen ist, zu zerstören. Es bedurfte Pasolini, um die tröstliche Erwartung eines Gottmenschen zum Ausdruck zu bringen, der so menschlich ist, dass er die Menschen, die einzelnen Menschen, sogar Gott ähnlich macht.“
6. Unser Hinweis ist überhaupt kein Anlass, an der bleibenden Kirchenkritik Pasolini zu zweifeln. Er hat auch offen in Frage gestellt, dass Rom eine katholische oder christliche Stadt genannt werden dürfe. Pasolini schätzte das proletarische, sozusagen das vor – katholische Rom und Italien. Er identifizierte sich mit den Ausgestoßenen, den Menschen ganz unten, am Rande, und genau deswegen schätzte er den Jesus des Matthäus- Evangeliums. Jesus kämpfte im Sinne des Matthäus und Pasolinis gegen die jüdischen Autoritäten und wurde von ihnen verfolgt … wegen seiner universellen Menschenliebe und seiner Kritik an den bestehenden unmenschlichen religiösen Gesetzen. Der Schriftsteller Alberto Moravia sprach vom „christlichen Kommunismus“, der die Wurzel von Pasolinis Kunst sei. Dass der Kommunismus, der Sozialismus, niemals auf spirituelle, urchristliche Weisheiten verzichten darf, davon war Pasolini allerdings überzeugt … und manche (italienische Reformkommunisten und Sozialisten sowieso dann auch…)
7.
Bis in die 1960 Jahre hatte die katholische Kirche einen „Index der verbotenen Bücher“ publiziert und durchzusetzen versucht, hingegen: 1995 wurde eine Liste der „besonders empfehlenswerten Filme“ vom Vatikan veröffentlicht: Dabei ist auch Pasolini „Erstes Evangelium nach Matthäus“. Wikipedia schreibt: „Die Filmliste des Vatikans behandelt insgesamt 45 Filme, die aus Sicht desHeiligen Stuhls besonders empfehlenswert sind. Die Liste wurde am 17. März 1995 aus Anlass des 100. Geburtstages des Filmes vom Päpstlichen Rat für die sozialen Kommunikationsmittel veröffentlicht. Eine von Kurienkardinal Foley eingesetzte Kommission aus 15 internationalen Filmwissenschaftlern suchte die Filme aus, welche in die Kategorien „Glauben“, „Werte“ und „Kunst“ unterteilt wurden. Kardinal Foley betonte, dass die Liste nicht als“Kanon“ betrachtet werden solle, da es auch andere vielleicht ebenso sehenswerte Filme gebe, die nicht in der Liste vertreten seien.“
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