Moral und Unmoral bestimmen die Politik: (K)ein ewiges Thema

Zu spät handeln – das Hauptproblem der Demokraten im Kampf gegen unmoralische Politiker.
Ein Hinweis von Christian Modehn am 19.11.2024.

1.
Die USA werden sich unter Präsident Trump „in ein egoistisch agierendes Imperium“ verwandeln. Diese richtige Erkenntnis setzt sich weltweit durch, auch unter Politologen, etwa bei Professor Herfried Münkler, dem „Theoretiker der Politik“. Er kann auf den Begriff Egoismus nicht verzichten, wenn er ein weiteres Regime Donald Trumps bewertet. (Fußnote 1). Egoismus ist eine Kategorie der Moral, und das muss unterstrichen werden.

2.
Politik hat mit Moral zu tun, Politiker handeln als Menschen immer moralisch. Aber ihre Moral kann zur Unmoral werden, zum schädlichen Egoismus (Fußnote 2). Entscheidend ist: Dieser Egoismus hat einen Namen: Nationalismus. Und Nationalismus/Egoismus einer Nation, eines Staates, äußert sich heute immer in den gleichen Parolen und Slogans: „America first“. „Deutschland zuerst“, „La France d` abord“ und so weiter.

3.
In diesem schädlichen und schändlichen Egoismus als Nationalismus gilt den „einheimischen“ Bürgern wie deren gewählten Politiker (um bei den Demokratien zu bleiben) das eigene Wohl als absolut entscheidend. Wohlergehen (es sind immer Minderheiten, den es auch in den Demokratien umfassend „wohl ergeht“) gibt es für Wähler wie deren Politiker nur in der absoluten Bevorzugung der eigenen Nation. Und dafür werden Feinde im Innern des Staates wie außerhalb der Nation fixiert, als auszugrenzende Störenfriede konstruiert, zu Un – Menschen degradiert, die das angeblich selbst erarbeitete Eigentum bedrohen. „Die Nation braucht Feinde, weil das die Suche nach der eigenen Identität erleichtert“, schreibt Peter Alter in seinem Beitrag „Nation“ in der „Enzyklopädie Philosophie“ Band II, (Hamburg 2010, Seite 1702.)

4.
Nationalismus als Ideologie und Praxis ist trotz aller militärischen Aufdringlichkeit immer auch ein Zeichen der Schwäche der Nationalisten: Sie
brauchen ihre Feinde (wie üblich seit Jahrhunderten „die“ Ausländer, die Flüchtlinge, Muslime, Juden, Homosexuelle, linke Intellektuelle usw.), um Stärke und Bestand zu demonstrieren. Eine Einsicht, der sich übrigens auch der Sozialethiker Kardinal Reinhard Marx (München) nicht verschließen kann: „Nationalismus bedeutet Krieg“ sagte er 2019 in München. Aber er vergaß dabei zu beklagen, dass die katholische Kirche, selbst ein uraltes Imperium, auch ihre Feinde brauchte (und braucht). Vor allem die Ketzer und Häretiker und Schismatiker, die sie verurteilte und vernichtete und … die Juden und so viele andere. (Fußnote 3).
Weil die Egoisten/Nationalisten sich bedroht fühlen von vielen Seiten, müssen sie Kriege führen. Sie müssen zeigen, dass sie stärker sind als andere Nationen und deren Nationalisten. Sie wollen auf fremdes Land zugreifen oder das eigene Land mit Mauern und Stacheldraht einzäunen.

5.
Die aggressiven politischen und ökonomischen Egoisten/Nationalisten sind vor allem in den rechtspopulistischen Regierungen zu finden, bei Trump in den USA und bei Orban in Ungarn oder in Parteien (FPÖ Österreich, AFD Deutschland, Le Pen „Rassemblement National“ Frankreich, Wilders in Holland, Meloni in Italien usw.). Auch demokratische Parteien haben nationalistische Ambitionen, aber diese Parteien verhalten sich dabei diskreter, man denke an liberale Parteien und deren Eintreten für ihre superreiche Klientele.

6.
Demokratische Parteien übernehmen jedenfalls – aus taktischen Gründen – allzu oft auch zentrale Propaganda – Sprüche der rechtsextremen Parteien. Vor allem schließen sie sich gern der Vorstellung an von der „furchtbaren Gefahr“, die angeblich von „dem“ Problemausgehen, und das sind Ausländer, Fremde, Flüchtlinge…
Demokratische Parteien wollen mit der Übernahme gewisser rechtsextremer nationalistischer/egoistischer Parolen ihr eigenes Land wie eine Festung gestalten, die eigene Nation wie die EU: Das europäische Bollwerk gegen die Fremden soll wehrhaft aufgebaut werden. In dieser Fixierung auf die Konstruktion einer europäischen Festung (EU) erliegt die Vernunft der Angst. Die Vernunft wird eingeschläfert und blind, so dass die wahren Feinde der Demokratie – etwa Putin -Russland – nicht rechtzeitig als Gefahr erkannt und benannt und den Bürgern/Wählern deutlich gemacht werden.
Wenn auch demokratische Parteien egoistisch – nationalistisch werden, ist das Ende dieser Demokratien absehbar.

7.
Die viel besprochene große „Zeitenwende“ ist also weltweit heute die Wende zum Egoismus als Nationalismus. Egoismus wird die politische Agenda bestimmen wird bzw. bestimmt sie schon längst. Wer für eine gerechte Gesellschaft und einen demokratischen Staat noch eintreten will, kümmere sich bitte intensiv um den allseits vorherrschenden Egoismus als Nationalismus.

8.
Zurück zum Thema „Egoismus als ein Begriff der Ethik“.
Ethik ist die Erforschung von allem, was aus freien menschlichen Entscheidungen an Gestaltungen und Taten folgt. Und dabei kann viel Unheil gestaltet werden als Ausdruck freier, aber gewissenloser Entscheidungen. Ethik hat also auch Unmoral zu untersuchen. Dadurch zeigt sich: Ethik ist eine normative Wissenschaft, sie hat als universelles Kriterium zur Beurteilung moralischen Verhaltens die universell geltenden Menschenrechte.

9.
Warum sollen diese Erkenntnisse zu den Normen der Moral nicht auch für Politiker gelten? Demokratische Politiker müssen sehr „jonglieren“, und dabei mal mehr mal weniger die Menschenrechte ignorieren, zumal, wenn sie mit undemokratischen Herrschern und Diktatoren verhandeln müssen. Die offene Frage ist: Wann beginnt dabei der Verrat an den Menschenrechten, wann beginnt die Unmoral im Verhandeln mit den Diktatoren oder illiberalen Herrschern? Diese Frage wird heute meines Erachtens nicht ausführlich in der politischen Ethik und der Philosophie reflektiert.

10.
Man hat den Eindruck: Demokratische Politiker realisieren „ein bißchen noch“ die universal geltenden Menschenrechte im Verhandeln mit Autokraten, Diktatoren usw. In diesem Verhalten demokratischer Politiker kann sich eine Angst vor den Autokraten verbergen, vielleicht sogar ein gewisser Respekt vor deren errungener Allmacht. Deswegen wohl verschieben demokratische Politiker immer wesentliche Aktivitäten zugunsten der Menschenrechte im Umgang mit Autokraten usw. auf bessere, spätere Zeiten: Sie überschätzen dabei die angebliche Allmacht der Autokraten und Diktatoren. Und je länger demokratische Politiker zögern, um so stärker werden Autokraten und Diktatoren.

11.
Ein anschauliches Beispiel dafür ist der Angriffskrieg Russlands (Putins) gegen die Ukraine. Hätte die westliche Welt schon in den ersten Wochen nach dem Beginn der Aggression, also im März 2022, Putin – Russland mit aller ihrer zur Verfügung stehenden militärischen Kraft eingeschränkt und niedergeschlagen, gäbe es wahrscheinlich diesen Krieg gegen die Ukraine und die demokratische Welt heute gar nicht mehr.

12.
Und jetzt müssen vernünftige Beobachter wie einige selbstkritische Politiker der Demokratien die entscheidende Erkenntnis zugeben: Es ist jetzt (20.11.2024) schon zu spät, um Russland noch zurückzudrängen und die Ukraine in ihrer ursprünglichen Gestalt von 2021 zu retten und die Demokratien zu verteidigen. In solchen Fällen sagen die zu spät handelnden Demokraten gern: „Die Hoffnung stirbt zuletzt.“. Aber diese populäre „Weisheit“ meint ja auch: Hoffnung kann wirklich sterben (eben zuletzt)…Und das wäre das Ende menschlichen Lebens, eines humanen geistvollen, vernünftigen Lebens, das den Namen verdient. Dann hat der Nihilismus total gesiegt.

13.
Das aktuelle politisch – moralische Thema Egoismus/ Nationalismus spitzt sich angesichts des mörderischen Wahns des nationalistischen Putin – Russlands zu der Frage zu: Wann lernen Demokraten und demokratische Politiker, rechtzeitig das Rechte und Richtige zu tun! Also den historischen Augenblick richtig einzuschätzen? Und natürlich auch ein Risiko einzugehen, indem man – selbstverständlich in einer Situation von Ungewissheit – rechtzeitig handelt. Dieses Risiko ist aber geringer als das Risiko des Zuwartens, das die Lage nur weiter verschärft und für Demokraten verschlechtert. Man muss dabei klar sehen, welche politischen Kräfte in Demokratien das Zuwarten in einer Kriegs- und Krisensituation fordern und fördern. Sie haben ökonomische Interessen, denn langandauernde Kriege verlangen eben auch umfassende Waffenproduktionen und entsprechende Gewinne…

14.
Das ist die entscheidende Lebenskunst bzw. Philosophie auf dem weiten Feld des Egoismus als Nationalismus: Es gilt immer rechtzeitig im Sinne der Menschenrechte das Richtige zu tun, und unbedingt zu vermeiden, dass man sich eines Tages wieder einmal sagen muss: Es ist zu spät für die Vernunft und für vernünftiges humanes Handeln.

15.
Rechtzeitig Handeln, bevor es zu spät ist, so heißt der entscheidende ethische Imperativ für die wenigen noch verbliebenen Demokratien in dieser Welt. Diese Erkenntnis gilt für die Außen- (Kriegs)-Politik wie für die Innenpolitik, die sich konzentrieren muss nicht nur auf die Überwindung rechtsextremer Parteien, sondern auch auf die Rückgewinnung demokratischen Denkens und Handelns bei undemokratisch denkenden rechtsextremen Wählern.

Fußnote 1:
Herfried Münkler, „SPIEGEL“, Nr. 47, 2024, Seite 116.

Fußnote 2:
Es gibt auch einen gesunden Egoismus, verstanden als die reflektierte Sorge um sich selbst im Zusammensein mit anderen Menschen. Die natürlich den gleichen Anspruch haben, sich um sich selbst zu sorgen…

Fußnote 3:
https://www.katholisch.de/artikel/19834-kardinal-marx-nationalismus-das-bedeutet-krieg

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

 

Jacob Böhme – ein Religionsphilosoph für unsere Zeit.

Ein Hinweis von Christian Modehn, am 1.9.2017, erneut veröffentlicht am 15. Nov. 2024, anläßlich des 400. Todestages Jacob Böhmes am 17.11.2024! Geboren wurde Jacob Böhme am 24.4.1575 in Stary Zawidów (Schlesien), gestorben ist er am 17.11.1624 in Görlitz.

1.

Jacob Böhme verdientBeachtung, Lektüre, Mitdenken und Debatte vielleicht heute noch mehr als im 16. und 17. Jahrhundert. Hegel sagt in seinen „Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie“ (Band 3, Suhrkamp 1971, Seite 94) sehr treffend: “Böhme ist genannt worden der philosophus teutonicus, und in der Tat ist durch ihn erst in Deutschland Philosophie mit einem eigentümlichen Charakter hervorgetreten. Es ist uns wunderbar zumute beim Leben seiner Werke; und man muss mit seinen Ideen vertraut sein, um in dieser höchst verworrenen Weise (der Texte Böhmes, CM) das Wahrhafte zu finden“. Eine mühsame Aufgabe auch heute! Immerhin widmet Hegel in seiner Vorlesung Böhme viel Aufmerksamkeit! Das Böhme Kapitel in dem genannten Buch umfasst immerhin 28 Seiten! Dabei ist Hegel aus seiner Position durchaus kritisch gegen Böhme, spricht von der „Barbarei in der Ausführung der Böhmeschen Gedanken“ (S. 118), von „gewaltsam sinnlichen Vorstellungen“ in Böhme Sprache. Dabei respektiert aber Hegel die “größte Tiefe“ von Böhmes Gedanken, „diese Tiefe hat sich mit der Vereinigung der absolutesten Gegensätze herumgeworfen“ (ebd.).

