Kann man Staat und Gesellschaft Mexikos heute in einem Satz definieren?

Die 20. der „unerhörten Fragen“.
Von Christian Modehn am 2.Juni 2024

Die Antwort auf unsere Frage:
„Unsere mexikanische Gesellschaft ist katholisch, machistisch und mit Blick auf Frauenrechte misogyn“.

Ein denkwürdiger Satz der mexikanischen Politikwissenschaftlerin Yomara Guerra Aguijosa, Professorin an der Georgetown University Washington D.C. Eine Erkenntnis, die Wesentliches auf den Punkt bringt zum Zustand der mexikanischen Gesellschaft heute. (Quelle: Tagesspiegel, 1.6.2024)

1.
Mexikos Gesellschaft ist auch heute noch katholisch bestimmt, trotz der Trennung von Staat und Kirche, auch wenn der Anteil der fundamentalistischen Evangelikalen immer mehr zunimmt genauso wie der Anteil derer, die sich als Atheisten bezeichnen.
Etwa 77 % der Bevölkerung nennen sich 2020 katholisch, etwa 11% evangelisch, etwa 8 % „ohne Religion“ bzw. atheistisch…LINK 

2.
Zum Begriff „katholisches Mexiko“: Da muss an die tiefe katholische Prägung erinnert werden mit der heftigen populären Verehrung der Jungfrau Maria in der Gestalt der Jungfrau von Guadalupe mit jährlich 20 Millionen Besuchern, LINK
Da muss an den Ausschluß von Frauen vom Amt der Diakonin und Priesterin der katholischen Kirche erinnert werde. Es folgt logisch die zweite Definition der Gesellschaft Mexikos: Sie ist machistisch geprägt:
Das heißt: Die Herrschaft der sich männlich gebenden herrschenden Männer (auch in der katholischen Kirche) ist in Mexiko total, selbst wenn jetzt zwei (explizit nicht – feministische) Frauen als Präsidentschafts – Kandidatinnen antreten. Frauen sind in dieser vom Marien – Jungfrau – Bild bestimmten Ideologie eher Wesen, die mit Göttlichem zu tun haben und nicht mit Weltlichem. Und Machismo bedeutet immer auch Gewalt, tötende Gewalt, die Kriege der Drogenbanden in Mexiko sind dafür deutlichster Ausdruck. Seit 2016 werden jährlich (!) mindestens 25.000 Tote als Opfer der Kriege der Drogenbanden in Mexiko genannt, von den vielen tausend jährlich “Vermissten” und “Verschwundenen” ganz zu schweigen.. LINK.

3.
Aus diesem ins Transzendente gehobenen Frauenbild folgt der Frauenhass, das Misogyne: Die ins Transzendente gehobenen Frauen werden als unerreichbare Wesen „beneidet“, sie können aber auch schnell als Hexen abgewertet werden: In dieser doppelten Deutung werden Frauen gehasst, als wertlos verachtet und … je nach Laune der Männer auch von Männern ermordet: Der Femizid ist in Mexiko weltweit an höchster Stelle. 2022 wurden 3.800 Frauen ermordet, 100.000 Frauen wurden als 2022 als vermisst gemeldet. LINK

4.
Nicht erwähnt wird von der mexikanischen Politikwissenschaftlerin der mit den genannten drei Qualitäten Mexikos zusammenhängende Kult um den Tod, der im „Dia de los muertos“ (1.November) seinen Höhepunkt findet. Dahinter steht eine in die Frühzeit Mexikos reichende Verehrung „des“ Todes… (unter anderen Quellen: LINK

5.

Man sollte also zusammenfassend sagen: Das so genannte katholische Mexiko mit seinem so inbrünstigen Volksglauben und exzessiven Marien- Kult, ist, so die Fakten, von den humanen Werten des christlichen Glaubens nicht bestimmt.

Der offenkundige Volksglaube in Mexiko ist außerstande, demokratische Werte und Menschenrechte definitiv als die obersten Werte überhaupt zu befreifen und dann auch durchzusetzen. Man sollte also in aller Ehrlichkeit von einem gescheiterten Katholizismus in Mexiko (und anderswo) sprechen.

Von Mord und Totschlag und Verschwinden von Journalisten und Politikern war hier noch keine Rede.

Dass es auch in Mexiko kleine Gruppen von Katholiken, vor allem auch einige Ordensleute, gibt, die die Menschenrechte praktisch (!) an die oberste Stelle des katholischen Lebens setzen, ist genauso unzweifelhaft. Aber es handelt sich dabei eben nicht um den “katholischen mainstream”.

Und man bedenke auch: Der katholische Orden der “Legionäre Christi” ist in der (obersten) Oberschicht Mexikos immer noch stark verwurzelt, mehr als ein Drittel der Mitglieder stammen aus Mexiko selbst. Diese – immer auch materielle – “Blüte” der Legionäre Christi in Mexiko ist um so erstaunlicher, als die Verbrechen des mexikanischen Ordensgründers Pater Marcial Maciel selbst von den obersten päpstlichen Instanzen des Vatikans bekannt gemacht und eingestanden wurden. Die vielen nachgewiesenen pädosexuellen Verbrechen Pater Maciels scheinen also so viele Katholiken in Mexiko nicht zu stören…

Ergänzung am 4.6.2024:

Der Vorgänger der neu gewählten mexikanischen Präsidentin Claudia Sheinbaum war López Obrador, schreibt Tjerk Brühwiller in der FAZ. Aber die Gewalt konnte er mit seiner Politik unter dem Motto “Umarmungen statt Kugeln” nicht eindämmen: “Während López Obradors Amtszeit wurden 180.000 Menschen umgebracht, 50.000 verschwanden. Mehr als 60 Prozent der Mexikaner fühlen sich in ihren Städten nicht sicher, auch weil die staatlichen Sicherheitskräfte und nicht selten auch die lokale Politik in Diensten der Kartelle stehen. Sheinbaum hat keine revolutionären Vorschläge präsentiert, wie sie Mexiko sicherer machen will.”

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