Wenn Museen mehr sind als „Orte der Besichtigung“
Ein Hinweis von Christian Modehn.
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Das religiöse Erleben in Europa verändert sich weiter: Jetzt wird in Berlin das prächtige „Bode-Museum“ als Ort der ganzheitlichen Heilung entdeckt und als solcher gestaltet. Museen, einst (nur) Orte der Bewahrung und Besichtigung alter oder neuer Kunst, im Schlendern ein bißchen neugierig begangen, entdecken nun eine durchaus neue , ungewöhnliche kulturelle und explizit therapeutische Aufgabe, eine ungewöhnliche „Mission“ könnte man sagen.
In einem Raum des Bode-Museums können es sich die BesucherInnen auf eigens bereitgestellten Kissen bequem machen, sie sollen die Bilder und Skulpturen längere Zeit betrachten, danach die Augen schließen, in ihr Selbst, die Seele, hinein hören, meditieren, Abstand nehmen vom Alltag und die heilende Kraft einer Madonna oder einer Buddha-Statue wahrnehmen… und – nach längerer Pause im Museum – beschwingter den Heile-Raum verlassen…Zum Bode-Museum: LINK
2.
Ein Saal des Bode-Museums – zunächst, vielleicht werden es noch mehr ? – ist eine Stätte seelischer Beruhigung und möglicherweise Selbstheilung: Kunst soll die mentale Gesundheit verbessern, heißt der Auftrag. Voraussetzung ist: Im Museum selbst einüben, langsamer zu leben, bedächtiger zu sehen, Kontemplation im Museum also. Die Räume des Bode-Museums sind dafür gut geeignet. Kunst soll seelisch Belastete, Kranke, trösten, sagen die Verantwortlichen, die mit kompetenten medizinischen Einrichtungen, wie der Charité in der Nachbarschaft, zusammenarbeiten. Allerdings, berichtet Hanno Rautenberg in DIE ZEIT (28.Mai 2025, S. 43), wird als Heilungsprozess im Bode-Museum vor allem die Heilung der individuellen Seele angestrebt. Dass die Begegnung mit Kunst immer auch zur Mobilisierung der Veränderung der meist miserablen Welt führen sollte, wird dabei offenbar eher als zweitrangig angesehen. Aber welche Kunst heilt? Wer wählt nach welchen Kriterien heilende Kunst für sein Museum aus? Spielt dabei dann doch Kunst aus der explizit religiösen (auch christlichen) Welt eine Rolle? Anders gefragt: Könnten wir auch politisch konnotierte Bilder von George Grosz oder Edvard Munch (“Der Schrei”) als Impuls zur seelischen Heilung wahrnehmen?
3.
Rautenberg meint auch, im Bode – Museum werde im Rahmen dieser „Kunsttherapie im Museum” ein „Glaube ohne Gott“ befördert: Offenbar ein transzendentes Schweben ohne Ziel (Göttliches, Ewiges). Was möglich, aber nicht in jedem Fall so eingeschränkt gestaltet werden muss.
Der protestantische „liberale Theologe“ Friedrich Schleiermacher in Berlin war einer Verteidiger der „Kunst-Religion“: In seinen „Reden über die Religion“ von 1799 spricht er von Kunst – Religion, wenn „der Kunstsinn für sich allein übergeht in Religion“ (166 f), etwa wenn ein Kunstwerk den Betrachter, Hörer, Leser gleichsam aus eigener ästhetischer Kraft dazu bringt, „sich über das Endliche zu erheben“ (167). Zur Kunstreligion: FUßNOTE 1.
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Nun also: Museen als Tempel der seelischen Heilung. Wenn daraus ein Trend wird, was nicht auszuschließen ist, wenn denn die Kuratoren der Museen diese Kompetenz weiter entwickeln: Dann wird bildende Kunst heilsam; Musik gibt es schon seit langem als Therapie in Gruppen oder auch als individuelle Therapie der Musik-Erlebenden, Hörenden: Auch Literatur ist seelisch heilsam, eine entsprechende Forschungs-Richtung hat sich längst etabliert. LINK. Und Hegel hat sogar gewagt zu sagen: (Seine) Philosophie sei Gottesdienst, so in “Vorlesungen über die “Philosophie der Religion”, Suhrkamp, Bd. 16, dort S. 28. In unserem Beitrag die Nr 19. im LINK
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Die Kirchen und ihre dort stattfinden Gottesdienste können auch aufgrund der aktiven Präsenz von anderen, also der Gemeinschaftserfahrung, und der Riten und Symbole, ebenfalls heilende Orte sein. Grundsätzlich mag das gelten. Aber die oft sehr schnell „absolvierten“, in der offiziellen Sprache: „zelebrierten“ Messen in katholischen Kirchen haben wohl nur sehr bedingt einen heilsamen, beruhigenden Charakter. Die zwanghaft immer gleiche Gestalt der Liturgie in der Messe hat etwas Lähmendes, man möchte sagen für TeilnehmerInnen Langweiliges. Es sind sozusagen Theateraufführungen, die immer derselben Struktur folgen. Die Teilnahme an diesen Messen (wie an den klassischen evangelischen Gottesdiensten, ebenfalls in starrem Ritus) nimmt bekanntlich ständig ab, ein Beweis, dass diese Veranstaltungen von sehr vielen Christen als nicht mehr heilsam erlebt werden.
In jedem Fall haben die Kirchen nun durch die „heilenden Museen“ etwas Konkurrenz bekommen. Schon komisch: Die Kirchengebäude in Deutschland, zumal die protestantischen, sind außerhalb der Gottesdienste meist verschlossen, aber sonst gratis zu betreten. Die „heilenden Museen“ haben feste Öffnungszeiten und verlangen Eintrittsgebühren: Aber dorthin gehen viele Menschen gern. Eine Mode? Gewiss nicht: Die heilenden Museen sind wohl ein weiterer Beleg für den tiefgreifenden religiösen Wandel in Europa. Und nebenbei: Die Verantwortlichen in den Museen heißen Kuratoren. Der Priester in den katholischen Gemeinden etwa heißt „Kuratus“, in Frankreich „curé“. Vielleicht wird es Zeit, dass sich der Kurator und der Kuratus, also die KuratorInnen und PfarrerInnen, auch die Curés, zusammensetzen und Gemeinsames und Trennendes austauschen. Viele Kirchenbesucher, Touristen in Scharen der Kathedralen, erleben die „Gotteshäuser“ ja längst als Museen, in denen sie sich fremd fühlen und so fragte man mich in Berlin kürzlich in einer Kirche: Wer hängt denn da am Kreuz? Etwas mehr Bildungsarbeit in ihren Kirchen als Museen während der Woche und am Sonntag täte gut. Zu “Rezeption” der nun wieder restaurierten Dorfkirchen in Brandenburg: LINK.
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Wer das Bode – Museum besucht sollte nicht versäumen, die Ausstellung „Der Engel der Geschichte“ anzuschauen und sich danach, davor, wie auch immer, in einen philosophischen Text Walter Benjamins genau zum Thema vertiefen. LINK
FUßNOTE 1:
Die „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders“ (1797 sind Gemeinschaftsprodukt von Wilhelm Heinrich Wackenroder (1773–1798) und Ludwig Tieck (1773–1853), dieses Buch “kann als die erste und wichtigste Programmschrift der Kunstreligion gelten (wenngleich der Ausdruck selbst noch fehlt). In Aufsätzen eines fiktiven Mönchs wird darin geschildert, wie verschiedene Protagonisten von Werken der Musik oder der bildenden Kunst (namentlich von den Renaissancekünstlern Dürer, Michelangelo, Raffael und Leonardo) in einen Zustand der Erhebung versetzt werden, der unverkennbar Züge religiöser Kontemplation trägt, auch wenn dabei bestimmte christliche Glaubensinhalte keine konstitutive Rolle spielen.” Quelle: LINK
Sehr viel ausführlicher hat sich der “liberale Theologe” Prof. Wilhlem Gräb (+ 2023) in seinem Buch “Vom Menschsein und der Religion”, Tübingen 2018, auf den Seiten 247-303 zum Thema “Kunst und Religion” geäußert. LINK
Copyright: Christian Modehn Religionsphilosophischer Salon Berlin