2.

Denn der Philosoph und Mystiker aus Görlitz hat eine zentrale Erfahrung gemacht und zu Wort gebracht, auch wenn seine Sprache, seine Begriffe heute manchmal sehr vermischt und schwer zugänglich erscheinen: Aber es gibt eine zentrale Einsicht, sie berührt genau den heutigen globalen Umbruch der religiösen Situation in einer säkularisierten Welt. Gleichzeitig bieten Erfahrungen und Erkenntnisse Böhmes gerade auch Auswege an, angesichts des langsamen, aber sehr deutlichen Verschwindens der orthodoxen, katholischen oder evangelischen, aber in allen Fällen dogmatisch versteinerten Kirchenformen in Europa.

3.

Was ist also inspirierend in Böhmes Erkenntnis? Dass Gott als der Ewige in jedem Menschen lebt. Und dass dies das einzig Wichtige und Entscheidende ist: Alle bürokratischen Kircheninstitutionen, aller Klerus, alle feierlichen Messen und Gottesdienste, alle Lehrschreiben usw. sind gegenüber der ewigen Präsenz des Ewigen IM Menschen mindestens sekundär! Was ist entscheidend? Die Achtsamkeit auf diesen Gott IN mir und IN uns. Und folglich wäre dann die Einrichtung von Gruppen, Kreisen, Salons usw., die diese Qualität des Menschseins in aller Freiheit auch mit so genannten Atheisten besprechen.

Man möchte meinen, dass Böhme mit seinem absoluten Plädoyer für den Gott IN mir und IN uns eine gewisse Form moderner liberaler, d.h. auch freisinniger Theologie da formuliert. Dem wäre später eingehend einmal nachzugehen.

4.

Die Gottesbeziehung ist nach Jacob Böhme also nichts Äußerliches, keine zuerst durch Worte. Lehren und Dogmen vermittelte Lebenshaltung. Das setzt ihn heraus aus der lutherischen Orthodoxie. Manche Überzeugungen wirken gar katholisch, etwa wenn er die Weisheit verehrt wie eine jungfräuliche, weibliche Seite Gottes.

Auf Gott als der inneren und ewigen und ungeschaffenen und damit vom Tod nicht berührten Wirklichkeit bezieht sich der Mensch, wenn er sich auf sich selbst, seinen Geist und damit seine Freiheit bezieht.

5.

Diese eine entscheidende Grundeinsicht wurde Jacob Böhme förmlich geschenkt: Alles gründet bei ihm auf einer mystischen Erfahrung, d.h. einer plötzlichen Einsicht, einer Erleuchtung: Die er aber nicht spinös oder fanatisch herausschreit, sondern in einem langen Reflexionsprozess gedanklich und sprachlich bearbeitet und – dem Thema angemessen – mühsam zu Papier bringt. Man nennt ja manche Komponisten, wie Mozart, mit dem etwas altertümlichen Wort „Genie“. Ebenso ist es ja sicher treffend, Dichter, wie Goethe, genial zu nennen, ohne dabei in einen säkularen Heiligenkult umzukippen. Mit diesem Vorbehalt kann man selbstverständlich auch Philosophen genial nennen in der Konzentration ihres Gedankens. Jacob Böhme könnte wohl zu diesen Philosophen gehören. Er, der kluge Autodidakt, der ja bekanntermaßen das Schusterhandwerk gelernt hatte, also alles andere als ein stolzer, klerikal gebildeter Pfarrer oder gar Theologieprofessor war. Er hat sich alle Kenntnis selbst erworben und sich in damalige Theologie, Philosophie und die Wissenschaften eingearbeitet. Dass er dabei auch auf die Alchemie in gewisser Hinsicht zurückgriff, hängt ab von seiner Bindung an die gängige Kultur seiner Zeit. Er kannte die Arbeiten des damals hoch geschätzten Naturphilosophen Paracelsus (also Theophrastus Bombastus von Hohenheim, 1493 – 1541). Schon Paracelsus legte – wie Müntzer – allen Nachdruck auf eine Kirche, die vom Geist, nicht aber vom toten Buchstaben, regiert wird. Die theologischen Auffassungen (seine Abweisung der gewaltsamen Mission, der Bekehrungen, sein Eintreten für die Gleichheit aller Stände) verdienen viel mehr Aufmerksamkeit als ihn bloß in die Ecke von Astrologie oder Magie zu stellen).

6.

Jacob Böhme, der „Laie“ also, störte den dogmatischen Betrieb der lutherischen Kirche in Görlitz und anderswo. Nicht weil er stören wollte, sondern weil seine Erkenntnis so universal ist, dass sie den Frieden in der Welt, mitten im Dreißigjährigen Krieg, hätte bringen können: „Gott ist kein Gott der Christen“, sagt Böhme sehr treffend, Gott gehört keiner Konfession, Religionskriege sind Gotteslästerung, könnte man fortfahren. Religionskriege haben bis heute ihre Ursache in der Bindung an Dogmen, die der Vernunft nicht zugänglich. Dogmenferne und Friedfertigkeit gehören also auch für Böhme zusammen!

7.

Er, der sich auf die Erfahrungen des heiligen Geistes berief und diese wichtiger fand als die ewige Wiederholung und das ständige Nachsprechen von Bibelworten, Böhme also, hat die Menschen seiner Zeit bewegt, weil er keine trockene Bücherlehre verkündete, sondern aus dem Leben selbst stammende Erweise des Wirkens Gottes im Menschen. Diese starke Bindung an die Wirkkraft des Geistes – gegen den trockenen Buchstaben der Bibel – erinnert an Thomas Müntzer, den Böhme sicher nicht kennen konnte: Denn Luther und seine Nachfahren hatten auch für den geistige Berschwinden des Reformators Müntzer gesorgt.

8.

Aber auch Böhme wurde verfolgt, geschmäht, diffamiert. Die Herren der Kirche machten ihm das Leben sehr schwer. Seine Texte duften in Deutschland nicht gedruckt werden, als Abschriften von Hand wurden sie weitergereicht. In Holland, dem liberalen Land, konnten Böhmes Texte gedruckt werden, nicht nur auf Deutsch oder Niederländisch, sondern auf Englisch. Eine feste „Böhme – Gemeinschaft“ oder gar “Böhme – Kirche“ hat sich langfristig nicht gebildet, auch wenn eine kleine Begleitbroschüre zur Ausstellung (in Dresden 2017) auf S. 6 betont: „Viele Anhänger Böhmes gingen wegen religiöser Verfolgung ins niederländische Exil“.

9.

Der bekannte Spezialist für westliche esoterische Philosophie, Prof. Wouter J. Hanegraaff, UNI Amsterdam, erwähnt immerhin kleine „Böhme-Gruppen“: wie die „Angelic Brethren“ von Johann Georg Gichtel (1638 – 1710) oder die „Philadelphian Society“ von John Pordage (1607-1681) oder Jane Leade (1623- 1704), die erste `philosophisch – esoterische` Frau, wie Hanegraaff erwähnt (in: „Western Esotericism“, Bloomsbury, 2013, Seite 32). Die Ideen einer „christlichen Theosophie“ (so Hanegraaff) verbreiteten sich dann weiter über Friedrich C. Oetinger, Louis – Claude de Saint Martin und Franz von Baader…

Ein eignes Thema ist die Frage, die Böhme nicht zur Ruhe kommen ließ: Wie kommen Leiden und Böses in die Welt? Böhme denkt in diese Richtung: Wenn Gott der Schöpfer von allem ist, dann müssen auch das Böse, das Leiden, ihren Grund in Gott selbst haben…

10.

Im ganzen gesehen hatte Böhme keine „philosophischen“ Schüler, die – wie etwa im Falle Hegels – nach dem Tod sein Werk „fortsetzten“.   Das ist eine Mangel, zumal wenn man bedenkt, dass bis heute meines Wissens keine ins moderne Deutsch übertragene kritische Gesamtausgabe von Böhmes umfangreichen, verstreut vorliegenden Werken gibt. So müssen viele LeserInnen die veraltet – sprachlichen Zitate durcharbeiten, das ist auch angesichts der an Symbolen reichen komplexen Sprache des Görlitzer Mystikers nicht einfach. Immerhin gibt es eine „Internationale Jacob Böhme – Gesellschaft“ in Görlitz, Vorstandsmitglied ist Sibylle Rusterholz, die insgesamt über die barocke Mystik forscht. Wir sind gespannt auf die Veröffentlichungen dieser Böhme – Gesellschaft.

11.

Es bleibt natürlich ein Problem: Böhme setzt die „Existenz“ Gottes in seinem Denken voraus. Er wird ja förmlich in seiner mystischen Erfahrung von einer Wirklichkeit überwältigt, die er dann Gott bzw. etwas befremdlich „finsteres Tal“ bzw. „UNGRUND“ nennt. Und die Spekulationen zum inneren Leben Gottes selbst sind sozusagen auf Anhieb nur mitvollziehbar für jene, die schon eine reflektierte Kenntnis der „göttlichen Wirklichkeit“ haben. Böhme selbst wollte ja über die Naturerfahrung zur inneren göttlichen Wirklichkeit „durchstoßen“.

Damit will ich sagen: Um die aktuelle Relevanz Jacob Böhmes auch für die modernen Skeptiker und Zweifler deutlich zu machen: Da müsste man wohl versuchen, einen tragenden Sinn-Grund in jedem geistigen Leben gedanklich aufzuweisen und diesen Sinngrund dann gedanklich mit jener Wirklichkeit zu verbinden, die klassisch „Gott“ genannt wurde und wird.

12.

Was mich bei meinen aktuellen Studien besonders freut, dass Böhme selbstverständlich den Menschen als freies Wesen definiert, weil er ja Ebenbild Gottes ist, des – sozusagen „absolut“ – freien Wesens. Wenn der Mensch frei ist, kann er sich selbst für das Gute entscheiden. Die zerstörerische Macht der alle Freiheit und alles Denken vernichtenden Erbsünde ist also für Böhme hinfällig. Nur wenige Jahrzehnte nach Luthers und Calvins Reformation ist Böhme also eine Stimme der Freiheit, eine Stimme der Ablehnung dieser grässlichen Erbsünden-Lehre. Böhme ist deswegen tatsächlich kein treuer Lutheraner, er ist sozusagen ein weiterer, ein radikaler Reformator der Freiheit. Und eines universalen Gottes IM Menschen.

13.

Gleichzeitig, zu Beginn des 17. Jahrhunderts, stand in den Niederlanden der Theologe Jacob Arminius auf, um die Freiheit zu retten in der dogmatischen Starre des Calvinismus. Daraus entstand dann die theologisch liberale und freisinnnige Remonstranten Kirche…Über diesen Zusammenhang Böhme – Arminus müsste auch weiter studiert werden.

14.

Zum Schluss ein zentrales Zitat von Böhme: “Ich trage in meinem Wissen nicht erst Buchstaben zusammen aus vielen Büchern; sondern ich habe den Buchstaben in mir; liegt doch Himmel und Erden mit allem Wesen, dazu Gott selber, IM Menschen“ (in dem genannten Aufsatzband, S. 16).

Und ein hermeneutischer Hinweis zur angemessenen Lektüre: “Hermann Hesse schreibt über Böhme:  Die Lektüre seiner Texte erfordere `ein vorübergehendes Leerwerden`, eine völlig freie Aufmerksamkeit und Seelenstille`“.

Für religionsphilosophisch Interessierte ist es wichtig, den Aufsatzband: „Grund und Ungrund – Der Kosmos des mystischen Philosophen Jacob Böhme“ zu lesen. Der 216 Seiten umfassende, schön gestaltete Band wurde von Claudia Brink und Lucinda Martin herausgegeben, im Sandstein Verlag 2017.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

 

 

 

 

 

Herbert Schnädelbach – ein “frommer Atheist”?

HERBERT SCHNÄDELBACH: Ein freier Denker.

Von Christian Modehn.

Das Interview wurde in der Zeitschrift PUBLIK – Forum Oktober 2009 publiziert.

Wir veröffentlichen das Interview mit Herbert Schnädelbach am 12.11.2024 noch einmal, wenige Tage nach dem Tod des Philosophen. Das Interview fand viel Interesse (allein mehr als 1.200 Seitenaufrufe). Keine Frage: Die philosophischen Stellungnahmen Schnädelbach sind auch heute noch von großer Aktualität.

Herr Schnädelbach, Sie haben als Philosoph den Begriff »frommer Atheist« geprägt. In welcher Weise trifft er für Sie selbst zu?

Herbert Schnädelbach: Ich habe damit zunächst einen Typus von Atheismus beschreiben wollen. Sehr verbreitet ist ja die Vorstellung, dass Atheisten vor allem Menschen sind, die militant den Gottesglauben bekämpfen, sich also als Anti-Theisten gebärden. Aber: Die meisten Atheisten sind vielmehr Menschen, die einfach ohne Gott leben wollen. Diese nachdenklichen Atheisten sagen: Ich will gar nicht lauthals vertreten, dass es Gott nicht gibt, sondern ich glaube einfach nicht an seine Existenz. Und der fromme Atheist ist dann derjenige, der nicht anders kann als die Glaubensinhalte, die er nicht vertritt, doch ernst zu nehmen. In diesem Sinne bin ich ein frommer Atheist. Ich bin einer, der sich darüber aufregt, dass die religiösen Inhalte heute verschleudert werden durch Kommerzialisierung oder durch Instrumentalisierung seitens der Politik. So nach dem Motto: Wir brauchen wieder Werte, wir brauchen sozialen Kitt, und deswegen benötigen wir auch die Religion.

Leiden Sie als frommer Atheist darunter, dass Sie religiöse Glaubensinhalte für sich selbst nicht realisieren können, etwa im Gebet, in Riten?

Schnädelbach: Ich würde das nicht mit »Leiden« beschreiben. Was mich betrifft, so ist mein Atheismus zum großen Teil das Ergebnis einer Befreiung. Ich habe eher das Gefühl, vom Glaubenmüssen erlöst zu sein. Aber natürlich ist da auch ein Bedauern: Menschen mit einem festen Glauben haben es offenbar im Leben leichter. Sie können viel mehr Nöte »wegschieben«, alle Sorgen auf Gott werfen, wie es in der religiösen Sprache heißt. Ich bin mehr auf mich selbst gestellt. Es gibt schon Augenblicke, wo ich es schade finde, dass ich nicht religiös leben kann. Auf der anderen Seite will ich als frommer Atheist diesen Glauben auch nicht. Ich weiß, dass ich nicht glauben kann. Der authentische religiöse Glaube rechnet ja mit Gott, verlässt sich auf ihn. Für mich gilt: Ich kann das nicht. Oder besser: Ich kann das nicht mehr. Es ist eine falsche Vorstellung, dass man sich zum Glauben einfach entschließen kann.

Waren Sie denn in Ihrer Kindheit oder Jugend gläubig?

Schnädelbach: Der Glaube war in meiner Familie ganz selbstverständlich. Die Eltern waren mit einer pietistischen Freikirche verbunden. Da gehörte der Glaube »an den Vater im Himmel« zum Alltag. Wir haben als Kinder schlimme Situationen erlebt bei der Flucht aus Schlesien und dann auch beim Angriff der Alliierten auf Dresden. Zu dem Zeitpunkt wusste ich genau: Wir werden sterben, aber ich hatte keine Angst, denn da war ja diese Stabilität des Kinderglaubens. Bei meinen Eltern war übrigens der Glaube nicht mit äußerem oder innerem Druck verbunden. Der kam dann für mich später im Umfeld der Gemeinde; und mit diesem Druck kamen die Zweifel. Es waren Unstimmigkeiten und Widersprüche in der Lehre, die man so hörte, die mich nachdenklich gemacht haben. Ich fing deshalb an, mich um Theologie zu kümmern. Aber letztlich war das Zweifeln die Triebkraft, mich immer mehr mit Philosophie zu beschäftigen. So ist mein Weg zur Philosophie ein Ausgang aus der kindlichen Geborgenheit im christlichen Glauben gewesen.

Welche Glaubenslehren fanden Sie damals besonders fragwürdig oder belastend?

Schnädelbach: Es waren merkwürdige Ängste, mit denen ich konfrontiert war. Wir hatten zum Beispiel in Leipzig eine Gemeindeschwester, die sagte: »Wir müssen so leben, als wenn Jesus jeden Augenblick wiederkäme.« Und dann haben wir uns Gedanken gemacht: In welches Kino dürfen wir jetzt gehen? Wenn Jesus wiederkommt, will er uns sicher in diesem oder jenem Film nicht antreffen. Wir haben uns ernsthaft den Kopf zerbrochen, ob wir die »Sünde wider den Heiligen Geist« schon begangen hätten. Und dann diese dauernde Pflege von Schuldgefühlen, die gerade im Pietismus sehr ausgeprägt war! So nach dem Motto: »Du musst dich erst bekehren, bevor du glücklich sein darfst.« Diese Lehre hat bei mir nicht funktioniert, Bekehrungserlebnisse habe ich nicht gehabt. Dann kamen Fragen zur Autorität der Bibel und Ähnliches; trotzdem habe ich damals sehr viel von der Bibel gelernt. Aber es stellte sich mir die Frage: Was ist wahr an der Religion?

Könnten Sie nicht auch sagen: Ich habe diesen Pietismus erlebt, aber vielleicht sollte ich eine andere, eine vernünftigere Form von Christentum suchen?

Schnädelbach: Das weiß ich nicht, man kann aus seiner Biografie ja nicht aussteigen. Aber als ich dann später meine Kritik am Christentum formulierte, handelte es sich jedenfalls nicht um eine Verarbeitung meiner religiösen Sozialisation. Meine Religionskritik, die mir so wichtig ist, kann nicht ins Biografische abgeschoben werden!

Sie denken an Ihren viel diskutierten Beitrag »Der Fluch des Christentums«, der den Untertitel trägt: »Die sieben Geburtsfehler einer alt gewordenen Weltreligion«?

Schnädelbach: Ja, da habe ich eine kulturelle Bilanz des Christentums zu ziehen versucht, und dies vor allem auf der Grundlage meiner Beschäftigung mit der Philosophie und Kulturgeschichte der Neuzeit. Ich zeige, welche »Geburtsfehler« oder folgenreichen Hypotheken mit der Ablösung des frühen Christentums vom Judentum verbunden waren. So ist meine Streitschrift »Der Fluch des Christentums« entstanden.

Zwei »Geburtsfehler«, die Sie nennen, sind die Erbsündenlehre und der dominierende Einfluss des Platonismus auf das Christentum. Sind diese Geburtsfehler für Sie immer noch ein Fluch?

Schnädelbach: Die Erbsündenlehre hat die Menschen jahrhundertelang tyrannisiert. Da wurden Halbtot- und Totgeborene noch schnell getauft, da gab es diese Vorhölle für die ungetauften Kinder. Niemand kann einem erklären, warum Neugeborene schon Sünder sein sollen. Diese kirchliche Lehre vom Menschen muss man infrage stellen. Dass alle Menschen als Sünder geboren werden, als Schuldige, ist für mich eine verhängnisvolle Weichenstellung des frühen Christentums. Das ist negative Anthropologie, keine Anthropologie des aufrechten Ganges. Die Menschen werden hier von vornherein klein gemacht. Es heißt: Sie seien zum Guten gar nicht fähig, sie bräuchten dafür die Gnade, und die Gnade kommt durch die Taufe, also durch die Kirche. Und der christliche Platonismus mit der Überordnung der Seele über den Leib, mit der Verachtung der Frauen wirkt bis heute. Dazu gehört der Kult um Maria als Jungfrau. Abgesehen von der dahinterstehenden Zurückweisung gelebter Sexualität: Maria wird nicht nur als Helferin im Himmel verehrt, sondern häufig genug selbst angerufen, ja angebetet: Bleibt da der Monotheismus eigentlich noch gewahrt? Der jetzige Papst ist ferner in der Nachfolge Augustins ein Vertreter des christlichen Platonismus; man denke nur, wie er die Vernunft mit dem fleischgewordenen, göttlichen Logos des Johannesevangeliums identifiziert: So wird Christus zum Inbegriff der Vernunft, die alle bestimmen soll.

Von diesen Vorstellungen haben Sie sich als Philosoph verabschiedet. Was haben Sie jetzt für Ihr Leben gewonnen?

Schnädelbach: Der Verlust des Glaubens ist nicht größer als das, was ich dazugewonnen habe. Ich stelle mir nicht mehr die Frage: Gehöre ich zu den Erlösten, oder gerate ich in die ewige Verdammnis? Wenn man das mal losgeworden ist und sich sagt: »Es gibt ein Leben vor dem Tod« – wenn also die Angst vor der Hölle verschwindet –, dann kann ich auch auf den Himmel verzichten. Das gilt sicher auch für viele junge Leute. Sie wollen intellektuell auf eigenen Füßen stehen, während ein sehr enges Christentum ja aus lauter Denkverboten besteht.

Sie können es sich als Philosoph nicht vorstellen, die Transzendenz, das Göttliche, das Umgreifende durch die Reflexion zu erreichen?

Schnädelbach: Es gibt keine Argumente, durch die man jemanden fromm machen kann. Wir haben zwar eine neue Konjunktur von sogenannten Gottesbeweisen, aber die funktionieren nicht. Wir sind endliche Wesen, wir haben eine kurze Lebenszeit, wir haben das meiste vergessen, was die Menschheit schon mal gewusst hat. Wir leben in Verhältnissen, wo wir angewiesen sind auf andere, wir verfügen nicht über unser Lebensschicksal. Natürlich denken wir über diese begrenzten Gegebenheiten hinaus. Gedanklich überschreiten wir die Grenzen des Endlichen, aber dieses Überschreiten können wir nicht wieder positiv denken, so, als kämen wir dann in der Transzendenz an. Immanuel Kant ist da für mich ein moderner Denker. Er hat klar gesehen: Im Bereich dessen, was unserer Vernunft zugänglich ist, können wir uns nicht auf Gott beziehen. Das ist Ausdruck unserer Endlichkeit.

Es gibt aber doch die Erfahrung des Erhabenen und Unendlichen, zum Beispiel in der Kunst.

Schnädelbach: Ich bin überzeugt: Man muss sehr deutlich unterscheiden zwischen religiösen Erfahrungen und ästhetischen Erfahrungen. Heute glauben zwar viele Menschen, religiöse Erlebnisse im ästhetischen Bereich zu haben. Leute, die sich gar nicht als Christen verstehen, gehen jedes Jahr in die Matthäuspassion und weinen immer an derselben Stelle. Aber da wird das Religiöse bloß in ästhetisierter Form konsumiert, und das hat nichts mit authentischer religiöser Erfahrung zu tun. Die hat man vielmehr dann, wenn man zum Beispiel erlebt, dass etwas wider Erwarten gut ausgegangen ist. Dann möchte man sich bei jemanden bedanken. Oder auch dann, wenn einem eine ganz schlimme Ungerechtigkeit passiert oder man eine schwere Krankheit bekommt: Da möchte man sich bei jemanden beklagen. Aber bei wem? Religiöse Menschen können sich dann an Gott wenden. Ich kann das nicht.

Angesichts dieser Erfahrungen könnten Sie sich doch sagen: Ich kann dem christlichen Glauben als dogmatisch formulierter Lehre nicht folgen, aber ich halte mir die Wirklichkeit eines absoluten Geheimnisses offen.

Schnädelbach: Nur weil wir nicht alles wissen, kann man von Geheimnis sprechen. Aber dieses Geheimnis kann man nicht einfach als das religiös Bedeutungsvolle definieren. Ich sehe dahinter den Versuch, die Begrenztheit unseres Lebens wieder ins Positive zu wenden, und das finde ich nicht vertretbar.

Aber inwiefern äußert sich dann bei Ihnen »das Fromme« in Ihrem Atheismus?

Schnädelbach: Fromm zu sein heißt ja, einer Sache treu zu bleiben und diese auch ernst zu nehmen. Ich frage mich immer wieder: Warum interessierst du dich eigentlich noch für die Religion? Du hast sie doch hinter dir? Und warum regst du dich auf, wenn mit der Religion so viel Missbrauch getrieben wird, wenn sie instrumentalisiert wird? Meine Frömmigkeit ist wohl am ehesten zu beschreiben als ein Widerstreben gegen diesen Missbrauch. Ich bleibe den authentischen Überlieferungen treu.

Meinen Sie damit die Lehren des historischen Jesus? Das »Jesuanische«?

Schnädelbach: Ja, da ist bei mir etwas geblieben, das es mir möglich macht, mir diesen bedeutenden Menschen zur Richtschnur zu nehmen. Aber ich kann auch noch auf andere verweisen. Manchmal habe ich zum Beispiel zu meinen Studenten gesagt: »Das hat Kant formuliert, und weil er es gesagt hat, stimmt es« (lacht) – aber das ist nicht ernst gemeint. Ich beschäftige mich auch viel mit dem alten Bach und finde es unglaublich, dass er ein solches Lebenswerk hinterlassen hat. Oder ich denke an den Dirigenten Georg Solti, der in einem Interview erklärt hat: »Für mich gibt es zwei Gottesbeweise: Das sind Mozart und das Lächeln meiner Kinder.« Aber mit solchen Aussagen sind wir meines Erachtens noch nicht im religiösen Bereich angekommen. Ich sage also: Insoweit ich Jesuaner bin, bleibe ich dabei im Humanen und Kulturellen.

Auch im Politischen?

Schnädelbach: Ob wir das, was wir für authentisch jesuanisch halten, auch politisch verwenden können, weiß ich nicht.
Haben Sie als frommer Atheist auch eine Poesie, die Sie Gebet nennen könnten?

Schnädelbach: Nein. Fromme Poesie, Gebete, habe ich nicht.

Haben fromme Atheisten Interesse an einer Gemeinschaft Gleichgesinnter?

Schnädelbach: Nein. Wenn ich sage: Ich glaube nicht, dass Gott existiert, dann ist die Debatte eigentlich zu Ende. Ich muss nicht noch weiter begründen, dass ich das nicht glaube.

Warum eigentlich nicht?

Schnädelbach: Ich habe ja nichts zu vertreten, und es wäre ein Missverständnis, wenn mein Unglaube als ein anderer dogmatischer Glaube aufgefasst würde. Ich sage nur: Ihr Glaubenden bezieht euch auf etwas, das ich nicht teilen kann. Es ist doch ganz normal in einer Welt so vieler verschiedener Überzeugungen zu sagen: Diese Meinung kann ich nicht teilen.

Wie schätzen Sie die Rolle der Kirchen in Deutschland heute ein?

Schnädelbach: Ich denke angesichts der genannten Probleme im Bereich der Lehre der Kirchen: Das institutionelle Christentum hat sein Ende erreicht, ohne es bemerkt zu haben. Wer versteht noch die Lieder, Predigten, Bibelverse? Das soziale Engagement der Kirchen verdient Respekt. Aber die positiven Energien des Christentums sind übergegangen in einen profanen Humanismus.

Lesetipp: Herbert Schnädelbach: Religion in der modernen Welt. Fischer. 192 Seiten, 12,95 €.

Prof. Herbert Schnädelbach hat sich oft auch mit kirchlichen und theologischen Themen auseinandergesetzt, so auch mit dem Opus von Manfred Lütz “Skandal der Skandale” LINK . Dazu meinte Herbert Schnädelbach LINK
Herbert Schnädelbach wurde 1936 im thüringischen Altenburg geboren. Der Philosoph kommt aus der Schule der Kritischen Theorie, von der er sich aber später abgrenzte. Er veröffentlichte Bücher über Kant, Hegel, Geschichts-, Kultur- und Sprachphilosophie. Sein Kernthema war stets die Frage nach der Vernunft. Immer wieder bezieht er sich auf aktuelle Debatten, zum Beispiel über die Rolle der Religionen oder die Bedeutung der Neurowissenschaften. Er lehrte in Frankfurt am Main, Hamburg und an der Humboldt-Universität in Berlin. Der emeritierte Professor lebt in Hamburg.

Herbert Schnädelbach ist am 9. November 2024 gestorben. Siejhe auch die Würdigung des Philosophen Geert Keil (Berlin): LINK

copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

Max Josef Metzger: Aktiv gegen die Nazis, aktiv für die Ökumene, ein Friedensaktivist…

Jetzt wird Max Josef Metzger von der katholischen Kirche offiziell geehrt als Märtyrer, als „ein Seliger“, also fast schon als ein Heiliger…

Einige Hinweise von Christian Modehn. November 2024.

1.
Max Josef Metzger sollte man kennen: Kurz seine Daten: Er wurde geboren am 3.2.1887 in Schopfheim im Schwarzwald. Er wird hingerichtet durch Enthauptung im Nazi – Gefängnis Brandenburg/Havel am 17.4.1944. Metzger war katholischer Pfarrer zu Zeiten, als sein politisch-radikales und theologisch-mutiges Profil von der Hierarchie noch viel weniger erwünscht war als heute.

2.
Am 17. November 2024 wird Max Josef Metzger im Münster von Freiburg im Breisgau, in seiner badischen Heimat, feierlich selig gesprochen: Das heißt: Die Bischöfe und der Papst wollen – endlich – 80 Jahre nach dem Martyrium des Friedensaktisten, Nazi – Feindes und Vorkämpfers zugunsten der Einheit der Christen ein Zeichen setzen und verkünden: Dieser Max Josef Metzger hatte vollkommen recht mit seinem Widerspruch und seinem Engagement. Sein Martyrium war wohl nicht umsonst, viele Impulse seines Lebens wirken weiter. Man sollte dabei auch wahrnehmen, wie schwer es Pfarrer Metzger hatte in der ängstlichen, oft nazifreundlichen Hierarchie der katholischen Kirche damals.

3.
Max Josef Metzger war seit 1911 Katholischer Priester, mit 23 Jahren erwarb er schon den theologischen Doktorgrad. Er nahm am Ersten Weltkrieg teil, aus Gesundheitsgründen konnte er in seine Heimat zurückkehren und widmete sich dann seit 1917 aktiv zugunsten der damals sehr schwachen Friedensbewegung.

4. Für den Frieden in friedlosen Zeiten
Er gehörte auch zu den führenden Initiatoren und Mitgliedern des „Friedensbundes deutscher Katholiken (FDK)“ und des „Internationalen Versöhnungsbundes“. Zwei Organisationen, die es im damaligen Katholizismus nicht leicht hatten. „Die großen katholischen Verbände wie auch die meisten Bischöfe verhielten sich ablehnend gegenüber dem Friedensbund deutscher Katholiken“ (Fußnote 1)
Am ersten „Demokratischen Internationalen Kongress“ im Jahr 1921 in Paris, mit mehreren tausend TeilnehmerInnen, nahm Metzger auf Einladung des französischen Katholiken Marc Sangnier teil. Als einer der ersten Deutschen nach dem Ersten Weltkrieg hielt Metzger eine Rede über die Verbindung von Demokratie und Frieden.
Auch beim „Interreligiösen Friedenskongress“ 1928 in Den Haag war Metzger dabei, er hielt einen Vortrag über die biblische Friedensbotschaft. Die traditionelle katholische Lehre vom „gerechten Krieg“ lehnte er ab, jeder Krieg war für ihn Verbrechen. Bei der „Internationale der Kriegsdienstgegner“, einem Treffen vor allem von Sozialisten und Kommunisten, war Metzger dabei und schloß sich der Parole an: „Menschen aller Staaten vereinigt euch gegen den Krieg“, der katholische Pfarrer plädierte für einen weltweiten passiven Widerstand gegen den Krieg…. Und er „verurteilte das System des Kapitalismus und predigte einen christlichen Sozialismus. Mit solchen Auffassungen musste er nicht nur kirchlichen Amtsträgern, sondern ebenso den Machthabern des Dritten Reiches als höchst gefährlich erscheinen,“ schreibt der Historiker Georg Denzler (Fußnote 2)

Der VVN Augsburg zitiert Max Josef Metzger: „Das ganze gottverlassene System der Wirtschaft von heute mit ihrer schrankenlosen und gewissenlosen Profitgier führt, ohne daß es dem Einzelnen meist zu Bewußtsein kommt, fast zwangsläufig einmal zu der Katastrophe des Krieges.“ (1930) Und 1932 veröffentlichte Dr. Metzger einen Artikel gegen die nazistische Judenhetze und stand ab 1933 abseits der Auffassung der deutschen Bischöfe. Diese erkannten am 28.3.1933 das neue Regime feierlich an, ermahnten die katholischen Gläubigen zu treuer und gewissenhafter Erfüllung der Staatsbürgerpflichten und untersagten ihnen jegliches rechtswidrige Verhalten. Er formulierte 1934: „Die Kirche muß sich zur Wehr setzen, wo man die Macht zum Götzen erhebt, wo man den Frieden zwischen den Völkern durch rohe Gewaltpolitik gefährdet, wo man den Staat zur Quelle allen Rechtes macht und fremde Rechte nur insoweit gelten läßt, als sie dem eigenen Volke keine Opfer zumuten.“ – Eine Kampfansage gegen das Naziregime. Quelle: LINK

5.
Originell und inspirierend bis heute bleibt Metzgers Einsicht: Frieden gibt es nur, wenn sich die Menschen zum Frieden auch innerlich bekehren. Frieden und Friedensbewegung haben also entscheidend mit Spiritualität zu tun. Nur ein erneuerter humaner Geist, also der immer wieder eingeübte und in Friedenszeiten besprochene Geist des Friedens, kann auf Dauer eine neue humane Welt gestalten. Alle technokratischen, militärischen Überlegungen hinsichtlich der Waffensysteme usw. sind also sinnlos als Aktivitäten der Friedenssicherung, wenn nicht ein erneuerter Geist der Verständigung, des Dialogs alles politische Handeln bestimmt. Friedenspolitik gelingt nur als Bewusstseinsbildung, als politische wie spirituelle Bildung.

6.
Die gelebte Einheit der in Konfessionen gespaltenen Christenheit war für Max Josef Metzger der theologische Mittelpunkt und das Ziel seiner theologischen Bemühungen: Glaubwürdig für den Frieden eintreten kann seiner Meinung nach nur die katholische Kirche, wenn sie selbst die anderen Meinungen und Mentalitäten der anderen christlichen Kirchen respektiert. Metzger wollte nicht länger der offiziell verbreiteten Ideologie folgen: Allein die katholische Kirche sei die einzig wahre Kirche, zu der alle anderen christlichen „Gemeinschaften“zurückkehren sollten. Die von ihm gegründete Gemeinschaft der „Christkönigsgesellschaft“ (Fußnote 3) in Meitingen bei Augsburg setzt(e) sich für die Ziele einer gelebten Ökumene ein.
Metzger war auch Autor zahlreicher spiritueller Texte, Gebete und religiöser Lieder, sie zeigen, wie sehr er als Theologe von der offiziellen katholischen Frömmigkeit geprägt war, der aber doch die Kraft hatte, diese enge konfessionalistische Welt zu überwinden. Die Notwendigkeit seiner  “Christkönig Gemeinschaft”  begründete Metzger in einem Brief aus dem Gefängnis, geschrieben am 2.11.1943, mit heftigen, treffenden Worten: “Die Veräußerlichung und Vergesetzlichung der Kirche, das Verlassen des urchrsitlichen Geistes der Buße, der Gemeinschaft des Dienstes, der Liebe, die Selbstgerechtigkeit gerade bei der zur Führungg Berufenen … der Mangel an lebendigem, zündenden Geist… diese ganze Not der Kirche verlangt eine Erneuerungsbewegung…” (Fußnote 10)

7. Ein Atheist und Kommunist gehört zur Gemeinde Christi…
In seinen „Briefen aus der Gefangenschaft“ schreibt Metzger am 29.8.1943 auch von dem Zusammensein im Gefängnis mit dem „Vorsitzenden des Deutschen Freidenkerverbandes“ (gemeint ist Max Sievers), „der bis vor ein paar Tagen für mehrere Wochen mein Bettnachbar war im berüchtigte Gestapogefängnis in der Prinz-Albrecht-Straße. Trotz der weltanschaulichen Kluft, die uns trennte, standen wir uns doch in gegenseitiger Achtung näher als andere; ich fand in ihm einen Charakter, der vornehm und gerecht urteilte und gute Kameradschaft pflegte – ich möchte meinen, in ihm wirkt unbewusste etwas weiter von christlicher Erziehung vieler Jahrhunderte deutscher Geschichte. … Ja, ich möchte irgendwie einen solchen Menschen mehr zur Gemeinde Christi rechnen als so viele Getaufte, deren Seele unberührt geblieben ist vom heiligen Geist Christi (Fußnote 6). Weiter schreibt Metzger: „Ich habe nicht das Recht, über das jenseitige Schicksal eines Menschen zu urteilen. Jedenfalls ist es mein Glaube, dass verloren im eigentlichen Sinne, zur Hölle bestimmt, nur ist, wer wider seine Gewissensüberzeugung stand. Wie viele Christen sind da freilich schlechter dran als die so genannten ‚Heiden’.” Auch Max Sievers wurde in Brandenburg – Görden enthauptet, am 17.Januar 1943… (Fußnote 4)

8.
Max Josef Metzger hatte in Form einer Denkschrift Pläne ausgearbeitet für den Aufbau der Demokratie in Deutschland und Europa nach dem erhofften Ende des Nazi-Regimes. Den Text sollte ein befreundeter lutherischer Bischof in Schweden nach England weiter reichen. Die Botin nach Schwedin war aber die Gestapo Agentin Dagmar Imgart, sie hat Metzger verraten. (Fußnote 5).
Im Juni 1943 wurde er verhaftet, vom Volksgerichtshof unter dem Verbrecher Roland Freisler am 14. Oktober 1943 zum Tode verurteilt, ins Gefängnis Brandenburg verbracht und dort am 17.April 1944 enthauptet. An den Händen gefesselt konnte Max Josef Metzger noch etliche Briefe und theologische Texte verfassen und seinen FreundInnen und Mitarbeiterinnen zugänglich machen.

9.
Diese Briefe aus der Gefangenschaft zeigen einen Menschen, der das Unrechtsurteil angenommen hat in dem Glauben, dass er sein Leben spirituell aufopfert für den Sieg der Gerechtigkeit. Die Briefe aus der Gefangenschaft (Fußnote 6) zeigen einen Mann, der nur in der engen Verbindung mit seinem Glauben diese Qualen annehmen konnte.

10.  Erzbischof Gröber versucht – scheinheilig – seinem Priester Metzger zu helfen
Wirksame Unterstützung und hilfreiche Solidarität fand Pfarrer Max Josef Metzger bei seinem zuständigen Erz-Bischof Conrad Gröber von Freiburg i.Br. nicht. Die Person Gröber ist unter Historikern noch immer umstritten, wobei Gröber dichte Nähe zum Nationalsozialismus zweifellos eine Tatsache ist: Schließlich war er freiwillig für einige Monate Fördermitglied der SS geworden. Auch wenn er sich von dieser SS – Bindung distanzierte, er blieb ein Bischof, der sich selbst retten wollte und in gewundenen Formulierungen, scheinheilig muss man wohl sagen, seinen Priester Max Josef Metzger in allerletzter Minute noch zu retten versuchte.
Er hatte schon dem „Verteidiger“ Metzgers beim Volksgerichtshof geschrieben und ihm die besondere idealistische Charakterstruktur des Priesters erklären wollen, sozusagen als Entschuldigung für dessen Widerstand gegen die „Regierung“.
Nachdem das Todesurteil am 14. Oktober 1943 vom Volksgerichtshof gefallen war, schrieb Erzbischof Gröber zwei Tage später direkt an den Oberrichter/Verbrecher Freisler vom Volksgerichtshof einen Brief, der mehr die Person Gröbers schützen sollte als dass er Pfarrer Metzger noch retten wollte (Fußnote 7):
„Hochverehrter Herr Präsident des Volksgerichtshofes,
eben erhalte ich die Nachricht über die Verhandlung, die vorgestern zum Todesurteil des Diözesanpriesters Max Metzger geführt hat.
Ich bedaure aufs allertiefeste das Verbrechen (sic !) dessen er sich schuldig gemacht hat…“ Dann schreibt der Erzbischof von seinem Brief an den „Verteidiger Metzgers, einen Dr .Dix, in dem der Bischof Metzger als Idealisten (also eigentlich als einen Dummkopf, CM) bezeichnet hatte. Und der Erzbischof wagte es noch, sich für den Brief zu entschuldigen: „So glaubte ich als sein Erzbischof verpflichtet zu sein, etwas für ihn zu unternehmen.
Mit Ausdruck meiner hohen Verehrung und Wertschätzung Ihr ergebener Conrad, Erzbischof“ (ebd).

Wikipedia über Erzbischof Conrad Gröber (gelesen am 4.11.2024): „Am 12. November 1943 teilte Gröber seinem Diözesanklerus die Verurteilung von Metzger mit, u. a. mit folgenden Worten: „Dieser überaus traurige Fall soll uns eindringlich lehren, dass wir alles und jedes, was dem Vaterland in seiner schweren Zeit und damit auch uns selber irgendwie schaden könnte, peinlichst unterlassen, die ungeheuren Opfer und Erfolge unserer Soldaten im Felde dankbar und fürbittend würdigen, den Mut unserer Gläubigen in der Heimat stärken […], an das furchtbare Unglück eines verlorenen Krieges mit bolschewistischen Folgen denken und Tag für Tag Gott bitten […], dass er unsere Heimat schütze und mit einem ehrenvollen inneren und äußeren Frieden segne.“ (Quelle: LINK)

Über den verstörenden Umgang Erzbischof Gröbers mit den Priestern, die nach einem KZ Aufenthalt 1945 wieder in Freiheit waren und Respekt forderten, wäre zu sprechen. Siehe dazu das Buch des Historikers Georg Denzler in der Serie Piper, Seite 123 ff.

11. Erzbischof Gröber in der Diskussion!
Die Debatte über die zwiespältige Gestalt Erzbischof Gröbers geht zumal im Freiburger Raum sehr heftig weiter, nur nicht jetzt im offiziellen Gedenken an den seligen Pfarrer Metzger.
Die Arbeiten des Historikers Wolfgang Proske haben für Debatten gesorgt etwa zur Umbennnung von Gröber – Straßen und Aufhebung von Gröber – Ehrenbürger-Würden.
Wolfgang Proske schreibt: „Warum hat Gröber nur selten etwas getan, das über den unmittelbaren Vorteil seiner Kirche hinausgegangen wäre? Warum belog er den französischen Gouverneur, er habe nie zur Partei und zu keiner ihrer Organisationen gehört? Wie konnte Gröber am 13. November 1946 sagen: „Soviel ist sicher, dass ich durch die geheime Staatspolizei und ihre Helfershelfer seelisch mehr gelitten habe als viele von denen, die in Dachau misshandelt wurden oder starben“, so fragt Proske und betont: „Ich komme also zum Ergebnis: Gröber hat bis zu seinem Tod seine verhängnisvolle Selbstinstrumentalisierung zur Durchsetzung des NS-Systems nicht verstanden. Er war kein Täter, aber ein Helfershelfer des Nationalsozialismus. (Fußnote 8).

11.

Zum Revisionsurteil des Bundesgerichtshofes am 28. Juni 1956: Freislers Todes – Urteil (Volksgerichtshof) über Dr. Max Josef Metzger ist Mord: “Die Verurteilung Dr.Metzgers und die Vollstreckung des Todesurteils gegen ihn war eine vorsätzliche rechtswidrige Tötung unter dem Deckmantel der Strafrechtspflege.” D.h.: 12 Jahre nach dem Nazi – urteil wird Max Josef Metzger nun für schuldfrei erklärt “und als echtes Blutzeugnis vor die Geschichte unserer Zeit gestellt”, schreibt die verantwortliche Leiterin der von Metzger gegründeten “Christ-Königsschwestern Gemeinschaft” am 17. April 1964 in dem Buch “Für Frieden und Einheit. Briefe aus der Gefangenschaft”, Meitingen 1964, Seite XXIV.

13.
Ein spiritueller Text von Max Josef Metzger:

„Ich muss gestehen, ich habe sie nie gekernt
Die Kunst das Krumme – krumm zu lassen!
Ich konnt` im ganzen Leben nicht erfassen
Dass man bei Notstand höflich sich entfernt…
Ich fürchte fast, es scheitert am Gewissen –
Ich hab ihm allzeit Treue halten müssen:
Wer sich dafür nicht wagt, der ist kein Mensch.!
Geht euren Weg, ich seh euch ohne Neid
Ihr klugen Selbstversorger all, ihr Weisen!
Ich geh den meinen – mögt ihr Narr mich heißen
Mich tröstet meiner Seele Seligkeit!

(Fußnote 9)

…………………….

Fußnote 1:
Zum Friedensbund Deutscher Katholiken, siehe „Hermes Handlexikon: Die Friedensbewegung“ ECON Verlag, 1983, S. 141, Beitrag von D. Riesenberger.
Am 1.7.1933 wurde der „Friedensbund Deutscher Katholiken“ (FDK) von den Nazis verboten, führende Mitglieder verhaftet oder hingerichtet wie Pfarrer Metzger. Im Jahr 1933 zählte der FDK noch 31.500 Mitglieder. In dem Beitrag von Prof. Dieter Riesenberger heißt es weiter: „Nach 1945 unternahmen F.M. Stratmann und andere führende Mitglied des FDK den Versuch einer Neugründung. Die ablehnende Haltung gegenüber der Aufrüstung der Bundesrepublik führte zu heftigen Angriffen gegen den FDK, so daß er sich unter starkem kirchlichen und politischen Druck im April 1951 auflöste“.

Fußnote 2:
Georg Denzler, „Die Kirchen im Dritten Reich“, Band I, Fischer Taschenbuch Verlag, 1984, S. 181.

Fußnote 3:
Das von Max Josef Metzger 1925 gegründete „Christ-König-Institut“ in Meitingen bei Augsburg: Siehe: http://saekularinstitute.de/saekularinstitute/christkoenigs-institut-meitingen

Fußnote 4:
Quelle: https://www.juraforum.de/lexikon/max-josef-metzger
Und: http://www.zerstoerte-vielfalt-humanismus.de/index.html

Fußnote 5:
Die Schwedin Dagmar Ingart, 1896 geboren, war in Deutschland in christlichen Krisen aktiv und seit 1941 Gestapo – Agentin, eine von der ganz üblen Sorte. Nach dem Krieg aus Schweden nach Deutschland ausgewiesen, wurde sie nach mehreren gerichtlichen Verfahren am 14. Juni 1957 unter Aussetzung des Straf-Restes zur Bewährung entlassen. Sie zog zunächst nach Zwingenberg, Bergstraße und und 1960 nach Bensheim. Sie starb am 30. August 1980, 84-jährig, in Seeheim – Jugenheim.

Fußnote 6:
Max Josef Metzger, „Für Frieden und Einheit. Briefe aus der Gefangenschaft“. Kyrios Verlag, 3. Aufl. 1964. Seite 93-94!

Fußnote 7
: wie Fußnote 2, dort S.184 f.

Fußnote 8:
 Armin Heim, Wolfgang Proske und Helmut Weißhaupt nehmen Stellung zur aktuellen Diskussion um Erzbischof Conrad Gröber. Schwäbische Zeitung, veröffentlicht: 28.04.2017.

Fußnote 9:
Zit. in: Georg Denzler, „Widerstand oder Anpassung. Katholische Kirche und Drittes Reich“, Serie Piper, München, 1984, S. 122.

Fußnote 10:

Max Josef Metzger, „Für Frieden und Einheit. Briefe aus der Gefangenschaft“. Kyrios Verlag, 3. Aufl. 1964. Seite 148- 149. Leider ist dieses Buch nur noch antiquarisch zu haben. Fpr mich völlig unverständlich!

……………….

Das „Konradsblatt“, die Zeitung des Erzbistums Freiburg, veröffentlichte mehrere Beiträge über Max Josef Metzger, etwa: LINK

Und jetzt (5.11.2024) veröffentlicht das „Konradsblatt“ aus Anlaß der Seligsprechung am 17.11.2024 ein interessantes Sonder – Heft mit vielen Fotos und Dokumenten über Max Josef Metzger. LINK

Allerdings: Das Thema „Metzger und sein Freiburger Erzbischof Conrad Gröber“ wird darin nicht dokumentiert und kritisch bewertet. Erzbischof Gröber ist wohl immer noch ein Problem für Katholiken im Bistum Freiburg.
Auch Metzgers Hochschätzung des Kommunisten und Freidenkers Max Sievers wird in dem umfangreichen Sonderheft nicht erwähnt. Das wäre doch mal ein Hinweis zum Thema “Dialog Katholiken und Atheisten”! Dieser Verzicht ist zudem bedauerlich, weil Sievers für die Feuerbestattung eintrat, was Katholiken damals verabscheuten. Aber mit dem 2. Vatikanischen Konzil wurde die Feuerbestattung auch Katholiken – halbherzig – erlaubt. Für Priester immer noch ein Tabu. Ausnahmen: Der niederländische Priester Herman Verbeek ließ die Asche seines Körpers über der See ausschütten; der katholische Bischof Jacques Gaillot, Frankreich, bestimmte, dass seine Asche über einem Armenfriedhof bei Paris ausgestreut wird…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Die Hedwigskathedrale wird neu eröffnet

Die Toleranz eines Kirchenkritikers: König Friedrich II. fördert den Bau einer katholischen Kirche in Berlin.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 7. 11.2024

Das Bild zeigt die Katholische St. Hedwigskathedrale zu Berlin im Jahr 1777, als Johann Georg Rosenberg (1739 – 1806) diese Radierung schuf: Gesehen von der Französischen Straße aus. Der Preußenkönig Friedrich II. ist der Initiator dieser ersten katholischen Kirche seit der Reformation; Friedrich II. war bekanntlich ein heftiger kirchenkritischer und religionskritischer Geist; aber er von der Philosophie der Aufklärung (Voltaire war sein liebster Brief – und Gesprächspartner) bestimmt und deswegen der Toleranz auch gegenüber den Kirchen verpflichtet. Ein Freigeist also hat den Bau dieser St. Hedwigskirche im Zentrum des damaligen (und heutigen) Berlin ermöglicht,  er hat den Bau ausdrücklich gewünscht und gefördert. Wer diese Kirche heute sieht und besucht, sollte wissen: Dieses “Gotteshaus” ist ein Ausdruck aufklärerischer und kirchenkritischer Philosophie. Wer dort predigt, könnte doch bei aller Bibeltreue und üblicher Dogmenbindung den Geist der philosophischen Aufklärung respektieren und … verkünden! Es ist der Geist der Menschenrechte, selbstverständlich auch IN der Kirche geltend!

