Hannah Arendt: Fünfzig Jahre tot … Ihr Denken lebt

Ein Hinweis anlässlich ihres Todestages am 4. Dezember 1975
Von Christian Modehn am 22.11.2025

1.
Über Hannah Arendt ist jetzt eine umfangreiche Biographie erschienen: Willi Winkler, Autor und Journalist, erschließt mit wissenschaftlicher Klarheit (bei einem 50 Seiten umfassenden Anhang mit Belegen und Fußnoten und Register sowie zahlreichen Fotos), angenehm zu lesen, durchaus mit kurzen, ironischen Kommentaren am Rande, das Leben Hannah Arendts: Ihr 50. Todestag am 4. Dezember 2025 könnte ein Anlass sein, mit ihren Büchern ins philosophische Fragen, auch zur Notwendigkeit des politischen Handelns zu gelangen. Viele einzelne Erkenntnisse Hannah Arendts könnten schon fast als „Denksprüche” gelten: „Niemand hat das Recht zu gehorchen“ (ursprünglich von Kant) oder „Jeder hat die Fähigkeit, einen neuen Anfang zu setzen“ oder „Denken ohne Geländer“ oder: „Macht beginnt immer dort, wo die Öffentlichkeit aufhört.“ Sogar PolitikerInnen (Angela Merkel, Robert Habeck, Frank Walter Steinmeier, Winfried Kretschmann…) loben heute Hannah Arendt, sie haben offenbar einige ihrer Bücher gelesen.

2.
Natürlich wollen wir hier in wenigen Sätzen nicht das ganze Leben Hannah Arendts zusammenfassen: Hannah Arendt ist eine unabhängige philosophisch -politische Autorin, die sich nicht in „Schubladen“ einsortieren lässt. Sie ist Jüdin, kritisiert aber heftig den Staat Israel und die damalige Regierung. Sie hat als Jüdin bei dem katholischen Religionsphilosophen Romano Guardini in Berlin studiert und später bei Karl Jaspers eine Promotion über den heiligen Augustinus geschrieben. Sie kennt die Philosophie von Karl Marx, ist aber keine Marxistin. Sie setzt sich leidenschaftlich für die Menschenrechte (Gleichheit!) ein, ist aber keine Feministin. Sie irrt auch bei politischen Stellungnahmen, etwa zu den Rassenauseinandersetzungen in „Little Rock“ (USA) im Jahr 1958 (siehe „Denken ohne Geländer“, S. 157.) Sie bekämpft antisemitische Mentalitäten, muss aber – um veröffentlichen zu können – in den Verlagshäusern der BRD mit alten Nazis zusammenarbeiten.

3.
Die Frage ist alles andere als „bloß akademisch“: In welcher Weise ist Hannah Arendt Philosophin? Sie ist sicherlich nicht „nur“ Philosophin, ihre Promotion 1928 in Philosophie bei Karl Jaspers und ihre Heidegger – Lektüren und – Vorlieben sind bekannt. Sie verstand sich explizit als Jüdin nach ihrer Flucht aus Nazi – Deutschland, also seit ihrer Zeit in den USA, als eine auch publizistisch – journalistisch arbeitende „Theoretikerin“ des Politischen, immer mit philosophischem „Background“. Willi Winkler schreibt zwar gleich zu Beginn: „Zweifellos ist an ihr (Hanna Arendt) eine Philosophin verloren gegangen“ (Seite 10), weil sie ihre philosophische Karriere in Deutschland als Jüdin in der Nazi – Zeit nicht fortführen konnte. Und Winkler zitiert Arendt: „Der Philosophie habe sie (in den USA) endgültig Valet gesagt“ (S. 258)… Immerhin betont Hannah Arendt auch: „Sie sei aus der deutschen Philosophie hervorgegangen“ (S. 263). Beweis dafür sind ihre Bücher „Vita aktiva“ (1958 ), „Vom Leben des Geistes (posthum 1978) oder „Über das Böse“ (posthum 2003: Dies sind philosophische Studien. Insgesamt gilt: Hannah Arendts Bücher, Aufsätze und Stellungnahmen handeln von Politik, vom politischen Leben und politischem Kämpfen, aber verbunden mit philosophischen Perspektiven.

4.
Das Buch von Willi Winkler ist also eine ausführliche Biographie, auch über Arendts Ehemann Heinrich Blücher wird detailliert berichtet wie auch über ihre erste Ehe mit Günter Anders (bzw. Günter Stern)… Zu ihrer Verbundenheit mit ihrem Liebhaber Martin Heidegger siehe Nr. 8 in diesem Hinweis.
Die Stellungnahmen Winklers zu Arendts Veröffentlichungen sind eingebunden in die kritische Würdigung ihres intellektuellen, philosophischen und vor allem politischen Umfeldes zumal in den USA (dort seit 1941.) Es ist ein Leben, das sich die eigene Freiheit im Denken und Handeln und im – subjektiv gestalteten – Umgang mit Freunden und Gegnern (man denke an ihre Abgrenzung von Theodor W. Adorno) förmlich erkämpft und dann verteidigt.
Uns erscheint es bemerkenswert und wichtig: In dieser Arendt – Biographie werden ihre vielfältigen Begegnungen in Deutschland (BRD) und mit den Deutschen seit 1949 dargestellt. Willi Winkler beschreibt treffend die wirklichen Verhältnisse: „Die alten Nazis sind weiter und wieder nicht bloß im Amt, sondern überall… Hannah Arendt hat kein Problem damit, das Land der Mörder zu besuchen, sie hat ein weites Herz… aber sie traut ihnen (den Deutschen) nicht, sie hält die Deutschen auf Abstand.“ (S. 173).
Und viele LeserInnen werden noch „neue“ Informationen finden: Über die Nazi – Verbindungen etlicher verantwortlichen Lektoren des Piper – Verlages (in diesem Verlag erschienen/erscheinen die Bücher Arendts), etwa ab S. 175 ff.. Oder: Informationen über den im Piper Verlag tätigen Germanisten Hans Rössner, SA -, NSDAP – und SS-Mitglied, mit ihm hatte die Autorin Arendt zu tun, ohne von dessen Nazi- Verstrickungen zu wissen. Willi Winkler schreibt: „Nach dem Krieg wurde Rössner von der Spruchkammer als `Mitläufer` eingestuft, kam mit einer Geldstrafe davon und bewies seine Läuterung durch einen `prononcierten Philosemitismus´. Beim Antikommunismus musste er nicht umlernen“ (S. 180). Der knappe Satz „Beim Antikommunismus musste er nicht umlernen“ ist nur ein Beispiel für die zahlreichen sehr treffenden ironischen Kommentare Willi Winklers, die er nebenbei in seinen objektiven Bericht einfügt…
Die Studie Willi Winklers wird, wie gesagt, dadurch auch wertvoll, weil ausführlich an die „braune Vergangenheit“ der Menschen in Deutschland und etlicher BRD Politiker und BRD „Kulturschaffender“ erinnert wird – immer, um Hannah Arendts Auseinandersetzungen und Entscheidungen besser zu verstehen.
Auf die Nazi – Vergangenheit des ehemaligen bayerischen Kulturministers Theodor Maunz (CSU, Minister von 1957 -1964) wird deswegen hingewiesen (S. 284, aber auch 174 f.) Maunz ist ein berühmter Verfasser juristischer Standardwerke … und nach seinem Rausschmiss als Minister war der CSU Mann noch Mitarbeiter der „Deutschen Nationalzeitung“… Oder man muss an den rechtsextremen (SS – Mitglied) Armin Mohler erinnern: Er war in der BRD Redenschreiber für Bayerns Ministerpräsident Franz – Josef Strauß (CSU) und er hatte als „Leiter der Carl Friedrich von Siemens Stiftung ein eigenes rechtsnationales Netzwerk aufgebaut“ (S. 99). Mohler propagierte in der BRD die „Revolution von rechts“…

5.
Innerhalb der Biographie Willi Winklers sind uns einige Erkenntnisse besonders aufgefallen zu wichtigen Themen, an denen sich Hannah Arendt abarbeitete.
Zu Eichmann:
Hannah Arendt wurde 1961 von der Kultur – Zeitschrift „New Yorker“ als Reporterin nach Jerusalem geschickt zum Prozess gegen den Nazi-Verbrecher Adolf Eichmann. Willi Winkler meint: Sie sei dort „eine schlechte Reporterin gewesen, sie hält es nur für wenige Tage dort aus“ (S. 225)
Für einige LeserInnen ist es vielleicht neu: Der BND hatte wegen des Chefs des Kanzleramtes (des einst führenden Nazis) Hans Globke in der Adenauer – Regierung alles Interesse daran: Dass Eichmann im Jerusalem Prozess bloß nicht zu viel plaudert, etwa von der Bedeutung Globkes für ihn und sein Amt. BND Chef Reinhard Gehlen versorgte über Mittelsmänner in Jerusalem Globke mit den neusten Nachrichten, damit er sich nicht beunruhige (S. 230). Die Bundesregierung hatte ohnehin mit der Regierung Israels abgesprochen: Im Eichmann Prozess gehe es nur um Eichmann und dessen “satanischem Plan der Endlösung der Judenfrage.“ Eichmanns Anwalt war der deutsche Robert Servatius, er war wie sein Assistent Dieter Wechtenberg in den Prozess als „Close associate“ des BND in den Prozess eingeschleust. Der Prozess gegen Eichmann war also sehr sorgsam von der BRD für die „deutsche Sache“ inszeniert (S. 227). Als auch der DDR – Anwalt Friedrich Karl Kaul als Prozessbeobachter in Jerusalem auftauchte, wurden ein BND Mitarbeiter und ein Journalist der Springer-Presse sehr nervös: Denn Kaul hatte offenbar Namen von Nazis im Umfeld der BRD Regierung sozusagen im Gepäck. BND und BILD Reporter, bestürzt und verängstigt, drangen in Kauls Zimmer im „King David Hotel” ein und entnahmen dort die entsprechenden Unterlagen, die sofort nach Bonn weitergeleitet wurden. (S. 233)… Aber davon konnte Hannah Arendt nichts wissen (S. 233).
Selbstverständlich fehlt nicht eine Auseinandersetzung mit der Einschätzung Arendts, Eichmann sei eine Art Repräsentant der „Banalität des Bösen“. Der Autor ist sehr kritisch gegenüber Arendts fast schon populärer These von der „Banalität des Bösen“, das in Eichmann sichtbar werde. Leider erwähnt Winkler nicht die Studie von Irmtrud Wojak „Eichmanns Memoiren“ (2001). Darin wird gezeigt, dass sich Hanna Arendt in Jerusalem von der Verteidigungskonzeption Eichmanns sehr täuschen ließ, sie hat Eichmanns Aussagen vor Gericht dann doch Glauben geschenkt. „Sie war in Jerusalem (beim Eichmann – Prozess) intellektuell überfordert,“ schreibt Winkler (S. 240). In den Protokollen der Gespräche Eichmanns mit dem ehemaligen SS Offizier Willem Sassen hätte Arendt erfahren können, Eichmann war alles andere als ein bloß total gehorsamer, ziemlich dummer Deutscher Nazi, also eigentlich banal… Die Philosophin Bettina Stangneth hat die Dialoge Sassen – Eichmann in Argentinien dokumentiert und treffend bewertet. (Bettina Stangneth: „Eichmann vor Jerusalem. Das unbehelligte Leben eines Massenmörders“, Zürich 2011)
Willi Winkler schreibt: „Zum Skandal wurden vor allem aber Arendts Bemerkungen über die Judenräte und damit über die Juden insgesamt. Sie hatten, das war ihr Vorwurf, keinen Widerstand geleistet, als sie nach Auschwitz deportiert wurden…Sie hatten sich gleichschalten lassen und, noch schlimmer, mit den Nazis kollaboriert.“ (S. 256). Aus dem Befremden über die Aussagen Arendts sei offene Feindschaft vieler Juden gegen Arendt geworden… (S. 257).

6. Zum Staat und zu der Regierung in Israel:
Auf Seite 223 schreibt Willi Winkler. „Die Konfrontation mit dem zum Staat gewordenen Zionismus schockiert Hannah Arendt. Sie rebelliert gegen das Völkische (dort).“ Winkler kommt zu dem Schluss: „Hannah Arendt hasste die Regierung Ben Gurions …und die Adenauer Regierung auch.” (S. 234). Und weiter: „Hannah Arendt ist entschlossen, den Juden in Israel und der Welt zu sagen, was ihr an Israel missfällt.“ (S. 224). Und beim Eichmann Prozess sah sie so viele Deutsche, die „so philosemitisch waren, dass einen das Kotzen ankommt.“ (S.224.) Arendt spricht – bezogen auf den Eichmann – Prozess in Jerusalem von der Deutschen „schwerster Krankheit“, so wörtlich weiter, der „Israelitis“ (S. 228.)

7. Zu Theodor W. Adorno:
In ihrer heftigen Kritik an dem Philosophen Theodor W. Adorno (und den ersten Mitgliedern der marxistisch geprägten „Frankfurter Schule“) ist Hannah Arendt geleitet von ihrer Zuneigung zu Walter Benjamin, den sie im Pariser Exil kennenlernte. Dessen wichtiges Manuskript zur Geschichtsphilosophie rettete sie auf der Flucht in die USA. Hannah Arendt beansprucht förmlich, gegen den Marxisten Adorno die authentische und beste Benjamin – Interpretin zu sein. Sie deutete Benjamin als einen Dichter (S. 64), nicht als einen marxistischen Philosophen. Die Frankfurter Schule nennt sie eine „Schweinebande“ (S. 344.), Adorno ist für sie „einer der widerlichen Menschen, die ich kenne.“ (S. 344). Von Adorno wird Arendt „ein altes altes Waschweib“ genannt. Philosophen-Gezänk der sich total wichtig nehmenden Denker…

8. Zu Martin Heidegger:
Willi Winkler bietet sehr ausgebreitet und ausführlich offenbar die meisten der bis jetzt erreichbaren Details zu Hannah Arendts Bemühen, gerade nach dem Krieg, nach dem Holocaust, mit ihrem alten Liebhaber aus Marburger Zeiten, dem Philosophen Martin Heidegger, in Freiburg wieder Kontakt aufzunehmen. Über dieses starke Insistieren Arendts auf Begegnungen mit Heidegger ist ohnehin schon viel geschrieben und über ihre vielfältigen Motive auch viel nachgedacht worden: Wie kann eine Jüdin, nach dem Krieg, nach dem Holocausst, noch so leidenschaftlich interessiert sein, mit Heidegger zusammenzutreffen? Dessen starke Bindungen an die Nazi – Ideologie damals schon bekannt waren. Willi Winkler hat diese Einschätzung: „Hannah Arendt arbeitet an der Rehabilitierung Heideggers.“ (S. 368) Und auf S. 372: „Sie will ihn verstehen und will ihn in dieser Lebensphase besser verstehen als je zuvor.“ Und auf S. 381 „Hannah Arendt hatte ihm längst verziehen. Sie muss nicht aussprechen, wie sehr sie dem Wiedersehen entgegenfiebert.“ Am 26. Juli 1967 dann eine Begegnung mit dem Heidegger, dem Geliebten der Jugend. Im August 1975 eine letzte Begegnung mit dem Greis.

PS1: In der Sammlung vieler (kurzer) Texte und Zitate aus dem Werk Arendts „Denken ohne Geländer“, Piper Verlag 2013, (S. 69) ist auch Arendts Beitrag zu Heideggers 80. Geburtstag 1969 abgedruckt. Darin bewertet sie in kaum präzisen Aussagen Heideggers parteipolitische Verbundenheit mit den Nazis als ein „Nachgeben der Versuchung.“ (S.69)Und sie meint, er wäre „nach zehn kurzen hektischen (sic) Monaten“ (gemeint ist mit dieser wohlwollenden Formulierung tatsächlich Heideggers explizite Nazi-Bindung), wieder „auf seinen angestammten Wohnsitz“ zurückgetrieben worden… Gemeint ist damit wohl, das für Heidegger übliche, angeblich politisch neutrale Seins- Denken, zu dem er wieder gelangte….Merkwürdige, dunkle Formulierungen schreibt da Hannah Arendt, offenbar voller Liebe zu Heidegger, indem sie sie dessen Sprachwelt des Dunklen, des Nebels, übernimmt.
PS2: Am 26. Mai 1976 ist Heidegger gestorben, ob es anläßlich seines 50. Todestages auch sehr viel Aufmerksamkeit geben wird? Wird man Heidegger im Rahmen der aktuellen, auch intellektuellen Zeitenwende nach rechts(außen) Heidegger neu schätzen lernen?

9.
Willi Winkler zeigt in seinem Buch, wie in den Auseinandersetzungen Hannah Arendts nach 1945 sehr viele Nazis in der BRD Politik und BRD Kultur nicht nur präsent, sondern bestimmend waren.
Dies ist heute ein bleibende Herausforderung, eine aktuelle Aufgabe: Rechtsradikale und Rechtsradikalismus in Deutschland, in Europa, den USA usw. öffentlich zu machen und vor den Vernichtern der Demokratie zu warnen. Zumal Rechtsradikale heute unter vielen ideologischen Gewändern auftreten („MAGA“, Nationalismus, religiöser Fundamentalismus, Anti-Islam-Ideologie und Philo-Semitismus als Ersatz für den in diesen Kreisen bisher üblichen Antisemitismus…)
Wichtig bleibt Hannah Arendts Lehre, dass der Mensch als geistiges Wesen sich dadurch auszeichnet, dass er reflektieren kann, dass er also sein eigenes Handeln und Denken nicht nur stets beobachten und wahrnehmen muss, sondern auch bewerten soll … um überhaupt als Mensch gelten und bestehen zu können. Diese eindringliche, philosophisch bestens begründete Lehre Arendts bleibt dringend aktuell: Der Mensch soll sich selbst beurteilen an dem normativen und universellen Maßstab des Kategorischen Imperativs (Kant) und damit auch der Menschenrechte. Mit diesem normativen Wissen werden die USA von Arendt kritisiert, siehe etwa das Buch „Denken ohne Geländer“. Sie spricht dort von „einer grundsätzlichen Ungeistigkeit des Landes“ (S.244)… Und: „Jeder Intellektuelle ist hier (USA) aufgrund der Tatsache, dass er ein Intellektueller ist, in Opposition“ (ebd., geschrieben 1946 in einem Brief an ihren Freund, den Philosophen Karl Jaspers).

10.
Heute werden auch Grenzen im Denken Arendts genannt, wie sollte es bei seriöser Forschung auch anders sein, immer im Wissen, dass Arendt, vor 50 Jahren gestorben, doch nicht zu allen Themen als unsere Zeitgenossin gelten kann. Vom Desinteresse Arendts an speziellen Themen der Befreiung der Frauen wäre zu sprechen und damit auch davon, dass von ihr keine positiven Aufschlüsse zur Gender – Theorien zu erwarten sind oder auch keine Hinweise, wie wir mit dem Kolonialismus umgehen sollten.
Zur Ökologie und der von Menschen gemachten Zerstörung der Umwelt hat sich Hannah Arendt – soweit ich sehe – nicht geäußert.
Zu ihrer eigenen spirituellen, religiösen Haltung müßte wohl ausführlicher studiert werden. Ich finden ihre Äußerungen in einem Brief an Karl Jaspers im Jahr 1951 wichtig: „Alle überlieferte Religion, jüdische oder christliche, sagt mir als solche gar nichts mehr. Ich glaube auch nicht, dass sie irgendwo und irgendwie noch ein Fundament für etwas so unmittelbar Politisches wie Gesetze hergeben können“ (S. 236). Die Macht des Islamismus sah sie nicht oder den hinduistischen Fundamentalismus konnte sie offenbar nicht studieren, auch nicht die reaktionären Tendenzen im Katholizismus oder bei den Evangelikalen… Für Hannah Arendt ist, wie sie an Jaspers schreibt, „ein kindliches, weil nie bezweifeltes Gottvertrauen wichtig… „im Unterschied zum (dogmatischen)Glauben, der ja doch immer zu wissen glaubt und dadurch in Zweifel und Paradoxien gerät.“(S. 236 in „Denken ohne Geländer“).

11.
Was bleibt heute von Hannah Arendt – ein Fazit vermisst man in dem Buch von Willi Winkler, einer sehr umfangreichen Biographie („Ein Leben“)… Spätestens, wenn die „Kritische Gesamtausgabe“ (16 Bände) der Werke Arendts vollständig vorliegt, kann vielleicht mehr zum „Bleibenden“, Bedeutenden, nach wie vor Aktuellen im Werk Hannah Arndts gesagt werden. Leider ist in diesem anspruchsvollen Projekt der Gesamtausgabe keine vollständige Publikation ihrer Briefe vorgesehen, schreibt Willi Winkler (S. 439.) Zur Gesamtausgabe im Wallstein Verlag: LINK https://www.wallstein-verlag.de/reihen/hannah-arendt-kritische-gesamtausgabe.html

Willi Winkler, „Hannah Arendt – ein Leben, Rowohlt Verlag Berlin, 2025, 509 Seiten, 32 €.

Der Religionsphilosophische Salon Berlin hat früher schon einige – z.T. ausführliche Hinweise zu Hannah Arendt veröffentlicht.
Wir nennen hier nur eine Beispiele:

— Über ein neues Buch von Lyndsey Stonebridge
Ein Hinweis von Christian Modehn am 17.5.2024. LINK

— “Die größten Übeltäter sind jene, die sich nicht erinnern”: Hannah Arendt, verstorben am 4.12.1975.
Geschrieben am 20. November 2016.  LINK

— Hannah Arendt: Die Banalität des Bösen, die “lebenden Leichname” und die Überflüssigen.
Geschrieben am 29. Dezember 2012.  LINK

— Hannah Arendt – eine Propagandistin von Martin Heideggers “braunem Denken” ?
Geschrieben am 20. Oktober 2016
Ist Hannah Arendt gebunden an Heideggers eher braunen Denkweg?
Ein Hinweis auf ein verstörendes und inspirierendes Buch von Emmanuel Faye, verfasst 2016  LINK 

— Hannah Arendt: Pluralität und Erfahrung des anderen. Sie haben ihre Wurzeln im Selbstgespräch des einzelnen.
Geschrieben am 4. September 2016.  LINK

Erhellend zum Thema Nazis in der BRD ist in unserem Zusammenhang eine Studie über den Eichmann Verteidiger Robert Servatius: Dirk Stolper: „Eichmanns Anwalt. Robert Servatius als Verteidiger in NS-Verfahren“, Frankfurt a. M./New York 2025, Campus, 498 Seiten, gebundene Ausgabe,  49 €. Siehe dazu die Rezension: https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/robert-servatius-anwalt-nazis-eichmann-prozess und auch:  https://www.arendt-research-center.de/team/index.html

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

 

 

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