Maria ist keine Göttin. Und auch keine “Mit-Erlöserin”.

Der Vatikan lehnt es jetzt ab, Maria als Mit – Erlöserin zu verstehen und zu verehren
Ein Hinweis von Christian Modehn am 5. November 2025

1.
Nun darf es also, zugespitzt, aber korrekt formuliert, eine Göttin im offiziellen katholischen Glauben NICHT (mehr) geben: Die Jungfrau Maria, die Mutter Jesu von Nazareth, darf nicht „Mit – Erlöserin“ genannt und als solche verehrt werden. Denn dann würde sie sich, konsequent gedacht, mit Jesus Christus das Werk der Erlösung „irgendwie“ teilen. Die absolut herausragende Bedeutung Jesu Christi wäre also halbiert. Jesus Christus ist laut katholischem Dogma nicht nur Mensch, sondern auch Gott. Denn nur Gott, so wird gelehrt, kann die Menschheit erlösen. Wäre also Maria tatsächlich die Miterlöserin, dann wäre sie offiziell in die Position einer Göttin gerückt und müsste in der Dreifaltigkeit einen eigenen Platz einnehmen. Aus der üblichen „Trinität“ müsste offiziell eine „Quaternität“ werden.

2.
Gegen Maria als „Miterlöserin“ hat sich am 3.November 2025 der Vatikan offiziell ausgesprochen. Vernünftig Glaubende werden erleichtert sein, dass dieser Unsinn zurückgewiesen wurde. Die sehr vielen volkstümlich Glaubenden (die etwa an „Maria die Knotenlöserin“ glauben, die Lieblingsmadonna Papst Franziskus) werden empört sein: Man raubt ihnen ihre göttliche Mutter, werden sie jammern. Und Skeptiker werden sich fragen: Welche Sorgen hat eigentlich der Vatikan in dieser Welt voller grundlegender Probleme. Aber die offizielle Zurückweisung von religiöser Unvernunft hat schon eine gewisse Bedeutung, sage ich mal zur aktuellen Entscheidung der päpstlichen Glaubensbehörde.

3.
Eine Mutter – Gottheit Maria ist also dem Vatikan doch ein bißchen zu viel, der bekanntlich sehr sehr großzügig umgeht in der Jahrhunderte alten Förderung der Verehrung Marias. Man zähle die Marien- Feiertage im Katholizismus, man denke an das Dogma der „Aufnahme Marias in den Himmel“ oder an das Dogma, dass sogar Maria ohne Erbsünde empfangen wurde, von ihrer imaginären (!) Mutter Anna und ihrem ebenso imaginären Vater Joachim. Man denke an die vielen Marien- Wallfahrtsorte, in denen Maria vom Himmel herab erschien und kluge Worte sprach, etwa in Fatima oder Lourdes, um nur zwei von Millionen besuchte „Erscheinungs-Orte“ zu nennen.

4.
Wir wollen hier nicht weiter vertiefen, was die klassische und immer noch gültige offizielle katholische Erlösungslehre im einzelnen bedeutet. Sie ist hoch kompliziert und spekulativ und sie läuft letztlich darauf hinaus: Dass Gott Vater im Himmel wegen der Erbsünde der Menschheit seinen göttlichen Sohn (Logos, Christus) in die Welt sendet und ihn in Jerusalem am Kreuz qualvoll für die erbsündige Menschheit sterben lässt. In diesem blutigen Geschehen wird die Erbsünde in ihrer Macht besiegt, so die offizielle Lehre. Nebenbei: Die Erbsünden – Ideologie ist ein Produkt der Theologie des heiligen Augustins. Aber: Leider, leider, die Menschen sündigen ständig in vielen Einzelfällen weiter. Die Erlösung ist also doch noch nicht vollständig… Aber bei Lichte besehen, kann Maria an diesem spekulativen Erlösungsgeschehen nun wirklich keinen solchen Anteil haben, dass sie als Miterlöserin in eine göttliche Position hinein gerät.

5.
Dabei hat die katholische Kirche ganz offiziell alle Türen geöffnet, dass Maria eine absolut herausragende Position in der Verehrung einnehmen darf. Man denke daran, dass das Konzil von Ephesus (431) Maria den Titel „Mutter Gottes“ verlieh. „Mutter Gottes“ oder auch „Gottes Mutter“ sind Titel, die bis heute noch in Gebeten und offiziell zugelassenen Liedern benutzt werden. Es ist bei dieser Formel kein weiter Weg von der „Mutter Gottes“ zur „göttlichen Mutter“ zu gelangen, also zur Vorstellung, Maria sei doch irgendwie Mutter – Göttin“. Die übergroße Fülle der Marien- Darstellungen wäre unter der Hinsicht zu untersuchen.

6.
Nun also sagt der Leiter der obersten päpstlichen, vatikanischen Glaubensbehörde, der Argentinier Kardinal Víctor Fernández, von Papst Franziskus in diese Position gesetzt, ziemlich vornehm und zurückhaltend NEIN zu Maria als Miterlöserin: “kath.de” berichtet: „In seinem Text “Mater populi fidelis” (Mutter des gläubigen Volkes) spricht sich der Glaubenshüter Fernandez deutlich dafür aus, Titel wie „Miterlöserin“ oder “Gnadenmittlerin” in Marienverehrung und Theologie zu vermeiden. Zur Begründung heißt es, solche Bezeichnungen schadeten einer “angemessenen Betrachtung der christlichen Botschaft in ihrer harmonischen Gesamtheit“. LINK

Wer den ganzen ausführlichen Text aus dem Vatikan lesen will: LINK

7.
Dem obersten Glaubenswächter liegt also daran, für eine „angemessene Betrachtung der christlichen Botschaft in ihrer harmonischen Gesamtheit“ zu sorgen. Und da gibt es wirklich noch viel zu tun, eine harmonische Gesamtheit wieder herzustellen. Denn wer nur die offiziell noch üblichen Marien-Lieder studiert, muss sich fragen, ob da nicht doch immer grenzwertig Maria als Miterlöserin gemeint oder suggeriert wird. Wir haben einige übliche Marienlieder in ihrem z.T. exzessiven Texten im Anschluss an die Studien von Prof. Hermann Kurze und Christiane Schäfer untersucht, immer noch sehr lesenswert, was da an Phantastischem, „Romanischem“, Widersprüchlichem in Kirchen-Liedern von Maria behauptet wird: LINK https://religionsphilosophischer-salon.de/18125_marienlieder-denn-sie-nicht-was-sie-singen_befreiung

8.
Abgesehen von diesem dogmatischen Ballast, über den hier gesprochen werden musste: Vielleicht zeigt doch das religiöse Bedürfnis des katholischen Volkes, dass eine mütterliche Gottheit direkt gewünscht wird. Die weibliche Gottheit im Christentum würde diesen Glauben vielleicht etwas menschlicher, nicht so rigide-streng machen, würde nicht Verfolgung und Tötung angeblicher Ketzer zulassen. Mütter sind bekanntlich, ohne ein Klischee zu bedienen, nachsichtiger als strenge Väter, und die Göttin Maria wäre nicht so streng wie Gott – Vater, unter dem ja schon Jesus von Nazareth unter seinem jüdischen Volk litt, als er ihn dann schlicht umbenannte und nur von „liebem Vater“ sprach anstelle des männlichen Herrschers und Gesetze-Machers…

9.
Natürlich weisen wir hier – im Blick auf die katastrophale Lage der Menschheit heute – auf etwas Marginales hin. Aber es verdient doch einen gewissen Respekt, dass ein ganz kleiner Schritt im Vatikan geleistet wird: Den ausufernden Aberglauben im Katholizismus (etwa: „Maria als Miterlöserin“) einzuschränken. Dies sollte der erste Schritt sein, weiteren Aberglauben zurückzuweisen, abzubauen, rauszuschmeißen, selbst wenn er sich in uralten Dogmen versteinert hat. Aber diese Sehnsucht nach einem entrümpelten, also modernen katholischen Glauben, wird vorläufig nur ferne Utopie sein…So verhindert die alte Dogmenwelt nach wie vor einen Glauben, der die Prädikate „modern“, „nachvollziehbar“, „hilfreich“ verdient. Darüberhinaus muss bezweifelt werden, dass mit diesem Text aus dem Vatikan auch die feministisch – theologische Sicht auf Maria gefördert wird.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

PS:

A: Auch wenn Maria nicht mehr Miterlöserin genannt und verehrt werden darf: Maria bleibt offiziell – sozusagen theologisch “grenzwertig” -nach wie vor „die Gnadenreiche in des Himmels Herrlichkeit“: Deswegen kann sie in der Bitte, im Bittgebet, Bittgesang, um ihren Beistand angefleht werden: Weil sie eben zu Gott und Jesus eine „sehr enge Verbindung“ hat. Im „Berliner Anhang“ des Gesangbuch „Gotteslob“ ist auch das Lied „Nun Brüder sind wir frohgemut“ aufgenommen, in dem es von Maria heißt: „Du Mutter aller Gnaden“… „Wir tragen unser Leid zu deiner Gnadenquelle…“
In dem berühmten Lied „Maria zu lieben“ (Nr. 594) heißt es von Maria: „Du Mutter der Gnaden“ oder „Von Gott über Engel und Menschen gestellt“ in der 6. Strophe: Ja, wohin wurde sie denn gestellt: Ist sie also doch göttlich?

B. Es wäre eine Arbeit für Unentwegte zu zeigen, wie in dem Gesangbuch „Gotteslob“ aus dem Jahr 1975 die alten Texte der Marienlieder, etwa aus dem Gesangbuch „Ehre sei Gott“ ( Berlin 1957), umgearbeitet wurden und schon von Vorstellungen der „Göttin und Miterlöserin Maria“ gereinigt wurden. Es vollzog sich also eine stille theologische Reform, wenigstens in den Texten der Lieder. Das Lied “Mein Zuflucht alleine“ (gemeint ist Maria, nicht die letzte einzige Zuflucht Gott genannt) ist allerdings auch in „Gotteslob“ ohne Korrektur übernommen worden (Nr. 862). Soll sich die oberste Glaubensbehörde in Rom mal darum kümmern? Das kitschige und völlig unsinnige Lied „Maria Maienkönigin, dich will der Mai begrüßen, so segne holde Mittlerin (!), uns hier zu deinen Füßen” usw..“( Nr. 218 in „Ehre sei Gott“) wurde ins „gereinigte“ Gesangbuch von 1975 nicht aufgenommen. Dabei geht die 3.Strophe aktuell sehr ins Ökologische: Denn wir sollen “mit Lerche und Nachtigall im Lied emporschwingen und Maria Maienlieder singen”, so wörtlich. Man fragt sich, wie viel poetischer Unsinn wurde eigentlich den KatholiKinnen zugemutet und … die haben alles treu und gedankenlos gesungen, wss ihnen vorgesetzt wurde…

„Wir Israelis sind nach Gewalt süchtig geworden“: Sagt Yishai Sarid

Erkenntnisse des Schriftstellers und Juristen Yishai Sarid. PS: Wahrscheinlich ist es korrekter zu sagen: “Wir Israelis sich süchtig nach Gewalt geworden”. CM, aber der “Tagesspiegel” hat nun  diesen Titel gewählt, den wir wegen unserer Dokumentation übernehmen.
Im Gespräch mit dem „Tagesspiegel“. Von Tessa Szyszkowitz: LINK      Vom Tagesspiegel veröffentlicht am 27.10.2025, 09:20 Uhr

Ein Hinweis von Christian Modehn:   Yishai Sarid, geboren 1965 in Tel Aviv-Jaffa, ist ein israelischer Jurist und Schriftsteller. 2009 veröffentlichte er den Politthriller Limassol. Sein Roman Monster erschien 2017. In seinem Roman Siegerin setzt er sich mit israelischem Heldentum und Traumabewältigung in der Armee auseinander. Sein neuestes Buch „Chamäleon“ ist im Verlag „Kein & Aber“ erschienen. Yishai Sarid lebt und arbeitet in Tel Aviv.
Wir empfehlen die Lektüre einiger wichtiger Erkenntnisse Yishai Sardis aus dem Interview mit dem Tagesspiegel, zusammengestellt von Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Frage des Tagesspiegel: Herr Sarid, Sie haben fast jeden Samstag für die Freilassung der Geiseln und einen Waffenstillstand in Gaza demonstriert. Sind Sie erleichtert, dass der Krieg vorerst vorbei ist?

Antwort: Ich spüre die Erleichterung mit meinem ganzen Körper. Die Geiseln sind befreit. Das Töten in Gaza musste endlich aufhören. Wir können die Palästinenser nicht so behandeln. Es hat fürchterliche Folgen für Israel.

Frage: Weil die Soldaten und die Gesellschaft moralisch verletzt aus diesem Krieg zurückkommen?

Antwort: Natürlich. Es ist grauenvoll, was wir in Gaza angerichtet haben. Das ist aber eine Frage der Führung. Die Soldaten haben getan, was ihnen befohlen wurde. Wir hätten nie das Leben der Geiseln aufs Spiel setzen dürfen, um den einen oder anderen lausigen Hamas-Kämpfer zu erwischen…

Premierminister Benjamin Netanjahu ist ein Taktiker, kein Stratege. Um seine Regierung zu retten, ließ er sich von der extremistischen Ideologie der Siedlerminister Bezalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir treiben. Die wollten die Palästinenserfrage durch ethnische Säuberung lösen. Netanjahu ist heute für die ganze Welt ein Kriegsverbrecher. Er hat nichts mehr zu verlieren. Wir sind also nach wie vor in einer sehr gefährlichen Situation. Wir haben immer noch eine kriminelle Regierung. Wir brauchen so schnell wie möglich Neuwahlen….

Netanjahus Strategie ist: Bloß nicht mit den moderaten Kräften sprechen, sonst könnte ja noch ein Friedensprozess herauskommen oder sogar eine Zweistaatenlösung. Er zieht die disruptiven Kräfte vor, die Terroristen und die Antisemiten. Solange er gegen die kämpfen kann, kann er weitermachen…

Netanjahu arbeitet wie die römischen Kaiser Nero oder Caligula. Es wird immer so getan, als wären sie verrückt gewesen, aber das waren sie wohl nicht. Sie haben taktisch gegen die Eliten gehetzt, gegen die Aristokraten, gegen die Senatoren. Das Volk liebte sie dafür. Auch hier in Israel gehen Netanjahus Wähler nicht an die Urne und überlegen sich, wer die Wirtschaft und die Gesellschaft voranbringen könnte. Sie wählen ihn, weil ihnen zwei Dinge wichtig sind: Sie hassen die Araber und sie hassen die Linken….

Nach dem 7. Oktober hat sich Israel grundsätzlich verändert. Die Leute haben kein moralisches Rückgrat mehr, es wurde gebrochen. Sie sagen Dinge, die früher unmöglich gewesen wären….Es sollte ein kompaktes Verfahren geben, in dem Netanjahu wegen Korruption angeklagt wird, und ein schnelles Urteil. Tatsächlich wird das Urteil erst in zwei Jahren erwartet und wenn er dann noch drei, vier Jahre in Berufung geht, ist das Ganze irgendwann nicht mehr relevant….

Das Gerücht, Netanyahu solle begnadigt werden, steht seit geraumer Zeit im Raum. Die Sache hätte einen Vorteil: Dann könnte er aufhören, sich als Regierungschef an die Macht zu klammern, weil er seine Immunität nicht verlieren will.
Wir müssen zur Besinnung kommen, wir brauchen eine Regierung, die den Siedlern im Westjordanland Einhalt gebietet. Sie haben jetzt einen Passierschein, sie quälen und ermorden Palästinenser, sie brennen Häuser nieder, es ist grauenvoll.

Frage: Die 1967 im Sechstagekrieg besetzten Gebiete Westjordanland, Gaza und Ostjerusalem sollten die Grundlage für einen Staat Palästina werden?

Antwort: Ja, jetzt aber geht es längst um 1948. Was Israel damals verbrochen hat. Man sieht uns nicht mehr als einen gerechten, säkularen, liberalen Staat. Unser Problem ist: Wir sind es auch nicht mehr. Für Leute wie mich, die Israels Existenz als moralisch und richtig ansehen, ist das eine Tragödie.
Unser größter Sieg ist unsere größte Tragödie: 1967. Seitdem sind alle üblen Geister der jüdischen Geschichte, die früher fest unter einem Deckel eingeschlossen waren, entwischt.

Die Siedler unterscheiden sich von der ursprünglichen zionistischen Bewegung. Sie beanspruchen das gesamte Land aufgrund von messianischen Fantasien. Sie sind aber die einflussreichste Strömung im heutigen Israel. Ich schreibe darüber in meinen Büchern: Wir Israelis sind längst nach Gewalt süchtig geworden. Aber mit all der militärischen Schlagkraft wurden wir trotzdem am 7. Oktober ohne richtige Verteidigung erwischt. Als ob wir wieder ein hilfloses Volk wären. Das ist schlimm.
Wir müssen zur Besinnung kommen, wir brauchen eine Regierung, die den Siedlern im Westjordanland Einhalt gebietet. Sie haben jetzt einen Passierschein, sie quälen und ermorden Palästinenser, sie brennen Häuser nieder, es ist grauenvoll.

Wir empfehlen die Lektüre des vollständigen Interviews mit Yishai Sarid im Tagesspiegel: LINK

 

 

Eine philosophische Anklage gegen die heutige Gesellschaft: Byung-Chul Han

Der Philosoph Byung-Chul Han hat am 24. Oktober 2025 in Oviedo, im „Teatro Campoamor“, den „Prinzessin von Asturien – Preis“ in der Kategorie „Kommunikationen Humanwissenschaften“ erhalten.
Ein Hinweis von Christian Modehn am 28.10.2025

1.
Die zahlreichen Studien des südkoreanisch – deutschen Autors finden auch in Spanien und Lateinamerika viel Interesse. Über die Vielfalt der Titel der Publikationen Hans kann man sich leicht etwa über wikipedia informieren. Man bedenke, dass die ersten Veröffentlichungen des Philosophen Han Fragen rund um Heidegger und den Zen- Buddhismus handeln. Die jüngste Publikation (2025) „Sprechen über Gott“ (Verlag Matthes und Seitz) als ein Dialog mit der Philosophin und Christin Simone Weil fehlt allerdings im Wikipedia Beitrag. Im Vorwort zu seinem neuen Buch “Sprechen über Gott” schreibt Han: “Ich empfinde eine tiefe Freundschaft, ja eine Seelenfreundschaft für Simone Weil. So kann ich, selbst fast nach  100 Jahren, von ihren Gedanken Gebrauch machen, um zu zeigen, dass es jenseits der Immanenz der Produktion und des Konsums, jenseits der Immanenz der Information und der Kommunikation eine andere, höhere Wirklichkeit, ja eine Transzendenz gibt, die uns aus dem ganz sinnentleerten Leben, aus dem bloßen Überleben, aus dem quälenden Seinsmangel herauszuführen und uns eine beglückende Seinsfülle zu geben vermag.”

2.
Seine Rede anläßlich der Preisverleihung in Oviedo hielt Byung – Chul Han auf Deutsch, sie ist eine heftige Verteidigung der Bedeutung der Philosophie in der neoliberalen Gesellschaft. Sie ist anregend und aufregend, wie es sich für Philosophie gehört.

3.
Wir zitieren einige Ausführungen aus dieser Rede, die wir der Website der Stiftung in spanischer Sprache entnehmen und über deepl.com ins Deutsche übersetzen. Hans Rede in Oviedo ist zugleich eine Verteidigung seiner philosophischen Positionen, die in Deutschland kritisiert wurden.
Die Website der „Princesa de Asturias Stiftung“ bietet den ganzen spanischen Text des Vortrags: LINK

…………..

4. Aus der Rede von Byung-Chul Han in Oviedo, 24.10.2025:
„In der Apologie, dem berühmten Dialog von Platon, erklärt Sokrates, nachdem er zum Tode verurteilt wurde, in seiner Verteidigungsrede, was die Aufgabe eines Philosophen ist. Die Aufgabe des Philosophen bestehe darin, die Athener aufzurütteln und wachzurütteln, sie zu kritisieren, zu irritieren und zu tadeln, so wie eine Bremse ein edles Pferd sticht und aufregt, dessen eigene Körperfülle es passiv macht, und es so anspornt und stimuliert. Sokrates vergleicht dieses Pferd mit Athen…

Ich bin Philosoph. Als solcher habe ich diese sokratische Definition der Philosophie verinnerlicht. Auch meine Texte zur Sozialkritik haben Irritationen hervorgerufen, Nervosität und Unsicherheit gesät, aber gleichzeitig viele Menschen aufgerüttelt. Bereits mit meinem Essay Die Gesellschaft der Müdigkeit habe ich versucht, diese Aufgabe des Philosophen zu erfüllen, indem ich die Gesellschaft ermahnte und ihr Gewissen aufrüttelte, damit sie aufwacht. Die These, die ich darlegte, ist in der Tat irritierend: Die unbegrenzte individuelle Freiheit, die uns der Neoliberalismus verspricht, ist nichts weiter als eine Illusion. Auch wenn wir heute glauben, freier denn je zu sein, leben wir in Wirklichkeit in einem despotischen neoliberalen Regime, das die Freiheit ausbeuten…

Ich habe auch mehrfach auf die Risiken der Digitalisierung hingewiesen. Nicht, dass ich gegen Smartphones oder die Digitalisierung wäre. Ich bin auch kein Kulturpessimist. Das Smartphone kann ein sehr nützliches Werkzeug sein. Es wäre kein Problem, wenn wir es als Instrument nutzen würden. Tatsächlich sind wir jedoch zu Instrumenten der Smartphones geworden. Das Smartphone nutzt uns, und nicht umgekehrt. Nicht das Smartphone ist unser Produkt, sondern wir sind seine Produkte. Oftmals wird der Mensch zum Sklaven seiner eigenen Schöpfung. Soziale Netzwerke hätten auch ein Mittel für Liebe und Freundschaft sein können, aber was dort vorherrscht, sind Hass, Falschmeldungen und Aggressivität. Sie sozialisieren uns nicht, sondern isolieren uns, machen uns aggressiv und rauben uns unsere Empathie…

Soziale Netzwerke ermöglichen eine grenzenlose Kommunikation. Dank der Digitalisierung sind wir miteinander verbunden, aber es fehlen uns echte Beziehungen und Bindungen. Das Soziale erodiert. Wir verlieren jegliches Einfühlungsvermögen, jegliche Aufmerksamkeit für unseren Nächsten. Ausbrüche von Authentizität und Kreativität lassen uns glauben, dass wir immer mehr individuelle Freiheit genießen. Gleichzeitig spüren wir jedoch diffus, dass wir in Wirklichkeit nicht frei sind, sondern vielmehr von einer Sucht zur nächsten, von einer Abhängigkeit zur nächsten taumeln. Ein Gefühl der Leere überkommt uns. Das Erbe des Liberalismus ist die Leere. Wir haben keine Werte und Ideale mehr, mit denen wir sie füllen könnten.

Etwas läuft nicht gut in unserer Gesellschaft.
Meine Schriften sind eine, manchmal sehr energische Anklage gegen die heutige Gesellschaft. Nicht wenige Menschen haben sich durch meine Kulturkritik irritiert gefühlt, wie jener sokratische Hornisse, die das passive Pferd stach und anspornte. Aber wenn es keine Irritationen gibt, wiederholt sich immer nur das Gleiche, und das macht eine Zukunft unmöglich. Es stimmt, dass ich die Menschen verärgert habe. Aber glücklicherweise haben sie mich nicht zum Tode verurteilt, sondern ich werde heute mit diesem wunderschönen Preis geehrt. Dafür danke ich Ihnen von ganzem Herzen. Vielen Dank.
………..

Die Presse in Spanien hat ziemlich ausführlich über die Ehrung Byung – Chul Hans berichtet, etwa die linksliberale Zeitung “El Pais” LINK   . Oder auch „la Vanguardia“ LINK
oder, in der Beilage zur eher konservativenn katholischen Tageszeitung „ABC“: LINK

Das neueste Buch Byung-Chul Hans befasst sich mit dem “Sprechen über Gott”, so der Titel (Matthes und Seitz Verlag 2025). Darin zeigt der Philosoph, wie er sich von der französischen Philosophin Simone Weil (1909 – 1943) innerlich bewegen und inspirieren lässt. Bemerkenswert, dass sich ein prominenter Philosoph mit der Frage nach Gott in einem jüdischen und christlichen Kontext berühren lässt. Byung-Chul Han sagt gleich zu Beginn: “Simone Weil hat sich in meiner Seele eingerichtet. Nun lebt und spricht sie in mir weiter…” Eine philosophische Meditation eines Philosophen, dessen erste Publkiationen Heidegger und dem Zen- Buddhismus galten! Nun sind die meisten seiner 252 Anmerkungen, “Fußnoten”, Zitate von Simone Weil, einer politisch hoch engagierten Frau, die sich aber in ihrer spirituellen Suche scheute, dem Christentum, der katholischen Kirche, durch die Taufe beizutreten.

Zusammenstellung durch den Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin.

 

 

 

 

Offene Kirchen als Kommunikationsorte: Ein Gastbeitrag von Dr. Christian Tietze

OFFENE KIRCHEN ALS KOMMUNIKATIONSORTE

Ein Gastbeitrag von Christian Tietze, Weimar, am 9.9.2025.

In Deutschland gibt es etwa 43000 Kirchen. Die meisten stehen im Kern der Städte, der Dörfer und der Siedlungen. Sie bilden häufig das Wahrzeichen eines Ortes, stehen im Schnittpunkt von Straßen, oder auf Plätzen, oder werden zu weithin sichtbaren Landmarken. Sie sind in der Regel die ältesten Gebäude eines Ortes, dienen als Denkmal oder der Orientierung und wirken nach außen als Namensgeber für Landschaften, für Persönlichkeiten oder historische Ereignisse. Ihre Bauweise unterscheidet sich in der Regel von den Gebäuden ihrer Umgebung. Sinngebung und Bedeutung sind eindeutig und einprägsam und werden auch so empfunden. Ihr Alleinstellungsmerkmal ist unumstritten. In Thüringen sind 50% der Kirchen ungenutzt, ein Teil soll abgerissen werden.
In unserer Zeit, in der Bodenwerte höchste Priorität besitzen, sich Gebäude an ihrem Wiedererkennungswert messen lassen und Stadtzentren als Zeichen von Prosperität, Erfolg und Kommunikation gelten, wirken Kirchen wie aus der Zeit gefallen. Aber jeder kennt sie. Sie sind Orte der Erinnerung einer Gemeinschaft, gelten als Zeichen eines Ordens, später eines selbstbewussten Bürgertums oder eines Herrschers. Heute sind sie nur noch Teil der weitgehenden Diversifizierung der Gesellschaft. Die vielfältigen Möglichkeiten der Medien lassen die Menschen nicht mehr zur Ruhe kommen. Gleichzeitig wird festgestellt, dass ein Drittel der Bevölkerung – das sind 28 Millionen Menschen – einsam ist. Warum?

Die Gemeinschaft hat sich verändert. Sie fällt auseinander. Großen Teilen der Gesellschaft mangelt es an wirklicher Kommunikation, an persönlicher Begegnung. Warum nutzen wir nicht die im Zentrum der Städte liegenden geschichtsträchtigen Gebäude, die Kirchen? Sie müssen offen sein, nicht nur die Türen bei Gottesdiensten, sondern für Musik und Versammlung, Film und Gespräch und anregende Ausstellungen. Es fehlen besonders große Ausstellungen, die über das Gemeindeleben hinausgehen: Krieg und Frieden, Ungerechtigkeit und Hunger, Nachbarschaftshilfe und Weiterbildung, Solidarität und Isolation sind die Themen unserer Zeit.

Ausstellungen können historische Entwicklungen erläutern, persönliche Leistungen als Vorbild darstellen, kritische Themen ans Licht bringen, politische Fehlentwicklungen benennen, kritisieren und zum Protest aufrufen. Die Mittel hierfür sind Texte, Bilder, Kunstwerke und Filme. Die Vielfältigkeit der Mittel kann und muss überraschend wirken und wird vielleicht eine neue Nachdenklichkeit erzeugen.
Gegenwärtig zeigen viele Gemeinden, dass sie ihre Kirchen für diese Zwecke nutzen wollen. Aber die meisten verlassen mit ihrem Angebot kaum die Grenzen ihres Sprengels. Sie berichten über die Erhaltung der Gebäude oder über Partnerschaften. Aber um ihre Möglichkeiten zu erweitern, müssen sie sich zusammenschließen, neue Kontakte knüpfen und Probleme der Gesamtgesellschaft ins Auge fassen. Der Blick nach außen fehlt oft, die Kritik an der Gesellschaft kommt zu kurz, die Natur und der Umweltschutz werden nicht genug ernst genommen. Und es fehlen für die Dauer von Ausstellungen begleitende Möglichkeiten des Zuhörens, der Ansprache und der Diskussion.

Aber dabei ist es doch so einfach an einem Gebäude Themen zu benennen, die alle angehen: Armut und Arbeitslosigkeit, Migration und Krieg, Natur und Umweltschutz – die Bewahrung der Schöpfung. Auch die Ausplünderung unseres Planeten, der Schutz der Menschenrechte, die Entstehung und Verbreitung von Diktaturen und der Hunger, der inzwischen Millionen Menschen quält. Wir haben mit den Kirchen einen Hintergrund und ein Mahnmal, das immer für Hilfe und Nächstenliebe stand, und doch allzu oft nur versagt hat.
Ausstellungen können alle Sinne berühren, können Bilder in unsere Welt zaubern, können die Kirche beim Wort nehmen und jeden Besucher in die Pflicht. Und sollten wir nicht hier, die Probleme dieser Welt und unserer Gesellschaft kritisch reflektieren? Es geht nicht nur um das Anschauen einer Ausstellung, sondern um Diskussion, vielleicht auch Streit, Erkenntnis und um Konsequenzen. Alles das kommt nicht von allein: Die Kirchen müssen gefunden werden, die Bereitschaft und Unterstützung erbeten und erkämpft werden, die Ausstattung muss verändert und flexibel gestaltet werden, die Sicherheit gewährleistet werden. Es gibt eine Fülle von Aufgaben.

Und auch an Kompetenz fehlt es, denn mit gutem Willen ist nur wenig geholfen und eher Anarchie geschaffen. Kooperation ist erforderlich: mit den Museen in der Nachbarschaft, mit Geldgebern, mit einem sensiblen Gestalter, einem erfahrenen Techniker, einer erfahrenen Pädagogin und einer begabten Sozialarbeiterin. Und es darf nicht an Aufsicht und geschulten Führern fehlen. Man wird freundliche Unterstützung erfahren und häufig Desinteresse, sogar Hass – aus Gründen der Konkurrenz. Und das alles in schnellem Wechsel. Mut und Ausdauer sind hier unabdingbar.
Hier soll als Beispiel die Ausstellung: „ERNST BARLACH – Fragen an unsere Zeit“ genannt werden, die in der Liebfrauenkirche in Halberstadt und in Erfurt zu sehen war. Es wurde nicht nur der Künstler Barlach mit seinen beeindruckenden Werken gezeigt, sondern auch das Zeitgeschehen, das in Bildern und Texten festgehalten wurde. Zudem wurden die persönlichen Auseinandersetzungen und das Leiden an seiner Zeit thematisiert. Die Verursacher des Geschehens, die Mitläufer und Profiteure, die Gewinner und die Opfer, die Ohnmächtigen und die Gewalttätigen, die Flüchtlinge und die Verführten werden sichtbar. Durch einen einstündigen Film werden die Lebensorte Barlachs in Erinnerung bleiben.
Schließlich sollten Ausstellungen nicht einmalig sein, sondern weitergereicht werden. Das Design der Ausstellung sollte weiter genutzt, die Themen könnten – je nach Möglichkeiten ergänzt, erweitert oder begrenzt werden. Ursprüngliche Rechte müssen dabei gewahrt werden.

Wie kann man solche Ausstellungen organisieren? Die Zeiten sprechen gegen größere und große Ausstellungen: Die Museen scheuen größere Ausstellungen, weil die Finanzierung aufwendig ist, die Qualitätsanforderungen an die Ausstellungsräume hoch sind, die Versicherungen eigene Forderungen stellen und die Objekte von Kurieren begleitet werden sollen. Aber braucht man das alles? Sind nicht Briefe und Texte, Stellungnahmen und Zeugnisse – natürlich gut recherchiert – auch von derselben Wirklichkeit wie Originale?
Die Arbeit an Ausstellungen ist Teamarbeit, vielleicht der Kirchenmusik vergleichbar. Sie erfordert Kooperation mit Museen. Die Themen sollten nicht direkt in Konkurrenz zur üblichen Museumsarbeit stehen. Soziale Probleme sind hier gefragt. Aktuelle Ereignisse erfordern eine Antwort. Und plötzlich kommen wieder Bilder in die Kirche; es sind Bilder der Gegenwart: Flucht und Vertreibung, blinde Zerstörungswut, Hass, das Quälen und Foltern von Gefangenen, Hunger und Krankheit. Wir haben heute die Leiden der Welt im Bild oder Film, aber wir brauchen auch einen Raum der Stille, der uns das Geschehen reflektieren lässt. Es sind die Kirchenräume, die Gespräche und Diskussionen fördern, um Hilfe und Veränderung zu bewirken.

copyright: Dr. Christian Tietze, Weimar,  christian.tietze@gmx.net

Es ist kein Gott: Sagt Christus … zu Jean Paul

Hinweise von Christian Modehn am 17. Oktober 2025 zum Gedenken an Jean Paul anläßlich seines 200. Todestages am 14.11.2025.

1.
Wieder ein philosophischer „Gedenktag“, ein „Tag zum Nachdenken“: Vor 200 Jahren, am 14. November 1825, ist der Dichter Jean Paul gestorben. Wir kommen ins Nachdenken angesichts seines kurzen Textes: „Die Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei“, veröffentlicht im Jahr 1796. Eine Dichtung, die als blasphemisch gedeutet wurde und wird.

2.
Der Dichter Jean Paul, eigentlich Jean Paul Richter, (geboren am 21.3.1763 in Wunsiedel, gestorben am 14.11.1825 in Bayreuth) hat 1796 Jesus Christus verkünden lassen: „Es ist kein Gott“. Christus habe Gott gesucht, auch im Universum, im weiten All, Gott aber nirgendwo gefunden. Und die Leute fragten: „Jesus! Haben wir keinen (Gott)Vater?“ Und Jesus „antwortete mit strömenden Tränen“: „Wir sind alle Waisen, ich und ihr, wir sind ohne Vater.“ Am Ende dieses Textes sagt Christus: Es gibt „keine heilende Hand und keinen unendlichen Vater.“ Die Menschen sind allein gelassen, ohne „letzte Geborgenheit“, „metaphysisch und religiös obdachlos“, sagen manche heute, haben niemanden im Himmel, der ihre Gebete hört und erhört.

3.
Im Vorwort zu seinem kurzem Text entschuldigt sich Jean Paul gleich, ein atheistisches Thema anzustimmen. Aber irgendwie drängt es ihn dann doch, das, was so viele spüren und denken und sagen, den Atheismus nämlich, öffentlich zur Sprache zu bringen. Man möchte meinen, Jean Paul habe den Atheismus selbst erlebt, sonst hätte es ihn nicht gedrängt, darüber zu schreiben.

4.
Die “Rede Christi“, von Jean Paul formuliert, hat immer für heftige Irritationen gesorgt. Sie bringt die Erfahrung weiter Kreise vom Verschwinden des klassisch vorgestellten Gottes „auf den Punkt“. Wie viele fühlten sich dem Nichts ausgesetzt, der totalen Leere, der Sinnlosigkeit, dem Nihilismus, dies ist ein Begriff, der damals „erfunden“ wurde. Denn wenn Gott – Vater im Himmel nicht mehr lebt, ist auch die Menschwerdung seines Sohnes sinnlos, die Erlösung wird sinnlos, die Kirche, die diese Erlösung lehrt, wird überflüssig usw.: Die ganze vertraute Glaubenswelt und Kirchenwelt bricht zusammen. Durch die Aussage „Es ist kein Gott“ ist ein tiefster Einschnitt vollzogen in den selbstverständlichen Kirchenglauben an Gott. Und diese Aussage wird um so gewaltiger, weil es ja Christus ist, der sagt „Es ist kein Gott“.

5.
„Es ist kein Gott“: Das war schon im 18. Jahrhundert „allgemeine Mentalität“, in Frankreich oder England schon seit langem radikaler öffentlich gemacht als in Deutschland. Aber Jean Paul kann die Mentalität „Es ist kein Gott“ nicht ignorieren, er muss sie bearbeiten. Überraschend ist dann doch: Jean Paul will nicht als Atheist oder als Nihilist dastehen! Er zieht sich dann aus der Affäre, hat also Angst, selbst in den Atheismus zu versinken. Deswegen schreibt er am Schluss seines Textes: Die Rede Christi vom toten Gott war ja nichts als … ein Traum: Jean Paul behauptet: „Als ich vom Traum erwachte: Meine Seele weinte vor Freude, dass sie wieder Gott anbeten konnte – und die Freude und das Weinen und der Glaube an ihn waren das Gebet“.

6.
Für Jean Paul darf der Atheismus „Es ist kein Gott-Vater“ deswegen keine letzte Realität sein. Der Dichter schätzt die Emotionen, als „das Weinen, die Freude, die Gebete“ höher ein als die rationale Erkenntnis des Für und Wider der „Existenz” Gottes. Gefühle sollen für Jean Paul den Glauben an Gott lebendig halten. Er ist zwischen rationaler Erkenntnis „Es ist kein Gott“ und dem Gefühl „Ich bin in Gott geborgen“ hin und her gerissen. Seine Sympathie gilt dem Gefühl.

7.
Vom Thema „Der tote Gott“ ist Jean Paul schon lange, seit 1789, bewegt. Sein Problem als Dichter war: Darf er sogar Christus „Es ist kein Gott“ verkünden lassen oder soll das doch, harmloser, eher ein Dichter, etwa Shakespeare, übernehmen? Darüber hatte Jean Paul gerungen. Und sich dann entschieden: Christus muss sagen: „Es ist kein Gott.“
Als Sohn eines Pfarrers hatte Jean Paul 1781 das Theologiestudium in Leipzig begonnen… und dabei wandte er sich ab von der rational – argumentierenden, vernünftigen Gotteslehre. Die Gottesbeweise hatten für ihn keine überzeugende Kraft: Wenn von Gott überhaupt noch die Rede sein kann, dann im Erleben der Natur oder in den Erfahrungen mit der schönen Kunst. Und vor allem: Im religiösen Gefühl. In dieser Überzeugung war Jean Paul mit dem Philosophen und Kant – Kritiker Friedrich Heinrich Jacobi (1743 – 1819) verbunden.

8.
Wenn Jean Paul seinen Christus sagen lässt: „Es ist kein Gott-Vater“, könnte man eine Verbindung sehen zum Tod Jesu am Kreuz: Er schreit, so berichten die Evangelisten Matthäus und Markus gleichlautend laut: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Matthäus 27,46 und Markus 15,34). Im letzten Moment seiner Hinrichtung sieht sich Jesus, der Gerechte, der Menschenfreund, der Gott einst seinen „lieben Vater“ nannte, von diesem Gott verlassen. Man möchte meinen: Gott ist für Jesus jetzt tot, er ist ihm entschwunden, nicht wirksam, nicht wirklich, lebendig. Im Sterben und Tod Jesu stirbt für Jesus auch der „altbekannte“ Gott Jesu, also der Gott der Bibel, der Gott der Gesetze und Gebote und Riten, zu Jesu Zeiten also der Gott des „Alten Testaments“. Eine ketzerische Überlegung, aber in der Philosophie ist sie selbstverständlich normal und erlaubt. Weil so der Denkraum eröffnet werden kann, man kann wieder das Zentrum der Weisungen Jesu wieder ernst nehmen: Die Praxis der Nächstenliebe sei alles entscheidend, sie ist wichtiger als die theoretischen dogmatischen Lehren von Gott: Wegen dieser Praxis der Nächstenliebe wird Jesus verurteilt, und deswegen stirbt er am Kreuz und mit ihm der Gott der Lehren, Gesetze, Dogmen. Karfreitag müßte also neu verstanden werden.

9.
Über die Wirkungsgeschichte der Aussage „Gott ist tot“ durch Jean Paul wäre ausführlich zu sprechen. Man müsste an den liberalen protestantischen Theologen Friedrich Schleiermacher erinnern: Schleiermacher wollte den Glauben im Gefühl„verankern“, Gott, so wörtlich, im „Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit“ spürbar werden lassen. Das Wesen der Religion definierte er als Anschauung und Gefühl, nicht aber als kritisches Denken.

10.
Man müsste in unserem Zusammenhang die Literatur der Romantik weiter diskutierten, etwa die „Nachtwachen des Bonaventura“ von E.T.A. Hoffmann. Friedrich Nietzsche hat in seiner „Fröhlichen Wissenschaft“ (Nr. 125) sehr deutlich den Tod Gottes verkündet: Allerdings war für Nietzsche dieses erschütternde Ereignis nur ein Durchgang zu etwas Größerem, in seiner Sicht Hilfreichen, nämlich der Ankunft der Übermenschen und des Glaubens an die „ewige Wiederkehr des Gleichen“. Das alte Gottesbild als dogmatischer „Sinnstifter“ musste getötet werden, um Raum für Neues zu schaffen…

11.
Man könnte sich auch wieder einmal an den Atheismus des katholischen Schriftstellers Reinhold Schneider erinnern, der in schwerer Krankheit bei einer Reise nach Wien von seiner Erkenntnis der verfehlten Schöpfung spricht: in „Winter in Wien“ 1958 veröffentlicht, spricht Reinhold Schneider seine Erfahrung aus: „Christus kann uns nicht helfen, er ist unsere tödliche Freiheit“, Link.

12.
„Es ist kein Gott“ – diese Erfahrung Jean Pauls darf nicht nur ein Thema der Philosophie – und Literaturhistorie sein. An einem Gedenktag fragen wir weiter: Welcher Gott wird da eigentlich für tot erklärt? Der Herr der Welten, der Allmächtige, der zugleich der All-Barmherzige sein soll? Dieser Gott, der angeblich immer Wunder tut, also in die Gesetze der Natur eingreift, mal hier, mal dort ein Wunder tut, mal hier mal dort ein Bittgebet erhört, dieser Gott ist tot. Diese Frage wird wichtig: Die nach einem „bergenden Sinngrund“, nach einer schöpferischen „Kraft“, diese Frage ist offen und bleibt dringend. Sie ist der Versuch, Gott heute vernünftig zu „übersetzen“. Einige TheologInnen der Kirchen sehen wohl allmählich ein, dass ihre alten dogmatischen Lehren, in der sie so unglaublich viele Details von Gott zu wissen vorgeben, existentiell nicht mehr gelten und vor dem vernünftigen Nachdenken von Menschen des 21. Jahrhunderts keinen Bestand mehr haben können. Ein Gott, der den Namen verdient, lässt sich nicht umgreifend erfassen und definieren. Das wusste schon Jesus, und er lehrte: Die alles entscheidende Verbindung des Menschen zu einer göttlich zu nennenden Wirklichkeit ist … die Praxis der Liebe, der Gerechtigkeit, des Friedens. Und diese Praxis ist schwerer zu leisten als die Theorie am Schreibtisch der TheologInnen oder in den Büros der Kirchen-Bürokratie.

13.
Sollten religiöse Menschen, etwa Christen, also von Atheisten lernen, sich vom Tod Gottes berühren und verändern lassen? Natürlich, das zeigen die Hinweise in Punkt 12. Die verschiedenen fragen und Einsichten der „Atheisten“ machen die Begrenztheit der dogmatischen Aussagen über Gott deutlich. Die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Formen des Atheismus kann also zu einem vernünftig noch möglichen Glauben an den „letztlich“ unbekannten Gott führen. Vielleicht treffen sich dann Atheisten und Glaubende im Schweigen vor einem unendlichen, nicht greifbaren Geheimnis des Lebens und handeln gemeinsam zugunsten der Menschlichkeit, der Geltung der universellen Menschenrechte…Und: Es gibt selbstverständlich nicht “den” Atheismus, sondern viele Formen der Ablehnung eines Gottes, eines höchsten Wesens, eines Gott – Vaters, eines Gott-Menschen usw. Und es gibt selbstverstädnlich den Atheismus der Lebenspraxis: Dies ist der totale Egoismus, der Nationalismus, der Rassismus, die Homophobie… Für Christen: Es ist falsch zu meinen, die Teilnahme am Gottesdienst (an der Messe) sei wichtiger als die Praxis der Nächstenliebe, das Tun des Gerechten. Es gibt in dem Sinne “fromme”, “praktizierende” christliche Atheisten. Man lese in den zentralen Text des Neuen Testaments, der die Überzeugung Jesu von Nazareth klar zum Ausdruck bringt: Matthäus, 25. Kapitel, die Verse 35-36. Diese Überzeugung wird übrigens vom Philosophen Kant in seiner “Religionsschrift” unterstützt: „Es gibt nur eine Religion des guten Lebenswandels“ (S. 236, in der Ausgabe des Meiner Verlages, 2003). Es sind Menschen, die Kant die „Wohldenkenden“ nennt (S. 238). Sie folgen einzig dem Gewissen als der „sich selbst richtenden moralischen Urteilskraft“ (S. 251). Der wahre Gottesdienst ist also die dem Gewissensurteil entsprechende gute Tat, gelebt in guter Gesinnung. LINK

14.
Ist die Flucht Jean Pauls ins religiöse Gefühl eine treffende und eine gültige Antwort? Eigentlich banal daran zu erinnern: Gefühle gehören zum Charme des menschlichen Geistes, sind Ausdruck der Kraft der Seele, klassisch gesprochen. Aber Gefühle werden von Menschen immer auch gewusst: „Ich liebe dich“ ist eine Aussage des Gefühls und gleichzeitig hoffentlich auch der Reflexion, auch der Vernunft. Liebe ohne Vernunft ist blind, nur Liebe mit Gefühl ist menschlich. Gerade in den Religionen müssen religiöse Gefühle immer von vernünftigen Überlegungen begleitet sein und selbstverständlich auch von der Vernunft korrigiert werden. Wer sich gefühlvoll unmittelbar religiösen Bildern aus alter Zeit hingibt, etwa Bildern und Metaphern der Bibel, schränkt sein Leben ein. Wer etwa behauptet: „Jesus hat keine Frauen zu Aposteln erwählt, also darf es 2000 Jahre später keine Frauen als Priester geben“, der überträgt naiv religiöse Überlieferungen und Bildern unreflektiert ins Heute, nur die männlichen Kleriker können sich an dieser Ideologie erfreuen… Die Vernunft weiß: Nur religiöse Meinungen, die Menschen zur Befreiung, zum geistigen Wachstum und zur seelischen Reife führen, sind authentisch und noch aktuell relevant. Wer, wenn nicht die Vernunft kann sich wehren, wenn Menschen meinen, im Himmel sei Jahrmarkt und Blödsinn über die Religionen verbreiten? Religionen brauchen zur Kritik und Selbstkritik nicht andere religiöse Überzeugungen, sondern eine allgemeine, universell gültige Vernunft. Von daher sind viele der stetig wachsenden christlichen charismatischen Kirchen und Pfingst – Bewegungen zu kritisieren genauso wie die evangelikalen, in ihrer fundamentalistischen Bibelinterpretation erstarrten Kirchen. Von den fundamentalistischen Bewegungen im Judentum, Islam, Buddhismus, Hinduismus usw. muss natürlich auch gesprochen werden. Auch sie werden immer heftiger, weil so viele Menschen sich in gefühlvolle Illusionen stürzen: Sie meinen, dort von ihren tiefen seelischen Erschütterungen geheilt zu werden. Aber das Gegenteil ist der Fall.

15.
Wie ist die Erfahrung des Nihilismus zu denken, als Erfahrung des Nichts? Ist das absolute Nichts überhaupt denkbar? Ist der totale unendliche Raum des Nichts nicht immer noch „letztlich“ Etwas? Ist nicht immer noch der Mensch, der das Nichts denkt, noch „im Sein“, also noch lebendig? Kann das Nichts überhaupt radikal gedacht als „Wirklichkeit“ verstanden werden? Sicher nicht. Das Nichts ist eben nichts.
Was bleibt: Mit Nihilismus ist zuerst die radikale Abweisung von vorgegeben Dogmen und Ideologien gemeint. Auch deren Zerstörung, wenn sie Unheil anrichten und den Frieden unmöglich machen, die gerechte Weltordnung verhindern, wie der Nationalismus, der Faschismus, der Klerikalismus… Der Nihilismus, sozusagen richtig dosiert, kann als kritische Bewegung des Nein – Sagens der Vernunft Raum schaffen für ein offeneres, befreites Denken, für ein menschenwürdigeres Leben.

Zum Text Jean Pauls: «Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sei», später dem «Siebenkäs» als «Erstes Blumenstück» zwischen dem Kap. 8 und 9 eingefügt (Jean Paul: Werke in drei Bänden, hg. von N. Miller, München 1969, Bd. 1, S. 643).

Der kurze Text selbst: LINK 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

 

 

 

Vernichten – Ein Wort, das unsere Gegenwart beschreibt…

…wenn „Die Philosophie ihre Zeit in Gedanken fasst“ (Hegel).
Hinweise auf eine “Zeitdiagnose” von Christian Modehn am 6.10.2025

1.
Dieser Satz hat eine bleibende Berühmtheit: „Philosophie ist ihre Zeit, ihre Gegenwart, in Gedanken und Begriffe, gefasst.“ So der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel in der Vorrede seiner „Rechtsphilosophie“ (1820).

2.
Hier wird eine „Zeitdiagnose“ vorgeschlagen – als ein Versuch einer globalen Einschätzung unserer Gegenwart, als eine These, die nicht auf die philosophisch üblichen Kriterien der universell geltenden Vernunft verzichtet. Bei der gebotenen Kürze können wir nur Hinweise bieten … zum weiteren Nachdenken und Forschen.

3.
Jede Gegenwart wird von nachdenkenden „Zeitgenossen“ als Krise erlebt. Krise verweist auf das griechische Verb κρίνειν, (krinein), es bedeutet unterscheiden und urteilen. Die entscheidende Frage zu unserer Krise heißt: Befindet wir uns nur in einem Umbruch, in einer Phase der Korrektur bzw. der Reformen des bisher Vertrauten? Oder findet ein radikaler Übergang statt aus der uns bislang bekannten Welt und ihrer Ordnung? Werden wir also in unserer jetzigen Krise von der Geltung von Demokratie und Menschenrechten getrennt, in eine weltweite Unordnung geführt, die von Gewaltherrschaft, Krieg, Zerstörung der Demokratie, Verachtung der Menschenrechte bestimmt ist? Diese Frage verstört, wird aber doch „insgeheim“ sicher als „nicht falsch“ bewertet und … meist verdrängt. Wir nennen einige Fakten, die auch uns heftig stören, Fakten, die unser Gewissen beleidigen und die wir widerlich finden, denen wir uns aber mit kritischer Erkenntnis stellen müssen… damit wir gemeinsam vielleicht eine Besserung erreichen…(Siehe unten auch den Hinweis auf das neue Buch “Zerstörungslust” von Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey).

4.
Wer die globale politische, ökonomische und ökologische Situation unserer Welt beschreibt und vernünftig bewertet, wird auf den Begriff Vernichtung nicht verzichten können. Die jetzt weltweit absolut bestimmenden politischen Herrscher sind vom Wahnsinn der Vernichtung getrieben. Sie sind in ihren vielfältigen Aggressionen kaum noch zu bremsen. Mit dem Begriff „Vernichtung“ wollen wir keineswegs nur „akademische“ Erkenntnisinteressen bedienen. Die Vernichtung von Strukturen und vor allem die gezielte Auslöschung von Menschen sind nicht nur bedeutungsvoll für die unmittelbar betroffenen Zonen der Vernichtung, etwa im Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Die schrecklichen Untaten der Hamas gegen Bewohner Israels am 7.10.2023 und danach die total maßlose Gewalt der Militärs Israels gegen Palästinenser im Gaza – Streifen betreffen uns weltweit genauso auch wie die gewaltsame Überwindung der Demokratie durch Donald Trump. Denn diese Untaten vernichten immer auch die seelische und geistige Verfassung der Menschen weltweit: Auch wir, noch im demokratischen Europa, wissen uns angesichts der Aggressionen dieser „Weltherrscher“ nicht nur hilflos, sondern sind von diesen und anderen Welt- Beherrschern in die Verzweiflung und Hilflosigkeit getrieben. Das zu sagen ist alles andere als Jammern, sondern Ausdruck einer kritischen Analyse.

5.
Wenn wir also „unsere gegenwärtige Zeit“ im Begriff der Vernichtung wahrnehmen: Dann ist in „Vernichtung“ immer auch das Wort NICHTS mit – enthalten: Und NICHTS als Prinzip von aktiver Politik weist auf den nihilistischen Inhalt dieser Politik hin: Nihilismus ist das rücksichtslose Zerstören der vorhandenen Welt aufgrund einer verblendeten Ideologie, etwa des Nationalismus oder des religiösen Fundamentalismus. Wenn Politiker also vernichtend handeln, realisieren sie eine Form von Nihilismus. Sie scheuen die Mühe vernünftiger Reformen, sind unfähig zum kritischen Umgang mit ihrer leitenden Ideologie. Sie meinen in ihrem Wahn, erst nach der Zerstörung ihrer vorhandenen Welt könne eine neue Welt auferstehen. Das haben einst Nazis und ihre Ideologen immer behauptet und heutige Diktatoren glauben das wieder und handeln offenbar danach.

6.
Politiker als Vernichter: Man lese noch einmal die aktuellen Stellungnahmen von Donald Trump, etwa seine Ankündigung eines möglichen Bürgerkriegs in den USA als Kampf gegen die angeblichen Sozialisten und Kommunisten und gegen die von Demokraten regierten Bundesstaaten. LINK

Man lese die auf diesen Bürgerkrieg unermüdlich seit Jahren schon vorbereitenden und viel beachteten Stellungnahmen von Steve Bannon. Schon 2017 berichtete „DIE WELT“: LINK

Man denke -noch wichtiger – an Mister JD Vance, den US – Vizepräsidenten, der sich seiner Konversion zum Katholizismus gern rühmt. Er ist nicht der einzige Katholik im entscheidenden, absolut militanten und aggressiven Ja – Sager Team von Mister Trump, vor allem auch Evangelikale sind einflußreich dabei, auch sie verwechseln den christlichen Glauben mit der gehässigen Trump-Ideologie des MAGA.
Evangelikale Bewegungen wollen die christliche Vorherrschaft in den USA durchsetzen, also eine christlich-fundamentalistische Autokratie. LINK
Der Milliardär Peter Thiel und Vance – Freund versteht sich „nur“ als Christ.
Einer der heftigsten Einpeitscher der vernichtenden Trump-Politik ist Stephen Miller, stellvertretender Stabschef im Weißen Haus, er stammt zwar aus einer eigentlich progressiven jüdischen Familie in Los Angeles, fühlt sich offenbar aber unter all diesen „Christen“ wohl. LINK
Nur eine von sehr vielen unverschämten Äußerungen Stephen Millers: In einem Interview auf Fox-News sagte er über die „Demokratische Partei“: “Es handelt sich um eine Organisation, die sich ausschließlich der Verteidigung von Schwerverbrechern, Bandenmitgliedern sowie illegalen ausländischen Mördern und Terroristen widmet. Die Demokratische Partei ist keine politische Partei. Sie ist eine inländische extremistische Organisation.”
Trump und Co. sind dabei, die USA zu einer Autokratie, manche objektiven Beobachter sagen zu einer Diktatur, umzubauen. Der Philosoph Jason Stanley, Yale University sieht in den USA deswegen für sich keine Lebens – und Arbeitsmöglichkeiten mehr, er ist – wie andere Intellektuelle – nach Kanada ausgewandert, immerhin haben US – Bürger noch ein Land, in das sie sich flüchten können! 
LINK

Siehe auch den aktuellen Bericht der katholischen Theologin in Chicago, Prof.Hille Haker, veröffentlicht auf der Website des Vatican. LINK

Und der US-Amerikaner Papst Leo XIV. aus Chicago hat bisher nicht grundlegend und deutlich und scharf die unsägliche Politik Trumps kritisiert, schreibt sogar kath.de am 8.10.2027: “Umso bedrückender ist das Verhalten der katholischen Kirche. Von den US-Bischöfen kam bislang kaum öffentlicher Widerspruch gegen diese Entwicklung (hin zur Diktatur in den USA) , und auch aus dem Vatikan hört man nur verhaltene Töne… Zwar habe Papst in allgemeinen Wort die so unmenschliche Behandlung von Einwanderern in den USA kritisiert…Aber “direkte Kritik an der Regierung seines Heimatlandes war von ihm bislang  nicht zu hören…Es reicht nicht, allgemeine Appelle zur Nächstenliebe zu wiederholen.”  Quelle: LINK 

7.
Wenn Trump und die Seinen die USA in eine Art Bürgerkrieg führen, ist der Trump Staat so „ausgelastet“, dass sein Interesse an praktischer Solidarität mit der bedrohten Ukraine verschwinden wird. Und die ohnehin schon zunehmend rechts-extrem – orientierten Europäer können jubeln: Die von ihnen verachtete Demokratie und die von ihnen verachteten Menschenrechte können nun auch hier – Trump als Vorbild – wirkungsvoll zerschlagen werden: Trump gilt als eine Art „heiliger Unterstützer und Inspirator“ rechtsradikaler Herrschaft. Dieses „MAGA“ – Ideologie wird längst auf europäische Staaten übersetzt: Etwa: „Make Ungarn grait Again“, „Make Tschechien Great Again“, Make Turkey great Again, „Make La France Great Again…und auch das: Siehe die Ideologie der AFD und anderer rechtsextremer Kreise sowie auch manche Kreise der CDU/CSU: „Germany first“.

8.
Die nihilistische Herrschaft als Vernichtung von Demokratie und Menschlichkeit durch das Trump Regime erzeugt die seelische, die geistige Zerrüttung der Bürger: Sie leben in den USA ständig in Angst, wenn sie denn Demokraten, Ausländer, Flüchtlinge, Bürger ohne Ausweispapiere, Menschen aus der weiten Community sind, die mit dem Kürzel „LGBTQIA+“ sehr anonym beschrieben wird. Aber auch die Europäer werden durch die Politik der Vernichtung zutiefst erschüttert, weil die MAGA Ideologie als Gift auf europäische Verhältnisse angepasst wird. Die Folgen dieser seelischen Traumata durch diese Politiker sind verheerend. Und vernünftige Leute müssen über ihre Naivität schmunzeln, die USA für eine Demokratie gehalten zu haben… Alte, eingeübte und eingepaukte politische Lehren zerbrechen und verschwinden also. Was kommt danach?

9.
Wer von der Herrschaft Trumps und der Seinen spricht, muss auch von Trumps Duz-Freund oder vielleicht, je nach dem bei Trumps jeweiliger Laune, auch Feind Wladimir Putin und seiner Kriegsherren in Russland sprechen. Das ist ja alles bekannt: Putin, der Aggressor im Krieg gegen die Ukraine, bedroht andere Länder Europas, nimmt immer mehr Einfluss auf die Politik in Europa; er unterstützt die rechtsextremen Parteien und die sehr rechtslastigen Politiker Europas (Orban und Co.).Putin versucht massiv, Wahlen in Europa zu beeinflussen, jetzt offenbar auch die Wahlen in Tschechien: „Am Mittwoch meldete der tschechische Inlandsgeheimdienst den massenhaften Einsatz prorussischer TikTok-Konten, die gezielt populistische Parteien unterstützten. Grundlage war eine Analyse der NGO Online Rizika.“ LINK
Den katholischen Bischöfen in Tschechien fiel nach dieser Wahl nichts anderes ein, als sofort dem Sieger, dem rechtslastigen Milliardär Babis, zu seinem Sieg zu gratulieren! Wahrscheinlich erhoffen sich die Bischöfe nach altbekannter Art, irgendwelche Vorteile für katholische Schulen oder für den Erhalt ihrer zerfallenden Kirchengebäude. LINK

10.
Wer vom Diktator Putin und seinem Regime spricht, muss auch von dessen ideologisch – religiöser Stütze sprechen, der Russisch – Orthodoxen Kirche, wird beherrscht vom Putin – Freund, dem Patriarchen Kyrill, wie dieser einst Mitglied des kommunistischen KGB. Patriarch Kyrill I. von Moskau ist seit Beginn des Mordens in der Ukraine ein Kriegstreiber und gleichzeitig der Verfolger der wenigen Priester, die als Christen noch ihre Stimme gegen diese Putin- Kirche erheben. Die sich um den steinreichen Patriarchen Kyrill sammelnden orthodoxen Bischöfe beseitigen jedenfalls weltweit den letzten Respekt für diese Kirche sowie für andere orthodoxe Kirchen Europas, die sich ebenso Putin andienen…Tatsache also auch dies: Die russisch – orthodoxe Kirche gehört zu den großen Vernichtern, den destruktiv Frommen! Und dies ist der Skandal: Diese korrupte Kriegstreibende Russisch – Orthodoxe Kirche ist  immer noch Mitglied im „Ökumenischen Rat der Kirchen“ in Genf. Die Leute in Genf dort hoffen – naiv – auf Dialog mit dem Kriegstheologen Kyrill…Sagen sie jedenfalls zur Entschuldigung ihres Nicht – Tuns in dieser Hinsicht.

11.
Wie lang ist die Liste der Staaten, die unsere Vorstellung von der Gültigkeit der Demokratie und der Menschenrechte vernichten? Wir sollten den Iran nennen oder viele andere Staaten, die sich auf islamische Werte lügnerisch berufen? Wir sollten vom Ein-Parteien-Staat China sprechen und der stalinistischen Diktatur in Nord-Korea? Und von den Diktaturen in Lateinamerika, in Venezuela, Nicaragua, El Salvador, Kuba und dabei das Leiden der Menschen im untergehenden „Staat“ Haiti nicht vergessen. Genauso wie wir nicht vergessen die Macht internationaler Konzerne, die in verbrecherischer Raff-Gier etwa in der Amazonas Region nicht nur viele tausend Quadratkilometer Wald, sondern damit auch den Lebensraum der Indigenas vernichten. Wir sollten von der Regierung Netajahus und seiner rechtsextremen Koalitionspartner sprechen und deren völlig unverhältnismäßigem brutalen Reagierens auf die Palästinenser im Gaza Streifen — als Rache auf die grausamsten Terror-Anschläge der Hamas am 7. Oktober 2023. Bekanntlich bedeutet der Spruch aus dem Alten Testament „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, dass man als frommer Jude einem Übel-Täter NUR den gleichen Schaden zufügen soll, den er selbst verursacht hat. Also: Was gelten eigentlich biblische Weisheiten in Israel, in dem explizit jüdischen Staat, der Demokratie der Juden, fragen auch einige Juden weltweit. Wir wissen auch keine Antwort ….66.000 Menschen sind bisher durch Angriffe des israelischen Militärs in Gaza getötet worden, 168.000 Menschen wurden in Gaza verletzt, Quelle: LINK 
Wer will diese endlose Liste der Vernichter und deren Vernichtung fortsetzen? Wer schreibt die langen Listen der kriminellen Banden, der international agierenden Mafia, der Drogen- Kartelle und so weiter und so weiter. Wer wagt dies alles in eine “Philosophie der Gegenwart”  zu übertragen?
Von Theologie reden wir gar nicht, die würde eher wie üblich behaupten: Da hilft nur noch beten. Aber betet Trump zum selben Gott wie Putin, wenn sie denn beten? Welche Bittgebete unterschiedlicher Beter soll Gott im Himmel erhören? Welch ein Wahn, diese alte Theologie der Bittgebete mit einem Gott, der unmittelbar ins Weltgeschehen eingreifen soll…Bittgebete können bestenfalls den einzelnen etwas seelisch beruhigen, mehr nicht.

12.
Die noch verbliebenen demokratisch denkenden Menschen in Deutschland und anderen Ländern Europas werden sich mit der Frage befassen müssen: Wir stark sind wir von diesen uns förmlich total umgebenden vernichtenden Herrschern schon selbst innerlich vernichtet, im Sinne von entmutigt, hoffnungslos, antriebslos, depressiv, den Machtverhältnissen irgendwie ergeben? Die Tatsache gestehen sich viele Menschen ein: Diese Vernichter – Herrscher haben uns schon fast fertig gemacht. Was bleibt uns? Haben wir Widerstandsreserven? Wir müssen genau hinsehen, wenn auch in Deutschland sehr konservative Politiker der üblichen sich konservativ nennenden, aber de facto schon sehr rechtslastigen Parteien von einer kulturellen und sozialen Wende nicht nur schwadronieren, sondern diese Wende (treffender wohl: diesen Kulturkampf) auch politisch durchsetzen… auf Kosten der Flüchtlinge, der „Ausländer“, der Armen. Diese Politiker der sich noch ziemlich dreist christlich nennenden Parteien denken gar nicht daran, angesichts steigender Sozialausgaben die Milliardäre und Multimillionäre zur Kasse zu bitten zwecks selbstverständlicher solidarischer, mitmenschlicher Hilfe in sozialer Not. Aber die Freunde und Vorgänger unserer Herren Politiker haben ja die bestehenden Gesetze geschaffen, mit denen es unmöglich ist, eine gerechte Steuer der Millionäre und Milliardäre gesetzlich einzurichten. Diese Form von Demokratie steht sich also doch mit ihren offenbar nicht mehr zu korrigierenden Gesetzen selbst im Wege…

13.
Eine traurige Erkenntnis also: Wir leben in einer Welt der Vernichtung und der Vernichter. Wer beklagt noch die Reduzierung der Entwicklungshilfe, wer beklagt noch den Stop von USAid durch den Herrscher Trump: er lässt damit zu, dass die Ärmsten in Afrika nicht mehr geimpft, nicht mehr elementaren gesundheitlichen Schutz erhalten. Wer tut noch etwas gegen das qualvolle Sterben von vielen tausend Menschen im Sudan? Man hat den Eindruck, es gibt wertvolle Tote (etwa in Isarel) und weniger wertvolle Tote, wie etwa im Sudan oder in Haiti, über die man guten Gewissens meist schweigen kann, um sich dann immer wieder nur den „wertvollen“ Toten in den Talkshows zuzuwenden…

14.1.
Was bleibt uns? Ich weiß nur Ansätze von Antworten: Weiterhin kritisch die Vernichter in ihrer Vernichtung benennen, also Erkenntnisse dazu öffentlich unermüdlich verbreiten und miteinander diskutieren. Also wieder die kleinen Gesprächsgruppen pflegen, die nicht wegen des Plauderns, nicht wegen eines gelangweilten BlaBla zusammenkommen, sondern um sich philosophisch wie politisch zu ermutigen … Um dann mutig zu handeln, die vernünftig gebliebenen Politiker ins Gespräch ziehen und sie unterstützen und den drohenden Ruck ins Rechtsradikale in Deutschland, Frankreich, Holland, Italien, Tschechien, Polen und so weiter und und so weiter zu stoppen…

14.2. Die AFD bekennt sich offen zu ihrer Strategie und Taktik der Vernichtung der Demokratie, d.h. der Machtübernahme durch die AFD: Die “ZEIT” berichtet am 9. Okt.2025 auf Seite 3 über die führende AFD Politikerin Beatrix von Storch. Sie hat am 6. und 7. Juli 2025 auf einer Klausur ihrer Fraktion “kurz und knapp die Strategie vorgestellt, mit der sie (von Storch) die AFD an die Regierung führen will.”Die wichtigste Forderung: die “Brandmauer” muss zu Fall gebracht werden, indem man Schwarz und Rot spaltet. Wie macht man das: “Erstens Kulturkampf…Zweitens die Gegensätze zwischen Union und SPD unüberbrückbar machen. Und drittens: der Union den Markenkern soziale Marktwirtschaft streitig machen. Wählergruppen der Union ansprechen. Die Angst vor Stimmverlusten an die AFD erhöhen”, so wörtlich von Storch zur Strategie der Zerstörung der Koalition, und damit der Erzeugung einer tiefen Krise der Demokratie und dann: Durch chaotische Zustände Wahlen mit absoluten erfolg der AFD, also scheinbar legal, die Macht übernehmen. Im Weißen Haus wird von Stroch schon mit allen Ehren empfangen. Ihre “Abteilung Attacke” (so die “ZEIT”) ist schon erfolgreich unterwegs…

AFD und die Demokratie Vernichtung: Ist dies ein zentrales Thema in Deutschland??? Solange ständig führende katholische Kreise (auch Bischöfe, auch Päpste) das Verbot von Abtreibungen zum obersten katholischen Glaubensgrundsatz erklären, an Pro-Life Demos Seite an Seite mit AFD Leuten herumlaufen, solange etabliert sich weiter eine Nähe von AFD Moral und katholischer Moral. Solange betreibt die katholische Kirchenführung ihre Werbung für die “Normalität ” der AFD. Es ist bezeichnend, dass die “ZEIT” in dem genannten Beitrag vermerkt: Beatrix von Storch, von der Konfessioin her evangelisch, nimmt an katholischen Messen teil, und zwar an den Messen der katholischen Traditionalisten und ihrer Liebe zur  Liturgie in lateinischer Sprache.

Ob dies die Kirche der Pius-Brüder am Berliner Breitenbach Platz ist oder die Kirche der mit Rom offiziell versöhnten Traditionalisten in der Weddinger St. Afra – Kirche wird leider von der ZEIT-Autorin Mariam Lau nicht gesagt. Schade eigentlich, das zu wissen wäre doch interessant. Genauso wird von Mariam Lau verschwiegen, dass Beatrix von Storch eng mit der internationalen katholisch – reaktionären Bewegung “Tradition Familie, Privateigentum” (deutscher Sitz in Frankfurt/M) verbunden ist. Dazu weitere Details: LINK 

15.
Man wird es mir als Philosophen und durchaus noch immer Verteidger  vernünftiger Formen der klassischen Metaphysik nicht übel nehmen, wenn ich angesichts der genannten vielfältigen Formen der Vernichtung meine: Mir bleibt TROTZDEM durchaus eine Art „metaphysischer Trost“. Der wird sich kaum an der Stoa orientieren, die zwar richtig sagte: Was uns allein im Denken und Handeln bestimmen sollte, ist unsere eigene Fähigkeit, in unserem begrenzten Umfeld das für uns und für andere Gute zu tun. Diese Antwort ist mir zu bescheiden und zudem auch zu unpolitisch: Grundlegender wäre die philosophische Frage: Gibt es vielleicht doch einen letzten uns tragenden Sinn-Horizont oder einen letzten sinnvollen „Boden“ auf dem wir stehen und von dem wir leben, auch wenn unser Dasein (und das der wirklich arm Gemachten im globalen Süden) zu Tode bedroht ist von Vernichtern weltweit? Diese „metaphysische Basis-Erkenntnis“ lässt sich verschieden interpretieren und ausweiten, bis hin ins Vernünftig-Religiöse und Vernünftig-Christliche. Da wird jeder und jede seinen Weg finden. Aber, angesichts der beschriebenen Vernichtung wird vernünftige Metaphysik eine Überlebenshilfe bleiben. Man lese zudem Erich Fromm, und seine Hinweise zu der erreichbaren lebensfreundlichen, der biophilen Haltung TROTZ aller heftigen Vernichtungserfahrungen, der Nekrophilie.

16.
Wir haben unsere Hinweise mit einem Wort des Philosophen Hegel begonnen, wir wollen mit einem Wort Hegels auch unsere Reflexionen abbrechen, diesmal folgt ein Zitat aus der Vorrede der „Phänomenologie des Geistes“ (1807): „Aber nicht das Leben, das sich vor dem Tode scheut und von der Verwüstung rein bewahrt, sondern das ihn erträgt, und in ihm sich erhält, ist das Leben des Geistes. Er gewinnt seine Wahrheit nur, indem er in der absoluten Zerrissenheit sich selbst findet. Diese Macht …ist der Geist nur, indem er dem Negativen ins Angesicht schaut, bei ihm verweilt. Dieses Verweilen ist die Zauberkraft, die das Negative in das Sein umkehrt.“
So kann man eine philosophische Hoffnung formulieren, die ganz der Macht des Geistes, der Vernunft und damit dem Argument, vertraut … zur Überwindung der Macht des Vernichtenden und der Vernichtenden.

Eine wichtige Neuerscheinung: Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey, “Zerstörungslust”. Suhrkamp Verlag, 2025, 453 Seiten, 30€. Ein Zitat: “Wir befinden uns in einem rechtsdriftenden politischen Zyklus, in dem Nationalkonservative, Libertär-Autoritäre und Anarchokapitalisten sich zusammenschließen und liberale Instuitutionen ins Visier nehmen. …Der `demokratische Faschismus` bekennt sich zur Demokratie, während er deren Fundamente untergräbt.”

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

 

 

 

 

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Die Möglichkeit der Unvernunft. Und die Notwendigkeit der Vernunft…

Philosophische Perspektiven zum Thema einer Ausstellung von Jan Böhmermann in Berlin
Hinweise von Christian Modehn am 3.10.2025

Die Vernunft verteidigen – ein ständiges Thema der Philosophie.
Aber kein Thema, bei dem man angesichts seiner „Komplexität“ an der Möglichkeit der Vernunft verzweifelt und sich für die Unvernunft in ihren verschiedenen Formen entscheiden sollte.

Wir werden aktuell an die Verteidigung der Vernunft erinnert durch die Ausstellung Jan Böhmermanns und seiner Gruppe Royale (ZDF) im „Haus der Kulturen der Welt“ in Berlin (vom 27.9 bis 19. 10. 2025). Jan Böhmermann hat seiner Ausstellung den Titel gegeben „Die Möglichkeit der Unvernunft“.

Wir bieten hier keine „Besprechung“ und auch keine “Rezension” dieser Ausstellung. Wir sind nur im guten Sinne provoziert vom Titel „Die Möglichkeit der Unvernunft“.

 

1.
Wer von Unvernunft spricht und damit etwa bestimmte Verhältnisse als unvernünftig bewertet, hat in seinem Denken einen – vielleicht noch wenig ausgearbeiteten – Begriff von Vernunft. Und er bewertet trotzdem Vernunft höher als Unvernunft, meint also, anstelle der bestehenden Unvernunft sollte eigentlich Vernunft herrschen und gelten.

2.
Man sollte das Thema, zumal für philosophisch ungeübte LeserInnen, an einfachen, aber eindringlichen Beispielen erläutern:
Wir wehren uns gegen eine Haltung, die wir Unvernunft nennen, wenn jemand in einem brennenden Haus das Feuer nicht löschen will, sogar in dem Wissen, dass dort Menschen verbrennen.
Wir wehren uns gegen eine Haltung, die wir Unvernunft nennen, wenn wir zusehen, dass Menschen bis zu Tode verprügelt werden.

3.
Vernunft ist also mitten im Leben, in unserer “Lebens-Praxis”, direkt oder unthematisch verwurzelt und lebendig. Und Unvernunft zeigt sich in großer Vielfalt, etwa in vielen Formen unmenschlichen Verhaltens.

4.
Vernünftig auf die in 2. genannten Beispiele reagieren geistig stabile und gesunde Menschen, also Menschen ohne Gehirnschäden und Menschen, die ideologisch nicht total verdorben sind durch Rassismus, Antisemitismus, Faschismus usw.
Die Beispiele machen darauf aufmerksam: Die Vernunft und damit die Vernunfterkenntnis als Bewertung einer menschlichen, ethisch – humanen Haltung und Handlung ist in den Menschen präsent. Natürlich wird gleich wieder an gewissenlose Massenmörder erinnert oder an die KZ – Henker, die aufgrund ihrer totalen Nazi -Ideologie tatsächlich ohne jegliche Betroffenheit Juden im KZ erschossen hatten oder in die Gas – Kammern schickten. Aber selbst Massenmörder oder KZ – Henker hatten noch einen Rest von Vernunft, weil sie sich vernünftigerweise um ihre eigene Gesundheit noch kümmerten oder ein bürgerliches Leben mit ihren gut umsorgten Kindern führten.

4.
Vernunft hat also im Geist, im “Innern” der Menschen ihren Ort, der nicht total zu zerstören ist durch Ideologien. Vernunft zeigt sich als eine ethische Haltung, sie will – unter allen Umständen – Gutes für die anderen Menschen und für sich selbst.

5.
Die im praktischen Leben sich zeigende Vernunft, die Gutes will für die anderen wie für sich selbst, stellt ein allgemeines formales Kriterium innerhalb der Lebensorientierung zur Verfügung. Ich erinnere nur an Kants „Kategorischen Imperativ“, der keine ethischen Inhalte beschreibt, sondern „nur“ formal im Handeln zum Nachdenken auffordert: Kann meine Lebensmaxime (also mein subjektiv gelebtes Leben mit seiner subjektiven Lebensphilosophie) allgemeines, also für alle Menschen geltendes Gesetz werden? Nur ein Beispiel: Kann mein Gebrauch von Pestiziden auf meinen Wiesen und Feldern allgemeines Gesetz werden? Sicher nicht, denn dann werde ich alsbald selbst kein gesundes Gemüse mehr essen können. Die Europäer haben offiziell, aber nicht de facto, den Einsatz von Pestiziden für Europa verboten, hingegen wird das Gift den armen Bauern im globalen Süden immer noch verkauft. LINK https://www.publiceye.ch/de/themen/pestizide/massive-zunahme-der-exporte-aus-der-eu

6.
Europa (aber auch die USA, Russland, China) handelt also wie der faschistische Herrenmensch, der sich einredet, wertvoller und besser zu sein als der arme Mensch, der arme Bauer, im globalen Süden. Die Idee der Gleichheit aller Menschen („alle Menschen haben den gleichen Wert und brauchen die gleiche Förderung“) wird also von den Herrschenden faktisch ignoriert oder mit diplomatischen Floskeln beiseite geschoben: Die Pestizid erzeugenden Konzerne sind einflussreicher als die Menschenrechte. Und selbst in Europa werden die Pflanzenschutzgifte immer noch verwendet: LINK https://www.tagesschau.de/investigativ/swr/pflanzenschutzmittel-pestizide-risikopruefung-100.html

7.
Unsere Hinweise zum “Kategorischen Imperativ” als Ausdruck der allgemeinen Vernunft haben uns weiter geführt zur Erkenntnis der universell geltenden vernünftigen Menschenrechte. Und sie führen zur Erkenntnis der „Arbeit“ unserer Vernunft: Unsere Vernunft kann sich selbst in ihren Aktionen und Erkenntnissen betrachten und bewerten und korrigieren. Das muss ganz genau gesehen werden: Unsere Vernunft kann sich auf ihre aktuellen Gestaltungen des Lebens beziehen und dabei unterscheiden: Diese Gestalt des Lebens ist vernünftig oder eben tatsächlich unvernünftig. Die Kriterien für vernünftig wurden schon genannt. Dabei zeigt sich: Vernünftig hat immer die Bedeutung von unersetzlich für ein humanes Leben, für eine geistige und materielle Entwicklung meiner selbst und der Gesellschaft, des Staates. Vernünftig hat also immer eine humane, man möchte sagen humanistische Bedeutung.

8.
Diese Erkenntnis der Kriterien für ein vernünftiges, also humanes Leben (siehe: Kategorischer Imperativ, Menschenrechte) ist zwar in Europa – durch Kant etwa – deutlich formuliert worden. Aber diese Erkenntnis ist nicht etwa regional begrenzt, bloß weil sie an einem Ort in Europa formuliert und publiziert wurde. Diese Erkenntnis ist universell.

9.
Selbst in den Kulturen Afrikas oder Asiens, und wohl auch in totalitären Regimen werden zumal leidende, gequälte Menschen immer ihre Rettung suchen im Insistieren auf der Geltung der Menschenrechte auch für sie. Selbst wenn die totalitäre Ideologie den Verstand der meisten Menschen so verblendet hat, dass sie verletzten Kindern, Frauen, Selten auf der genannten Straßen nicht helfen, werden sie doch wohl einem stolpernden Parteibonzen aufhelfen, weil sie wissen: Das kann für sie selbst vorteilhaft, also irgendwie dann doch gut sein…

10.
Diese kurzen Reflexionen zur Geltung der Vernunft in der Praxis des Lebens machen deutlich: Es gibt in der Menschheit tatsächlich Strukturen der einen, universell geltenden Vernunft. Wir haben dies für den Bereich des praktischen Lebens gezeigt. Auch für die theoretische Philosophie als einer Reflexion auf die allgemeine und wissenschaftliche Erkenntnis ließen sich Strukturen universell geltender Vernunft zeigen, man denke dabei, gleichsam nur als Einstieg zu diesem Thema, an die universelle Geltung mathematischer Erkenntnisse.

11.
Unser Ausgangspunkt war der Titel der Böhmermann Ausstellung „Die Möglichkeit der Unvernunft“. Über die weit verbreitete Unvernunft wäre nun mit den Mitteln und den Kriterien der universellen Vernunft zu sprechen: Da wird jeder und jede seine Erfahrungen beschreiben können, etwa mit unvernünftiger Praxis (die Scharlatane in allen Sparten), unvernünftiger Politik (Ignorieren des Klimawandels), unvernünftigen Parteiprogrammen etwa der Rechtsextremen („Deutschland ist kein Einwanderungsland“, „es gibt wertvolle Deutsche und schlechte, zu vertreibende, etwa die Flüchtenden“). Wichtig ist in der expliziten Kritik der Unvernunft zu wissen: Sie geschieht immer mit den Mitteln und den Kriterien der universellen Vernunft.

12.
Es gab vor kurzem noch eine Bewegung, die sich “postmoderne Philosophie” nannte und die auch etwas Furore machte. Sie versuchte uns einzureden, es gebe verschiedene „Vernünfte“, die alle irgendwie gleichberechtigt seien. „Anything goes“, war förmlich das Motto. Diese These von der nicht mehr in eine höhere Vernunft zu überführende Vielfalt der „Vernünfte“ geistert noch herum, hat sich aber philosophisch von selbst erledigt: Denn der postmoderne Philosoph, der eben die vielen Vernünfte propagiert, hat dann doch das Konzept von der einen Philosophie im Hinterkopf: Nur so kann er eben bestimmte Phänomene explizit eine von Philosophien nennen, andere aber eben Kunst oder Literatur oder Ideologie.

13.
Wichtig ist, dass die Erkenntnis der Gültigkeit der einen universell geltenden Vernunft auch für die verschiedenen Religionen angewendet werden muss. Denn wenn die willkürlich erfundenen Dogmen und religiösen Mythen aus einer gewissen inneren Widersprüchlichkeit befreit werden müssen (etwa: „Welcher Gott wirkt Wunder nur für mich, aber nicht für andere“), dann kommt man mit intern – dogmatischen Behauptungen der Religion selbst nicht weiter. Da helfen nur allgemein gültige vernünftige Erkenntnisse. Der Philosoph Omri Boehm hat treffend nachgewiesen. Selbst für den Gott des Alten Testamentes gilt das universelle Prinzip der Gerechtigkeit: Gott steht unter der allgemein gültigen, humanen Gerechtigkeit, das zeigt Boehm am Beispiel der fast „gelungenen“ Opferung Isaacs durch seinen Vater Abraham… Und die katholische Kirche wird in einigen Jahrhunderten wohl doch erkannt haben: Dass auch für die innere Gestaltung ihrer Struktur und Lehre nur die Menschenrechte wichtiger sind als irgendwelche ideologisch zusammen gesuchten Zitate aus dem Munde Jesu von Nazareth etwa zur Ausschließlichkeit des Priesteramtes nur für Männer. Mit Zitaten aus der Bibel lässt sich alles Mögliche beweisen oder alles Mögliche ablehnen. Da versagt die Theologie, die Dogmen wichtiger nimmt als philosophische Vernunft – Erkenntnisse. Gegen die exzessiven und zum Teil gewalttätigen evangelikalen Kirchen in den USA wird nur mit der Vernunft kritisch begegnen können.

14.
Dass es eine vernünftige, humane, nicht -hierarchische christliche Religion grundsätzlich geben kann und geben sollte, habe ich in der Auseinandersetzung mit Kants sehr lesenswerten „Religionsschrift“ (1793) gezeigt. LINK.

15.
Das Thema der Ausstellung Jan Böhmermanns in Berlin ist also philosophisch sehr inspirierend. Die Unvernunft im Plural aller nur denkbaren Verirrungen herrscht heute überall vor. Und eine vernünftige, d.h. menschliche, demokratische Welt mit der universellen Geltung der Menschenrechte bleibt auf ewig ein Ziel, wahrscheinlich ist es unerreichbar, aber der Gedanke an diese universell geltenden Vernunft ist in Zeiten total gewordener Unvernunft unverzichtbar und für den einzelnen zum Überleben in diesen Zeiten niemals aufzugeben.

14.
Was wir brauchen sind Medien und Veranstaltungen, die immer wieder im Detail vernünftig die Präsenz der Unvernunft aufzeigen.Leider sind viele Politiker in den Demokratien jetzt schon so unvernünftig, dass sie die Stimmen der vernünftigen Kritik kleinmachen, wenn nicht ausschalten wollen. Jan Böhmermann legt jedenfalls nach meiner Meinung immer wieder in seiner ZDF Sendung diese Dimensionen der Unvernunft frei. Dass die Anzahl seiner Sendungen von den ZDF Herren gekürzt werden soll, ist weiterer Ausdruck der Macht von Unvernunft. Unsere Frage bleibt:
Wie lange haben wir die Kraft, uns gegen die zunehmende Unvernunft allerorten zu wehren? Und wie sollen wir vernünftig mit Unvernünftigen, etwa Rechtsradikalen und deren Parteien umgehen.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin