General Franco, Spaniens faschistischer Führer, vor 50 Jahren gestorben…Und seine Ideologie wird lebendig…

Als sich die Kirchenführung mit dem Faschisten, dem Regime des „Caudillo“ Franco, vereinte.
Ein Hinweis von Christian Modehn am 29. Oktober 2025

Einführung: Der reaktionäre „Nationalkatholizismus“ damals und heute
Wir erinnern an den spanischen Faschisten Francisco Franco und seine katholische „Nationalkirche“. Und wir denken dabei jetzt auch an die USA unter Trump und Co., eng verbunden mit einer christlich – fundamentalistischen „National-Religion“. Sie ist Mittelpunkt us-amerikanischer „weißer“ Identität. Dieses Christentum (präsent nicht nur unter Evangelikalen, auch unter Katholiken) wird eingesetzt, um die politische und kulturelle Vorherrschaft von Trump und Co. zu zementieren. Quelle: LINK:
In Frankreich wird aktuell wieder verstärkt von rechtsextremen Politikern (Eric Zemmour u.a.) der „Nationalkatholizismus“ propagiert, finanziert von den reaktionären Milliardären Vincent Bolloré und Pierre Eduard Sterin, siehe etwa die Auseinandersetzungen um den aktuell erfolgreichen Kinofilm „Sacre Coeur“ Quelle: LINK : An diese konkreten (!) Parallele zum Faschisten Franco gilt es zu denken. Und auch: Francos Regime scheiterte, weil demokratische Kräfte nach seinem Tod 1975 stärker waren. Der klerikale Katholizismus als ideologischer Kitt des Regimes verlor seine Bedeutung und so führte die Demokratie die katholische Kirche in eine zunehmend schwächere Rolle, trotz allen Pomps, den die Herren Kardinäle und Bischöfe dort noch öffentlich, bei ihren Auftritten, an den Tag legen und so den Eindruck erwecken, als wäre alles “noch „beim alten“.

1.
Eine Erinnerung an den faschistischen Führers Spaniens, Generalissimo Francisco Franco und seine 36 Jahre (1939-1975) dauernde Herrschaft: Geboren wurde Franco am 4. Dezember 1892, gestorben ist er am 20. November 1975: Aber ist Franco wirklich tot? Sicher nicht! Rechtsradikales, faschistisches Denken lebt noch heute in Spanien und wird immer stärker, siehe die Entwicklung der VOX-Partei. Rechtsextreme Parteien in ganz Europa sind auf dem Vormarsch und setzen sich leider durch. Dass die Herrschaft Francos durch Nationalismus, Antikommunismus, Einparteienstaat, Zensur, Verfolgung und Vernichtung Andersdenkender (Linker, Demokraten…) bestimmt war, macht ihren faschistischen Charakter aus.

2. „Klerikaler Faschismus“
Unseren Interessen im „Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin“ entsprechend, wird hier kritisch vor allem auf die entscheidende Stütze der Diktatur Francos, den Katholizismus, hingewiesen. „Tatsächlich war die katholische Kirche während der ersten zwei Jahrzehnte (also bis Ende der 1960 Jahre) der deutlichste ideologische Partner der Diktatur Francos. Sein faschistisches Regime war ein klerikaler Faschismus“, so Antonio Gomez Movellán. (Fußnote 1). “Seit ewigen Zeiten war die katholische Kirche in Spanien eins mit den Mächtigen. Sie nahm zwar nicht direkt an der Erhebung des Bürgerkriegs teil, stellte aber häufig logistische Unterstützung. Und dort,  wo “die Bewegung` (die Falange und die Miltärs) den Sieg davon trug, wurde das Bild von Spanien als einem Land der Inquisition von neuem Wirklichkeit”, schreibt der Spezialist, der Historiker Pierre Vilar in seiner Studie “Der spanische Bürgerkrieg”, Berlin 2005, S. 102.

Und heute? Francisco Franco gilt bei vielen SpanierInnen noch immer als eine Art Erlöser seiner Nation, weil er die “Republik der Linken“ mit blutiger Gewalt überwunden hat. In Spanien sind praktizierende Katholiken traditionell bis heute mit der konservativen Partei „PP“, der Nachfolgepartei Francos, verbunden (Fußnote 2) oder jetzt mit der rechtsextremen Partei „VOX“ unter ihrem Führer Santiago Abascal. Zuvor gab es rechtsextreme Gruppen wie „Hazte Oír“, eine militante Strömung des Katholizismus. Sie wurde stark, wie üblich, mit reaktionären Positionen zu Fragen der Familie, der Abtreibung und der Feindschaft gegenüber Ausländern…
Laut der jüngsten „Sigma-Dos“-Umfrage für die Tageszeitung EL MUNDO würden heute 14,8% der Wahlberechtigten für Vox stimmen. Unter diesen VOX Wählern bezeichnen sich 72 % als katholisch, 2.615.230 Menschen. Quelle: EL MUNDO, 11.8.2025, Beitrag von Paloma H. Matellano. Von den Katholiken, die sonntags an der Messe teilnehmen, also „praktizieren“, würden sogar 24,1% für VOX stimmen. Selbst wenn sich Bischöfe jetzt gegen rechtsradikale Parteien und gegen VOX aussprechen und die Menschenwürde der Ausländer und Flüchtlinge und Muslime verteidigen: Große Teile der katholischen „praktizierenden“ Basis halten sich nicht an die Weisungen der Bischöfe. In der heutigen katholischen traditionell – konservativen Mentalität lebt die strukturelle Verbindung von Katholizismus und Rechtsextremismus aus Francos Zeiten weiter: Diese Mentalität war bestimmt von der Zustimmung zur Herrschaft des EINEN Führers, des Caudillo bzw. des Einen, des „unfehlbaren Papstes“ bzw. seiner Bischöfe.

3. Die kurze Zeit der 2. Republik
Die Situation der Kirche vor Franco, konkret seit dem Ende der Monarchie im Jahr 1931:
Zwischen 1931 bis 1936, dem Beginn des Bürgerkrieges, konnten SpanierInnen in dieser „Zweiten Republik“ die Offenheit der Demokratie erleben und Demokratie gestalten. Die liberalen Regierungen widersetzten sich der üblichen finanziellen Bevorzugung der katholischen Kirche. Die Republik führte Gesetze ein zur Ehescheidung ein, die Zivilehe wurde möglich, es gab kostenlosen Unterricht für alle… Radikale antiklerikale Kreise setzten ihre alte, angestammte Wut auf den reaktionären Klerus in Gewalt um. Heftigste Ablehnung der Republik durch die Kirchenführung ließ nicht auf sich warten: Am 3. Juni 1933 verurteilte Papst Pius XI. in seiner Enzyklika „Dilectissima Vobis“ die Republik wegen der „Unterdrückung der spanischen Kirche“ und der Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten… Schon komisch, dass sich ein Papst für bürgerliche Freiheiten endlich einmal einsetzte…Die Bischöfe waren aufseiten der Monarchie, aber wegen ihrer Privilegien und ihrer reaktionären Mentalität vor allem bei vielen Intellektuellen und gebildeten Bürgern zu recht höchst unbeliebt. Davon spricht Papst Pius XI. nicht.

Es gab allerdings eine „kleine katholische Minderheit“ von Demokraten, Verteidigern der Republik im spanischen Katholizismus. Etwa José Manuel Gallegos Rocafull (Priester, Theologe, Philosoph, der nach Mexiko flüchtete), Angel Ossorio y Gallardo (Jurist, er starb im Exil in Argentinien) oder José Bergamin (angesehener Schriftsteller, Präsident der Allianz der Antifaschisten). Der katalanische demokratische katholische Politiker Manuel Carrasco Formiguera wurde im April 1938 auf Francos Befehl hingerichtet, weil er nicht mit den offiziellen Ansichten übereinstimmte…Tatsache ist auch: Die Republik war nicht in der Lage, ihre internen Konflikte demokratisch zu lösen. Mit dem Putsch (unter Führung General Francos) begann am 17.7.1936 der Bürgerkrieg.
Deutschland unter Hitler und Italien unter Mussolini unterstützten Franco, diverse Linke aus verschiedenen europäischen Ländern – in ihrer ideologischen Vielfalt und Widersprüchlichkeit – stellten sich auf die Seite der spanischen Linken und Republikaner. Der Spanische Bürgerkrieg war sozusagen auch so etwas wie ein “europäischer Bürgerkrieg“.

4. Der Bürgerkrieg 1936 – 1939.
Seit Beginn des Krieges gaben Generäle den Befehl, »das spanische Volk« zu »reinigen« und alle »linken Elemente zu eliminieren«. „Dieser Terror hielt sich bis zum Herbst 1937 und wandelte sich bis weit in die Vierzigerjahre hinein zu einem Strukturelement des Unterdrückungsapparates der Diktatur Francos: Es gab Konzentrationslager, Zwangsarbeit, überfüllte Gefängnisse, Kinder wurden ihren »roten« Eltern weggenommen, und alle als »rot« verdächtigten Personen streng überwacht. Quelle: Prof. Georg Pichler, Madrid, LINK:
Weiteste Kreise der Kirche, die überwiegende Mehrheit der Priester, unterstützten den Putsch der Militärs und der Rechten, also den gewalttätigen Umbruch der Machtübernahme. „Der Bürgerkrieg war in dem streng kontrollierten Land im Sinne Francos der Kampf des Guten gegen das Böse.“ Quelle: LINK Quelle ebd. Und: „Im Vatikan betrachtete man Franco als einen `Retter“ … Das Regime wurde lange Zeit als Modell eines katholischen Staates behandelt“ (siehe Fußnote 1.)

Die Faschisten der „Falange“, die „Nationalisten“, säuberten“ das Land durch die Hinrichtung von Staatsfeienden, und das waren die Linken. Die katholische Kirche behauptete, dieses Morden der Republikaner sei nichts als eine berechtigte Reaktion auf das Morden der Linken, also der Mord an Priestern und Ordensleuten. Franco schuf ein Gesetz der „Politischen Verantwortung“, es blieb bis 1962 in Kraft und sollte seiner politischen Unterdrückung der Republikaner und der Linken einen gewissen legalen Anschein geben. Der Historiker Stanley G. Payne schätzt, dass die Zahl der Todesopfer des „Weißen Terrors“ der Faschisten während des Kriegs höher ist als die Zahl der Todesopfer des „roten terrors“: Payne, Stanley. “Chapter 26: A History of Spain and Portugal vol. 2”. Grundlegend auch:  https://en.wikipedia.org/wiki/White_Terror_(Spain)

Die Führung der spanischen Kirche duldete den „Weißen Terror“ der Faschisten:
Kardinal Gomá erklärte, dass „Juden und Freimaurer die nationale Seele mit absurden Lehren vergifteten“ …Wer nicht regelmäßig zur Messe ging, wurde leicht ‚roter‘ Tendenzen verdächtigt. Unternehmer verdienten viel Geld mit dem Verkauf religiöser Symbole … Quelle: Beevor, Antony (2006). The Battle for Spain; The Spanish Civil War 1936–1939. Penguin Books.
Die Bischöfe Spaniens veröffentlichen am 1. Juli 1937 einen „Hirtenbrief“, mit dem Ziel: Die ganze Welt solle tatsächlich Franco unterstützen: Führend war daran beteiligt der Madrider Erzbischof Leopoldo Eijo y Garay (1878- 1963). Es ist der „Brief der spanischen Bischöfe aus Anlass des Bürgerkrieges: Siehe: “Carta colectiva de los obispos españoles con motivo de la guerra en España”.

“Die Präsenz des Klerus bei den Zermonien, in der Armee, in den Gefängnissen, bei den Hinrichtungen symbolisierte die Vereinigung des Politischen und des Religiösen, von Staat und Kirch in ihren härtesten Aspekten. Das persönliche Leben der Spanier (Taufe, Heirat, Führungszeugnis) hing von neuem vom kirchlichen Apparat ab,” schreibt der schon in Nr.2. erwähnte Historiker Pierre Vilar (S. 102).
Juan Goytisolo, einer der bekanntesten und wichtigsten Autoren Spaniens, schreibt in seinem Buch „Spanien und die Spanier“, Suhrkamp, 1982, S. 217: „Ein spezifisch spanischer Aspekt des Bürgerkrieges ist die Gewalttätigkeit. Die enge Tradition der Intoleranz, der Verdächtigung und des Argwohns erklärt zur Genüge, wie jenes Phänomen (der Gewalttätigkeit) zum Allgemeinverhalten wurde, und zwar mit einer Heftigkeit, die alle Zeugen bestürzte. Pierre Vilar (geschätzter Historiker der spanischen Geschichte und Gegenwart) schreibt: `Es gab Priester, die zu den übelsten Massenerschießungen ihren Segen erteilten, und es gab Menschenmeuten, die alle aufspürbaren Geistlichen zu Tode jagten. Es ist der Zusammenprall einer Religion und einer Gegenreligion…“

An die Häuserwänden wurde Franco – Propaganda geschmiuert mit der Parole: “Franco, Führer Gottes und des Vaterlandes. Auf der Welt der erste Besieger des Bolschewismus auf den Feldern des Kampfes”. (So im genannten Buch von Pierre Vidal, siehe Nr. 2,  S. 92).

5. Deutsche Katholiken und der Bürgerkrieg
Wenig bekannt ist heute die Bindung von Katholiken in Nazi – Deutschland an die „freiwilligen“ Kämpfer im spanischen Bürgerkrieg aufseiten Francos. Gerade unter katholischen deutschen Jugendlichen gab es eine Verehrung dieser heldenhafter katholischen Kämpfer. Der Publizist Carl Amery hat sich mit dem Thema befasst: „Der Durst nach Heldentum und heroischen Vorbildern wurde gesättigt mit francistisch – katholischen Kreuzzugs – Idolen, etwa mit dem Faschisten José Moscardo im Alcázar in Toledo (Massaker an Republikanern 1936) oder mit Werner Mölders, dem deutsch-katholischen „Fliegerhelden“ im spanischen Bürgerkrieg (Werner Mölders, geb.am 18.3.1913 Gelsenkirchen, im Kriegs-Einsatz umgekommen am 22.11.1941 bei Breslau.) Carl Amery hat sich in einem Beitrag für das Radio-Programm in WDR3 am 7. August 1989 (Kritisches Tagebuch) mit dem Thema befasst.

6. Francos Herrschaft vom 31. März 1939 bis zum 20. November 1975
Wie regierte Papst PIUS XII.auf den Sieg Francos? Ein Zitat aus wikipedia: LINK.  Am 1. April 1939, dem Tag, an dem General Franco seinen berühmten „letzten Bericht“ veröffentlichte, in dem er verkündete, dass „der Krieg vorbei ist“, gratulierte der neu gewählte Papst Pius XII. Franco per Telegramm zu seinem „katholischen Sieg“: „Wir erheben unser Herz zum Herrn und danken Ihnen, Exzellenz, aufrichtig für den ersehnten katholischen Sieg Spaniens. Wir wünschen uns, dass dieses geliebte Land, nachdem es den Frieden erreicht hat, mit neuer Kraft seine alten Traditionen wieder aufnimmt, die es so groß gemacht haben. Mit diesen Gefühlen senden wir Eurer Exzellenz und dem gesamten spanischen Volk unseren apostolischen Segen.“
Franco antwortete ihm umgehend:
„Das Telegramm Eurer Heiligkeit anlässlich des vollständigen Sieges unserer Waffen, die in einem heldenhaften Kreuzzug gegen die Feinde der Religion, des Vaterlandes und der christlichen Zivilisation gekämpft haben, hat mich zutiefst bewegt. Das spanische Volk, das so viel gelitten hat, erhebt ebenfalls mit Eurer Heiligkeit sein Herz zum Herrn, der ihm seine Gnade geschenkt hat, und bittet ihn um Schutz für sein großes Werk der Zukunft. (…)
(Die Zitate sind dem Buch von Hilary Raguer. La pólvora y el incienso. La Iglesia y la Guerra Civil española (1936-1939). (Col. Gran Atalaya, 2008). Barcelona: Península.) Übersetzt mit DeepL.com

Seit dem 31. März 1939 ist also Spanien unter der Kontrolle von Francos Truppen. „Es beginnt dann eine Welle der Verfolgung von Franco-Gegnern mit etwa 270.000 Häftlingen und zehntausenden Toten. In den ersten Nachkriegsjahren leidet Spanien unter einer Hungersnot. Bis in die Siebzigerjahre werden zahlreiche Neugeborene aus Familien von Oppositionellen den Eltern entzogen.“(Quelle: LINK
Zu Beginn der Herrschaft Francos organisierten die Bischöfe am 20. Mai 1939 in der Kirche St. Barbara in Madrid einen prachtvollen Gottesdienst, um Gott zu danken für den Sieg Francos im Bürgerkrieg. Während der Messe legte Franco sein Schwert zu Füßen der Figur „Christus von Lepanto“. Bei Lepanto, im Golf von Korinth, besiegten am 7. Oktober 1571 Galeeren-Verbände des Papstes das Osmanischen Reich mit dem Untergang der muslimischen Kriegsflotte. Die Inszenierung der Verehrung Lepantos sollte eine Verbindung herstellen zur definitiven Vertreibung der Muslims aus Spanien Ende des 15. Jahrhunderterts.
Den Segen über den siegreichen Vernichter der Linken, also Generalissimo Franco, sprach in der St. Barbara Kirche der innige Franco – Freund Kardinal Isidro Gomá: „Gott, dem sich alle unterordnen, dem alles dient, gewähre, dass die Zeit Deines treuen Dieners, des Führers Francisco Franco, eine Zeit des Friedens und der Freude sei, damit der, den wir unter Deiner Führung an die Spitze unseres Volkes gestellt haben, Frieden und ruhmreiche Tage erlebe. Wir beten heute, Herr der Herren, dass Du vom Thron Deiner Majestät wohlwollend auf unseren Führer Francisco Franco herabblickst, dem Du ein Volk gegeben hast, das seiner Herrschaft unterworfen ist und ihm in allen Dingen nach Deinem Willen zur Seite steht.“ Quelle: LINK .

Nebenbei: Der Katholik Franco war eng verbunden und verbündet mit katholischen Diktatoren in Lateinamerika, etwa mit Leonidas Trujillo, dem sich Chef nennenden Diktator der Dominikanischen Republik. Vom 2. Juni 1954 besuchte Trujillo mit seiner Familie für einigeTage Franco: Trujillo wurde sehr pompös empfangen, es war förmlich ein Fest: Die Schüler hatten Extra -Ferien erhalten, die offizielle Arbeitszeit gekürzt, damit die SpanierInnen Trujillo zujubeln konnten usw.. Von Spanien aus reiste der Diktator Trujillo dann weiter nach Rom, um im Vatikan das Konkordat zu unterzeichnen. Papst Pius XII. gewährte dem Diktator Trujillo eine Privataudienz am 16. Juni 1954. Siehe das Foto dieser Begegnung: LINK. Der Religionsphilosophische Salon hat ausführlich zu diesem Thema publiziert: LINK.

Dass noch im Jahr 2007 die Diktatur Francos von konservativen Politikern falsch eingeschätzt wurde, zeigte Otto von Habsburg in einem Interview mit der Springer – Zeitung „DIE WELT“ am 28.6. 2007. Otto von Habsburg antwortete auf die Frage „Wie steht es mit der Innenpolitik Francos?“ : „Schauen Sie, für mich war der Franco ein Diktator des südamerikanischen Typus, ein Caudillo, eben nicht totalitär wie Hitler oder Stalin. Er wollte ja keine Ideologie durchsetzen.“ (Das Gespräch führten Ulli Kulke und Felix Müller für „Die WELT). Warum wollte wohl Herr von Habsburg so viel Unsinn reden?

7. Das Konkordat vom 27.8.1953:
Das Konkordat mit dem Vatikan ersetzte das Konkordat von 1853. Franco erwartete von der Vereinbarung mit dem Papst Pius XII. und dem Vatikan eine stärkere internationale Anerkennung. Festgelegt wurde unter anderem: Die katholische Kirche ist Staatskirche. Es gibt Privilegien für den Klerus, es gilt für sie die Befreiung von Steuern, der Staat unterstützt den Neubau von Kirchen, Katholiken müssen kirchlich heiraten, der Staatschef hat mit zu entschieden, wer Bischof wird.

8. Das 2. Vatikanische Konzil befreit die spanische Kirche aufgrund des Drucks „von außen“
Das Ende dieser Symbiose von Katholizismus und Franco Regime wurde durch das 2. Vatikanische Konzil beschleunigt. Eine klare Entscheidung traf die spanische Bischofskonferenz schon 1966, ein Jahr nach Ende des 2. Vatikanischen Konzils, als sie – durch die Konzilsbeschlüsse etwa zur Religionsfreiheit förmlich getrieben – grundsätzlich auf innerkirchlichen Privilegien verzichtete. Am 29. April 1968 schrieb der Papst Paul VI. einen Brief an Franco und forderte ihn auf, als katholischer Staatsmann ein gutes Beispiel zur Verwirklichung der vom Konzil erhobenen Forderungen zu geben und auf seine alten Privilegien der Mitentscheidung bei Bischofsernennungen zu verzichten. Franco aber lehnte diese Bitte des Papstes am 12. Juni 1968 ab. Er wollte auf diesen Einfluß absolut nicht verzichten. Die Bischofskonferenz forderte 1973 die Trennung von Kirche und Staat und eine Revision des Konkordats von 1953. „Nachfolgende Verhandlungen über eine solche Revision scheiterten auch, weil Franco sich weigerte, auf sein Vetorecht bei den Ernennungen von Bischöfen durch den Vatikan zu verzichten. Bis zu seinem Tod verstand Franco den (neuen) Widerstand der Kirche gegen ihn nicht. Franco beklagte sich bitter über die seiner Ansicht nach undankbare Haltung der Kirche. LINK

9. Zur Verfassung von 1978:
In der Konstitution Spaniens aus dem Jahr 1978 werden Kirche und Staat getrennt: Im Artikel. 16 heißt es.
Absatz (1): „Die Freiheit des weltanschaulichen Bekenntnisses, der Religion und des Kults wird dem einzelnen und den Gemeinschaften gewährleistet; sie wird in ihrer äußeren Darstellung lediglich durch die vom Gesetz geschützte Notwendigkeit der Wahrung der öffentlichen Ordnung beschränkt.
Absatz (2) Niemand darf gezwungen werden, sich zu seiner Weltanschauung, seiner Religion oder seinem Glauben zu äußeren.
(3) Es gibt keine Staatsreligion. Die öffentliche Gewalt berücksichtigt die religiösen Anschauungen der spanischen Gesellschaft und unterhält die entsprechenden kooperativen Beziehungen zur Katholischen Kirche und den sonstigen Konfessionen.
Über diesen Absatz 3 und die späteren ergänzenden Abkommen von Kirche und Staat (1979) wurde und wird heftig debattiert: Sollte die katholische Kirche immer noch eine ganz besondere, privilegierte Rolle im Staat spielen?

Ein ergänzendes Abkommen zur Verfassung wurde mit der katholischen Kirchenführung getroffen, am 3. Januar 1979, also kurz nach Inkrafttreten der Verfassung: Diese Vereinbarung sieht bestimmte Steuerbefreiungen für die katholische Kirche vor, dies führte zu Kontroversen und Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof. Katholischer Religionsunterricht an staatlichen Schulen wird als ein Wahlfach eingeführt…

10. Massenweise Seligsprechungen
Im Bürgerkrieg wurden viele Priester und Ordensleute von radikalen Unterstützern linker, kommunistischer, anarchistischer Parteien ermordet: Sie galten den Linken pauschal als Freunde des Militärs und der Faschisten, und sicher zutreffend als feinde der Republik und der Demokratie.
Viele dieser Priester und Ordensleute wurden von den Päpsten seit den 1980 Jahren offiziell als „Selige“ anerkannt, d.h. sie können nun „an Gottes Thron für die Gläubigen eintreten.“ Papst Johannes Paul II. sprach insgesamt 471 spanische Ermordete selig und stellte am 11. März 2001, wie er selbst meinte, einen persönlichen Rekord auf, als er diese Ehre der Seligsprechung 233 Opfern, »Märtyrer« genannt, zukommen ließ. Am 13. Oktober 2013 wurden in Tarragona 522 »Märtyrer der religiösen Verfolgung des 20. Jahrhunderts in Spanien«, wie die offizielle Bezeichnung heißt, seliggesprochen. Bezeichnenderweise waren bei dieser Messe zur Seligsprechung mehrere Minister anwesend, während noch nie ein Vertreter der Regierung an einer Bestattungsfeier von republikanischen Opfern teilgenommen hat. Quelle kfsr
Die Auswahl dieser durch den Vatikan zu Seligen erklärten Opfer bzw. Märtyrer erläuterte Erzbischof Edward Novack (von der Abteilung für die Seligsprechungen Vatikan) im „L’Osservatore Romano“: „Und von Fall zu Fall ist es für die Seligsprechung wichtig, dass Menschen, unter denen der Selige gelebt hat, ihren Ruf als Märtyrer bestätigen und anerkennen und dann zu dem Seligen beten und Gnaden erlangen. Es sind nicht so sehr Ideologien, die uns bei der Seligsprechung interessieren, sondern vielmehr der Glaubenssinn des Volkes Gottes, der das Verhalten der Person beurteilt.“
Papst Benedikt XVI. sprach im Oktober 2007 weitere 498 spanische Märtyrer selig. Dies wurde zur größten Zeremonie einer Seligsprechung in der Geschichte der katholischen Kirche. Diese „Massenseligsprechung“ von Geistlichen, die während des Bürgerkriegs mit Franco verbündet waren und gegen die Republik eingestellt waren, wurde empört von der spanischen Linken zurückgewiesen. Der Vatikan ignorierte etwadie 16 Priester, die schon als “linke Priester“ in den ersten Kriegsjahren von der nationalistischen Seite Francos hingerichtet wurden.

11. Das Gefängnis für Priester in Zamora.
Das ist sensationell: Franco errichtete ein spezielles Gefängnis für Priester in Zamora, ein einmaliges Projekt weltweit: Die Priester wurden inhaftiert, weil sie sich öffentlich gegen das Franco – Regime ausgesprochen hatten. Sie wurden im so genannte „Konkordats-Gefängnis“ in Zamora inhaftiert. Die ersten „linken Priester“ wurden 1968 eingesperrt, hundert waren es bis zur Auflösung dieses Priester-Gefängnisses im Jahr 1976. Die für ihre Priester verantwortlichen Bischöfe schützten diese ihre „linken“, kritischen Priester nicht vor dem Zugriff des rechtsextremen Franco – Regimes. Sie duldeten das Gefängnis. Alberto Gabikagogeaskoa war der erste Priester, der im Juli 1968 in diesem Flügel des Provinzgefängnisses in Zamora inhaftiert wurde. Sein Verbrechen? Er hielt eine subversive Predigt, für die er wegen illegaler Propaganda angeklagt wurde. In dieser Predigt prangerte der Priester an, dass in den Gefängnissen des Baskenlandes Gefangene gefoltert würden. Das Gericht für öffentliche Ordnung verurteilte ihn zu sechs Monaten Gefängnis und einer Geldstrafe von 10.000 Peseten.“
Weitere Details bietet die website der „Abogacia espanola“, die „Spanische Anwaltschaft“. LINK:
Das Leben einiger dieser „roten Priester“ zeigt der Dokumentarfilm von baskischen Regisseuren Ritxi Lizartza, Oier Aranzabal und David Pallarés, mit dem Titel „Apaiz Kartzela / The Priestergefängnis“, Jahr 2021. Vier dieser früheren Insassen des Priestergefängnisses, die Priester Josu Naberan, Juan Mari Zulaika, Xabier Amuriza und Eduard Fornes, drei Basken und ein Katalane reisen zum alten Gefängnis von Zamora, das heute eine Ruine ist, und erinnern sich an ihre Haft. LINK
Erst nach vielen Jahren wagten es einige Priester, Insassen des Priestergefängnis des Franco – Regimes, sich öffentlich zu äußern. Die Geschichte der Beziehung zwischen der katholischen Kirche und dem Franco-Regime kommt selbst 45 Jahre nach Francos Tod nur mühsam ans Licht der Öffentlichkeit.

12. Das OPUS DEI
Ein Hinweis auf die katholische „Geheimorganisation“ Opus Dei gehört unbedingt zum Thema „Kirche in Spanien und Franco“: Das „Opus“ wurde 1928 in Spanien von José Maria Escrivá y Balaguer gegründet und schon 1941 vom Franco – Freund, dem Erzbischof von Madrid, Leopoldo Eijo y Garay, offiziell anerkannt. Damals schon gab es Kritik durch einige Jesuiten an dieser Institution, aber der Erzbischof ignorierte Bedenken. 1950 geschah die offizielle Anerkennung auf höchster Ebene durch Papst Pius XII. Seitdem ist das Opus Dei machtvoll, aber ziemlich undurchsichtig im Katholizismus als mächtige Organisation etabliert. Das Opus hat neben vielen Hochschulen auch eine eigenenUniversität (Santa Croce) in Rom, wo auch Kleriker aus Deutschland studier(t)en, wie der Kölner Günstling Kardinal Meisners, Rainer M. Woelki. Heute ist er Kardinal in Köln. Georg Gänswein, der von Papst Benedikt hoch geschätzte Sekretär, war Dozent an der Opus Dei Universität in Rom. Man merke sich: Man muss nicht Opus – Dei – Mitglied sein, um wie das Opus zu denken und in seinem Sinne zu handeln. „Der Geist des Opus Dei hat in der Tat als wesentliches Merkmal die Tatsache, dass es jeden Menschen dazu führt, die Aufgaben und Pflichten seines eigenen Staates, seiner Sendung in der Kirche und in der Zivilgesellschaft mit größtmöglicher Vollkommenheit zu erfüllen.Dieser Geist bzw. dieses Charisma war sehr geeignet, um die materiellen Bedürfnisse des Wiederaufbaus Spaniens nach dem Ende des Bürgerkriegs in den späten 1930er Jahren zu erfüllen. Sein sozialer Nutzen war ausschlaggebend für die Unterstützung, die es von der aufstrebenden Franco-Diktatur und der Kirche erhielt, und half ihm, die während der Republik verlorenen Räume und Ideologien zurückzugewinnen. Das Werk Gottes war ein wichtiger Partner von Francos nationalem Projekt.“ Quelle: LINK

Die Jesuiten stehen traditionell eher „links“ und Anhänger des „Opus Dei“ eher „rechts“. Beide kämpfen an ihren Eliteschulen und Universitäten um die besten Talente des Landes und ihren Einfluss. Die Wirtschaftsschulen IESE (Instituto de Estudios Superiores de la Empresa, geleitet vom „Opus Dei“) sowie ESADE (Escuela Superior de Administración y Dirección de Empresas, von Jesuiten geführt) gehören zu den besten der Welt, so die Politologin Stefanie Claudia Müller (Madrid).
Opus Dei Mitglieder haben etwa am Ende der Franco -Ära und danach als Technokraten in der Regierung den Umbau des Staates zu einem eher industrialisierten Land mit dem Tourismus Schwerpunkt betrieben.

Ein bekanntes Mitglied des Opus Dei in Spanien ist Andres Ollero, es ist bekanntlich sehr schwer, Opus – Dei – Mitglieder als solche zu identifizieren, nur wenige machen ihre Mitgliedschaft öffentlich. „Als Mann mit konservativen Überzeugungen und Mitglied des Opus Dei verband Andres Ollero eine breite akademische Karriere mit seinem politischen Aktivismus, der 1980 mit der Unterstützung des andalusischen Vorschlags von Manuel Clavero begann. 1986 trat er der Demokratischen Volkspartei (PDP) des Christdemokraten Óscar Alzaga bei und führte die Liste der Volkskoalition (die später zur Volkspartei wurde) in Granada an. Er gewann einen Sitz als Abgeordneter und wurde wiedergewählt. Er führte die Partei ohne Unterbrechung bis 2003, als er freiwillig von seiner politischen Tätigkeit zurücktrat. Zu seinen zahlreichen Verantwortlichkeiten in dieser Funktion gehören: Vizepräsident des Ausschusses für Bildung und Kultur des Abgeordnetenhauses (1989) und nacheinander Präsident der Nationalen Kommission für wissenschaftliche Forschung und technologische Entwicklung, des Bildungsausschusses und des Justizausschusses der Volkspartei. Er war auch Mitglied des Zentralen Wahlausschusses in der 8. Legislaturperiode und wurde vom Abgeordnetenhaus gewählt.“ (Übersetzung google) Quelle: LINK

13. Die neuen geiustlichen Gemeinschaften … Sekten? 
Man bedenke allerdings: Aus dem katholischen Spanien stammt auch eine andere „neue geistliche Gemeinschaft“, wie man kirchenoffiziell diese eher „sektiererischen Gemeinschaften nennt: Vor allem muss dbeidie „Neokatechumenale Bewegung“ erwähnt werden, begründet von Kiko Argüellez und Carmen Hernandez: Die Neokatechumenalen haben in Spanien viele tausend militante Mitglieder und sie leiten dort 14 Priesterseminare („Redemptoris Mater“ genannt), diese dort ausgebildeten explizit sehr klerikalen konservativen Priester sollen den bekannten Mangel an Priestern ausgleichen, sehr „zur Freude“ der wenigen noch progressiv denkenden Gemeindemitglieder… Auch die ebenfalls sehr konservativen Ordens – Männer der „Legionäre Christi“ mit ihrer großen Laienbewegung Regnum Christi sind in Spanien stark vertreten, etwa in der Leitung katholischer Privatschulen: Diese beiden Gemeinschaften wurde bekanntlich von dem Sexualstraftäter Pater Marcial Mariel (geb. Mexiko) gegründet, er war in Rom ein Freund Papst Johannes Paul II. Immer wieder wurden Priester des Ordens der „Legionäre Christi“ der Sexualdelikte auch mit Minderjährigen angeklagt…Der Religionsphilosophische Salon Berlinhat seit 2009 die Verbrechen Pater Maciels und anderer “Legionöre Christi” dokumentiert. LINK.
Der aus Spanien stammende katholische Theologe Mariano Delgado hat in der katholischen „Herder-Korrespondenz“ 2011 erklärt: „In einigen dieser Erneuerungsbewegungen mit ihrer militanten Haltung gegenüber der säkularen Gesellschaft und der inneren Säkularisierung vieler Kirchendiener sowie mit ihrem Neu-Evangelisierungskonzept, das auf eine Heimholung der Welt in den Schoss der Kirche hinzielt, lebt gewissermassen das Gedankengut des spanischen Traditionalismus fort. Sie stellen einen „Antimodernismus mit modernen Mitteln“ dar. Andererseits kann man ihnen nicht absprechen, dass sie Menschen für die Nachfolge Jesu zu begeistern versuchen…“ Aber mit der Tendenz: das eigene kritische Denken ausschalten, wenn man denn so glaubt, wie es diese „Erneuerungsbewegungen“ propagieren…

14. Erinnern oder Vergessen/Verdrängen?
Franco ist 50 Jahre tot, aber seine Ideologie und die Ausstrahlung seiner „Persönlichkeit“ auf Rechte und Rechtsradikale sind noch lebendig. Dies ist auch begründet im „Pacto de olvido“ (dem Pakt des Vergessens), einer ungeschriebenen Vereinbarung, Institutionen oder Einzelpersonen für ihre Handlungen während des Regimes nicht zu verfolgen oder zu bestrafen. Der Pakt sollte den Übergang zur Demokratie nach dem Ende der Diktatur erleichtern, die Rechten meinten so, eine Amnestie zu erhalten für alle ihre Verbrechen in der Franco-Zeit, Linke dachten daran, auf diese Weise ihre Gefangenen frei zu bekommen.

„So wurde etwa festgestellt, dass Spanien nach Kambodscha das Land ist, in dem es die meisten Opfer des »erzwungenen Verschwindens« gibt – bis heute sind noch immer mehr als 114.000 Opfer der franquistischen Repression nicht exhumiert. Die wichtigsten Forderungen der Gedächtnisbewegung lauten »Verdad, Justicia y Reparación« – Wahrheit, Gerechtigkeit, Wiedergutmachung“. Quelle Prof. Georg Pichler, Madrid, LINK

Immerhin konnten ich sehr langen, sehr heftigen Debatten Francos sterbliche Überreste im Jahr 2019 aus der monumentalen Basilika im „Tal der Gefallenen“ exhumiert und auf einem kleinen Friedhof bei Madrid untergebracht werden. Diese Basilika sowie die monumentale Gedenkstätte mit ihrem 150 Meter hohen Steinkreuz wurden von Franco errichtet, sie haben Jahrzehnte lang politische und gesellschaftliche Spannungen verursacht.
Dieses monumentale „Gotteshaus“ im sogenannten „Tal der Gefallenen“ wird allerdings weiterhin für Gottesdienste genutzt. Auch die Benediktinergemeinschaft auf dem Gelände der Gedenkstätte wird dort in den Madrider Bergen bleiben. Darauf hätten sich die spanische Regierung und der Vatikan geeinigt, sagte Madrids Erzbischof José Cobo laut spanischer Medienberichte.  Quelle: LINK  . Zur Abtei LINK

15. Die Katholische Kirche in Spanien heute –  einige Statistiken
Die Volksreligion und die eher abergläubische Volksfrömmigkeit sind noch heute lebendig, werden aber auch als Folklore verstanden und als Touristenattraktion zelebriert („Semana Santa“, Ausstellung von Reliquien und heiligen Knochen, Verehrung eines Kelches, aus dem Jesus – angeblich – getrunken hat, in Valencia, und so weiter und so weiter .. bis heute). Die Volksreligion wird auch aus kommerziellen Gründen noch am Leben gehalten und von Priestern unterstützt. Juan Goytisolo, einer der wichtigsten Autoren Spaniens, schreibt: “Kirchliches Andachtswesen und Folklore durchdringen sich in Spanien zu einem unlöslich christlich – heidnischen Phänomen“ (in: „Spanien und die Spanier“, Suhrkamp 1982, S. 219)…Man sollte auch sagen: Hier wird Religion gegen Vernunft und Einsicht gestellt.

Das Resultat der Symbiose Franco – Kirche: Der Abschied der SpanierInnen von dieser Kirche ist radikal: 1965 nannten sich 98 Prozent der Spanier katholisch. 2025 waren fast nur noch die Hälfte, nämlich 55 Prozent. Quelle: LINK https://www.newtral.es/evolucion-catolicismo-espana/20250422/
Weitere wichtige Quellen zum Thema: LINK :
Auch wichtig zum Niedergang der katholischen Kirche in Spanien:  LINK: „Die katholische Kirche in Spanien steht vor einer immer offensichtlicher werdenden Herausforderung: der Überalterung des Klerus und dem Mangel an Nachwuchs. Nach aktuellen Angaben der Spanischen Bischofskonferenz liegt das Durchschnittsalter der Priester in vielen Diözesen bereits über 65 Jahren, und in einigen ländlichen Gebieten ist es nicht ungewöhnlich, dass achtzigjährige Pfarrer aufgrund fehlender Nachfolger weiterhin im Dienst sind. Der Rückgang der Priesterberufungen ist ein seit Jahrzehnten anhaltender Trend. Während in den 60er und 70er Jahren die Seminare voll waren, ist die Zahl der neuen Seminaristen heute sehr gering. Im Jahr 2024 beispielsweise gab es landesweit nur noch knapp 1.000 Seminaristen, eine Zahl, die im Gegensatz zu den mehr als 7.000 im Jahr 1990 steht.“ Quelle: LINK

„Ungläubig“ oder „atheistisch“ nannten sich im Oktober 2021 39,9%, also mehr als ein Drittel der Bevölkerung. 1978 waren es nur 8,5% der Bevölkerung, die sich atheistisch nannten.
Das ist entscheidend: Unter den Jugendlichen bezeichneten sich 2021 nur noch 28,2% als katholisch. Und die jungen Menschen sieht man selten noch in der Sonntagsmesse… Zur Teilnahme an der Messe unter den Katholiken aller Altersgruppen: Im Jahr 2021 sagten 56,8%, niemals an der Sonntagsmesse teilzunehmen, im Jahr 1983 waren es nur 22,2%. Die Zukunft der katholischen Kirche in Spanien, wie überall in Europa, ist also düster…Und die Kirchenführung will nicht anerkennen, dass sie vor allem mit ihren uralten Dogmen und ihrer rigiden Moral die Gläubigen aus der Kirche treibt, also mitschuldig ist am zahlenmäßigen Verschwinden der Kirche, selbst wenn noch viele Klöster und Kathedralen – oft wie Museen – das Bild der Städte bestimmen. Die katholische Theologie als Wissenschaft verliert immer mehr an Bedeutung, wie überall in Europa, auch in Deutschland. Das Opus Dei leitet eine theologische Fakultät an seiner Universität in Pamplona.
Zusammenfassend.

Ein Kommentar der Politologin Stefanie Claudia Müller (Madrid): „Weil es während der Diktatur offensichtlich enge Verbindungen zwischen Franco, seinen Anhängern und der streng kirchlich konservativen Gemeinschaft „Opus Dei“ gab, haben sich viele Spanier von der Kirche abgewandt. Wer für die Republik ist, stellt sich heute immer noch meist gegen die Kirche. Die Zahl der Monarchie-Gegner, die im König die Fortführung der Diktatur sehen, nimmt nach jüngsten Umfragen vor allem an den Universitäten zu. Nach dem Ende der Diktatur wurde die Kirche trotz der ihr in der Verfassung zugewiesenen neutralen Rolle von verschiedenen Interessengruppen politisiert, was sie ebenfalls Mitglieder gekostet hat“. Quelle:„Herder-Korrespondenz” 2019: LINK

Unser Kommentar zum Schluss: Der Nationalkatholizismus in Frankreich jetzt und die Bindung von Katholkien an rechtsextreme Parteien in Spanien heute sowie das “National-Christentum” von Trump und Co. gefährden und zerstören nicht nur die Demokratie, sie zerstören auch die Möglichkeit, eine moderne katholische Kirche zu gestalten. Es sind die konservativ – bürgerlichen Kreise, die noch zu dieser Kirche halten. Diese Kreise werden aber in heftigen Krisenzeiten dann doch eher nach Rechtsextrem sich orientieren. Diese Kirche, wie am Beispiel Spaniens gezeigt, wird langsam, aber sicher zu einer verschwindenen Organisation, die als Sekte am Rande noch überlebt.

FUßNOTE 1. Antonio Gómez Modelan, La iglesia católica y otras religiones en la Espana de hoy“, Ediciones VOSA, noviembre 1999.

FUßNOTE 2: Der Gründer von Alianza Popular, des späteren Partido Popular (PP), ist Manuel Fraga, war während der Diktatur Informations- und Tourismusminister, sein Nachfolger an der Parteispitze ist José María Aznar, auch er familiär mit Franco verbunden. Der ehemalige Innenminister und EU-Parlamentarier Jaime Mayor Oreja, einst Sprecher des PP im Europaparlament, sagte zur Franco-Diktatur in einem Interview im November 2007: »Warum sollte ich den Franquismus verurteilen, wo doch viele Familien ihn ganz natürlich und normal erlebten? (…) Es war ein Zustand außergewöhnlichen Wohlbehagens.« Quelle: Prof. Georg Pichler, Madrid, LINK

PS: Über die sehr schwierige Situation der Protestanten, Juden und Muslims und die wenigen sich atheistisch nennenden Spanier unter Franco (!) folgen später Hinweise.

Copyright: Christian Modehn, religionsphilosophischer-salon.de

Es ist kein Gott: Sagt Christus … zu Jean Paul

Hinweise von Christian Modehn am 17. Oktober 2025 zum Gedenken an Jean Paul anläßlich seines 200. Todestages am 14.11.2025.

1.
Wieder ein philosophischer „Gedenktag“, ein „Tag zum Nachdenken“: Vor 200 Jahren, am 14. November 1825, ist der Dichter Jean Paul gestorben. Wir kommen ins Nachdenken angesichts seines kurzen Textes: „Die Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei“, veröffentlicht im Jahr 1796. Eine Dichtung, die als blasphemisch gedeutet wurde und wird.

2.
Der Dichter Jean Paul, eigentlich Jean Paul Richter, (geboren am 21.3.1763 in Wunsiedel, gestorben am 14.11.1825 in Bayreuth) hat 1796 Jesus Christus verkünden lassen: „Es ist kein Gott“. Christus habe Gott gesucht, auch im Universum, im weiten All, Gott aber nirgendwo gefunden. Und die Leute fragten: „Jesus! Haben wir keinen (Gott)Vater?“ Und Jesus „antwortete mit strömenden Tränen“: „Wir sind alle Waisen, ich und ihr, wir sind ohne Vater.“ Am Ende dieses Textes sagt Christus: Es gibt „keine heilende Hand und keinen unendlichen Vater.“ Die Menschen sind allein gelassen, ohne „letzte Geborgenheit“, „metaphysisch und religiös obdachlos“, sagen manche heute, haben niemanden im Himmel, der ihre Gebete hört und erhört.

3.
Im Vorwort zu seinem kurzem Text entschuldigt sich Jean Paul gleich, ein atheistisches Thema anzustimmen. Aber irgendwie drängt es ihn dann doch, das, was so viele spüren und denken und sagen, den Atheismus nämlich, öffentlich zur Sprache zu bringen. Man möchte meinen, Jean Paul habe den Atheismus selbst erlebt, sonst hätte es ihn nicht gedrängt, darüber zu schreiben.

4.
Die “Rede Christi“, von Jean Paul formuliert, hat immer für heftige Irritationen gesorgt. Sie bringt die Erfahrung weiter Kreise vom Verschwinden des klassisch vorgestellten Gottes „auf den Punkt“. Wie viele fühlten sich dem Nichts ausgesetzt, der totalen Leere, der Sinnlosigkeit, dem Nihilismus, dies ist ein Begriff, der damals „erfunden“ wurde. Denn wenn Gott – Vater im Himmel nicht mehr lebt, ist auch die Menschwerdung seines Sohnes sinnlos, die Erlösung wird sinnlos, die Kirche, die diese Erlösung lehrt, wird überflüssig usw.: Die ganze vertraute Glaubenswelt und Kirchenwelt bricht zusammen. Durch die Aussage „Es ist kein Gott“ ist ein tiefster Einschnitt vollzogen in den selbstverständlichen Kirchenglauben an Gott. Und diese Aussage wird um so gewaltiger, weil es ja Christus ist, der sagt „Es ist kein Gott“.

5.
„Es ist kein Gott“: Das war schon im 18. Jahrhundert „allgemeine Mentalität“, in Frankreich oder England schon seit langem radikaler öffentlich gemacht als in Deutschland. Aber Jean Paul kann die Mentalität „Es ist kein Gott“ nicht ignorieren, er muss sie bearbeiten. Überraschend ist dann doch: Jean Paul will nicht als Atheist oder als Nihilist dastehen! Er zieht sich dann aus der Affäre, hat also Angst, selbst in den Atheismus zu versinken. Deswegen schreibt er am Schluss seines Textes: Die Rede Christi vom toten Gott war ja nichts als … ein Traum: Jean Paul behauptet: „Als ich vom Traum erwachte: Meine Seele weinte vor Freude, dass sie wieder Gott anbeten konnte – und die Freude und das Weinen und der Glaube an ihn waren das Gebet“.

6.
Für Jean Paul darf der Atheismus „Es ist kein Gott-Vater“ deswegen keine letzte Realität sein. Der Dichter schätzt die Emotionen, als „das Weinen, die Freude, die Gebete“ höher ein als die rationale Erkenntnis des Für und Wider der „Existenz” Gottes. Gefühle sollen für Jean Paul den Glauben an Gott lebendig halten. Er ist zwischen rationaler Erkenntnis „Es ist kein Gott“ und dem Gefühl „Ich bin in Gott geborgen“ hin und her gerissen. Seine Sympathie gilt dem Gefühl.

7.
Vom Thema „Der tote Gott“ ist Jean Paul schon lange, seit 1789, bewegt. Sein Problem als Dichter war: Darf er sogar Christus „Es ist kein Gott“ verkünden lassen oder soll das doch, harmloser, eher ein Dichter, etwa Shakespeare, übernehmen? Darüber hatte Jean Paul gerungen. Und sich dann entschieden: Christus muss sagen: „Es ist kein Gott.“
Als Sohn eines Pfarrers hatte Jean Paul 1781 das Theologiestudium in Leipzig begonnen… und dabei wandte er sich ab von der rational – argumentierenden, vernünftigen Gotteslehre. Die Gottesbeweise hatten für ihn keine überzeugende Kraft: Wenn von Gott überhaupt noch die Rede sein kann, dann im Erleben der Natur oder in den Erfahrungen mit der schönen Kunst. Und vor allem: Im religiösen Gefühl. In dieser Überzeugung war Jean Paul mit dem Philosophen und Kant – Kritiker Friedrich Heinrich Jacobi (1743 – 1819) verbunden.

8.
Wenn Jean Paul seinen Christus sagen lässt: „Es ist kein Gott-Vater“, könnte man eine Verbindung sehen zum Tod Jesu am Kreuz: Er schreit, so berichten die Evangelisten Matthäus und Markus gleichlautend laut: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Matthäus 27,46 und Markus 15,34). Im letzten Moment seiner Hinrichtung sieht sich Jesus, der Gerechte, der Menschenfreund, der Gott einst seinen „lieben Vater“ nannte, von diesem Gott verlassen. Man möchte meinen: Gott ist für Jesus jetzt tot, er ist ihm entschwunden, nicht wirksam, nicht wirklich, lebendig. Im Sterben und Tod Jesu stirbt für Jesus auch der „altbekannte“ Gott Jesu, also der Gott der Bibel, der Gott der Gesetze und Gebote und Riten, zu Jesu Zeiten also der Gott des „Alten Testaments“. Eine ketzerische Überlegung, aber in der Philosophie ist sie selbstverständlich normal und erlaubt. Weil so der Denkraum eröffnet werden kann, man kann wieder das Zentrum der Weisungen Jesu wieder ernst nehmen: Die Praxis der Nächstenliebe sei alles entscheidend, sie ist wichtiger als die theoretischen dogmatischen Lehren von Gott: Wegen dieser Praxis der Nächstenliebe wird Jesus verurteilt, und deswegen stirbt er am Kreuz und mit ihm der Gott der Lehren, Gesetze, Dogmen. Karfreitag müßte also neu verstanden werden.

9.
Über die Wirkungsgeschichte der Aussage „Gott ist tot“ durch Jean Paul wäre ausführlich zu sprechen. Man müsste an den liberalen protestantischen Theologen Friedrich Schleiermacher erinnern: Schleiermacher wollte den Glauben im Gefühl„verankern“, Gott, so wörtlich, im „Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit“ spürbar werden lassen. Das Wesen der Religion definierte er als Anschauung und Gefühl, nicht aber als kritisches Denken.

10.
Man müsste in unserem Zusammenhang die Literatur der Romantik weiter diskutierten, etwa die „Nachtwachen des Bonaventura“ von E.T.A. Hoffmann. Friedrich Nietzsche hat in seiner „Fröhlichen Wissenschaft“ (Nr. 125) sehr deutlich den Tod Gottes verkündet: Allerdings war für Nietzsche dieses erschütternde Ereignis nur ein Durchgang zu etwas Größerem, in seiner Sicht Hilfreichen, nämlich der Ankunft der Übermenschen und des Glaubens an die „ewige Wiederkehr des Gleichen“. Das alte Gottesbild als dogmatischer „Sinnstifter“ musste getötet werden, um Raum für Neues zu schaffen…

11.
Man könnte sich auch wieder einmal an den Atheismus des katholischen Schriftstellers Reinhold Schneider erinnern, der in schwerer Krankheit bei einer Reise nach Wien von seiner Erkenntnis der verfehlten Schöpfung spricht: in „Winter in Wien“ 1958 veröffentlicht, spricht Reinhold Schneider seine Erfahrung aus: „Christus kann uns nicht helfen, er ist unsere tödliche Freiheit“, Link.

12.
„Es ist kein Gott“ – diese Erfahrung Jean Pauls darf nicht nur ein Thema der Philosophie – und Literaturhistorie sein. An einem Gedenktag fragen wir weiter: Welcher Gott wird da eigentlich für tot erklärt? Der Herr der Welten, der Allmächtige, der zugleich der All-Barmherzige sein soll? Dieser Gott, der angeblich immer Wunder tut, also in die Gesetze der Natur eingreift, mal hier, mal dort ein Wunder tut, mal hier mal dort ein Bittgebet erhört, dieser Gott ist tot. Diese Frage wird wichtig: Die nach einem „bergenden Sinngrund“, nach einer schöpferischen „Kraft“, diese Frage ist offen und bleibt dringend. Sie ist der Versuch, Gott heute vernünftig zu „übersetzen“. Einige TheologInnen der Kirchen sehen wohl allmählich ein, dass ihre alten dogmatischen Lehren, in der sie so unglaublich viele Details von Gott zu wissen vorgeben, existentiell nicht mehr gelten und vor dem vernünftigen Nachdenken von Menschen des 21. Jahrhunderts keinen Bestand mehr haben können. Ein Gott, der den Namen verdient, lässt sich nicht umgreifend erfassen und definieren. Das wusste schon Jesus, und er lehrte: Die alles entscheidende Verbindung des Menschen zu einer göttlich zu nennenden Wirklichkeit ist … die Praxis der Liebe, der Gerechtigkeit, des Friedens. Und diese Praxis ist schwerer zu leisten als die Theorie am Schreibtisch der TheologInnen oder in den Büros der Kirchen-Bürokratie.

13.
Sollten religiöse Menschen, etwa Christen, also von Atheisten lernen, sich vom Tod Gottes berühren und verändern lassen? Natürlich, das zeigen die Hinweise in Punkt 12. Die verschiedenen fragen und Einsichten der „Atheisten“ machen die Begrenztheit der dogmatischen Aussagen über Gott deutlich. Die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Formen des Atheismus kann also zu einem vernünftig noch möglichen Glauben an den „letztlich“ unbekannten Gott führen. Vielleicht treffen sich dann Atheisten und Glaubende im Schweigen vor einem unendlichen, nicht greifbaren Geheimnis des Lebens und handeln gemeinsam zugunsten der Menschlichkeit, der Geltung der universellen Menschenrechte…Und: Es gibt selbstverständlich nicht “den” Atheismus, sondern viele Formen der Ablehnung eines Gottes, eines höchsten Wesens, eines Gott – Vaters, eines Gott-Menschen usw. Und es gibt selbstverstädnlich den Atheismus der Lebenspraxis: Dies ist der totale Egoismus, der Nationalismus, der Rassismus, die Homophobie… Für Christen: Es ist falsch zu meinen, die Teilnahme am Gottesdienst (an der Messe) sei wichtiger als die Praxis der Nächstenliebe, das Tun des Gerechten. Es gibt in dem Sinne “fromme”, “praktizierende” christliche Atheisten. Man lese in den zentralen Text des Neuen Testaments, der die Überzeugung Jesu von Nazareth klar zum Ausdruck bringt: Matthäus, 25. Kapitel, die Verse 35-36. Diese Überzeugung wird übrigens vom Philosophen Kant in seiner “Religionsschrift” unterstützt: „Es gibt nur eine Religion des guten Lebenswandels“ (S. 236, in der Ausgabe des Meiner Verlages, 2003). Es sind Menschen, die Kant die „Wohldenkenden“ nennt (S. 238). Sie folgen einzig dem Gewissen als der „sich selbst richtenden moralischen Urteilskraft“ (S. 251). Der wahre Gottesdienst ist also die dem Gewissensurteil entsprechende gute Tat, gelebt in guter Gesinnung. LINK

14.
Ist die Flucht Jean Pauls ins religiöse Gefühl eine treffende und eine gültige Antwort? Eigentlich banal daran zu erinnern: Gefühle gehören zum Charme des menschlichen Geistes, sind Ausdruck der Kraft der Seele, klassisch gesprochen. Aber Gefühle werden von Menschen immer auch gewusst: „Ich liebe dich“ ist eine Aussage des Gefühls und gleichzeitig hoffentlich auch der Reflexion, auch der Vernunft. Liebe ohne Vernunft ist blind, nur Liebe mit Gefühl ist menschlich. Gerade in den Religionen müssen religiöse Gefühle immer von vernünftigen Überlegungen begleitet sein und selbstverständlich auch von der Vernunft korrigiert werden. Wer sich gefühlvoll unmittelbar religiösen Bildern aus alter Zeit hingibt, etwa Bildern und Metaphern der Bibel, schränkt sein Leben ein. Wer etwa behauptet: „Jesus hat keine Frauen zu Aposteln erwählt, also darf es 2000 Jahre später keine Frauen als Priester geben“, der überträgt naiv religiöse Überlieferungen und Bildern unreflektiert ins Heute, nur die männlichen Kleriker können sich an dieser Ideologie erfreuen… Die Vernunft weiß: Nur religiöse Meinungen, die Menschen zur Befreiung, zum geistigen Wachstum und zur seelischen Reife führen, sind authentisch und noch aktuell relevant. Wer, wenn nicht die Vernunft kann sich wehren, wenn Menschen meinen, im Himmel sei Jahrmarkt und Blödsinn über die Religionen verbreiten? Religionen brauchen zur Kritik und Selbstkritik nicht andere religiöse Überzeugungen, sondern eine allgemeine, universell gültige Vernunft. Von daher sind viele der stetig wachsenden christlichen charismatischen Kirchen und Pfingst – Bewegungen zu kritisieren genauso wie die evangelikalen, in ihrer fundamentalistischen Bibelinterpretation erstarrten Kirchen. Von den fundamentalistischen Bewegungen im Judentum, Islam, Buddhismus, Hinduismus usw. muss natürlich auch gesprochen werden. Auch sie werden immer heftiger, weil so viele Menschen sich in gefühlvolle Illusionen stürzen: Sie meinen, dort von ihren tiefen seelischen Erschütterungen geheilt zu werden. Aber das Gegenteil ist der Fall.

15.
Wie ist die Erfahrung des Nihilismus zu denken, als Erfahrung des Nichts? Ist das absolute Nichts überhaupt denkbar? Ist der totale unendliche Raum des Nichts nicht immer noch „letztlich“ Etwas? Ist nicht immer noch der Mensch, der das Nichts denkt, noch „im Sein“, also noch lebendig? Kann das Nichts überhaupt radikal gedacht als „Wirklichkeit“ verstanden werden? Sicher nicht. Das Nichts ist eben nichts.
Was bleibt: Mit Nihilismus ist zuerst die radikale Abweisung von vorgegeben Dogmen und Ideologien gemeint. Auch deren Zerstörung, wenn sie Unheil anrichten und den Frieden unmöglich machen, die gerechte Weltordnung verhindern, wie der Nationalismus, der Faschismus, der Klerikalismus… Der Nihilismus, sozusagen richtig dosiert, kann als kritische Bewegung des Nein – Sagens der Vernunft Raum schaffen für ein offeneres, befreites Denken, für ein menschenwürdigeres Leben.

Zum Text Jean Pauls: «Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sei», später dem «Siebenkäs» als «Erstes Blumenstück» zwischen dem Kap. 8 und 9 eingefügt (Jean Paul: Werke in drei Bänden, hg. von N. Miller, München 1969, Bd. 1, S. 643).

Der kurze Text selbst: LINK

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

 

 

 

Ich habe nur „meinen“ Gott …

Der Soziologe Ulrich Beck lässt sich von Etty Hillesum inspirieren
Ein Hinweis von Christian Modehn am 24.9.2025

1.
Ihre „eigene Religion“ haben Menschen sogar inmitten der Säkularisierung der westlichen Welt entwickelt. Das Bekenntnis heißt: „Ich habe mir meine eigene Religion gestaltet (manche sagen `gebastelt).“ Oder: „Ich lebe meine Spiritualität, meine Religiosität, also eine, die zu mir passt und die mir gehört.“

2.
Die „eigene Religion“ wurde in gewisser Weise auch einst, in Zeiten intensiv erscheinender Kirchenverbundenheit gelebt – inmitten der fest strukturierten Konfessionen. Aber dabei wählten die Frommen einzelne Aspekte INNERHALB dieser vorgegeben Konfession und ihrer Traditionen bzw. Dogmen aus: Man verehrte etwa heftig die „Gottesmutter Maria“ oder war von der Erlösung durch das Kreuz Christi bis zu Tränen gerührt begeistert. Aber an dem offiziell vorgegebenen dogmatischen Rahmen rüttelten diese Frommen nach außen hin nicht, das taten nur wenige Häretiker und Schismatiker.

3.
Jetzt geht es um etwas viel Radikaleres: Es geht um die religionsphilosophisch interessante Tatsache: Menschen sagen explizit:Wir schaffen uns selbst unsere eigene Religion, den eigenen Glauben, den je-eigenen, „meinen“ Gott.

4.
Auf dieses Thema machte im Jahr 2008 auch der Soziologe Ulrich Beck aufmerksam. Ein spezielles Interesse an der inneren Welt des Christentums war in seinem umfassenden Werk nie deutlich hervorgetreten. Nun aber versammelte er Aufsätze unter dem Titel “Der eigene Gott. Friedensfähigkeit und Gewaltpotential der Religionen“, erschienen ist das Buch im „Verlag der Weltreligionen“. Und das erste Kapitel dieses komplexen religionssoziologischen Buches findet unser besonderes religionsphilosophisches Interesse: Dieses Kapitel hat den Titel: „Das Tagebuch des `eigenen Gottes`: Etty Hillesum, eine unsoziologische (sic) Einleitung.“

5.
Es ist also erstaunlich, dass sich ein renommierter Soziologe, der sich selbst „ungläubig“ nennt, auf ein spirituelles Tagebuch einlässt. In ihrem „Tagebuch“ fasst die junge niederländische Jüdin vom März 1941 bis September 1943 ihr Leben selbst in Worte, sie will Klarheit für sich selbst und über sich finden und dabei spricht sie unmittelbar, ohne „Filter“, von ihrer Hoffnung, ihrem Glauben inmitten der Verfolgung durch die Nazis. Und das ist das Bemerkenswerte: Sie spricht ausdrücklich, wie sie schreibt, von dem „Allertiefsten, das ich der Einfachheit halber als Gott bezeichne“.

6.
Nur ganz kurz: Etty Hillesum wurde am 15.1.1914 in Middelburg , Niederlande, geboren, sie war schon als junges Mädchen, in einer liberalen jüdischen Familie geboren, literarisch interessiert; von einem Psychologen wurde sie angeregt, Tagebuch zu schreiben. Sie spricht ihr Leben aus während der Besetzung der Niederlande durch die Deutschen, die Nazis, und sie begann im März 1941, Tagebuch – Einträge zu verfassen. Seit dem 6.6.1943 wurde sie im Nazi – Lager Westerbork festgehalten, am 7.9.1943 wurde sie mit ihren Eltern nach Auschwitz deportiert; am 30. November wurde sie dort (im Alter von 29 Jahren) von Nazis und ihren Helfern ermordet. Sie wusste, dass ihre Tagebücher von bleibendem Wert sind und überließ ihre Texte noch rechtzeitig einer Freundin in den Niederlanden.

7.
Der weltweit viel beachtete Soziologe Prof. Ulrich Beck (1944-2015) ist über die Tagebuchnotizen Etty Hillesums nicht nur höchst erstaunt. Man möchte sagen, er ist von ihnen tief berührt, wendet er sich doch wie in einem Brief an die junge Frau mit der Anrede „Liebe Etty“ (S. 26). Was findet Beck so wichtig? Inmitten der Verfolgung und Ermordung der Juden ist Etty Hillesum überzeugt: Gott ist in ihrer eigenen Seele sozusagen als das Beste und Wertvollste anwesend. Dieses Beste und Wertvollste wird dabei als ihr eigener Gott verstanden und hoch geschätzt; es ist nicht der Gott im fernen Himmel, nicht der allmächtige Herr der Schöpfung. Betty Hillesum spricht auch zu ihrem inneren Gott, zu einer inneren Präsenz in ihrem Leben. Und dabei weiß sie etwas Überraschendes: So wie sie als einzelner Mensch hilflos ist angesichts der Vernichtung der Juden, so glaubt sie auch: Ihr eigener Gott ist ebenso hilflos. Aber Etty Hillesum braucht dieses innere Gegenüber, diesen menschlichen Gott, nicht etwa nur, um ins philosophische Nachdenken zu kommen. Sie braucht ihren Gott, weil sie weiß: Gott gehört zu ihr wie eine Art Gesprächspartner. „Aus dem Selbstgespräch Hillesums entwickelte sich ein Gespräch mit einem eigenen Gott. Sie erhoffte sich keine Rettung. Sie sah ihren Gott als hilflos. Sie war es, die Gott helfen musste, damit er seine Stimme in der Katastrophe des Holocaust nicht verliert“, sagt Ulrich Beck in einem Interview (von Sven Hillenkamp) mit dem „Tagesspiegel“ vom 20.7.2008. Und in dem genanten Buch schreibt Beck: „Es ist der Gott, der in der endzeitlichen Katastrophe ohnmächtig und heimatlos ist. Der Gott, der die Menschen braucht, um nicht unterzugehen… Der hilflose Mensch muss den hilflosen Gott in sich bewahren, retten.“ Etty Hillesums klammert sich förmlich an die Erfahrung: Dieser mein Gott ist in mir, er gehört zu mir, er ist das `Produkt` meiner Seele. Aber dieser „mein Gott“ darf nicht untergehen, nicht verschwinden angesichts von Verfolgung und Mord. Ulrich Beck: „Etty Hilversum findet Trost und Würde (nicht Sicherheit!) in der Intimität des eigenen, hilflosen Gottes, in der Gott selbst zum Fragenden wird, der keine Antwort weiß.“(S. 23).

8.
Ulrich Beck fasst die Erfahrung und die Erkenntnis Etty Hillesums zusammen: „Liebe Etty… Sie haben Gott in ihre eigenen Hände genommen… Denn vorher wurde man in eine Amtskirche hineingeboren… sie sind auf die Idee verfallen, etwas mehr erlangen zu wollen, über die Fügsamkeit predigende Kollektivreligiosität hinaus…“(S. 25).

9.
Der Soziologe Ulrich Beck hat sich
auf Etty Hillesums Tagebücher durchaus voller Sympathie eingelassen, sie waren wohl für ihn auch ein Erkenntnisgewinn… Denn er deutet die zentrale Aussage Hillesums als deutlichen Hinweis auf die religiöse Situation heute: Faktisch orientieren sich in Europa und Amerika nicht mehr gehorsam an den vorgegebenen Dogmen und Lehren. Sie (er)finden ihre eigene Religiosität und damit (er)finden sie auch ihren „eigenen“ Gott. „Mir ging es bei Etty Hillesum darum zu zeigen, dass der eigene Gott nicht als Esoterik abgetan, sondern als eine neue historische Form der Religiosität begriffen werden muss. Ich will die Individualisierung Gottes als soziologisches Phänomen ernst nehmen“, so im genannten Interview mit dem „Tagesspiegel“.

10.
Aber was bedeutet die „Individualisierung Gottes“ für theologische und philosophische Überlegungen?
Theologisch und damit auf die Kirchen bezogen nur der knappe Hinweis: Faktisch leben heute sogar kirchengebundene Christen ihre eigene Religiosität und entdecken auch in ihrer Seele ihren je – eigenen Gott. Man untersuche etwa die Spiritualität von Frauen, die noch mit der katholischen Kirche verbunden sind…Viele andere geben hingegen – dogmatisch befreit – ihre konfessionelle Bindung auf, aber sie werden nicht „Atheisten“, sondern leben ihren eigenen Gott. Natürlich gibt es auch Christen, die es mit ihren traditionellen dogmatischen Glaubensbekenntnissen und der Kirchen-Moral noch ernst meinen.

11.
Für die Christen, die ihren eigenen Gott entdecken, stellt sich theologisch und religionsphilosophisch die Frage, die dann doch ins Normative führt: Ist „mein“ Gott eine Wirklichkeit, die wichtigen Charakteristika Gottes gerecht wird, wenn denn der Begriff und irgendwie noch klassisch überlieferte Titel „Gott“ noch einen Sinn macht. Über die wahrhaftig ausgesprochene Gotteserfahrung Etty Hillesums soll hier nicht geurteilt werden. Nur so viel: Ihr “eigener Gott” bedeutet ihr so viel, dass sie auf keinen Fall das Verschwinden Gottes inmitten des Nazi – Mordens zulassen will: Es ist eben Gott und nicht nur ihr eigener Gott, den sie nicht sterbend erleben möchte.
Um bei der Frage nach einem normativen Kriterium zu bleiben: Andere religiöse Menschen werden sich – normativ – fragen: Ist mein Gott eine Wirklichkeit, die mich zu einem umfassenden humanen Leben wirklich befreit, mich zur Selbst -Liebe wie zur Liebe der anderen, auch der Nächsten, ermuntert, wie auch zum Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden. Oder ist dieser „mein“ Gott doch nur eine Art ideologische Bestätigung meines üblichen Lebensmodells, das Egoismus und Nationalismus und Krieg als oberste „Werte“ wie Götter hochschätzt.

12.
Theologisch und religionsphilosophisch wird man wohl auf die Frage nach dem Normativen in der Auseinandersetzung mit „meinem“ individuellen Glauben nicht und niemals verzichten können. Und die Frage bleibt, in welcher Form unterschiedliche Menschen unterschiedlichen Glaubens (an den je „meinen” Gott) eine Gemeinschaft formen können.
Aber die kritischen Normen für eine über das Subjektive hinausgehende Beurteilung der vielen je – meinigen Religionen können niemals den Religionen und Kirchen selbst entstammen. Diese kritischen Normen können nur in allgemein gültigen philosophischen Erkenntnissen begründet sein, man denke etwa an den Kategorischen Imperativ von Immanuel Kant.

13.
Das führt weiter: Menschen sind mit dem förmlich absolut im geistigen Leben präsenten „Kategorischen Imperativ“ – sozusagen unauslöschlich – „ausgestattet“? Weist der gelebte „kategorische Imperativ“ in seiner universellen Bedeutung nicht in die Richtung einer geistigen, aber unkirchlichen, deswegen eher unbeholfen zu nennenden „säkularen Heiligkeit“? Wobei Heiligkeit nicht mit dem klassischen Gottesbegriff verbunden ist, sondern einfach die Unantastbarkeit eines jeden Menschen meint, seine Würde, die dann zur Forderung der wesentlichen Gleichheit aller Menschen führt. Der Soziologe UlrichBeck hat sich in seinem genannten Interview mit dem Tagesspiegel leider zu kurz, aber deutlich geäußert: „Die Menschenrechte heiligen das Individuum. In diesem Sinne stellt Amnesty International eine moderen Kirche des eigenen Gottes dar.“ Ist also dereigene Gott, den Etty Hillesum in ihrem Leiden als „meinen“ Gott in ihrer Seele entdeckte, vielleicht auch inhaltlich zu beschreiben mit den auch heute überall nur verbal behaupteten, oft niedergetretenen und mißachteten, aber trotzdem nach wie vor, „an sich“, universell geltenden Menschenrechten?

14.
Eine philosophische Reflexion zum Thema „mein Gott“ müsste sich mit dem Thema „Gott – und die Götter – durch den Menschen geschaffen“ befassen. Damit wird etwa auf Ludwig Feuerbachs “Wesen des Christentum”  verwiesen. Wir haben in einem früheren Beitrag in Auseinandersetzung mit Feuerbach zu zeigen versucht: Wenn der Mensch selbstverständlich seinen Gott schafft, dann ist dabei immer auch Gott selbst tätig dabei: In der Gestalt des Geistes im Menschen, eines Geistes, den man auch göttlich nennen kann: Der Mensch wird in einer metaphysisch orientierten Philosophie als Geschöpf eines Gottes verstanden. Und dieser Gott hat seine Schöpfung, die Welt, und damit die Menschen, mit seinem schöpferischen Geist ausgestattet. Geist ist für die klassische Metaphysik etwas Göttliches. Darum kann gelten: Die Menschen, geistvoll und kreativ, schaffen sich ihren Gott und ihre Götter: Und daran ist Gott selbst – durch seinen Geist – beteiligt.

15.
Wirklich „nur“ von Menschen gemachte Religion und Götter gibt es also nicht. Und den Menschen bleibt auch heute die dringende – auch politische – Aufgabe, einen Gott der Befreiung und Humanität von den Göttern und Götzen des Materialismus, Egoismus, Nationalismus zu unterscheiden.

In unserer Welt heute wimmelt es bekanntlich von Göttern und Götzen. Trump hat seinen Gott, aber der ist sein Götze, der ihm ständig einen guten „Deal“ zu eigenen Milliardärs – Gunsten diktiert. Putin hat seinen Götzen, den Wahn des russischen Nationalismus in russisch-orthodoxem Gewand, Neoliberale haben ihre Götzen, die ihnen ständig Wachstum um jeden Preis diktieren und dabei die universelle Gerechtigkeit ignorieren. Kann Sport, kann Fußball, zum Götzen werden? Über diese „meine“ Götter und „meine“ Götzen des Alltags wäre endlich öffentlich – etwa in so genannten Talk-Shows – zu sprechen. Wer kann sich erinnern, dass Religionen und Kirchen in den letzten drei Jahren Themen einer Talkshow im Ersten oder im ZDF waren? Diese Themen werden wohl bewusst übersehen zugunsten immer derselben Sachen mit denselben Gästen….Und die katholische Kirche – sie könnte öffentlich über ihren spezifischen Götzen debattieren, um diesen Götzen dann bitte abzuschaffen: Dieser Götze ist die Jahrhunderte alte Klerus-Herrschaft, die der Klerus – fundamentalistisch und falsch – von Jesus von Nazareth herzuleiten meint. Natürlich ist gerade auch diese Götzenkritik nicht mehr als ein absolut “frommer Wunsch“…

16.
Wo also ist Gott, „mein“ Gott, der diesen Namen Gott wirklich verdient?

Weiteres zur Auseinandersetzung mit Ludwig Feuerbach „Wesen des Christentums“: LINK. https://religionsphilosophischer-salon.de/15229_ludwig-feuerbach-vor-150-jahren-gestorben-der-mensch-erschafft-sich-gott_religionskritik

Literaturhinweise:
Die Tagebücher Etty Hillesums: „Das denkende Herz“, Rowohlt Verlag.
Sehr ausführlich: „Ich will die Chronistin dieser Zeit sein“. Sämtliche Tagebücher und Briefe. C.H. Beck Verlag.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

 

Papst Leo XIV. – neueste Entscheidungen des Allein-Entscheiders

Die jüngsten Äußerungen des Papstes sind alles andere als „zukunftsweisend“
Ein Hinweis von Christian Modehn am 19.9.2025

Wir beginnen die konservativen Stellungnahmen Papst Leo XIV. zu dokumentieren: Sie machen öffentlich das theologische Schwanken Papst Leos, hin und her, zwischen etwas Wohlwollen für “Progressives” und viel Verständnis, durchaus auch Sympathie für Uraltes, Überholtes, bloß Volkstümliches und politisch Gefährliches im Katholizismus. Das alles versteht Leo XIV. wohl als Suche nach “Einheit” im Sinne seines ständig zitierten “Ordensvaters” Augustinus aus Zeiten der Antike.

Am 23.9.2025:

Heute also beginnen wir mit des Papstes Plädoyer und Verständnis für die immer noch weltweit üblichen Teufelsaustreibungen, Exorzismen genannt,  anläßlich eines Treffens von EXORZISTEN aus aller Welt kürzlich in Rom… Dass “das Böse” vor allem auch aus dem Klerus (sexueller Missbrauch etc.) ausgetrieben werden müsste, wird vom Papst nicht gesagt… LINK:

Am 24.9.2025 :

Papst Leo XIV. ruft die Katholiken auf, im Okober täglich den Rosenkranz zu beten. Maria als Mittlerin an Gottes Thron soll gleichsam Gott bestürmen, für Frieden zu sorgen. LINK    Welcher Frieden soll denn erbetet werden? Was soll Gott bloß tun, wenn die Russisch – Orthodoxen auch ihren Gott um Frieden in ihrem Sinn bitten? Hintergrund für diese spirituelle “Friedensinitiative” des Papstes ist die tradionelle Gottesvorstellung, die auch Papst Leo teilt: Gott im Himmel lässt sich durch Maria im Himmel bewegen, als Gott – Vater Frieden auf Erden zu schaffen…Oder soll das Rosenkranzgebet doch nur eine Art seelischer Beruhigung sein? .Wir haben auf den Missbrauch von Marienliedern im Krieg hingewiesen: LINK.

Am 26.9.2025 :

Im kürzlich erschienenen Interview-Buch mit Ann Allen (USA) (auf Spanisch erschienen: “Leo XIV.: Ciudadano del mundo, misionero del siglo XXI”) sagt Papst Leo XIV., wie KNA berichtet: Es entspreche nicht dem Auftrag der Kirche und dem, was die Welt von ihr erwarte, sich ausschließlich auf das Thema sexualisierter Gewalt zu konzentrieren. Außerdem habe der Papst davor gewarnt, sich vom Missbrauchsskandal “vollständig in Beschlag nehmen zu lassen“.

Am 25. 9.2025 kritisierte der Mainzer Bischof Kohlgraf auf einer Podiumsveranstaltung im Mainzer Landtag diese Aussage des Papstes. „Der Mainzer Bischof Kohlgraf sagte in einem vorab verbreiteten Redemanuskript, einige Menschen hätten den Papst so verstanden, als wolle er die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt relativieren. `Auch ich kann an die Aussagen des Papstes zum Auftrag der Kirche und des Evangeliums zumindest ein Fragezeichen setzen`, erklärte der Bischof. “Sexualisierte Gewalt ist ein Verbrechen am Menschen und ein Verrat am Evangelium.” Denn der Auftrag des Evangeliums sei es, die Menschen zu stärken und sie entsprechend ihrer Würde zu behandeln: “Ich kann Ihnen versichern, dass wir uns im Sinne dieses Auftrags nicht zurücklehnen werden und dass es auch weiterhin unser Fokus sein wird, Verantwortung für das Versagen der Kirche auf verschiedenen Ebenen zu übernehmen.”
Die Verantwortung dürfe nicht enden, und der Weg zu einem Mentalitäts- und Haltungswechsel im System Kirche sei nicht abgeschlossen, so Kohlgraf laut Manuskript weiter. Leitend müsse dabei immer die Perspektive der Betroffenen sein. Dabei sei weiter zu schauen, wo es “blinde Flecken” gebe: “Wo wird vielleicht immer noch verharmlost, geschwiegen oder vertuscht? Dabei darf es keine Rolle spielen, ob dieser Blick unbequem ist oder fest Etabliertes hinterfragt.”
LINK.   Sogar katholisch.de berichtete über die Papst – Kritik durch Bischof Kohlgraf. LINK

Am 27.9.2025: Nun geht es um die Unfehlbarkeit des Papstes!

Jetzt wird es heftig: Papst Leo XIV. verteidigt am 27.9, erst knapp 4 Monate im Amt, die Unfehlbarkeit des Papstes. Aber auf eine sehr ungewohnte Weise: Er erklärt zunächst alle Katholiken, das ganze Volk Gottes, für unfehlbar. Aber weil für ihn diese 1,4 Milliarden Katholiken nicht mit einer einzigen Stimme sprechen können, kann diese eine wahre Stimme nur dem Papst gehören. Er ist dann sozusagen stellvertretend für alle  Kathioliken (die angeblich alle dasselbe Glauben) unfehlbar.
PS: Im Kommunismus sagte man: Der Parteiführer weiß, was die Masse der Proletarier will, er tut, was die Masse der Parteimitglieder will…

Also noch einmal, für alle, die diese sehr gewagte Äußerung des Papstes schnell als banal übersehen wollen: “Die „Unfehlbarkeit des Gottesvolkes in Glaubensdingen“ finde ihren Ausdruck in der Unfehlbarkeit des Papstes, erklärte der Papst Heilig-Jahr-Pilgern bei der Generalaudienz an diesem Samstag (27.9.2025) in Rom…. Und jetzt wird es fast komisch: Diese Unfehlbarkeit des Volkes Gottes (gemeint ist nur die katholische Kirche) sei, wo wörtlich, so etwas wie ein `Sechster Sinn`, aber gerade den sechsten Sinn hätten vor allem die einfachen, gemeint sind die ungebildeten Leute: „Gelehrte Menschen hören meist nicht auf ihr Gespür (= sechster Sinn), weil sie glauben, ohnehin schon alles zu wissen“, sagte Leo XIV. wörtlich weiter.
Also bitte: Einfach dumm bleiben, auch theologisch dumm, dann kann man dieser verworrenen Rede folgen. Die typische Verachtung des alten Augustin für die Vernunft klingt da sehr deutlich an… (Die Vernunft wurde bekanntlich für Augustin durch die Erbsünde verdorben)

Nebenbei: Papst Leo XIV. schwadronierte am 27.9. erneut, wie bei ihm immer üblich, mangels Kenntnis moderner Theologen, von den Zeiten seines „Vaters Augustinus“ im Altertum, vor allem über dessen großes Vorbild, den heiligen Ambrosius. LINK

Bitte beachten Sie auf dem Foto, siehe den genannten LINK,  die nicht gerade unbescheidene Sitz – Haltung Papst Leos auf seinem Thron bei Verkündigung dieser seiner Weisheit zur eigenen Unfehlbarkeit. Verkündet Leo XIV. bald ein neues Dogma “ex cathera”?

Inzwischen wurden 100 Sprüche von Leo XIV. veröffentlicht und sehr treffend als “mittelmäßig” bewertet. Zum Kommentar dazu: Fußnote 1……..

Inzwischen haben (pensionierte) katholische Theologieprofessoren den Mut, Papst Leo XIV. und seinen theologischen Kurs öffentlich heftig, aber treffend zu kritisieren; komischerweise weisen sie nicht auf die extreme Augustinus-Bindung und ständige Augustinus-Zitiererei durch den Papst  hin; ist der “Religionsphilosophische Salon Berlin” der einzige, der das tut? Siehe trotzdem die Stellungnahme von Prof.em. Hans-Joachim Sander, Salzburg, vom 29.9.2025, Fußnote 2.

Am 8. Okober 2025: Selbst katholische Medien, von den Bischöfen abhängig, kritisieren die schwache, ängstliche Haltung Papst Leos gegenüber dem Regime von Donald Trump. Der US-Amerikaner Papst Leo XIV. aus Chicago habe bisher nicht grundlegend und deutlich und scharf die unsägliche Politik Trumps kritisiert, schreibt  kath.de am 8.10.2027:  “Umso bedrückender ist das Verhalten der katholischen Kirche. Von den US-Bischöfen kam bislang kaum öffentlicher Widerspruch gegen diese Entwicklung (hin zur Diktatur in den USA) , und auch aus dem Vatikan hört man nur verhaltene Töne… Zwar habe Papst Leo in allgemeinen Wort die so unmenschliche Behandlung von Einwanderern in den USA kritisiert.. .Aber:  “Direkte Kritik an der Regierung seines Heimatlandes war von ihm bislang  nicht zu hören…Es reicht nicht, allgemeine Appelle zur Nächstenliebe zu wiederholen.”  Quelle: LINK 

Am 12. Oktober 2025: Papst Leo weiht die ganze Welt (!) der Jungfrau Maria, und deswegen hat er auch die Statue des Marienwallfahrtsortes Fatima in Portugal nach Rom bringen lassen. Fatima ist unter denkenden TheologInnen der umstrittenste Marien-Wallfahrtsort, viele nennen die Ereignisse dort im Jahr 1917 schlicht und einfach obskur, abergläubisch  und konstruiert. Auf dieser Spur fährt Leo also weiter, wie seine Vorgänger, die Päpste können nicht auf diesen “Volksglauben” verzichten, d.h. auf den Aberglauben, d.h. : Maria erscheint höchst persönlich mit einem Rosenkranz aus dem Himmel herunter in Fatima etc…) zu verzichten… LINK  

Am 12. Oktober 2025 lässt Papst Franziskus einen Bußgottesdienst im Petersdom feiern, weil ein Mann in aller Öffentlichkeit gegen den Hauptaltar  gepinkelt hat. Und katholische Kirchen sind Gotteshäuser, und Gotteshäuser müssen unbefleckt – sauber sein, denkt die katholische Theologie, so denkt auch Papst Leo XIV. Dass Sexualstraftäter unter den Priestern, die munter die Messe feier(t)en, die Kirchen viel mehr beflecken, entgeht den Herren im Vatikan.

Am 13. Oktober 2025: Papst Leo lobt den reaktionären, anti-modernistischen und antijudaistischen spanischen Kardinal Merry del Val (1865-1930)…Warum? Dieser Kardinal sei so bescheiden gewesen. Ein ziemlicher gefährlicher Blödsinn, was Papst Leo da sagt und tut, berichten denkende Theologen in Rom. LINK.   Aus dem Grußwort Leos an die Familie del Val: “Der Papst schloss seine Ansprache mit der Aufforderung an die Familie Merry del Val und alle Anwesenden, sich von dieser Persönlichkeit inspirieren zu lassen, insbesondere diejenigen, die im diplomatischen Bereich mit dem Nachfolger Petri zusammenarbeiten. Abschließend vertraute er diese Mission der Fürsprache der Jungfrau Maria an, der der Kardinal seine tiefe Verehrung bekundete.Quelle: LINK 

Kardinal del Val wird von den traditionalistischen Pius-Brüdern hoch verehrt! Weiß das Papst Leo?

Wenn man (am 13.10.2025) in Google sucht nach dem Stichwort “Freunde von Kardinal del Vals in Spanien heute” erhält man diese Antwort:  “Kardinal Rafael Merry del Vals „Freunde“ in Spanien zählten vor allem zu den konservativen und traditionalistischen Kreisen der katholischen Kirche und der spanischen Gesellschaft des frühen 20. Jahrhunderts, die seine monarchistischen, konservativen Ideale und seinen starken Antikommunismus teilten. Es gibt keine konkreten Informationen über ein formelles Netzwerk von „Freunden“ im modernen Sinne, doch seine engen Vertrauten zählten zu den hohen Geistlichen, Aristokraten und Politikern der Zeit, die seine politischen und religiösen Überzeugungen teilten. Konservative und katholische Kreise: Merry del Val war als Staatssekretär von Papst Pius X. eine prominente Persönlichkeit der katholischen Kirche. Zu seinen Freunden in Spanien zählten Mitglieder der kirchlichen Hierarchie und konservative katholische Laien, die seine Politik unterstützten. Gemeinsame Ideologie: Diese Affinität basierte auf seiner entschiedenen Verteidigung der Monarchie, seinem starken Antikommunismus und seinem katholischen Traditionalismus. Diese Ideen waren in den konservativeren Teilen der spanischen Gesellschaft des frühen 20. Jahrhunderts weit verbreitet. Politische und kirchliche Beziehungen: Wahrscheinlich gehörten seine Freunde zu den Bischöfen, Priestern und politischen Führern, die dieselben Werte vertraten und sich den liberalen und republikanischen Bewegungen der Zeit widersetzten.”

Am 26. Oktober 2025: Den reaktionären Katholiken hatte Papst Leo XIV. die Feier der Messe im alten lateinischen Ritus sogar im Petersdom erlaubt: Am 25. Oktober 2025 feiern sie also diese Messe dort mit sehr großer Anteilnahme der Gläubigen. Papst Leo ist sichtlich bemüht, diese reaktionären Katholiken wieder stärker in die übrige, auch nicht gerade progressive Kirche einzubinden. Das nennt der Papst dann, wie üblich schon, die augustinische Suche nach Einheit… Zur Messe im Petersdom. LINK 

Die spanische Publikation www.religiondigital.org.  hat zu dieser Messe im alten Stil einen ausführlichen kritischen Kommentar publiziert: „Die Geste von Leo XIV., Kardinal Raymond Burke zu erlauben, die Tridentinische Messe in Sankt Peter zu feiern, scheint eine Wunde zu öffnen, die niemals verheilen wird.“ Leo XIV. und die Nostalgie des Weihrauchs: Wenn die Liturgie das Volk vergisst”: LINK.
Siehe auch den Beitrag der FAZ, dort besonders das “hübsche” Foto mit Kardinal Burke: Reaktionäre Katholiken wie die Kardinäle Burke, Müller, Sarah usw. halten theatralische Inszenierungen (auf Latein!) in alten Gewändern für Gottesdienste, in denen diese gutbetuchten Herren Kleriker “das letzte Abendmahl Jesu auf unblutige Weise wiederholen”, wie die offizielle katholische Lehre noch immer behauptet… welch ein Wahn.   LINK   
……………………………………………………..
1.

Eigentlich gibt es in dieser verrückten Welt(politik) sehr viel dringendere Themen, als sich mit dem christlichen „Allein-Entscheider“, dem Papst, zu befassen. Aber weil Leo XIV. nun einmal in den vergangenen Tagen des Septembers gleich dreimal hintereinander seine sehr konservative Theologie öffentlich dokumentiert hat, dieser Hinweis. Er könnte allen, die noch der Idee eines progressiven Leo XIV. anhangen, doch helfen, auf den Boden der Tatsachen zurückzukehren und die eigene Lebenszeit besser nicht mit illusorischem Hoffen angesichts des Papsttums und des Papstes etc. zu verbringen,  zu vergeuden, hätte ich fast gesagt.

Papst Leo passt sich bestens ein in die herrschenden Mentalitäten der konservativen Wende weltweit.

In seinem ersten Interview (Buch) sagte Papst Leo gegen Ende des übermittelten Ausschnittes von kath.de: “Wenn wir uns viele Länder auf der Welt heute ansehen, ist Demokratie nicht unbedingt die perfekte Lösung für alles.”, behauptet Leo XIV. Er wehrte kurz zuvor die Vorstellung ab, auch für die katholische Kirche sei Demokratie etwas Gutes. Das ist altbekannter klerikaler Machtanspruch. Aber dieser hier schwarz markierte Satz : “Wenn wir uns viele Länder auf der Welt heute ansehen, ist Demokratie nicht unbedingt die perfekte Lösung für alles” ist in dieser Allgemeinheit schon sehr sehr verstörend, man könnte meinen, der US Amerikaner Robert Prevost/Leo XIV. verstehe etwa die Zerstörung der Demokratie durch Trump doch als eine annehmbare “Lösung”?  LINK

Wenn Demokratie nicht die “perfekte Lösung” ist, dann etwa die Autokratie, die Diktatur, die Ein-Mann-Herrschaft oder was? Welchen Unsinn redet da ein Papst. Demokraten haben nie behauptet, die “perfekte Lösung” zu haben, aber eine bessere, weil stets reformierbare Regierungsform gibt es nicht. Demokratie muss ein Autokrat, und das ist ein Papst, natürlich abwehren. Die katholische Kirche ist ja stolz darauf, keine Demokratie zu sein. Die Äußerung Leo XIV. “Demokratie ist nicht unbedingt die beste Staatsform” muss eine Schande genannt werden. Einen solchen Satz hätten auch die Päpste Gregor XVI., Pius IX. usw. sagen können, also Päpste des 19. Jahrhunderts.

Uns ist natürlich deutlich: Papst Leo spricht angesichts seiner Entscheidungen immer auch von “Beratungen”. Dabei weiß jeder: Beratungen und Diskussionen, synodale Beratungen manchmal genannt, gibt es in der katholischen Kirche, sie werden als Ausdruck “katholischer Moderne” gelobt. Aber TATSÄCHLICH entscheidet allein der Papst nach allen diesen so genannten Beratungen. Von daher ist es sehr legitim, ihn und jeden Papst einen “Allein-Entscheider” zu nennen.

2.
Die unter Nr. 3 ff. hier nur kurz erläuterten und dokumentierten jüngsten Stellungnahmen Leos bestätigen, ganz nebenbei, aber nicht ohne ein gewisses Selbstbewusstsein gesagt, was wir schon seit dem 8.Mai 2025 (Tag der Wahl eines Augustiners zum Papst) mehrfach geschrieben haben LINK: Wer als Papst mit der Theologie – und Ideologie (= Erbsündenwahn des Augustinus) – des heiligen Augustinus aus der Zeit der Antike sozusagen total verbunden ist, kann keine zeitgemäße Kirche, kann keine evangeliumsgerechte Kirche gestalten und reformieren und endlich einer Reformation zuführen.. Und: Der Augustinerorden (OSA) ist bekanntlich und nachgewiesen wahrlich keine Avantgarde (modernen) theologischen Denkens. Wenn die Augustiner Theologie betreiben, dann studieren sie in eigenen Instituten immer wieder die Werke ihres „Vaters“ Augustin…Sonst … leiten die Augustiner weltweit Pfarrgemeinden – wie die Weltpriester – oder betreuen Wallfahrtstorte. Zur Theologie der Befreiung in Lateinamerika haben sich Augustiner weder in Peru noch in Brasilien noch in Mexiko usw. geäußert. Sie sind einfach ängstlich, wollen es sich nicht mit den Hierarchien verderben. Ich freue mich auf Belege zu entsprechenden progressiven Veröffentlichungen aus dem Augustinerorden.

3.
Hier nur Hinweise auf die jüngsten Äußerungen von Papst Leo XIV.. Seine Worte zeigen, wie deutlich er die klassische Rolle eines alleinherrschenden Papstes angenommen hat, etwa wenn er sagt: „Ich werde überlegen, ich werde entscheiden“ etc., selbst wenn freundlicherweise auch das Hören auf andere behauptet wird. Warum hört er dann nicht auf die evidenten theologischen Erkenntnisse zu den von ihm geäußerten Themen?

4.
Frauen können ihre Hoffnungen bzw. Illusionen auslöschen: Das Diakonat für Frauen wird es nach den Worten des „Alleinentscheiders“ Leo nicht geben, das ist um so bemerkenswerter, weil gegen das Diakonat der Frauen absolut gar nichts theologisch -und menschlich !!! – spricht, man lese auch mal das Neue Testament zum Thema. Aber: Der uralten katholischen Dogmatik entsprechend gehören Diakone schon zum Klerus, DiakonInnen würden als Frauen dann in den Herrschaftsbereich des männlichen Klerus eintreten und — das wäre in der Sicht der geistlichen Herren ja nun wirklich furchtbar, ein Machtverlust etc. So wird also aus „Macho – Gründen“ möchte man sagen vom Alleinentscheider Papst das Diakonat aufs theologische Eis gelegt…Wie sich das mit der päpstlichen Rederei von „synodalen Wegen“ etc. verhält, steht in den vatikanischen Sternen… Und viele katholische Frauen werden wohl so klug (frustriert) sein, nun ihre Spiritualität auf neue Art zu leben – außerhalb dieses Männervereins Katholizismus.
LINK

5.
Papst Leo will unbedingt die reaktionären Kräfte in der katholischen Kirche halten, das versteht er wohl mit seiner ständigem Rede von „Einheit“. Den Traditionalisten will er jetzt entgegen kommen, so dass sie doch wieder ihre uralte lateinische Messe „guten Gewissens“ offenbar überall zelebrieren dürfen. Es ist hundertmal nachgewiesen worden: Wer die uralte Messe als Traditionalist verteidigt, der verteidigt eine ganz andere, antimoderne Theologie, anti-ökumenisch, mit starker Tendenz zu sehr rechten und rechtsextremen politischen Positionen. Das haben wir für Frankreich mehrfach nachgewiesen. Insofern folgt Papst Leo hier seinem deutschen Vorgänger im Amt, dem Joseph Ratzinger/Benedikt XIV. Er hat dafür gesorgt, dass politisch und theologische traditionalistische Kloster wie „Le Barroux“ in Süd- Frankreich sich wieder mit dem Papst versöhnten, einzige Bedingung Ratzingers war: Anerkennung des Papstes. Alles andere auch politisch rechtslastige Traditionalistische durften sie bewahren…
Und nun lieben auch so viele konservative junge KatholikInnen die lateinische Messe – etwa in Frankreich – sie lieben das Mysterium als das Mysteriöse, denn die lateinische Sprache der Messe werden sie wohl nicht so präzise verstehen. Zur päpstlichen Liebe zur alten Messe LINK

6.
Der reaktionäre Kurienkardinal Robert Sarah aus Guinea ist einer der heftigsten Feinde der Rechte von Homosexuellen und – wie die allermeisten anderen Bischöfe Afrikas – ein Feind der von Papst Franziskus möglich gemachten Segnungsfeiern von homosexuellen Paaren, diese Segnung ist absolut und total überhaupt NICHT mit einer Eheschließung zu verwechseln, wo käme der Vatikan denn dahin? Tatsache ist auch: Wer Segnungen von Homosexuellen in Afrika verteidigen würde, müsste die Menschenrechte von Homosexuellen in Afrika verteidigen, müßte sich dafür einsetzen, dass sie – wie in Uganda, Kenia, Nigeria usw. nicht länger verfolgt und diskriminiert und getötet werden. Insofern sind die feindlichen anti – gay- Äußerungen von Kardinal Sarah und Co. politisch und ethisch hoch gefährlich. Die Kirchengebote sind wie so oft wichtiger als Menschenrechte für den Klerus … das ist ein altes Thema.
Nun hat also Papst Leo in seiner großen „augustinischen“ (?) Behutsamkeit verlauten lassen, er wolle über diese doch bescheidenen Segnungsfeiern von Homosexuellen „neu nachdenken“. Sie also korrigieren… Das irritiert, hatte er doch zuvor eher die Fortsetzung der von Papst Franziskus vorgegebenen Weisungen bestätigt, etwa in Andeutungen im Gespräch mit dem Jesuiten James Martin aus den USA, der die Rechte der Homosexuellen verteidigt.

Die Stellungnahme des Papstes zur Segnungsfeier von Homosexuellen: LINK 

7.
Welchen Schluss können kritische theologische BeobachterInnen aus diesen jüngsten drei Stellungnahmen Leo XIV. ziehen? Es gibt keine Kirchenreform, die den Namen verdient, mit diesem Papst. Leo ist ängstlich, hat keinen modernen theologischen Schwung, keine eigenen vorwärts weisenden theologischen Ideen.
In den nächsten Wochen könnten sicher weitere Stellungnahmen folgen: Wir ahnen schon die Themen:„Das Zölibatsgesetz werde ich als Papst nicht abschaffen“. „Die Ökumene als versöhnte Verschiedenheit der Kirchen kommt für mich nicht in Frage“. „Die Zulassung zur Kommunion von wiederverheiratet Geschiedenen kommt für mich als Papst nicht in Frage“. „Offen homosexuelle Männer dürfen nicht zu Priestern geweiht werden“ (obwohl in den Klöstern wahrscheinlich die Mehrheit homosexuell lebt…).Und auch dies: „Die Regierung von Trump in meiner Heimat, den USA, werde ich nicht offen kritisieren“ und … dadurch die All-Macht des Diktators Trump weiter wachsen sehen..

8.
Allmählich ahnen wohl einige theologisch munter Gebliebene, warum die Kardinäle ausgerechnet den milden, behutsamen, konservativen, theologisch nun eher ungebildeten Augustiner Kardinal Prevost zum Papst gewählt haben. Wann werden Beobachter sagen – dieser Papst ist eigentlich … eine Fehlbesetzung angesichts der heftigsten Probleme dieser Welt und der Kirchen…Aber das werden nur sehr wenige katholische Theologen in dieser Deutlichkeit öffentlich – bestenfalls post mortem des Papstes – sagen, katholische Theologen und Ordensleute sind nämlich in den allermeisten „Fällen“ auch —- ängstlich, sie wollen ihre Karriere nicht behindern…

…….Fußnote 1:

Jetzt liegt bereits eine Sammlung von 100 Zitaten des Papstes Leo XIV. vor: „Der Friede sei mit euch allen“ ist der Titel, zusammengestellt hat das Büchlein (Verlag Neue Stadt, München, 2025) der Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz! Diese Publikation ist der Versuch, nicht vorhandene theologische Publikationen des Papstes Leo ein wenig durch eine Sprüche-Sammlung zu kaschieren. Man könnte auch die Frage stellen: Was hat Robert Prevost eigentlich als Bischof in Chiclayo, Peru, gesagt und publiziert, war er dort etwa ein Befreiungstheologe? Und: Welche Reformimpulse gab er seinem bekanntermaßen eher verschlafenen Augustinerorden als Generalprior? Nichts bekannt.

Die Journalistin Christina Rietz hat das Büchlein der Zitate gelesen und nennt einige Weisheiten Leos: „Gott liebt uns, Gott liebt euch alle, und das Böse wird nicht siegen, hört auf euer Herz.“
Christina Rietz meint sehr treffend dazu: „Das ist alles liebenswürdig, aber erschreckend naiv und weltfremd.“ Sie sieht in diesen Sprüchen zurecht „das Scheitern des christlichen Idealismus in der Welt… und eine große Hilflosigkeit“. Sie
entdeckt in den Zitaten einen Papst als Autor, der ein „Mann der Mäßigung ist, emphatisch und sachlich zugleich … und auch ein bißchen mittelmäßig““ (Christ und Welt, Beilage der „ZEIT”, vom 11.9.2025, Seite 15.) Mittelmäßig ist wohl die treffende Bewertung. Vielleicht wollten die Kardinäle gerade einen „mittelmäßigen“ Kardinal zum Papst wählen. Einen, der in der totalen Klerusherrschaft, eben moderat, nicht durchgreift, schon gar nicht einen, der gar eine Reformation des Katholizismus will (wie Leos „Mitbruder“ im Augustinerorden Martin Luther).
Man kann also nur hoffen, dass Leo wenigstens mittelmäßig bleibt und nicht allzu sehr ins Konservative abrutscht…Dass Leos Theologie eher schlicht gestrickt ist, zeigt das Büchlein: „Christliche Phrasendrescherei“, sei es, schreibt Christina Rietz. Mit alten Sprüchen wird man wohl in einer Welt, von Diktatoren umzingelt und beherrscht, um nur Trump oder Putin zu nennen, nicht einen Frieden bewirken, der mehr ist als ein “Seelenfrieden“, der sich freut auf die bloß himmlische Erlösung und Befreiung. Der Papst und mit ihm die katholische Kirche muss endlich sehr aufpassen, dass sie mit ihren nur metaphysischen Trost – Ergüssen nicht Opium fürs Volk verteilt…

………Fußnote 2: Auf der website von “feinschwarz” schrieb Prof. Sander, Salzburg.:https://www.feinschwarz.net/leo-xiv-ein-leichtmatrose-auf-schlingerndem-kirchenschiff/

 

……………………….

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

Die Philippinen: Sie nennen sich katholisch. Hinweise auf die Realität.

Die Philippinen sind in diesem Jahr „Ehrengast“ der Frankfurter Buchmesse.
Hinweise von Christian Modehn am 18.9.2025

1.
Wie schon zuvor, publiziert der Religionsphilosophische Salon Berlin wieder einige wesentliche Informationen über die Religionen des „Ehrengastes“ der Buchmesse: 2025 sind es die Philippinen.

Unseren philosophischen. d.h deswegen immer auch religionskritischen Interessen entsprechend, steht für uns die dominiernde römisch – katholische Kirche der Philippinen im Mittelpunkt. Das heißt nicht, dass die anderen, zum Teil explizit fundamentalistischen Kirchen nicht auch kritische Aufmerksamkeit verdienen würden. 

Ergänzt am 25.10.2025: Ein Vortrag des philippinischen Kardinals Ambo David in Los Angeles USA am 13.9.2025, er ist einer der herausragenden Kritiker des philippinischen Herrschaftssystems: LINK.

Die Philippinen sind wegen ihrer Einbindung ins westliche – us-amerikanische Verteidigungssystem (gegen China) heute von herausragender Bedeutung. Seit 1947 haben die USA für 99 Jahre Hoheitsrechte über 23 Militärstützpunkte…
Ende des 19. Jahrhunderts war die Befreiungsbewegung vom Kolonialherrscher Spanien erfolgreich, nach dem Spanisch – us-amerikanischen Krieg wurden die Philippinen wieder Kolonie, diesmal war der Herrscher die USA. Erst 1946 wurden die Philippinen ein selbständiger Staat.

2.
Die politische Kultur der Philippinen, auch von NGOs gründlich dokumentiert, gilt als sehr schwach: Es besteht eine „unvollständige Demokratie“; beim Freiheitsstatus kann nur das Prädikat “teilweise frei“ genannt werden; für die Pressefreiheit ist es „schwierig“; die Korruption kann als „umfassend“ bezeichnet werden: Im weltweiten Rang stehen dabei die Philippinen auf Platz 114 von 181 Staaten. Etwa ein Viertel der Bevölkerung lebt unterhalb der „Armutsgrenze“, jeder 10. Bewohner ist dem Hunger bzw. Verhungern ausgesetzt. „Die Wohlhabenden, die etwa 0,01 Prozent der Bevölkerung ausmachen, kontrollieren 46 Prozent des gesamten Reichtums der Philippinen, sagen einige Analysten. Man kann sich dessen nicht sicher sein, da ein Großteil des Reichtums der Elite im In- und Ausland versteckt ist, die Vermögenswerte zu niedrig angegeben werden und die Steuerzahlungen gegen Null gehen. Der Mittelstand und die Arbeiter zahlen die Steuern.” Quelle: LINK
Mindestens 10 Millionen Filipinos und Filipinas arbeiten ständig im Ausland. Sie wandern aus, um der Armut zu entgehen, mit den „Rücküberweisungen“ ihres Lohns unterstützen sie ihre Familien „zu Hause“. Die meisten Filipinos und Filipinas sind in den sogenannten „3D Jobs“ (= „dirty, dangerous und difficult“) tätig.

3.

Die gesetzliche Trennung von Staat und katholischer Kirche steht auf dem Papier, ist aber keine Realität. Der Klerus hat so genannte katholische Werte (gegen Freimaurer, gegen Ehescheidung usw.) politisch durchgesetzt.
Die Philippinen sind – statistisch gesehen – das einzige katholische Land Asiens. Für die globale Kirchenpolitik und neue „Missionsstrategien“ des Vatikans sind die Philippinen wichtig. Viele philippinische Priester arbeiten auch in Europa als „Missionare“, ersetzen dort den greisen europäischen Klerus in den „schrumpfenden“ Gemeinden.
Seit mindestens 50 Jahren ist die katholische Kirche auf den Philippinen explizit zerrissen zwischen der Akzeptanz traditioneller volkstümlicher Kulte und eines spirituell motivierten Protestes mit gelegentlicher Rebellion gegen das politische Unrechts – Regime. Der aus dem theologisch begründeten Protest folgende soziale Einsatz einiger Katholiken für die Millionen vom System Arm-Gemachten wirkt im ganzen eher bescheiden angesichts des himmelschreienden sozialen Unrechts in diesem Staat und seiner Regierung. Mit “Spenden“ kirchlicher Hilfswerke ist umfassende Gerechtigkeit, wie überall, nicht zu schaffen.

Jedoch: Am 21.9.2025 fanden in Manila und anderen Städten große Protestdemonstrationen gegen die Korruptionsskandale im Umfeld der Regierung statt: Für Hochwasserschutzprojekte wurden, so die Veranstalter, etwa 2.000 Millionen Dollar “beiseitegeschafft. “Der Präsident der katholischen Bischofskonferenz der Philippinen (CBCP), Kardinal Virgilio Pablo David, sagte, dass Korruption „nicht nur öffentliche Gelder stiehlt, sondern die Zukunft stiehlt, wenn Häuser überschwemmt werden, wenn die Natur zerstört wird und die Möglichkeiten unserer Kinder verschwinden“. Die Bischofskonferenz hat daher einen dringenden Appell an das Parlament und die Justiz  gerichtet, um „Untersuchungen und Prozesse zu beschleunigen und sicherzustellen, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden,” Quelle: LINK

4.
Etwa 83 Prozent der Bevölkerung nennen sich römisch – katholisch. 4 Prozent nennen sich Protestanten, etwa 3 Prozent gehören der unabhängigen philippinischen Kirche an, gegründet 1902 von Gregorio Aglipay… … Etwa 4 Prozent der Bevölkerung sind Muslims, sie leben vor allem auf der Insel Mindanao, auch dort kommt es immer wieder zu religiös wie sozial bedingten heftigen Auseinandersetzungen.

5.
Zur Missionsgeschichte in Abhängigkeit vom Kolonialherren:
Die ersten spanischen Missionare waren Augustiner, sie kamen 1566 mit den Eroberern ins Land, es folgten Jahre später Franziskaner, Jesuiten, Dominikaner. Eine Ausnahmegestalt: Erster Bischof von Manila wurde der Dominikaner Domingo de Salazar, er klagte öffentlich die spanischen Kolonialherren an, er verbot seinen Priestern, diesen Leuten die Absolution in der Beichte zu erteilen und die Kommunion zu reichen. Der berühmte Bischof Bartholomé de las Casas in Santo Domingo bzw. Mexiko war sein Vorbild.(Quelle. Adorable Castillo, in „Reflexions“, 16. Juli 2021, www.cicm-mission.org)
Im 19. Jahrhundert setzten sich einige philippinische Priester (oft „Mestizen“) gegen die Übermacht der spanischen Kolonialherrscher ein: Diese Initiative nannte sich „Säkularisierungsbewegung“, wichtig war für sie die Gleichberechtigung von Filipinos und Spaniern sowie die Einschränkung der Macht der spanischen Ordensgemeinschaften. Einer der wichtigen Protagonisten war der philippinische Priester Pedro Pelaez (1812-1863)Ein weithin unbekanntes Thema in Europa.

6.
Mit den spanischen Kolonialherren wurde die katholische Volksreligion verbreitet und im Laufe der immer oberflächlichen „Evangelisierung“ mit einheimischen religiösen Kulten vermischt. Millionen fromme Katholiken besuchen auch heute, 2025, die Kirche von Quiapo, um Jesus als den „schwarzen Nazarener“ zu verehren. Millionen lieben über alle Maßen das „Santo Nino“, das Jesus – Kind, etwa von Cebu: Dort wird eine wundertätige Figur, die angeblich 1521 vom spanischen Eroberer Magellan ins Land gebracht wurde, der massenhaften Verehrung feilgeboten.
Besonders irritierend sind die sich katholisch nennenden Gebräuche im Umfeld der Wochen vor Ostern, zumal am Karfreitag. Da peitschen sich hunderte von Filipinos ihre Rücken mit Bambusruten blutig. Sie meinen, dadurch von Sünden befreit zu werden. Aufwendig inszenierte Kreuzigungen auf freiem Feld sind noch übliche „Frömmigkeits – Beweise“, auch als Touristen – Attraktionen, „bei denen sich Freiwillige tatsächlich mit bis zu acht Zentimeter langen Nägeln durch Hände und Füße an ein Holzkreuz schlagen lassen“, berichtet die katholische Herder-Korrespondenz in Heft 6/2019. Es müssten endlich kirchlich unabhängige Psychologen und Soziologen diese religiösen Verirrungen untersuchen: Etwa den Zusammenhang von sozialem Elend und der Sehnsucht nach Erlösung durch schmerzhafte und blutige Selbstbestrafung. Die sich katholisch nennende Volksreligion wird auch von katholischen Theologen kritisiert, aber sie können nicht viel bewirken zugunsten einer vernünftigen religiösen Besinnung. Volksreligion widersetzt sich der kritischen Vernunft. Und Volksreligion wurde von dem argentinischen Papst Franziskus hoch gelobt und selbst praktiziert, man denke an den Kult „Maria Knotenlöserin“.…

7.
Die Priester werden immer noch sehr hoch geschätzt, sie stehen an der Spitze der sozialen Hierarchie, wohl auch deswegen werden immer noch viele junge Filipinos Priester. Priesterwerden ist in asiatischen Ländern (Indien, Indonesien) sicher auch ein Karrieresprung, da wird das Zölibatsgesetz irgendwie in Kauf genommen… Dazu gehört auch: Wegen des höchsten Ansehens des Klerus wird sexueller Missbrauch durch Priester von den Bischöfen meist übersehen, wie der katholische Nachrichten ADEXTRA in Paris am 30.1.2025 berichtet. Quelle: LINK
Eine angesehene Ausnahmegestalt ist der irische Priester Shaw Cullen, der sich vor allem für den Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung einsetzt. Quelle: LINK , siehe auch die und Hinweise auf Cullen Bücher: LINK

8.
Die Begeisterung für katholische Führergestalten ist immer noch groß: Papstbesuche werden äußerst exzessiv gefeiert: Zur Abschlussmesse von Papst Franziskus in Manila im Jahr 2015 versammelten sich tatsächlich etwa sechs Millionen Menschen. Quelle: LINK.  Diese riesig – große öffentliche Messe mit Papst Franziskus im Januar 2015 fand in einem nach dem Freimaurer José Rizal (1869 -1896, erschossen im Freiheitskampf) benannten großen Park in Manila statt. Rizal übte heftigste Kritik an der Korruption und dem Landraub wie auch Kritik an der Kirche als einer Stütze der spanischen Herrschaft, vor allem sein Roman „Noli me tangere“ (1887) ist wichtig, er war wohl eine Inspiration für die philippinische Unabhängigkeitsbewegung.
Und es ist sehr „pikant“, möchte man sagen, dass in dem Park der Papst-Messe 2015 eine Infotafel angebracht ist: der erste Staatspräsidenten Emilio Aguinaldo (er regierte nur einige Wochen 1899) bezieht sich dabei auf den Kampf gegen die Spanier, der Text: „Die erfolgreiche Revolution von 1896 war von Freimaurern inspiriert …, und ich wage sogar zu sagen, dass die erste Republik … in erster Linie dem Freimaurertum und den Freimaurern zu verdanken war.“Quelle:  LINK  Und es ist wieder bezeichnend: Heute verbietet die katholische Kirche erneut Katholiken die Mitgliedschaft in einer Freimaurerloge: Quelle: LINK . Und vor kurzem, September 2025, wurde ein philippinischer Augustiner-Priester suspendiert, weil er es wagte, einen Freimaurergedenkstein zu segnen, Quelle. LINK

9.
Gäbe es eine wirkliche Trennung von Kirche und Staat auf den Philippinen, könnte sich die katholische Hierarchie nicht mehr politisch durchsetzen. Neben dem Vatikan sind die Philippinen der einzige Staat weltweit, der das Recht auf Scheidung ausschließt. So werden Frauen und Kinder gesetzlich nicht vor vielfachem Leid geschützt. Aber das wird wohl kirchlicherseits akzeptiert…

10.
Die “interessanteste” „Erfindung“ im Katholizismus der Philippinen in den letzten Jahre ist sicher die katholische, aber ökumenisch offene charismatische Bewegung mit dem Titel „El Shaddai“ (eine Bezeichnung für Gott aus dem Alten Testament mit der Bedeutung „Allmächtiger Gott“). Gegründet 1984 von dem katholischen Laien Mike Verde (geb. 1939), der sehr wohlhabend und als Makler tätig ist und auch über eine einflußreiche Radio- und Fernsehstation verfügt. Und so seine persönliche Botschaft vom Wirken des heiligen Geistes verbreitet. Diese charismatische Bewegung hat mindestens 3 Millionen Mitglieder. In ihrer freien Auslegung der Bibel ist die Tendenz vorherrschend, Reichtum für jeden Frommen zu versprechen, sofern er zum Spenden bereit ist, dies wird als als Ausdruck der Erlösung gedeutet. Wikipedia schreibt: „Sein Predigtstil unterscheidet sich nicht von dem vom Wohlstandsevangelium geprägter Pfingstprediger. Er verspricht allen Gottes finanziellen und materiellen Segen, sofern sie treu an den Gottesdiensten teilnehmen, den Zehnten und andere Opfergaben entrichten und gehorchen. Zu Velardes praktischer Theologie gehört die Verwendung bestimmter unbelebter Gegenstände wie Taschentücher, Sparbücher und Regenschirme, die während des Gottesdienstes hochgehalten werden.“ Google Übersetzung von: LINK
„El Shaddai“ findet immer wieder mal Widerspruch von offizieller katholischer Seite. Aber einige Millionen Fromme und eher Wohlhabende sind mit EL Shaddai verbunden, auch außerhalb der Philippinen. Das können die Bischöfe nicht ignorieren. Sehr fromm Erscheinende sind angesehener als republikanisch gesinnte Freimaurer… Der für neue, sich „geistlich“ nennende Bewegungen begeisterte polnische Papst Johannes Paul II. hat dieser “El Shaddai” seinen „apostolischen Segen“ erteilt. Diese konservativ – fromme Gemeinschaft, manche sagen Sekte, setzte sich 2022 für den Sohn des früheren Diktators und Milliardärs Ferdinand Marcos, also für Bongbong Marcos, als Präsidentschaftskandidaten ein. Mit erfolg! Diese Gemeinschaft EL SHADDAI ist international verbreitet, auch in Europa vertreten. In Amsterdam z.B. trifft man sich“ ganz offiziell an jedem Sonntag in der katholischen “Vredeskerk“, in Berlin gibt es eine Gemeinde mit der Zentrale in dem gepflegten, schönen denkmalgeschützten Haus in der Hauptstraße 134 in Schöneberg, Tel. 030 7811483 . LINK
Einen Einblick in eine Massenveranstaltung von El Shaddai bietet. LINK.
Einige kritische Stimmen zu El Shaddai“ sind in „Reddit“ versammelt. LINK

11.
Während der Diktatur der katholischen Familie Marcos (Ferdinand Marcos beherrschte als Diktator das Land von 1972 – 1986) wurden, so Amnesty International etwa 70.000 Menschen inhaftiert, 34.000 gefoltert und 3.240 getötet. Schätzungen zufolge hat die Marcos-Familie bis zu zehn Milliarden US-Dollar Staatsvermögen an sich genommen.Quelle: LINK.
Im Februar 1986 wurde die Gewalt in der Marcos – Diktatur immer unerträglicher, 2 Millionen Menschen gingen protestierend auf die Straße, unterstützt von Kardinal Sin von Manila: Als Panzer auf die Menschen zufuhren, knieten sich die Menschen hin, mit Rosenkränzen in den Händen… Das half wohl, das Marcos Regime zu stürzen, behaupten Katholiken. Die US – Streitkräfte auf den Philippinen sorgten dafür, dass der Diktator fliehen konnte – nach Hawaii, dort starb er 1989. Rechtsextremen Diktatoren haben die „demokratischen“ USA immer schon sehr gern geholfen…

12.
Es gehört zur turbulenten, zur leidvollen Geschichte der Christen auf den Philippinen, dass sich schon seit etwa 1975 heftigster Widerstand gegen das Unrechtsregime formierte, und zwar durch einzelne Priester. Einige haben sich der Guerilla angeschlossen, etwa Pater Conrado Balweg aus dem Orden „Gesellschaft des göttlichen Wortes“ SVD, auch Steyler Missionare genannt. Auch Pater Ed de la Torre SVD gehörte zu den politisch aktiven Befreiungstheologen. Die Geschichte der philippinischen Befreiungstheologie ist meines Wissens mindestens in Deutschland weithin unbekannt. Verdienste hat in dem Zusammenhang der in Potsdam lehrende katholische Theologe und Religionswissenschaftler Johann B. Hafner: Er hatte hat sich 1984-1985 auf den Philippinen aufgehaltenen und wurde dort zur Recherche über die politisch aktiven Priester der SVD ermuntert, die sich damals dem gewaltsamen Widerstand gegen das Regime Ferdinand Marcos (1965-1986) angeschlossen hatten.
Siehe auch LINK zur Studie Hafner von 2020: LINK

13.
Ein zusammenfassendes Schlusswort zu diesen noch viel zu knappen Hinweisen kann nur zeigen: Die katholische Kirche auf den Philippinen schwankt, was den hohen Klerus angeht, hin und her zwischen einer Staatsnähe zu umstrittenen Politikern und einer Unterstützung einiger Ordensfrauen und Priester, die sich der sozialen Gerechtigkeit in der PRAXIS verschrieben haben.

14.
Es ist eines dieser typischen Paradoxe der Philippinen: 2022 wurde ausgerechnet der Sohn mit dem Vornamen Bongbong des verhassten Multimilliardärs und Diktators Marcos, Staatspräsident. Und ausgerechnet wurde 2022 auch die Tochter des ebenso verhaßten Präsidenten Rodrigo Duterte (Präsident 2016-2022) Vize-Präsidentin. In diesen Fällen tut die Kirchenführung so, als sei sie völlig demokratisch gesinnt und respektiere großzügig die „demokratische“ Wahl, die Hierarchie beruft sich dann gern aufs„Gemeinwohl“, um diesen neuen Machthabern zuzustimmen. Seinen Wahlsieg hat BongBong, der Sohn des Diktators, mit den Mitteln der neuen sozialen „Netzwerke“ erlangt; was bei den vielen Millionen Jugendlichen dort leicht geht. Quelle: LINK

Papst Franziskus hat dem Marcus junior – Präsidenten Bongbong am 30. Juni 2022 zur Wahl gratuliert. Quelle: LINK

Was sollen die kritischen Katholiken und ihre Priester dazu noch sagen? Wieder einmal siegt im Vatikan der Geist der Diplomatie über die Verpflichtung zur kritischen, prophetischen Rede. Wahrscheinlich ist ein Papst auch deswegen immer nicht nur „geistliches Oberhaupt“, sondern auch Alleinherrscher des „Heiligen Stuhls“, der Vatikanstadt, um sich solche globalen politischen Stellungnahmen erlauben zu können. Wahrscheinlich sichert der Papst mit diesen Glückwünschen, wie immer schon bei den Päpsten, den Erhalt der katholischen Privat – Schulen und sonstiger kirchlicher Privilegien. Aber das ist anderes Thema, das zu „Sinn und Unsinn des Papsttums“ führt.

15.
Ein Schlusswort: Es ist bezeichnend und durchaus typisch: In einem Staat, in die große Mehrheit der Einwohner sich katholisch nennt, also getauft sind, dass also dort seit Beginn der Kolonialherrschaft eher chaotische politische und soziale Verhältnisse herrschen. Eine Demokratie, die den Namen verdient, haben die Philippinen nie erlebt. Und wir wissen: Dieser Missstand hat entscheidend auch mit der Übermacht des Katholizismus zu tun, für den der dogmatische Wille der Hierarchie stets wichtiger ist als die humanen Weisungen des Evangeliums Jesu von Nazareth. Man verehrt auf infantil – brutale Weise auf den Philippinen – wie in vielen Ländern des katholischen Lateinamerika – eine Christus-Ideologie. Dazu gehört: Die Menschenrechte gelten dieser Kirche wie überall nicht als völlig gleichwertig wie die uralten Dogmen. Solange dieser religiöse Wahn fortbesteht, werden auch die chaotischen, menschenunwürdigen Verhältnisse auf den Philippinen fortbestehen. Man darf wohl sagen: Diese Gestalt des offiziellen populären Katholizismus ist spätestens heute eine Schande. Trösten können sich die verblieben kritischen, d.h. vernünftigen Katholiken dann noch mit dem klaren sozial – politischen Engagement einiger Nonnen und Priester dort. Für sie sind die Menschlichkeit, die Gerechtigkeit für alle wichtiger als die dogmatischen Lehren und sexualethischen Weisungen von vorgestern. Werden theologische, religionswissenschaftliche, religions-kritische Bücher von philippinischen AutorInnen auf der Buchmesse in Frankfurt diskutiert oder wenigstens erwähnt? Eher sehr unwahrscheinlich…

16.

Sehr wichtig und lesenswert ist die politisch – theologische Analyse des katholischen philippinischen Theologen Pater Jaazeal Jakosalem aus dem Orden der Augustiner-Rekollekten. LINK.  Der Theologe nennt unter drei religiösen Gemeinschaften, die 2022 explizit auch die Wahl von Marcos junior zum Präsidenten untertsützten: “Es gab drei große religiöse Institutionen, die die Kandidatur von Ferdinand Marcos Jr. offiziell unterstützten: Dazu gehört: El Shaddai Charismatic Movement – ein katholischer Zweig der Charismatischen Bewegung, der von dem umstrittenen
Evangelisten Mike Velarde gegründet wurde. Der Gründer unterstützte die damaligen Kandidaturen von Ferdinand Marcos Jr. als
Präsident und Sara Duterte als Vizepräsidentin.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

Heilige Knochen und Verehrung heiliger Leichen: Die katholische Kirche ist auch heute vom Aberglauben bestimmt.

Hinweise zum Reliquienkult
Von Christian Modehn am 6.9.2025

1.
Ein Jugendlicher wird von Papst Leo XIV. heilig gesprochen: Am 7. September 2025 wird der Italiener Carlo Acutis, 2006 im Alter von 15 Jahren gestorben, nicht nur als Vorbild empfohlen. Er kann nun, als Heiliger, so die katholische Lehre, als Fürsprecher bei Gott angefleht werden. Genauso wichtig: Die Leiche des Jugendlichen Carlo darf, mit Silikon hübsch – frisch hergerichtet und frisiert, in einem Sarkophag aus Glas, wie eine steife Puppe ruhend, bewundert werden: Das schenkt der Kirche sicher reichlich Spenden der frommen Seelen. Details zum Leben dieses nun als „Cyber-Apostel“ propagierten Jugendlichen Carlo kann man im Internet finden, kritische Hinweise sogar bei katholisch.de LINK

Und sehr viel bessere, ausführlichere und kritische Hinweise zu Carlo Acutis bietet der Theologe und Publizist Michael Meier, Zürich, LINK

2.
Uns geht es hier um Grundsätzliches: Es geht darum zu begreifen, dass der Katholizismus auch im 21. Jahrhundert mittelalterlicher oder sogar antiquer Frömmigkeit verpflichtet ist. Nicht im entferntesten denken die Kirchenführer, etwa der Papst, daran, dieses Mittelalter aus der Kirchen zu verabschieden. Über den Ursprung des Reliquienkultes: Fußnote 1:

3.
Der katholische Hochschätzung einbalsamierter Leichen besteht also nach wie vor. Es ist etwa auch der Kult um den im offenen Sarg liegenden, hoch umstrittenen Scharlatan, den italienischen Heiligen Pater Pio, LINK.
Oder es ist der Kult, der sich mit Knochenresten oder bloß mit Herzen, „Reliquien“ genannt, von so genannten Heiligen begnügt. Der 2024 verstorbene Prälat Ewald Nacke, Mitarbeiter der päpstlichen Nuntiatur in Berlin, sagte mir 2004 in einem Interview für mein Radiofeature im RBB (Sendedatum 21.11.2004): “Es gibt etwa Reliquien von Mutter Theresa, zum Beispiel Tropfen ihres Blutes, die auf einem Kleidungsstück dann erhalten sind.“ Und dieses Kleidungsstückchen gilt dann als Reliquie. In Rom wurden sogar Blut-Reliquien des seligen Papstes Johannes Paul II. ausgestellt. LINK:

Selbst Papst Franziskus sorgte  dafür, dass der Glassarg des heiligen Scharlatans Padre Pio ausgerechnet im Petersdom 2016 ausgestellt wurde: LINK 

Wer Fotos der sichtbaren heiligen Leiche Padre Pios sehen will, etwa: LINK.

Die Verehrung der angeblichen Überreste der Heiligen Drei Könige im Kölner Dom wurde z.B. den jungen Leuten beim Weltjugendtag in Köln nahegelegt. Im großen und ganzen ist der Kult um tote heilige Leiber oder fragmentarische Reliquien bzw. Reliquienfetzen ein einträgliches Geschäft, etwa in Trier, wenn da gelegentlich der – angeblich- heilige Rock, die Tunica, Jesu von Nazareth, ausgestellt, bestaunt und verehrt werden kann. Fußnote 2

4.
Das sture Festhalten am Reliquienkult und der Verehrung toter Körper durch die katholische Kirch hat natürlich auch finanzielle Gründe, ist aber vor allem Ausdruck einer Volksfrömmigkeit, die den Aberglauben der einfachen, schlicht denkenden Gläubigen nur fördert. Dumme Leute glauben gern, dürfte man sagen… Das unbeirrte Festhalten am Reliquienkult ist entschieden Ausdruck einer Ignoranz der katholischen Kirchenführung und ihrer Theologen, die unbedingt mittelalterlich bleiben will (anders könnte sie auch das Papsttum gar nicht verteidigen und beibehalten, denn kein vernünftiger Christ glaubt, dass Jesus auch nur im entferntesten ans Papsttum dachte). Die Ignoranz betrifft auch die Verachtung philosophischer Einsichten zum Reliquienkult etwa durch Philosophen wie Kant und Hegel, sie haben gezeigt: Der Reliquienkult ist bester Ausdruck einer total veräußerlichten katholischen Frrömmigkeit. Zu Kant: Link:     Zu Hegel, LINK:       Hegel betont in seinen „Vorlesungen über die Weltgeschichte“, (Band IV, Die germanische Welt, Meiner Verlag, 1968, S. 826) wie durch den„Reliquiendienst“ „eine förmliche Auferstehung der Toten erfolgte in den Zeiten des Mittelalters: Jeder fromme Christ wollte im Besitz solcher heiligen irdischen Überreste sein… Das Vermittelnde zwischen Gott und dem Menschen ist also etwas Äußerliches (die Reliquie).“

5.
Der katholische Kirchenhistoriker Prof.Arnold Angenendt (Münster) schreibt in seiner großen Studie „Heilige und Reliquien“, C.H. Beck Verlag, 1997, S. 264 im Zusammenhang der Reliquienkritik durch Immanuel Kant diese bemerkenswerten Worte: „Des Heiligen -und Reliquienkultes begann man sich jetzt zu schämen; er war zu dumm zugleich ekelhaft“.

6.
Diese Worte möchte man dem Papst (und allen für dumm gehaltenen Katholiken) zurufen, wenn er am 7. September 2025 einen Menschen zum verehrungswürdigen Heiligen erklärt und die Begeisterung für einen hübsch gemachten Leichnams empfiehlt: „Des Heiligen-und Reliquienkultes begann man sich jetzt zu schämen; er war zu dumm zugleich ekelhaft“.   Aber diese Hoffnung auf Vernunft im Katholizismus (man könnte auch sagen „Hoffnung auf heiligen Geist“) hat fast niemand mehr für den Katholizismus (von der Orthodoxie und den Evangelikalen ganz zu schweigen).

7.
Diese Heiligsprechung und die damit verbundene Zurschaustellung einer hübsch frisierten jugendlichen Leiche sind ein neuer Tiefpunkt in der spirituellen Entwicklung des Katholizismus. Aber die Reise “heiliger Knochen” durch die weite Welt geht weiter: In der kommenden Woche (15. und 16. September 2025) weilen gewisse Körperteile der heiligen Theresa von Lisieux – in einem prächtigen Reliquienschrein – auf ihrer Tournee durch Deutschland in Berlin und Frankfurt/Oder. In einer säkularen und eher atheistischen Umgebung wird also der Aberglaube ganz offiziell offenbar mit bischöflicher Zustimmung verbreitet. Noch einmal Kant in leichter Aktualisierung: “Des Heiligen-und Reliquienkultes beginnt man sich in der römisch-katholischen Kirche leider NICHT zu schämen; obwohl er zu dumm zugleich zu ekelhaft ist. Vielleicht ist die Kirchenführung selbst zu dumm, was ihren Kult mit heiligen Knochen und hübsch frisierten Leichen angeht”…

Fußnote 1:
Schon im Jahre 167 begannen z.B. die ersten Christen, Reste und Überbleibsel ihres hoch geschätzten Heiligen Polykarp zu sammeln; sie wurden wie “Edelsteine verehrt”, heisst es in einem Brief aus dieser Zeit. Seit dem 2. Jahrhundert gibt es den christlichen Reliquienkult, er hat im Hochmittelalter seine Blüte erlebt; bis heute prägt er die Frömmigkeit der katholischen Kirche.Der Kult der toten Gebeine hatte sich längst zum internationalen Handel entwickelt, anders können seriöse Historiker dieses Phänomen nicht beschreiben! LINK https://www.kath.ch/newsd/handel-mit-heiligen-ueberbleibseln-boomt-obwohl-die-kirche-dies-streng-verbietet/

Fußnote 2:
Wir weisen auf eine heute wenig beachtete Entwicklung rund um den Kult des “Heiligen Rock” hin: Im Jahr 1844 gab es eine große Wallfahrt zum “Heiligen Rock” nach Trier mit einer halben Million Pilger. Gegen die dort offenkundige  Veräusserlichung des Glaubens protestierte Johannes Ronge, ein ursprünglich römisch – katholischer Priester, der ein Jahr zuvor wegen seiner Kirchenkritik als römisch -katholischer Priester suspendiert wurde. Ronge kritisierte 1844 den Kult um dieses Stück Stoff als “Götzenfest”, was ihm vielerlei Anfeindungen und Verfolgungen einbrachte. Ronge stand dann lange Jahre an der Spitze der neu gegrüpndeten “Deutsch – katholischen Kirche”, die viele tausend Mitglieder zählte, sozial sehr aktiv war, dogmatisch aber freisinnig blieb.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Religiöse Giftmischer heute

Friedrich Nietzsche über die Propagandisten „überirdischer Hoffnungen“ – aktuell interpretiert

Ein Hinweis von Christian Modehn am 4.9.2025

1.
Das Wort „Giftmischer“ werden sich Religionskritiker und Verteidiger von Demokratie und Menschenrechten einprägen, selbst wenn es von Friedrich Nietzsche stammt: In der Vorrede seines Buches „Also sprach Zarathustra“ (§ 3) lässt Nietzsche seinen Zarathustra sagen: „Ich beschwöre euch, meine Brüder, bleibt der Erde treu (von Nietzsche kursiv) und glaubt denen nicht, welche euch von überirdischen Hoffnungen reden! Giftmischer sind sie, ob sie es wissen oder nicht.“

2.
Man muss kein Fan der literarischen und philosophischen Arbeiten Nietzsches sein, ich bin es auch nicht, um dem Begriff „Giftmischer” dann doch sehr treffend zu finden als Beschreibung der entscheidenden Qualität der Propagandisten „überirdischer Hoffnungen“. Dabei weiß ich, dass dieses Wort Nietzsche in seine Erörterung des „Übermenschen“ gestellt hat. Aber, ich meine, eine aktuelles Verstehen von Nietzsches Aussage kann diesen Satz aus dem ursprünglichen Kontext lösen und ihn wie einen allgemein gültigen Aphorismus betrachten. Nietzsche liebte ja sehr Aphorismen oder kurze Essays. Es ist aktuell erhellend, einzelne Worte dieser These Nietzsches näher zu betrachten.

3.
Die Propagandisten reden von „überirdischen Hoffnungen“. Dabei muss man heute nicht automatisch an religiöse oder metaphysisch begründete Hoffnungen auf ein Jenseits denken. „Überirdische Hoffnungen” sind auch die von rechten und rechtsextremen Ideologen und ihrer Parteien angezielten rückwärts gewandten Utopien, sie rühmen die Abschaffung der Demokratie und der universell geltenden Menschenrechte. Sie propagieren auch Dystopie, negative, erschreckende Zukunftsvorstellungen.

4.
Wer diese rechtsextremen Propagandisten falscher Hoffnung bekämpft und hoffentlich überwindet, der „bleibt der Erde treu“: Unsere aktuelle Nietzsche Interpretation – sozusagen gegen den Strich gebürstet, um es populär auszusagen – meint also: „Der Erde treu bleiben“ heißt: Der Welt der Menschen und der ganzen Natur mit ihrer Schönheiten und ihren Gefährdungen, dieser Welt also mit ihren Sinn stiftenden Erfahrungen und ihren menschengemachten Katastrophen verbunden bleiben, das ist: “Unserer „Erde treu bleiben.“ Und eben nicht in zerstörerischen Dystopie versinken. Die Sorge um Natur, Umwelt, Ökologie, Gerechtigkeit muss als ein “kategorischer Imperativ” angenommen werden. In diese Gedanken kann also eine ungewöhnliche, aber heute mögliche Nietzsche – Interpretation führen.

5.
Am wichtigsten ist das Urteil Nietzsches über diese Propagandisten „überirdischer Hoffnungen“: Nietzsche nennt sie sehr treffend Giftmischer. Jeder demokratisch denkende Mensch weiß heute, wo diese Giftmischer ihre Herrschaft ausüben: Und jeder und jede wird Beispiele nennen, Namen nennen: Ich denke etwa an den Patriarchen Kyrill von Moskau, er ist der russisch – orthodoxe Chefideologe Putins und heftigster Propagandist des Angriffskrieges gegen die Ukraine. Den gefallenen russischen Soldaten versprach er bezeichnenderweise den sofortigen Eintritt ins Himmelreich. Mehr „Giftmischung“ geht gar nicht. Wir haben etliche kritische Hinweise zum Putin Freund Patriarch Kyrill publiziert: LINK.

6.
Wo sind die Giftmischer in Deutschland heute? In der Lügenpropaganda der nachgewiesen in weiten Teilen rechtsextremen Partei AFD wird man fündig. Oder in konservativen Kreisen der sich christlich nennenden Parteien, die einen wahrlichen Kulturkampf einleiteten, etwa als es um die Wahl der Juristin Frauke Brosius – Gersdorf ins Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ging…. diese CDU Kreise haben ihren Kulturkampf erfolgreich bestanden…

7.
In Frankreich versuchen extrem konservative katholische Milliardäre mit ihren Massenmedien die Linie der katholischen Kirche Frankreich zu bestimmen, wir haben auf dieses in Deutschland kaum beachtete Phänomen hingewiesen: LINK.

8.
Wo sind die Giftmischer in den USA und im Umfeld des Trump – Regimes: Neben Trump und im finanzkräftigsten Hintergrund agieren Drahtzieher gegen die Demokratie und die universell geltenden Menschenrechte. Diese Giftmischer stammen vor allem aus verschiedenen Kirchen, vor allem aus evangelikalen Kreisen und aus dem finanzkräftigen reaktionären katholischen Milieu. Sie betreiben die Verfolgung von Minderheiten, von Immigranten und Homosexuellen und Transgender, „people of colour“, Flüchtlinge usw. werden schon deportiert; die Meinungsfreiheit eingeschränkt: Diese religiösen Giftmischer haben nicht nur die die Mentalitäten vergiftet, sie zerstören mit ihrem Gift Staat und Gesellschaft.

9.
Wo sind die Giftmischer in der katholischen Kirche in den USA zu suchen? Etwa in den weitgehend geheim agierenden internationalen katholischen Organisationen: Auch in den USA ist das Opus Dei eng mit den finanzkräftigen Freunden Trump verbunden. Die Theologin Prof. Hille Haker (Loyola University in Chicago) schreibt in der empfehlenswerten Zeitsxchrift “PUBLIK FORUM” (5.9.2025): „Die juristische Vereinigung `Federalist Society` wurde vom Juristen Leonard Leo gegründet, diese Gruppe ist nicht nur eine Richterschmiede, sondern auch ein Motor für die Ernennung von Richtern auf Lebenszeit. Leonhard Leo beeinflusst seit vielen Jahren das Rechtssystem. Bei ihm laufen die Fäden zusammen, und er spinnt ständig neue. Fast 30 Prozent der von Trump ernannten Richterinnen und Richter und die Wahl von drei Obersten Verfassungsrichtern gehen auf die Vorschläge der „Federalist Society“ zurück. Leonhard Leo ist nicht nur gut mit der `Koch Foundation` vernetzt, sondern auch mit dem Opus Dei, für dessen Catholic Information Center er im Vorstand sitzt. Vizepräsident Vance unterhält gute Beziehungen zu ihm. Leonhard Leos Einfluss auf die katholisch geprägte Politik und den Umbau der staatlichen Institutionen kann nicht überschätzt werden. Mithilfe der milliardenschweren Spende eines Unternehmers an ihn persönlich baut Leonhard Leo nun ein neues Netzwerk auf: »Teneo« heißt es, es soll, wie er selbst sagt, den liberalen Einfluss überall zurückdrängen: in den Medien, den Universitäten, der Unterhaltungsindustrie, im Sport und in der Politik. So wird die antiliberale, christlich-moralische Auslegung der amerikanischen Verfassung vorangetrieben und darüber hinaus die Demokratie in eine Theoautokratie verwandelt.“ LINK 

10.

Nietzsche fügt seinem Satz über die religiösen Giftmischer unmittelbar sehr Wichtiges hinzu: „Verächter des Lebens sind die Giftmischer, Absterbende und selbst Vergiftete, deren die Erde müde ist: ob sie es wissen oder nicht.“
Eine Hoffnung also formuliert hier Nietzsche: Trostvoll für Demokraten und Verteidiger der universell geltenden Menschenrechte: Diese religiösen Giftmischer sind selbst schon vergiftet von ihrem eigenen Gift. Aber für uns sind die letzten Worte Nietzsches hier leider nicht mehr als ein Wunsch.  Wollen wir hoffen, dass in diesem Falle Nietzsche recht hat.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin