PhilosophInnen verändern die Philosophie … und die politischen Zustände!

Ein wichtiges Buch über „Frauen, die das Denken der Moderne geprägt haben“
Ein Hinweis von Christian Modehn am 10.8. 2025

1.
Es ist ein allgemeines Vorurteil: Es gibt keine Philosophinnen. Schlimmer noch: „Philosophie ist nichts für Frauen.“ Man muss nur den Beitrag „Philosophinnen“ in Wikipedia anschauen: Da werden mindestens 180 Philosophinnen seit der Antike genannt…

2.
Jetzt ist ein Buch erschienen, das sich gut eignet, Philosophinnen kennen zu lernen: Und zwar mit dem Fokus: „Rebellinnen der Philosophie“. Und der Untertitel des Buches grenzt den zeitlichen Rahmen ein: „Frauen, die das Denken der Moderne geprägt haben“. Autorin ist die Philosophin Kristin Gjesdal, sie stammt aus Norwegen und lehrt seit einigen Jahren an der „Temple University“ in Philadelphia, USA. Die Philosophie des 19. Jahrhunderts ist vor allem ihr Schwerpunkt.

3.
Kristin Gjesdal bietet in ihrem neuen Buch keine trockene, abstrakte Geschichte der PhilosophInnen. Sie berichtet über 11 rebellische Philosophinnen in ihren Seminar-Veranstaltungen an ihrer Uni, sie berichtet also von philosophischen Frauen, die sich gegen alle Einschränkungen wehrten, die schon aufgrund ihres „Frauseins“ von der Männerwelt vorgegeben waren. Die Frauen gaben in ihren philosophischen Texten ihrer Rebellion gegen Frauenverachtung, Rassismus, Kolonialismus, Faschismus ihren reflektierten Ausdruck, viele Aspekte ihrer Kritik sind gültig bis heute.

4.
Kristin Gjesdal erzählt also anschaulich von ihren Seminaren zum Thema „Philosophinnen“, spricht von den Fragen und Problemen der StudentInnen, erläutert eigene Schwierigkeiten angesichts mancher Aussagen ihrer Protagonistinnen, stellt aber immer klar und lebendig die Position der Philosophinnen vor: Sie nennt selbst ihr Buch „populärwissenschaftlich“ (S. 285). Tatsächlich bietet sie doch zahlreiche Hinweise zum Weiterlesen, Weiterforschen.

5.
In dem 332 Seiten umfassenden Buch werden vom 18. Jahrhundert (Madame de Stael) bis ins 20/21. Jahrhundert (Angela Davis) 11 Philosophinnen vorgestellt: Germaine de Stael, die bislang weniger bekannte Karoline von Günderrode, dann Bettina Brentano von Arnim, Hedwig Dohm, Anna J. Cooper, und, was erstaunlich ist: Clara Zetkin und Rosa Luxemburg, sowie danach Lou Salomé, Gerda Walter, Simone de Beauvoir und auch Angela Davis (geb. 1944), sie ist als „Aktivistin“ auch oder gerade deswegen Philosophin geworden.

So unterschiedlich die philosophischen und politisch -ethischen Erkenntnisse dieser Frauen auch sind. Sie haben auch literarisch gearbeitet und veröffentlicht, oft Romane geschrieben, was dazu führte, dass in der Männer bestimmten Philosophie und Feuilletonwelt diese Philosophinnen „nur“ als Literaten hingestellt wurden. Alle Philosophinnen mussten sich gegen die Männerwelt behaupten.

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Hier können alle der elf „rebellischen Philosophinnen“ im einzelnen nicht vorgestellt werden.

Der Beitrag über Germaine de Stael (1766-1817) zeigt: Sie hat seit ihrem 20. Lebensjahr über Philosophie geschrieben, und auch ihre Romane („Corinne“, „Mirza“…) sind von philosophischen Reflexionen bestimmt. Madame de Stael ist auch wegen ihres „Bestsellers“: „Über Deutschland“ (1814) weltweit bekannt. Aber Kristin Gjesdal zeigt die politische Kritik Madame de Staels etwa zum Kolonialismus und zur Sklaverei. Über die vorgestellten und diskutierten Philosophinnen werden keineswegs „Lobeshymnen“ verbreitet: Madame de Stael etwa „war blind gegenüber ihren eigenen Privilegien“ in der reichen Clique von Paris.

LeserInnen zumal in den USA oder der BRD, die unter antikommunistischen Ideologien denken lernten, wird es verwundern, auch die deutsche Kommunistin Clara Zetkin (1857-1933) in der Reihe der Philosophinnen zu finden. Sie war die Freundin der Philosophin und Politikerin Rosa Luxemburgs. Aus ethischer Haltung zugunsten der Gerechtigkeit fand sie zur Philosophie und zur politischen Aktion. Sie verfasste Texte zur Frauenbefreiung, zum „Frauenstimmrecht“, kurz vor ihrem Tod schrieb sie noch einen antirassistischen Aufruf „Rette die Scotsboto Boys“: Zu Unrecht wurden neun afroamerikanische Männer zum Tode verurteilt, Clara Zetkin legte den Fall als Ausdruck von Rassenwahn der US – amerikanischen Gesellschaft und des Staates frei. Der international Frauentag ist ihre „Erfindung“… Bereits Anfang der 1920er-Jahre sprach sie von den Gefahren
des Faschismus. „Die extreme Rechte verspreche breiten Bevölkerungsschichten das Blaue vom Himmel, versuche aber im Wesentlichen, gute Bedingungen für einige wenige zu schaffen“, so referiert Kristin Gjesdal: „Dem Faschismus müsse mit Stärke begegnet werden , betont Zetkin und nicht mit physischer Gewalt, sondern mit organisiertem Widerstand“ (S. 147): Sozialdemokratischer Politik gegenüber war Clara Zetkin kritisch eingestellt: „Sozialdemokratie auch à la Sanders in den USA heute wäre für Zetkin und Rosa Luxemburg purer Revisionismus, also eine politische Haltung, die das Versprechen einer klassenlosen Gesellschaft zugunsten des Wunsches nach schrittweiser Verbesserung innerhalb der kapitalistischen Ordnung aufgegeben hat“, meint die Autorin (S. 147).
PS: Viele Clara Zetkin Straßen wurden nach der Wende in der ehemaligen DDR umbenannt, in 10 Orten in den „neuen Bundesländern“ gibt es noch Clara Zetkin Straßen. Und : Einige Bücher Clara Zetkins sind noch antiquarisch zu haben…

Uns freut es besonders dass der Philosophin und Sozialistin Rosa Luxemburg eine eigene Seminarstunde gewidmet war und dass Rosa Luxemburg damit in einem Kapitel ansatzweise gewürdigt wird. Rosa Luxemburg, 1871 geboren, wurde 1919 von preußischen Freikorps auf brutalste Weise ermordet. Über die Rolle der Berliner SPD in diesem Zusammenhang hat Sebastian Haffner Wesentliches und Treffendes gesagt! Was viele bis heute ignorieren: Für Rosa Luxemburg ist Sozialismus (damit ist nicht der „Sozialismus“ der SPD gemeint) wesentlich demokratisch. Dass eine Partei, die Bolschewisten Lenins sich anmaßt, die Interessen des Volkes zu vertreten, lehnt Rosa Luxemburg ab. Auch das bekannteste Werk Rosa Luxemburgs „Die Akkumulation des Kapitals“ von 1913 wird im philosophischen Seminar der „Temple University“ diskutiert (s. 165). „Mit ihrer Verteidigung der Macht des Volkes gegenüber der Macht der Partei gilt Luxemburg als Wegbereiterin eines humanistischeren Marxismus“(S. 172). Wir finden es bedauerlich, dass wie so in Publikationen über Rosa Luxemburg die spirituelle Interessiertheit der Sozialistin nicht erwähnt wird. Siehe deswegen unseren wichtigen Beitrag zu „Die Spiritualität der Rosa Luxemburg“: LINK.

Auch auf Angela Davis (geb. 1944 in Birmingham, Alabama, USA) als Philosophin weist das Buch hin. Sie studierte in Frankreich, und als sie 1963 von der Tötung von drei Mädchen in einer Kirche ihrer Heimatstadt durch den Ku-Klux-Klan hörte, kehrte sie in die USA zurück, dort traf sie den marxistischen Philosophen Herbert Marcuse. Angela Davis studierte Philosophie, in Deutschland etwa nahm sie an Vorlesungen von Theodor W. Adorno und Jürgen Habermas teil.
Aber sie hat ihre philosophische akademische Karriere aufgegeben: Sie engagierte sich politisch für die Menschenrechte, wurde wegen ihres politischen Engagements aus der Uni entlassen. „Heute ist Davis eine wichtige Denkerin, deren Werke auf den Leselisten vieler amerikanischer Universitäten stehen, sie ist das bekannteste Gesicht der Linken im US-Imperium“ schreibt Kristin Gjesdal (S. 256). „Angela Davis kann und muss philosophisch gelesen werden“ (S. 259). „Sie beschreibt, wie rassistische Vorurteile eine Art erfahrungsspezifisches a priori bilden, also etwas, das schlichtweg alle Erfahrungen charakterisiert. Eingebettet in Körper und Geist bilden rassistsiche Vorurteil dann den Hintergrund, vor dem die Welt uns erscheint“ (S. 260).

7.
Das Buch „Rebellinnen der Philosophie“ zeigt, dass gerade Frauen, auch gerade weil sie unterdrückt wurden und sich befreien mussten, einen neue Dimension in die Philosophien bringen. Sie lehren: Philosophie ist kein Selbstzweck. Sie hat das Ziel, vom eigenen erlebten Leben und dem Denken inmitten dieses Lebens zu einer umfassenden politischen – befreienden Praxis zu führen… um die Welt (hoffentlich) gerechter zu gestalten. Das letzte Kapitel im Buch „Auf eigenen Beinen“ sollte mit besonderer Aufmerksamkeit gelesen werden: Da reflektiert eine Philosophin über die Bedeutung der Philosophie heute, über ihre Erneuerung und Öffnung … durch das Denken von Frauen.

Kristin Gjesdal, „Rebellinnen der Philosophie. Frauen, die das Denken der Moderne geprägt haben“: Eicbborn Verlag, 2025, 322 Seiten, 24 €. Die Übersetzung aus dem Norwegischen: Sarah Schmidt. Das Buch ist zuerst in Norwegen im Jahr 2024 erschienen!

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