Wenn rechtsextreme katholische Milliardäre kirchliches Leben bestimmen …

Ein Hinweis zur aktuellen politisch – religiösen Entwicklung in Frankreich
Von Christian Modehn am 13.8.2025

1.
Zwei reaktionäre, rechtsradikale und libertäre Milliardäre versuchen mit ihrem sehr reichlichen Geld, mit ihren entsprechenden Netzwerken und Auftritten in den “Social-Media” das Leben der katholischen Kirche in Frankreich zu prägen und für die Zukunft zu bestimmen. Die ersten erfolgreichen Schritte dieser Herren werden wissenschaftlich dokumentiert. Wichtig ist: Diese Milliardäre unterstützen die immer stärker werdende rechtsextreme Partei „Rassemblement National“ (Le Pen). Und ihre geförderten kirchlichen Projekte sind mindestens „rechtsextrem affin“. Ein Ende dieser gefährlichen Entwicklung ist kaum absehbar: „Der Katholizismus in Frankreich ist dabei, sich neu neu zu ordnen rund um die großen Mäzene.“, schreibt die immer um Objektivität bemühte katholische Tageszeitung „La Croix“., Paris am 11. Juni 2025.

2.
Selbst die immer unbedeutender und kleiner werdende katholische Kirche in Frankreich braucht Geld. Sie überlebt seit 1905 („Trennung von Kirchen und Staat) ohnehin nur von Spenden der „Kirch-Gänger“ und paradoxerweise auch von der finanziellen Unterstützung des Staates: Die manchmal in Deutschland noch „laizistisch genannte“ Republik zahlt einen Großteil des Erhaltes derjenigen Kirchengebäude, die vor 1905 gebaut wurden. Und die „République laique“ (das bedeutet nicht: laizistisch!) unterstützt seit Jahrzehnten mit Milliarden die in katholischer Sicht immer noch so wichtigen katholischen Privatschulen. Offenbar erwarten der Staat und seine Politiker, dass dort die Kinder aus „gutem Hause“ eine entsprechende und durchaus privilegierte Ausbildung erhalten. Den Unterricht in der sehr turbulenten Banlieue mit den vielen Armen und Ausländern überlassen Kirche wie Staat gern den „öffentlichen Schulen“. (Fußnote 1)… aber dies ist ein anderes Thema.

3.
Wir legen hier Fakten vor, die in der demokratischen Presse Frankreichs seit einigen Monaten dokumentiert werden, vor allem beziehen wir uns auf einen wichtigen Aufsatz des Soziologen Pierre Louis Choquet in der Kulturzeitschrift Zeitschrift ESPRIT (Paris), man fragt sich, warum solche wichtigen erhellenden Aufsätze nicht auf Deutsch erscheinen.  (Fußnote 2).

4.
Es geht hier um zwei reaktionär- katholische Milliardären mit starker Bindung an rechtsextreme Parteien und rechtsextremes Denken.
Über den in Frankreich so genannten „Medien – Zaren“ Vincent Bolloré haben wir auf dieser website schon ausführlicher berichtet. LINK.
Zur Erinnerung: Durch sein breites vielfältiges Medien – Imperium von Paris -Match, über den Radiosender Europe 1, die Sonntagszeitung Journal du Dimanche bis zu seinem Fernsehsender CNews verbreitet er auch seine eigene, sehr konservative Theologie. Wenig informierte Leser und Zuschauer werden verführt zu denken: Was Herr Bolloré da an Katholizismus präsentiert, sei DER katholische Glaube.

5.
In der französischen, noch demokratischen Presse wird seit einigen Monaten vermehrt auch auf den katholischen Unternehmer Pierre-Eduard Stérin hingewiesen. Er ist Milliardär, „Libertarien“, wie man in Frankreich „Libertäre“ nennt (der argentinische Staatspräsident Milei ist libertär, auch sehr viele Herrschaften aus der Trump – Clique in den USA sind es). Dabei hat Stérin auch enge Verbindung zur rechtsextremen Partei „Rassemblement National“. Der Soziologe Pierre Louis Choquet schreibt in dem schon genannten Beitrag von „Esprit“: „Sterin will die extreme Rechte unterstützen in ihrem Kampf um die Macht etwa durch sein ideologisch – umfassendes Projekt `Péricles`. (Zu Péricles Fußnote3). Der Unternehmer verbirgt nicht seine Feinschaft gegenüber den Flüchtlingen, und er zögert nicht zu erklären: Flüchtlinge aufzunehmen nützt nichts“ (Übersetzung CM).
Was etlichen noch wachen und kritischen Katholiken Sorgen macht, ist die – natürlich bischöflich – gar nicht kontrollierbare – Auswahl der Wohltätigkeit Stérins für konservative katholische Institutionen: Wer spendet, kann spenden, wem und für was er will, das gilt noch überall. Es sind bei Stérin etwa Häuser für schwangere Frauen in Not (Titel „La Maison de Louise“), für den Erhalt von Heiligenfiguren in der Öffentlichkeit („Calvaires“) oder kleiner Dorfkirchen auf dem Lande.
Zu der großen Menge seines Geldes ist Stérin durch die Restaurant – Reservierungs – Website „La Fourchette“ gekommen oder durch seine „SmartBox“, eine Art Geschenk-Tasche. Er steht jetzt an der Spitze eines Investmentfonds, der ein Vermögen von einer Milliarde 300 Millionen verwaltet. Sein Vermögen hat er einem „Stiftung – Fonds des Gemeinwohls“ übertragen. 80 bis 120 Millionen Euro aus seinem Gewinn spendet er pro Jahr für Projekte – seiner politisch-katholischen Wahl – immer für „das Gemeinwohl“, wie er sagt. Stérin wird in diesem Herbst auch aus eigener Initiative eine katholische Privatschule nur für Jungen eröffnen, ganz seinem konservativen pädagogischen Konzept entsprechend.

Die viel beachtete, kirchenunabhängige französische Internetzeitschrift “Streetpress” hat am 6.3.2025 einen Beitrag veröffentlicht mit dem Titel “Wie der Milliardär der extremen Rechten Stérin die Websites katholisch – reaktionärer Influencer überschwemmt”, Autor ist Nicolas Sonnet. LINK Er weist auf das weite Netzwerk Sterins hin, erinnert an die von ihm organisierten “Nächte der Influencer” im offiziell katholischen “Collège des Bernardins” in Paris (eine Art “Katholische Akademie”). Schon mehrere solcher “Nächte” der wechselseitigen Unterstützung katholischer Rechtsextremer gab es schon, “um gemeinsam mehr zu erreichen in der Evangelisierung”, im Sinne der genannten Herren. Der Einfuß Stérins reicht bis in die Ordensgemeinschaften: Der junge Dominikaner Paul André d Hardemare ist ein äußerst erfolgreicher Prediger in den Sozialen Medien, er ließ sich einige Zeit lang von Stérin finanzieren, nimmt auch an den Wallfahrten der reaktionären Katholiken nach Chartres teil. “Jedes Jahr organisiert Stérin auch die “Nächte des Gemeinwohls”, dies sind Abende der “caritativen Versteigerungen” nach us-amerikanischer Art, dabei kommen viele führende Industrielle (“Patrons”) zusammen, ebenso die alte Aristokratie, Aktivisten katholoischer  Hilsvereine sowie Politiker aus rechten und rechtsextremen Parteien. Mit dem Ziel: Vereine zu finanzieren, die sich in der Galaxiedes Konservativen bewegen.”

6.
Für die katholische Kirche in Frankreich ist die überdimensionale Spendelust der reaktionären Katholiken eigentlich ein großes Problem.
Denn die Kirche in Frankreich kämpft tatsächlich um ihr spirituelles wie damit zusammenhängend um ihr materielles Überleben. Sie hat seit Jahren einen miserablen Ruf aufgrund der zahllosen Fälle von schwerem sexuellen Missbrauch  auch durch z.T. “ultra-prominente” Priester, wie den als “heiligmäßig“ verehrten Sozialapostel Abbé Pierre 1912-2007. Die Zahl der Gottesdienst-Teilnehmer geht (deswegen?) ständig zurück, der französische Klerus vergreist, die kleinen Gemeinden können nur durch die Anwesenheit afrikanischer oder asiatischer Priester noch halbwegs „versorgt“ werden. Angesichts dieses Niedergangs katholischen Lebens gehen auch die Spenden der „normalen“ Kirchgänger zurück. Deswegen sehen sich die Bischöfe gehalten, gute Kontakte mit den staatlichen Behörden auch in der Provinz zu pflegen, also auch mit Politikern aus der rechtsextremen Partei „Rassemblement National“. Sehr bald könnte diese Partei die Regierung in Paris stellen, das ist eine begründete Prognose von Politologen. Die katholischen Bischöfe waren so klug bzw. vorausschauend – raffiniert, bei den letzten Wahlen, die überwältigende Wahlerfolge der Rechtsextremen auch im katholischen Milieu brachten, den Mund zu halten und schon gar nicht allzu kritisch gegen Rechtsextrem zu werden… Einige der Rechtsextremen sind ja nach außen hin sehr fromm, sie machen zu Tausenden Wallfahrten nach Chartres, loben die alte lateinische Messe (nicht nur bei den traditionalistischen Pius – Brüdern!) und als Politiker schätzen sie die Kirchengebäude als Orte des nationalen Gedenkens der nationalen Traditionen, oder sie fördern die katholischen Schulen, dort sollen schließlich christliche, aber vor allem gut – bürgerliche Werte der „anständigen Leute“ (so verstehen sich die Rechtsextremen) gelehrt werden. Und dann gibt es da noch entscheidend die reaktionären katholischen Milliardäre, die ihre Form des Katholizismus ungeniert nach außen in ihren Medien vorstellen und propagieren oder Projekte fördern, die ihrer eigenen begrenzten Theologie entsprechen. Diese Herrschaften darf die Kirchenführung nicht verärgern, sie bringen noch Geld, das heilige Geld zum Überleben der insgesamt so tief ramponierten Kirche.
Die Kirche Frankreichs als verschwindende Minderheit driftet also, „not – gedrungen“ möchte man sagen, immer weiter nach rechts: Die wenigen jungen Priester in Frankreich, die am liebsten in langen Talaren durch die Straßen laufen, stammen denn auch aus dem „gut-bürgerlichem konservativen Milieu“ der Stadt Versailles…Und einzelne Bischöfe, wie in Toulouse oder Angers, sind so unverschämt, wegen sexuellen Missbrauchs verurteilte Priester jetzt mit offiziellen Aufgaben im Bistum zu betrauen. Der moralische Niedergang auch des hohen Klerus erlebt einen neuen, ganz anderen Höhepunkt. Darüber berichtet etwa die ausgezeichnete online Zeitung GOLIAS: LINK.