1.

“In seiner Großzügigkeit ging Friedrich II.  der Große über die von seinem Vater den Katholiken gewährte Duldung weit hinaus und gab ihnen zusätzlich auch noch die staatsrechtlich verbindliche Zusage der freien Religionsausübung. Sein Beispiel hat wie ein Erdrutsch gewirkt und dazu beigetragen, die konfessionellen Gegensätze zu entschärfen und echte Toleranz anzubahnen”, so der Historiker Josef Mörsdorf in “Kirchliches Leben im alten Berlin”, erschienen im katholischen Morus – Verlag, Berlin 1962, s. 136 f..

Und man wird erneut dokumentieren müssen, wie viele der katholischen Könige und Fürsten in den katholischen Stammländern Spanien, Frankreich, Österreich oder im Papsttstaat Vatikan usw. zu Zeiten Friedrichs II. in ihren Ländern den Bau protestantischer Kirchen erlaubten und sogar förderten. Da sieht die Antwort ziemlich düster aus…Das heißt: Auch wenn Friedrich II. innenpolitische, strategische Überlegungen für den Bau der katholischen St. Hedwogskirche hatte: Er hat in dem Fall einem philosophischen Aufklärer entsprechend gehandelt, was die Herrscher der genannten katholischen Ländern in ihrer Bindung an katholische Dogmen eben nicht taten…Über Friedrich II. als Religionsphilosoph siehe LINK.

2.

Die St. Hedwigskathedrale wird nach einem umfassenden Umbau am 24. November 2024 erneut eingeweiht. Es gab zuvor aussichtslose Debatten über den Sinn dieses Umbaus LINK, die Debatten wollen wir hier nicht wiederholen. Der Klerus hat sich durchgesetzt, wie immer.

Die ursprünglich veranschlagten Umbau – Kosten von 43 Millionen Euro konnten nach Angaben des Erzbistums Berlin gehalten werden – nicht zuletzt durch eine Reduzierung der Planung. LINK.

Auf diese hohen Kosten (an denen sich selbstverständlich auch der Staat beteiligte !, es gilt ja die Trennung von Kirche und Staat ?) hinzuweisen ist deswegen wichtig, weil im allgemeinen die Kleriker über knappe finanzielle Mittel der katholischen Kirche in Berlin – wie in Deutschland im ganzen – klagen, wegen der vielen tausend Kirchenaustritte.

Bekanntlich werden bereits katholische Kirchen in Berliner Bezirken und im Land Brandenburg geschlossen, verkauft und abgerissen. Der Klerus mutet den verblieben (vor allem älteren) Katholiken lange Wege zu, um noch eine Messfeier zu erleben.

Die Fixierung der Kirchenleitung auf ein zentrales, repräsentatives und touristisch attraktives und teures Gebäude bleibt also erstaunlich. Diese attraktive Präsenz im Herzen der touristischen Zone „Unter den Linden“ ist also wichtiger als Präsenz zu erhalten zugunsten der kleinen Gemeinden.
LINK

3.

In Berlin lebten 2023 – laut Information des Erzbischöflichen Ordinariates vom 24.6.2024 – 275.399 Katholiken; 31.000 weniger als im Jahr 2020. An der Sonntags-Messe nahmen in Berlin 2023 noch 27.814 Personen teil. Diffenzierte Angaben zum Alter der Teilnehmer an der Messe werden nicht gemacht, ebenfalls fehlen Zahlen über die Internationalität der katholischen Mess-Teilnehmer.  Ihr Anteil dürfte beträchtlich sein.

4.

Besucher können überrascht sein: Es sind Stühle, keine Bänke, als Sitzgelegenheiten in der Kathedrale vorgesehen, großartig ! Wenn dann mal nicht konservative Katholiken sich wie immer erregen: „Das ist ja protestantisch…“
Aber der Altar in der umgestalteten Kathedrale steht absolut in der Mitte, auf ihn fällt von oben das Licht (Gottes bzw. das der Aufklärung Friedrich II. „siècle des lumières“ ?).
Diese herausragende Stellung des Altars, an dem die Priester zelebrieren, ist Ausdruck der katholischen Dogmen: Der Priester steht entscheidend immer im Mittelpunkt, nur er feiert das Wichtigste der katholischen Lehre, die Eucharistie. Darum gilt er als unersetzbar und am wichtigsten! Warum? Weil Christus das angeblich so gewollt hat… behauptet eine fundamentalistische Bibel-Auslegung bis heute, trotz theologisch – wissenschaftlich ganz anderer Argumente. Aber die zählen nicht im Vatikan.

5. ERGÄNZUNG zum Umbau des benachbarten HAUSES, “Bernhard Lichtenberg Haus” genannt, der Umbau/Neubau wird teurer als geplant:

“Für Sanierung und Teilumbau des Bernhard-Lichtenberg-Hauses waren damals insgesamt 17 Millionen Euro vorgesehen. Die prognostizierten Gesamtkosten für die Fertigstellung bis frühestens Ende 2025 liegen nun laut Erzbistum bei rund 33,8 Millionen Euro. Gründe seien Verzögerungen durch die Pandemie, bei Genehmigung und Abriss sowie eine Kostensteigerung durch den Krieg in der Ukraine. Im Lichtenberg-Haus sollen laut ursprünglicher Planung künftig ein “Wissenschaftszentrum” zum Dialog über ethische oder interreligiöse Fragen, ein niedrigschwelliges Caritasangebot sowie der Dienstsitz des Erzbischofs untergebracht werden.
Gesamtkosten: 78 statt 60 Millionen Euro
Die prognostizierten Gesamtkosten für beide Teilprojekte belaufen sich damit auf 78 Millionen Euro, statt ursprünglich 60 Millionen Euro. Zur Finanzierung gibt es staatliche Zuschüsse: Zwölf Millionen Euro vom Bund und acht Millionen Euro vom Land Berlin. Ferner geben die deutschen Bistümer zehn Millionen Euro dazu. Laut Erzbistum konnte eine ursprünglich erhoffte zusätzliche Unterstützung in Höhe von weiteren zehn Millionen Euro durch einzelne Bistümer “nicht realisiert werden”. Ferner seien aus ganz Deutschland rund 600.000 Euro Spenden eingegangen.” Kath.de am 13.11.2024.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer-Salon.de

 

Was ist Aufklärung? Ausstellung im “Deutschen Histor. Museum“ Berlin.

Vernunft ist Licht. Und Licht ist stärker als Dunkelheit in Politik, Wirtschaft und Religionen…

Ein Hinweis von Christian Modehn am 1.11. 2024,

Vorwort:
Die philosophische Aufklärung sollte man übersetzen mit „ Herrschaft der universellen Vernunft“. Und das ist: „Universelle Herrschaft der Menschenrechte“.
Aber: Wir leben noch nicht in einem „aufgeklärten“, vernünftigen Zeitalter! Sondern wir leben in einem Zeitalter der mühsamen, tätigen, stets bedrohten Aufklärung. Menschen streben nur nach umfassend herrschender Vernunft, das betont Immanuel Kant in seinem Aufsatz „Was ist Aufklärung“ (1784) (Fußnote 1).
Wohl wahr: Wenn man sich umsieht und diese Gestalten bewertet, die heute politisch die Menschheit verwirren und beherrschen: Trump, Putin, Xi, Orban, Erdogan und sehr viele andere, dann hat Kant recht. Aber es gilt, die Hoffnung auf die Herrschaft der Aufklärung, d.h. der Vernunft und Menschenrechte, zu bewahren. Das ist die Grundeinstellung von Kant, des Aufklärers.

1.
„Wenn Sie nicht die totale Dunkelheit bevorzugen, die keinen Ausweg läßt und in der Sie wahrscheinlich – orientierungslos – umkommen, dann sollten Sie das Licht hüten und pflegen und lieben. Das Licht aber ist die menschliche Vernunft.“
So könnte man die Erkenntnis der Philosophie der Aufklärung des 18. Jahrhunderts (bis heute gültig) „für alle nachvollziehbar“ formulieren: Aufklärung ist identisch mit der Kraft des Lichtes, lumière, enlightenment…

2.
Ohne Licht kommen (und kamen) sogar die Liebhaber der Finsternis, der Dunkelheit und des Dämmerzustandes nicht aus, die Freunde der verschwindenden Sonne oder des ständigen Nebels, in dem die Willkür der Herrscher es so leicht hat.
Aber auch diese Herrschaften brauch(t)en das Licht als die schwache Kraft ihres egoistisch verformten Verstandes: Sie wollten schließlich doch auch zusammenhängende, logisch erscheinende Sätze zugunsten ihrer totalen Herrschaft publizieren. Ohne (etwas) Licht also gibt es niemals und für keinen geistvolles Leben. Und darum ist alle Abwehr der vorrangigen Geltung des Lichtes der Vernunft falsch.

3.
Eigentlich eine Selbstverständlichkeit: Licht ist größer und wichtiger als Finsternis und Dunkelheit. Wer etwa die Vielfalt der Dunkelheiten differenziert verstehen, also „ausleuchten“ will, kommt nicht ohne Licht aus! Ohne Licht, ohne Aufklärung, ohne Vernunft kein humanes Leben, auch nicht in Staat und Gesellschaft.

4.
Große Worte, gewiss! Aber vielleicht haben sie noch eine Wirkung in dieser dunklen, von Feinden der allgemeinen universell geltenden Vernunft getrübten Gegenwart. Die autokratischen und faschistischen Regierungen werden immer zahlreicher, die demokratischen, liberalen und sozialen Demokratien sind jetzt längst eine Minderheit. Für die universell geltende Vernunft muss heute gestritten, wenn nicht gekämpft werden.

5.
Die Philosophie der Aufklärung sagt heute: Die Menschenrechte für alle sollen auch gelten für alle. Menschenrechte sind eine europäische „Entdeckung“, aber sie werden weltweit hoch geschätzt, selbst in Diktaturen, von den unschuldigen demokratischen Opfern in den Lagern und den Dissidenten in den Gefängnissen: Es ist in den Folterkammern der Schrei nach Gerechtigkeit vernehmbar, und dies ist der Schrei nach den Menschenrechten, also nach der allgemein geltenden Vernunft, nach der Aufklärung!
Demokratie ist zwar eine anspruchsvolle Staatsform, allzu oft korrumpiert von unwürdigen sich demokratisch nennenden Politikern, die mehr den Sprüchen ihrer Lobbyisten folgen als den Grundprinzipien und dem wahren Geist (Spiritualität!) der Demokratie. Trotzdem, wir haben wirklich keine Alternative: Demokratie als eine sich stets verbessernde, d.h. reformierende und kritisierbare Staatsform ist die beste denkbare Regierungsform.

6.
Soweit unsere Einstimmung für einen Besuch der Ausstellung „Was ist Aufklärung? Fragen an das 18. Jahrhundert“ im „Deutsches Historisches Museum“ (DHM) in Berlin (bis zum 6.4.2025).
Im 18. Jahrhundert waren Philosophen, Literaten, Künstler und einige protestantische Theologen in etlichen Ländern Europas, auch in den deutschen Staaten, leidenschaftlich interessiert, das alte System autoritärer Regime und deren Denkzwänge zu überwinden: Die allgemeine menschliche Vernunft sollte gelten, und nicht die begrenzt – egoistischen Ideologien der Herrschenden. Sie bedienten sich oft genug religiöser (Wahn-)Vorstellungen als stützende Ideologie. Wichtig wurden Ende des 18. Jahrhunderts in Deutschland auch die Debatten in der viel beachteten „Berlinischen Monatsschrift“, dort publizierte Immanuel Kant im Dezember 1784 seinen bis heute inspirierenden Aufsatz „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“ Kants Beitrag richtete sich an den kleinen Kreis der elementar Gebildeten, der des Lesens Kundigen und der Diskussion fähigen (leider meist nur männlichen) Bürger. Heute ist die Debatte über Aufklärung, Vernunft und Freiheit universell, auch dabei zeigt sich der „Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit“, wie Hegel sagte.

7.
Die Ausstellung im Deutschen Historischen Museum (DHM) führt, wie gesagt, zu den Ursprüngen der Aufklärung, ins 18. Jahrhundert. Ausstellungen zur Geschichte des Denkens und der Philosophie sind bekanntlich eher anspruchsvolle, nicht schnell konsumierbare Veranstaltungen, die zum Betrachten vom Büchern, Erstdrucken, Bildern, Gemälden, Videos, Gegenständen einladen. Philosophische Ausstellungen fordern zum nachdenklichen Lesen auf, zum Verweilen, zum Gespräch im kleinen Kreis. Schade, dass das DHM keine kleinen Salon – Räume als Orte des Gesprächs innerhalb der Ausstellung anbietet…
Aber die Ausstellung kann nur eine Art Einführung und Hinführung sein, sozusagen eine Aufforderung, das Thema weiter zu bedenken und zu studieren.
Darum ist in unserer Sicht der Begleitband zur Ausstellung sehr hilfreich: Raphael Gross und Liliane Weissberg haben das Buch unter dem Titel der Ausstellung herausgegeben, erschienen ist es im Hirmer Verlag, es hat 336 Seiten, enthält viele Abbildungen, es kostet im Museum 30 Euro. Alle Essays wurden eigens für dieses Buch verfasst!

Paul Franks (Prof. für Philosophie und jüdische Studien an der Yale University) erklärt die Haskala, also die Gestalt der “jüdischen Aufklärung”. Für sie setzte sich Philosoph Moses Mendelssohn ein (S. 133ff.): “Mendelssohn trug zur Wiederbelebung einer selbstbewussten deutschen rationalistsichen Tradition bei…” (S. 136).

Moses Mendelssohn

8.
Wir können hier nicht auf die 28 Essays des Buches im einzelnen eingehen. Das Buch ist systematisch gegliedert von „Ein Klärung des Begriffs“ über die „Ordnung der Welt“ und die „Geschlechterrollen“ und die „Gleichheit der Menschen“ bis hin zu „Publikationsmedien und öffentliche Räume“…
Unter der Frage „Was bleibt?“ ist einer der wichtigsten Texte des Buches publiziert, der Beitrag des us-amerikanischen Philosophen Peter E.Gordon mit dem Titel „Das Erbe der Aufklärung“ (Seite 291-299). Und weil Jürgen Habermas nicht fehlen darf bei dem Thema: Er hat seinem kurzen Beitrag den Titel „Was ist Aufklärung“ (S. 300 – 302) gegeben in der abschließenden Rubrik „Was bleibt“.

9.
Einige wichtige Hinweise zu den Essays, als Einladung, selber zu lesen und weiter zu denken:
Die Verbindung von Licht (Sonne) und Geist bzw. Vernunft und Freiheit wird schon von Platon in seinem „Höhlengleichnis“ beschrieben, betont der Philosoph Volker Gerhardt (S. 281).

Das philosophische Eintreten und Kämpfen für die Aufklärung gibt es schon vor dem 18.Jahrhundert und es ist keineswegs auf Europa begrenzt.

Aber im 18. Jahrhundert konnten nur die gebildeten Bürger Freunde und Täter der Aufklärung werden. Entsprechende Bücher hatten damals keine größere Auflage als 2000 bis 3000 Exemplare.

10.
„Die“ Aufklärung wurde und wird pauschal schlecht geredet, vor allem auch von konservativen und reaktionären Literaten. Sie geben etwa der philosophischen Aufklärung die Schuld am Niedergang alter Werte, sie behaupten, „die“ philosophische Aufklärung habe nur zu einer technokratischen Verengung des Verstandesbegriffs geführt, letztlich für eine seelische Verarmung gesorgt. Dabei ist es zurückzuweisen, dass so oft pauschal von „die Aufklärung“ die Rede ist. „Die Aufklärung“ als tätiges Subjekt kann es gar nicht geben, es sind immer Menschen, Subjekte, die mehr oder weniger für die Aufklärung – oder nicht – eintreten. Erst wer Namen nennt von Protagonisten der Aufklärung in Politik, Ökonomie, Religion, Kirchen, Kultur usw. kann ernstgenommen werden in seiner Aufklärungskritik.

11.
Theodor W.Adorno und Max Horkheimer gehören wegen ihrer Publikation „Dialektik der Aufklärung“ zentral in die Debatten über die Bedeutung der philosophischen Aufklärung . Das Buch, „Dialektik der Aufklärung“, wurde von den beiden Autoren 1939 – 1944 im amerikanischen Exil erarbeitet, 1947 in New York publiziert und dann in Europa erstmal 1947 in Amsterdam. Kaum ein anderes Buch hat so heftige Debatten inszeniert, das Thema füllt ganze Bibliotheken. Jürgen Habermas etwa bemerkte kritisch in seinem Buch „Philosophischer Diskurs der Moderne“ , die beiden Autoren hätten sich zu Zeiten des Faschismus übertrieben und hemmungslos ihrer Skepsis hinsichtlich der Vernunft – Geltung überlassen, vor allem: Sie seien ihrer eigenen Skepsis nicht skeptisch begegnet. (Fußnote 2).
Für mich ist, wie schon gesagt, der Beitrag des us-amerikanischen Philosophen und Philosophiehistorikers Peter E. Gordon in dem Band zur Ausstellung im DHM ganz wichtig: Er hat sehr ausführlich auch früher schon das Werk von Adorno/Horkheimer untersucht: „Trotz ihres Pessimismus haben Adorno und Horkheimer stets geglaubt, dass Vernunft und Emanzipation intrinsich (wesentlich) miteinander verbunden sind. In diesem Punkt wurden sie von vielen mißverstanden. Die beiden haben nicht verkündet, dass sich die Aufklärung selbst widerlegt habe, sondern betont, dass die Menschheit nur dann wahrhaft frei sein kann, wenn sie den höchsten Idealen der Aufklärung treu bleibt“ (S. 295). Durch die Benennung des falschen Lebens und der missratenen Aufklärung wollen Adorno und Horkheimer nur die Idee eines wahren und richtigen Lebens festhalten. In einer Besprechung von Gordons Buch „Prekäres Glück“ in der NZZ heißt es treffend: „Mit der durch das Denken gewonnenen Erkenntnis über den desaströsen Zustand der Welt ist die Möglichkeit gegeben, diesen Zustand zum Besseren hin zu verändern.“ (NZZ, 27.3.2024).
Die schon übliche Kritik, wenn nicht Verurteilung „der“ Aufklärung wiederholt hingegen meines Erachtens der Philosoph Gunnar Hindrichs (Basel) in dem Buch des DHM, der Titel seines Beitrags „Der lange Marsch zur Mündigkeit“ (S. 57 ff.). Er deutet, wie schon so oft gehört, die Französische Revolution (1789 ff) als Ausdruck der irregeleiteten Aufklärung: „Die Negativität der Aufklärung hatte es mit der Unfähigkeit zu tun , den Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit in einer Revolution durchzuführen, die menschlich bleibt.“ (S. 65). Sehr pauschal und etwas kryptisch auch das Urteil Gunnar Hinrichs am Schluß seines Essays: „Wenn wir nun die Frage stellen: Was ist Aufklärung? dann zeigt sich: Aufklärung ist ein Weg, der sich selbst zu zerstören droht und nur in der Verarbeitung seiner Selbstzerstörung weitergegangen werden kann. Wer das tut, macht sich wesentlich (?, Heidegger läßt grüßen, CM) auf den Weg – auf den langen Marsch der Aufklärung.“(S. 67).

12.
Lesenswerter ist der Beitrag der us – amerikanischen Politologin Anne Norton über „Das Bekenntnis zur Gleichheit der Menschen“ (S. 187 ff). „Im Zeitalter der Aufklärung begann die Idee der Gleichheit der Menschen die auf Wohlstand und Status beruhenden Hierarchien in Europa hinwegzufegen. Die Revolutionen  beflügeln noch immer unser Denken, unser Handeln und unsere Hoffnungen“ (S. 187). Die Reichen und Mächtigen begegneten der Forderung der Armen nach Gleichheit „durch die Unterscheidung zwischen politischer und ökonomischer Gleichheit. Diese unaufrichtige Unterscheidung beschäftigt uns bis heute“. (S. 188). Das heißt : Die Armen dürfen in der Gunst der Herrschenden zwar politisch an Wahlen teilnehmen, aber ihre berechtigten Forderungen nach Einschränkung des unsittlichen Reichtums der Milliardäre wird ignoriert: Eigentum auch maßlos ist im Kapitalismus das Heiligste des Heiligen. „Die Revolutionen und Verfassungen, die die Aufklärung vorangetrieben hatten, veränderten zwar die Welt, aber es gelang ihnen nicht, die sich wandlende Macht der Hierarchien zu überwinden.“ (S. 190) …“Das Zeitalter der Aufklärung war auch das Zeitalter der Imperien… Die Kolonisierung bleibt die immerwährende Schande.“ (S. 192).
Aber Anne Norton zieht daraus die Konsequenz: „Wie alle großen Errungenschaften der Aufklärung ist auch die Gleichheit der Menschen nicht irgendwann abgeschlossen. Die Vernunft hat kein Ende. Freiheit wird nicht durch eine einzige Revolution gewonnen, sondern durch kontinuierliches Streben nach revolutionären Zielen“ (S. 194).

13.
Auf die Kritik der Aufklärungsphilosophen an den Religionen und Kirchen wird in dem Buch zur Ausstellung im DHM mehrfach hingewiesen, etwas ausführlicher in einem Beitrag von Margaret Jacob über „Die Religion im Europa der Aufklärung“ (S. 125-132). Für uns wichtig der Hinweis zur religiösen Toleranz in den Niederlanden schon im 17.Jahrhundert: Dort fanden ihres Glaubens wegen Verfolgte eine Zuflucht, nicht nur Juden, auch christliche Minderheiten, wie die Sozinianer, die sich gegen das Trinitätsdogma wehrten und verfolgt wurde. „Innerhalb des niederländischen Protestantismus gab es viele Gruppen, die für religiöse Toleranz eintraten“, schreibt Margaret Jacob (S. 127.) Leider vergißt sie die bis heute in der Hinsicht wichtigen protestantischen Remonstranten (auch früher “Arminianer” genannt) zu würdigen… immerhin erwähnt sie etwas ausführlicher die „Etablierung der Freimaurerlogen“…

14.
Über den Katholizismus und die Aufklärung hat der katholische Kirchenhistoriker Prof. Hubert Wolf eine Aufsatzsammlung veröffentlicht: „Verdammtes Licht“ ist der Titel. (C.H. Beck Verlag, 2019.

15.
Über Kants nach wie vor inspirierenden Vorschlag, eine christlich Vernunftreligion zu gestalten, siehe: LINK.

Über den christlichen Glauben des Aufklärers Voltaire: LINK 

Über einen aufgeklärten katholischen Priester: Abbé Meslier:LINK 

16.
Das Deutsche Historische Museum: www.dhm.de/aufklaerung
www.aufklaerungnow.de   Offen Montag bis Sonntag von 10.00 bis 18.00 Uhr.

Fußnote 1:
Immanuel Kant, „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“, in: der., „Zum ewigen Frieden und andere Schriften“, Fischer Taschenbuch Verlag, 2008, dort das Zitat S. 31.

Fußnote 2:
Jürgen Habermas: Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1981, S. 156.

 

“Was ist Aufklärung? Fragen an das 18. Jahrhundert”. Das wichtige Buch zur Ausstellung im Deutschen Historischen Museum Berlin (DHM) hg. von Raphael Gross und Liliane Weissberg, 130 Abbildungen in Farbe!, HIRMER VERLAG,  München, 336 Seiten, 30 € in der Ausstellung. Auswärts, also Ladenpreis: 39, 90 €.

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

Die katholische Kirche kann sich nicht reformieren.

Franziskus ist „Der Papst der Enttäuschungen“.
Ein Buch – Hinweis von Christian Modehn am 27. Okt. 2024.

1.
Wer die katholische Kirche verstehen will, muss sich immer mit dem Papsttum und den Päpsten und der Klerus – Hierarchie befassen. Das gilt auch jetzt, nach dem Ende der so genannten „Weltsynode“ in Rom.

2.
Über Papst Franziskus muss also gesprochen werden: Aber jenseits von illusorischen Hoffnungen und Erwartungen der verschiedenen katholischen „Reform-Gruppen“ wie auch jenseits der expliziten Gegner, wenn nicht Feinde von Papst Franziskus aus dem sehr konservativen, wenn nicht reaktionären Lager, zu dem bekanntlich auch einige Kardinäle gehören (man denke an Kardinal Gerhard Ludwig Müller)…

3.
Der Theologe und Journalist Michael Meier, lange Jahre Redakteur beim angesehenen „Tages-Anzeiger“ in Zürich, bietet in seinem grundlegenden Buch, das er bescheiden „Essay“ nennt, einen wichtigen und ab sofort zweifellos maßgeblichen Zugang zur Persönlichkeit, zur Theologie und Spiritualität von Papst Franziskus in 11 Kapiteln, leicht nachvollziehbar und trotz aller Erschütterungen im katholischen Inhalt schön zu lesen.… „Der Papst der Enttäuschungen“ ist der Titel. „Warum Franziskus kein Reformer ist“ der Untertitel.
Michael Meier kennt sich bestens in der katholischen Kirche, ihren Theologien und Machtverhältnissen aus. Aber er hat nicht die Hemmung und Angst, die nur allzu oft katholische Autoren im Umgang mit Papst Franziskus haben: Michael Meier ist reformierter Christ, hat aber auch in Rom und in Fribourg (CH) katholische Theologie studiert.

4.
Die grundlegende, reich dokumentierte Erkenntnis Michael Meiers heißt: Papst Franziskus ist kein Reform-Papst, er ist also kein „Pontifex Maximus“, der wirklich seine Kirche mit einem großen Sprung endlich nach vorn, in die Moderne, mit der auch in der Kirche geltenden Menschenrechten und Frauenrechten (!), führen will: Papst Franziskus ist für den Autor vor allem der Seelsorger, durchaus populär orientiert, leutselig oft manches daher plaudernd, immer aber auch mit dem Wunsch, in den Medien groß „rauszukommen“.
Aber als Jesuit will der Papst mit allem Eifer bis zum Einsatz der allerletzten physischen Kräften „allen alles werden“, ein eigentlich unmögliches Unternehmen! Aber selbstverständlich will der Seelsorger – Papst besonders den Frommen alles recht machen: Darum des Papstes heftige Vorliebe für die Marien-Verehrung, für den Ablass (Martin Luther dreht sich im Grabe mehrfach um), für das Bittgebet, für die Reliquien, für das „heilige Jahr“, ja letztlich auch für den herausgehobenen Stand der Kleriker: Selbst wenn der Papst manchmal heftig den Klerikalismus etwa im Vatikan kritisiert: Abgeschafft hat er die Sonderstellung des Klerus nicht. Er könnte als Papst so viele sinnlose Kirchengesetze sofort abschaffen, wie das Zölibatsgesetz für Priester, aber macht es nicht. Auch für die Ordination von Frauen sei „die Zeit nicht reif“, sagt er: Woher er das weiß, bleibt offen, aber ein Papst lebt davon, einen besonderen Draht zum Geist (der Zeit) in der Kirche zu haben. Hinter solchen Sprüchen des Papstes verbergen sich Macht – Ansprüche. „Die große Öffentlichkeit nimmt nicht wahr, dass der Papst mit zwei Zungen spricht: Als barmherziger Reformer und Seelsorger in Interviews, als Hüter der Lehre in lehramtlichen Schreiben. Die zentnerschwere Tradition und Lehre ist es, die den mehr praxisorientierten und wenig intellektuellen Papst an Reformen hindert, nicht die halsstarrige Kurie.“ (S. 171.)

5.
Damit ist schon in etwa das weite Feld angedeutet, in dem sich die Studien und Erkenntnisse von Michael Meier in seinem Buch zeigen. Der Autor folgt der chronologischen Achse der Regierungszeit seit 2013 bis heute. Dabei schaut Michael Maier genau hin, etwa wenn er das Interview des Papstes mit dem Jesuiten Antonio Spadaro für die Jesuiten – Zeitschrift “Civiltà Cattolica“ von Juni 2013 besonders wichtig findet oder aber auch die große Gruppe der römischen Vatikanologen kritisch betrachtet: „Die vom Vatikanologen und Journalisten Marco Politi geprägte Lesart von dem an der Kurie gescheiterten Reformer Papst Franziskus hält sich hartnäckig, und Politi hält hartnäckig an ihr fest. Je weniger Franziskus seine versprochenen oder angedeuteten Reformen umsetzt, umso aggressiver lässt Politi dessen Gegner auftreten. An der Kurie tobt ein Bürgerkrieg, wiederholt er heute mantraartig. Politi und die anderen Macher des Images vom bekämpften Reformer sind sich kaum bewusst, dass sie mit ihrem Narrativ einem gängigen Mythos aufsitzen.“ (S. 174.)

6.
Wenn Papst Franziskus Reformen einleitet, sind das immer kleine Reförmchen, das muss man als objektiver Beobachter sagen: „Franziskus hat erheblich mehr Frauen mit Leitungsaufgaben betraut als jeder andere Papst vor ihm. Solange er aber Frauen nicht zur Weihe zulässt, kann man nicht von einer wirklichen Reform oder von einem qualitativen Sprung sprechen. Obwohl neuerdings in der Kirche von einer teilweisen Entkoppelung von Weihe und Verantwortung gesprochen wird, bleibt die Leitungsvollmacht an die den Männern vorbehaltene Weihe gebunden.“ (S 106.) Oder: Man denke an die nun erlaubte Möglichkeit, dass sich katholische Homosexuellen – Paare segnen lassen dürfen: Aber nicht etwa in einem eigenen feierlichen Gottesdienst im Kirchengebäude… so soll jegliche Verwechslung mit der für heilig und normativ gehaltenen Ehe von Heterosexuellen ausgeschlossen werden. Diese Segnung – Angebote des Vatikans kommen mindestens 50 Jahre zu spät: In Europa interessiert sich kaum noch ein katholisch verbliebener Homosexueller für solche Aktionen, zumal dann vielleicht Priester segnen, die in ihrem Herzen eher gar nicht so „gay-friedly“ sind. Oder es bedauerlich finden, dass sie selbst mit ihrem (heimlichen) Partner nicht auch gesegnet werden dürfen…

7.
Bei der Lektüre des wichtigen, inspirierenden Buches „Der Papst der Enttäuschungen“ von Michael Meier stellt sich immer wieder die weiterfühernde Frage: Kann es bzw. darf es eine letztlich uniform klerikale Kirche wie die römisch – katholische mit einem Papst an der Spitze angesichts der Pluralität dieser Welt und ihrer Kulturen eigentlich noch geben? Kann ein Papst für 1,4 Milliarden in allen Ländern dieser Erde der „Papa“ sein? Wie behält der jetzt 87 Jährige Greis den Überblick? Sollte die katholische Kirche sich nicht besser in 5 bis 6 Zentren mit Patriarchen bzw. Matriarchinnen (wenn es das Wort überhaupt geben darf) auflösen? Das wären Themen…

8.
Auch das dunkle, kaum ausgeleuchtete Thema „Papst Franziskus alias Jesuitenpater Bergoglio und die Jesuiten“ wird von Michael Meier angesprochen. Er nennt etwa Konflikte Bergoglio mit dem Orden, auch mir dem damaligen Ordensoberen Pater Arrupe (S. 151).
Michael Meier zeigt auch die große Vorliebe des Papstes für den Patriarchen Kyrill von Moskau, den Putin – Ideologen und Kriegs – Treiber (S 136, 139), Moskau und sein Patriarch ist dem Papst wichtiger als die Ukraine. Warum? Weil der Patriarch von Moskau letztlich für ein ökumenisches Arrangement mit dem Katolizismus wichtiger ist…Schon der polnische Papst liebte doch die Orthodoxen viel mehr als die „häretischen Protestanten…

9.
Michael Meier kann natürlich nicht alle drängenden Fragen im Zusammenhang mit Papst Franziskus umfassend untersuchen. Etwa: Mit welcher Inbrunst wird der Papst die nicht mehr nachvollziehbaren Konzilsbeschlüsse und Glaubens – Bekenntnisse von Nizäa 325, also vor 1.700 Jahren, repetieren und abermals durchkauen und selbstverständlich als weiterhin absolut gültig für Katholiken von Island bis Papua – Neuguinea empfehlen? Eine neue, zeitgemäße und der theologischen Wissenschaft entsprechende Christologie als Jesulogie ist von ihm nicht zu erwarten. So werden die Katholiken zwischen Island und Neu – Guinea nach wie vor bekennen d.h. bloß daher – reden: „Christus ist gezeugt, aber nicht geschaffen“ und so weiter…
Es müßte also die Dogmatik (und der “Codex Iuris Canonici” sowieso) endlich entrümpelt werden: Etwa: Warum ist es verboten, ein Christentum ohne Erbsünde zu denken? Darüber lohnen sich Debatten. Weil nämlich die Taufe nicht mehr heilsnotwendig ist und damit der Stand der die Taufe spendenden Kleriker.

10.
Wenn in Europa seit Jahren viele Millionen die katholische Kirche verlassen, dann doch nicht (nur) wegen des Leidens an strukturellen Problemen dieser Kirche. Nein. Unsere Meinung: Sie wollen nicht mehr auf die uralte und veraltete Theologie der ewig wiederholten Glaubensbekenntnisse verpflichtet werden. Wer hat denn befohlen, dass alle Konzilsbeschlüsse, oft nicht mehr als politische Veranstaltungen der Kaiser, auf ewig gelten müssen? Das sagt nur die Klerus-Kirche, die alle theologische Deutungshoheit an sich gerissen hat und unbedingt an ihrer Macht und Vorrangstellung absolut festhalten will. Letztlich ruht die katholische Kirche mit ihrem absolut zentralen Papstamt auf einem fundamentalistischen Missverständnis: „Du bist Petrus der Fels, auf den will ich meine Kirche gründen“, soll Jesus von Nazareth den Autoren des Neuen Testaments folgend gesagt haben. Aber der Prophet Jesus von Nazareth dachte an alles andere als an die Gründung einer bzw. seiner Kirche. Und wer die Päpste genauer studiert, ist absolut gar nicht als begeistert von deren menschlicher Qualität und deren theologischem Niveau. Es ist schon absolut schwierig, katholisch und Papst – treu zu sein, wenn man nur die Papstgeschichte studiert voller seltsamer, eher abstoßender Gestalten. Ein intellektueller und menschlicher Lichtblick für mich ist – neben Papst Johannes XXIII. – Papst Benedikt der Vierzehnte (1740 – 1758). Die Päpste des 19. Jahrhunderts z.B. waren heftigste Antisemiten, wie der große Historiker David L. Ketzer in seiner Studie „Die Päpste gegen die Juden“ (Propyläen – Verlag, 2001, 447 Seiten) gezeigt hat. Und Verteidiger der Menschenrechte und der Demokratie waren diese obersten Hirten in Rom absolut nicht. Man kann es also verstehen, dass sich viele – als Katholiken – nicht mehr in eine solche Traditionslinie des Papsttums einreihen wollen. Oder sich gar zu dieser belasteten Traditionslinie als Papst -Freunde bekennen. Und die nun, durch Michael Meier, nachgewiesen erleben: Auch ein Papst im Jahr 2024, Franziskus, der eigentlich wirkliche Reformen leisten könnte (Frauen – Gleichberechtigung ….) ziert sich und hängt trotz sympathischer Gesten dem Uralten an…

11.
Wenn man den Katholizismus soziologisch als Groß-Ideologie bezeichnet, muss man sagen: Wie viele Groß – Ideologien ist auch die bestehende Form des römischen Katholizismus – inhaltlich, spirituell, für nachdenkliche Menschen mindestens – vorbei. Spirituelle Verbindungen mit dem Göttlichen , Gott, und eine Hochschätzung Jesu von Nazareth lassen sich auch anderweitig gestalten und erleben. Das wäre mal ein – auch soziologisch zu dokumentierendes – Thema! Also: „Außerhalb der Kirche gibt es Heil“, um ein altes katholische Motto grundlegend abzuwandeln.

Michael Meier, Der Papst der Enttäuschungen. Warum Franziskus kein Reformer ist. Herder Verlag Freiburg i.Br., 2024, 208 Seiten, 20 €.

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