„Notre Dame“, die Pariser Kathedrale, ist beliebt. Die Kirche nicht.

Ein kulturhistorisches Monument wird wieder eingeweiht.
Ein Hinweis von Christian Modehn am 29.11.2024.

1.
Am 7. und 8. Dezember 2024 finden die Feierlichkeiten der (Wieder) – Eröffnung der Kathedrale „Notre Dame“ in Paris statt. Vor 5 Jahren, im April 2019, vernichtete ein verheerendes Feuer umfangreiche Teile des mittelalterlichen Gebäudes.

2.
Über die nun fast abgeschlossene Neugestaltung der Pariser Kathedrale informieren aktuelle Berichte. Man beachte u.a.: Nicht mehr Bänke dienen als Sitzgelegenheit, sondern 1.500 bequeme Stühle…Alles andere als eine Kleinigkeit für katholische Verhältnisse.
Der religionsphilosophische Salon bietet angesichts der Wiedereröffnung – in gebotener Kürze – etwas Hintergrund zur aktuellen religiösen Situation in Frankreich sowie Hinweise auf Besonderheiten in der langen Geschichte von „Notre Dame“.

3.
„Die jetzt auferstandene „Notre Dame“ ist ein Werk des Präsidenten Emmanuel Macron“: Diesen durchaus auch zutreffenden Eindruck wollte der französische Präsident für die Geschichtsbücher hinterlassen, als er sich am 29. November 2024, noch vor der offiziellen Wieder – Eröffnung, in der Pariser Kathedrale im renovierten Gotteshaus präsentierte. LINK. Einige aktuelle Fotos: LINK Der Präsident einer in Deutschland laizistisch genannten Republik („République laique“ meint allerdings etwas andres als„laizistisch“) will zweifellos die Kathedrale als ein überkonfessionelles Monument der (erwünschten) nationalen Einheit propagieren, als ein herausragendes kulturelles, künstlerisches und ästhetisch erhabenes Erbe der „Grande Nation“. Und damit entspricht Macron durchaus einer weit verbreiteten Sehnsucht im gar nicht mehr katholisch geprägten Frankreich, nur 29 % der Franzosen nannten sich 2023 katholisch. LINK https://www.insee.fr/fr/statistiques/6793308?sommaire=6793391 . Sowie ein LINK zum Zustand des französischen Katholizismus.

4.
Aber auch die Mehrheit der Franzosen, also die Menschen die sich „sans religion“ nennen, konfessionsfrei sagen manche in Deutschland, schätzen die Kathedrale Notre Dame: Bei der Suche nach der „französischen Identität“ geht es auch ihnen um die Stärkung des jetzt wieder viel besprochenen „patrimoine“, des „Kulturerbes“. Für die „Fondation Notre Dame“ wurden zum Wiederaufbau 358 Millionen Euro – auch aus dem Ausland, auch von Atheisten, gespendet.

5.
Mit „Notre Dame“ fühlen sich sehr viele Menschen vor allem emotional verbunden, Franzosen zumal. Es gibt zahlreiche Berichte, wie die Besucher ( 13 bis 20 Millionen sollen es vor dem Brand gewesen sein, also mindestens 30.000 pro Tag) die Dunkelheit im Innenraum schätzen, das Licht, die Fenster, die Skulpturen. Als Sigmund Freud 1885 diese Kathedrale besuchte, lobte er ausdrücklich „den Ernst und die Strenge des Gebäudes“… Er konnte wohl noch in einer gewissen Beschaulichkeit die Kathedrale besuchen, heute verweilen dort die meisten Touristen (um Fotos zu schießen) im Gedränge nicht länger als 5 Minuten, sie können diesen „obligatorischen Programmpunkt“ dann „abhaken“ und weiter durch Paris eilen…Es ist schon bezeichnend, dass auch in spanischen Kathedralen inzwischen eigens kleine (sic!) Kapellen mit eigenem Eingang geschaffen wurden, für Menschen, die wirklich in einem Gotteshaus auch mal ihre persönliche spirituelle Poesie, Gebete genannt, pflegen wollen.

6.
„Notre Dame“ gilt als Nationalsymbol. Der weibliche Titel einer katholischen Kathedrale spielt sicher hinsichtlich der Beliebtheit eine Rolle: Die Pariser Kathedrale gilt vielleicht auch -undogmatisch betrachtet – als das Haus einer „Gott – Mutter“, einer „Dame“, mindestens aber der „Gottes – Mutter“ Maria, die als die einflußreiche Himmelskönigin an Gottes Thron steht, so die offiziellen Dogmen…

7.
Das „National-Symbol“ Notre Dame hat eine sehr wechselhafte Geschichte. Vor allem an die alles entscheidende und bis heute prägende Zeit der Französischen Revolution (1789…) soll hier kurz erinnert werden.
Die Revolution identifizierte zurecht den Katholizismus mit dem absolut herrschenden „Ancien Régime“ des Königshauses, und die Revolutionäre, so unterschiedlich sie auch dachten, wollten eine katholische Kirche gründen, die die Ideale der Revolution und der Republik achtete und unterstützte, als eine demokratische Kirche. Der Papst tobte deswegen … bis 1950 wurde von führenden Katholiken die Französische Revolution zum Übel aller Übel erklärt… Philosophisch hoch gebildete Revolutionäre wie Robespierre setzten alles daran, auch Teile des höheren Klerus für die Revolution zu gewinnen, das gelang zum Teil, man denke an die herausragende Person des „Abbé Grégoire. 1791 wurde der damalige Weihbischof Jean – Baptiste Gobel zum „konstitutionellen“ (also revolutionsfreundlichen) Erzbischof von Paris gewählt. Im Rahmen der Radikalisierung atheistischer Revolutionäre (Anacharsis Cloots u.a.) wurden Gobel als Atheist bezeichnet und zum Rücktritt als Erzbischof aufgefordert und schließlich dann von Robespierre als angeblicher, verdächtigter Atheist am 13.4.1794 hingerichtet.

8.
Die Revolutionäre waren über die Kirchenführer als privilegierte Stütze des ancien régime empört, sie wollten in ihrer maßlosen Wut Frankreich „entchristlichen“ (décristianiser), d.h. auch aus der auch ideologischen Herrschaft der Kirche gewaltsam lösen. Als Ersatz zur Messe und den Sakramenten inszenierten einige Revolutionäre zunächst den „Kult der Vernunft“, der als eine Art Theaterspektakel auch in der Kathedrale Notre Dame aufgeführt wurde. Eine zentrale Rolle spielte dabei eine Frau als Repräsentantin der Sieger über den religiösen Fanatismus. „Das Fest der Vernunft hatte eine zutiefst theatralischen Charakter (caractère théatral“), schreibt die Historikerin Mona Ozouf, auf S. 607 in ihrem Beitrag „Religion revolutionaire“ in: „Dictionnaire critique de la Révolution Francaise“, Paris 1988.

9.
Dieser als Theater inszenierte „Kult der Vernunft“ wurde von Robespierre als atheistisch abgelehnt. Dieser Theater – Kult hatte auch nicht die Kraft, die verbliebenen religiösen Bedürfnisse des Volkes zu befriedigen, vor allem konnte er nicht eine religiös fundierte Einheit des ideologisch zerrissenen französischen Volkes herstellen. So setzte der deistisch geprägte Robespierre alles auf den „Kult des höchsten Wesens“, einer Art deistischen Konfession: Der Schöpfergott im Himmel verlangt von den Bürgern als religiöse Übung ein ethisch korrektes Leben im Geist der Gesetze der neu geschaffenen Republik.

10.
Ende des 18. Jahrhundert wurde dann eine ethische- deistische Kirche als „Theophilanthropie“ (d.h. Menschlichkeit mit Liebe zu Gott) im ganzen Land praktiziert, LINK.
Diese Kirche, ein Produkt der Revolution, wurde nach ca. 10 jährigem Bestehen von Napoléon verboten: Er duldete als Herrscher nicht den religiösen Pluralismus, ihm war das Konkordat mit dem Papst aus politischen Gründen wichtiger… 1804 krönte sich Napoléon in Notre Dame selbst zum Kaiser, Papst Pius VII. war bei dieser pompösen Inszenierung anwesend.

11.
Religionssoziologisch betrachtet ist heute wichtig: Die Katholische Kirche verliert in Frankreich – wie in den meisten europäischen Ländern – immer mehr an Mitgliedern, sie wird zur Minderheit. Aber die Kirchenführer lieben in dieser Situation des Niedergangs nicht ohne Stolz die Pflege großer repräsentativer Gebäude. Sicher,Notre Dame wurde von vielen auch nicht – katholischen Spendern wieder aufgebaut: Aber die Kirche ist durchaus heilfroh, in Paris wie in vielen anderen Städten so prächtige Kathedralen und Klöster zu haben. Dass diese Gotteshäuser von vielen Menschen eher als prachtvolle Museen angesehen und bewertet werden, stört dabei nicht. Das bedeutet aber: Eine explizit kirchliche Wirkung geht von diesen Kathedralen eher selten aus. Tatsache ist: Es entwickelt sich in Frankreich wie in ganz Europa so etwas wie eine kulturelle Interessiertheit für alte religiöse Gebäude. Eine Art ästhetisch – kulturelle -säkulare Spiritualität. Darüber arbeiten Religionssoziologen wie Jean – Louis Schlegel und Danièle Hervieu -Léger.

12.
Die Pflege alter herausragender Kathedralen durch die Kirchenführer steht im Widerspruch zu den vielen auf dem Land, in den Dörfern, verfallenden Kirchen und den aufgegebenen Klöstern. LINK Viele hundert Dorfkirchen in Frankreich verfallen auch deswegen, weil es keine Priester mehr gibt: Nur weil Rom eine Gemeindeleitung ans Priesteramt bindet, verschwindet sozusagen das kirchliche und damit soziale Leben auf den Dörfern. Dabei könnten Laien die Messen in den kleinen Dorfgemeinden leiten, aber die haben die Bischöfe nicht ausbilden wollen, so daß jetzt auch „aktive, kompetente Laien“ fehlen.

12.
Es ist nicht ohne Bedeutung, manche sagen ein Witz, dass am 15. Dezember, also genau eine Woche nach der weltweit beachteten Eröffnung von Notre Dame de Paris, Papst Franziskus ausgerechnet Frankreich besucht: Aber nicht etwa Paris, sondern Ajaccio auf Korsika, dort findet ein Kongress statt über die „Frömmigkeit des Volkes und der einfachen Leute in der Mittelmeer – Region“, es geht also um Heiligenverehrung, Wallfahrten, Wetterprozessionen, Segnungen der Äcker usw… Veranstalter ist der sehr konservative Kardinal Bustillo von Ajaccio. Manche Beobachter in Paris deuten diesen Papst – Besuch eines nicht weltbewegenden Kongresses auf Korsika als bewussten Affront gegen den ganzen Kultur- Trubel um dieses monumentale Gebäude in Paris…Papst Franziskus bevorzugt eben bekanntlich das Abseitige, Unbedeutend – Wirkende, das Kleine und Volkstümliche. Aber Präsident Macron will den Papst auf Korsika dann treffen, vielleicht erzählt er ihm, wie schön die Kathedrale Notre Dame nach der Brand – Katastrophe geworden ist.

Copyright: Christian Modehn, religionsphilsophischer-salon.de