7.
Der Soziologe Pierre Louis Choquet fasst in der schon erwähnten empfehlenswerten Zeitschrift ESPRIT (gegründet von dem Philosophen Emmanuel Mounier, LINK) die Situation zusammen: „Aufgrund ihres großen Finanz-Vermögens versuchen diese Milliardäre die Kirche neu zu positionieren auf einer antimodernen und Pro – Business Ebene.“ Und in seiner Fußnote 21 schreibt der Autor: „Es gibt in der Kirche Herrschende und Beherrschte“. Und er meint: „Die Milliardäre sind längst zu den herrschenden Laien geworden, es sind ja in der Kirchensprache „Laien“, die da die Kirche auf ihre Weise im Sinne des Rechtsextremen durch ihr Geld bestimmen wollen. Eine einst vielleicht noch in Kirchen-Kreise naive Freude über die „Aktivität von Laien“ muss also doch sehr differenziert werden.

8.

Der Soziologe Pierre Louis Choquet beendet seinen Essay über die katholischen rechtsextremen Milliardäre mit dem Aufruf an die christlichen Gemeinden, “den unheilvollen Einfluss der `frommen Milliardäre`zu “kontern” (contrer auf Französisch). Deren identitäre Religiosität erscheint als ein Symptom des Aufruhrs unserer Epoche”. Heute investieren diese Milliardäre “nur” in ihre Medien oder in ihre sozialen Werke und beeinflussen die pastorale Arbeit der Kirche. Und in Zukunft? Darum fragt Pierre Louis Choquet in dem ESPRIT Aufsatz: “Was wird diese Leute dann hindern, wenn die Spenden für die Kirche durch die Gläubigen immer kleiner werden, so dass diese Milliardäre  dann auch die Priesterseminare und die theologischen Lehrstühle an den katholischen privaten Universitäten finanzieren?” … Und in ihrem theologisch – reaktionären Sinne dort theologisch eingreifen! Wird das Geld und die rechtsextreme Ideologie dieser Herren dann die Kirche vergiften? Man hat den Eindruck, dass die Verantwortlichen in der Kirche (nicht nur Frankreichs) an diese Zukunft nicht zu denken wagen.

Fußnote 1:
80, 5 Millionen Euro gab die französische Republik für den Erhalt der Kirchengebäude kürzlich aus. Und 10 Milliarden Euro hingegen beträgt die staatliche Unterstützung für die Privatschulen, die allermeisten sind katholische. Quelle: Siehe Fußnote 2.

Fußnote 2:
Der Beitrag wurde in der Zeitschrift „Esprit“ im September 2024 veröffentlicht. Der Titel „L Eglise catholique face à la montée de l extreme droite“. Die Zahlen in Fußnote 1 stammen aus diesem Aufsatz, dort die Fußnoten 3 und 4.

Fußnote 3:
„Péricles“ ist ein Think – Tank aus einer Mischung von Libertärem, Liberalem und sehr konservativ – Katholischem. Inspiriert wurde Péricles von der reaktionären „Heritage Foundation“ in den USA, auch zu Victor Orban in Ungarn gibt es enge Verbindungen.
Der Name „Péricles ist ein Acronym für Patriotes / Enracinés / Résistants / Identitaires / Chrétiens / Libéraux / Européens / Souverainistes), also: Patrioten, Verwurzelte, Widerständler, Identitäre, Christen, Liberale, Europäer, Souveränisten. Das heißt: Dieser Think – Tank ist nationalistisch, gegen LGBT, euroskeptisch, gegen Einwanderung usw… Siehe dazu den ausführlichen französischen Wikipedia-Beitrag:LINK.

 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

Exzentrisch, asketisch, spirituell: Zum 100. Todestag des Komponisten Erik Satie am 1. Juli 2025

Ein Hinweis von Christian Modehn am 28.6.2025

1.
An Erik Satie (17.5.1866 – 1.7.1925) erinnern: Den Musiker und Komponisten, den Menschen, den so viele für skurril und rätselhaft hielten und halten, der aber auch so viele begeistert mit seiner Musik …. des minimalen Klangs, der irritierenden Einfachheit, der Mißachtung üblicher musikalischer Regeln. Satie zeigt sich immer wieder als eigenständiger, Ungewohntes und Ungehörtes schaffender Komponist, er ist keiner „Schule“ verpflichtet und verzichtet auf brillante oder schillernde musikalische Effekte… darüber ist viel geschrieben worden. Wir zitieren nur den einen Satz: „Die aufscheinende Skepsis Saties gegenüber etablierten Vorstellungen vom musikalischen Kunstwerk hat spätere Künstler bis hin zu John Cage nachhaltig beeinflusst.“ Zitat siehe: LINK.

2.
Wir wollen auf den Esoteriker hinweisen, und dazu gehört auch: an den eher unbekannten Kirchengründer Eric Satie erinnern. Zunächst in enger Verbindung mit den esoterischen „Rosenkreuzern“ suchte Satie seinen eigenen Weg: Er verließt diese Gemeinschaft und gründete 1893 seine eigene Kirche und gab ihr den etwas schwierigen und durchaus mysteriös klingenden Titel: „Église Métropolitaine d’Art de Jésus Conducteur“, „Metropolenkirche der Kunst von Jesus dem Lenker“. Kirchen zu gründen war in Frankreich keine Seltenheit: Intellektuelle, Schriftsteller und Künstler wollten sich vom herrschenden dogmatischen und weithin monarchistisch gesinnten Katholizismus absetzen und gründeten eigene Kirchen-Gemeinschaften. Satie zeigt sich also nicht nur in seinen Kompositionen, auch in seiner Kirchen-Gründung und seiner Messe als mutiger, Konventionen sprengender Individualist. Siehe auch Fußnote 1.

3.
Es gehört zum exzentrischen Charakter Erik Saties, dass er das einzige Mitglied seiner Kirche blieb und wohl auch bleiben wollte; er gab zwar sein Gemeindeblatt heraus, aber er fand keine Mitglieder und wollte wahrscheinlich auch keine um sich sehen in seinem Haus, der „Kirchenzentrale“ in Arcueil bei Paris. Aktuelles Foto: LINK.

4.
In diesem spirituellen Erleben komponierte er um 1895 eine von ihm selbst so bezeichnete „Messe der Armen“, weil er sich selbst als Asket, als Künstler „am Rande“ verstand. Satie hatte offenbar für sich selbst ein Gelübde der Armut ausgesprochen, einer Armut, die er selbst in seinem Lebensstil zeigte.
Mit der ihm vertrauten mondänen Welt von Montmartre und ihren Vergnügungen hatte er offenbar gebrochen. Olivier Messiaen hat diese Messe zuerst aufgeführt. Sie enthält von den üblichen Gebeten (den „Ordinarien“) der römisch – katholischen Messe lediglich das Kyrie, hingegen aber auch Gebete, etwa speziell „für die Reisenden und die Seeleute in Todesgefahr“ und zum Schluß auch ein „Gebet für meine Seele“. Diese Satie – Messe hat den Untertitel, offenbar an Gott adressiert: „Intende Votis supplicum“, „Sei bedacht auf das Flehen des Gebetes.“

5.
Die spirituelle Prägung Eric Saties könnte uns inspirieren, seine Musik, seine Klaviermusik, etwa die „Gnossiennes“ auch als Ausdruck einer ungewöhnlichen, nicht – dogmatischen Frömmigkeit zu hören und zu verstehen. Und musikalisch ins Meditieren zu kommen.

Fußnote 1: LINK

Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon

„Notre Dame“, die Pariser Kathedrale, ist beliebt. Die Kirche nicht.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 29.11.2024.

Ein kulturhistorisches Monument wird am 7. und 8.12. 2024 wieder eröffnet. Und ausgerechnet Donald Trump wird am 7.12. dabeisein! Seine sehr vielen evangelikalen Fans  in den USA und anderswo werden sich über so viel katholische “Sympathien” von Mister Trump “freuen”…  LINK

Papst Franziskus meidet dieses zweitägige Spektakel …zu Ehren der “Notre Dame” und des Monsieur Macron…. Siehe Nr. 12 in diesem Hinweis.

Zum Zustand der katholischen Kirche in Frankreich heute außerhalb aller Jubelfeierlichkeiten: LINK.

Die kirchliche, die katholische Eröffnung mit der feierlichen Messe der Bischöfe fand am 8.12. statt. TeilnehmerInnen, in den Foto-Serien bestens dokumentiert, waren die übliche politische Prominenz, auch des Adels. LINK Das “fromme Volk” oder gar die religiösen Bettler (“Clochards”) wurden nicht als Teilnehmer bei diesem Ereignis der “göttlichen Dame”  gezeigt, waren sie anwesend oder waren nur die großen Spender für den Wiederaufbau willkommen? Wichtiger ist das “klerikale Spektakel” (man nennt es Liturgie) rund um den Altar mit vielleicht 70 Bischöfen und Priestern. Sie alle trugen identisch (!) gestaltete Messgewänder, alles vom Feinsten, entworfen und per Hand erarbeitet vom Team des bekannten Designers Jean-Charles de Castelbajac. LINK Er selbst habe für die Messgewänder “eineinhalb Jahre gearbeitet und beschäftige ein großes Team.” Der Reporterin des ZEIT Magazin vom 5.12. 2024 S. 32, gestand de Castelbajac auch: ein “angemessenes Honorar”  von der Kirche erhalten zu haben.

