Papst Leo verteidigt das uralte, das veraltete Glaubensbekenntnissen des Konzils in Nizäa (325).

Ein aktueller Hinweis von Christian Modehn.

1,
Papst Leo XIV. hat am 23.11. 2025 ein Dokument veröffentlicht, das sich mit der Einheit der getrennten Kirchen und Christen befasst.
Sagen wir das Erfreuliche zuerst: Eine Rückkehr der Orthodoxen und Protestanten zur römischen „Mutterkirche“ wird es für ihn als Papst nicht mehr geben. (Siehe dazu in der Nr. 12 des Textes: “Das bedeutet keine Rückkehrökumene zum Zustand vor den Spaltungen, auch keine gegenseitige Anerkennung des aktuellenStatus quo der Vielheit von Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, sondern vielmehr eine Zukunftsökumene der Versöhnung auf dem Weg des Dialogs, des Austauschs unserer Gaben und geistlichen Schätze…”. Ob dann Rom doch in dieser etwas undeutlichen “Zukunftsökumene” siegt, wird man sehen…

2.
Der Anlass für diesen Text: des Papstes Reise in die Türkei, an den Ort, der einst Nizäa hieß, heute heißt er Iznik. Dort wird er auch den Orthodoxen Patriarchen von Konstantinopel treffen. Er ist Ehrenprimas aller Orthodoxen.

Wie zu erwarten, lobt Papst Leo in seinem Apostolischen Schreiben das vom Konzil in Nizäa vor 1.700 Jahren formulierte Glaubensbekenntnis in höchsten Tönen.

3.
Der Papst lobt, wie zu erwarten ist in dieser weithin erstarrten vatikanischen Theologie, dass im Bekenntnis von Nizäa die Gottheit des Menschen Jesus von Nazareth als definitive Glaubenslehre herausgestellt wird.
Er lobt also, dass in Nizäa die Gottgleichheit Jesu ausgesprochen wurde.
Dabei musste selbstverständlich die griechische Sprache verwendet werden: Es ist das homooúsios, das „wesensgleich“, also nicht etwa „wesensähnlich mit „Gott – Vater“, Formeln, die die griechische Philosophie so fein unterscheidet.

4.
Papst Leo erwähnt nicht, dass in dem Bekenntnis von Nizäa fast keine Rede ist von dem Mann Jesus von Nazareth, von dessen Predigten, Handlungen, Weisungen.
Der Papst sieht offenbar gar nicht, dass das Bekenntnis von Nizäa Jesus von Nazareth zum Gott macht ohne jeglichen Respekt für die Berichte der Evangelisten Markus, Matthäus und Lukas im Neuen Testament! Und: dass dieses Glaubensbekenntnis von der jüdischen Herkunft Jesu kein Wort verliert. Denn korrekt müsste es wohl heißen: Gott ist in Jesus nicht nur Mensch, Gott ist ein Jude geworden…Aber das passte nicht in das damalige Konzept, schon damals war die Kirche interessiert, aus der Jesus-Gestalt die Christusgestalt für alle, auch für die Heiden) zu machen.

5.
Der Papst erwähnt den großen Gegenspieler dieses Konzils, den Theologen Arius: Er hatte sehr zurecht seine theologischen Probleme mit den sich selbst „rechtgläubig“ nennenden Bischöfen, die Jesus zum Gott erklärten. Arius betonte, Jesus stehe doch eher mehr auf der Seite der Menschen. Papst Leo XIV. ist in seinem Dokument immerhin so ehrlich zuzugeben, dass selbst viele Bischöfe damals die Lehre des Arius als sympathischer und treffender einschätzten. Leo erwähnt nicht, dass die Schriften des Arius von den sich orthodox nennenden Bischöfen verbrannt wurden…

Der Papst erwähnt auch nicht, dass das Konzil von Nizäa auch einen SEHR politischen Zweck hatte: es sollte die EINE Religion in des Kaisers Reich befördern, denn nur so lässt sich besser herrschen und regieren…

6.
Wir wollen dieses apologetische, fromme und floskelhafte Dokument von Papst Leo XIV. nicht weiter kommentieren.

Wir können nur unser Bedauern äußern, dass mit keinem Wort vom Papst die Aufforderung ergeht, diese  Ökumene nun durch eine neue mutige Praxis voranzubringen; etwa durch Glaubensbekenntnisse (PLURAL!) heute, die diese seit langer Zeit schon unverständliche Sprache der griechischen Metaphysik von Nizäa endlich überwinden. Wer versteht heute noch dieses Glaubensbekenntnis von 325, selbst wenn es oft nachgesprochen und nachgeplappert wird.
Aber diese neuen, modernen Glaubensbekenntnisse sollten doch bitte, dem Neuen Testament folgend, vor allem von dem großen Weisheitslehrer Jesus von Nazareth sprechen, von seiner Bergpredigt, von Jesus als dem MENSCHEN!

7.
Wie schon gesagt: Worüber wir uns nun wirklich etwas freuen: Der Papst will offenbar Abschied nehmen von der im Vatikan bislang üblichen „Rückkehr-Ökumene“, d.h.: dass alle anderen christlichen Kirchen zu Rom zurückkehren und sozusagen römisch -katholisch werden. Das ist schon mal eine gewisse Korrektur des Früheren!

8.
Aber genau in dem Zusammenhang ist es ärgerlich, dass Leo XIV. die orthodoxen Kirchen explizit als Kirchen (selbstverständlich wird die römische Papst – Kirche als Kirche vorausgesetzt) bezeichnet:
Hingegen von den Kirchen der Reformation spricht er nur von „kirchlichen Gemeinschaften“. Die Protestanten (Lutheraner, Angelikaner, Reformierte, remonstarnten…) sind also für ihn keine Kirchen. Warum? Weil sie nicht in der vom Papsttum definierten (!) apostolischen Sukzession stehen. Also hat der Papst doch – versteckt – die Dominanz? Natürlich, nur nicht mehr so undiplomatisch formuliert wie zu Zeiten des polnischen Papstes…(Siehe dazu in der 12. des Schreibens von Leo XIV.: “Auch wenn uns die volle sichtbare Einheit mit den orthodoxen und altorientalischen Kirchen und den kirchlichen Gemeinschaften, die aus der Reformation hervorgegangen sind, noch nicht geschenkt wurde,”  usw… Für Spezialisten: Es ist schon komisch, dass der Papst auch die altorientalischen Kirchen (Kopten, Äthiopier  usw.) als Kirchen bezeichnet, sind diese doch “Monophysiten”, lehnen also die Christologie der Katholiken und Orthodoxen ab…
Nebenbei: Ich habe auch große Probleme, die us-amerikanischen oder nigerianischen Mega-Churches als Kirchen (und nicht als politisch reaktionäre kapitalistische Unternehmen) zu bezeichnen… aber sind die katholischen Fundamentalisten denn auch Kirche in ihre sektenhaften, von Zölibatären beherrschten Abgeschlossenheit?

9.
Und wie geht also die Ökumene im Sinne des Augustiner- Papstes Leo XIV. weiter: Seine übliche und ständige hilflose Empfehlung auf den Websites des Vatikans heißt: Beten, beten, beten, beten… Empfehlungen also, die nichts Konkretes bedeuten und fordern, sondern alles im himmlischen Fürbitten – Nebel belassen.

10.
Man könnte doch als angeblich etwas moderner Papst heute sagen: Ab sofort sollen selbstverständlich konfessionsverschiedene Paare gemeinsam zur Kommunion gehen. Und: Auch Protestanten können und sollen an der katholischen Kommunion teilnehmen. Auch Katholiken sollen bitte schün am evangelischen Abendmahl teilnehmen (es wird besser und würdevoller gefeiert als die schnelle Abspeisung der Katholiken bei der Kommunion).
Und auch dies sollte der pPapst in seiner Allmacht sagen: Wir Katholiken haben von den Protestanten endlich etwas gelernt und weihen nun Frauen zu Diakoninnen und Priesterinnen…Und weiter: In tiefster katholischer Diaspora mögen doch bitte die wenigen auf den Dörfern verbliebenen Katholiken Freude daran haben, protestantische Gottesdienste dort zu besuchen (das gilt etwa für Brandenburg, oder für Island, Norwegen etc…).

11.
Nach der Lektüre dieses eher doch langweiligen Papst – Textes fragt sich der kritische Theologe: Wie viele Texte werden eigentlich noch in den nächsten 100 Jahren, also noch vor dem tatsächlichen Ende der getrennten Kirchen in Europa, zur Ökumene noch veröffentlicht?

Einige Leute „freuen“ uns jetzt trotzdem auf die nächsten päpstlichen Papiere und Dokumente und Ermahnungen und Apostolische Schreiben und Enzykliken und „Synoden“ Beschlüsse usw. usw. Da gibt es doch vieles zu lesen, es sind Lektüren, denen keine neue, reformatorische ökumenische Praxis folgen darf!

Zur Verteifung siehe unseren Beitrag zum Konzil von Nizäa: LINK 

Der Text des Papstes zur Ökumene vom 23.11.2025: LINK.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

Wenn Rechtsextreme die katholische Kirche lieben…

Der rechtsradikale französische Politiker Eric Zemmour will aus Frankreich Muslime rausschmeißen. Ein kritischer Hinweis auf das neue Buch Zemmours.
Von Christian Modehn. Am 9.November 2025

Dies ist ein Hinweis auf das heftige Bemühen eines Rechtsradikalen und Identitären, katholische Gläubige zu gewinnen: „Wir brauchen die Kirche als für uns hilfreiche Institution“, ist das Motto Zemmours.

Und: CSU-Politiker (Seehofer, Dobrindt) und AFD Politiker müssen wissen, wenn sie, wie so oft, verkünden: “Der Islam gehört nicht zu Deutschland”: Dann befinden sie sich in bester Gesellschaft mit dem Rechtsextremem Eric Zemmour, er verkündet: “Der Islam ist mit der französischen Republik nicht kompatibel.” (zit. S.100 im neuen Buch Zemmours “La messe n est pas dite”, Paris 2025).

1.
Sollte man wirklich die neue Publikation eines notorischen, mehrfach gerichtlich verurteilten französischen Rechtsextremen lesen und kritisch bewerten? Das hat nur Sinn, um die Lügen seiner Ideologie freizulegen, seine Unterstützer zu nennen und seine internationalen Connection.

2.
Eric Zemmours Partei „Reconquete“ gehört seit 2024 im Europa-Parlament zur rechtsextremen Fraktion „Europa der Souveränen Nationen“(ESN). Mitglied sind auch die „Alternative für Deutschland” (AFD) und weitere rechtsradikale Parteien aus Polen, Ungarn, der Slowakei usw.. Auf der “Buchmesse” der rechten und rechtsextremen Verlage in Halle am 9. Novembetr 2025 war auch ESN aus Brüssel vertreten, LINK … Bei der Präsidentschaftswahl in Frankreich 2022 erhielt Zemmours Partei 7,07% der Stimmen, danach gab es Streit unter den Parteimitgliedern und Parteiauschlüsse. Momentan schwächelt also „Reconquete“: Das neue Buch Zemmours soll Wähler gewinnen, und zwar katholische Wähler, hatten doch 2022 schon 10 Prozent der katholischen Wähler für Reconquete gestimmt. LINK

3.
Der Autor hat seinem neuen, kleinen Essay den katholisch gefärbten Titel gegeben: „La Messe n`est pas dite“ (Der Titel will etwa sagen: “Die Sache ist noch nicht erledigt“). Welche Sache? Diese ist für den Autor Eric Zemmour seit vielen Jahren schon absolut klar: Die Ausgrenzung, die Verachtung und der Rauswurf von Muslimen aus Frankreich (und aus Europa): „Das“ also ist noch nicht erledigt, sollte aber alsbald erledigt werden, meint Zemmour, wenn die Rechtsextremen die Herrschaft übernehmen, was ja in absehbarer Zeit leider durchaus wahrscheinlich ist. Zemmour bläht seine Attacken, seine Polemik, im Mittelteil seines „Opus“ auf … zu einer sehr einseitigen, irgendwie religionswissenschaftlich, „kulturell“ angehauchten Reflexion. Seine heftigen politischen Forderungen fasst er in den abschließenden Kapiteln zusammen. Und betont dort erneut seine Verbundenheit mit dem reaktionären Flügel des USA-Katholizismus. Vor allem nennt er J.D.Vance einen “brillanten Geist” (S. 116). Und Zemmour lobt ausdrücklich Papst Leo XIV. für seine “friedlichen und versöhnenden Intentionen” (S. 115), im Unterschied zum verhaßten Papst Franziskus, “der versuchte, die auf Identität zielende Rückkehr junger Europäer zu ihren kulurellen Wurzeln einzudämmen.”  (S. 115).

4.
Dabei steht für Zemmour (wie heute bei allen Rechtsextremen, Identitären usw.) diese etwas kulturell-philosophisch kaschierte Anti-Islam Polemik entschieden im Dienst der aktuellen politischen Abwehr und Vertreibung von Flüchtlingen aus Frankreich und Europa. Zemmour begründet seinen Hass gegen „den“ Islam auch mit Zitaten von Autoren der alten, traditionsreichen rechtsextremen Szene wie Maurice Barrès, Joseph de Maistre…

5.
Eric Zemmour hat im Jahr 2021 die Partei „Reconquete“ („Rückeroberung“) gegründet, die der rechtsextremen Partei von Marine Le Pen („Rassemblement National“, zuvor „Front National“) Konkurrenz macht. Aber Zemmours Partei gibt sich ungeniert noch rechtsextremer als die Le Pen – Partei. Der Name der Partei „Reconquete“ sagt alles: Es geht um die Rückeroberung, also die Befreiung Frankreichs von den Zerstörern der alten französischen, und zwar der katholischen Identität: Und diese Feinde sind für Zemmour die Muslime. „Reconquista“ ist der bekannte spanische Begriff für die „erfolgreiche“ Vernichtung und Verdrängung der Muslime aus dem katholischen Spanien Ende des 15. Jahrhunderts. Dass im 11. und 12. Jahrhundert die Muslime in Andalusien die entscheidenden Vermittler von Kultur für die Christen waren, verschweigt Zemmour selbstverständlich. Aufgeklärte und gebildete Christen, ihre Theologen, sind den Muslimen dankbar für ihre kulturelle Leistung.

6.
Über Eric Zemmours Leben, geboren 1958 in der Banlieue von Paris, mit seiner Herkunft aus jüdischen Kreisen Algeriens, über seine Studien, seine journalistische Arbeit, seine vielen Bücher, seine politische Hetze usw. kann man sich sehr ausführlich und sehr treffend über die französische wikipedia Seite informieren: LINK.
Über die Prozesse gegen ihn siehe dort die Rubrik „Condamnations, relaxes et poursuites judiciaires“ („Verurteilungen, Freisprüche und Gerichtsverfahren“), gelesen am 7.11.2025.

7.
Wichtig ist zunächst: Diese Kampfschrift Zemmours mit dem theologisch wirkenden Untertitel „Für eine jüdisch-christliche Wiederbelebung“ erscheint im Verlag „Fayard“ in Paris, der früher als großer literarischer Verlag einen guten Ruf hatte: Seit einigen Jahren gehört er dem katholischen Multimillionär Vincent Bolloré, er ist mit der rechtsextremen Partei „Rassemblement National“ von Madame Le Pen sehr hilfreich verbunden. Wegen seiner rechtsextremen Bindung hat Bolloré auch Zemmours Essay veröffentlicht und zum Preis von 10 Euro förmlich unters Volk geworfen. Gleichzeitig erscheinen bei Fayard auch Publikationen weiterer rechtsextremer Politiker und Ideologen: Von Philippe de Villiers, altbekannter rechter Politiker, jetzt Mitglied der Partei von Zemmour und von Jordan Bardella, er ist jetzt Vorsitzender der rechtsextremen Partei „Rassemblement National“ (die Le Pen Partei). Da sammelt sich also in Frankreich ein finanziell bestens ausgestatteter rechtsextremer Katholizismus, und dies leider mit Erfolg: Bei der Parlamentswahl 2024 stimmten 36% der Katholiken für die rechtsextreme Parteien, also für Reconquete und für die Partei Le Pens, 2012 waren es nur 20%. …LINK 

Über den rechtsextremen katholischen Milliardär Bolloré: Siehe den schon länger vorliegenden Hinweis des Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salons: LINK.
Genauso wichtig ist der Slogan der Rechtsextremen: Es geht um ein Plädoyer für die „jüdisch-christliche Kultur“, die auch der Untertitel des Zemmour Buches betont: Plötzlich werden nun von Rechtsextremen, die einst Juden hassten (wie der Vater von Marine Le Pen) und Juden verfolgten (wie die faschistischen Führer im Vichy-Regime) zu Bündnispartner im Kampf gegen die schlimmen Feinde, und dies sind „die“ Muslime. Rechtsextreme schmücken sich also als Rassisten jetzt mit einer gewissen philo-semitischen Ideologie.

8.
Wie gesagt: Der rechtsextreme, explizit traditionalistisch-katholische Milliardär Bolloré und Verlagschef von Fayard ist von Zemmours angetan, weil der Autor für eine starke katholische Kirche in Frankreich und Europa plädiert. Sie soll eine religiöse Bastion gegen den Islam werden. Zemmour bekennt: Kein Katholik, kein Christ zu sein, sondern sich als Jude zu einem – bei ihm diffus wirkenden – „Judäo-Christentum“ zu bekennen (S. 19). Aber er schätzt aus politischen, machtpolitischen Gründen eine mächtige, einflußreiche konservativ-traditionalistische Kirche: Ein Vordenker für diese politisch bedingte Bevorzugung der Kirche als einer hilfreichen Institution/Organisation ist Maurice Barrès.
Barrés Motto wird von Zemmour auf Seite 15/16 zitiert: „Ich unterstütze und verteidige den bedrohten Katholizismus, weil ich Patriot bin, im Namen des nationalen Interesses. Den Katholizismus aus unserer französischen Erde herausreißen, das hieße, unser ganzes nationales Gebäude erschüttern, unser ganze Zivilisation. Zwischen dem Katholizismus und unserer Zivilisation kann man nicht mehr unterscheiden.“ In einer Art geschichtsphilosophischen Ideologie schreibt Zemmour: „Ein heiliges Land ist diesem Volk Gottes versprochen: Frankreich“ (S. 34).
Mit dieser Bevorzugung des Katholizismus wird der klassische Protestantismus (Lutheraner, Reformierte…) von Zemmour zurückgewiesen, dieser Protestantismus sei von der Aufklärungs-Philosophie verdorben und genauso so gefährlich wie die Freimaurer. Aber Zemmour schätzt, wie gesagt, den traditionalistischen Katholizismus, mit der alten Messe in Latein, dem Klerikalismus, nicht aber den Katholizismus des Zweiten Vatikanischen Reformkonzils (S. 44 f.). Denn der moderne Katholizismus pflegt den Dialog der Religionen, auch den Dialog mit dem Islam…

9.
Gegen den Islam schreibt Zemmour (S. 50): „Der Islam ist eine Unterwerfung unter eine bevormundende und überholte Regel, die aus dem 7. Jahrhundert, aus der Wüste Arabiens, stammt, sie verschließt förmlich jeden Augenblick im Leben des Individuum: Denn Individualität und Freiheit werden negiert in einer totalitären Logik.“ Zemmour behauptet, die katholische Kirche hätte die Individualität gefördert, die Individuen gepflegt….von Hexenverbrennungen und Unterdrückung von Frauen, von Minderheiten usw. ist keine Rede bei ihm. Zemmour bastelt sich seine Kirchengeschichte zusammen…

10.
Zur „Identität“ Europas, dem Hauptthema des Identitären Zemmour: „Juden und Christen haben begriffen, dass einzig diese ihre gemeinsame Verbindung Frankreich und Europa retten kann von einer unausweichlichen und verheerenden Islamisation“ (S.90). Verlogen ergänzt Zemmour an dieser Stelle einmal, dass er gegen die Islamisation Frankreichs und Europas kämpft, nicht aber gegen „alle Muslims“. Damit will er sagen: Es gebe doch einige gute Muslims, etwa die Flüchtlinge aus dem Iran oder jene afrikanischen Muslime, die den französischen Lebensstil mit seiner Trennung von Kirchen und Staat schätzen. „Diese Muslims wissen, dass allein ein französisches Frankreich, das heißt ein Frankreich, das gleichzeitig christlich und vom Geist der Trennung von Kirchen und Staat geprägt ist, sie schützen kann…etwa vor familiärer Gewalt… (S. 91). Im Grunde will Zemmour suggerieren: Diese wenigen guten Muslims sollten am besten zum Katholizismus konvertieren…
Auf Seite 100 zeigt Zemmour sein wahres Gesicht. Er will islamische Menschen aus Europa „zurückführen! Er behauptet: „Der Islam ist tatsächlich inkompatibel mit der französischen Republik, wie er auch inkompatibel ist mit den Werten aller demokratischen Staaten des christlichen Europa… Einzig die Muslime, die dieses unser eherne Gesetz akzeptieren, werden bei uns bleiben können: Die anderen werden nach nach Hause zurückkehren müssen, um dort nach ihrem islamischen Gesetz in aller Strenge und Vollkommenheit zu leben. Denn es gibt ja mehr als 50 islamische Länder auf der Welt“ (S. 100/101).

11.
Die katholische Kirche als Institution soll für diesen rassistischen Kampf gegen die Muslime in Europa und für deren Rückführung „in die Heimat“ eine Bündnisparterin werden… „indem man etwa den Bau von großen Moscheen in Frankreich verbietet“. Zemmour will verhindern, dass große Moscheen das Stadtbild in Frankreich stören, bisher sind viele Moscheen in kleinen und häßlichen Garagen auf Hinterhöfen untergebracht. Also bitte keine „mosquées cathédrales“, fordert Zemmour… Und die offizielle katholische Kirche Frankreichs sieht er jetzt auf gutem Wege, indem sie sich gegen LGBT Menschen wehrt und gegen Feminismus und die Ideologie des Genre verurteilt. Und dann wünscht sich Zemmour: Es sollen bitte die Französinnen wieder mehr Kinder gebären, bei der großen Anzahl von Kindern in islamischen Familien Frankreichs ein dringendes Gebot zur Rettung der „Identität“ Frankreichs.
Das ganze Repertoire der rechtsextremen Ideologie bietet Zemmour auf, um die „Identität Frankreichs“ „zu retten“. Denn „die Islamisierung bedroht die Seele der Europäer“ (S. 105). Und als Krönung seiner Ideologie bezieht sich der Jude Zemmour auf die Erfinderin dieser Ideologie, die Jüdin Bat Ye Or.. und fordert wie sie das „Grand remplacement“: LINK    Das „große Ersetzen“ eines Teils der Bevölkerung: Also die Muslime werden „ersetzt“, das heißt rausgeschmissen! Aber wer ersetzt die die Muslime, wenn vielleicht nur noch hochbegabte, wertvolle und unpolitische, „kompatible“ Inder ins Land gelassen werden? Wer wird alsbald den alten Zemmour pflegen, vielleicht eine nette reiche rechte französische Dame aus seiner Partei?

12.
Das Pamphlet von Zemmour braut eine Ideologie zusammen, die unsere Demokratie zerstören wird. Die Rechtsextremen erobern mit ihren Hass- Sprüchen auch die Mentalität vieler naiver (katholischer) Bürger, die meinen: Ihre berechtigte aktuelle Kritik am Zustand unserer Demokratie dadurch zu bewältigen, wenn sie rechtsextreme, identitäre Parteien (wie Zemmour, Le Pen, AFD, Wilders, VOX etc.) unterstützen und wählen. Diese naiven Leute werden sich dann bei der Herrschaft dieser rechtsextremen Politiker wundern, wenn sie Kritik an der neuen rechtsextremen Regierung nicht mehr öffentlich äußern dürfen, weil dMeinungsfreiheit und Redefreiheit längst abgeschafft wurden. Dann beginnt bei einigen vielleicht das Aufwachen der Vernunft. Aber dann ist es zu spät.

Weitere kritische Hinweis zu Rechtsextreme Katholiken in Frankreich: LINK

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

Weihnachten verstehen: Dann können wir Weihnachten besser feiern.

Ein Interview mit dem Autor des Buches „Die Weihnachtsgeschichte – Fakten, Legenden und tiefere Bedeutung“: Frank Kürschner-Pelkmann
Die Fragen stellte Christian Modehn am 6.11.2025

Frage von Christian Modehn: Ihr neues Buch über Weihnachten (erschienen im Oktober 2025) hat 680 Seiten, die Fußnoten noch gar nicht mitgezählt. Ihr erstes Buch über Weihnachten aus dem Jahr 2012 „Von Herodes bis Hoppenstedt. Auf den Spuren der Weihnachtsgeschichte“ hatte 696 Seiten. Warum sind Sie so leidenschaftlich, möchte ich fast sagen, an Weihnachten interessiert?Warum ist es Ihnen so wichtig, Aufklärung und Kenntnis zum Weihnachtsfest zu fördern?

Antwort Frank Kürschner-Pelkmann: Ich bin überzeugt, dass man durch ein ernsthaftes Studium der biblischen Texte und ihres geistes- und sozialgeschichtlichen Hintergrunds zu einem tieferen Glauben gelangen kann. Das haben bereits manche Denker der Aufklärung im 18. und 19. Jahrhundert so gesehen. Damals fehlten aber noch viele Erkenntnisse, die uns verschiedene Wissenschaften inzwischen ermöglicht haben. Um diese spannende Spurensuche zu beginnen, muss man kein Theologieprofessor oder Philosoph sein, sondern es gibt viele auch für Nicht-Experten gut verständliche Darstellungen zu diesen Themen. Ich habe eine große Zahl von theologischen und historischen Darstellungen gelesen, die für die Weihnachtsgeschichten relevant sind, ein Beispiel ist das neue Verständnis von Maria in der feministischen Theologie. Die aus dieser Studienarbeit gewonnenen Erkenntnisse sind durch Zitate und eigene Darstellungen in das Buch eingeflossen. Das hat natürlich zum Umfang des Buches beigetragen.

Dafür eröffnet das Buch einen Zugang nicht nur zu den Weihnachtsgeschichten, sondern – so hoffe ich jedenfalls – auch zu einem aufgeklärten Verständnis des ganzen Neuen Testaments. Die Weihnachtsgeschichten können zugleich eine Brücke zur Hebräischen Bibel bilden und sind eindeutig von Lukas und Matthäus so verfasst worden. Zugleich sind diese einleitenden Kapitel so etwas wie Ouvertüren zu den dann folgenden Evangelien. Es klingen wie in einer musikalischen Ouvertüre schon einmal die Themen an, die im übrigen Werk ausführlicher und in Variationen zu hören sind.
Dazu ein kleines Beispiel. Dass es bei Lukas die Hirten sind, die zum Stall in Bethlehem kommen, also eine marginalisierte Gruppe der damaligen Gesellschaft, weist schon darauf hin, dass im Lukasevangelium immer wieder betont wird, dass den Armen das Heil verheißen wird. Diese Erkenntnis behält auch dann ihre Gültigkeit, wenn wir wahrnehmen, dass die Geschichte von den Hirten eine Legende ist. Ja, das gilt gerade dann, wenn wir dies wahrnehmen. Die Hirten haben keinen Auftritt in der Geschichte, weil sie gerade in der Nähe und nachts noch wach waren. Sie werden als Repräsentanten der Armen in die Heilsgeschichte einbezogen, wie sie Lukas erzählt. Er war kein Historiker und wollte es auch nicht sein, sondern er hat Geschichten aufgeschrieben, die Menschen zum Glauben führen und ihnen Hoffnung in einer trostlos erscheinenden Zeit geben wollte.
Das hat auch Matthäus getan. Und da die Evangelisten ihre Werke parallel verfassten und die Texte des anderen nicht kannten, gibt es wie erwähnt Abweichungen in den Darstellungen. Das können wir interessiert, aber gelassen wahrnehmen. Der Kern der Botschaften dieser Evangelien (und des übrigen Neuen Testaments) sind in hohem Maße identisch.

Frage: Ist denn Ihr starkes Interesse an Weihnachten auch mit Ihrer persönlichen Geschichte verbunden?

Antwort: Meine Weihnachtsgottesdienst-Erinnerungen beginnen in der Schlosskirche in Ahrensburg, einem evangelischen Barockbau. Der große Weihnachtsbaum mit den vielen Lichtern (damals noch mit echten Kerzen) hat mich tief beeindruckt. Davor stand die Krippe, und weil ich schon damals kurzsichtig war, bestand ich am Ende des Gottesdienstes darauf, nach vorne zu gehen und mir die Krippenfiguren genau anzusehen. Auch in der Schul- und Konfirmandenzeit war der Besuch der Weihnachtsgottesdienste für mich immer ein Höhepunkt der Weihnachtszeit. Im Konfirmandenunterricht ist mir dann ein Verständnis des Christentums vermittelt worden, das Vernunft und religiöse Gefühle miteinander in Einklang bringen wollte. Ich habe später versucht, Frömmigkeit zu verbinden mit einem radikalen Verständnis der Bibel und des christlichen Engagements in dieser Welt.
Es war und ist mir immer ein Graus, wenn biblische Verse, auch aus der Weihnachtsgeschichte, aus ihrem Zusammenhang gerissen und in die jeweilige gesellschaftspolitische Argumentation einbezogen wird. Die Bibel ist kein Steinbruch, wo man sich gerade passende Verse heraussucht und dem Gegenüber an den Kopf wirft. Dieser Versuchung sind leider immer wieder auch Kritiker der gegenwärtigen politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse erlegen.

Gerade die Weihnachtsgeschichte, kann helfen, grundlegende Einsichten darüber zu gewinnen, was die Botschaft dieses Jesus von Nazareth ist. Wir müssen diese Geschichten gründlich lesen und so zum Beispiel erkennen, was Legenden sind und welche tiefere Bedeutung sie haben. Es ist aber unbedingt zu vermeiden, die Bibeltexte so lange zu sezieren, bis wir vor einem Trümmerhaufen stehen, den wir dann mehr oder weniger resigniert verlassen. Für mich sind die Weihnachtsgeschichten zentrale Texte, um das miteinander zu verbinden, was wir wissen können und was wir glauben dürfen, wenn wir das wollen.

Frage: Sie haben also die Erwartung oder wenigstens die Hoffnung, dass durch die vermehrte Kenntnis der Weihnachtsgeschichte, erzählt von den vier Evangelisten und den zahlreichen „apokryphen Erzählungen“ zur Jesus-Gestalt, Menschen wieder intensiver, auch spirituell, Weihnachten erleben und feiern können? Also jenseits des weltweit vorherrschenden „Konsumrausches“ anläßlich von Weihnachten?

Antwort: Nach dem Verfassen meines Buches bin ich mehr denn je überzeugt, dass die Weihnachtsgeschichte geeignet ist, Menschen intellektuell und spirituell anzusprechen. Es gibt beim Hören und Lesen dieser Geschichten sehr viele Aha-Erlebnisse, wenn man sich auch mit den historischen und sozialgeschichtlichen Hintergrund der Geschichten beschäftigt. Man kann zum Beispiel erfahren, dass die Verfasser der Evangelien ihre Werke als Gegengeschichten zum Herrschaftsanspruch und zur Propaganda von Kaiser Augustus verfasst haben, bis hinein in ihre Wortwahl. Nicht Augustus, sondern Gott ist der wahre Herrscher der Welt, lautet die Botschaft. Diese Botschaft konnten die damaligen Menschen in Galiläa und Judäa erkennen, während sie heute nicht mehr bei einer Lektüre der Evangelien ohne ein Wissen über historische Bezüge und Zusammenhänge zu erkennen sind. Die Propaganda von Augustus, seine „guten Nachrichten“ („euangelion“, das griechische Wort für „Evangelium“) erreichten auch das letzte Dorf in Palästina. Man war also in der Lage kaiserliche Propaganda und biblische Botschaft in Beziehung zueinander zu setzen. Die Jesusbewegung hat ihre „Evangelien“ dagegengestellt und deutlich gemacht, dass die politischen Herrscher dieser Welt, allen voran Augustus, nicht die wahren Herrscher sind – eine wahrhaft kühne Botschaft einer bedrängten kleinen Jesusbewegung. Im Magnifikat singt Maria, dass Gott die Mächtigen vom Thron gestürzt hat (Luther hat diese radikale Botschaft abgemildert und übersetzt, dass Gott die Mächtigen vom Thron stürzen wird).Die radikalen Aussagen in den Evangelien sind kein politisches Manifest. Sie sind tief eingebunden in eine Spiritualität, die die Menschen einlädt, aus dem Glauben heraus eine innere Freiheit zu finden, sich für eine umfassende Befreiung der Menschheit einzusetzen und mitzuarbeiten am Reich Gottes. Weihnachten ist ein guter Anlass, diese Verheißung auf lebendige Weise erfahrbar zu machen. Das wird dann geradezu zwangsläufig prägen, wie wir Weihnachten feiern. Ein „Konsumrausch“ hat dann keinen Platz in unseren Weihnachtsfeiern, wohl aber das immer neue Staunen darüber, wie mehr als 2.000 Jahre alte Geschichten uns Hoffnung und Orientierung im eigenen Leben und im Miteinander geben können.

Frage: Sie legen allen Wert darauf, unseren Blick auf die vielfältigen christlichen Glaubenshaltungen und Theologien außerhalb Europas – auch zum Thema Weihnachten – zu richten?

Antwort: Mein Interesse an der Auslegung der Weihnachtsgeschichte in der weltweiten Ökumene hat zunächst einmal biografische Gründe. Die Beschäftigung mit theologischen Texten aus der Ökumene und besonders der Befreiungstheologie hat meinen Glauben und meine theologischen Auffassungen sehr stark beeinflusst. In dem halben Jahrhundert, in dem ich mich nun mit theologischen Fragen beschäftige, haben ökumenische theologische Beiträge immer wieder im Zentrum gestanden.
Ich will aber nicht verschweigen, dass die Weihnachtsgeschichten in der weltweiten Ökumene durchaus Konfliktstoff birgt. Die meisten, vermutlich die allermeisten, Missionare haben die Bibel als Wort für Wort von Gott übermittelt dargestellt. Die Bibel ist auch heute für viele Millionen Christinnen und Christen im Süden der Welt „Gottes Wort“ in einem sehr engen Sinne. Die historisch-kritische Auslegung biblischer Texte wird besonders in Afrika von vielen Pastoren und Bischöfen abgelehnt. Die Folgen zeigen sich zum Beispiel beim Umgang mit dem Thema Homosexualität, wo eine biblizistische Auslegung einiger weniger Bibelverse zu einer kompromisslosen Ablehnung von Homosexualität veranlasst. Das hat die anglikanische Weltgemeinschaft zeitweise fast zu einer Spaltung geführt.
Wir müssen solche Konflikte aushalten und wie schon die ersten Gemeinden der Jesusbewegung damit leben, dass es unterschiedliche Auffassungen in Glaubensfragen gibt. Es gibt in religiösen Fragen keinen Alleinvertretungsanspruch, wohl aber den Auftrag zu einem gemeinsamen Ringen um das richtige Verständnis. Gern zitiere ich den jüdischen Gelehrten Pinchas Lapide: „Jede Streitfrage hat, zutiefst gesehen, drei Seiten: deine Seite – meine Seite – und die richtige Seite.“

Es gibt auch im Süden der Welt inzwischen eine größere Zahl von Theologinnen und Theologen, die dogmatische Festlegungen infrage stellen, die auf den ersten Konzilen der entstehenden Kirche getroffen wurden. Das betrifft zum Beispiel die Frage, ob Maria eine Jungfrau war oder diese dogmatische Festlegung lediglich auf dem Hintergrund des hellenistischen Weltverständnis zu sehen sind. Müssen Diese Dogmen heute weiterhin für weltweite Christenheit verbindlich sein? Tissa Balasuriya, ein Befreiungstheologe in Sri Lanka, wurde zeitweise vom Vatikan exkommuniziert, weil er dies infrage stellte.
Inzwischen gibt es auch in Afrika erfreulicherweise eigenständige feministische Theologien und auch die lateinamerikanische Befreiungstheologie kann uns weiterhin zu neuen Erkenntnissen und Einsichten verhelfen. Weltweit ist ein Aufbruch zu neuen eigenständigen Theologien zu beobachten. Sie könnten die deutschen Kirchen bereichern, wenn man sie denn auf einer breiteren Ebene wahrnehmen würde. Ich habe im Buch eine ganze Reihe wegweisender Theologinnen und Theologen aus der weltweiten Ökumene zu Wort kommen lassen.

Frage: Die zahlreichen Gottesdienste vor allem am „Heiligen Abend“ sind, im Vergleich zu „üblichen Sonntagen“, geradezu überfüllt. Die FAZ beispielsweise berichtet, dass 28 Prozent der Befragten Weihnachtsgottesdienste besuchen wollen. Was zeigt sich in dieser ungewöhnlichen Begeisterung für Gottesdienste selbst bei sonst eher kirchlich desinteressierten Menschen?

Antwort: Ein wichtiger Grund ist, dass besonders Lukas Weihnachtsgeschichte weiterhin viele Menschen, auch Kinder, tief bewegt. Sie hat das auch schon gleich nach der Entstehung dieses Evangeliums getan und Hoffnung in einer bedrohten Situation als kleine religiöse Gruppe im riesigen Römischen Rech geweckt. Andere jüdische Gruppen lehnten die radikalen Botschaften Jesu ab, den sie nicht als Messias anerkannten. Manche Gruppen der Jesusbewegung wurden aus Synagogen ausgewiesen. Sie verloren damit auch den begrenzten Schutz, die die Römer den Juden gewährt hatten. Diese Römer hatten den Anführer der Jesusbewegung gekreuzigt und damit begonnen, seine Anhänger zu verfolgen. In dieser Situation fand Lukas die richtigen Worte, um mit seiner Weihnachtsgeschichte den Menschen Mut zu machen und Hoffnung zu geben. Das tun diese Verse auch heute noch. Ich habe bei der Beschäftigung mit theologischen Beiträgen zur lukanischen Weihnachtsgeschichte gelernt, dass ein Grund für die Wirkung dieser Geschichte ist, dass Lukas bei seine Darstellung der Geschichte auf viele Details verzichtet hat, die in einer solchen Geschichte hätten erzählt werden können. Das eröffnet den Hörerinnen und Hörern der Geschichte die Gelegenheit, mit viel Phantasie selbst auszuschmücken und das einzufügen, was ihnen wichtig ist.

Ich möchte hier ein zweites, mir wichtiges Thema ansprechen. Viele der Menschen, die heute in Weihnachtsgottesdienste strömen, haben Erinnerungen an solche Gottesdienste in ihrer Kindheit. Aber viele heutige Kinder haben diese Erfahrungen nicht mehr. Und ihre Eltern können ihnen auch nicht mehr viel von dem vermitteln, was dieser Jesus später gesagt und getan hat. Es besteht also die Gefahr eines Traditionsabbruchs. Es muss deshalb gelingen, in den heutigen Weihnachtsgottesdiensten jene Begeisterung entstehen zu lassen, von der Sie in Ihrer Frage gesprochen haben.

Wir empfehlen das Buch „Die Weihnachtsgeschichte – Fakten, Legenden und tiefere Bedeutung“ von Frank Kürschner-Pelkmann. Rediroma-Verlag, 680 Seiten, Oktober 2025, kartoniert, 26,95 €.

Weitere Informationen zu den Büchern Frank Kürschner-Pelkmanns: LINK.

Copyright: Frank Kürschner-Pelkmann und Religionsphilosophischer-Salon.de

Maria ist keine Göttin. Und auch keine “Mit-Erlöserin”.

Der Vatikan lehnt es jetzt ab, Maria als Mit – Erlöserin zu verstehen und zu verehren
Ein Hinweis von Christian Modehn am 5. November 2025

1.
Nun darf es also, zugespitzt, aber korrekt formuliert, eine Göttin im offiziellen katholischen Glauben NICHT (mehr) geben: Die Jungfrau Maria, die Mutter Jesu von Nazareth, darf nicht „Mit – Erlöserin“ genannt und als solche verehrt werden. Denn dann würde sie sich, konsequent gedacht, mit Jesus Christus das Werk der Erlösung „irgendwie“ teilen. Die absolut herausragende Bedeutung Jesu Christi wäre also halbiert. Jesus Christus ist laut katholischem Dogma nicht nur Mensch, sondern auch Gott. Denn nur Gott, so wird gelehrt, kann die Menschheit erlösen. Wäre also Maria tatsächlich die Miterlöserin, dann wäre sie offiziell in die Position einer Göttin gerückt und müsste in der Dreifaltigkeit einen eigenen Platz einnehmen. Aus der üblichen „Trinität“ müsste offiziell eine „Quaternität“ werden.

2.
Gegen Maria als „Miterlöserin“ hat sich am 3.November 2025 der Vatikan offiziell ausgesprochen. Vernünftig Glaubende werden erleichtert sein, dass dieser Unsinn zurückgewiesen wurde. Die sehr vielen volkstümlich Glaubenden (die etwa an „Maria die Knotenlöserin“ glauben, die Lieblingsmadonna Papst Franziskus) werden empört sein: Man raubt ihnen ihre göttliche Mutter, werden sie jammern. Und Skeptiker werden sich fragen: Welche Sorgen hat eigentlich der Vatikan in dieser Welt voller grundlegender Probleme. Aber die offizielle Zurückweisung von religiöser Unvernunft hat schon eine gewisse Bedeutung, sage ich mal zur aktuellen Entscheidung der päpstlichen Glaubensbehörde.

3.
Eine Mutter – Gottheit Maria ist also dem Vatikan doch ein bißchen zu viel, der bekanntlich sehr sehr großzügig umgeht in der Jahrhunderte alten Förderung der Verehrung Marias. Man zähle die Marien- Feiertage im Katholizismus, man denke an das Dogma der „Aufnahme Marias in den Himmel“ oder an das Dogma, dass sogar Maria ohne Erbsünde empfangen wurde, von ihrer imaginären (!) Mutter Anna und ihrem ebenso imaginären Vater Joachim. Man denke an die vielen Marien- Wallfahrtsorte, in denen Maria vom Himmel herab erschien und kluge Worte sprach, etwa in Fatima oder Lourdes, um nur zwei von Millionen besuchte „Erscheinungs-Orte“ zu nennen.

4.
Wir wollen hier nicht weiter vertiefen, was die klassische und immer noch gültige offizielle katholische Erlösungslehre im einzelnen bedeutet. Sie ist hoch kompliziert und spekulativ und sie läuft letztlich darauf hinaus: Dass Gott Vater im Himmel wegen der Erbsünde der Menschheit seinen göttlichen Sohn (Logos, Christus) in die Welt sendet und ihn in Jerusalem am Kreuz qualvoll für die erbsündige Menschheit sterben lässt. In diesem blutigen Geschehen wird die Erbsünde in ihrer Macht besiegt, so die offizielle Lehre. Nebenbei: Die Erbsünden – Ideologie ist ein Produkt der Theologie des heiligen Augustins. Aber: Leider, leider, die Menschen sündigen ständig in vielen Einzelfällen weiter. Die Erlösung ist also doch noch nicht vollständig… Aber bei Lichte besehen, kann Maria an diesem spekulativen Erlösungsgeschehen nun wirklich keinen solchen Anteil haben, dass sie als Miterlöserin in eine göttliche Position hinein gerät.

5.
Dabei hat die katholische Kirche ganz offiziell alle Türen geöffnet, dass Maria eine absolut herausragende Position in der Verehrung einnehmen darf. Man denke daran, dass das Konzil von Ephesus (431) Maria den Titel „Mutter Gottes“ verlieh. „Mutter Gottes“ oder auch „Gottes Mutter“ sind Titel, die bis heute noch in Gebeten und offiziell zugelassenen Liedern benutzt werden. Es ist bei dieser Formel kein weiter Weg von der „Mutter Gottes“ zur „göttlichen Mutter“ zu gelangen, also zur Vorstellung, Maria sei doch irgendwie Mutter – Göttin“. Die übergroße Fülle der Marien- Darstellungen wäre unter der Hinsicht zu untersuchen.

6.
Nun also sagt der Leiter der obersten päpstlichen, vatikanischen Glaubensbehörde, der Argentinier Kardinal Víctor Fernández, von Papst Franziskus in diese Position gesetzt, ziemlich vornehm und zurückhaltend NEIN zu Maria als Miterlöserin: “kath.de” berichtet: „In seinem Text “Mater populi fidelis” (Mutter des gläubigen Volkes) spricht sich der Glaubenshüter Fernandez deutlich dafür aus, Titel wie „Miterlöserin“ oder “Gnadenmittlerin” in Marienverehrung und Theologie zu vermeiden. Zur Begründung heißt es, solche Bezeichnungen schadeten einer “angemessenen Betrachtung der christlichen Botschaft in ihrer harmonischen Gesamtheit“. LINK

Wer den ganzen ausführlichen Text aus dem Vatikan lesen will: LINK

7.
Dem obersten Glaubenswächter liegt also daran, für eine „angemessene Betrachtung der christlichen Botschaft in ihrer harmonischen Gesamtheit“ zu sorgen. Und da gibt es wirklich noch viel zu tun, eine harmonische Gesamtheit wieder herzustellen. Denn wer nur die offiziell noch üblichen Marien-Lieder studiert, muss sich fragen, ob da nicht doch immer grenzwertig Maria als Miterlöserin gemeint oder suggeriert wird. Wir haben einige übliche Marienlieder in ihrem z.T. exzessiven Texten im Anschluss an die Studien von Prof. Hermann Kurze und Christiane Schäfer untersucht, immer noch sehr lesenswert, was da an Phantastischem, „Romanischem“, Widersprüchlichem in Kirchen-Liedern von Maria behauptet wird: LINK https://religionsphilosophischer-salon.de/18125_marienlieder-denn-sie-nicht-was-sie-singen_befreiung

8.
Abgesehen von diesem dogmatischen Ballast, über den hier gesprochen werden musste: Vielleicht zeigt doch das religiöse Bedürfnis des katholischen Volkes, dass eine mütterliche Gottheit direkt gewünscht wird. Die weibliche Gottheit im Christentum würde diesen Glauben vielleicht etwas menschlicher, nicht so rigide-streng machen, würde nicht Verfolgung und Tötung angeblicher Ketzer zulassen. Mütter sind bekanntlich, ohne ein Klischee zu bedienen, nachsichtiger als strenge Väter, und die Göttin Maria wäre nicht so streng wie Gott – Vater, unter dem ja schon Jesus von Nazareth unter seinem jüdischen Volk litt, als er ihn dann schlicht umbenannte und nur von „liebem Vater“ sprach anstelle des männlichen Herrschers und Gesetze-Machers…

9.
Natürlich weisen wir hier – im Blick auf die katastrophale Lage der Menschheit heute – auf etwas Marginales hin. Aber es verdient doch einen gewissen Respekt, dass ein ganz kleiner Schritt im Vatikan geleistet wird: Den ausufernden Aberglauben im Katholizismus (etwa: „Maria als Miterlöserin“) einzuschränken. Dies sollte der erste Schritt sein, weiteren Aberglauben zurückzuweisen, abzubauen, rauszuschmeißen, selbst wenn er sich in uralten Dogmen versteinert hat. Aber diese Sehnsucht nach einem entrümpelten, also modernen katholischen Glauben, wird vorläufig nur ferne Utopie sein…So verhindert die alte Dogmenwelt nach wie vor einen Glauben, der die Prädikate „modern“, „nachvollziehbar“, „hilfreich“ verdient. Darüberhinaus muss bezweifelt werden, dass mit diesem Text aus dem Vatikan auch die feministisch – theologische Sicht auf Maria gefördert wird.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

PS:

A: Auch wenn Maria nicht mehr Miterlöserin genannt und verehrt werden darf: Maria bleibt offiziell – sozusagen theologisch “grenzwertig” -nach wie vor „die Gnadenreiche in des Himmels Herrlichkeit“: Deswegen kann sie in der Bitte, im Bittgebet, Bittgesang, um ihren Beistand angefleht werden: Weil sie eben zu Gott und Jesus eine „sehr enge Verbindung“ hat. Im „Berliner Anhang“ des Gesangbuch „Gotteslob“ ist auch das Lied „Nun Brüder sind wir frohgemut“ aufgenommen, in dem es von Maria heißt: „Du Mutter aller Gnaden“… „Wir tragen unser Leid zu deiner Gnadenquelle…“
In dem berühmten Lied „Maria zu lieben“ (Nr. 594) heißt es von Maria: „Du Mutter der Gnaden“ oder „Von Gott über Engel und Menschen gestellt“ in der 6. Strophe: Ja, wohin wurde sie denn gestellt: Ist sie also doch göttlich?

B. Es wäre eine Arbeit für Unentwegte zu zeigen, wie in dem Gesangbuch „Gotteslob“ aus dem Jahr 1975 die alten Texte der Marienlieder, etwa aus dem Gesangbuch „Ehre sei Gott“ ( Berlin 1957), umgearbeitet wurden und schon von Vorstellungen der „Göttin und Miterlöserin Maria“ gereinigt wurden. Es vollzog sich also eine stille theologische Reform, wenigstens in den Texten der Lieder. Das Lied “Mein Zuflucht alleine“ (gemeint ist Maria, nicht die letzte einzige Zuflucht Gott genannt) ist allerdings auch in „Gotteslob“ ohne Korrektur übernommen worden (Nr. 862). Soll sich die oberste Glaubensbehörde in Rom mal darum kümmern? Das kitschige und völlig unsinnige Lied „Maria Maienkönigin, dich will der Mai begrüßen, so segne holde Mittlerin (!), uns hier zu deinen Füßen” usw..“( Nr. 218 in „Ehre sei Gott“) wurde ins „gereinigte“ Gesangbuch von 1975 nicht aufgenommen. Dabei geht die 3.Strophe aktuell sehr ins Ökologische: Denn wir sollen “mit Lerche und Nachtigall im Lied emporschwingen und Maria Maienlieder singen”, so wörtlich. Man fragt sich, wie viel poetischer Unsinn wurde eigentlich den KatholiKinnen zugemutet und … die haben alles treu und gedankenlos gesungen, wss ihnen vorgesetzt wurde…

„Wir Israelis sind nach Gewalt süchtig geworden“: Sagt Yishai Sarid

Erkenntnisse des Schriftstellers und Juristen Yishai Sarid. PS: Wahrscheinlich ist es korrekter zu sagen: “Wir Israelis sich süchtig nach Gewalt geworden”. CM, aber der “Tagesspiegel” hat nun  diesen Titel gewählt, den wir wegen unserer Dokumentation übernehmen.
Im Gespräch mit dem „Tagesspiegel“. Von Tessa Szyszkowitz: LINK      Vom Tagesspiegel veröffentlicht am 27.10.2025, 09:20 Uhr

Ein Hinweis von Christian Modehn:   Yishai Sarid, geboren 1965 in Tel Aviv-Jaffa, ist ein israelischer Jurist und Schriftsteller. 2009 veröffentlichte er den Politthriller Limassol. Sein Roman Monster erschien 2017. In seinem Roman Siegerin setzt er sich mit israelischem Heldentum und Traumabewältigung in der Armee auseinander. Sein neuestes Buch „Chamäleon“ ist im Verlag „Kein & Aber“ erschienen. Yishai Sarid lebt und arbeitet in Tel Aviv.
Wir empfehlen die Lektüre einiger wichtiger Erkenntnisse Yishai Sardis aus dem Interview mit dem Tagesspiegel, zusammengestellt von Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Frage des Tagesspiegel: Herr Sarid, Sie haben fast jeden Samstag für die Freilassung der Geiseln und einen Waffenstillstand in Gaza demonstriert. Sind Sie erleichtert, dass der Krieg vorerst vorbei ist?

Antwort: Ich spüre die Erleichterung mit meinem ganzen Körper. Die Geiseln sind befreit. Das Töten in Gaza musste endlich aufhören. Wir können die Palästinenser nicht so behandeln. Es hat fürchterliche Folgen für Israel.

Frage: Weil die Soldaten und die Gesellschaft moralisch verletzt aus diesem Krieg zurückkommen?

Antwort: Natürlich. Es ist grauenvoll, was wir in Gaza angerichtet haben. Das ist aber eine Frage der Führung. Die Soldaten haben getan, was ihnen befohlen wurde. Wir hätten nie das Leben der Geiseln aufs Spiel setzen dürfen, um den einen oder anderen lausigen Hamas-Kämpfer zu erwischen…

Premierminister Benjamin Netanjahu ist ein Taktiker, kein Stratege. Um seine Regierung zu retten, ließ er sich von der extremistischen Ideologie der Siedlerminister Bezalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir treiben. Die wollten die Palästinenserfrage durch ethnische Säuberung lösen. Netanjahu ist heute für die ganze Welt ein Kriegsverbrecher. Er hat nichts mehr zu verlieren. Wir sind also nach wie vor in einer sehr gefährlichen Situation. Wir haben immer noch eine kriminelle Regierung. Wir brauchen so schnell wie möglich Neuwahlen….

Netanjahus Strategie ist: Bloß nicht mit den moderaten Kräften sprechen, sonst könnte ja noch ein Friedensprozess herauskommen oder sogar eine Zweistaatenlösung. Er zieht die disruptiven Kräfte vor, die Terroristen und die Antisemiten. Solange er gegen die kämpfen kann, kann er weitermachen…

Netanjahu arbeitet wie die römischen Kaiser Nero oder Caligula. Es wird immer so getan, als wären sie verrückt gewesen, aber das waren sie wohl nicht. Sie haben taktisch gegen die Eliten gehetzt, gegen die Aristokraten, gegen die Senatoren. Das Volk liebte sie dafür. Auch hier in Israel gehen Netanjahus Wähler nicht an die Urne und überlegen sich, wer die Wirtschaft und die Gesellschaft voranbringen könnte. Sie wählen ihn, weil ihnen zwei Dinge wichtig sind: Sie hassen die Araber und sie hassen die Linken….

Nach dem 7. Oktober hat sich Israel grundsätzlich verändert. Die Leute haben kein moralisches Rückgrat mehr, es wurde gebrochen. Sie sagen Dinge, die früher unmöglich gewesen wären….Es sollte ein kompaktes Verfahren geben, in dem Netanjahu wegen Korruption angeklagt wird, und ein schnelles Urteil. Tatsächlich wird das Urteil erst in zwei Jahren erwartet und wenn er dann noch drei, vier Jahre in Berufung geht, ist das Ganze irgendwann nicht mehr relevant….

Das Gerücht, Netanyahu solle begnadigt werden, steht seit geraumer Zeit im Raum. Die Sache hätte einen Vorteil: Dann könnte er aufhören, sich als Regierungschef an die Macht zu klammern, weil er seine Immunität nicht verlieren will.
Wir müssen zur Besinnung kommen, wir brauchen eine Regierung, die den Siedlern im Westjordanland Einhalt gebietet. Sie haben jetzt einen Passierschein, sie quälen und ermorden Palästinenser, sie brennen Häuser nieder, es ist grauenvoll.

Frage: Die 1967 im Sechstagekrieg besetzten Gebiete Westjordanland, Gaza und Ostjerusalem sollten die Grundlage für einen Staat Palästina werden?

Antwort: Ja, jetzt aber geht es längst um 1948. Was Israel damals verbrochen hat. Man sieht uns nicht mehr als einen gerechten, säkularen, liberalen Staat. Unser Problem ist: Wir sind es auch nicht mehr. Für Leute wie mich, die Israels Existenz als moralisch und richtig ansehen, ist das eine Tragödie.
Unser größter Sieg ist unsere größte Tragödie: 1967. Seitdem sind alle üblen Geister der jüdischen Geschichte, die früher fest unter einem Deckel eingeschlossen waren, entwischt.

Die Siedler unterscheiden sich von der ursprünglichen zionistischen Bewegung. Sie beanspruchen das gesamte Land aufgrund von messianischen Fantasien. Sie sind aber die einflussreichste Strömung im heutigen Israel. Ich schreibe darüber in meinen Büchern: Wir Israelis sind längst nach Gewalt süchtig geworden. Aber mit all der militärischen Schlagkraft wurden wir trotzdem am 7. Oktober ohne richtige Verteidigung erwischt. Als ob wir wieder ein hilfloses Volk wären. Das ist schlimm.
Wir müssen zur Besinnung kommen, wir brauchen eine Regierung, die den Siedlern im Westjordanland Einhalt gebietet. Sie haben jetzt einen Passierschein, sie quälen und ermorden Palästinenser, sie brennen Häuser nieder, es ist grauenvoll.

Wir empfehlen die Lektüre des vollständigen Interviews mit Yishai Sarid im Tagesspiegel: LINK

 

 

Eine philosophische Anklage gegen die heutige Gesellschaft: Byung-Chul Han

Der Philosoph Byung-Chul Han hat am 24. Oktober 2025 in Oviedo, im „Teatro Campoamor“, den „Prinzessin von Asturien – Preis“ in der Kategorie „Kommunikationen Humanwissenschaften“ erhalten.
Ein Hinweis von Christian Modehn am 28.10.2025

1.
Die zahlreichen Studien des südkoreanisch – deutschen Autors finden auch in Spanien und Lateinamerika viel Interesse. Über die Vielfalt der Titel der Publikationen Hans kann man sich leicht etwa über wikipedia informieren. Man bedenke, dass die ersten Veröffentlichungen des Philosophen Han Fragen rund um Heidegger und den Zen- Buddhismus handeln. Die jüngste Publikation (2025) „Sprechen über Gott“ (Verlag Matthes und Seitz) als ein Dialog mit der Philosophin und Christin Simone Weil fehlt allerdings im Wikipedia Beitrag. Im Vorwort zu seinem neuen Buch “Sprechen über Gott” schreibt Han: “Ich empfinde eine tiefe Freundschaft, ja eine Seelenfreundschaft für Simone Weil. So kann ich, selbst fast nach  100 Jahren, von ihren Gedanken Gebrauch machen, um zu zeigen, dass es jenseits der Immanenz der Produktion und des Konsums, jenseits der Immanenz der Information und der Kommunikation eine andere, höhere Wirklichkeit, ja eine Transzendenz gibt, die uns aus dem ganz sinnentleerten Leben, aus dem bloßen Überleben, aus dem quälenden Seinsmangel herauszuführen und uns eine beglückende Seinsfülle zu geben vermag.”

2.
Seine Rede anläßlich der Preisverleihung in Oviedo hielt Byung – Chul Han auf Deutsch, sie ist eine heftige Verteidigung der Bedeutung der Philosophie in der neoliberalen Gesellschaft. Sie ist anregend und aufregend, wie es sich für Philosophie gehört.

3.
Wir zitieren einige Ausführungen aus dieser Rede, die wir der Website der Stiftung in spanischer Sprache entnehmen und über deepl.com ins Deutsche übersetzen. Hans Rede in Oviedo ist zugleich eine Verteidigung seiner philosophischen Positionen, die in Deutschland kritisiert wurden.
Die Website der „Princesa de Asturias Stiftung“ bietet den ganzen spanischen Text des Vortrags: LINK

…………..

4. Aus der Rede von Byung-Chul Han in Oviedo, 24.10.2025:
„In der Apologie, dem berühmten Dialog von Platon, erklärt Sokrates, nachdem er zum Tode verurteilt wurde, in seiner Verteidigungsrede, was die Aufgabe eines Philosophen ist. Die Aufgabe des Philosophen bestehe darin, die Athener aufzurütteln und wachzurütteln, sie zu kritisieren, zu irritieren und zu tadeln, so wie eine Bremse ein edles Pferd sticht und aufregt, dessen eigene Körperfülle es passiv macht, und es so anspornt und stimuliert. Sokrates vergleicht dieses Pferd mit Athen…

Ich bin Philosoph. Als solcher habe ich diese sokratische Definition der Philosophie verinnerlicht. Auch meine Texte zur Sozialkritik haben Irritationen hervorgerufen, Nervosität und Unsicherheit gesät, aber gleichzeitig viele Menschen aufgerüttelt. Bereits mit meinem Essay Die Gesellschaft der Müdigkeit habe ich versucht, diese Aufgabe des Philosophen zu erfüllen, indem ich die Gesellschaft ermahnte und ihr Gewissen aufrüttelte, damit sie aufwacht. Die These, die ich darlegte, ist in der Tat irritierend: Die unbegrenzte individuelle Freiheit, die uns der Neoliberalismus verspricht, ist nichts weiter als eine Illusion. Auch wenn wir heute glauben, freier denn je zu sein, leben wir in Wirklichkeit in einem despotischen neoliberalen Regime, das die Freiheit ausbeuten…

Ich habe auch mehrfach auf die Risiken der Digitalisierung hingewiesen. Nicht, dass ich gegen Smartphones oder die Digitalisierung wäre. Ich bin auch kein Kulturpessimist. Das Smartphone kann ein sehr nützliches Werkzeug sein. Es wäre kein Problem, wenn wir es als Instrument nutzen würden. Tatsächlich sind wir jedoch zu Instrumenten der Smartphones geworden. Das Smartphone nutzt uns, und nicht umgekehrt. Nicht das Smartphone ist unser Produkt, sondern wir sind seine Produkte. Oftmals wird der Mensch zum Sklaven seiner eigenen Schöpfung. Soziale Netzwerke hätten auch ein Mittel für Liebe und Freundschaft sein können, aber was dort vorherrscht, sind Hass, Falschmeldungen und Aggressivität. Sie sozialisieren uns nicht, sondern isolieren uns, machen uns aggressiv und rauben uns unsere Empathie…

Soziale Netzwerke ermöglichen eine grenzenlose Kommunikation. Dank der Digitalisierung sind wir miteinander verbunden, aber es fehlen uns echte Beziehungen und Bindungen. Das Soziale erodiert. Wir verlieren jegliches Einfühlungsvermögen, jegliche Aufmerksamkeit für unseren Nächsten. Ausbrüche von Authentizität und Kreativität lassen uns glauben, dass wir immer mehr individuelle Freiheit genießen. Gleichzeitig spüren wir jedoch diffus, dass wir in Wirklichkeit nicht frei sind, sondern vielmehr von einer Sucht zur nächsten, von einer Abhängigkeit zur nächsten taumeln. Ein Gefühl der Leere überkommt uns. Das Erbe des Liberalismus ist die Leere. Wir haben keine Werte und Ideale mehr, mit denen wir sie füllen könnten.

Etwas läuft nicht gut in unserer Gesellschaft.
Meine Schriften sind eine, manchmal sehr energische Anklage gegen die heutige Gesellschaft. Nicht wenige Menschen haben sich durch meine Kulturkritik irritiert gefühlt, wie jener sokratische Hornisse, die das passive Pferd stach und anspornte. Aber wenn es keine Irritationen gibt, wiederholt sich immer nur das Gleiche, und das macht eine Zukunft unmöglich. Es stimmt, dass ich die Menschen verärgert habe. Aber glücklicherweise haben sie mich nicht zum Tode verurteilt, sondern ich werde heute mit diesem wunderschönen Preis geehrt. Dafür danke ich Ihnen von ganzem Herzen. Vielen Dank.
………..

Die Presse in Spanien hat ziemlich ausführlich über die Ehrung Byung – Chul Hans berichtet, etwa die linksliberale Zeitung “El Pais” LINK   . Oder auch „la Vanguardia“ LINK
oder, in der Beilage zur eher konservativenn katholischen Tageszeitung „ABC“: LINK

Das neueste Buch Byung-Chul Hans befasst sich mit dem “Sprechen über Gott”, so der Titel (Matthes und Seitz Verlag 2025). Darin zeigt der Philosoph, wie er sich von der französischen Philosophin Simone Weil (1909 – 1943) innerlich bewegen und inspirieren lässt. Bemerkenswert, dass sich ein prominenter Philosoph mit der Frage nach Gott in einem jüdischen und christlichen Kontext berühren lässt. Byung-Chul Han sagt gleich zu Beginn: “Simone Weil hat sich in meiner Seele eingerichtet. Nun lebt und spricht sie in mir weiter…” Eine philosophische Meditation eines Philosophen, dessen erste Publkiationen Heidegger und dem Zen- Buddhismus galten! Nun sind die meisten seiner 252 Anmerkungen, “Fußnoten”, Zitate von Simone Weil, einer politisch hoch engagierten Frau, die sich aber in ihrer spirituellen Suche scheute, dem Christentum, der katholischen Kirche, durch die Taufe beizutreten.

Zusammenstellung durch den Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin.

 

 

 

 

Offene Kirchen als Kommunikationsorte: Ein Gastbeitrag von Dr. Christian Tietze

OFFENE KIRCHEN ALS KOMMUNIKATIONSORTE

Ein Gastbeitrag von Christian Tietze, Weimar, am 9.9.2025.

In Deutschland gibt es etwa 43000 Kirchen. Die meisten stehen im Kern der Städte, der Dörfer und der Siedlungen. Sie bilden häufig das Wahrzeichen eines Ortes, stehen im Schnittpunkt von Straßen, oder auf Plätzen, oder werden zu weithin sichtbaren Landmarken. Sie sind in der Regel die ältesten Gebäude eines Ortes, dienen als Denkmal oder der Orientierung und wirken nach außen als Namensgeber für Landschaften, für Persönlichkeiten oder historische Ereignisse. Ihre Bauweise unterscheidet sich in der Regel von den Gebäuden ihrer Umgebung. Sinngebung und Bedeutung sind eindeutig und einprägsam und werden auch so empfunden. Ihr Alleinstellungsmerkmal ist unumstritten. In Thüringen sind 50% der Kirchen ungenutzt, ein Teil soll abgerissen werden.
In unserer Zeit, in der Bodenwerte höchste Priorität besitzen, sich Gebäude an ihrem Wiedererkennungswert messen lassen und Stadtzentren als Zeichen von Prosperität, Erfolg und Kommunikation gelten, wirken Kirchen wie aus der Zeit gefallen. Aber jeder kennt sie. Sie sind Orte der Erinnerung einer Gemeinschaft, gelten als Zeichen eines Ordens, später eines selbstbewussten Bürgertums oder eines Herrschers. Heute sind sie nur noch Teil der weitgehenden Diversifizierung der Gesellschaft. Die vielfältigen Möglichkeiten der Medien lassen die Menschen nicht mehr zur Ruhe kommen. Gleichzeitig wird festgestellt, dass ein Drittel der Bevölkerung – das sind 28 Millionen Menschen – einsam ist. Warum?

Die Gemeinschaft hat sich verändert. Sie fällt auseinander. Großen Teilen der Gesellschaft mangelt es an wirklicher Kommunikation, an persönlicher Begegnung. Warum nutzen wir nicht die im Zentrum der Städte liegenden geschichtsträchtigen Gebäude, die Kirchen? Sie müssen offen sein, nicht nur die Türen bei Gottesdiensten, sondern für Musik und Versammlung, Film und Gespräch und anregende Ausstellungen. Es fehlen besonders große Ausstellungen, die über das Gemeindeleben hinausgehen: Krieg und Frieden, Ungerechtigkeit und Hunger, Nachbarschaftshilfe und Weiterbildung, Solidarität und Isolation sind die Themen unserer Zeit.

Ausstellungen können historische Entwicklungen erläutern, persönliche Leistungen als Vorbild darstellen, kritische Themen ans Licht bringen, politische Fehlentwicklungen benennen, kritisieren und zum Protest aufrufen. Die Mittel hierfür sind Texte, Bilder, Kunstwerke und Filme. Die Vielfältigkeit der Mittel kann und muss überraschend wirken und wird vielleicht eine neue Nachdenklichkeit erzeugen.
Gegenwärtig zeigen viele Gemeinden, dass sie ihre Kirchen für diese Zwecke nutzen wollen. Aber die meisten verlassen mit ihrem Angebot kaum die Grenzen ihres Sprengels. Sie berichten über die Erhaltung der Gebäude oder über Partnerschaften. Aber um ihre Möglichkeiten zu erweitern, müssen sie sich zusammenschließen, neue Kontakte knüpfen und Probleme der Gesamtgesellschaft ins Auge fassen. Der Blick nach außen fehlt oft, die Kritik an der Gesellschaft kommt zu kurz, die Natur und der Umweltschutz werden nicht genug ernst genommen. Und es fehlen für die Dauer von Ausstellungen begleitende Möglichkeiten des Zuhörens, der Ansprache und der Diskussion.

Aber dabei ist es doch so einfach an einem Gebäude Themen zu benennen, die alle angehen: Armut und Arbeitslosigkeit, Migration und Krieg, Natur und Umweltschutz – die Bewahrung der Schöpfung. Auch die Ausplünderung unseres Planeten, der Schutz der Menschenrechte, die Entstehung und Verbreitung von Diktaturen und der Hunger, der inzwischen Millionen Menschen quält. Wir haben mit den Kirchen einen Hintergrund und ein Mahnmal, das immer für Hilfe und Nächstenliebe stand, und doch allzu oft nur versagt hat.
Ausstellungen können alle Sinne berühren, können Bilder in unsere Welt zaubern, können die Kirche beim Wort nehmen und jeden Besucher in die Pflicht. Und sollten wir nicht hier, die Probleme dieser Welt und unserer Gesellschaft kritisch reflektieren? Es geht nicht nur um das Anschauen einer Ausstellung, sondern um Diskussion, vielleicht auch Streit, Erkenntnis und um Konsequenzen. Alles das kommt nicht von allein: Die Kirchen müssen gefunden werden, die Bereitschaft und Unterstützung erbeten und erkämpft werden, die Ausstattung muss verändert und flexibel gestaltet werden, die Sicherheit gewährleistet werden. Es gibt eine Fülle von Aufgaben.

Und auch an Kompetenz fehlt es, denn mit gutem Willen ist nur wenig geholfen und eher Anarchie geschaffen. Kooperation ist erforderlich: mit den Museen in der Nachbarschaft, mit Geldgebern, mit einem sensiblen Gestalter, einem erfahrenen Techniker, einer erfahrenen Pädagogin und einer begabten Sozialarbeiterin. Und es darf nicht an Aufsicht und geschulten Führern fehlen. Man wird freundliche Unterstützung erfahren und häufig Desinteresse, sogar Hass – aus Gründen der Konkurrenz. Und das alles in schnellem Wechsel. Mut und Ausdauer sind hier unabdingbar.
Hier soll als Beispiel die Ausstellung: „ERNST BARLACH – Fragen an unsere Zeit“ genannt werden, die in der Liebfrauenkirche in Halberstadt und in Erfurt zu sehen war. Es wurde nicht nur der Künstler Barlach mit seinen beeindruckenden Werken gezeigt, sondern auch das Zeitgeschehen, das in Bildern und Texten festgehalten wurde. Zudem wurden die persönlichen Auseinandersetzungen und das Leiden an seiner Zeit thematisiert. Die Verursacher des Geschehens, die Mitläufer und Profiteure, die Gewinner und die Opfer, die Ohnmächtigen und die Gewalttätigen, die Flüchtlinge und die Verführten werden sichtbar. Durch einen einstündigen Film werden die Lebensorte Barlachs in Erinnerung bleiben.
Schließlich sollten Ausstellungen nicht einmalig sein, sondern weitergereicht werden. Das Design der Ausstellung sollte weiter genutzt, die Themen könnten – je nach Möglichkeiten ergänzt, erweitert oder begrenzt werden. Ursprüngliche Rechte müssen dabei gewahrt werden.

Wie kann man solche Ausstellungen organisieren? Die Zeiten sprechen gegen größere und große Ausstellungen: Die Museen scheuen größere Ausstellungen, weil die Finanzierung aufwendig ist, die Qualitätsanforderungen an die Ausstellungsräume hoch sind, die Versicherungen eigene Forderungen stellen und die Objekte von Kurieren begleitet werden sollen. Aber braucht man das alles? Sind nicht Briefe und Texte, Stellungnahmen und Zeugnisse – natürlich gut recherchiert – auch von derselben Wirklichkeit wie Originale?
Die Arbeit an Ausstellungen ist Teamarbeit, vielleicht der Kirchenmusik vergleichbar. Sie erfordert Kooperation mit Museen. Die Themen sollten nicht direkt in Konkurrenz zur üblichen Museumsarbeit stehen. Soziale Probleme sind hier gefragt. Aktuelle Ereignisse erfordern eine Antwort. Und plötzlich kommen wieder Bilder in die Kirche; es sind Bilder der Gegenwart: Flucht und Vertreibung, blinde Zerstörungswut, Hass, das Quälen und Foltern von Gefangenen, Hunger und Krankheit. Wir haben heute die Leiden der Welt im Bild oder Film, aber wir brauchen auch einen Raum der Stille, der uns das Geschehen reflektieren lässt. Es sind die Kirchenräume, die Gespräche und Diskussionen fördern, um Hilfe und Veränderung zu bewirken.

copyright: Dr. Christian Tietze, Weimar,  christian.tietze@gmx.net