Kann man Staat und Gesellschaft Mexikos heute in einem Satz definieren?

Die 20. der „unerhörten Fragen“.
Von Christian Modehn am 2.Juni 2024

Die Antwort auf unsere Frage:
„Unsere mexikanische Gesellschaft ist katholisch, machistisch und mit Blick auf Frauenrechte misogyn“.

Ein denkwürdiger Satz der mexikanischen Politikwissenschaftlerin Yomara Guerra Aguijosa, Professorin an der Georgetown University Washington D.C. Eine Erkenntnis, die Wesentliches auf den Punkt bringt zum Zustand der mexikanischen Gesellschaft heute. (Quelle: Tagesspiegel, 1.6.2024)

1.
Mexikos Gesellschaft ist auch heute noch katholisch bestimmt, trotz der Trennung von Staat und Kirche, auch wenn der Anteil der fundamentalistischen Evangelikalen immer mehr zunimmt genauso wie der Anteil derer, die sich als Atheisten bezeichnen.
Etwa 77 % der Bevölkerung nennen sich 2020 katholisch, etwa 11% evangelisch, etwa 8 % „ohne Religion“ bzw. atheistisch…LINK 

2.
Zum Begriff „katholisches Mexiko“: Da muss an die tiefe katholische Prägung erinnert werden mit der heftigen populären Verehrung der Jungfrau Maria in der Gestalt der Jungfrau von Guadalupe mit jährlich 20 Millionen Besuchern, LINK
Da muss an den Ausschluß von Frauen vom Amt der Diakonin und Priesterin der katholischen Kirche erinnert werde. Es folgt logisch die zweite Definition der Gesellschaft Mexikos: Sie ist machistisch geprägt:
Das heißt: Die Herrschaft der sich männlich gebenden herrschenden Männer (auch in der katholischen Kirche) ist in Mexiko total, selbst wenn jetzt zwei (explizit nicht – feministische) Frauen als Präsidentschafts – Kandidatinnen antreten. Frauen sind in dieser vom Marien – Jungfrau – Bild bestimmten Ideologie eher Wesen, die mit Göttlichem zu tun haben und nicht mit Weltlichem. Und Machismo bedeutet immer auch Gewalt, tötende Gewalt, die Kriege der Drogenbanden in Mexiko sind dafür deutlichster Ausdruck. Seit 2016 werden jährlich (!) mindestens 25.000 Tote als Opfer der Kriege der Drogenbanden in Mexiko genannt, von den vielen tausend jährlich “Vermissten” und “Verschwundenen” ganz zu schweigen.. LINK.

3.
Aus diesem ins Transzendente gehobenen Frauenbild folgt der Frauenhass, das Misogyne: Die ins Transzendente gehobenen Frauen werden als unerreichbare Wesen „beneidet“, sie können aber auch schnell als Hexen abgewertet werden: In dieser doppelten Deutung werden Frauen gehasst, als wertlos verachtet und … je nach Laune der Männer auch von Männern ermordet: Der Femizid ist in Mexiko weltweit an höchster Stelle. 2022 wurden 3.800 Frauen ermordet, 100.000 Frauen wurden als 2022 als vermisst gemeldet. LINK

4.
Nicht erwähnt wird von der mexikanischen Politikwissenschaftlerin der mit den genannten drei Qualitäten Mexikos zusammenhängende Kult um den Tod, der im „Dia de los muertos“ (1.November) seinen Höhepunkt findet. Dahinter steht eine in die Frühzeit Mexikos reichende Verehrung „des“ Todes… (unter anderen Quellen: LINK

5.

Man sollte also zusammenfassend sagen: Das so genannte katholische Mexiko mit seinem so inbrünstigen Volksglauben und exzessiven Marien- Kult, ist, so die Fakten, von den humanen Werten des christlichen Glaubens nicht bestimmt.

Der offenkundige Volksglaube in Mexiko ist außerstande, demokratische Werte und Menschenrechte definitiv als die obersten Werte überhaupt zu befreifen und dann auch durchzusetzen. Man sollte also in aller Ehrlichkeit von einem gescheiterten Katholizismus in Mexiko (und anderswo) sprechen.

Von Mord und Totschlag und Verschwinden von Journalisten und Politikern war hier noch keine Rede.

Dass es auch in Mexiko kleine Gruppen von Katholiken, vor allem auch einige Ordensleute, gibt, die die Menschenrechte praktisch (!) an die oberste Stelle des katholischen Lebens setzen, ist genauso unzweifelhaft. Aber es handelt sich dabei eben nicht um den “katholischen mainstream”.

Und man bedenke auch: Der katholische Orden der “Legionäre Christi” ist in der (obersten) Oberschicht Mexikos immer noch stark verwurzelt, mehr als ein Drittel der Mitglieder stammen aus Mexiko selbst. Diese – immer auch materielle – “Blüte” der Legionäre Christi in Mexiko ist um so erstaunlicher, als die Verbrechen des mexikanischen Ordensgründers Pater Marcial Maciel selbst von den obersten päpstlichen Instanzen des Vatikans bekannt gemacht und eingestanden wurden. Die vielen nachgewiesenen pädosexuellen Verbrechen Pater Maciels scheinen also so viele Katholiken in Mexiko nicht zu stören…

Ergänzung am 4.6.2024:

Der Vorgänger der neu gewählten mexikanischen Präsidentin Claudia Sheinbaum war López Obrador, schreibt Tjerk Brühwiller in der FAZ. Aber die Gewalt konnte er mit seiner Politik unter dem Motto “Umarmungen statt Kugeln” nicht eindämmen: “Während López Obradors Amtszeit wurden 180.000 Menschen umgebracht, 50.000 verschwanden. Mehr als 60 Prozent der Mexikaner fühlen sich in ihren Städten nicht sicher, auch weil die staatlichen Sicherheitskräfte und nicht selten auch die lokale Politik in Diensten der Kartelle stehen. Sheinbaum hat keine revolutionären Vorschläge präsentiert, wie sie Mexiko sicherer machen will.”

Copyright: Christian Modehn www.religionsphilosophischer-salon.de

Gibt es wichtige Opfer in Kriegen und Krisen und weniger wichtige?

Die 19. der „unerhörten Fragen“.
Ein Hinweis von Christian Modehn am 26.5.2024.

Aktuell (am 25.6.2024) zu den “Verhältnissen” der vor aller Welt verhungernden Menschen im Sudan: Siehe unten den TEXT bzw. LINK

1.
Diese Frage ist unerhört, sie wird kaum gehört und ist wahrscheinlich etwas frech und provokativ, eben unerhört.
2.
Es ist ja richtig und gut, dass wir stündlich, oft rund um die Uhr über die Entwicklung des Krieges Putins gegen die Ukraine und auch über den Mord der Hamas an 1.200 Juden und den Krieg Israels im Gaza-Streifen informiert werden, mit bisher ca. 36.000 von Israels Armee erschossenen, ermordeten Palästinensern, von den vielen tausend Verletzten ganz zu schweigen.

3.
Aber diese Fixierung der Informationen auf zwei Regionen – lenkt auch ab von den Krisen und Kriegen, dem Mord und Totschlag in anderen Regionen der Welt! Wieviele unschuldige Opfer werden in den großen Medien verschwiegen oder kurz vor dem Wetterbericht in den TV Nachrichten erwähnt? Wir denken jetzt an den Krieg in dem afrikanischen Staat Sudan. Natürlich könnte man auch von Mord und Totschlag in Haiti sprechen oder vom Abschlachten der Menschen im Osten der Demokratischen Republik Kongo im Konflikt mit Ruanda. Dort landen demnächst die in England abgewiesen afrikanischen Flüchtlinge…Auf die das Morden und Totschlagen in den Kriegen in Syrien, Jemen, Nigeria und so weiter und so weiter soll hier nur hingewiesen werden. Überall, diese „weniger wichtigen Menschen, diese weniger wichtigen Opfer“.

4.
Das objektive „Clingendael-Institute“ in Wassenaar (Niederlande) LINK ,  berichtet, dass im Sudan mindestens sieben Millionen Menschen vom baldigen Hungertod bedroht sind. LINK. Die verhungernden sieben Millionen sind auf der Flucht im eigenen Land, aber auch in die armen Nachbarstaaten… nur, weil sich zwei Herrenmenschen, die Generäle Mohammed Hamdan Daglo und Abdel Fattah al-Burhan, um die Macht streiten und dabei den Staat Sudan mit seinen 50 Millionen Einwohnern zugrunde richten.

5.

Wer zählt jetzt noch die vielen Tausend Hunger – Toten im Sudan? Wer hat praktisches Erbarmen mit den dort noch lebend-hungernden-durstigen Menschen? Zur aktuellen Situation, siehe auch im Deutschlandfunk, LINK

6.
Unsere unerhörte Frage also: Warum schaut die demokratisch verbliebene Welt diesem Massen – Sterben und Verhungern seit Monaten zu? Es gibt ja dort noch Netzwerke von Hilfswerken, wer organisiert wirksame Hilfe? Wer überlegt in den wichtigen demokratischen Gremien der Welt, wie die beiden absoluten Gewalttäter dort definitiv „zur Vernunft gebracht“ werden können? „Dafür braucht es einen viel stärkeren politischen Einsatz, ein Krisenmanagement auf höchster Ebene“, schreibt Arne Perras in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 24.5. 2024.

7.
Ist die Ignoranz gegenüber den krepierenden afrikanischen Menschen in Sudan auch Ausdruck eines Rassismus?

Wie soll ein vernünftiger Mensch mit der Aussage des bekannten Gastrokritikers Andrea Petrini umgehen: “Im Moment reisen zu wenige wegen des Essens nach Afrika” (Tagesspiegel, Wochende, 1. Juni 2024, S. 12). Eine weiterführende Idee: Warum wird nicht gefragt: Wo finden die besten wirksamen Abspreck – Kuren für stark Übergewichtige aus Europa in den Hungerzonen Afrikas statt?

8.
Weil wirksame Hilfe nicht geschieht, darf man doch die begründete Meinung haben: Es gibt auch in der demokratischen Welt eben wichtige Opfer und weniger wichtige Opfer. Die einen werden ständig beachtet, ihnen wird geholfen mit Milliarden Dollars und Waffen…. die anderen überlässt die demokratische Welt eher dem langsamen Tod.

9.
Ich höre es schon: „Aber diese Opfer in der Ukraine und in Israel stehen uns Deutschen (und allen Europäern) doch näher!” Mag ja sein. Wenn die Ukraine von Putin beherrscht werden sollte, ist Putins Krieg im übrigen Europa nicht mehr weit… und Deutsche fühlen sich zurecht den jüdischen Menschen in Israel verbunden. Aber Deutschland ist nicht absolut ergeben und gehorsam gegenüber einer Netanyahu Regierung, das sagen bekanntlich auch kritische jüdische Intellektuelle in Deutschland…

10.
Darum gilt dieser Imperativ. Menschlichkeit, auch als Rettung von Hungernden in höchster Not, hat nichts damit zu tun, ob uns Menschen „nahe“ stehen. Eine humane Menschheit muss alles tun, den in größter Not Leidenden zu helfen, egal, welche Religion sie haben, egal, welche Hautfarbe sie haben, wie gebildet oder ungebildet sie sind. Egal, ob die Leidenden in einem “für uns“ ökonomisch wichtigen Land leben, das wir ja dann aus ökonomischem Eigeninteresse schützen.

11.
Im Gedenkjahr „75 Jahre Grundgesetz“ wird die unantastbare Würde eines jeden Menschen ganz groß verbal herausgehoben. Auch die fernen Nächsten in Sudan haben diese absolut zu schützende Würde. Es gibt also keine moralische und ethische und deswegen auch keine politisch relevante Unterscheidung zwischen wichtigen Opfern und unwichtigen Opfern, d.h. es gibt keinen Unterschied zwischen wertvollen und weniger wertvollen Menschen. Solches zu denken zu sagen, ist Rassismus. Damit ist unsere 19.  unerhörte Frage definitiv beantwortet.

12.
In Paris fand im April 2024 eine Konferenz statt, um den leiden Menschen im Sudan zu helfen. „Zum Auftakt der Konferenz in Paris kündigte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock an, Deutschland werde dem Sudan weitere 244 Millionen (sic) Euro an humanitärer Hilfe zur Verfügung stellen. Gemeinsam kann es uns gelingen, eine furchtbare Hungerkatastrophe zu verhindern, aber nur, wenn wir jetzt gemeinsam aktiv werden”, betonte Baerbock. LINK .

13. Wie fern ist uns der Sudan?
Die Entfernung (Luftlinie) Berlin – Khartum (Sudan): 4.400 KM.
Die Entfernung (Luftlinie) Berlin – Washington DC (USA): 5.900 km.

14. ERGÄNZUNG am 25. Juni 2024:

Südsudan: Hilfswerk prangert Lage in Flüchtlingscamps an

Das österreichische Hilfswerk „Don Bosco Mission Austria” hat die Lage in den Flüchtlingscamps im Südsudan als „kritisch” bezeichnet. Das katholische Hilfswerk äußerte sich am Dienstag unter Berufung auf den Salesianerpater Allen Chrisrea, der vor Ort ist. Er erklärte, Hunderttausende in den Südsudan Geflüchtete bräuchten Lebensmittel, Trinkwasser, medizinische Versorgung und sichere Unterkünfte. Die Notwendigkeit für Hilfe wachse täglich.

Der Bürgerkrieg im Sudan führt weiter zu einer Massenflucht in die Nachbarstaaten. Seit Ausbruch des Machtkampfs zwischen rivalisierenden Generälen in Khartum sind laut dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR neun Millionen Menschen im Sudan vertrieben worden. Fast zwei Millionen von ihnen sind ins Ausland geflohen. UN-Flüchtlingskommissar Filippo Grandi warnte nach einem Besuch im Bundesstaat Weißer Nil vergangene Woche davor, dass durch die anhaltenden Kämpfe die Stabilität in der gesamten Region auf dem Spiel stehe: „Die militärischen Führer und diejenigen, die Einfluss auf sie haben, müssen den Frieden zur Priorität machen”, verlangte Grandi. Andernfalls würden die Menschen weiter in Nachbarländer wie den Tschad und den Südsudan fliehen. Diese hätten gerade erst eigene Konflikte überwunden und seien nicht in der Lage, weitere Millionen Menschen zu ernähren.
„Die militärischen Führer und diejenigen, die Einfluss auf sie haben, müssen den Frieden zur Priorität machen“
Don Bosco Mission Austria unterstützt mit finanziellen Mitteln die humanitäre Hilfe der Salesianer Don Boscos in der Region, etwa im Flüchtlingscamp in Kuajok, wie das Hilfswerk berichtete. Die geflüchteten Menschen fänden hier eine sichere Bleibe und erhielten Lebensmittel, Hygieneartikel sowie medizinische Hilfe. Sauberes Trinkwasser und sanitäre Anlagen verhinderten den Ausbruch von Krankheiten. Therapeutische Angebote sollen den Geflüchteten helfen, erlittene Traumata zu verarbeiten.

Neben Kuajok betreiben die Salesianer im Südsudan auch in Gumbo, Juba, Maridi, Wau und Tonj Gesundheitsstationen, Krankenhäuser, Schulen und Berufsbildungszentren. Mittlerweile versorgen sie an diesen Orten nach eigenen Angaben mehrere Zehntausend Menschen.
Hintergrund
Seit April 2023 liefern sich im Sudan die Armee von Militärherrscher Abdel Fattah al-Burhan und die RSF-Miliz (Rapid Support Force) seines früheren Stellvertreters Mohamed Hamdan Daglo einen blutigen Machtkampf. Zehntausende Menschen sollen bereits getötet worden sei. Manche Schätzungen gehen von bis zu 150.000 Toten aus.
Quelle: Vatican news am 25.6.2024

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

 

Entspricht es der Menschenwürde, mit einem Diktator und Kriegsherren befreundet zu sein?

Die 18. der “unerhörten Fragen”.

Zugleich ein Beitrag zur aktuellen politischen Anwendung von Kants „Kategorischem Imperativ“.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 9.4.2024. “Es geht doch dabei nicht um eine moralische Frage !!!”  Doch, natürlich…

1.
Unter welchen Bedingungen darf ich als Demokrat, der universell geltenden Menschenwürde entsprechend, mit einem Diktator und Kriegstreiber (oder auch auch Verbrecher, Mafioso etc…) befreundet sein?

2.
Vorausgesetzt, Freundschaft ist dabei ein intensiveres geistiges Einvernehmen mit einer anderen Person als eine oberflächliche „Bekanntschaft“ mit irgendjemandem.

3.
Dann kann die Antwort auf diese Frage nur heißen: Diese Freundschaft sollte alles daran setzen, den Diktator, den Kriegstreiber usw. von seinem inhumanen Irrweg zu befreien. Und zwar möglichst umgehend und definitiv und objektiv kontrollierbar.

4.
Sollte aber diese Überzeugungsarbeit zum ethisch guten Leben gegenüber dem Diktator – Freund, Kriegstreiber – Freund nicht gelingen: Dann soll ich, soll jeder,  diese Freundschaft aufkündigen, mindestens nach einigen Monaten der Geduld und „Wartezeit“. Freundschaften haben im Unterschied zu „Ehe – Verträgen“ die Eigenschaft, sofort – auch einseitig – kündbar zu sein.

5.
Es kann aber auch sein: Der besagte Freund des Diktators denkt selbst so wie sein Diktator – Freund, und dabei nur an den eigenen riesigen materiellen Profit: Und dieser sich nach außen so human zeigende Freund verschweigt diese seine Interessen raffiniert – diplomatisch und in der Öffentlichkeit blasiert: Dann muss dieser Zusammenhang eigens öffentlich freigelegt und analysiert werden. Denn dann lässt der Freund die universal geltenden Menschenwürde de facto auch für sich selbst nicht gelten, er entzieht sich dann selbst – wie sein Freund, der Diktator – den universal geltenden moralischen Prinzipien. Wen interessiert das noch?

6.
Diese Haltung wird immer dann sichtbar, wenn diese Leute, also etwa diese „Freunde“, die Geltung moralischer Prinzipen für sich selbst abweisen und Moral im allgemeinen lächerlich machen, und so tun, als wäre Moral immer nur spießige Sexual – Moral. Und für sie gelte Moral nicht! Damit verabschieden sich diese Leute aus der humanen Menschengemeinschaft, die ohne universell geltende Normen nicht (über)leben kann. Dass diese Weltordnung heute zerbricht, liegt an der egoistischen Ignoranz derer, die universell geltende humane Moral für sich selbst ablehnen.

7.
Diese selbstverständlich (!) nur sehr allgemein formulierte (!) unerhörte Frage findet eine Antwort in einer Formulierung Kants über den von ihm entdeckten universal geltenden „Kategorischen Imperativ“: „Handle nur nach derjenigen Maxime (also deinem Grundsatz fürs Leben), durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“

Konkret übersetzt heißt diese gültige Erkenntnis Kants: Der Freund eines Diktators kann niemals – falls Vernunft beim Freund vorhanden ist – annehmen, dass Freundschaft mit einem Diktator von allen Menschen als Lebens- Maxime gelebt werden sollte.

Denn dann würde diese Welt in viele egoistisch fundierte Diktatoren – Freundschaften versinken und sich selbst zerstören. Auf diesem Weg als Abschied von der Demokratie sehen leider manche Beobachter diese heutige Entwicklung der Welt, besonders, wenn man an die immer noch unterstützenden Freundeskreise der hier nur selbstverständlich philosophisch – abstrakt genannten Freunde von Diktatoren etc. denkt.

8.

Es bedarf wohl keiner ausführlichen Erläuterung: Die ökonomischen Beziehungen demokratischer Staaten mit Regimen, die nicht die Menschenrechte respektieren, (Öl produzierende Staaten etwa), sind überhaupt keine Beziehungen von Freunden. Diese wirtschaftlichen Beziehungen sind keine Freundschaften, sondern einzig rechtlich gestaltete Handelsbeziehungen. Bei denen Demokraten trotzdem alles daran setzen sollten, dass Menschenrechte in den genannten Staaten, in vollem Umfang respektiert werden.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Hat Kant die Metaphysik vernichtet? Also die Frage nach Gott, der Freiheit, der Unsterblichkeit der Seele?

Die 17. der unerhörten Fragen.
Von Christian Modehn

1.
Kaum eine andere philosophische Vorstellung hat sich bis heute so durchgesetzt und verbreitet wie die Frage: Hat Immanuel Kant die Metaphysik vernichtet? Meist wird diese Vorstellung nicht als Frage, sondern als These, als Behauptung, wenn nicht als Erkenntnis propagiert und einfach so … geglaubt und weitererzählt.

2.
Es war der Philosoph Moses Mendelssohn (1729 – 1786), der die These verbreitete: Kant habe die Metaphysik, so wörtlich, „zermalmt“, also zerstört und unmöglich gemacht. Mendelssohn spricht davon in seinem Buch „Morgenstunden oder Vorlesungen über das Dasein Gottes“ (1785). Auch Heinrich Heine behauptete, Kants Äußerungen zu einem religiösen Glauben seien nicht ehrlich gemeint. Manfred Kühn hat in seiner Kant – Biographie von 2004 behauptet, Kant sei ein Atheist. Marcus Willaschek (Kant, München, 2024, S. 361) hat hingegen gezeigt, „dass Kant tatsächlich an einen personalen Gott geglaubt hat“ (ebd.).

3.
Es gehört sozusagen zu einer „Pflicht – Erkenntnis“ in diesem Jahr des Kant – Jubiläums (300. Geburtstag am 22.4.2024): Jeder und jede muss sich von diesem Vorurteil verabschieden, „Kant als Zermalmer, als Vernichter, der Metaphysik“ zu deuten. Und einzusortieren. Es gilt hingegen: Kant hat weiterhin von einer Metaphysik gesprochen, und diese begründet, er hat sie inhaltlich entwickelt und verteidigt. Aber es geht ihm um eine Metaphysik, die man zuvor gar nicht kannte. Die aber den Namen Metaphysik zurecht verdient, als Ausdruck von Argumenten und Erkenntnissen der Erforschung der inneren Welt der Vernunft.

4.
Metaphysik als Beschäftigung der Philosophierenden untersucht den Alltag der Menschen hinsichtlich der grundlegenden Sinnfragen, der Frage nach einem alles gründenden Göttlichen, nach dem, was Seele meint, was Freiheit bedeutet. Hintergrund ist dabei die entschiedene Abwehr der oberflächlichen Behauptung: Der Mensch sein „nichts als“ ein Naturwesen, eigentlich ein etwas anspruchsvolleres Tier, ein Wesen, das eher nach festgelegten Prägungen und Determinanten handelt und die Frage nach einem göttlichen Gründenden usw., als überholten Unsinn „entlarvt“. Aber der Mensch ist eben kein Wesen, das bloß im banalen Alltag auf-geht und dann aus ihm wieder ab-geht (ins Nichts?)

5.
Dieter Henrich, ein international hoch geschätzter Philosoph, schreibt in seinem Aufsatz „Warum Metaphysik“ (Reclam, „Bewusstes Leben“, 1999, S. 75): „Die metaphysischen Fragen bilden sich spontan zusammen mit jedem Bewusstsein aus, das zur Lebensreife kommt – oft schon in der frühen Kindheit“.

6.
Was versteht Kant unter lebendiger und vernünftiger Metaphysik?
Metaphysik ist als eine Weisheit zu verstehen, „die nicht zur Wissenschaft umgebildet werden kann“ (Henrich, S. 76). Kant hat in einer seiner grundlegenden Schriften, „Kritik der reinen Vernunft“, die bis zu ihm überlieferte Metaphysik tatsächlich „zum Einsturz gebracht“(ebd.) Es gibt für Kant keine wissenschaftlichen Beweise, es keine strengen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, die Antwort geben könnten auf unsere metaphysischen Fragen nach dem Göttlichen, nach der Freiheit, der Seele usw. „Aber Kant hat sein eigenes philosophisches Programm wiederum als eine Art von Metaphysik dargestellt“ (ebd.) Und diese Metaphysik Kants argumentiert nicht mehr nach Art eines Leibniz oder Thomas von Aquin, sie konnten noch ihre Einsichten als objektive wissenschaftliche Erkenntnisse ausgeben. Kant hingegen studiert die innere Welt der menschlichen Vernunft, und was er da wahrnimmt, das sind ja durchaus auch „Erkenntnisse“, aber eben keine naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, schon gar keine Beweise. Kants metaphysische Einsichten werden ausgesagt als wahre Überzeugungen oder als notwendige Postulate des Denkens, ohne die ein vernünftiges humanes Leben nicht auskommt.

7.
Die metaphysischen Überzeugungen, an denen Kant unbedingt festhält, sind fundiert im sittlichen Bewusstsein, also der vernünftigen Lebenspraxis in Freiheit. Und diese „Entdeckung“ der Metaphysik inmitten der ethischen Lebenspraxis wird von Kant ausführlich herausgearbeitet. Die unbedingte Geltung moralischer Gebote können die Menschen, Kant folgend, durchaus als göttliche Gebote betrachten. Aber es eben nicht Gott, der den Menschen diese Gebote auferlegt.Die moralischen Gebote sind Ausdruck der menschlichen Vernunft. Denn das Bewusstsein des Sittengesetzes, des Kategorischen Imperativs, ist in jedem Menschen aufgrund der Vernunft lebendig, Kant bezeichnet diese Präsenz des Sittengesetzes sogar als „Offenbarung“ (Marcus Willaschek, Kant, 2024, S. 204.
8.
Der Philosoph Otfried Höffe schreibt (In „Philosophie Magazin“, Sonderausgabe, 2024, S. 101): „Kant beendet alle drei Kritiken („Kr. der reinen Vernunft“, „Kr. der praktischen Vernunft“, „Kr. der Urteilskraft“) mit einem moralphilosophisch begründeten Fürwahr-Halten der Existenz Gottes und der Unsterblichkeit der Seele. Allein sie garantieren nämlich, dass die Welt als jene am Ende doch vernünftige Ordnung gedacht werden kann, in der der Rechtschaffene nach Maßgabe seiner Rechtschaffenheit des Glücks teilhaftig wird…“

9.
Im unvollendeten Spätwerk, dem Opus postumum, betont Kant: „Gott ist kein hypothetisches Ding, sondern er ist die reine Vernunft selbst“ (zit. Willaschek, S. 97). Das heißt: „Die Vernunft hat für Kant etwas Göttliches an sich“ (ebd.). Könnte man ins Theologische übergehend, dann die Vernunft im Sinne Kants als den „heiligen, den göttlichen Geist“ nennen? Ich denke: Ja! Aber darüber sollte man diskutieren.

Zum christlichen Glauben in der Sicht Kants: LINK.

Copyright:Christian Modehn, religionsphilosophischer-salon.de

Die weiße Flagge des Papstes: Für den Sieg Putins?

Ein Hinweis  von Christian Modehn am 11.3.2024.

Darüberhinaus stellen wir die 16. der “Unerhörten Fragen”:
„Warum hisst der Papst nicht selbst die weiße Fahne in seinem Vatikan und ruft endlich den Reform-Katholiken entgegen: Ihr habt recht, Ihr habt mit euren richtigen Reform-Vorschlägen gesiegt. Meine theologischen Positionen waren falsch“…

1.
„Die weiße Fahne hissen“ – das bringt Papst Franziskus jetzt in die Debatten ein auf der Suche nach einem gerechten Frieden für die Ukraine. Der Papst wünscht offenbar, dass die Ukraine die weiße Flagge hisst. Eine Niederlage wäre das, für die Ukraine und die demokratische Welt. Die Idee der weißen Flagge hat uns aber nicht losgelassen und wir bedenken dieses Symbol eben in anderem Zusammenhang auch, darum diese 16. „Unerhörte Frage“.
Man könnte nun meinen, diese 16. Frage in unserer Reihe „Unerhörte Fragen“ sei nun wirklich unerhört und etwas frech. Denn angesichts der Äußerungen des Papstes für das Schweizer Fernsehen RSI im März 2024 geht es um Leben und Tod, nicht um die ewige Leier der ständig besprochenen theologischen Querelen. Ihnen ist im katholischen Zusammenhang sicher nur mit Ironie noch beizukommen.

Darum vorweg diese Informationen: Was sagte der Papst, veröffentlicht am 11.3.2024, im Interview für den Schweizer Sender RSI: Die Ukraine (und damit der Westen) möge doch die „Weiße Flagge“ der Unterwerfung hissen und diese offenbar ehrerbietig Putin entgegen halten… Was der greise Papst Franziskus da so alles plaudert, ist verstörend und zumal für die UkrainerInnen und ihre UnterstützerInnen ein Skandal.

2.
Man muss sich zunächst fragen: In welcher Funktion spricht da eigentlich Franziskus/Mario Bergoglio? Spricht er als Papst, also als oberster Seelsorger und Hirte der Katholiken? Oder spricht er – seiner immer problematischen Doppelrolle entsprechend – als Chef des Staates Vatikanstadt: Diese politische Rolle als politischer Wahl – Monarch eines Zwergen – Staates (ca.700 Bürger) nützt der spirituelle Chef „Papst“ öfter aus, um sich weltpolitisch einzuschalten. Und um aufgrund seiner Heiligkeit („Heiliger Vater“) und des ehrwürdigen Ambiente des Vatikans von vielen noch ernst genommen zu werden. Sollen die Leute denken: Der „heilige Vater“ sagt etwas, o Gott, da muss man in die Knie gehen, wird schon stimmen, was er sagt… Aber hat der greise Wahlmonarch im Vatikan wirklich so viele intime und geheime Kenntnisse des Weltgeschehens, dass er meint, sich in die Debatten kompetent einmischen zu dürfen? Oder setzt er nur auf seine angeblich Autorität als „heiliger Vater“…Vielleicht sollte man mal den Dalai Lama fragen, wie es mit der Ukraine weiter geht. Und vielleicht sagt er dann nach altbekannter Manier die wegweisenden Worte: „Die Liebe ist das Höchste“.
Nebenbei: Papst Pius XII. schaltete sich öffentlich viel zu selten ein, um den Massenmord an den europäischen Juden zu verhindern. Vielleicht will da der Staatschef Papst Franziskus irgendwas „gut machen“? Bloß wem nützt er tatsächlich? Im Falle der Interview-Äußerung eindeutig dem Diktator Putin.

3.
Der „Spiegel“ berichtet, das genannte Interview mit dem Schweizer Fernsehen RSI wurde bereits im Februar 2024 geführt, es soll aber erst am 20.März 2024 gesendet werden.
Man darf sich fragen: Hatte der Papst vor diesem Interview mit dem russischen Patriarchen und Putins Chefideologen Kyrill telefoniert? Im März 2022 sagte Kyrill nach dem Telefongespräch mit dem Papst: Er hoffe, „dass so bald wie möglich ein gerechter Frieden erreicht werde“ (SZ, 24.3.2022). Der Papst ist bekanntermaßen von Kyrill I . sehr angetan, der Papst will unbedingt die Ökumene mit Russland, mit den Orthodoxen, fördern; der Papst war sich nicht zu schade, schon 2016 den Patriarchen Kyrill ausgerechnet in KUBA zu treffen, in diesem kommunistischen Regime fühlte sich der ehemalige KGB Mitarbeiter Kyrill besonders wohl.
Wie wäre es, wenn der Papst mal nach Kiew fährt? In der hübschen Mongolei war er im vergangenen Jahr einige Tage lang (offenbar in Erwartung, dort den Patriarchen Kyrill zu treffen), in diesem Jahr will der Papst nach Belgien reisen, warum also nicht alsbald mal nach Kiew?? „Falls er dort von russischen Attacken ermordet wird, hätte er große Chancen, sofort als Martyrer zu gelten und damit den wichtigsten Schritt zur Heiligsprechung erreicht zu haben“, das schreibt uns ein Freund aus Kiew, sichtlich erregt über die Äußerungen des Papstes.

4.
Der Papst sagte also in dem Interview mit dem Sender RSI den Ukrainern und dem Westen: „Schämt euch nicht, zu verhandeln, bevor es noch schlimmer wird“. „Wenn man sieht, dass man besiegt ist, dass es nicht gut läuft, muss man den Mut haben, zu verhandeln”, Er sei der Ansicht, dass derjenige Stärke zeige, „der die Situation erkennt, der an das Volk denkt, der den Mut hat, die weiße Flagge zu hissen und zu verhandeln.“ Welche Verdrehung der Tatsachen: Die Ukraine ist doch nicht besiegt! Und Putin lehnt echte Verhandlungen, die den Namen verdienen, ab. Friede heißt für ihn: Die besetzten Gebiete der Ukraine zu Russland zuschlagen und dann weiter gegen Europa zuschlagen.

5.
Woher nimmt Papst Franziskus seine Kenntnis, um zu behaupten: Die Ukraine sollte den Mut haben, eine »weiße Fahne« zu hissen und ein Ende des Kriegs mit Russland auszuhandeln. Der Papst denke, »dass der Stärkste derjenige ist, der die Situation betrachtet, an die Menschen denkt, den Mut der weißen Fahne hat und verhandelt«, sagte Franziskus in dem Interview mit dem Schweizer Sender RSI. (Quelle, Spiegel online. 9.3.2024).
Denkt der Papst in den Kategorien der schlichten Alltagsweisheit „Der Klügere gibt nach“? Dies ist ein Spruch, der seine Gültigkeit etwa hat, wenn sich zwei Nachbarn streiten über die Farbe des Gartenzaunes. Aber gilt diese Alltagsweisheit noch angesichts eines Diktators Putin? Hätte Papst Pius XII. etwa den wenigen Widerstandskämpfern gegen die Nazis zurufen sollen: Der Klügere gibt nach, hört auf mit eurem Widerstand“?

6.
Über diese Vorschläge des Papstes im März 2024 kann sich nur Russland freuen, und auch die mit Russland verbundenen rechtsradikalen und linksradikalen Parteien in Europa: Die Diktatur Putins reagierte prompt und hoch erfreut: “Einer der wenigen zustimmenden Kommentare zu den Vorschlägen des Papstes kam aus Moskau. Dort erklärte die Sprecherin des Russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, Franziskus habe eigentlich nicht Kiew, sondern dem Westen geraten, Verhandlungen zu beginnen. Leider habe der Westen das ukrainische Volk und den Weltfrieden geopfert, um seine Ziele zu erreichen. Nun bittet der Papst “den Westen, seine Ambitionen aufzugeben und einen Fehler zuzugeben”, sagte Sacharowa laut der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass; sie fügte hinzu, Russland habe nie Verhandlungen blockiert.“ (Quelle: am 10.3.2024: https://www.katholisch.de/artikel/51745-viel-kritik-am-werben-des-papstes-fuer-weisse-fahne-der-ukraine).

7.
Nun zu unserer 16. der „unerhörten Fragen“: 
Sollte Papst Franzislkus nicht am besten sofort eine große weiße Fahne im Vatikan anfertigen lassen (ein großes päpstliches Laken reicht nicht) und diese weiße Flagge im Apostolischen Palast auch Richtung Deutschland oft schwenken?? Und laut verkünden, am besten mehrfach: „Ich ergebe mich, ich bin auch theologisch etwas veraltet und nicht mehr mutig: Und ich sage nun als Papst feierlich: Die Reformkatholiken in Europa haben recht: Ab sofort wird dieser theologische und menschliche Unsinn “Zölibatsgesetz” für Priester abgeschafft. Und: Ab sofort sind die Frauen voll respektierte, vollständig gleichwertige Mitglieder der römisch – katholischen Kirche. Frauen können selbstverständlich auch ab sofort Priesterinnen werden.“

8.
Der Papst hat also seine Niederlage gegenüber den Reformkatholiken weltweit zugegeben, die weiße Flagge schwenkend ruft er: „Ich hisse meine weiße Flagge auf dem Petersplatz. Jetzt kann die Kirche endlich eine Gemeinschaft werden, die den Namen Kirche Jesu Christi wirklich etwas mehr verdient.

9. Am 15.3.2024 ergänzt: Dr. Regina Elsner, Mitarbeiterin am “Zentrum für Osteuropa “in Berlin (ZOIS) hat einen ergänzenden interessanten Beitrag verfasst in “Christ in der Gegenwart”: LINK.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Kann die katholische Kirche wirksam die Demokratie verteidigen?

Die 15. der „unerhörten Fragen“.
Von Christian Modehn, 11.9.2023.

Die unerhörte Frage heißt:
Kann die katholische Kirche überhaupt die Demokratie glaubwürdig verteidigen, weil diese Kirche sich selbst ausdrücklich als „nicht-demokratisch“ definiert?

Ein Motto, am 19. Juni 2024 von C.M. notiert:

Die Pyramide ist immer das Bild, um Diktaturen zu beschreiben. Der Faschismus Italiens z.B. war als Pyramide konzipiert und organisiert, an der Spitze konzentrierten sich alle Gewalten. So ähnlich ist auch der Vatikan, die Leitung der katholischen Kirchem bis heute organisiert. Alles dreht sich um den – bis jetzt noch – allmächtigen Papst. (vgl. den Aufsatz “Antithese des Faschismus”, von Roberto Scarpinato, in “Lettre International”, Nr. 145, S. 7

Die kurze Antwort:

Die katholische Kirche kann gar nicht glaubhaft und wirkungsvoll für Demokratie und demokratische Werte eintreten, weil sie selbst undemokratisch verfasst ist und auch heute bewusst, explizit nicht-demokratisch organisiert sein will…. und die universal geltenden Menschenrechte in ihrer eigenen Organisation nicht respektiert. Von demokratischer Transparenz kann in dieser Kirche mit dieser Struktur keine Rede sein.

Diese Erkenntnis gilt, selbst wenn jetzt in einer umfangreichen Studie der Historiker Francois Huguenin (“La grande conversion”, Ed. du Cerf, Paris, 2023) ins Schwärmen kommt, wie sehr doch und so großartig das 2. Vatikanische Konzil die Menschenrechte anerkannt habe. Verglichen mit der extremsten Feindschaft der Päpste gegenüber den Menschenrechten bis ca. 1900 hat Huguenin ja recht. Aber man beachte: Das Stichwort “Menschenrechte kommt im Sachregister des “Kleinen Konzilskompendium”, der Sammlung aller offiziellen Texte des 2. Vatikanischen Konzils, nur einmal vor. Und das Stichwort “Demokratie” nur 2 mal, ohne dass dabei an den angegebenen Stellen das Stichwort selbst erwähnt wird. Also: Im offiziellen Selbstverständnis der römischen Kirche spielen weder Menschenrechte nich Demokratie eine herausragende Rolle.

Der aktuelle Hintergrund:
1. Der Päpstliche Nuntius in der Europäischen Union, Bischof Noel Treanor, sagte in Berlin am 4. 9.2023: „Wir alle stehen in der Verantwortung, mit unserer Demokratie achtsam umzugehen“ (Quelle: Tagesspiegel, Berlin, 6.9.2023, S. 32). „Unsere Demokratie“? Damit meint der Bischof sicher nicht die Verfassung seiner Kirche.
Denn die römisch-katholische Kirche definiert die Verfassung ihrer Organisation ausdrücklich als „nicht-demokratisch“, sondern als von Gott gestiftete „heilige Herrschaftsordnung“. Die Kirche glaubt, sie besitze die absolute Wahrheit, die vom Klerus verwaltet und verteidigt wird. Und der Klerus lässt nicht demokratisch über die Kirchen-Verfassung verfügen.

2. Die Stellungnahme von Bischof Treanor ist keineswegs eine Ausnahme: Nur zwei Beispiele: Erzbischof Rino Fisichella von der Päpstlichen Lateranuniversität sagte 2009: „Die Kirche, die sich auf Prinzipien beruft, die einen höheren als den menschlichen Ursprung haben, könnte niemals eine irgendwie geartete Einmischung des Staates in ihre Inhalte akzeptieren“ (zit in: Corrado Augias, Die Geheimnissee des Vatikan. C.H.Beck Verlag, 2011, S. 443). Mit anderen Worten: Vernünftige Kritik selbst von demokratischen Staaten lehnt die Kirche ab, weil sie behauptet, „einen höheren als einen menschlichen Ursprung zu haben“, d.h. diese Kirche schottet sich als Burg und Insel ab…
Die römisch-katholische Kirche ist als bewusst nicht-demokratische Organisation so unbescheiden, offiziell zu verlangen, dass „sich die Politiker in ihren Urteilen und Entscheidungen nach der geoffenbarten Wahrheit über Gott und den Menschen richten , so in § 2244 im offiziellen römischen „Katechismus der katholischen Kirche“, München 1993, S. 572).

3. Die Kirche mit dem Papst an der Spitze wird von Politologen treffend als absolute „Wahl-Monarchie“ definiert. Und der Papst ist zugleich auch Staatschef des Völkerrechtssubjekts „Heiliger Stuhl“ und in dieser Position nicht demokratisch legitimiert.

4. Der Papst und Bischöfe und Priester verteidigen zwar – endlich – erst seit etwa 60 Jahren (!) – mehr oder weniger wirksam in der Öffentlichkeit die universal geltenden Menschenrechte. Aber trotz aller feierlichen Reden: Demokraten können diesen Worten nicht so richtig vertrauen: Denn die Kleriker lassen die universal geltenden Menschenrechte (etwa in der Erklärung von 1948) in der eigenen Organisation, der römisch-katholischen Kirche, nicht gelten, siehe etwa die Degradierung der Frauen in dieser Kirche im Hinblick auf den Zugang zu den klerikalen Ämtern, etwa dem Priesteramt. Dafür beruft sich diese Organisation in einer fundamentalistischen Bibel – Interpretation auf Jesus-Worte im Neuen Testament.

5. Indem die Kirche die Frauen letztlich als nicht vollumfänglich- gleichberechtigte Personen anerkennt, entsteht direkt und indirekt der Eindruck: Eigentlich sind Frauen nur Wesen zweiter Klasse. Frauen nicht zu respektieren, sie zu schlagen, auszugrenzen usw. ist deswegen eher normal und entspricht irgendwie vielleicht sogar dem kirchlich propagierten Willen Gottes. Die katholische Kirche ist also direkt und indirekt Schuld an dem miserablen Zustand der Frauenrechte zumal in katholischen Ländern, wie Polen oder Lateinamerika.

6. Und wie soll ein Papst, der den homosexuellen Katholiken nicht volle Gleichberechtigung in seiner Kirche zugesteht, man denke etwas das päpstliche Verbot der Ehe für Homosexuelle, an das Zulassungsverbot zum Priesteramt für offen homosexuelle Männer, wie soll also ein solcher Papst tatsächlich wirksam gegen die aktuelle Verfolgung von Homosexuellen in Uganda protestieren: Da können doch die dortigen katholischen Homo-feindlichen Politiker nur lachen über päpstliche Worte…

7. Weil die katholische Kirche explizit und gewollt als nicht-demokratische Organisation auftritt, kann sie es sich auch erlauben, in Situationen, in denen ihre Verhaltensweisen zu demokratischer Kritik oder juristischem Klärungsbedarf aufrufen, ihre transzendente Sonderrolle („über dem Staat befindlich“) durchzusetzen. Die totale Intransparenz der offiziellen kirchlichen Gebaren ist ein Schutz für die absolute Wahlmonarchie des Papsttums und des Klerus.

8. Wenn man in der demokratischen Öffentlichkeit die Verteidigung der Demokratie und der Menschenrechte durch diese Kleriker noch ernst nimmt, dann nur, wenn man die Kleriker als Bürger eines demokratischen Rechtsstaates wahrnimmt, nicht aber als Vertreter dieser Organisation und deren Theologie. Tatsächlich leisten Mitglieder dieser Kirche wichtige Arbeit im Sinne der Menschenrechte, aber dann, wie gesagt, immer als demokratisch gesinnte Bürger, nicht aber Mitglieder einer explizit antidemokratischen Organisation Kirche. Oder sie folgen eigenwillig „nur“ den Weisungen Jesu und eben den Vorschriften ihrer Kirchenführer.

9. Die katholische Kirche steht sich mit ihrer bewusst akzeptierten antidemokratischen Struktur (angeblich von Gott so gewollt) selbst im Wege, wirksam für parlamentarische Demokratie, für den Rechtsstaat im Sinne der Menschenrechte, einzutreten. Alle noch so gutgemeinten Appelle und Enzykliken der Päpste und Bischöfe der letzten 50 Jahren sind in dem Sinne letztlich politisch wirkungslose Erzeugungen von Papierbergen. Die demokratische Öffentlichkeit glaubt den klerikalen Verfassern einfach nicht deren demokratische Gesinnung, die sie als Kleriker dieser Kirche ja ohnehin nicht haben dürfen, sondern nur als Bürger eines demokratischen Staates. Aber die Kirchenführer sprechen in ihren Texten eben als die „Besonderen“, als Kleriker und nicht einfach nur als Bürger eines bestimmten Staates.

10. Aber das Eintreten von Päpsten und Bischöfen für die Menschenrechte wird offiziell bis in höchste politische Kreise doch ein paar Tage lang wohlwollend registriert, bevor das Vergessen einsetzt. Dabei haben die meisten Politiker und Journalisten auch längst vergessen, dass da Vertreter einer kirchlichen Organisation sprechen, die eine sehr lange Geschichte der Menschenverachtung, der Verfolgung, der Unterdrückung von so genannten Minderheiten, Abweichlern, Juden, Häretikern usw. vorweist. Die katholische Kirchenführung kann sich „glücklich“ nennen, dass die Menschen so schnell vergessen, auch die Missstände und Verbrechen der Kirche. Wer weiß wirklich etwas vom immensen Immobilienbesitz des Vatikans, vom Immobilieneigentum der angeblich „armen“ Ordensgemeinschaften nicht nur in Rom, von den Subventionen, die der italienisch Staat dem Vatikan an Unterstützung und Steuerbefreiungen leistet: Der genante Vatikan-Spezialist Corrado Augias nennt in seinem Buch die Summe der Leistungen Italiens an den Vatikan: Es sind jährlich etwa 9 Milliarden Euro (S. 291).

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

West – Berlins zentrale Kirche: Benannt nach einem Kolonialherren und Rassisten. Wann erhält die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche einen Namen, der einer christlichen Kirche angemessen ist?

Die  14. der “unerhörten Fragen”.

Von Christian Modehn.

Zum paradoxen Pogrom – Gedenken in einer Kirche des kaiserlichen Pogrom – Initiators: LINK:

1.
In Berlin – Charlottenburg erlaubt es sich die Evangelische Kirche immer noch, das zentrale kirchliche Gebäude am Breitscheid – Platz nach „Kaiser Wilhelm“ (dem Ersten) zu nennen, das so genannte Gotteshaus heißt also „Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche“. Die entscheidende Frage: Wann ist endlich Schluss mit dieser politischen und theologischen Frechheit? Der Historiker Prof . Jonas Kreienbaum (F.U.Berlin) über Kaiser Wilhelm II. und den Genozid: LINK
2.
Weil dieser Titel der Kirchenleitung und der dortigen Gemeinde seit einiger Zeit offenbar selbst doch irgendwie peinlich geworden ist, wird der Name nun schamhaft auf „KWG“ gekürzt oder das Gebäude wird nur „Gedächtniskirche“ genannt. KWG klingt nach irgendwie auch nach KaDeWe, und „Gedächtniskirche“ suggeriert, es gebe ein heiliges Gedächtnis als Titel einer Kirche…
3.
Zu einem definitiven Verzicht auf diesen kaiserlichen Titel können und wollen sich weder die Berliner Kirchenführung noch Gemeinde durchringen.
Einige evangelischen Christen wissen längst, dass Kaiser Wilhelm I. ein Kolonialherr übelster Sorte war, sie wissen, dass auch Wilhelm II. dem Ungeist seines Großvaters entsprach. Die Frage also ist: Verzichten Kirchenleitung wie Gemeinde auf eine Befreiung von diesem unsäglichen Namen für ein so genanntes Gotteshaus deswegen NICHT, weil sie Angst haben vor einer gerichtlichen Auseinandersetzung mit dem mächtigen Hause Hohenzollern?
4.
Denn sonst würde man nicht so blind und taub reagieren auf die Fülle der wissenschaftlichen Publikationen, die das Thema Kolonialherrschaft und Rassismus in Preußen (bzw. schon in Brandenburg einst) in Verbindung mit den Königen und Kaisern dokumentieren. Die Kolonialherren waren ja, man erinnere sich, zugleich die obersten Chefs dieser sich protestantisch (lutherisch etc…) nennenden Kirche. Sie war also de facto, nicht zu leugnen, eine Kaiser-Kolonial-Herren-Kirche also. Ein trauriges Kapitel einer „Obrigkeitskirche“…
5.
Gerade jetzt findet im Schloss Charlottenburg die Ausstellung „Schlösser.Preußen.Kolonial“ noch bis zum 31.Oktober 2023 statt. Überraschende Zeugnisse der Verachtung, Ausbeutung und Versklavung von schwarzen Menschen durch die genannten Herrscher in Berlin werden gezeigt und in einem Begleitbuch beschrieben. LINK
6.
Hochinteressant ist ein Hinweis im Begleitbuch zur Ausstellung, ein Hinweis, der sich auf das Reiterstandbild des Kurfürsten Friedrich Wilhelm (1620-1688) bezieht, zu dessen Füßen vier in Ketten gefesselte Männer sitzen und knien. Das Denkmal wurde auf Wunsch von Friedrich III., dem späteren König Friedrich I., 1708 errichtet: Er war es, der starke Ambitionen zum Sklavenhandel in Westafrika (dem heutigen Ghana) hatte. Die gefesselten Männer wurden auch als Gestalten aus dem Sklavenhandel populär gedeutet … bis hin in das Herrscher-Haus.
7.
In dem genannten Buch wird treffend berichtet: „So soll Kaiser Wilhelm I. nach dem Erwerb von Kolonien ehrfürchtig gesagt haben, dass er nun mit gutem Gewissen vor dieses Reiterstandbild treten könne: Da er, Wilhelm I., das koloniale Vorhaben des Kurfürsten, so wörtlich: `aufgenommen und weiter ausgebildet` habe.“ (S. 13 in dem Begleitbuch zur Ausstellung, mit Verweis auf das Buch von Ferdinand Schmidt, `Kaiser Wilhelm I. und seine Zeit`, Berlin 1893 (sic), dort Seite 450).
8.
Die Ausstellung zum Kolonialismus und Rassismus und zur Sklaverei in Preußen ist für den Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin einmal mehr ein Anlass, dringend wenigstens eine öffentliche und umfassende breite Debatte zur Umbenennung der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche anzuregen. Auf dieser unserer Website wurde schon seit Jahren mehrfach für die dringende Umbenennung dieser nach einem Kolonialherren genannten Kirche plädiert, LINK, entsprechende e-mails an die Herren und Damen der Kirchenleitung blieben unbeantwortet, einzelne PfarrerInnen auch aus der KWG deuteten ihr Verständnis für diese unsere Forderung an und hatten aber Angst, sich öffentlich für die Umbenennung dieser Kirche KWG und Gedächtniskirche einzusetzen. Wer erzeugt da diese Angst?
9.
Man hat als Religionskritiker, denn um Religionskritik geht es auch in unserem Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon, den Eindruck, dieser Titel „Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche“ sei so etwas wie ein „Allerheiligstes“ dieser Berliner Kirche.
10.
Ändert die Berliner Kirchenführung nicht alsbald diesen unsäglichen Namen für ein so genanntes Gotteshaus, dann werden alle auch im evangelischen Kreisen (Akademien etc…) geführten Debatten über Rassismus und Kolonialismus im allgemeinen unglaubwürdig…

Das Begleitbuch zur Ausstellung im Schloss Charlottenburg:
„Schlösser. Preussen. Kolonial“. Herausgegeben von der Stiftung Preussische Schlösser und Gärten. Berlin-Brandenburg. Sandstein Verlag, 2023, 18 Euro.

Eine wichtige Chronologie der deutschen Kolonialgeschichte: LINK

Zur Umbenennung der nach Kaiser Wilhelm genannten Universität in Münster “Westfälische Wilhelmsuniversität”, siehe den wichtigen Beitrag des WDR: LINK

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.