Nebenbei: Es verdient wohl eine weite theologische Aufmerksamkeit, dass alle Priester und Bischöfe bei diesem Spektakel, der Messe, wie üblich identisch klerikal gekleidet waren. Wie kann man das deuten? Bunte Vielfalt ist nicht willkommen? Wahrscheinlich ist das so. Die Kleriker gehören halt alle zur gleichen Klasse, sind hervorgehoben und anders als “das Volk”. Die protestantische französische Zeitschrift REFORME kritisierte zurecht: Dieses ganze Spektakel, also diese Liturgie am Altar von Notre Dame am 8.12., sei eine absolute Männer – Veranstaltung gewesen. Gut, dass sich Protestanten noch über den Ausschluß der Frauen vom Pastoren/Priesteramt in der katholischen Kirche wundern. Papst Franziskus gibt sich gern als heftigster Kritiker des Klerikalismus in der Kirche, aber er ist nicht bereit, und wohl nicht in der Lage, diesen absolut vorherrschenden Klerikalismus als relgiös, sakramentale Männerherrschaft zu beenden. Dass Frauen ausgeschlossen sind vom Priesteramt ist wohl der größte Skandal des Katholizismus im 21. Jahrhundert. LINK.

………………………….

1.
Am 7. und 8. Dezember 2024 finden die Feierlichkeiten der (Wieder) – Eröffnung der Kathedrale „Notre Dame“ in Paris statt. Vor 5 Jahren, im April 2019, vernichtete ein verheerendes Feuer umfangreiche Teile des mittelalterlichen Gebäudes.

2.
Über die nun fast abgeschlossene Neugestaltung der Pariser Kathedrale informieren aktuelle Berichte. Man beachte u.a.: Nicht mehr Bänke dienen als Sitzgelegenheit, sondern 1.500 bequeme Stühle…Alles andere als eine Kleinigkeit für katholische Verhältnisse.
Der religionsphilosophische Salon bietet angesichts der Wiedereröffnung – in gebotener Kürze – etwas Hintergrund zur aktuellen religiösen Situation in Frankreich sowie Hinweise auf Besonderheiten in der langen Geschichte von „Notre Dame“.

3.
„Die jetzt auferstandene „Notre Dame“ ist ein Werk des Präsidenten Emmanuel Macron“: Diesen durchaus auch zutreffenden Eindruck wollte der französische Präsident für die Geschichtsbücher hinterlassen, als er sich am 29. November 2024, noch vor der offiziellen Wieder – Eröffnung, in der Pariser Kathedrale im renovierten Gotteshaus präsentierte. LINK. Einige aktuelle Fotos: LINK Der Präsident einer in Deutschland laizistisch genannten Republik („République laique“ meint allerdings etwas andres als„laizistisch“) will zweifellos die Kathedrale als ein überkonfessionelles Monument der (erwünschten) nationalen Einheit propagieren, als ein herausragendes kulturelles, künstlerisches und ästhetisch erhabenes Erbe der „Grande Nation“. Und damit entspricht Macron durchaus einer weit verbreiteten Sehnsucht im gar nicht mehr katholisch geprägten Frankreich, nur 29 % der Franzosen nannten sich 2023 katholisch. LINK https://www.insee.fr/fr/statistiques/6793308?sommaire=6793391 . Sowie ein LINK zum Zustand des französischen Katholizismus.

4.
Aber auch die Mehrheit der Franzosen, also die Menschen die sich „sans religion“ nennen, konfessionsfrei sagen manche in Deutschland, schätzen die Kathedrale Notre Dame: Bei der Suche nach der „französischen Identität“ geht es auch ihnen um die Stärkung des jetzt wieder viel besprochenen „patrimoine“, des „Kulturerbes“. Für die „Fondation Notre Dame“ wurden zum Wiederaufbau 358 Millionen Euro – auch aus dem Ausland, auch von Atheisten, gespendet.

5.
Mit „Notre Dame“ fühlen sich sehr viele Menschen vor allem emotional verbunden, Franzosen zumal. Es gibt zahlreiche Berichte, wie die Besucher ( 13 bis 20 Millionen sollen es vor dem Brand gewesen sein, also mindestens 30.000 pro Tag) die Dunkelheit im Innenraum schätzen, das Licht, die Fenster, die Skulpturen. Als Sigmund Freud 1885 diese Kathedrale besuchte, lobte er ausdrücklich „den Ernst und die Strenge des Gebäudes“… Er konnte wohl noch in einer gewissen Beschaulichkeit die Kathedrale besuchen, heute verweilen dort die meisten Touristen (um Fotos zu schießen) im Gedränge nicht länger als 5 Minuten, sie können diesen „obligatorischen Programmpunkt“ dann „abhaken“ und weiter durch Paris eilen…Es ist schon bezeichnend, dass auch in spanischen Kathedralen inzwischen eigens kleine (sic!) Kapellen mit eigenem Eingang geschaffen wurden, für Menschen, die wirklich in einem Gotteshaus auch mal ihre persönliche spirituelle Poesie, Gebete genannt, pflegen wollen.

6.
„Notre Dame“ gilt als Nationalsymbol. Der weibliche Titel einer katholischen Kathedrale spielt sicher hinsichtlich der Beliebtheit eine Rolle: Die Pariser Kathedrale gilt vielleicht auch -undogmatisch betrachtet – als das Haus einer „Gott – Mutter“, einer „Dame“, mindestens aber der „Gottes – Mutter“ Maria, die als die einflußreiche Himmelskönigin an Gottes Thron steht, so die offiziellen Dogmen…

7.
Das „National-Symbol“ Notre Dame hat eine sehr wechselhafte Geschichte. Vor allem an die alles entscheidende und bis heute prägende Zeit der Französischen Revolution (1789…) soll hier kurz erinnert werden.
Die Revolution identifizierte zurecht den Katholizismus mit dem absolut herrschenden „Ancien Régime“ des Königshauses, und die Revolutionäre, so unterschiedlich sie auch dachten, wollten eine katholische Kirche gründen, die die Ideale der Revolution und der Republik achtete und unterstützte, als eine demokratische Kirche. Der Papst tobte deswegen … bis 1950 wurde von führenden Katholiken die Französische Revolution zum Übel aller Übel erklärt… Philosophisch hoch gebildete Revolutionäre wie Robespierre setzten alles daran, auch Teile des höheren Klerus für die Revolution zu gewinnen, das gelang zum Teil, man denke an die herausragende Person des „Abbé Grégoire. 1791 wurde der damalige Weihbischof Jean – Baptiste Gobel zum „konstitutionellen“ (also revolutionsfreundlichen) Erzbischof von Paris gewählt. Im Rahmen der Radikalisierung atheistischer Revolutionäre (Anacharsis Cloots u.a.) wurden Gobel als Atheist bezeichnet und zum Rücktritt als Erzbischof aufgefordert und schließlich dann von Robespierre als angeblicher, verdächtigter Atheist am 13.4.1794 hingerichtet.

8.
Die Revolutionäre waren über die Kirchenführer als privilegierte Stütze des ancien régime empört, sie wollten in ihrer maßlosen Wut Frankreich „entchristlichen“ (décristianiser), d.h. auch aus der auch ideologischen Herrschaft der Kirche gewaltsam lösen. Als Ersatz zur Messe und den Sakramenten inszenierten einige Revolutionäre zunächst den „Kult der Vernunft“, der als eine Art Theaterspektakel auch in der Kathedrale Notre Dame aufgeführt wurde. Eine zentrale Rolle spielte dabei eine Frau als Repräsentantin der Sieger über den religiösen Fanatismus. „Das Fest der Vernunft hatte eine zutiefst theatralischen Charakter (caractère théatral“), schreibt die Historikerin Mona Ozouf, auf S. 607 in ihrem Beitrag „Religion revolutionaire“ in: „Dictionnaire critique de la Révolution Francaise“, Paris 1988.

9.
Dieser als Theater inszenierte „Kult der Vernunft“ wurde von Robespierre als atheistisch abgelehnt. Dieser Theater – Kult hatte auch nicht die Kraft, die verbliebenen religiösen Bedürfnisse des Volkes zu befriedigen, vor allem konnte er nicht eine religiös fundierte Einheit des ideologisch zerrissenen französischen Volkes herstellen. So setzte der deistisch geprägte Robespierre alles auf den „Kult des höchsten Wesens“, einer Art deistischen Konfession: Der Schöpfergott im Himmel verlangt von den Bürgern als religiöse Übung ein ethisch korrektes Leben im Geist der Gesetze der neu geschaffenen Republik.

10.
Ende des 18. Jahrhundert wurde dann eine ethische- deistische Kirche als „Theophilanthropie“ (d.h. Menschlichkeit mit Liebe zu Gott) im ganzen Land praktiziert, LINK.
Diese Kirche, ein Produkt der Revolution, wurde nach ca. 10 jährigem Bestehen von Napoléon verboten: Er duldete als Herrscher nicht den religiösen Pluralismus, ihm war das Konkordat mit dem Papst aus politischen Gründen wichtiger… 1804 krönte sich Napoléon in Notre Dame selbst zum Kaiser, Papst Pius VII. war bei dieser pompösen Inszenierung anwesend.

11.
Religionssoziologisch betrachtet ist heute wichtig: Die Katholische Kirche verliert in Frankreich – wie in den meisten europäischen Ländern – immer mehr an Mitgliedern, sie wird zur Minderheit. Aber die Kirchenführer lieben in dieser Situation des Niedergangs nicht ohne Stolz die Pflege großer repräsentativer Gebäude. Sicher,Notre Dame wurde von vielen auch nicht – katholischen Spendern wieder aufgebaut: Aber die Kirche ist durchaus heilfroh, in Paris wie in vielen anderen Städten so prächtige Kathedralen und Klöster zu haben. Dass diese Gotteshäuser von vielen Menschen eher als prachtvolle Museen angesehen und bewertet werden, stört dabei nicht. Das bedeutet aber: Eine explizit kirchliche Wirkung geht von diesen Kathedralen eher selten aus. Tatsache ist: Es entwickelt sich in Frankreich wie in ganz Europa so etwas wie eine kulturelle Interessiertheit für alte religiöse Gebäude. Eine Art ästhetisch – kulturelle -säkulare Spiritualität. Darüber arbeiten Religionssoziologen wie Jean – Louis Schlegel und Danièle Hervieu -Léger.

12.
Die Pflege alter herausragender Kathedralen durch die Kirchenführer steht im Widerspruch zu den vielen auf dem Land, in den Dörfern, verfallenden Kirchen und den aufgegebenen Klöstern. LINK Viele hundert Dorfkirchen in Frankreich verfallen auch deswegen, weil es keine Priester mehr gibt: Nur weil Rom eine Gemeindeleitung ans Priesteramt bindet, verschwindet sozusagen das kirchliche und damit soziale Leben auf den Dörfern. Dabei könnten Laien die Messen in den kleinen Dorfgemeinden leiten, aber die haben die Bischöfe nicht ausbilden wollen, so daß jetzt auch „aktive, kompetente Laien“ fehlen.

12.
Es ist nicht ohne Bedeutung, manche sagen ein Witz, dass am 15. Dezember, also genau eine Woche nach der weltweit beachteten Eröffnung von Notre Dame de Paris, Papst Franziskus ausgerechnet Frankreich besucht: Aber nicht etwa Paris, sondern Ajaccio auf Korsika, dort findet ein Kongress statt über die „Frömmigkeit des Volkes und der einfachen Leute in der Mittelmeer – Region“, es geht also um Heiligenverehrung, Wallfahrten, Wetterprozessionen, Segnungen der Äcker usw… Veranstalter ist der sehr konservative Kardinal Bustillo von Ajaccio. Manche Beobachter in Paris deuten diesen Papst – Besuch eines nicht weltbewegenden Kongresses auf Korsika als bewussten Affront gegen den ganzen Kultur- Trubel um dieses monumentale Gebäude in Paris…Papst Franziskus bevorzugt eben bekanntlich das Abseitige, Unbedeutend – Wirkende, das Kleine und Volkstümliche. Aber Präsident Macron will den Papst auf Korsika dann treffen, vielleicht erzählt er ihm, wie schön die Kathedrale Notre Dame nach der Brand – Katastrophe geworden ist.

Copyright: Christian Modehn, religionsphilsophischer-salon.de

Das “letzte Abendmahl” der Olymischen Spiele und die klerikale Ideologie

Ein Hinweis von Christian Modehn am 4.8.2024

Ergänzung am 5.8.24: Am Sonntag, 4. August, fand vor der Kathedrale Notre Dame de Paris ein interreligiöses Treffen statt, auf Wunsch von Thomas Bach (!), dem Präsidenten des Olympischen Komitees (CIO). Von der Kritik an der Darstellung eines “letzten Abendmahles” zur Eröffnung der Spiele war direkt keine Rede mehr. Man war sich interreligiös einig, wie Thomas Bach sagte: “Sport kann die letzten Fragen der Menschheit nicht beantworten, das kann nur die Religion”. (LINK)

Ergänzung am 6.8.24: Dass es noch vernünftige Theologen in der katholischen Kirche gibt, zeigt ein Kommentar des Benediktinerpaters Martin Werlen (Schweiz) zum Abendmahl bei der Eröffnung der Olympischen Spiele in Paris; dieser Kommentar wurde sogar im Vatikan veröffentlicht: LINK

1.
Die Frage ist dringend: Wie dumm und begrenzt sind eigentlich katholische Oberhirten im Jahr 2024? Haben sie keine anderen Sorgen? Denn jetzt verteidigen immer mehr geistliche Herren, auch Kardinäle, inbrünstig das Gemälde „Das Abendmahl“ von Leonardo da Vinci. Aber dies ist der intellektuelle Skandal: Sie verteidigen dieses Gemälde aus dem 15. Jahrhundert, als sei es DER absolut gültige Ausdruck des letzten Abendmahls Jesu und seiner Jünger. Welch ein Wahn. Eines von vielen Kunstwerken zum Abendmahl zur theologischen Norm zu erklären! Und als DEN Ausdruck der katholischen Eucharistiefeier zu deuten.
Zur Erinnerung: Bei seinem letzten Abendmal feierte Jesus von Nazareth, so die Erzählung, mit seinen 12 Jüngern kurz vor seinem Prozess und der folgenden Hinrichtung noch einmal ein ordentliches Abendessen, selbstverständlich mit Wein…

2.
Die Herren der Kirche fühlen sich also beleidigt und zutiefst empört: Bei der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele in Paris 2024 seien ganz üble, gotteslästerliche Assoziationen geweckt worden, Erinnerungen an da Vincis Gemälde „Letztes Abenmahl“. Denn die Feiernden in Paris waren Schwule und Lesben. Queers, an einem Tisch vereint zu sehen, wie sie da ordentlich bzw., je nach Wertesytem, „unordentlich“ feierten, tanzten und tranken. Eine nur ferne Assoziation an da Vinci…

3.
Das Problem der geistlichen Herren: Was soll denn da der liebe Gott bloß denken, und vor allem der himmlische Jesus, wenn nun in Paris das da Vinci Gemälde verunreinigt und dadurch (!) die Erinnerung an Jesu Abendmahl beschmutzt wird … auch noch durch diese  “üblen” Queeren – Menschen? Die Eucharistiefeier kann nur mit einem Priester und frommen Leuten dargestellt werden…”aber doch nicht mit diesen zum Teil halbnackten Gestalten”…

Man erinnere sich: Papst Franziskus hatte erst kürzlich gefordert: “Die Olympischen Spiele sollten Frieden vermitteln, nicht Hass”. Nun aber wird Unfrieden gestiftet durch die Intoleranz klerikaler und fundamentalistischen Kreise, sie können die Freiheit der Kunst nicht ertragen und zeigen letztlich ihre Ablehung queeren Lebens.

4.
Einen freien, lockeren und deswegen künstlerisch immer freizügigen Umgang mit dem Gemälde halten die Herren der Kirche in ihrer Ideologie für Blasphemie, für Gotteslästerung.

5.
Lassen wir diese wirre Interpretation, sie ist lächerlich, weil die Herren der Kirche den  Denkfehler begehen und ein Gemälde ALS Ausdruck ihres dogmatischen Glaubens verstehen. Leonardo da Vinci wird sich freuen über so viele  „Ehre“.

6.
Das Abendmahl Jesu war sicher noch einmal ganz anders als das „Abendmahl da Vincis, denn damals haben, kulturell üblich, die Beteiligten zu Tische gelegen, nicht brav am Tisch gesessen. Die Kirche St. Petri in Seehausen, Altmark, zeigt ein solches ungewöhnliches, authentisches Wand – Gemälde, eine noch zu besprechende Rarität.

7.
Man erinnere sich: Schon einmal – wie so oft vorher – regten sich die Kirchenleute maßlos auf und die mit ihnen verbundenen reaktionären Politiker der Weimarer Republik, weil der Künstler George Grosz es wagte: Jesus am Kreuz mit einer Gasmaske angetan zu zeigen.

8.
Die Herren der römischen Kirche sollten sich, ehrlich gesagt, schämen, dass sie nun, nach diesem ihrem Blödsinn, heftige Unterstützung  von rechtsextremen Politikern (Marine le Pen) und sogar von Putins klerikalem Kriegstreiber Patriarch Kyrill I .in Moskau erhalten. (Fußnote 1) Auch der fundamentalistische Präsident Erdogan hat sich eingeschaltet und nach bekannter Sicht behauptet: Durch diese Darstellung des letzten Abendmahls sei die menschliche Würde in den Schmutz gezogen worden. Dass die sehr vielen Diktaturen weltweit die Würde der Menschen  de facto, politisch, in den Schmutz ziehen, wäre das große Thema der Kirche. Aber nein, sie sorgt sich, verblendet, um eine queere Interpretation des Gemäldes da Vincis.

9.
Der Vatikan und die römische Kirche befinden sich im weltweit großen Club der Reaktionären, der Kunst – und Freiheitsverächter. Wollen sie in dieser Position es wagen, das Evangelium des Propheten und Weisheitslehrers Jesus von Nazareth zu verkünden?

Fußnote 1: “Die russisch-orthodoxe Kirche und das Außenministerium in Moskau äußerten sich entsetzt über die Eröffnungsfeier, weil bei einer Darstellung des letzten Abendmahls die Apostel von „Transvestiten“ verkörpert worden seien. „Ein kulturell-historischer Selbstmord geht in einer der einst christlichen Hauptstädte der europäischen Zivilisation vor sich“, sagte der Geistliche Wachtang Kipschidse, der im Moskauer Patriarchat der russisch-orthodoxen Kirche für Kontakte zur Gesellschaft und zu den Medien zuständig ist.” (Quelle: Welt, 27.7.2024, LINK

PS: Wer all das hier Dokumentierte nicht glaubt, lese etwa: LINK
Und LINK.

Und am 5.8.2024 die Päpstliche Kritik am “letzten Abendmahl” in Paris: LINK

10.

Die Katholische Kirche mit ihrem exzessiven Bilder – Kult hatte trotzdem immer schon Probleme, wenn Künstler etwa  – noch recht anständig – halbnackte Jesus Christus Bilder malten. Auf Kreuzesdarstellungen erscheint Jesus sehr oft fast ganz nackt, über die homoerotisch gestylte Figur des heiligen Sebastian ist viel geschrieben worden. Und die hübschen Sebastians – Darstellungen fehlen fast in keiner Kirche in Südeuropa. Hanno Rauterberg, Redakteur in der Wochenzeitung DIE ZEIT schreibt dort am 15.2.2024, Seite 45: “Bei vielen Künstlern wird der Penis Jesu zwar verhüllt, doch notdürftig nur, denn kunstvolle Falten im Lendentuch lenken den Blick erst recht auf die mächtige Beule. Das Leben nach dem Tode – vitaler denn je”.

11.

Angesichts der so oft halbwegs tolerierten Nackheit der größten Gestalten des Christentums fragt man sich, was sollte eigentlich die Aufregung in Paris im Juli 2024 bedeuten über “Das letzte Abendmahl”, gefeiert von Queers? Die Antwort kann nur sein: Eigentlich mag die katholische Kirche offiziell die queeren Menschen ganz und gar NICHT, trotz vieler hübscher Sprüche des angeblich progressioven Papstes Franziskus. Die queeren Menschen sollen brav sein, sich etwa in einem Nebenraum der Kirchen diskret in ihrer Partnerschaft (natürlich NICHT Ehe!) segnen lassen und dann bitte wieder diskret im Untergrund oder Hintergrund verschwinden.

12.

Es reicht also, wenn die noch verbliebene katholische Öffentlichkeit mit weiblich gekleideten, in bunte Gewänder gehüllten Talar-Trägern konfrontiert wird oder den süßlich lächelnden Seminaristen, die selbst verständlich alle gar nicht Tunten sind. Nein, Respekt und Gleichberehctigung gibt es in dieser Kirche faktisch nicht.

Und von der Freiheit der Kunst und der Künstler hat diese Kirche in den allermeisten Fällen  keine Ahnung. Darüber haben schon die wenigen Kunst-gebildeten katholischen Theologen Jahre lang gesprochen. Ihre kreative, aufklärerische Arbeit ist wohl gescheitert…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophiischer Salon Berlin.

Jacques Bouveresse, französischer Philosoph, Literaturkenner und Kirchenkritiker

Ein Hinweis von Christian Modehn am 23. Juli 2024.

1.
In Deutschland ist der französische Philosoph Jacques Bouveresse ( 20.8.1940 – 9.5.2021) in weiten Kreisen nahezu unbekannt. In Frankreich gilt er als wichtiger Denker mit einem „Oeuvre philosophique majeure“, wie man dort sagt.
Kaum zu verstehen, dass seine großen Werke nicht ins Deutsche übersetzt wurden.
Jacques Bouveresse, stammt aus einer katholischen Familien im Département Doubs – an der Grenze zur Schweiz gelegen – , er ist auch mit theologischen Themen durchaus vertraut.

Jacques Bouveresse war ein außergewöhnlicher Mensch, nicht nur wegen seiner Sprachbegabung (er hatte z.B. einen akademischen Abschluss in Deutsch). Vor allem: Er hat – nicht nur aus Bescheidenheit, sondern um jegliche Abhängigkeiten zu vermeiden – offizielle „Dekorationen“, wie er sagte, also Orden und (staatliche) Auszeichnungen zurückgewiesen. Selbst die Ernennung zum “Chevalier de la Legion honneur“ lehnte er ab, jeglicher Konformismus war ihm zuwider, allerdings wurde ihm von der ökonomischen Hochschule HEC in Paris der Titel Dr. h.c. verliehen, 2019 empfing er den „Grand Prix de Philosophie“ von der „Académie Francaise“ für die Gesamtheit seines Werkes.

2.
Warum sollten wir uns für Bouveresse interessieren?
Er hat die Grenzen des philosophischen „Betriebes“ gesehen und sich Impulse der Erneuerung und dafür notwendige Ressourcen erhofft … auch von der Literatur. Er suchte Philosophie also auch dort, wo „man“ sie üblicherweise nicht vermutet. Vor allem mit dem österreichischen Schriftsteller Robert Musil und auch mit dem Autor Karl Kraus hat er sich intensiv befasst. Wichtig für Bouveresse ist vor allem der umfangreiche Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“. Bouveresse läßt sich von der Literatur anregen, die eigene Philosophie zu gestalten. Diese Erfahrung gilt es festzuhalten, wenn man sich vorstellen will, was Philosophieren und Philosophie heute sein sollte und sein könnte: Als kritisches Interessiertsein an allen Äußerungen, „Objektivierungen“ (Hegel), des Geistes.

3.
Bouveresse ist ein Rationalist, und er nennt sich so und ist stolz darauf und kämpft gegen alles Obskure in der Gesellschaft, gegen fundamentalistische Religionen und Kirchen (etwa in den USA) und gegen die postmodern sich nennenden Philosophen, die seiner Meinung nach die Beliebigkeit des totalen Relativismus pflegen und das „alles geht und alles ist möglich“ propagieren. Der Philosoph Jean -Matthias Fleury nennt Bouveresse einen „kritischen Historiker der Philosophie“: Er war also kritisch gegenüber der Postmoderne und modischen Tendenzen französischer Philosophen, Bernard-Henri Lévy oder Jean Marie Benoit warf er wissenschaftlichen und intellektuellen „Betrug“ vor. „Bouveresse war ein Polemiker und er war sehr bemüht, ein Minimum an praktischen philosophischen Regeln auszudrücken. Er hat Partei ergriffen für einen militanten Rationalismus, kritisierte gelegentlich heftig den Nihilismus à la Nietzsche. Und der schien ihm für eine ganze weite Fläche der französischen Philosophie der 1960- 1970ger Jahre charakteristisch zu sein, etwa in den gestalten Derrida, Lyotard und Foucault“ (siehe Fußnote 2).
Mindestens 50 philosophische Studien hat Jacques Bouveresse veröffentlicht; er war viele Jahre Professor an der Sorbonne und Mitglied des Collège de France, immer interessiert an dem weiten Umfeld der „analytischen Philosophie“ . Seine Doktorarbeit verfasste er 1975 über Ludwig Wittgenstein, damals in Frankreich noch relativ unbekannt. Regelmäßig veröffentlichte er Beiträge in der Monatszeitschrift „Le Monde diplomatique“. Und: „Bouveresse plante die philosophischen Übungen als eine Kunst der Lektüre und des Dialogs und als eine ständige Konfrontation mit dem Gedanken des anderen“, so Florence Vatan (im Vorwort zu Bouveresses Buch „La Passion et l exactitude“, 2024, S. 21., siehe Fußnote 1).

4.
Bouveresse war in seiner Entschiedenheit für möglichst umfassende Klarheit, für die konsequente Suche nach Gründen und Begründungen, der Verpflichtung der Wahrheit zu dienen sozusagen als Mensch bescheiden in seinem Auftreten und Argumentieren, die Ironie schätzend, mit einer Vorliebe für Philosophen, die bisher (in Frankreich) eher wenig Beachtung fanden, vor allem Wittgenstein und die „Wiener Schule“ .
Vor allem war er immer religionskritisch orientiert, gegen alle Irrationale, Frömmelnde, Mystizistische… Für religionsphilosophische Fragen ist besonders wichtig sein Werk „Peut-on ne pas croire? Sur la vérité, la croyance und la foi“, Marseille, 2007, 286 Seiten. Als Einführung in sein Denken empfiehlt sich Bouveresse, „Le Philosophie et le réell. Entretiens avec J.J. Rosat“, Hachette, Paris, 1998.

5.
Warum also ist ein Hinweis auf Bouveresse wichtig, wenn man den Zustand der Religionen vor allem in Europa und den USA kritisch untersucht?
Der zweifelsfreie Ausgangspunkt ist: Trotz aller Säkularisierung in Europa und Amerika gibt es ein deutliches Comeback eher fundamentalistischer Kirchen. Sie betonen übereinstimmend: Der Zusammenhalt ihrer Gesellschaften und ihrer Staaten könne nur durch die praktizierte (fundamentalistische) Religion garantiert werden. Es gebe also diesen Propagandisten zufolge eine Art praktische und auch politische Notwendigkeit, zur alten Religion und den überkommeneren Konfessionen zurückzukehren…

6.
An diesem Punkt der Analyse setzt Bouveresse in einem auf Deutsch publizierten Beitrag für „Le Monde diplomatique“ vom 13.5.2007 an. Der Aufsatz hat den Titel „Annäherung an die Funktion Gott“. Bouveresse bezieht sich dabei auf eine These des Philosophen und Autors Régis Debray: Er hatte behauptet, die „derzeitige Renaissance des Religiösen“ sei ein Beweis dafür, dass der religiöse Glaube überhaupt nicht zum Verschwinden zu bringen sei, auch nicht durch so genannte Ersatzreligionen. Bouveresse kritisiert zunächst, dass es nicht möglich ist, aus dem faktischen Vorhandensein z.B des Phänomens Kirche auf die Notwendigkeit ihres Fort – Bestehens zu schließen. Die Renaissance des Religiösen und auch das Wiedererstarken der alten Konfessionen sind also kein Bewies dafür, dass die klassischen Religionen und Konfessionen nun letztlich doch nicht gescheitert sind und Recht haben. Bouveresse schreibt: „Und selbst wenn die Gesellschaft der Rückkehr zu einem verloren gegangenen Glauben bedürfen sollte, welche Art von Glauben ist es dann genau, zu der sie angeblich zurückfinden muss? Sie einfach an das religiöse Bedürfnis der Gesellschaft zu erinnern, reicht jedenfalls anscheinend nicht, um sie diesen Glauben wiederfinden zu lassen.Noch einmal: Irgendeine Form des Glaubens als Faktum anzuerkennen ist nicht dasselbe wie die Unvermeidlichkeit des religiösen Glaubens zu behaupten, auch wenn Religionsphilosophen wie Debray diesen Unterschied gern herunterspielen.“

7.
Bouveresse deutet nur kurz und knapp an: Welche Religion kann in dieser zerstrittenen Welt und in der säkularen Gesellschaften noch Bestand haben, ohne dabei sinnlose Überlegenheitsansprüche gegen dem säkularen Staat zu betonen? Es kann sich dabei eigentlich nur um eine rational zugängliche Menschheitsreligion für alle Menschen handeln, eine Idee, die für Kant wichtig wurde in seiner Schrift „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“. Wenn Religionen und Kirchen heute eine Bedeutung haben können, dann so Bouveresse, wenn sie die republikanischen Werte, also die Menschenrechte, höher einschätzen, auch als Kriterium der eigenen Wahrheit als alle konfessionellen und religiösen Lehren und Weisungen. „Was genau brauchen wir eigentlich in religiöser Hinsicht? Könnte es nicht mehr oder weniger objektive Gründe geben, die eher für die eine als für die andere Glaubensentscheidung sprechen? Angenommen, man gesteht zu – was ohne Schwierigkeiten möglich sein sollte –, dass eine „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ (ungefähr im Kant’schen Sinn) immer noch eine Religion wäre. Gäbe es dann nicht ernst zu nehmende (intellektuelle, moralische, politische usw.) Gründe, eine derartige Religion solchen vorzuziehen, die die fraglichen Grenzen überhaupt nicht kennen?“

8. Die alten Religionen, Konfessionen, führen nicht aus der Krise
Wichtig ist dem entsprechend die These Bouveresses:
Hütet euch vor der Wiederkehr der alten Religionen in dieser Zeit, in der angesichts der vielfachen Krisen erklärt und verkündet wird, die Säkularisierung sei vorbei und die Zeit der alten Religionen beginne wieder. Bouveresse schreibt: „Mit Sicherheit wäre es dagegen ein Trugschluss, auf künstliche Weise herkömmliche Religionen in die Institutionen, Verhaltensweisen und Praktiken wieder einführen zu wollen – in der Hoffnung, so den sozialen Zusammenhang herstellen oder festigen zu können.“ In der jetzigen Situation eines globalen gesellschaftlichen Umbruchs mit zahllosen Krisen helfen nur „Veränderung und Reorganisation“ der Gesellschaft weiter. Dabei können die alten Religionen und ihre Lehren gar nicht mehr hilfreich sein, weil ja auch sie zu der tiefgreifenden politischen, ökonomischen und kulturellen Krise geführt haben. Noch einmal: Die alten Religionen und Kirchen sind also Mit – Verursacher des gegenwärtigen heillos wirkenden Zustandes der Welt.
Das heißt: Die altgewordene Religionen und altgewordenen und veraltet erscheinenden Konfessionen haben im globalem gesellschaftlichen Wandel und Zusammenbruch keine inspirierende, hilfreicheKraft mehr.

9.
Bouveresse sieht im Fortbestehen und Überleben der alten Religionen und der alten Götter nur eine Form der „Amnesie“, der Vergesslichkeit und Gedächtnisstörung der Menschen, hofsichtlich der Kraft der Religionen von einst. Er schreibt: „Diese Form der Amnesie lässt nach dem bitteren Scheitern einer Neuerung (der Religion, CM), die eine Zeit lang vielversprechend schien, mit Vorliebe die guten alten, immer bequemeren und beruhigenderen Lösungen wieder aufleben – obwohl man eigentlich weiß, dass diese Versuche, gelinde gesagt, nicht sehr erfolgreich gewesen sind.“ Mit anderen Worten: Die Kirchenführer der alten, aber nachweisbar im politischen und ökonomischen Bereich wirkungslosen Kirchenwelten, machen sich falsche Hoffnungen für eine Zukunft ihrer Kirchen, gerade wenn sie nichts weiter tun, als das Alte und angeblich „Ewige“ und „göttlich Verordnete“ unbeirrt und stur fortzusetzen, siehe etwa die Haltung der katholischen Kirche zur Ordination von Frauen; die päpstliche Ablehnung von Demokratie in der katholischen Kirche usw.. Diese Haltung hat zum langsamen Verschwinden der Kirchen-Bindung und Kirchen-Gläubigkeit in Europa geführt. Siehe die hohen Austrittszahlen aus den Kirchen etwa in Deutschland, Österreich, Holland, Belgien, England, Spanien, der Schweiz usw. ChristenInnen verlassen die Kirchen, weil diese ihnen antiquiert, irrational, bürokratisch, fundamentalistisch, paternalistisch usw. erscheinen. Und es wohl auch erfahrungsmäßig und nachweislich sind.
………………………….

FUßNOTE 1:
„La Passion de l Exactitude“ mit dem Untertitel „Robert Musil et la philosophie“, erschienen im Verlag Hors d` Atteinte, Marseille, 2024, mit einem Vorwort von Florence Vatan. 123 Seiten, 17€. Der Text geht auf eine auf Deutsch gehaltenen Vorlesung Bouveresses in Wien im Oktober 2008 zurück.

FUßNote 2:
Cinquante ans de philosophie française.“ Band 4, von Bernard Sichère, Paris 1998, S. 72.
………………………..

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer-salon.de

Abbé Pierre: Ein hochverehrter Priester, nun Missbrauchstäter.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 12.9.2024

1.

Ich lösche meinen Beitrag vom 18.7.2024 bzw 2.8.2024 über Abbé Pierre als Missbrauchstäter.

2.

Mein Hinweis war von der Hoffnung geleitet, Abbé Pierre habe sich “bloß” “leichte” sexuelle Übergriffe erlaubt…Ich war zudem sehr bewegt  von seinem offenen und öffentlichen Bekenntnis: Er habe dem sexuellen Verlangen nachgegeben… Welcher “Missbrauchstäter” ist so offen und wahrhaftig? Siehe das Buch: Abbé Pierre, “Mein Gott, warum?” (DTV 2007), Seite 32f.

Am 25.1.2025 notiert:

Will man es genau wissen: Abbé Pierre ist als junger Mann von 17 Jahren, wie üblich damals (und bis ca 1970 üblich),in den Orden der Kapuziner eingetreten, der damals sehr strenge Orden hat diesen zweifellos – auch sexuell – unreifen jungen Mann sehr gern aufgenommen (unbedingt will jeder Orden “Nachwuchs”!), und über Sexualiät wurde selbstverständlich im Kloster wie in allen anderen Klöstern und Priesterseminaren nicht gesprochen. So begann der Leidensweg eines sexuell stark interessierten, aber auch fürs Ordensleben, Priestertum ebenso heftig interessierten sehr jungen Mannes. Mit anderen Worten. Es ist auch die klerikale Kirchenführung schuld am “Fall Abbé Perre”, es ist eine klerikale Clique, die nach wie vor sehr junge Männer zu einer angeblich zölibatären Lebensweise auffordert.

Damit wird die subjekive Schuld Abbé Pierres nicht geleugnet, aber sie wird deutlich eingebunden in das klerikale System der “Rekrutierung des Priester – Nachwuches”. Das heißt: Auch das Kirchensystem ist schuld am “Fall Abbé Pierre”. Abbé Pierre war offenbar nicht in der Lage, wie sonst alle zölibatär lebenden katholischen Ordensleute und Priester, sich mit der üblichen Onanie zu begnügen, als der Form von einsamer Sexualität, der sich sonst die meisten anderen katholischen Seminaristen und Priester usw. hingeben (müssen). Dabei sagt der Katechismus von 1993 deutlich: Onanie ist Sünde (§ 2352 dieses Katechismus). Das heißt: Die zölibatäre Lebensweise treibt aufgrund der Zölibatsgesetze die Priester in die Sünde, wenn sie denn noch die Weisungen des Katechismus überhaupt noch ernst nehmen. Dieses Thema wird auch unabhängig vom “Fall Abbé Pierre” nicht in der Katholischen Kirche besprochen: Onanie als Klerus – Sexualität wäre aber ein neues (peinliches) Forschungsthema…

Abbé Pierre, der damals sehr hoch geschätzte “Sozialapostel”, ist eines der Opfer dieses Systems. An dem die Kirchenführung festhielt, weil sein Renommé in der Öffentlichkeit (es ist das Spenden – Geld, das er einspielte) wichtiger war als seine damals schon bischöflich bekannten sexuellen Verirrungen. Dass Abbé Pierre den offen und explizit Homosexuellen Priester Jacques Perotti als seinen Sekratör für viele Jahre ausdrücklich wählte, wird bei all den dramatischen Verirrungen Abbé Pierres mit Frauen vergessen. Komisch. Darauf haben wir immer hingewiesen.

3.

Mich wundert es, dass auf dieses offene und öffentliche Bekenntnis Abbé Pierres in dem genannten, auf Französisch selbstverständlich auch erschienen, Buch jetzt so selten Bezug genommen wird.

4.

Aber: Die Fakten gegen ihn sind jetzt, Mitte September 2024, in dieser Hinsicht offenbar sehr gravierend. Deswegen lesen Sie bitte weiter unten einen Hinweis zur Erklärung der französischen Bischofskonferenz vom 12.9.2024. Sie will ihr gut behütetes (?) auf Abbé Pierre bezogenes Archiv vorzeitig schon zugänglich machen. Wenn solches in katholischen offiziellen Kreisen geschieht, ist das schon außergewöhnlich.

5.

Und es wird weiter eine Art Beben geben nicht nur in katholischen Kreisen, sondern in weiten Kreisen der französischen Gesellschaft, wenn nun auch dieser einst so hoch verehrte Priester in die Kategorie der Verbrecher einsortiert wird und man seinen Namen aus der Öffentlichkeit entfernen wird. Eine Abbé Pierre Säuberung also.

6.

Und nun ist das ohnehin schon absolut angeschlagene Renommée der katholischen Kirche in Frankreich weiter zutiefst beschädigt. Die bekannte und geschätzte linke katholische Wochenzeitung “Témoignage Chrétien (T.C.) ” (jetzt leider nur noch erreichbar im Internet) hat am 12.9.2024 darauf hingewiesen, und das ist ein großer Skandal: Bestimmte Kardinäle (Feltin und Spellmann) und französische Bischöfe Alexandre Renard und André Fourgerat, wussten schon sehr früh, seit Mitte der fünfziger Jahre, von Abbé Pierres sexuellen Übergriffen. Ich zitiere aus T.C.: “Il apparaît en effet, selon des informations concordantes, que l’inconduite – au minimum – de l’abbé Pierre envers les femmes était connue des cercles de ses proches à Emmaüs dès le milieu des années 1950. Étaient également au courant des membres éminents de la hiérarchie catholique, tels que le cardinal Maurice Feltin, alors archevêque de Paris, et le cardinal Francis Spellman, son homologue de New York, ou encore les évêques de Versailles Alexandre Renard, ou de Grenoble André-Jacques Fougerat. Ces prélats ont été alertés après un voyage désastreux de l’abbé Pierre aux États-Unis en avril-mai 1955, au cours duquel au moins deux femmes se sont plaintes de sa conduite, d’après les carnets inédits du philosophe catholique Jacques Maritain. ” Quelle: https://www.temoignagechretien.fr/laffaire-de-labbe-pierre/) Die genannten “Oberhirten” wussten also sehr früh schon Bescheid über Abbé Pierres “inconduite”, harmlos genannt ungewöhnliches Verhalten… und diese Herren der Kirche unternahmen nichts. Denn  am Ruhm eines nun endlich mal katholischen “Helden” im “laizistischen” Frankreich (der “große Sozialapostel”,”Helfer der Menschheit”  etc…) wollten die Oberhirten nicht “kratzen”… Vielleicht gab es andere “Fälle” im Klerus, dier auch verschwiegen wurden… Dabei ist es andererseits unzweifelhaft, dass Abbé Pierre ein bedeutendes internationales Sozial-Werk aufgebaut hat  .. trotz seines Doppellebens” als “Abbé”.

7.

Das ist das Schlimme an den Debatten um Abbé Pierre: Es findet keine  freie und offene Diskussion statt zum Thema Zölibatsgesetz für Priester: Man denke bitte daran, dass der junge Henri Grouès, so der bürgerliche Name Abbé Pierres, als 17 Jähriger (sic) in ein Kapuiner – Kloster eintrat, weil er in dem damals bis heute üblichen katholischen Wahn auch von sich selbst überzeugt war, dem “lieben Gott” und der “Mutter Kirche” auf diese Weise dienen zu können.

Nebenbei: Es ist bis heute in aller Welt, in Indien, Indonesien, auf den Philippinen und soweiter, allüberall, offiziell üblich, junge Männer ab 17 Jahren schon ins Kloster oder ins Priesterseminar als “Novizen ” oder “Seminaristen” aufzunehmen. In den “armen Ländern”  der Armen ist die katholische Priester – Karriere eine gute “Laufbahn”, die zudem immer öfter ins europäische Ausland führt (weil es dort keine “einheimischen” deutschen, französischen Priester mehr gibt). in Europa haben die vielen tausend afrikanischen oder indischen Priester als Afrikaner oder als Inder oder Philippinos keine Probleme, Aufenthaltsgenehmigingen zu erhalten. Priester sind eben aufgrund bester Kirche- Staat- Beziehungen “etwas Besonderes”..

8.

Und man diskutiert bis heute nicht offen und öffentlich in der Kirche die streng -katholische Ideologie, die da meint: Wunderbar, wenn sich so junge Männer, “schon so wunderbar fromm”, mit 17, 18 oder 19 Jahren fürs Kloster oder Priesterseminar entscheiden. Der Klerus freut sich, wenn er “Nachwuchs” bekommt, wie es heißt, zur Stablisierung der ewigen Klerus – Kirche.

9.

Und man diskutiert bis heute nicht offen und öffentlich in der Kirche die Tatsache, dass die kirchlichen Zöibats-Gesetze  junge Männer in der emotionalen Einsamkeit von Kloster und Priesterseminar zur Selbstbefriedigung (manchmal mit anderen) förmlich treiben. Über die  Masturbation im Kloster und im Priesterseminar und später nach der Priesterweihe wird selbstverstädnlich überhaupt nicht offen und öffentlich in katholischen Kreisen gesprochen. Was um so dramatischer ist, weil im offizielen katholischen Katechismus (von 1993) immer noch Masturbation “als schwere ordnungswidrige Handlung gebrandmarkt wird” (so wörtlich in Paragraph 2352 dieses offiziellen Texte, an den sich doch wenigstens Seminaristen und Kosterbürder halten sollen)?

10.

In diesem kletrikal vergifteten Milieu wurde Abbé Pierre zum Täter, in gewisser Weise auch ein Opfer des klerikalen Systems mit seinem Zwangszölibat für Priester. Und Abbé Pierre selbst hat unter diesem menschlich so grausamen  System gelitten, siehe bitte das Buch “Mein Gott, warum?”, “Mon Dieu, pourquoi ?” Warum wird das Buch nicht intensiver gelesen, nicht zitiert??? Darin wird deutlich: Abbé Pierre hat unter dem unmenschlichen Zölibatsgesestz gelitten, er konnte (und wollte?) sich daraus nicht befreien. Deswegen hat er Frauen missbraucht. Es ist die Klerus – Kirche, die eigentlich bei den Frauen um Verzeihung bitten müsste angesichts des Missbrauchs. Dies tut die Klerus Kirche eben ALS Klerus Kirche aber nicht. Und das ist die Schande.

11.

Es bleibt die entscheidende Frage: Ein Missbrauchstäter kann ein umfangreiches, hoch geschätztes internationales Sozialwerk (“Emmaus”) aufbauen, kann die Menschen zur sozialen Hilfe bewegen, als Sozialkritiker in der Öffentlichkeit sprechen, zum “Beliebtesten” aller Franzosen aufsteigen und trotzdem – in einer verschwiegenen Welt des Missbrauchs – sexuellen Missbrauch begehen. Und einige Kirchenführer wussten von diesem Missbrauch, griffen aber nicht ein, weil der “angesehene Priester – Star” in hellem Licht erscheinen musste. Er spielte aufgrund seines Renommes schließlich auch viel Geld, Spenden etc. ein… Auf diese Ikone des Klerus wollte die Klerus – Kirche nicht verzichten…

……

Frankreichs Bischöfe öffnen Archive zu Abbé Pierre
Veröffentlicht am 12.09.2024 um 12:44 Uhr –
Quelle: https://www.katholisch.de/artikel/55962-vorzeitig-frankreichs-bischoefe-oeffnen-archive-zu-abbe-pierre

Paris ‐ Die Vorwürfe gegen den französischen Armenpriester Abbé Pierre wiegen schwer. Nun öffnet die Kirche vorzeitig ihre Archive, um den Anschuldigungen gegen die einstige nationale Ikone auf den Grund zu gehen.

Nach schweren Vorwürfen gegen den als “Vater der Obdachlosen” bekanntgewordenen Armenpriester Abbé Pierre (1912-2007) haben die französischen Bischöfe entsprechendes Archivmaterial freigegeben. Es werde ab sofort allen berechtigten Personen zur Verfügung gestellt, insbesondere Forschern und Journalisten, heißt es in einer Mitteilung der Französischen Bischofskonferenz (Donnerstag). Ohne die Freigabe wären die Dokumente erst 75 Jahre nach dem Tod Abbé Pierres – also 2082 – einsehbar gewesen.
Dem Ordensmann werden sexuelle Übergriffe gegen Frauen und Minderjährige vorgeworfen. Erst kürzlich veröffentlichte die von ihm gegründete Emmaus-Bewegung weitere belastende Zeugenaussagen. Eine Expertenkommission soll den Vorwürfen auf den Grund gehen.

…..

Siehe auch die offizielle Erklärung der französischen Bischofskonferenz:

Communiqué de la CEF à la suite des nouvelles révélations concernant l’abbé Pierre

…………

“Le Monde”  (Paris)  am 13.9.2024:

Le Vatican était au courant des agressions sexuelles commises par l’abbé Pierre depuis des années, selon le pape François

De retour d’un voyage en Asie, le chef de l’Eglise catholique a reconnu que Rome était au courant des violences sexuelles perpétrées par le fondateur d’Emmaüs, au moins après sa mort. Il a appelé à la transparence et condamné des faits « démoniaques »…

……

“Libération” am 14.9.2024: “Abbé Pierre: Comment le silence a-t-il tenu aussi langtemps autour du fondateur d REmmaus?”

Décédé en 2007, l’abbé Pierre est depuis juillet visé par des accusations de violences sexuelles commises entre les années 50 et 2000, avec début septembre une nouvelle salve de témoignages sur des faits gravissimes pouvant pour certains s’apparenter à des viols ou concernant des mineures. Vendredi soir, le pape François a fait savoir que le Vatican avait été informé, a minima après la mort de l’abbé Pierre, des accusations visant le prêtre français qu’il a qualifié «de terrible pécheur».

Pour la présidente de la Conférence des religieux et religieuses de France (Corref), Véronique Margron, «on ne peut sérieusement imaginer une seconde que cela s’est fait à l’insu de tout le monde. Sur une figure aussi connue, aussi publique, aussi repérée, c’est impossible». Mais il fallait sans doute «protéger la naissance de ce qui allait s’appeler Emmaüs», considère auprès de l’AFP la religieuse, selon qui «la figure de l’abbé Pierre était trop forte et le mouvement trop important pour aller au-delà de décisions de conscience personnelle».

Témoignage
Le délégué général d’Emmaüs International, Adrien Chaboche, estimait le 9 septembre sur RTL que «forcément il y a des gens qui ont su ce qui se passait, dans l’Eglise», «le mouvement Emmaüs». Mais quoi exactement, «ça, je ne le sais pas». Emmaüs a depuis ces révélations lancé une commission d’enquête et l’Eglise ouvert ses archives.

«Une machine à cash»

L’ancienne présidente du Secours catholique Véronique Fayet rappelle que l’abbé Pierre rendait bien service à l’institution. «C’était la machine à cash, pour dire les choses crûment» et «sans l’abbé Pierre, les collectes auraient été un peu plus compliquées», ajoute-t-elle. Car le prêtre est au fil du temps devenu une icône de la lutte contre la pauvreté, identifiable immédiatement avec sa cape et son béret. Député dans les années 50, pendant seize ans personnalité préférée des Français, il a même été en 1989 au cœur du film à succès Hiver 54, l’abbé Pierre.

Véronique Fayet, qui fut elle-même «chiffonnière d’Emmaüs» dans les années 70, se souvient : «On avait 18-20 ans, et c’est vrai qu’il nous fascinait, il avait une parole forte, qui nous faisait rêver d’une société juste, fraternelle, généreuse.» Elle n’a pas personnellement souvenir de scènes exaltées à son passage, telles que décrites dans certains ouvrages dès les années 60. Mais elle dépeint un personnage devenu peu à peu «intouchable», voire «quasi-saint de son vivant». «Pour une victime, porter plainte contre un saint, c’est impossible. Elle est quasiment sûre que ça va se retourner contre elle, parce qu’elle dit du mal d’une personne qui est quasiment béatifiée», explique-t-elle.

«Un sentiment de toute-puissance»

Le premier rapport du cabinet spécialisé Egae, en juillet, expose un tel témoignage : «J’ai l’habitude de me défendre. Mais là, c’était Dieu. Comment vous faites quand c’est Dieu qui vous fait ça ?» Dans son essai «Emmaüs et l’abbé Pierre» (2009), l’historienne au CNRS Axelle Brodiez-Dolino explique que le prêtre était «perçu à l’extérieur comme un leader charismatique» et «sans conteste en interne une icône et une figure tutélaire».

L’abbé avait lui-même évoqué en 2005 des expériences sexuelles dans son livre Mon Dieu… pourquoi ?. «Consacrer sa vie à Dieu n’enlève rien à la force du désir, et il m’est arrivé d’y céder de manière passagère», y écrivait-il. Un aveu au goût amer, rétrospectivement : ce qui passait alors pour une allusion au vœu de chasteté évoque immanquablement aujourd’hui des abus plus graves.

Mais le silence a prévalu. Ainsi «vous renforcez le sentiment de toute-puissance, puisque malgré des actes au minimum répréhensibles, pour prendre un euphémisme, il ne se passe absolument rien», souligne Véronique Margron. Exemple de cette «toute-puissance» : des courriers révélés par la cellule investigation de Radio France montrent un abbé Pierre menaçant dans des lettres ceux qui l’accusaient d’agressions sexuelles. Personne n’a alors parlé, «par peur du scandale», disait Axelle Brodiez-Dolino dans le Monde du 1er août. Elle résume ainsi le problème : «L’icône rendait davantage service sur son piédestal.»

……

La Croix (Paris) am 19.9.2024LINK   https://www.la-croix.com/religion/affaire-abbe-pierre-ce-que-revelent-les-archives-de-l-eglise-de-france-20240919?utm_source=newsletter&utm_medium=email&utm_campaign=NEWSLETTER__CRX_ESSENTIEL_SOIR_EDITO&utm_content=20240919

……..

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

Marine Le Pen und ihr katholischer Glaube

Ein Hinweis von Christian Modehn am 1.7.2024

1.
Wenn mehr als 40 Prozent der praktizierenden Katholiken die rechtsextreme Partei von Marine Le Pen („Rassemblement National“, RN) zur Europawahl am 9. Juni 2024 gewählt haben, muss man fragen:
Ist denn Madame Le Pen eine so überzeugende Katholikin, dass praktizierende Katholiken sie so gern wählen?

2.
Über ihren Glauben, auch über ihre Bindung an den Katholizismus, hat Marine Le Pen mehrfach kurz gesprochen.

Dabei war die Partei „Front National“ (FN) unter ihrem Vater Jean-Marie Le Pen deutlich geprägt von einem sich katholisch nennenden, traditionalistischen Flügel, zu dem etwa der extrem militante Bernard Antony gehörte. Aber im Jahr 2008 wurde Bernard Antony, Führer des katholisch – reaktionären Flügels, aus dem FN ausgeschlossen. Das wird als Vorspiel gedeutet für den Aufstieg von Marine Le Pen: 2011 wurde sie Vorsitzende der Partei. Sie sorgte dafür, dass ihr offen rechtsextremer Vater 2015 aus der Partei ausgeschlossen wurde. Im Juni 2018 erhielt die Partei unter ihrer Führung den Namen „Rassemblement National“ (RN). Das Nationale und Nationalistische blieb erhalten, aber „Versammlung, Rassemblement, klingt etwas freundlicher als „Front.“ Mit der Ausgrenzung des katholisch – traditionalistischen Einflusses von einst wollte sie zeigen: Die „neue“ Partei will vor allem auch die sehr vielen kirchenfernen Wähler gewinnen. Madame Le Pen nennt diesen nach außen hin etwas freundlicheren Namen der Partei „dédiablisation“, Entdiabolisietung, will sagen: dass die Partei nach außen vor allem nicht mehr antisemitisch ist. Das jüdische Ehepaar Klarsfeld, die „Nazijäger“ von einst, glaubt das so einfach und betont jetzt, Marine Le Pen zu wählen. Darf man das eine Schande nennen oder nur „Alters-Schwäche“… Feinde sind für Marine Le Pen nicht mehr, wie es zur französischen Tradition auch ihres Vaters gehört, „die Juden“, sondern die „Islamisten“ und eigentlich alle Fremden…

3.
Zum Jahr 2017: (Quelle: LINK )

Anläßlich der Präsidentschaftswahlen 2017 sagte Marine Le Pen in Reims bei einem Besuch der berühmten Kathedrale, sie wird als „Geburtsort“ des katholischen Frankreich hoch gepriesen: „Frankreich muss sich an die Versprechen seiner Taufe erinnern. Es gibt Menschen, die glauben an den Himmel, und solche, die daran nicht glauben. Aber ich glaube!“
Die Mitarbeiter Madame Le Pens ergänzten: „Ganz evident, sie ist katholisch“. Von der Erinnerung an das Taufversprechen Frankreichs sprach in ähnlichen Worten („Erinnert euch an die Taufe Frankreichs“!) übrigens Papst Johannes Paul II. bei seinem Besuch in Reims im Jahr 1996.
Madame Le Pen wurde in Reims von vielen nicht willkommen geheißen, und ausgepfiffen: (Quelle: “Le Monde”. LINK )
Trotzdem sagte sie dort über ihren katholischen Glauben: „Ich habe meine Kinder in der Kirche (der so genannten “Pius-Brüder” des schismatischen Erzbischofs Marcel Lefèbvre, CM) St. Niocolas du Chardonnet (Paris) taufen lassen. Ich habe also nicht traditionalistische Katholiken zu kritisieren. Aber ich wünsche nicht, dass sie wie in einer Art abgeschlossenen `Kapelle`, ihre religiösen Überzeugungen über die politischen Überzeugungen stellen“.
So gibt sich Madame Le Pen nach außen hin als treue Verteidigung der französischen laicité, also der Überordnung staatlicher, aber vernünftiger Gesetze über religiöse Weisungen.
Aus taktischen Gründen ist in dem RN offiziell keine kritische Rede mehr von Kritik an der Homosexuellen – Ehe oder zum Schwangerschaftsabbruch zu vernehmen. Die rechtsextremen Führer haben erkannt: Diese Themen spalten die Gesellschaft, man will die Mehrheit gewinnen…

4.
Im April 2017 bekannte sich Madame Le Pen in einem Interview mit „La Croix“ sogar als „extrem gläubig, aber verärgert mit der Kirche.”
Dieselben Worte sagte sie schon in einem Interview mit der katholischen Zeitschrift „La Vie“ (Paris) im Jahr 2011: Und damals fügte sie hinzu: „Glücklicherweise aber berührt (stört) der Klerus nicht meinen Glauben“ (Quelle. Pierre Jova in „La Vie“, 3.10.2022. Publié et mis à jour le 05/10/2022 à 11h37). Madame Le Pen fühlt sich verletzt, so heißt es in ihren Kreisen, weil die katholischen Bischöfe einst ihren Vater, den reaktionären Chef des Front National, heftigst kritisieren. Gegenüber Marine Le Pen ist die Bischofskonferenz sehr viel moderater, sehr viel schweigsamer geworden. Vor den Wahlen am 30.6.2024 fiel den Bischöfen nichts anderes ein, als aufzufordern zur Wahl zu gehen und… zu beten. LINK.

5.
Madame Le Pen äußert Kritik auch zu Papst Franziskus, weil er sich stark für die Offenheit gegenüber Migranten einsetze. Marine Le Pens dauerndes Statement: „Der Papst sollte sich nicht politisch einmischen.“ Damit zeigt sie sich wiederum als Anhängerin der laicité, der Trennung von Kirche und Staat. Und damit kann sie Mehrheiten finden!

6.
2021 schrieb die Zeitung „Le Parisien“, Marine Le Pen verstehe sich nun eher als „Catholique du Parvis“, als „Katholiken auf dem Vorplatz der Kirche“. (Quelle: Alexandre Sulzer in der Tageszeitung „Le Parisien“, am 18.März 2021.)

7.
2022: Madame Le Pen polemisiert gegen ihren politischen Feind von sehr extrem Rechtsaußen, gegen Eric Zemmour und seine Partei Reconquete: In einen Zusammenhang nannte sie Zemmour – Wähler „katholische Traditionalisten“, „Heiden“ und „Nazis“. „Eine Ungeschicklichkeit“ nennen sogleich Mitarbeiter diese Äußerung der Parteichefin und sie selbst versucht die Wogen zu glätten. „Ich hätte eher „Integristen“ sagen sollen“, meint Madame Le Pen später. „Integristen“ sind eigentlich noch radikaler als Traditionalisten: Sie wollen die Herrschaft der Kirche über den Staat. Traditionalisten fordern hingegen den Stop jeglicher Kirchenreform und die Wiederkehr der alten lateinischen Messe des 16. Jahrhunderts.

8.

Warum also wählen so viele praktizierende Katholiken die nach wie vor rechtsextreme, nach außen sich etwas freundlich gebende Partei Marine Le Pens? Viele Gründe sind zu nennen: Etwa: Die Inhalte der Partei “Rassemblement National”  sind den Katholiken sympathisch, weil sie selbst politisch sehr konservativ, sehr national, manchmal reaktionär denken … und immer nur eine Minderheit der französischen Katholiken politisch links war. Weil sie die Demokratie als schwierige Lebensform (“zu viele Diskussionen” etc.) nicht auf Dauer gestalten und auch ertragen wollen. Weil die Demokratie ohnehin in der katholischen Kirche selbst keine “heilige Institution” ist und sich diese katholische Kirche selbst so oft auch poffiziell und so gern “nicht – demokratisch” nennt. Und: Die geheime Liebe der Katholiken zu einem “Führer”, etwa zu Marschall Pétain in den Jahren der Nazi-Besetzung Frankreichs, ist bekannt. Die Ergebenheit vieler Laien für den Papst und den Klerus war immer auch eine Treue zu “Führern”…

9.

Der neue Trend unter konservativen und reaktionären Katholiken in Frankreich, der auch zur Sympathie für die Partei Marine Le Pens führt: Diese Katholiken nennen sich “tradis”, also eher sanfte Traditionalisten: Sie beteiligen sich an dem jährlichen Pilgermarsch von Paris nach Chartres, 18.000 Teilnehmer 2024; sie sind mit offiziell römisch – katholischen Vereinen und Orden verbunden, die aber de facto auch theologisch reaktionär sind, wie das “Instiutut du Bon Pasteur” in Bordeaux, dort ist Mitglied der populäre, äußerst konservative Priester Matthieu Raffray. Oder auch die viele Mitglieder zählende äußerst konservative Gemeinschaft der Priester von “Christ-Roi Souverain Pretre”.

10.

Der neue Parteichef des Rassemblement National ist Jordan Bardella (geb. 1995 in Drancy), er besuchte als Katholik in der Banlieue, in Saint Denis, die katholische Schule “Jean-Baptist de la Salle”.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin