Die Philosophen erschüttern.

Paul Feyerabend: Ein ungewöhnlicher Mensch als Philosoph
Ein Hinweis von Christian Modehn (Anlässlich eines „eckigen Gedenktages“)

1.
Wir sollten an einen ungewöhnlichen Menschen denken, an einen Philosophen, der in Europa und Amerika aus dem „Rahmen“ aller Üblichkeiten fällt. Ich meine: Sein Werk ist ein Ereignis, erstaunlich, dass es einen solchen Philosophen inmitten der etablierten akademischen Welt gab. „Enfant terrible“ der Philosophie wurde er genannt, „schrecklich“ war er überhaupt nicht, aber sehr anregend und aufregend. Er war als Philosoph ein ungewöhnlicher Mensch, „in seinem Verhalten oft etwas anarchistisch“ oder „exzentrisch“, dabei war er aber immer eine „faszinierende Persönlichkeit“ (so der Philosoph Paul Hoyningen-Huene).
2.
Paul Feyerabend (am 13.1. 1924 in Wien geboren, am 11.2.1994 in Genoller, in der französischen Schweiz gestorben) hat etliche Philosophen aus ihrer statischen akademischen Ruhe wenigstens für kurze Zeit befreit. Und selbst wenn sich heute seine Werke nicht mehr im Mittelpunkt der Diskussionen befinden: Feyerabends Thesen und Erkenntnisse bleiben wichtig fürs weitere Fragen.
3.
Er war als Philosoph umfassend gebildet. Aber nie hat er damit „angegeben, akademische Angeberei war ihm ein Gräuel“, so Paul Hoyningen-Huene.
Feyerabend hatte zuerst Theaterwissenschaften und Geschichte und Soziologie studiert, dann Physik, Mathematik, Astronomie (Diplom), 1951 schließlich wurde er zum Dr. der Philosophie promoviert. Bei Popper hatte er studiert, von dem er sich heftig absetzte. Immer unterwegs, lehrte Feyerabend an zahlreichen Universitäten, für kurze Zwischenstopps hielt er z.B. auch in Berlin an der FU 1968 viel beachtete Vorlesungen, später war er Professor an der ETH in Zürich. Sein Kennzeichen: Er hat in seinen Vorlesungen fast immer frei gesprochen. „Bei Feyerabend verschwindet der Autor nicht hinter dem philosophischen Traktat, sondern er zeigt sich im Text, wenn auch in vielfältigen Aspekten und Brechungen“ (so Paul Hoyningen – Huene, in einem Porträt zu Paul Feyerabend in „Information Philosophie“, März 2002, Seite 33).
4.
Welche Erkenntnisse Feyerabends bleiben – in aller Kürze, nur des weiteren Studiums wegen genannt – wichtig?
Die abstrakten Begriffe der Wissenschaften und der Philosophie sind Belege dafür, dass es eine totale Vorherrschaft des Rationalen in der dominanten europäischen Kultur gibt. Aber ist diese rationale Kultur tatsächlich, wie sie behauptet, den anderen überlegen? Dies muss geprüft werden. Andere Kulturen zur Sprache bringen ist eine ständige – auch philosophische – Aufgabe.
Das Eintreten für eine Pluralität der Zugänge zu Wahrheiten sah Feyerabend als entscheidenden Schritt in Richtung einer freien Gesellschaft.
5.
Paul Feyerabend hat gezeigt, dass Wissenschaften keineswegs „neutral“ und „rein“, sondern selbst ideologisch geprägt sind. Das heißt: Sie leben auf einer Basis, die sie nicht hinterfragen. Also liegt den Wissenschaften eine Weltanschauung zugrunde. Das Suchen nach einer „letztgültigen Wahrheit“ kritisierte Feyerabend: Er betonte: Es gibt viele Methoden, nicht nur sich wissenschaftlich – rational nennende, die helfen, sich einer Wahrheit anzunähern. Er betont: Fortschritt in den Wissenschaften gibt es nur, wenn die geltenden Regeln der Wissenschaften verletzt und übertreten werden.
6.
Viel besprochen wurde die These Feyerabends: „Anything goes“, oft übersetzt mit „Alles ist erlaubt“. Feyerabend aber wollte mit dieser, wie er später sagte, eher als Witz formulierten Aussage lediglich für eine Vielfalt der Wege zur Erkenntnis eintreten. Er hat oft seine Aussagen zugespitzt, um nicht zu sagen übertrieben in seinen „Auftritten“, so wurden seine Vorlesungen manchmal empfunden. Siehe dazu: „Zum Leben braucht man die Nähe zu den Menschen. Paul Feyerabend im Gespräch mit Matthias Kroß“, in: „Information Philosophie, März 1995, S. 28ff.,. Darin auch die Stellungnahme zu seinem Buch „Against Method“ mit dem Untertitel „Outline of an Anarchistic Theory of Knowledge“ (1975). „Der Untertitel war natürlich als Witz gemeint… Aber ich habe doch nicht wissen können, dass die Leute so humorlos sind…“ (S. 31 f.)
7.
Paul Feyerabends Werk bleibt wichtig, weil es die Frage nach der „Relativität“ jeglicher Erkenntnis und Wissenschaft offenhält und eine allgemeine Fraglichkeit weckt, wenn irgendwo irgendwelche Institutionen allgemeine universale Wahrheiten zu verbreiten meinen. Damit weitet Feyerabend den Blick in die so genannten „anderen“ Kulturen, außerhalb Europas. Mit ihm wird es dringend, „interkulturell“ Philosophien zu studieren! Und vor allem: Dafür den interkulturellen Dialog als Voraussetzung zu pflegen.
8.
Entscheidend bleibt: Er hat, oft polemisch, ironisch, den „Betrieb“ der akademischen Philosophie gestört, um eine Sensibilität für die Fragen und Leiden der Menschen, der „einfachen“, zu entwickeln. Feyerabend, seit dem 2. Weltkrieg körperlich stark behindert, wollte vor allem eins: Den Sinn für das Geheimnis des Lebens entdecken, sagen und bewahren. Dabei fand er viele akademische, philosophische Antworten nicht nur übertrieben, sondern bestenfalls für kleine Gruppen bedeutsam. Man kann wohl sagen, er wollte das Leben der „kleinen Leute“ nicht nur schätzen, sondern verteidigen gegen die Relevanz ganz großer Themen, wie die Skepsis: „Also, welcher Mensch ist denn vom skeptischen Zweifel geplagt? Eine kleine Oberschicht, bestehend aus Leuten, die genug zu essen haben, denen es langweilig ist. Leute, die mitten in den Problemen sitzen, die nicht genug zu essen haben, die sind gar nicht vom skeptischen Zweifel geplagt, und denen soll man helfen“. So Feyerabend in dem genannten Interview in „Information Philosophie“ 1995. Eine interessante These, die freilich zu weiterer Diskussion ermuntert. Denn gerade die Armen rebellieren ja manchmal noch, dann wohl auch deswegen, weil sie an den bestehenden Zuständen tatsächlich „skeptisch zweifeln“ und oft verzweifeln.
9.
Einige wichtige Publikationen sind auf Deutsch erschienen, darunter:
„Wider den Methodenzwang“. Skizzen einer anarchistischen Erkenntnistheorie, 1976.
„Erkenntnis für freie Menschen. 1979.
Nach seinem Tod erschien seine Autobiographie „Zeitverschwendung“, 1995.

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de