Theresa von Avila 500. Geburtstag: Mystik bricht aus dem religiösen System aus

Theresa von Avila und „Die mystische Fabel“

Ein Hinweis zum 500. Geburtstag der Mystikerin und eine Erinnerung an Michel de Certeau SJ

Von Christian Modehn

Theresa von Avila ist eine große Autorin, eine inspirierende Mystikerin, wohl auch heute.

Aber was heißt eigentlich „Mystik“? Welcher Sprache begegnen wir dann? Welche Lebenserfahrungen sind prägend? Wer darf sich Mysteriker, Mysterikerin, nennen oder darf so von anderen genannt werden?

Fragen, die anlässlich des 500. Geburtstages der Karmeliter-Nonne Theresa von Avila (28.3.1515 – 1582) wichtig sind, aber unseres Wissens im Umfeld dieses Gedenktages nicht (so oft) behandelt werden. Wie umfassend darf an kirchlichen (römischen) Gedenktagen gedacht werden?

Hilfreich sind immer die Studien des französischen Intellektuellen und Jesuiten Michel de Certeau (1925-1986). Wenn jemand die französische Ehrenbezeichnung „Intellektueller“ verdient, dann wohl er, der Historiker, Psychoanalytiker, Linguist, Theologe. Er hat unter anderem das (auch auf Deutsch vorliegende) Buch veröffentlicht “La Fable Mystique“, 1982 erschienen. 2013 wurde dann ein 2. Band publiziert: La Fable Mystique, II, Édition établie et présentée par Luce Giard, erschienen bei Gallimard, 392 p., 22,90 €. Luce Giard ist eine hervorragende Kennerin des Werkes de Certeaus.

Certeau spricht von „Fabel“, um das Sprechen und Briefe-Schreiben der Mystiker des 16. und 17. Jahrhunderts zu bezeichnen, und er meint damit: Es gibt bei den Mystikern eine bemerkenswerte Erfindungsgabe der Sprache. Sie sagen alles, „von dem man sagt, es nicht sagen zu können“ (so Johannes vom Kreuz, ein Mitstreiter und Freund Theresas, auch er ein Meister der Sprache, ein Poet). De Certeau zeigt, dass die Mystik (ein Wort, das vor dem 16. Jahrhundert unbekannt war, meint er) eine Art „paradoxe Wissenschaft“ sei, weil sie in neuer Sprache, befreit von der Last der klassischen Theologie und ihrer Systeme, wieder unverbraucht Wesentliches sagt. Die Welt der Mystiker dieser beiden Jahrhunderte ist erschüttert: Politischer Absolutismus, neue Welten („Amerika“), Wissenschaften, rationale Philosophie, Übersetzungen der Bibel etc…

Die Mystiker erleben diese neue Welt und wollen als Glaubende dieser erlebten neuen Welt Ausdruck geben. Es ergibt sich so eine „Befreiung der Stimme der Frauen“, ein Gespür für die Bedeutung der Subjektivität. Die alte Welt wird als untergehende erlebt, von der neuen Welt wird in neuer Sprache gesprochen, nicht in einer Geheimsprache, betont de Certeau. Es wird mystisch das NEIN gepflegt, das Nein zum alten System-Denken, es wird der alte religiöse Raum leer geräumt, zugunsten des NICHTS (vor allem bei Johannes vom Kreuz). Alte Sicherheiten zerbrechen, das Gehaltensein im Nichts als „dennoch“-Gehaltensein kann zum Glaubensausdruck werden.

Wer würde diese Gedanken nicht modern, also zeitgemäß finden? Bloß wo sind die Mystiker heute? Gibt es sie noch etwa unter den vielen tausend Nonnen der Unbeschuhten Karmelitinnen, also jenes Ordens, den Theresa unter Leiden und Not (drangsaliert von den reformunwilligen Nonnen) gegründet hat? Der Katholizismus hat „MystikerInnen“  in seinen Reihen, bloß die kommen nicht zu Wort, melden sich nicht, schweigen. Weil sie nichts zu sagen haben? Weil die Orden ihre beste Tradition aufgegeben haben und nicht mehr mystisch sind und bestenfalls historische Studien publizieren? Oder weil sie ihre vielleicht provozierende mystische Einsicht nicht sagen dürfen? Etwa: Dass wir vielleicht mehr an das Nichts, die Leere, als an den so lieben und allmächtigen und gerechten Gott denken sollten? Dass wir die Sprache des Schweigens üben und hören sollten als das viele religiöse Gerede, diese routinierte Fortsetzung von frommen Sprchen und Floskeln.

Vielleicht noch ein Hinweis zu dem empfehlenswerten Buch „Michel de Certeau“, herausgegeben von Marian Füssel, erschienen UVK Verlagsgesellschaft, 2007.

Aus dem Beitrag von Koenrad Geldof nur einige markante Sätze, immer bezogen auf das Werk de Certeaus selbst, als Einladung weiterzuforschen:

„Der Geburtsort der Mystik ist die Ruine“ (S. 138). „Die Mystik existiert gerade dank des Fehlens ihres Objektes Gott. Sie sehnt sich nach dem Abwesenden, aber ihre Sehnsucht kann und wird nie erfüllt werden: Diese Unmöglichkeit ist der Grund, aus dem die Mystiker sprechen und schreiben“ (S. 139).

„Der Mystiker ist dazu verdammt, ICH zu sagen, um im Namen seiner selbst sprechen zu können“ (S. 141).

Und Daniel Bogner schreibt in dem genannten Buch: “Wahrheit gibt es für die Mystiker nicht mehr als eine von der kirchlichen Institution treuhänderisch verwaltete und abrufbar bereitgestellte Wahrheit“ (S. 312). Wird man solche Sätze hören bei den nun einmal nicht ausbleibenden Jubelfeiern und Festgottesdiensten zu Ehren der Theresa von Avila. Papst Paul VI. hat 1970 diese unbequeme Frau und Kritikerin gar zur offiziellen Kirchenlehrerin ernannt. Wollte er diese radikale Theologin und Nonne besänftigend „eingemeinden“? Oder rechnete er damit, dass radikale Worte der Gottesferne und des Nichts wirklich in die Mitte des christlichen Glaubens und der römischen Institution gehören?

Dieser Beitrag bedarf einer Ergänzung:

Ich habe als Hörfunk und Fernseh-Journalist (RBB) im Karmelitinnen Kloster Regina Martyrum in Berlin Ordensfrauen getroffen, die durchaus von einer Weite des Denkens und des mystischen Erfahrens geprägt sind und dies auch so sagen. Ob alle Karmelitinnenklöster in Deutschland von diesem offenen Geist geprägt sind, ist eine andere Frage.

Einige Zitate aus verschiedenen Ra­dio­sen­dungen von mir.

Schwester Maria Theresia sagt zum Beten für andere Menschen: „Für andere beten, das heißt zunächst einmal von anderen wissen. Und nicht nur theoretisch, sondern auch direkt, persönlich, und auch die Lage von anderen Menschen, sich selbst unter die Haut gehen lassen. Es ist eine gewisse Solidarisierung. Das ist so etwas wie das Halten einer Hand, wenn wir sagen: Ich denke an dich“.

Die Gründerin des Karmelitinnenklosters in Berlin ist Schwester Gemma Hinricher, zuvor lebte sie im Karmel am Rande des ehem. KZs Dachau: Schwester Gemma ist 1990 verstorben, sie war in Berlin als geistliche Lehrerin sehr angesehen, ie sagte mir in einem Interview in Plötzensee:

„Es ist für die Karmelitinnen ganz wesentlich die Ausrichtung auf Gott und zugleich die Ausrichtung auf die Menschen. Ich glaube, dass wir teilnehmen an der Glaubensnot unserer Epoche. Dass wir ja in welcher Form auch immer auch ein Stück Gottferne erfahren. Es ist wichtig zu betonen, dass es uns da nicht besser geht, dass wir auch angefochtene Menschen sind und verletztliche Menschen, dass uns nicht alles zufliegt mit Heiterkeit“.

Gelegentlich besuchen auch Agnostiker und Atheisten den Berliner Karmel, so etwa Gita Neumann, Psychologin und Mitarbeiterin des Humanistischen Verbandes im Rahmen eines Filmes, den ich fürs ERSTE drehte. Gita Neumann fragte Schwester Maria Theresia:. „Betet man irgendwie zu Gott, zu Jesus, zu einer übergeordneten Instanz? Sind Sie der Meinung, dass da auch Wünsche auch irgendwo ankommen?“ Darauf die Karmelitin Schwester Maria-Theresia: :

„Ich muss gestehen, ich teile diese Frage auch. Für mich ist dieses Beten in eine gewisse Leere hinein wie ein Gottesbeweis. Weil ich mir sage: Eine fassbare Antwort, das ist nicht mein Gott. Es muss immer etwas bleiben, was geheimnisvoll ist, was scheinbar sogar das Gegenteil sogar von dem Erbeteten ist. Dieses durchkreuzende Moment von Gebeten führt mich, wenn ich ehrlich bin, letztlich weiter. Ich möchte darauf hin leben, dass ich Gott größer sein lasse als meine Gebete.“

In einem Beitrag über die spirituellen Dimensionen der Nacht konnte ich auch Schwester Maria Theresia zu dem Thema befragen: „Das beste Nachtgebet ist für mich, das, was am meisten mich selbst einsammeln kann, wo ich am meisten drin bin. Das ist überhaupt kein Gebet im üblichen Sinn. Das ist vielleicht ein Fallenlassen, ein Loslassen. Eine Einwilligung, in das, was jetzt gerade mein Leben ist, weil ich jetzt mal gerade so ganz zu mir kommen kann. Und ich denke, dass ist dann beste Gebet, auch wenn ich in dem Moment gar nicht merke, dass ich bete”.

Copyright: Christin Modehn Berlin

 

Tomas Halik erhält Templeton Preis 2014

Prof. Tomas Halik erhält 2014 den Templetonpreis

Der tschechische Theologe, Soziologe und katholische Priester Tomas Halik (Prag) erhält in diesem Jahr 2014 den hoch angesehenen TEMPLETON Preis.  Die Freunde des Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin kennen und schätzen sehr die Arbeiten Tomas Haliks. Vor allem sein Eintreten für eine mystische Gotteserfahrung und sein entschiedenes Plädoyer für den lernbereiten Dialog mit “Atheisten” und Ungläubigen verdienen höchste Beachtung in einer Zeit, in der sich die Kirchen immer mehr dogmatisch eingrenzen.

Christian Modehn hat als Journalist mehrfach Tomas Halik interviewen können, zur Lektüre eines von mehreren Beiträgen klicken Sie hier. Der Beitrag erschien in der Zeitschrift PUBLIK FORUM und trägt den Titel: “Nachtgedanken eines Beichtvaters”, bezogen auf eines der letzten Bücher Haliks.

Außerdem hat Christian Modehn 1999 für die ARD einen der ersten längeren Filme über Tomas Halik realisiert, der 30 Minuten Film über und mit Tomas Halik hat den Titel: “Meine Freunde die Ungläubigen” (SFB und MDR). Der Film ist nach wie sehenswert, er zeigt wesentliche biographische Elemente und Beispiele aus der vielfältigen Tätigkeit Prof. Haliks in Prag.

Die Götter müssen verschwinden. Warum die neuen Atheisten den Glauben fördern

Der folgende Text ist die ungekürzte Fassung eines Beitrags für den NDR (Kultur) am 30.10.2011, die Form entspricht der für Hörfunk – Produktionen üblichen Gestaltung.

NDR  Glaubenssachen

Die Götter müssen verschwinden

Warum die „neuen Atheisten“ den Glauben fördern

Von Christian Modehn

 

1. SPR.: Berichterstatter

2. SPR.: Zitator

SPRECHERIN

1.SPR.:

In Europa und Amerika machen Missionare der besonderen Art von sich reden. Sie gehen nicht werbend von Tür zu Tür und sie stehen auch nicht mit ihren Druckschriften geduldig wartend auf der Straße. Kanzeln werden sie wohl niemals betreten. Sie werben im Internet, organisieren Konferenzen, treten in Talkshows auf. Aber wie alle Prediger haben sie ein festes Ziel vor Augen: Sie wollen bekehren. Dabei ist ihre Botschaft alles andere als religiös. Sie propagieren, wie sie sagen, eine „Alternative“ zu den bestehenden Religionen. Im „Manifest des evolutiven Humanismus“ heißt es:

2. SPR.:

Es geht um die Entlarvung des realen Unsinns, der sich hinter den religiösen Sinnstrukturen verbirgt. Wir gehen davon aus, dass es im Universum mit rechten Dingen zugeht, dass also weder Götter noch Geister noch Kobolde oder Dämonen in die Naturgesetze eingreifen.

1.SPR.:

Mit diesen Worten formuliert die religionskritische „Giordano Bruno Stiftung“ ihr Grunddogma: Die Natur mit ihren Gesetzen sei „die“ Wirklichkeit. Philosophen nennen diese Überzeugung „Naturalismus“. Das heißt: Auf die Naturgesetze kommt es entscheidend an. Deswegen können auch nur die Naturwissenschaften erklären, was die Welt „letztlich“ bedeutet. Weil sich Gott mit naturwissenschaftlich – empirischen Methoden nicht wahrnehmen lässt, gibt es ihn auch nicht. So einfach ist das. Wer auf der Höhe der Zeit leben will, sollte darum eine Art Bekehrung vollziehen und dem religiösen Glauben abschwören. Die Attacken gegen den Glauben sind heftig und radikal; sie treffen das Herz der Religionen:

2. SPR.:

Es ist unverzichtbar, dass wir die lebensfeindlichen, kindlichen Mythen über Bord werfen. Wer dabei auf verletzbare religiöse Gefühle Rücksicht nimmt, zementiert nur die weltanschauliche Borniertheit.

1. SPR.:

So formuliert Michael Schmidt – Salomon, der Vorstandssprecher die Überzeugung der religionskritischen „Giordano Bruno Stiftung“. Unentwegt, immer unterwegs, versucht der promovierte Erziehungswissenschaftler diese Botschaft zu verbreiten. Die „Giordano Bruno Stiftung“, im Jahr 2004 gegründet, versteht sich als „Denkfabrik für Humanismus und Aufklärung“. Inzwischen ist sie fest im kulturellen Leben verankert, nicht nur in Deutschland. Die Giordano Bruno Stiftung hat mehrere Regionalgruppen eingerichtet. Der internationale Förderkreis zählt mehr als 2000 Mitglieder aus 25 Ländern. Zum wissenschaftlichen Beirat gehören 54 zum Teil prominente Forscher und Universitätsprofessoren.

Die Zentrale der „Denkfabrik“ befindet sich in Mastershausen im Hunsrück, genauer gesagt auf dem Grundstück des Unternehmers Herbert Steffen. Nach seinem Austritt aus der katholischen Kirche stellt er schon seit vielen Jahren sein gesamtes Vermögen der Werbung für den Atheismus zur Verfügung. Seine Stiftung bezieht sich in ihrem Titel auf den Dominikaner Mönch Giordano Bruno. Er war zwar kein Atheist, dafür aber dachte er naturwissenschaftlich modern und, das ist wichtig: Er war ein unnachgiebiger Kritiker des kirchlichen Glaubens. Deswegen wurde er im Jahr 1600  auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Von dieser Leidenschaft für die kirchenkritische Vernunft ist der Vorstandssprechers Schmidt Salomon erfasst:

2. SPR.:

Heute kommt es vor allem auf Eines an: Kämpferischen Einsatz und öffentlich Farbe zu bekennen.  Gefordert ist eine globale Konversion, also Bekehrung, von der religiösen Überheblichkeit zum schlichten Menschsein.

1. SPR:

Bis vor etwa 10 Jahren war der dezidierte Atheismus in Deutschland eher in kleinen philosophischen Zirkeln beheimatet. Wenn sich Philosophieprofessoren wie Herbert Schnädelbach und Hans Blumenberg zum Atheismus bekannten, dann waren ihre Stellungnahmen differenzierte, sachlich abwägende Essays über den Unglauben, ohne jeden propagandistischen Ton.

Nun aber gibt es einen neuen Trend: Die Zahl der erklärten Atheisten nimmt weltweit zu, 700 Millionen sind es weltweit. Sie beziehen ihre Kraft vor allem aus dem Kampf gegen die Glaubenseiferer von der anderen Seite: den radikal Frommen, den islamistischen und christlich – evangelikalen Kreisen mit ihren fundamentalistischen Überzeugungen. Diese interpretieren ihre heiligen Texte im wortwörtlichen Verständnis. Ultra – konservative Christen in den USA glauben daran,  dass Gott die Welt in sechs Tagen erschaffen hat. Sie fordern auch, dass dieser Glauben in den Schulen gelehrt wird. Wie in einem dialektischen Gegenschlag starten nun die neuen Atheisten ihre Propaganda.  Mit besonderer polemischer Schärfe wirbt der englische Biologe Richard Dawkins für den Atheismus. Sein Buch „Der Gotteswahn“  kam vor 5 Jahren auf den Markt, es wurde weltweit mehr als 3 Millionen Exemplaren mal verkauft, allein 300.000 in Deutschland. Dawkins formuliert sein Credo kurz und bündig:

2. SPR.:

Der Glaube an Gott ist eine entsetzliche Krankheit, die ausgerottet werden muss.

1. SPR.:

Diese Behauptung wird  von den amerikanischen Philosophen Sam Harris und Daniel Dennett – wiederum in Bestsellern – unterstützt. In Italien wettert der Mathematiker Professor Pieregiorgio Odifreddi gegen das Christentum. Er hält den religiösen Glauben für eine Form des Schwachsinns, der nur geistigen Zwergen zusteht. In Frankreich polemisiert der Philosoph Michel Onfray in zahlreichen Büchern gegen die Religionen. Auch Onfray steht dem so genannten „Meister Atheisten Richard Dawkins“ nahe. Im „Humanistischen Verband Deutschlands“, der Vertretung konfessionsfreier Menschen in Deutschland, grenzt man sich von diesen polemisch auftretenden Herren ab. Man spricht dort von „Krawall – Atheisten“.  Andere, weltweit geachtete Philosophen hingegen, wie Peter Sloterdijk, haben sich von der neuen atheistischen Welle distanziert:

2. SPR.:

Für mich ist Dawkins Buch ein Ausdruck von Seichtheit, deswegen lege ich es beiseite. Das Feld der Transzendenz ist das Feld dessen, was für uns Geheimnis bleibt, was wir nicht ganz durchdringen,. Transzendenz ist ja auch eine Metapher für das, was wir noch werden können.

1. SPR.:

Die am Potsdamer „Einstein Forum“ lehrende Philosophin Susan Neiman  verteidigt ausdrücklich die Überzeugungen religiöser Menschen:

SPRECHERIN:

Ich finde, Religion nicht ernst zu nehmen ist eine Verachtung der Welt, in der die meisten Menschen heute leben und denken. Die Ansicht Dawkins’, religiöse Menschen seien allesamt irrationale Idioten, ist einfach selber Ausdruck reiner Ignoranz.

1. SPR.:

Zu einem ähnlichen Urteil kommt auch der sich ausdrücklich atheistisch nennende Philosoph Joachim Kahl aus Marburg. Er wirft dem von Dawkins inspirierten Buch „Manifest des evolutionären Humanismus“ gedankliche Dürftigkeit vor.

2. SPR.:

Dieser bilderstürmerische Atheismus ergeht sich in einer eifernden Antithese zur Religion, und er erschöpft sich darin. Die ganze Welt soll als „religionsfreie Zone“ erlöst werden, wo nur die wahre Lehre der vermeintlich Aufgeklärten gelten soll. Dawkins hat von den Ambivalenzen der Religion keine Ahnung, sie hat menschenverachtende und menschenfreundliche Züge, sie enthält Sinn und Unsinn, Vernunft und Unvernunft.

1. SPR.:

Die christlichen Kirchen, vor allem die Theologen, können und wollen die Thesen der neuen Atheisten nicht einfach ignorieren. Denn deren einprägsamen Sprüche und griffigen Formeln prägen das Bewusstsein vieler Menschen. Es ist vielfach chic, sich als Atheist zu outen; in manchen großstädtischen Milieus ist man sich des Beifalls sicher.

Viele Theologen wollen ohne Polemik und seriös argumentierend auf die Herausforderung der „neuen Atheisten“  reagieren.  Sie sind überzeugt: Trotz aller Polemik weisen die atheistischen Eiferer auf Schwachstellen der christlichen Lehre hin. Ein Beispiel für die beginnende Auseinandersetzung ist die Internationale Zeitschrift für Theologie CONCILIUM. Sie hat vor einem Jahr in einem Heft vierzehn Autoren aus verschiedenen Kirchen zu Wort kommen lassen. Die Auseinandersetzung mit dem „Neuer Atheismus“ sei zumindest in den USA en vogue, meint Philip Clayton, protestantischer Theologe aus Kalifornien:

2. SPR.:

Die Zahl der aktuellen Bücher, die die Argumente der neuen Atheisten erschüttern, ist inzwischen Legion.

1. SPR.:

Theologen und Philosophen leisten zunächst elementare Aufklärungsarbeit: Und die beginnt damit, an die Grenzen naturwissenschaftlicher Forschung zu erinnern. Darin sind sich die Autoren der Zeitschrift Concilium einig:

2. SPR.:

Naturwissenschaft hat nichts mit Gott zu tun. Sie kann mit ihren Methoden Gott nicht erreichen und auch Gott nicht erkennen. Deswegen lässt sich naturwissenschaftlich weder der Theismus noch der Atheismus beweisen. Naturwissenschaft fragt nicht nach dem Sinn des Lebens, sie kann von daher keine Antwort geben auf religiöse oder metaphysische Fragen. Der Versuch, den Atheismus, naturwissenschaftlich zu begründen, muss scheitern. Auch der Atheismus ist eine Glaubenshaltung mit dem Bekenntnis: Ich bin überzeugt, es gibt keinen Gott.

1.SPR.:

Atheismus wie Theismus haben also eins gemeinsam: Sie sind Glaubenshaltungen und naturwissenschaftlich nicht begründbar. Auf dieser Basis können Philosophen und Theologen die neuen Atheisten ernst nehmen. Sie können sogar dankbar sein, dass die neue Bewegung der Ungläubigen für die nötige Unruhe der Selbstkritik in den Kreisen der Gläubigen sorgt, wie der protestantische Philosoph Paul Ricoeur betont:

2. SPR.:

Der Atheismus ist der Boden für einen neuen Glauben, für einen Glauben des nachreligiösen Zeitalters.

1. SPR.:

Dawkins und seine Mitstreiter haben eindringlich gezeigt, dass es populäre und manchmal infantile Vorstellungen unter den Gläubigen gibt. Theologen können dies nicht gutheißen und müssen sich dagegen wehren. So wird es zur dringenden Aufgabe, zeitgemäß und in der Sprache von heute die wichtigen Grundlagen der christlichen Religion zu erläutern, meint der Theologe Philip Clayton:

2. SPR.:

Ich sage nicht, dass alle theologischen Aussagen über Gott überflüssig geworden sind. Doch die traditionellen Kategorien und Begriffe, mit denen Gott beschrieben wurde, verlieren an Halt. Darum müssen neue Formulierungen gefunden werden.

1. SPR.:

Der amerikanische Theologe Clayton weist etwa den traditionsreichen Begriff „übernatürlich“ zurück. Früher war er selbstverständlich, die besondere, die himmlische, also nicht – irdische  Existenzform Gottes mit dem Wort übernatürlich zu beschreiben:

2. SPR.:

Aber diese Trennung von natürlich und übernatürlich, von weltlich und göttlich, ist theologisch gesehen ein komplettes Desaster. Gott wird in weite Ferne gerückt, ein solcher ferner himmlischer Gott kann die Welt nur durch sein Eingreifen in die Natur beeinflussen, indem er z.B. in Wundern die Naturgesetzte durchbricht. Aber für diese Eingriffe Gottes gibt es im modernen Bewusstsein keinen Platz mehr.

1. SPR.:

Ähnliche Probleme gibt es, wenn die Frommen ihren Gott als eine Person ansprechen, und dabei so tun, als wäre Gott sozusagen der gute Kumpel von nebenan, eine Person wie wir. Theologen revidieren darum missverständlich personale Beschreibungen Gottes. Sie werden vorsichtiger in der allzu menschlich gefärbten Anrede Gottes und nennen Gott nicht mehr so selbstverständlich wie in Kirchenliedern gerecht und gütig, barmherzig und strafend. Wie kann ein gerechter Gott auch gütig sein, und ein barmherziger Gott auch strafend? Es macht sich heute eine neue Scheu bemerkbar, von dem Unbedingten, dem Absoluten und dem ewigen göttlichen Geist allzu menschlich zu sprechen. Theologen bekennen, wie leichtfertig sie von Gott bisher gesprochen haben. Der Protestant Paul Tillich warnte schon vor 50 Jahren, dass der allzu vertraute und allzu bekannte Gott zu einem Götzen wird, einem Objekt, das in die Verfügbarkeit der Menschen gerät. An diese Warnung halten sich heutige Theologen. Sie nehmen Gott als das Unendliche wahr, als das Geheimnis, das wir nicht umfassen und deswegen auch nicht definieren können. Wir können es im Denken lediglich „berühren“, ahnend ertasten. Darin beziehen sich die Theologen auf die Einsichten des Mystikers Meister Eckart oder die Erkenntnisse des Philosophen Karl Jaspers:

2. SPR.:

„An den Grenzen der Vernunft steht das Unbegreifliche und das Geheimnis. Das Geheimnis erfahren wir als Grenze unserer Vernunft, aber wir nehmen es in das Licht unserer Vernunft auf“.

1.SPR::

Die Berliner Philosophin Petra von Morstein führt Jaspers Gedanken weiter:

Sprecherin

Das Göttliche entzieht sich unserer objektiven Erkenntnis. Aber doch erleben wir etwas über die Grenzen des objektivierenden Verstandes hinaus. Wir wollen das artikulieren. Aber wie tun wir das? Natürlich auch in Begriffen. Aber wir drücken diese Erfahrung symbolisch aus. Und in diesem Sinne wäre „Gott der Vater“ ein Symbol, aber es ist nicht wörtlich zu nehmen.

1. SPR.:

Vor allem über das Beten und Bitten muss angesichts eines „reiferen“ Gottesbild neu nachgedacht werden. Kann Gott, der das alles gründende, das ewige Geheimnis ist, unsere egoistischen Wünsche erhören und befriedigen?  Der spanische Theologieprofessor Andrés Torres Queiruga fragt in der Zeitschrift Concilium:
2. SPR.:

Schon der Kirchenlehrer Augustinus und der mittelalterliche Theologe Thomas von Aquin lehrten, dass wir im Gebet nicht etwa bitten sollen, um Gott zu unseren Gunsten zu verändern und umzustimmen, sondern vielmehr sollen wir beten und bitten, dass wir selbst uns ändern. Der dänische Philosoph Sören Kierkegaard hat diesen Gedanken weitergeführt: Das Gebet ändert nicht Gott, aber es verändert den Betenden. Wenn wir beten: Gottes Reich möge kommen, dann wollen wir dieses Reich des Friedens nicht herbeizwingen. Dann bestärken wir lediglich unsere eigene Sehnsucht nach diesem Reich des Friedens und der Gerechtigkeit.

1. SPR.:

Im Gebet wollen sich die Betenden also selbst ändern, ihr Denken und ihr Verhalten. So gesehen führt die theologische Auseinandersetzung mit den neuen Atheisten zur Überprüfung bisheriger kirchlicher Überzeugungen. Etliche Beobachter haben den Eindruck, als seien die neuen Atheisten –trotz ihrer Polemik – provozierende, prophetische Stimmen. Für diese von außen, aus der kritischen Distanz, formulierte Kritik kennt die kirchliche Tradition den Begriff der „Fremdprophetie“: Sie sollte ernst genommen werden, weil sie auf „wunde Punkte“ der traditionellen Lehre hinweist.

So macht sich angesichts der Provokationen der „neuen Atheisten“ eine neue theologische Bescheidenheit breit. Diese Haltung wird nachdrücklich unterstützt von Christen, die im ständigen Austausch mit Atheisten, Agnostikern und Skeptikern stehen, z.B. von dem katholischen Priester Tomas Halik. Er leitet in Prag die „Christliche Akademie“ und arbeitet als Professor für Soziologie an der Karls Universität. Sein besonderes Interesse gilt der Studentengemeinde, in der ausdrücklich atheistische und skeptische Menschen willkommen sind. Wenn Tomas Halik von Gott spricht, dann nie in der Position des Wissenden, schon gar nicht des „Besserwissenden“. Seine theologisch – spirituellen Überzeugungen hat er kürzlich in seinem Buch „Geduld mit Gott“ veröffentlicht. Darin heißt es:

2. SPR.:

Auch Glaubende erfahren, dass Gott mehr abwesend als greifbar nahe ist. Ein reifer Glaube ist ein geduldiges Ausharren in der Nacht des Geheimnisses. Der suchende Glaube kann im schmerzlichen, leidenschaftlichen, protestierenden Atheismus seinen Bruder erkennen. Auch wir Christen bleiben manchmal im Schmerz unbeantworteter Fragen vor dem Geheimnis des Bösen stehen. Auch unser Glaube erlaubt uns nicht, im Frieden endgültiger Antworten zu ruhen, sollte die Antwort der billige Trost des ‘religiösen Opiums’ oder das stoische Akzeptieren der Sinnlosigkeit der Welt sein. Diesen Atheismus – den leidenschaftlichen Protest-Atheismus – können Christen nicht anders „besiegen, als dass wir ihn umarmen.

1. SPR.:

Diese „Umarmung“ von Glaubenden und Nichtglaubenden hat nur Sinn, wenn sie sich über alle Debatten hinaus auch gemeinsamen Aufgabe zuwenden: Und entdecken, dass sie z.B. vereint für die Menschenrechte eintreten können, für den Schutz der Umwelt, die Überwindung der Armut. In diesem Sinne haben sich z.B. in Frankreich Gruppen gebildet, in denen Glaubende und Nichtglaube alle ideologischen Differenzen hinter sich lassen. Dieses gemeinsame Engagement ist für den atheistischen Philosophen und Publizisten André Comte Sponville aus Paris genauso dringlich wie die religiösen Debatten:

2.SPR.:

Für mich geht die Grenze nicht zwischen den Glaubenden und den Nichtglaubenden. Sie verläuft vielmehr zwischen den freien, offenen, toleranten Geistern auf der einen Seite, ob man nun an Gott glaubt oder nicht. Und auf der anderen Seite sind die dogmatischen, die fanatischen Geister, die gibt es unter Glaubenden wie Nichtglaubenden. Wir kämpfen gegen die Fanatiker und gegen die Nihilisten. Das sind die Leute, die an nichts glauben, die nichts respektieren, die keine Werte haben, keine Prinzipien, keine Ideale. Darum will ich allen den anderen, Glaubenden wie Nichtglaubenden,  ein Bündnis vorschlagen: Wir sollen die gemeinsamen Werte der Menschheit verteidigen, vor allem die Menschenrechte.

1. SPR.:

Ob es zu einer praktischen Zusammenarbeit von Christen und Mitgliedern der Giordano Bruno Stiftung kommen wird, ist offen. Auszuschließen sind Formen der praktischen Kooperation allerdings nicht, zumal Theisten wie Atheisten entdecken: Es gibt längst die neuen Götter oder besser: die Götzen, die da heißen: Wirtschaftswachstum, Geld, Profit, Herrschaft der Reichen. Diesen Göttern opfern sich die meisten Menschen auf. Der Dichter Christoph Hein hat sich mit diesen neuen Göttern auseinandergesetzt, er hat kürzlich erklärt:

2. SPR.:

Alle Regierungen haben entschieden, es sei wichtiger das Kapital zu schützen als das Klima, deswegen sie kümmern sich verstärkt um funktionierende Banken und Autofabriken.

1. SPR.:

Darüber hinaus ist es auffällig, dass die Atheisten aus dem Umfeld der Giordano Bruno Stiftung nun differenzierter über die Kirchen denken. Haben sie die von den theologischen Repliken gelernt? So wird endlich zugegeben, dass es vernünftig argumentierende Christen gibt. Noch wichtiger ist, dass die neuen Atheisten in ihren neuesten Publikationen anerkennen:

2. SPR.:

Es gibt einen „poetischen Überschuss des Lebens“.

1.SPR.:

Und der zeigt sich, wenn Menschen nach dem Sinn des Lebens fragen, dann werde die Alltagswelt überschritten zugunsten dieses poetischen Überschusses In der Kunst findet er seinen Ausdruck. Beschreibt dieser poetische Überschuss eine Art Transzendenzerfahrung? Wird die Kunst zur Plattform für Gespräche zwischen Christen und Atheisten? Vielleicht könnte die Einsicht Goethes hilfreich sein:

2. SPR.:

Wer Wissenschaft und Kunst besitzt, der hat auch Religion. Wer jene beiden nicht besitzt, der habe Religion.

 

copyright: christian modehn, berlin.

 

 

Was glauben Atheisten? Über die „Frömmigkeit“ der Gottlosen

Von Christian Modehn

1. SPR.: Berichterstatter
2. SPR.: Übersetzer

16 25“ O TÖNE (incl. der musikal. Einblendungen)
12 Min Text.

1.SPR.:
Zum „Chinesischen Garten“ in Berlin – Marzahn gehören Pavillons und Teiche, Konfuzius-Statuen … und ein „klassisches Teehaus“ mit einem geräumigen Salon. Dort  haben zwanzig Menschen Platz genommen: Aus feinem Porzellan trinken sie behutsam ihren Tee. Weiterlesen ⇘

Raum der Stille

Alle Götter sind verschwunden und zertrümmert
Der “Raum der Stille” im Brandenburger Tor
Von Christian Modehn


Der “Pariser Platz” bildet wieder ein Ensemble. Mit dem Brandenburger Tor in der Mitte, umgeben von Banken, Botschaften, Restaurants und einem Hotel der oberen Luxus-Noch leistet sich die Stadt den Luxus, in einem Nebengelass des Brandenburger Tores gibt es einen “Raum der Stille”.

Meister Eckhart

Mystik ist Lebenshilfe

Über Meister Eckhart

Von Christian Modehn

Er war viel unterwegs, fast möchte man ihn einen Manager nennen. Er pendelte zwischen Paris, Köln und Straßburg. Acht Jahre lang unternahm er von Erfurt aus strapazierende Reisen, über Brandenburg, die Altmark und Hamburg zog es ihn bis in die Niederlande. Im 13. Jahrhundert war das kein Vergnügen.  Weiterlesen ⇘

André Comte Sponville. Atheistische Spiritualität

ANDRE COMTE SPONVILLE

Eingetaucht in die Leere des Kosmos
Mystik ohne Gott: Der Philosoph André Comte-Sponville hat sich vom Christentum abgewandt.
Er vertritt eine atheistische Spiritualität – ohne Militanz

Von Christian Modehn

Er hat in der Christlichen Studierenden Jugend in Paris aktiv mitgearbeitet. Als Gymnasiast war er bei Exerzitien in einem Trappistenkloster dabei. Noch immer rühmt der heute 54-Jährige die beiden katholischen Pfarrer, die ihn als Abiturienten prägten und mit dem Mystiker Blaise Pascal vertraut machten: »Ich hatte zwar einen gewissen Glauben, war aber doch von Zweifeln bestimmt.« Weiterlesen ⇘