Den Widerstand gegen die Nazis ehren, gleichzeitig Mitläufer und Täter nennen. Über Bernhard Lichtenberg (Berlin)

Zum Gedenken an den katholischen Priester Dompropst Bernhard Lichtenberg

Ein Hinweis von Christian Modehn am 1.12.2025
1.
Wenn in der Nazi-Zeit einige Menschen lebten, die mit – menschlich blieben, also Widerstand leisteten, dann sollten im Gedenken an diese wenigen stets auch die allermeisten erwähnt werden, also die Täter und Mitläufer des Nazi-Regimes. Sonst wird im üblichen, zur Routine gewordenen Gedenken, nur eine Jubelveranstaltung als „Helden- Gedenken“, dieses Gedenken übersieht: Diese Wenigen waren umgeben von sehr vielen Schweigenden, Wegsehenden, Mitläufern und Parteigängern. Sie waren eine Gefahr für die wenigen. Insofern ist eine „Heldenverehrung“ des Nazi-Widerstandes, die diese feindliche “Umgebung” vergißt, eine Verirrung, wenn nicht Lüge.

2.
Anläßlich eines Gedenkens an einen katholischen „Helden“ (katholisch formuliert: Gedenken an einen „Seligen“) fordern wir also gleichzeitig eine solche öffentliche Erinnerung, die alle Einseitigkeiten des Jubels überwindet und Fehler, Verirrungen und Verbrechen der Mehrheit damals im Gedenken selbst freilegt. Denn nur unter dieser Bedingung können wir heute „von der Geschichte lernen“, wie es so schön immer wieder heißt. Wir müssen heute wissen, wie viele Christen ihren Glauben damals ignorierten, als sie Nazis (Mitläufer, Ignoranten, Parteimitglieder usw.) wurden und die wenigen authentischen Christen allein ließen, verachteten, preisgaben…

3.
An welchen Helden denken wir jetzt konkret? An eine katholische Ausnahme-Gestalt: Durchaus ein Vorbild im Widerstand gegen die Nazi-Herrschaft ist Dompropst Bernhard Lichtenberg. Anläßlich seines 150. Geburtstages am 3. Dezember 2025 wird ein „Sonderpostwertzeichen“ herausgegeben, die Briefmarke wird sogar von Berlins katholischem Erz – Bischof Heiner Koch in der St. Hedwigkathedrale präsentiert: Ob diese Marke auch noch gesegnet wird, ist fraglich.
Aber der Ort ist gut gewählt: In der Hedwigkathedrale wirkte Bernhard Lichtenberg … und … weil er sich für die verfolgten Juden einsetzte und dort öffentlich für sie betete, wurde er von einem im Gottesdienst sitzenden Spitzel angezeigt: Am 23. Oktober 1941 wurde der prominente katholische Priester von der Geheimen Staatspolizei verhaftet und am 22. Mai 1942 von einem Sondergericht verurteilt. Nach zweijähriger Strafhaft schwer erkrankt, starb der Nazi – Gegner in der Stadt Hof am 5. November 1943, unterwegs im Transport zum Konzentrationslager Dachau. Geboren wurde Bernhard Lichtenberg am 3. Dezember 1875 in Ohlau, Schlesien. 1899 wurde er in Breslau zum Priester geweiht.

4.
Wegen seines Mutes, den Nazis öffentlich (!) zu widersprechen und für die verfolgten Juden einzustehen, wurde Bernhard Lichtenberg 1996 „selig gesprochen“: Bernhard Lichtenberg, nun „bei Gott“, kann also – nach katholischem Verständnis – von den Gläubigen im Bistum Berlin als Seliger ein Fürsprecher sein an Gottes Thron. Eine Heiligsprechung – sozusagen als himmlischer Fürsprecher dann aber weltweit – wird noch angestrebt. Die Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem ehrte den katholischen Priester 2004 mit der Auszeichnung als „Righteous among the Nations“ im Jahr 2004.

5.
Es verdient alle Unterstützung, dass mutigem Mensch gebliebene Menschen aus dem Widerstand gegen die Nazis als Vorbilder  geehrt werden. Das soll unbedingt so bleiben. Und eines Tages werden die Widerstandskämpfer gegen die heutigen Rechtsextremen und Neo -Nazis in Europa oder den USA auch öffentlich von der Kirche geehrt werden. Ob sich viele Katholiken und Christen anderer Kirchen darunter befinden, wird sich zeigen, diese Christen haben dann das Evangelium richtig AUCH als politische Botschaft, als Eintreten für die Menschenrechte, verstanden.

6.
Aber die Veranstaltungen von Gedenken zu Bernhard Lichtenberg sollten gleichzeitig dokumentieren und anzuerkennen: Dieser Selige, dieser vorbildliche Mensch, ist eine Ausnahme in der damaligen katholischen Welt. Dass die evangelische Kirche damals in ihrer starken Bindung an rechte und rechtsextreme Kreise, an die „deutschen Christen“  nur wenige Vorbilder hat … das ist ein anderes Thema…Martin Luthers Theologie bzw. Ideologie vom Gehorsam gegenüber der Obrigkeit zeigte seine furchtbare Wirkung.

Um deutlich zu machen, dass tatsächlich nur sehr wenige Priester in Deutschland den Nazis widerstanden: 1933 lebten in Deutschland 27.000 so genannte Weltpriester (Diözesanpriester) und weitere 15.00 männliche Ordensleute sowie mindestens 90.000 Ordensfrauen. Quelle: LINK.

7.
Die katholische Kirche, ihre Theologen und ihre Kirchenhistoriker müssen heute öffentlich anerkennen: Es ist nun wirklich nicht so, dass alle Berliner Priester und Ordensleute Bernhard Lichtenberg, ihren Dompropst, unterstützten, sich ihm anschlossen und wie er für die verfolgten Juden öffentlich beteten. Wäre diese umfassende Solidarität so vieler Priester mit dem Dompropst Lichtenberg wie vor allem Solidarität mit den Juden der Fall gewesen, dann hätten die Nazis sicher nicht alle Berliner Priester verhaftet … und die Nazis hätten – bei solchem “Massenprotest” – auch Bernhard Lichtenberg nicht ins KZ verurteilt. Mit anderen Worten: Es gilt einzugestehen: Es gab sehr viele „Mitläufer“ mit der Nazi-Partei auch im Klerus. Dazu gibt es keine umfassenden Studien, “Heldenverehrung” ist eben einfacher und angenehmer für die Kirche heute.

8.
Der für den Dompropst Bernhard Lichtenberg zuständige Berliner Bischof in der Nazi-Zeit war Bischof Konrad von Preysing, und er zeigte sich in seinen Stellungnahmen – im Rahmen der Bischofskonferenz – als ein entschiedener Gegner der Nazis. Aber Bischof von Preysing gehörte in dieser Position zur absoluten Minderheit unter den Bischöfen im Deutschen Reich. In welcher Weise Preysing seinen Dompropst öffentlich explizit unterstützte, muss noch erkundet werden.

9.
Bernhard Lichtenberg hatte aber einen erklärten Gegner unter den Bischöfen, und der saß im Erzbistum Breslau, das Bistum Berlin war diesem Erz – Bistum unterstellt. Und in Breslau regierte ein Kardinal, der in der Öffentlichkeit – sicher mit guten Gründen – als ein Freund des Nazi-Regimes wahrgenommen wurde. Der Breslauer Kardinal Adolf Bertram, seit 1914 dort als Erzbischof (gestorben 1945), war zudem der mächtige, letztlich der bestimmende Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz. Man sagt jetzt gern, Kardinal Bertram habe „intern“, in kleinen privaten Zirkel, Vorbehalte gegen Hitler und seinen Wahn geäußert.  Und man nennt diese Zurückhaltung des Kardinals gegenüber den Nazis „diplomatisches Verhalten“. Das sind die üblichen Floskeln, mit denen der geringe Mut zum öffentlichen Widerspruch und Widerstand entschuldigt werden soll. Aber: Einen öffentlich mutigen, widerstädnigen Kardinal ins KZ zu stecken – das hätten selbst die Nazis nicht gewagt. Den öffentlich Nazi – kritischen Berliner Bischof von Preysing haben die Nazis nicht verhaftet, nicht dem KZ ausgeliefert…

10..
Historiker meinen, Prälat Bernhard Lichtenberg in Berlin habe die Haltung von Kardinal Adolf Bertram, also dessen höchst moderaten, freundlichen Kurs gegenüber den Nazis, nicht direkt öffentlich kritisiert bzw. kritisieren können. Bei der Priesterweihe versprechen die neugeweihten Priester immer noch Gehorsam ihrem Bischof, so musste also Lichtenberg schweigen zur öffentlichen Nazi-Freundlichkeit seines obersten Vorgesetzten Kardinal Bertram.
Aber Dompropst Lichtenberg kannte natürlich die letztlich nazifreundliche Gesinnung Kardinal Bertrams. Lichtenberg musste an seiner Stelle den Mund auftun und mit dem Leben bezahlen.

11.
Es kann hier kein umfassendes Porträt Kardinal Adolf Bertrams in Breslau angeboten werden. In dem Band „Die Kirchen im Dritten Reich“ von Georg Denzler rund Volker Fabricius (Fischer, 1984) schreibt der Historiker Georg Denzler: „Erzbischof Bertram suchte in gemeinsamen Hirtenbriefen jede massive Regimekritik zu vermeiden.“ (S. 101). Denzler nennt Erzbischof Bertram „politisch naiv“, er erlaubte sich, zu Hitlers Geburtstag 1940 „dem hochgebietenden Herrn Reichskanzler und Führer die herzlichsten Glückwünsche darzubringen.“ Und der Erzbischof versicherte Hitler noch pauschal „die Staatstreue des katholischen Volkes“ (S. 102). Denzler schreibt: „Und um das Maß an ideologischer Verschwommenheit und Verwirrung vollzumachen, bekannte Erzbischof Bertram dem Führer uneingeschränkt, so wörtlich: „Ich bitte daran erinnern zu dürfen, dass dieses unser Streben (der Treue zu Hitler) nicht im Widerspruch steht mit dem Programm der nationalsozialistischen Partei.“ (S. 102). Hitler bedankte sich bei Bertram am 29. April 1940 sehr herzlich und „mit besonderer Genugtuung“ bei Kardinal Bertram.
Bischof von Preysing (Berlin) war über diese Hitler – Ergebenheit Kardinal Bertrams empört, die Bischöfe waren gespalten, schreibt Denzler (S. 103). Die Hitler-kritischen Bischöfe blieben aber die einflußlose Minderheit.  Dompropst Lichtenberg übernahm als einzelner mit seinem öffentlichen Gebet für die Juden genau die Aufgabe, die eigentlich Aufgabe aller Bischöfe und der Bischofskonferenz gewesen wäre.

12.
Ein Beispiel für das Nazi-freundliche Verhalten Kardinal Bertrams schon im Jahr1933: Eine Intervention gegen den von den Nazis propagierten Boykott jüdischer Geschäfte im Jahr 1933 befürwortete Kardinal Bertram nicht und sagte: „Meine Bedenken beziehen sich, 1. darauf, daß es sich um einen wirtschaftlichen Kampf in einem uns in kirchlicher Hinsicht nicht nahestehenden Interessentenkreis handelt; 2., daß der Schritt als Einmischung in eine Angelegenheit erscheint, die das Aufgabengebiet des Episkopats weniger berührt; der Episkopat aber triftigen Grund hat, sich auf sein eigenes Arbeitsgebiet zu beschränken […]Dass die überwiegend in jüdischen Händen befindliche Presse (sic, CM) gegenüber den Katholikenverfolgungen in verschiedenen Ländern durchweg mit Schweigen beobachtet hat, sei nur nebenbei berührt.“ (Quelle: Josef und Ruth Becker: Hitlers Machtergreifung. Dokumente. dtv, München 1983, (Dokument Nr. 148, Seite 195).

Dr. Sascha Hinkel, Kirchenhistoriker an der Uni Münster, nennt die Beweggründe für das Nazi-freundliche Verhalten Kardinal Bertrams: „Ein katholischer Bischof ist für wen zuständig? Für seine Katholiken. Der Bishcof ist nicht für Juden zuständig. Die Juden können für sich selbst sorgen, jüdische Institutionen sind für die Juden zuständig. Das sagt Kardinal Bertram im Prinzip schon 1933, und das führt er fort bis 1945. Es ging Kardinal Bertram darum, die vitalen Interessen der katholischen Kirche zu schützen, das schreibt er immer wieder. Und was ist das vitale kirchliche Interesse? Die Aufrechterhaltung der kirchlichen Institutionen, um Seelsorge zu gewährleisten.”(Quelle: DLF Kultur am 22.1.2023 LINK   https://www.deutschlandfunkkultur.de/kirchen-nationalsozialismus-kaum-protest-spaete-aufarbeitung-100.html. Dass die Juden – so die heutige Sichtweise der Kirchen – eigentlich Geschwister im Glauben sind, das sah Bertram leider anders…Aber wahrscheinlich hatte er das nicht besser gelernt in der Jahrhunderte alten Abwehr alles Jüdischen im Christentum und seiner Theologie.

13.
Warum also diese Hinweise: Wer heute zurecht an die sehr wenigen (gegenüber der Gesamtzahl der Priester und Ordensleute) Priester im Widerstand gegen die Nazis erinnert, sollte immer zugleich sagen: Diese vorbildlichen Gestalten sind die Ausnahme. Die allermeisten Priester und die allermeisten „Laien“ haben geschwiegen, sie waren mindestens Schweigende, Mitläufer…

14.
Erst wenn im Zusammenhang der „Heldenverehrung“ die Masse der Schweigenden, der Mitläufer usw. ausführlich auch erwähnt wird, ist das Erinnern wahrhaftig. Wer immer nur die wenigen positiven Beispiele herausstellt und sozusagen abstrakt, d.h.ohne Kontext feiert, der halbiert sozusagen das Gedenken, halbiert die Wahrheit.

Gotthard Klein hat im „Diözesan Archiv Berlin“ ausführlich über  Bernhard Lichtenbergs, dessen Nazi -Protest und Leidensweg berichtet: LINK

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert