“Der Engel der Geschichte” von Walter Benjamin.

Erläuterungen zu den 18 Thesen „Über den Begriff der Geschichte“ von Walter Benjamin.
Von Christian Modehn am 6. Mai 2025.     Anläßlich der Ausstellung im Bode – Museum in Berlin LINK

Der dichte und intensive, durchaus schwierige Text Walter Benjamins ist heute aktuell: Weil wir mit ihm nach dem Sinn des Fortschritts fragen und einer kritischen Erinnerungskultur, nach der Anwesenheit von Hoffnungszeichen in der Geschichte und: Wie denn ein Engel, möglicherweise Göttliches, dabei von Bedeutung ist. Walter Benjamin arbeitete an diesem Essay im Jahr 1940. Das Manuskript übergab er im September 1940 Hannah Arendt, sie sollte es bewahren und retten, als er mit ihr auf der Flucht vor den Nazis war. Walter Benjamin starb am 26. September 1940 in Port Bou, in Spanien, dicht an der französischen Grenze. Geboren wurde Benjamin am 15. Juli 1892 in Berlin.

1.
Aus dem Text „Über den Begriff der Geschichte“ wird immer wieder ausschließlich die IX. These besprochen und diskutiert und dabei so getan, als käme für Benjamin alles auf den dort erwähnten ENGEL des Künstlers Paul Klee an (also auf die aquarellierte Zeichnung „Angelus Novus“ von 1920). Diese Fixierung auf einen „Engel-Zusammenhang“ ist zu eng. Man sollte den „Engel“ Benjamins im Zusammenhang der übrigen 17 Thesen des Essays „Über den Begriff der Geschichte“ verstehen. Der Text Benjamins: LINK

2.
Zur zentralen Aussage der 18 Thesen: Sie sind miteinander verschränkt und aufeinander bezogen, also nicht etwa beliebig nebeneinander gestellt. Benjamin schreibt diese Thesen, wie er darin selbst sagt, in Zeiten des Faschismus. Konkret also ist diese Arbeit in seinen durchaus verzweifelten „Kampf gegen den Faschismus“ eingebunden. Die Thesen sind also auf eine politische Katastrophe (auf den Faschismus) bezogen. Dies macht Benjamins Aussagen heute, im Mai 2025, aktuell und bedeutsam. Mit dem Titel „Über den Begriff der Geschichte“ will Benjamin für eine Deutung der Geschichte plädieren – jenseits bürgerlicher Selbstverständlichkeiten. Benjamin sieht sich als Denker des historischen Materialismus im Sinne von Karl Marx, eine Parteibindung oder gar eine positive Äußerung zur KP oder gar zu Stalin ist im Text nicht zu finden. Für den Klassenkampf setzt sich Benjamin ein, und damit distanziert er sich von der Position der Sozialdemokratie. Sie ist der in seiner Sicht naiven Idee eines kontinuierlichen Fortschritts verpflichtet.

3.
Benjamin sieht die herrschende Deutung der Geschichte in der damals weit verbreiteten „historistischen“ Denkform: Diese geht in seiner Sicht davon aus, dass die Geschichte der Menschheit ein evolutiver Prozess ist, stetig nach vorn laufend, der Kenntnis vieler beliebiger Daten und Fakten verpflichtet. Benjamins Deutung der Geschichte hingegen geht von den grundlegenden und belastenden Fragen der Gegenwart aus und sucht deswegen nur nach einzelnen treffenden Inspirationen im Vergangenen. Im Sinne des historischen Materialismus springt der Historiker und der Philosoph also förmlich in die Ereignisse und Erfahrungen von einst, so findet er Inspirationen und Hilfe.

4.
In dieser Geschichtsdeutung ist eine Haltung wichtig, für die Benjamin den eher ungewöhnlichen Begriff EINGEDENKEN verwendet. Es geht ihm um eine besondere Form des Gedenkens an historische Begebenheiten: Im Ein – Gedenken lässt der Mensch das Erinnerte in sich hinein, in seinen Geist, seine Seele, seine Vernunft. Aller äußerliche, bloß aufs Wissen von Daten und Namen begrenzte Umgang mit Geschichte wird überwunden. Das Vergangene wird im Eingedenken als provozierender Anspruch an die Gegenwart erfahren. Diese Form eines lebendigen Umgangs mit Geschichte wird in der offiziellen Geschichtsdeutung vernachlässigt oder unterdrückt.

5.
Wichtig ist zu respektieren, dass Benjamin in den 18 Thesen als Marxist, als „historischer Materialist“ tatsächlich auf spirituelle, religiös anmutende Impulse wert legt. Diese können im Klassenkampf hilfreich sein, weil sie eine andere, tiefere Sicht auf die Geschichte, die Weltgeschichte, vermitteln: Diese Geschichte hat für Benjamin viel zu tun mit der Hoffnung auf Erlösung und dem messianischen Gedanken. Mit dem jüdischen Philosophen und Theologen Gerhard Scholem war der Jude Walter Benjamin verbunden. Wenn Benjamin von Theologie spricht in den 18 Thesen, meint er die jüdische Theologie.

6.
Zum ersten Mal, am 15. Juli 2017, wurde einige dieser Hinweise von Christian Modehn als Einführung in ein Gespräch im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon am 14. 7. 2017 vorgetragen, in einer Galerie am Walter – Benjamin – Platz in Berlin – Charlottenburg.

7. Hinweis zur I. These:
Hier tritt der schon aus der Schrift „Berliner Kindheit“ bekannte „bucklige Zwerg“ auf, diesmal in einer positiven Rolle: Er lenkt nämlich ungeahnt das Tun der Sozialisten. Wie der „bucklige Zwerg“ diesen Einfluss hat und haben kann, wird von Benjamin nicht gesagt! Erstaunlich bleibt die Behauptung Benjamins einer Art geheimen „Steuerung“ des Sozialismus/ Marxismus durch die jüdische Theologie. Benjamin meint: Wenn denn der „historische Materialismus“, also der Marxismus im Sinne Benjamins, die Theologie „in ihren Dienst nimmt“, dann könne der Marxismus es „ohne weiteres mit jedem aufnehmen“. Selbst angesichts der Tatsache, dass die Theologie im Augenblick „klein und hässlich ist“. Ohne Theologie als reflektierte Erwartung der Erlösung gibt es also keine erfolgreiche Gestaltung der Geschichte im Sinne des Marxisten Benjamin. Der historische Materialismus muss die Theologie – eine Spiritualität – in ihren Dienst nehmen, wenn er sich durchsetzen will. Das ist durch aus ungewöhnlich in sozialistischen Kreisen damals. Im Denken Rosa Luxemburgs hat Christian Modehn auch spirituelle Dimensionen nachgewiesen LINK.

8. Hinweis zur II. These:
Benjamin meint, „in der Vorstellung des Glücks schwingt unveräußerlich die Vorstellung der Erlösung mit“. Und diese Vorstellung ist auch in der Vergangenheit, in der Geschichte der Menschheit, zugegen: In der Vergangenheit ist „eine schwache messianische Kraft“ anwesend, also eine Art von „etwas Göttlichem“, das die Geschichte prägt. Weil die heutigen Menschen auch zur Geschichte gehören, kann diese Prägung durch „Göttliches“ bedeuten: „Dann sind wir auf der Erde erwartet worden“. Das heißt: „Es gibt eine geheime Verabredung zwischen den gewesenen Geschlechtern und unserem (Leben)“. Es gibt also aufgrund einer „schwachen messianischen Kraft“ in der Geschichte ein Verbundensein der Menschen untereinander. „Billig“ und mühelos kann der historische Materialist, also Benjamin, damit nicht umgehen.

9. Hinweis zur III. These:
Hier entwickelt Benjamin seine Kritik an der herrschenden Geschichtsforschung und Geschichtsphilosophie. Er zeigt zunächst ein partielles Verständnis für den Chronisten, also für den Historiker, der fein und säuberlich alle Ereignisse, auch die unbedeutend erscheinenden, aufzeichnet und bewahrt. Nichts darf für die Geschichte verloren gehen, schreibt Benjamin. Aber er geht darüber hinaus: Der Gesamt – Überblick über die Welt- Geschichte und damit über die Menschenwelt im ganzen ist erst der erlösten Menschheit, in der messianischen Zeit, also am Ende der Geschichte möglich. Benjamin spricht von dem „jüngsten Tag“, an dem alle Ereignisse „zitierbar“ seien, wie er sagt, also klar vor Augen eines jeden treten. Das ist dann die große Übersicht der Erlösten über die Geschichte. Hier werden überraschend für einen marxistischen Philosophen Dimensionen von Transzendenz angesprochen, also von einer Art himmlischen Rettung, einem „jüngsten Tag“, vom „jüngstem Gericht“ in der Theologie der Christen spricht er nicht.

10. Hinweis zur IV. These:
Der irritierende, an Karl Marx erinnernde Vorspruch ist das Hegel-Zitat von 1807: „Trachtet am ersten nach Nahrung und Kleidung, so wird euch das Reich Gottes von selbst zufallen“ . Dies hat Hegel tatsächlich 1807 geschrieben. Das Zitat wirkt wie ein materialistischer Ausrutscher des Idealisten Hegel. (FUSSNOTE 1)
In dem Hinweis bietet Benjamin ein überraschendes Plädoyer: Die „feinen und spirituellen Dinge“ sollten von einem Marxisten ernst genommen werden, gerade wenn er den Klassenkampf entscheidend findet. So dringend der Kampf „um die rohen und materiellen Dinge“ auch ist, die spirituellen Dinge dürfen nicht ignoriert werden. Die „spirituellen Dinge“ werden von Benjamin allerdings sehr weltlich als „Zuversicht, als Mut, als Humor, als List, als Unentwegtheit“ im Klassenkampf beschrieben. Sie werden jeden Sieg der Herrschenden in Frage stellen, das heißt: auch über Niederlagen im Klassenkampf hinweghelfen. Genauso wichtig ist: Ohne den Klassenkampf zugunsten materieller und sozialer Gerechtigkeit kann es keine „spirituellen Dinge“ geben. Ins Heute übersetzt: Spiritualität ohne politischen Kampf kann es nicht geben. „Diese spirituellen Dinge wirken in die Ferne der Zeit zurück“, schreibt Benjamin. Sie sind rück – wirkend: Sie gelten also auch in der Vergangenheit, und sie verändern unser Bild der Vergangenheit. Auch die Vergangenheit ist spirituell “durchdrungen” im Sinne Benjamins…
Jetzt wird es in diesem dichten Text durchaus „mystisch“: Alles Gewesene, die Vergangenheit, wendet sich der Sonne zu, „die am Himmel der Geschichte am Aufgehen ist“. Auf die von der Sonne bewirkten „unscheinbarsten Veränderungen“ „muss der historische Materialist sich verstehen“. Er muss diese geheime spirituelle Kraft wahrnehmen lernen! Der historische Materialist, der Marxist, der Sozialist, muss also eine spirituelle Kraft in sich entwickeln, um überhaupt den Gang der Geschichte verstehen zu können.

11. Hinweis zur V. These:
Wer „das wahre Bild Der Vergangenheit“, wie Benjamin sagt, pflegen will, muss sich darauf einstellen: Dass dieses wahre Bild von einst nur „vorbeihuscht“. Es ist „ein Aufblitzen“ , im Sinne einer plötzlichen geschenkten Erkenntnis, einer Einsicht. In diesem Aufblitzen ist jedoch „die Vergangenheit festzuhalten“. Dies ist die Haltung des historischen Materialismus. Ganz anders denkt die bürgerliche Geschichtsforschung, die meint, über alles Vergangene ständig verfügen zu können. „Die Vergangenheit läuft ja nicht davon“, sagen die bürgerlichen Historiker im Sinne des Historismus, betont Benjamin. Diese distanzierte Haltung der bürgerlichen Historiker bedeutet: Die Vergangenheit steht als gleichförmig fließende Zeit mit ihren vielen tausend interessanten wie uninteressanten“ Ereignissen immer zu unserer Verfügung. Für Benjamin hingegen gilt: Jede Gegenwart muss suchen und prüfen, ob ein Bild der Vergangenheit zu meiner Gegenwart mit ihrem Klassenkampf und dem Kampf der Unterdrückten um Gerechtigkeit „passt“.

12. Hinweis zur VI. These:
Wieder setzt sich Benjamin mit der Deutung der Geschichte im Sinne des Historischen Materialismus auseinander. Im aktuellen Augenblick der Gefahr (durch den Faschismus) stellt sich für ihn förmlich schlagartig eine spezielle Erinnerung ein, sie „blitzt auf“, wie er schreibt. Er spricht zunächst allgemein nur von dem „Bestand der Tradition“ und der „Überlieferung“, die in der Erinnerung aufblitzt und bewahrt wird und vor der Verfälschung durch „die herrschende Klasse“geschützt werden muss. Unvermittelt wird dann aber bei Benjamin ein jüdisch – theologischer Gedanke lebendig, er spricht vom „Messias “, als dem Inhalt der Tradition und Überlieferung. Wer als Geschichtsschreiber diese Erinnerung bewahrt, kann „Funken der Hoffnung“ entfachen, aber die Hoffnung ist bedroht, „der Feind (der Faschismus) hat zu siegen nicht aufgehört“.

13. Hinweis zur VII. These:
Noch einmal setzt sich Benjamin mit der von ihm kritisierten „historistischen“ (und bürgerlichen) Geschichtsforschung auseinander. Ihre Anhänger empfehlen die Einfühlung in ein abgekapseltes Ereignis, und dabei interessieren sie sich nur für die Sieger und die jetzigen Herrscher als deren Nachfahren, betont Benjamin. Die Sieger der Geschichte sind – ohne, dass Benjamin diese Bezeichnung wählt – etwa die Kolonialherren, die erbeutete Kulturgüter „im Triumphzug“ mit sich führen. Diese Kulturgüter sind „von einer Abkunft, die Benjamin als Forscher des historischen Materialismus „nicht ohne Grauen bedenken“ kann. Diese Kulturgüter wurden unter „Fron“ geschaffen, sie sind Zeugnisse „der Barbarei“. Auch die Weitergabe dieser Kulturgüter kann Ausdruck des Barbarischen sein. Man denke an die erbeutete Kunst von Kolonisten und den Verbleib dieser Kunst in europäischen Museen. Benjamin will auf diese Weise „die Geschichte gegen den Strich zu bürsten“.

14. Hinweis zur VIII. These:
Die Unterdrückten lebten und leben „im Ausnahmezustand“, der „die Regel ist in der Geschichte.“ Benjamin meint: Die Position der Unterdrückten könnte sich verbessern, „durch die Herbeiführung des wirklichen Ausnahmezustands“. Also offenbar durch die (hier als solche nicht genannte) Revolution. Der wirkliche Ausnahmezustand kann im Kampf gegen den Faschismus, der hier explizit genannt wird, hilfreich sein.

15. Hinweis zur IX. These:
Dieses Kapitel ist das berühmteste und am häufigsten zitierte aus Benjamins Werken. Der Engel hat hier als Bote nur eine Einsicht zu verbreiten: Die Botschaft von der wahren Bedeutung des Fortschritts. Weil die Engel – Gestalt auch zur jüdischen Theologie gehört, hat Benjamin ein Wort des jüdischen Theologen Gerhard Scholem seinen Ausführungen vorangestellt.
In den sehr dichten Äußerungen wird der Engel ein „Engel der Geschichte“ genannt: Er sieht im Weltzustand nur „eine einzige Katastrophe“, die die unablässig „Trümmer auf Trümmer häuft“. Der Engel möchte zwar verweilen und den Weltzustand verändern, nämlich „die Toten wecken und das Zerschlagenen zusammenfügen“. Aber der Engel ist eingeschränkt, hilflos, er kann „seine Flügel nicht mehr schließen“. Denn ein Sturm hat die Flügel beschädigt, und der weht merkwürdigerweise vom Paradiese her, also von der angeblich heilen, von Gott geschaffenen Welt. Das muss unterstrichen werden: Der zerstörerische Sturm kommt aus dem Paradies, also dem Werk Gottes: Die Schöpfung ist offenbar mißlungen, weil ein solcher Sturm aus dem Paradies so viele Trümmerhaufen erzeugt auf der Erde. Den vernichtenden Sturm, der den Engel behindert, nennt Benjamin unvermittelt und rätselhaft „das, was wir Fortschritt nennen“. Der tödliche Fortschritt soll als eine Katastrophe verstanden werden, die vom Paradies herrührt. Der Engel bleibt hilflos, ist „in die Zukunft“ getrieben, die er selbst nicht sehen kann: Denn er kann nur rückwärts schauen, nach hinten, Richtung zerstörerisches Paradies mit seinem Sturm…
Fortschritt ist also in Benjamins Sicht nicht mehr Tat des Menschen, Fortschritt als Erzeugung von Trümmern und Elend erscheint als ein Werk Gottes: Und die Welt strebt für Benjamin dem Endzustand entgegen, der Erlösung. Da erwartet der Messias die Menschen. Ist (der gute) Gott als der Schöpfer des Paradieses auch der Gott, der den verheerenden Fortschrittssturm geschaffen hat? Im IX. Kapitel zeigt Benjamin eine überraschende Deutung des Fortschritt- Wahns. Hier ist der Mittelpunkt des ganzen Textes, der die spekulative Geschichtsphilosophie Benjamins zum Ausdruck bringt.

16. Hinweis zur X. These:
Benjamin stellt hier seine „Theologie des Engels“ in den Dienst seiner globalen Geschichtsphilosophie und der Tiefen – Analyse des Fortschritts. Seine politische Analyse wird also deutlicher: Da ist von den „Gegnern des Faschismus“ – also den Sozialisten – die Rede. Benjamin denkt an die sozialistischen Politiker, auf die er, wie andere Sozialisten setzten. Aber diese Politiker liegen angesichts der Allmacht des Faschismus „am Boden“ und sie haben auch “ihre eigenen Sache verraten“: Benjamin denkt dabei an Stalin und dessen Pakt mit Hitler. Diese verräterischen Politiker klagt Benjamin an: Sie folgten einem blinden Fortschrittsglauben, also auch der Gier, durch Verhandlungen mit Hitler mehr Vorteile zu erlangen. Sie glaubten die „Massenbasis“ der (kommunistischen) Partei hinter sich zu haben, was ja im Falle europäischer Kommunistischer Parteien in ihrer Stalin – Ergebenheit historisch so stimmt. Diese Massenbasis sei „servil“ und „in einen unkontrollierbaren Apparat“ eingezwungen.
Benjamin will „jede Komplexität“ mit diesem Politiker vermeiden. Nur so kann sich das „politische Weltkind“ aus den Fesseln befreien, in die diese Politiker die Menschen eingezwängt haben.

17. Hinweis zur XI. These:
Dies ist sicher ein politisch brisantes Kapitel: Benjamins Abgrenzung von der SPD.
Die SPD sei konformistisch mit den Herrschenden, sagt Benjamin. Als Marxist lässt er auch 1940 nichts Gutes an der SPD. Die Kommunistische Partei, zu der er als Mitglied nie gehörte, erwähnt er nicht in ihrer taktischen Haltung; die KP Frankreichs z.B. hatte 1939 den Hitler Stalin Pakt unterstützt.
Die SPD – Arbeiterklasse glaubt, es sei richtig, mit dem großen Strom der Herrschenden zu schwimmen, also die Strukturen der Herrschenden zu stützen, meint Benjamin. Durch ihre Arbeit würden die SPD Proletarier Reichtum erlangen und Kultur schätzen. Dabei übersehen die SPD – Arbeiter, so Benjamin, dass sie keinen Anteil an den Produktionsmitteln haben. Eine langsame Verbesserung der Arbeit, nicht die revolutionäre Neuorganisation der Eigentumsverhältnisse, bringe ERLÖSUNG, so etwa Josef Dietzgen, ein SPD-Philosoph (1828 bis 1888 im Exil in Chicago). Für die SPD stehe die Ausbeutung der Natur im Mittelpunkt, dies sei „technokratisch“, meint der Marxist Benjamin. Die SPD „sehe die Fortschritte der Naturbeherrschung, nicht die Rückschritte der Gesellschaft…

Nebenbei: Hatten etwa kommunistische Regierungen Respekt vor der zu bewahrenden Natur? Sicher nicht.

18. Hinweis zur XII. These:
Noch beschreibt Benjamin seine Ablehnung der SPD: Zusammenfassend gesagt: Die SPD will nicht die Befreiung der unterdrückten Klassen. Benjamin behauptet, die SPD will den Arbeitern nur die Erlösung künftiger Generationen versprechen. Louis Auguste Blanqui (1805 – 1881) wird von Benjamin lobend erwähnt, er war einer der ersten Theoretiker des Sozialismus in Frankreich.

19. Hinweis zur XIII. These:
Noch einmal kritisiert Benjamin die Haltung der SPD zum Fortschritt. Zu pauschal, zu dogmatisch sei das SPD Fortschrittsdenken. Da wird die Geschichte gedacht als eine Linie, die stets nach vorn strebt, ins Bessere. Dies ist für Benjamin eine homogene, eine gleichförmig gemachte Zeit, die keine entscheidenden Höhepunkte kennt, und deswegen durch eine gewisse Monotonie „leer“ und bedeutungslos erscheint. Diese Deutung der Geschichte will die materialistische Geschichtsdeutung überwinden! Und man wird sich an dieser Stelle an den „Engel der Geschichte“ (IX. These) erinnern und sich fragen, wer denn verantwortlich ist für die dort genannten riesigen Trümmerberge, die der Fortschritt erzeugt.

20. Hinweis zur XIV. These:
Für Benjamin wird heute Geschichte durch den historischen Materialismus gemacht, konstruiert: Sie geht aus von dem JETZT und seinen Leidenserfahrungen. Aus dem Kontinuum der Geschichte wird Wichtiges und Hilfreiches für das JETZT „HERAUSGESPRENGT“, so wörtlich. Das klingt tatsächlich gewalttätig. Als Beispiel für diese ungewöhnliche, auswählende Geschichtsdeutung nennt Benjamin eine der radikalsten Hauptfiguren der Französischen Revolution: Robespierre. Er wählte – für sein Revolutionsverständnis – das Bild vom einem antiken Rom als wichtig und inspirierend aus, meint Benjamin. Was genau denn Robespierre aus „dem antiken Rom“ für seine Zeit „heraussprengte“, sagt Benjamin leider nicht. Er bleibt im allgemeinen und sagt weiter: Der historisch – materialistisch denkende Revolutionär muss in die Geschichte mit einem „Tigersprung hineinspringen“ und sich dabei das für ihn Wichtige als Inspiration und Hilfe entreißen. Solch ein Sprung ist die Revolution. Und hier wird Karl Marx und dessen Revolutionsvorstellung in der Deutung Benjamins explizit erwähnt. Man merkt an dieser Stelle einmal mehr, dass Benjamin eben leider nur kurze und knappe Thesen verfasste, man hätte gern Ausführlicheres gelesen…

21. Hinweis zur XV. These:
Wichtig ist hier der Begriff EINGEDENKEN, typisch für Benjamin. Das lebendige Eingedenken ist eine Steigerung des Gedenkens. Das banale Gedenken gerade an „Gedenktagen“ hat meist nur einen äußerlichen, pflichtgemäßen Charakter, ohne tiefere Wirkung und ohne politische Konsequenzen für die Gedenkenden. Feiertage sollen aber Tage des Eingedenkens werden, fordert Benjamin. Erneut schreibt Benjamin von seiner zentrale Idee: Es gilt das von den Herrschern suggerierte gleichmäßig dahin strömende, alles gleichmachende „Kontinuum der Geschichte“ aufzusprengen. Wenn das geschieht, dann geschieht die revolutionäre Aktion. In der Juli-Revolution in Frankreich 1830 wurde auf die Uhren geschossen, um das Erlebnis großer Zeit deutlich zu machen, einer neuen Zeit, die man fixieren, die zum Stillstand bringen will.

22. Hinweis zur XVI. These:
Stillstand ist ein merkwürdiges, aber hier das entscheidende Wort: Benjamin meint, die Geschichte komme im JETZT, im Kairos, zu einem Stillstand, zu einer intensiven Möglichkeit des Eingedenkens. Nur so kann das messianische Element gesehen werden. Gegenwart als Stillstand wird eine neue Dimension, man möchte sagen eine Dimension der Heils-Zeit. Darauf kann der historische Materialist, also der Marxist, nicht verzichten. Er muss das gleichmäßige und für Benjamin langweilige „Kontinuum der Geschichte aufbrechen“. Er muss Wichtiges für den Klassenkampf auswählen und bevorzugt darstellen und lebendig machen.

23. Hinweis zur XVII. These:
Auch hier setzt sich Benjamin ab von der bürgerlichen Geschichtsforschung, Historismus von ihm genannt. In dieser Konzeption fließt alles in eine ferne Zukunft dahin und alles ist gleich – gültig, alles ist gleich viel wert. Der historische Materialist aber wählt aus der Geschichte Wesentliches aus. Und das Wesentliche ist die messianischen Zukunft. Sie leuchtete schon in der von den Herrschern unterdrückten Deutung der Vergangenheit auf. Die messianische Zeit verlangt höchste Aufmerksamkeit des Geistes, also eine Art „Stilllegung“, man könnte sagen: Ein meditatives Nachdenken und Konzentriertsein auf das Wesentliche im Jetzt. Und dieses ist wesentlich, weil es um die Rettung der Welt im „Messianischen“ geht, das Wesentliche wird – wieder rabiat formulier – aus der Gesamtgeschichte „herausgesprengt“. In einem solchen aus dem Zeitverlauf herausgesprengten revolutionären Ereignis kann eine ganze Epoche aufbewahrt, versammelt sein. Diese historische – materialistische Geschichtsforschung unterliegt einem „konstruktiven Prinzip“.

24. Hinweis zur XVIII. These:
Die Jetzt-Zeit will Benjamin als Modell der messianischen Zeit verstanden wissen, diese Jetztzeit fasst in einer ungeheuren Verkürzung („Abbreviatur“) die Geschichte der ganzen Menschheit zusammen. Und es gibt für Benjamin eine bestimmte „Figur“ der Geschichte: Und diese ist bedeutend: Denn sie „macht die ganze Geschichte der Menschheit im Universum.“ Wer ist diese Figur? Der Messias? Ist er derjenige, der „die ganze Geschichte der Menschheit im Universum macht“ und in der „Jetztzeit“ anwesend ist? Den theologischen Erkenntnissen Benjamins folgend, wird das so sein. Aber in der Geschichte der Menschheit gibt es auch die Katastrophen, siehe IX. These. Es bleibt also dann doch offen, ob hier noch vorsichtig ein persönlicher Trost in der Zeit der Verfolgung durch den Faschismus formuliert wird. Wenn das so sein könnte, dann ist die „Figur“ der Messias und damit etwas Trostvolles angesichts der von Benjamin erlebten Unmöglichkeit zu fliehen und auf ein menschenwürdiges Leben noch zu erhoffen.

Der Text hat noch einen Anhang:
Im Anhang A wird nochmals die historistische Geschichtsdeutung abgelehnt; da werden, so meint Benjamin, alle Begebenheiten gleichförmig. Daran sieht man noch einmal, wie wichtig für Benjamin ein radikal anderer Umgang mit Geschichte ist!

Im Anhang B wird unterstrichen, dass die authentische jüdische Haltung nicht die Zukunft in allen Details wissen will. Da braucht man keine detaillierten Kenntnisse des absolut und endgültig Zukünftigen. Ganz am Ende, eher versteckt im Anhang B, stehen ungewöhnlichen, letzte Hoffnungen weckende Sätze: Es gebe für die Juden inmitten der Zeit doch diese Hoffnung: Jede Sekunde sei „die kleine Pforte, durch die der Messias treten konnte“. Eine leere und gleichgültige (also hoffnungslose) Zukunft gibt es für die Juden nicht. Der Messias wird sich schon durchsetzen, wenn er nur „durch eine kleine Pforte eintreten“ wird.

FUßNOTE 1: Ernst Bloch schreibt: … ein unbewachter Satz des großen Idealisten Hegel gehört hierher, und nicht nur der junge, auch der entschieden materialistische MARX hätte ihm wohl zugestimmt. Denn 1807 schrieb HEGEL aus Bamberg, wo er als Redakteur sich durchschlug, an seinen Jenenser Freund, den Major KNEBEL: «Ich habe mich durch Erfahrung von der Wahrheit des Spruches in der Bibel überzeugt und ihn zu meinem Leitstern gemacht: Trachtet am ersten nach Nahrung und Kleidung, so wird euch das Reich Gottes von selbst zufallen» (XVII, S. 629 f). Der Spruch lautet in der Bibel (Matth. 6, 33) bekanntlich genau umgekehrt: „Trachtet aber zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit! Und alles wird euch hinzugefügt werden.“ ( Ernst Bloch: „Karl Marx und die Menschlichkeit“, Reinbek 1969, S. 139-149.)

Der Text „Über den Begriff der Geschichte“ von Walter Benjamin ist veröffentlicht in dem Band „Illuminationen“, Ausgewählte Schriften I“. Suhrkamp Taschenbuch.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Kultur darf sich niemals abschotten. Dialog und Austausch müssen gelten.

“Kultur. Eine neue Geschichte der Welt”: Ein provozierendes Buch von Martin Puchner.

Ein Hinweis von Christian Modehn, veröffentlicht am 5.5.2025.

1.
Martin Puchner, Professor für Vergleichende Literaturwissenschaft in Cambridge, USA, hat dort 2023 sein Buch „Culture“ vorgelegt: In den 15 Kapiteln seines Buch (auf Deutsch „Kultur. Eine neue Geschichte der Welt“) zeigt Puchner, dass die Kultur bzw. die Kulturen etwas Aufregendes, Anregendes, ganz neu zu Entdeckendes sind – zumal angesichts der nationalistischen Starre und Enge sowie der fundamentalistischen Fixierung heutiger konservativ – populistischer Regierungen und „Bewegungen“…
Marin Puchner stellt sein Thema gut dokumentiert und leicht zugänglich vor, voller überraschender Einsichten, man möchte sagen: durchaus „spannend“ beim Lesen.

2.
Der Autor befreit in den 15 Kapiteln – den in sich abgeschlossenen Essays – von der Vorstellung, eine Nation „besitze“ ihre Kultur. Oder: Kultur sei etwas Fertiges und Abgekapseltes. Genauso falsch ist: Als Kultur könne nur die von etablierten Kulturmanagern geförderte und staatlich unterstützte „hohe Literatur“ oder die „klassische Oper“ und das „große Schauspielhaus“ usw. gelten.
Jede konkrete Kultur – etwa eines Landes, eines Sprachraums etc. – ist Resultat von Begegnungen mit anderen Menschen und deren Kultur. Die eigene Kultur ist ein mühsam erworbenes, immer weiter zu entwickelndes Resultat von Lernbereitschaft und Innovation: Nur sie ermöglichen die Zusammenfügung unterschiedlicher Kulturen zu einer dann eben neuen oder erneuerten Kultur. Und die wird dann ihrerseits selbstverständlich wieder von anderen rezipiert und auch umgeformt.

3.
Martin Puchner schreibt: „Kulturen gedeihen auf dem Boden der freien Verfügbarkeit von vielfältigen Formen des Ausdrucks und der Sinnstiftung, von Möglichkeiten und Experimenten. Und in dem Maß, in dem Kontakte mit Fremden diese Optionen erweitern, fördern sie die Produktion und Entfaltung von Kultur“. Dagegen neigen die auf Exklusivität und Reinheit (der eigenen Kultur) bedachten national begrenzten Leute mir ihrer „volksbezogenen“ Kultur dazu, kulturelle Alternativen auszuschließen, Möglichkeiten des Austauschs zu begrenzen und darüber zu wachen, dass derlei Experimente nicht zu weit getrieben werden. (siehe S. 379).

4.
Diese ängstliche offizielle Kulturpolitik ist heute weithin an der Macht, sie entspricht der konservativen und populistischen Wende in den sich Demokratie nennenden Staaten. Dieses enge Verständnis von Kultur als eigene „Kulturpolitik der Abwehr“ muss in Beziehung gesetzt werden zur aktuellen Politik der „Schließung der Grenzen Europas und der USA“ für Fremde, Ausländer, für Flüchtende zumal. Diese Schließung der Grenzen wird von Martin Puchner zwar nicht aktuell angesprochen, aber seine Position ist deutlich: Auf diese Weise “verarmen geistig“, so Puchner, die konservativen und populistischen Menschen und ihre Kulturpolitiker. An die „geistige Verarmung“ sollten sich der neue deutsche Innenminister Dobrindt und sein Meister Merz stets erinnern, die AFD wird dazu sicher nicht in der Lage sein: Die neuen Grenzkontrollen lassen uns in Europa, in Deutschland, auch geistig und kulturell weiter verarmen, sie sind bereits Ausdruck geistiger Armut. Denn die strengen Grenzkontrollen und Zurückweisungen und Rückweisungen und Abschiebungen sind auch kein Ausweg, keine wirksame Hilfe angesichts der umfassenden, auch materiellen Armut und das Elend in den vom Kapitalismus arm gemachten Ländern des globalen Südens.

5.
Hier können die 15 Essays des Buches nicht im einzelnen vorgestellt werden. Gemeinsam ist allen: Sie beschreiben die Lebendigkeit von Kultur, wenn sie aus Begegnungen mit anderen Kulturen, oft nicht ohne Konflikte, entstehen. Von Nofretete über Platon und König Ashoka und dann weiter zu der christlichen Mystikerin Hildegard von Bingen und den Pariser Salons vor der Französischen Revolution handeln etwa die Studien des Buches. Sie zeigen an ausgewählten Beispielen, dass die Geschichte der Kulturen der Welt nur als Austausch, Begegnung und Konflikt zu verstehen ist.

6.
Ein Beispiel: Zurecht erinnert Martin Puchner daran: Die Revolution der Sklaven auf Haiti (damals französisch Saint Domingue genannt) und ihre erkämpfte Unabhängigkeit im Jahr 1804 wurde „als ein bedeutendes Ereignis in der Weltgeschichte lange Zeit ignoriert“ (S. 293). Ein bißchen Nachhilfe zu diesem Thema bietet das Kapitel des Buches: Deutlich wird: Die Sklaven dieser französischen Kolonie ließen sich von den politischen und philosophischen Ideen der Aufklärung und der Französischen Revolution inspirieren, sie verachteten also nicht pauschal jene „europäischen Ideen“, bloß weil sie aus der „weißen Welt“ der „weißen Herrscher“ stammten. Damit ist deutlich: Der Ort des Ursprungs für allgemein gültige Prinzipien hat mit ihrer universellen Geltung nichts zu tun! Die Sklaven Toussaint Louverture und Dessalines, um nur zwei der Befreier Haitis zu nennen, haben die Ideen der Aufklärung „für ihre Zwecke nützen können“. Freilich wurde der Weg in die Freiheit und Unabhängigkeit Haitis sofort von den Kolonialmächten mit allen Mitten bekämpft. Afroamerikanische Schriftsteller und antirassistische Schriftsteller äußerten sich im 19. Jahrhundert in „lobenden Tönen“ über den Befreier Toussaint Louverture (ebd.). Auch Hegel sprach schon lobend über die Befreiungstat der schwarzen Sklaven, wie die Philosophin Susan Buck – Morse in ihrer Studie „Hegel und Haiti“ (Suhrkamp, 2011) gezeigt hat. Im ganzen hatte die haitianische Revolution viele Feinde unter den Kolonialmächten. Aber auch die innenpolitischen Repressionen nach der haitianischen Revolutionen müssen beachtet werden. Ein glückliches, d.h. für alle Haitianer menschenwürdiges Leben hat die Revolution leider nicht erzeugt, davon spricht Martin Puchner nicht. Die Befreiung Haitis und die Gründung der Republik schon im Jahr 1804 (!) ist jedenfalls nicht nur an internen Streitereien eher gescheitert, Schuld war vor allem die nach wie vor kolonialistische und rassistsiche Haltung Europas und der USA gegenüber Haiti bis heute, gegenüber den „Schwarzen“…

7.
Ein zweites Beispiel: Einzelne Kulturen schaffen sich ihre Identität durch Mythen oder Erzählungen, in denen die Übernahme kultureller Güter und Werte der „anderen“ beschrieben wird. Der Autor spricht von einer „Aufpfropfung fremder Kulturen auf die eigene Kultur bzw. auch von Kulturtransfer (S. 175). Und er berichtet ausführlich über diesen lange dauernden Prozess der „Aufpfropfung“ am Beispiel der Orthodoxen Kirche Äthiopiens, sie ist seit dem 4.Jahrhundert in dem Land schon lebendig. Gerade für jene, die an der Geschichte des vielfältigen Christentums interessiert sind, ist der Essay bedeutsam , er hat denTitel „Die Königin von Äthiopien heißt die Diebe der Bundeslade willkommen“ (S. 171 ff.). Es geht um die Mythen und Erzählungen: Die Königin von Saba sei in den Besitz der „heiligen“ „Bundeslade mit den Tafeln der 10 Gebote des Moses“ (gelagert im Tempel zu Jerusalem) gekommen. Der grundlegende äthiopische Text dazu ist die Erzählung „Kebra Nagast“, die bis heute eine große Rolle in Äthiopien spielt. Der Besitz dieser „Bundeslade“ ist förmlich der Mittelpunkt äthiopischer Kultur und der äthiopisch orthodoxen Kirche. „Die Schrift „Kebra Nagast“ räumt ein, dass die eigene äthiopische Kultur von einer anderen Kultur (dem Judentum) abstammt, sie verkündet dann aber die eigene Überlegenheit“ (S. 179).
In Jamaika suchten die Bewohner (ehemalige afrikanische Sklaven) eine Quelle ihrer Identität: Einer der führenden Köpfe in dieser Suche nach Identität war derGewerkschafter und Publizist Marcus Garvey. „Er machte Äthiopien mit seiner uralten Geschichte und Schrifttradition zu einem wichtigen Bezugspunkt für Jamaikaner.“ (S. 188). Die Jamaikanische Rastafari – Bewegung hat sich auf äthiopische Traditionen bezogen. „DieRastafari-Bewegung müsste als ein glänzendes Beispiel für einen Transfer mit einer Verschmelzung verschiedener Kulturen gelten. Die Nachfahren von Sklaven aus Afrika mussten sich eine Vergangenheit erschaffen, die ihnen eine andere Zukunft als die von den europäischen Kolonialherren angebotene verhieß.“(S. 189).
Der Autor fordert, die Erzählung „Kebra Nagast“ als einen wichtigen Text im Kanon der Welt-Literatur anzuerkennen.“ (S. 190).

8.
Für philosophisch Interessierte der Hinweis auf ein mir besonders wichtiges und aktuelles Kapitel des Buches: „Als Bagdad zu einem Speicher der Weisheit wurde“ (S. 149 ff.) Tatsächlich interessierten sich muslimische Herrscher und Gelehrte in Bagdad im 9. Jahrhundert und noch etliche Jahre länger für die Philosophie der „heidnischen Griechen“, vor allem für Aristoteles. Es wurde in Bagdad eine große Bibliothek errichtet, ein so genannter „Speicher der Weisheit“, der umfangreiche Raum zur Pflege und Bewahrung astronomischer, mathematischer, medizinischer und eben auch philosophischer Texte. Es handelte sich vor allem um Übersetzungen aus dem Griechischen ins Arabische. Die – auch christlichen – Übersetzer und die muslimischen Herrscher „waren zu dem Schluss gelangt, dass sich die in der Vergangenheit (Griechenlands) gewonnenen Erkenntnisse für die eigene Gegenwart nutzen ließen.“ (S. 155). Damals galt stark die Weisung des Korans, dass das Streben nach Wissen und Philosophie eine religiöse Pflicht für jeden Muslim ist. (S. 157). „Aus fremden Kulturen zu schöpfen, das wussten diese Übersetzungsprojekte, kann eine reichhaltige Quelle der Stärkung sein.“ (S. 159). Und dann die entscheidende Erkenntnis. „Die Araber waren die eigentlichen Erben der griechischen Antike.“ (ebd.). Der Philosoph Ibn Sina (980-1037), im Westen Avicenna genannt, spielte dabei eine entscheidende Rolle. Was war Bagdad damals nur für eine kulturell bedeutende durchaus tolerante Stadt!
Später wurden alle technische Errungenschaften Europas – bis zu den modernsten Waffen – in der muslimischen Welt übernommen: Aber es waren nur die Technik und die Naturwissenschaft, nicht aber die allgemein und universal geltende Philosophie der Menschenrechte. Die schönsten Autos in diesen sich religiös nennenden Staaten der arabischen Welt durften Frauen nicht selbständig fahren… Es ist die fundamentalistisch verstandene muslimische Religion, die den umfassenden Kulturaustausch bis heute behindert und stört und manchmal zerstört.

9.
Martin Puchner zeigt, wie Kulturen eines bestimmten Landes, einer Region, paradoxerweise möchte man sagen, überleben konnten: „In China blieben buddhistische Schriften und Statuen erhalten, obwohl sie zu den vorherrschenden konfuzianischen und taoistischen Sitten und Gebräuchen im Gegensatz standen. So wie griechische Philosophen in Bagdad posthum weiterlebten, obwohl sie keine Gefolgsleute des Propheten Mohammed gewesen waren“.“ (S. 378 – 379). Kulturgüter blieben also erhalten, obwohl sie den „Besitzern“ dieser kulturellen Zeugnisse nicht nur als befremdlich , sondern auch als Bedrohung erschienen. Diese „Besitzer“ ihnen befremdlich erscheinender Kultur waren eben keine „Puristen und Puritaner“, wie Puchner schreibt (S. 379). Nur Fundamentalisten praktizieren die  Zerstörung der ihnen fremd und feindlich erscheinenden Kulturen ihrer eigenen Länder. Man denke an die Kulturzerstörungen des Islamischen Staates oder an die Fundamentalisten der Kulturrevolution Maos, oder auch an den Kampf der Nazis gegen die ihnen „entartetet“ erscheinende wertvolle Kunst wie auch an die Bücherverbrennungen der Nazis. Dem gegenüber wirkt der „Index der Verbotenen Bücher“ der Päpste noch eher bescheiden. Der Index (das Lektüreverbot von etwa 6000 Büchern für Katholiken) wurde von Papst Paul VI. tatsächlich erst am 15. November 1966 (!) abgeschafft.

10.
Das Buch “Kultur“ von Martin Puchner zeigt in den 15 ausgewählten Kapiteln tatsächlich eine „neue Geschichte der Welt“, wie der Untertitel heißt. Die Erkenntnis wird gefördert, dass Dialog und Lernbereitschaft unter den verschiedenen Kulturen immer schon stattgefunden haben und hoffentlich heute weiter stattfinden – früher nicht ohne Konflikte und Erfahrungen von Leid und Einschränkungen, heute sicher auch nicht. Aber Dialog und Lernen der verschiedenen Kulturen voneinander ist anders nicht möglich.
Nur diese Lernbereitschaft als Offenheit im Respekt der gleichen Würde aller Kulturen weist den Weg in eine humanere Zukunft. Abschotten und sich mit rigiden Gesetzen abgrenzen sind der falsche, der inhumane Weg einer populistisch, das heißt immer auch egoistisch werdenden Welt des reichen kapitalistischen Nordens. Die Menschen – Welt muss die gemeinsame Welt der gleichberechtigten Menschen (und der zu bewahrenden Natur) in der Vielfalt werden.

Martin Puchner, „Kultur. Eine neue Geschichte der Welt“. Klett-Cotta Verlag Stuttgart, 2025, 428 Seiten, 35€. Aus dem Amerikanischen Übersetzt von Enrico Heinemann.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer-Salon.de. in Berlin.

Wenn der Papst schreit: Eine aktuelle Bild-Theologie von Francis Bacon.

Ein Hinweis auf die Papst – Gemälde von Francis Bacon (1909-1992)
Von Christian Modehn am 2.5.2025

Wann, wenn nicht jetzt, wenige Tage vor Beginn des Konklaves am 7. Mai 2025, ist es hilfreich und inspirierend, an die Papst Gemälde von Francis Bacon zu erinnern. Er zeigt in seinen etwa 45 Arbeiten zum Thema in verschiedenen Variationen immer wieder (bis zum Jahr 1965) einen und denselben schreienden Papst. Angeregt wurde Bacon zu dieser provokativen Bild – Theologie durch das berühmte Gemälde von Diego Velazquez, das als kritisches Porträt Papst Innozenz X. darstellt. Das Gemälde entstand 1649/1650. LINK.

Die Arbeiten Bacons, auch dessen vorbereitenden „Studien“ zu den Papstgemälden, sind über das Internet leicht zu erreichen und ausführlich zu betrachten.(Fußnote 4).
Wir bieten nur einige Hinweise zur Bedeutung dieser Arbeiten Bacons.

1.
Die Aktualität der Bacon – Gemälde ist ganz eng mit der „Kammer der Tränen“ verbunden, einem kleinen Raum dicht an der Sixtinischen Kapelle, dem Ort der Papstwahl. In diesen Raum zieht sich der gewählte Papst zurück. Dort ist er allein. Unmittelbar nach der Wahl kann er dort seinen Gefühlen ungeschützt und unbeobachtet „freien Lauf lassen“: Er kann weinen, bitten, beten, schreien: Für Francis Bacon ist das Schreien wesentlich: Es ist ein Schreien nicht vor Freude. Sondern: Der Papst weiß sich in der Deutung Bacons förmlich eingezwängt, wie in einen Käfig eingesperrt sitzt er allein da, wie gelähmt und fest fixiert.
Ist die Aussage Bacons nicht sehr treffend angesichts der nur enorm zu nennenden und eigentlich total überfordernden Herausforderungen seines Amtes: Er soll ein „Papa“ für 1,5 Milliarden Katholiken sein in einer zerstrittenen Kirche, zerrissen zwischen „progressiv“ und „konservativ” und auch „reaktionär“. Er soll auf die Herausforderungen einer friedlosen Welt mit ökologischer Katastrophen und zunehmender sozialer Ungerechtigkeit als Staatsoberhaupt wie als geistlicher Führer (Papst) Weisungen geben und heilen und helfen…

2.
In der „Kammer der Tränen“ (Fotos siehe: Fußnote 1) steht ein rot ausgekleidetes Sofa bereit, um zur Ruhe zu kommen … oder auch erregt, sitzend, liegend, zu schreien. Vor den Augen des gerade gewählten Papstes hängen gut sortiert in verschiedenen Größen seine neuen weißen Gewänder, seine alternativlose Dienstkleidung sozusagen. Das Tragen jeglicher Form von bürgerlicher oder wenigstens moderner klerikaler Kleidung (schwarzer Anzug etc.) steht außerhalb jeglicher Überlegung. Ein Papst in grauem Anzug mit roter Krawatte? Angesichts der totalen Macht der Traditionen und Kleiderordnungen in der Kirche unmöglich.
Die weißen Papstgewänder hängen also in verschiedenen Größen zur Anprobe bereit: Sie zwingen zur Einsicht: Es gibt kein Entkommen mehr. Einst Kardinal, jetzt Papst, an der obersten Spitze einer klerikalen Hierarchie, die sogar noch als göttliche Stiftung gilt. Angesichts dieser Last, dieser Fixierung auf Traditionen und Dogmen, ist Schreien Ausdruck von Erschütterung und Verzweiflung.

3.
Der Kunsthistoriker und Literaturwissenschaftler Wieland Schmied hat in seiner großen Studie „Francis Bacon“ (1985, bei Frölich und Kaufmann) viele Details zu Bacons Papstbildern (auch in der Beziehung auf Velazquez) mitgeteilt. Und Schmied zeigt: Es geht Bacons um eine fundamentale Kritik am Papst und am Papsttum. In Bacons Papstporträts sieht Schmied durchaus den Ausdruck von „Aggression, Wut und Hass“ (S. 12). „Der eigentliche Kampf Bacons gilt dem Weltbild von Velazquez. Bacon richtet sich gegen dessen Vision des Papstes. Er richtet sich gegen die hierarchische Weltordnung, für die dieser Papst steht“ (ebd.). Also gegen die unantastbare geistliche Autorität, gegen das festgelegte Weltbild, „das Bacon als ungültig und unwahr empfindet“ (ebd.). Wieland Schmied schreibt: „Bacon rüttelt am Weltgebäude, wie es uns die Kirche und die großen Maler in ihrem Auftrag überliefert haben. Aber der Papst (in Bacons Gemälden) wehrt sich gegen den Einsturz der alten Weltordnung. Der Papst Bacons schreit, grimassiert, klammert sich an seinen Thron, er erhebt die Faust , er schlägt zurück“. (S. 14). Der Papst bleibt in der Deutung Bacons trotzdem wie ein Gefangener in einem Käfig sitzen. Er will sich aus dieser Fixiertheit nicht selbst befreien.

4.
Besonders eindrucksvoll sind die drei 1951 entstandenen Gemälde mit dem Titel „Papst I“, „Papst II“, „Papst III“, wobei besonders „Papst II“ sehr eindrucksvoll ist., im Buch auf Seite 25 in Farbe wiedergegeben. (Im Internet: Fußnote 2.)

5.
Die Papst – Gemälde von Francis Bacon zeigen eine andere Seite, vielleicht die entscheidende des Papstes und des Papsttums im ganzen: Dieses Amt wurde geschaffen, um die geistliche Macht des Katholizismus über alles in dieser Welt zu etablieren. Der große reaktionäre Verteidiger des Papsttums Joseph de Maistre (1753-1821) hat in seinen apologetischen Publikationen zum Papsttum betont: „Immer muss EINER sein, dem nicht gesagt werden kann: Du hast geirrt.“ (Fußnote 3). Dieser EINE Irrtumslose ist für de Maistre der Papst: Er ist der „institionalisierte Ausdruck des Absoluten“, wie Martin Burkhard im Vorwort des Buches schreibt: De Maistre wollte die Welt von der Notwendigkeit der Herrschaft des Papsttums überzeugen… viele seiner Argumente fürs Papsttum wirken bis heute in katholischen Kreisen. An die Abschaffung dieser Form des Papsttums denkt niemand. Im offiziellen Katechismus der katholischen Kirche (1993) hat der „Papst als Stellvertreter Christi“ „die volle, höchste und allgemeine Vollmacht über die Kirche, die er immer frei ausüben kann“ (§ 882).
Angesichts dieser Allmacht lassen wir also auch den künftigen Papst in der „Kammer der Tränen“ schreien. Aber Kopien der Papst – Gemälde von Francis Bacon werden diese „Kammer der Tränen“ gewiss nicht „verzieren“.

6.

Am 14.4.2022 hat Christian Modehn einen Beitrag veröffentlich, in dem für öffentliche “Räume, wo wir schreien können” plädiert wird, Schreien als Therapie in Wut und Verzweiflung … über die Welt, die Kirchen. Leer stehende Kirchengebäude würden sich dafür in den Städten anbieten oder auch in renovierten, aber ebenfalls kaum noch genutzten Dorfkirchen in Brandenburg, Mecklenburg usw.. LINK:

Fußnote 1: https://popeemeritus.wordpress.com/2013/03/13/sala-delle-lacrime-room-of-tears-vatican-raum-der-tranen-vatikan-www-popeemer-com/

Fußnote 2.
 Das Gemälde „Pope II“: https://www.kuma.art/de/francis-bacon-pope-ii

Fußnote 3:
Joseph de Maistre, „Vom Papst. Ausgewählte Texte“, Semele Verlag Berlin, 2007, S. 195.

Fußnote 4: LINK  zu den Papstgemälden Bacons.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Wolfram Weimer und sein Gott: Eine Rezension

Für die Zeitschrift “Publik Forum” hat Christian Modehn  im Oktober 2021 eine – bei Publik Forum übliche – kurze Rezension geschrieben zum Buch von Wolfram Weimer “Sehnsucht nach Gott”, erschienen im katholischen Bonifatius-Verlag. Das Buch hat 128 Seiten und kostet 15 €:

Der Autor Wolfram Weimer will mit seiner „Streitschrift“ die konservative Ideologie durch die Religion beleben.

Er setzt dabei abstrakt einen Gott voraus, an dem – seiner Meinung nach – zu zweifeln Unsinn ist.

Dieser Gottesglaube soll als „Deutungsmacht“ das politische Handeln in der Demokratie bestimmen.

Religionssoziologen beweisen den Rückgang der Kirchenbindung. Diese Fakten lässt der Autor nicht gelten, er erhofft sich voller Sehnsucht eine „neo-religiösen Bewegung“ der “Gott-gläubigen.”

Der theologisch inkompetente Publizist Weimer hat einst das konservative Magazin „Cicero“ gegründet, jetzt ist er Chef seiner „Media Group“: Sie hat ihren „Freiheitspreis“ im April 2021 ihrem Freund, dem damaligen österreichischen Kanzler Sebastian Kurz, verliehen. Für diese Kreise ist „Gott“ eine Chiffre für ein verstaubtes Ideal-Bild der Familie.

Von der Bibel ist in Weimers Buch fast keine Rede, von prophetischer Kritik gar nicht.

Wer wirklich Sehnsucht nach Gott hat, braucht dieses Buch nicht.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

Die richtige Erkenntnis … und nichts wird besser?

Über das schwierige Verhältnis von Philosophie und Praxis
Ein Hinweis von Christian Modehn am 25.4.2025

1.
Wie kommen wir von unserer Erkenntnis, etwa einer Evidenz, wie sie sich im „Kategorischen Imperativ“ ausdrückt, zur Praxis, zur Tat, die der Erkenntnis entspricht? Also von der Erkenntnis zu einem neuen Lebensentwurf und einer neuen Praxis unseres Lebens?

2.
Diese wichtige Frage wird auch in der Psychologie und der Gehirnforschung diskutiert. Dazu später ein Hinweis. Und in den christlichen Theologien wird auf unser Thema nach wie vor die Antwort des Augustinus (und Luthers) verbreitet: Es sei die Erbsünde, die den Menschen unfähig mache, das Richtige und Gute, das Erkannte, dann tatsächlich auch zu tun. Allein die göttliche Gnade könne zum richtigen Handeln führen. Der Mensch als „natürlicher“ Mensch sei hilflos, deswegen bleibe auch in der gestalteten Welt – letztlich – alles beim Alten. Weil aber die Erbsünde, historisch und theologisch nachgewiesen, eine klerikale Ideologie ist, lassen wir diesen Aspekt hier beiseite. LINK.

3.
Viele Politiker haben zwar die Demokratie als Theorie im Kopf. Sie folgen dieser aber nicht umfassend in ihrer politischen Praxis. D.h.: Sie reden von Demokratie, wollen aber – verschwiegen – etwas ganz anderes, etwa: sich bereichern, ihr Ego stärken, Karriere machen, das Gemeinwohl ignorieren. Die rechtsextremen Feinde der Demokratie haben wenigstens diese eine „Tugend“: Sie sagen offen, dass sie die Demokratie zerstören wollen. Dieser Wahn führt unter Demokraten heute aber nicht zu wirksamen Attacken gegen Rechtsextreme. Die Lust am Untergang der Demokratien verbreitet sich wie eine Epidemie. Aber das ist auch ein anderes Thema.

4.
Die geistig – seelische Erstarrung als Ursache der Abwehr richtiger Erkenntnisse findet sich bei sehr vielen Menschen. Das, was ider Vernunft als das Bessere und Richtige aufscheint, steht in Konkurrenz zum dem, was wir immer schon tun, aus Gewohnheit, Tradition, geistiger Nachlässigkeit. Bei unserem Thema geht es also auch um die Konkurrenz zweier Lebensentwürfe: Der eine Lebensentwurf ist der immer schon gelebte, angeblich bewährte, angeblich vorteilhafte. Der andere Lebensentwurf hat nur den Charme einer Verheißung, nämlich besser, richtiger, vernünftiger zu handeln und nicht nur all dieses „Schöne und Wahre“ zu denken. Es geht also um die eine Forderung: Lass das Alte hinter dir und tu das Neue, die Verheißung des Besseren und Vernünftigen. Diese Forderung kann entstehen, weil einige die alte, fixierte Lebenspraxis selbst als falsch, als zu eng erleben und dabei gedanklich dem Überschreiten des Gegebenen folgen. Transzendieren nennt man das. Aber: Nicht alles Neue ist automatisch das Bessere, sondern nur das Vernünftige, das Humane. Es gibt Normatives in dieser Debatte. Nicht jede Alternative ist richtig und gut, siehe die AFD, die das wichtige Wort Alternative in den Schmutz zieht. AFD sollte eher AZD heißen: „Alternative zur Demokratie.“

5.
Ein Blick in die Geschichte der Philosophie: Die hellenistischen Philosophen haben in ihren Werken und ihrem Leben explizit „Anleitungen zur individuellen Lebensbewältigung“ gegeben, also Hinweise zu einem besseren, wahren Leben, wie Heinrich Niehues – Pröbsting, Spezialist für hellenistische Philosophie, gezeigt hat. (Fußnote 1). Die hellenistischen Philosophen wollten also in diesem „Reformprogramm“ eine Art „philosophische Psychotherapie“ fördern als Voraussetzung für eine neue Praxis. Diese Erkenntnis verdankt sich dem großen Philosophen und Philosophiehistoriker Pierre Hadot (1922 – 2010), er hat in zahlreichen wichtigen Studien den praktischen Charakter der hellenistischen Philosophie hervorgehoben: Philosophien seien keine theoretischen, abstrakten Konstrukte, sondern „Anleitungen zu humanen Lebensformen.“ „Im Hellenismus versteht sich die Philosophie der Hauptsache nach als Anleitung zum glücklichen Leben, sie ist Kunst des Lebens, Kunst als ein Können, das auf Wissen beruht..“, schreibt Heinrich Niehues – Pröbsting im Sinne Pierre Hadots. Nebenbei: Von Hadot ließ sich auch Michel Foucault inspirieren.

6.
Philosophie als Therapie verstehen: Viele Philosophen vom 3. Jahrhundert vor Christus bis ins 4. Jahrhundert nach Chr. waren überzeugt: Es gibt eine „Krankheit der Seele“: Und die sei bedingt „durch falsche Vorstellungen, die zu den beunruhigenden Affekten führen.“ Die falschen Vorstellungen entstehen etwa in dem Unvermögen, bei der Macht der Gefühle Wichtiges und Unwichtiges im Leben nicht unterscheiden zu können. Auch die Angst erzeuge falsche Vorstellungen, oder die Meinung, „man bedürfe des Luxus oder der Erfüllung seiner eitlen Ansprüche auf Anerkennung“ (Fußnote 2). Vor allem Epikur lehrte die Kraft vernünftiger Unterscheidung: Er empfiehlt die Selbstgenügsamkeit.
Für die Stoiker gilt als philosophische Therapie: „Die Affekte sollen erst gar nicht aufkommen. Die Stoiker sind von der Macht der Vernunft über die Affekte grundsätzlich überzeugt.“

7.
Es ist für diese Philosophen die Macht der Vernunft und des Arguments, die einen Weg weist in ein glücklicheres Leben: das ist ja das Ziel der „individuellen philosophischen Lebensbewältigung.“ (Fußnote 3).

8.
Die Pythagoreer entwickelten als eine der wichtigen „philosophischen Schulen“ eine Art „Katechismus“, der die praktischen Lebensregeln zusammenfasste. Dazu gehörten auch Speisevorschriften (vegetarische!) oder Empfehlungen für die Gestaltung der Sexualität. Am wichtigsten ist für Pythagoreer das Gebot, täglich eine „Selbstprüfung“ zu gestalten: „Worin fehlte ich? Was war meine richtige Tat? Was war Unterlassung? Wenn du Schlechtes tatest, dann schilt dich, wenn du Gutes tatest, dann freu dich.“ (Fußnote 4).
Die Stoiker übernahmen diese Selbstprüfung als wichtige Übung, sie sollte zu einer neuen glücklicheren Lebensform führen. Nebenbei: Die Christen ließen sich davon anregen und haben dann die Gewissenserforschung eingeführt, die zur Erkenntnis von Sünden anregte und zur Praxis der Beichte ihren Höhepunkt (und Abschluss) fand.

9.
Um die philosophische Erkenntnis des Guten im Geist fest zu verankern, empfahlen einige „Schulen“, wie die Stoiker und die Epikureer, das Auswendiglernen zentraler philosophischer Erkenntnisse der eigenen „Schule“. Man könnte sagen: Eine Art Verhaltenstherapie zur vernünftigen Gestaltung des eigenen Lebens war intendiert. Damit verbunden war eine starke Forderung der eigenen gedanklichen Leistung, sie sollte dann den Willen bestimmen und tatsächlich eine neue Praxis im Leben einleiten.
Aber der einzelne fand in den philosophischen Schulen der Epikureer oder Stoiker praktische Hilfe, neue Wege zu gehen, vor allem durch den gedanklichen Austausch oder das lebendige Vorbild der anderen, die zur Schule, man könnte sagen, zur Gemeinde“, gehörten. Ohne die gleichgesinnten anderen, die Mitglieder der „Gemeinde“, kann eine neue, bessere Lebenspraxis nur schwer gelingen.

10.
Ein Stück Wirkungsgeschichte: Viele christlichenMönche und Einsiedler,, Wüstenväter genannt, übernahmen vom 3. bis 6. Jahrhundert auch diese aus der Philosophie stammende Übung der häufigen Wiederholung bestimmter Sätze der Weisheit, die sie natürlich der Bibel entnahmen. Bis heute wird in der christlichen Spiritualität diese Übung des häufigen Aussprechen von Weisheit – Sätzen während des Tages „Ruminatio“ genannt, das lateinische Verb ruminare bedeutet tatsächlich „wiederkäuen“. „Das Wiederkäuen gab den Mönchen die Gewissheit, in der Gegenwart Gottes zu leben und sich dieser Gegenwart bewusst zu sein, ohne lange Gebets – und Meditationszeiten dafür einzuplanen“, schreibt der katholische Theologe Thomas Dienberg in seinem Buch „Spirituelle Atempausen“, KBW Verlag 2025. Er empfiehlt heute diese Übung den Christen. Sie soll zur „christlichen Alltags – Praxis“ anleiten. Ob dabei spürbar und sichtbar neue Lebensentwürfe entstehen, die auch politisch wirksam sind, ist eine offene Frage.

11.
In den hellenistischen Philosophien gilt die Überzeugung: Soll es zu einer Verbesserung der politischen und sozialen Verhältnisse kommen, dann muss zunächst und vor allem der einzelne Mensch den eigenen Geist, die eigene Vernunft, kennen und pflegen. Bevor es zu Strukturveränderungen kommt, muss der einzelne und mit ihm die Gruppe, die „Gemeinde“, selbst das gute und wahre moralische Leben leben. Nur durch die Vernunft erneuerte Menschen können die neue Gesellschaft gestalten.
Eine Erinnerung an die jüngste Vergangenheit: Der Kommunismus in Russland ist sicher auch daran gescheitert, dass die Akteure, Herrscher und Funktionäre niemals an der eigenen seelischen und geistigen Verfasstheit und Mentalität kritisch gearbeitet haben. Dazu weitere Überlegungen in Fußnote 7.

12.
Die Forderung, Philosophie als Therapie zu gestalten, gilt auch für zeitgenössische Philosophen des 20.Jahrhunderts, neben Karl Jaspers auch für Ludwig Wittgenstein. Seine Spätschriften sind dabei wichtig. Bekannt ist sein Beispiel von der „Fliege, die im Fliegenglas gefangen ist und keinen Ausweg findet.“„Was ist dein Ziel in der Philosophie“, fragt Wittgenstein in den „Philosophischen Untersuchungen“, § 309. Seine Antwort: „Der Fliege den Ausweg aus dem Fliegenglas zeigen.“ Philosophie sollte hilfreiche Auswege zeigen … um besser, d.h. wahrer und frei zu leben! Darin sind durchaus Anklänge an die genannten Überzeugungen hellenistischer Philosophen deutlich. In seinen „Philosophischen Untersuchungen“ (§ 133) sagt Wittgenstein: „Es gibt nicht eine Methode der Philosophie, wohl aber es gibt Methoden, gleichsam verschiedene Therapien.“ Ähnlich auch die kurze Erkenntnis in § 255 : „Der Philosoph behandelt eine Frage: wie eine Krankheit.“ Philosophieren kann heilsame Entwicklungen freisetzen. Diese Verfehlungen im Leben sind vor allem begründet im falschen Gebrauch der Sprache und der Grammatik.

13.
Pierre Hadot hat darauf hingewiesen, dass Wittgenstein sein eigenes radikales Fragen und Denken niemals als eine Art Schlusspunkt verstanden hat. Es gibt keine absolute Wahrheit, kein absolut gültiges Heilmittel. Und darin ist wohl auch das stets Unfertige jeder neuen Lebenspraxis begründet: Weil es denn vollkommenen Gedanken, die vollkommene Einsicht nicht gibt und geben kann, kann es auch bei allem guten Willen keine vollkommene neue Praxis geben. Hadot spricht von dem „inachèvement“, der Unvollendetheit, des philosophischen Denkens, die Auswirkungen auf die Praxis sind entsprechend: Sie ist unvollendet und unvollständig. Es ist also die Unvollkommenheit des einzelnen, einen vollständigen oder sogar vollkommenen Gedanken zu fassen entscheidend. (Hadot, Fußnote 5.)
Aber diese unüberwindbare Einschränkung darf niemals die Anstrengung verhindern, ein besseres, humaneres Leben zu denken. Und: Durch die Übungen der philosophischen Vernunft können fixierte alte, auch inhumane Einstellungen erschüttert und ansatzweise überwunden werden.

14.
Auf aktuelle Forschungen zum menschlichen Gehirn muss deswegen hingewiesen werden: Der Autor und Philosoph Stefan Klein hat in seinem Buch „Aufbruch“ (Fußnote 6) gezeigt: „Der Unwille zur Veränderung (der Lebenspraxis) wurzelt im Gehirn. Weltbilder, die unser Handeln bestimmen, folgen nicht Argumente; ihre Anziehungskraft beruht auf der Ökonomie der neuronalen Datenverarbeitung. Entscheidend ist die kognitive Flexibilität“.
Trotz dieser Dominanz „neuronaler Strukturen“, die eine Veränderung der Lebenspraxis behindern, ist auch die Macht der Ideologien zu respektieren. Ideologien können antihumane (etwa rassistische) Vorstellungen sein oder eben auch humane, etwa zur Solidarität auffordernde Ideen. Die Ideologien erscheinen oft in Gestalt von bestimmten Weltbildern. Und sie können den Geist der
Menschen fixieren und Veränderungen abwehren. Dies ist die wichtige Erkenntnis der Forschungen zum Gehirn: „Weltbilder (Ideologien) spiegeln nicht nur, sie bestimmen auch, wie ein Gehirn funktioniert… Ideologien zielen auf die Transformation der menschlichen Natur.“

15.
Das Bemühen der Philosophen, Formen humaner Lebenspraxis zu beschreiben und vorzustellen und Erkenntnisse in Praxis zu führen, bleibt nach wie vor gültig. Die richtigen Ideen können zu „einer gewissen Transformation der menschlichen Natur“ (Stefan Klein) beitragen. Die Gene sind also nicht allmächtig. Der alte Trott der unreflektierten, angeblich etablierten und fixierten Lebensführung kann unterbrochen und korrigiert werden: Durch philosophische Argumente.

16.
Natürlich zeigt sich in diesem Denken ein Rest von Optimismus, der sich dem Geist der philosophischen Aufklärung verdankt.

………………………….

Fußnote 1: Heinrich Niehues – Pröbsting, „Die antike Philosophie“, Fischer Taschenbuch, 2004. S. 188.

Fußnote 2: ebd. S. 189 und 190.

Fußnote 3: ebd. S 187.

Fußnote 4:
 Ein Zitat aus dem grundlegenden Werk von Paul Rabbow, bei Niehues – Pröbsting, S.155, dort Fn 246).

Fußnote 5: Pierre Hadot, „La Philosophie comme manière de vivre“, Editions Albin Michel, Paris. 2001, S 192.

Fußnote 6: 
Stefan Klein, „Aufbruch. Warum Veränderung so schwerfällt und wie sie gelingt“, S. Fischer Verlag, 2025. Die Zitate von Stefan Klein sind dem Tagesspiegel, Ausgabe vom 14.4.2025, Seite 10-11 entnommen.

Fußnote 7:
Die Sowjet – Kommunisten etwa haben den alten (etwa aus der Zarenzeit stammenden) Ungeist der Gewalttätigkeit, der Verachtung von Mehrheitsentscheidungen, von Minderheiten usw. nicht aufgegeben können und wollen. Die Utopie eines eigentlich nur human zu denkenden Kommunismus blieb für die Führer und ihre Kollaborateure nichts als lügnerische Theorie.
Wer sich das Verhältnis von Theorie und Praxis in der klassischen orthodoxen kommunistischen Partei – Ideologie anschaut: Da wurde von einem einfachen Schritt von der Theorie zur Praxis gesprochen: Etwa: Die in der Theorie – Debatte (am „grünen Tisch“) gewonnenen Parteitagsbeschlüsse sollten unmittelbar als solche von den Werktätigen umgesetzt werden: „Vorwärts mit den Beschlüssen des VII. Parteitages“, hieß es dann. Dabei waren schon die Analysen der Theorie am „grünen Tisch“ der Parteibonzen falsch. Sie ignorierten die geistige Bereitschaft ihrer Untertanen, die Beschlüsse überhaupt ernst zu nehmen, geschweige denn freiwillig zu realisieren…
Eine Theorie kann nur dann Impulse für das Tun, die Praxis geben, wenn sie selbst als Theorie eng verbunden mit der schon vorhandene Praxis der Menschen in der Gesellschaft und im Staat ist. Und von dieser erkannten und gemeinsam kritisierten Praxis können dann neue Wege der Praxis gelingen.

 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

Karfreitag: Alles Ewige, alles Wahre ist vernichtet.

Hegels Interpretation des Karfreitag … weltlich, säkular verstanden.
Ein Hinweis von Christian Modehn am 14.4.2025.

1.
„Gott selbst ist tot“: Dieser provozierende Satz gehört tatsächlich zur klassischen christlichen Spiritualität. Er steht im Zentrum am Karfreitag, beim Gedenken an den Kreuzestod Jesu von Nazareth, der dann freilich in der üblichen, orthodox genannten Formel als „Gottes-Sohn“ gedeutet und verehrt wird.

2.
Wir wollen die spirituelle Erkenntnis Satz „Gott selbst ist tot“ weltlich, also auch politisch, neu verstehen. Damit wollen wir auch der Forderung des Theologen und Nazi – Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer entsprechen: „Wir müssen es riskieren, anfechtbare Dinge zu sagen, wenn dadurch nur lebenswichtige Fragen aufgerührt werden.“ (Brief aus dem Nazi – Gefängnis Tegel am 3.8.1944). Und am 16.7.1944 notierte er die inzwischen bekannte, aber bis jetzt nicht realisierte Forderung einer „nicht-religiösen Interpretation der biblischen Begriffe“…Zu Bonhoeffers Provokationen: LINK.

3.
„Gott selbst ist tot“- dieser Satz ist wohl für klassisch Fromme befremdlich: Denn Gott kann doch gar nicht sterben, behaupten sie. Und darum haben sie den Satz „Gott selbst ist tot“ auch relativiert: Es war ja „bloß“ Gottes Sohn, Jesus Christus, der am Kreuz gestorben ist. Der Kreuzestod Jesu ist eine geschichtliche Tatsache, im Unterschied zur Auferstehung Jesu von den Toten, diese ist kein historisch nachweisbares Faktum.

4.
Wie fanden Christen zu der Erkenntnis „Gott selbst ist tot“? In Zeiten schlimmsten Leidens, der Trostlosigkeit im Dreißigjährigen Krieg, hat der Jesuit Friedrich von Spee (1591-1635) ein Gedicht bzw. Kirchenlied verfasst , die ersten Worte heißen: „O Traurigkeit, o Herzeleid, ist das denn nicht zu klagen! Gottes des Vaters einzig Kind wird zu Grab getragen.“
 Weitergedacht hat der protestantische Pfarrer und Dichter Johann Rist (1607-1667), als er im Jahr 1641 in einer zweiten Strophe den Inhalt radikalisierte: „O große Not! Gottes Sohn liegt tot, am Kreuz ist er gestorben…“.. Das Lied ist Teil des evangelischen Gesangbuchs (von 1993).

5.
Bis heute aktuell interpretiert und gedeutet wurde diese theologische Überzeugung „Gottes Sohn ist tot“ von dem Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831). Und Hegel weist uns den Weg zu einer weltlichen, säkularen Interpretation des Karfreitag – Satzes „Gott selbst ist tot“.

6.
Hegel hat in seinen mehrfach gehaltenen „Vorlesungen zur Philosophie der Religion“ in Berlin (1818-1831) im Blick auf den Karfreitag gelehrt: „Gott ist gestorben. Gott ist tot.“ Und Hegel übersetzt dann den Begriff Gott in weltliche Wirklichkeiten: Hegel fährt fort: „Dieses ist der fürchterlichste Gedanke, dass alles Ewige, alles Wahre nicht ist; dass die Negation selbst in Gott ist; der höchste Schmerz, das Gefühl der vollkommenen Rettungslosigkeit, das Aufgeben alles Höheren ist damit verbunden“ (Suhrkamp, Theorie Werkausgabe, Band 17, S. 291).

7.
Hegel spricht also davon, dass der Tod Gottes (bzw. des Sohnes Gottes) ein Ereignis ist, das als „Aufgeben alles Höheren“ übersetzt wird. Und das heißt konkret: „Alles Ewige, alles Wahre“ ist nicht mehr, es existiert nicht mehr, ist verschwunden, Ewiges und Wahres haben keine Bedeutung. In dieser grundstürzenden Erfahrung des Zusammenbruchs entsteht der „fürchterliche Gedanke und das Gefühl der „vollkommenen Rettungslosigkeit“, wie Hegel sagt. Der Tod Gottes ist also, Hegel folgend, säkular und neu als der Zusammenbruch der humanen Welt zu verstehen.

8.
Karfreitag sollte also der Tag der Besinnung auf den Zusammenbruch der humanen Welt sein. Und dies ist die heutige Weltsituation, die nicht Resultat eines Naturereignisses ist: Es sind vielmehr Menschen, die diesen Zusammenbruch aus freier Entscheidung betreiben: Menschen, die die Klimakatastrophe erzeugen und nicht umfassend korrigieren und bremsen können oder wollen. Es sind Menschen, die Mord und Zerstörung zu ihrem politischen Geschäft machen. Es sind Menschen, die Diktatoren und Autokraten und andere Verbrecher an die Macht wählen, in den USA, in Russland, in Israel, in Ungarn, in Indien und so weiter. Es sind Menschen, die in noch funktionierenden Demokratien die Feinde der Demokratie wählen, etwa die Partei AFD, die Rechtsextremen in Frankreich und den Niederlanden. Es sind Menschen, die als Lobbyisten einflußreich genug sind, um eine Reichensteuer, Millionärs-und Milliardärs-Steuer, politisch zu verhindern. Sie wäre ein Ausdruck der gerechten, d.h. der sozialen Demokratie. Dies wird von sich noch dreist „christlich” nennenden Parteien auch in Deutschland verhindert.

9.
Der Philosoph Hegel hat den Zusammenbruch der humanen Welt, der im Ereignis des Todes Gottes am Karfreitag angezeigt wird, im Rahmen seiner Philosophie dann wieder „aufgehoben“, d.h. in eine positive Denkrichtung verwiesen durch den religionsphilosophischen Gedanken der Auferstehung. Aber Hegel kommt das Verdient zu, überhaupt den Tod Gottes in aller Tiefe gedacht zu haben.

10.
Wichtig ist für uns in dem Versucht einer „weltlichen Interpretation des Karfreitags“: In seiner „Phänomenologie des Geistes“ (1807) bietet Hegel schon eine säkulare, vernünftige und nicht-religiöse Antwort auf die Frage: Wie kann der Mensch dem Tod, in unserem Beispiel auch dem Tod Gottes, begegnen?
In der Vorrede zur „Phänomenologie des Geistes“ (Seite 36 in der Suhrkamp – Ausgabe, Band 3) bezieht sich Hegel auf die Kraft des menschlichen Geistes – auch dem Tod gegenüber. Hegel schreibt: „Nicht das Leben, das sich vor dem Tode scheut und von der Verwüstung rein bewahrt, sondern das den Tod erträgt und in ihm sich erhält, ist das Leben des Geistes. Der Geist gewinnt seine Wahrheit nur, indem er in der absoluten Zerrissenheit sich selbst findet. Diese Macht ist der Geist nicht, indem er von dem Negativen wegsieht … sondern der Geist ist diese Macht nur, indem er dem Negativen ins Angesicht schaut, bei dem Negativen verweilt. Dieses Verweilen ist die Zauberkraft, die das Negative in das Sein umkehrt.“

11.
Dem Negativen ins Angesichts schauen: Das kann angesichts des genannten „Zusammenbruchs der humanen Welt“ bedeuten: Nicht nur schauen, nicht nur das Elend betrachten, sondern aktiv eintreten für die Rettung der Theorie betreiben, nicht nur ins Ästhetische sich zurückziehen, es geht um aktives „Verweilen“ beim Negativen, dem drohenden Tod. Dieses aktive Verweilen hat dann, wie Hegel schreibt, die „Zauberkraft, das Negative ins lebendiges, konstruktives Sein“ zu verwandeln. Diese Kraft, dem Negativen standzuhalten, kann von Hegel wie eine als Metapher „Zauberkraft“ genannt werden: Aber bei diesem Begriff „Zauberkraft“ spielt nichts Esoterisches , Wunderbares eine Rolle, sondern es wird nur das Überraschende formuliert: Einzig die „verweilende“, kritische Analyse der Verhältnisse, kann das „Negative in das Sein“, also in Leben, verwandeln. So kann der „Zusammenbruch der humanen Welt“ vielleicht noch aufgehalten werden.

12.
Karfreitag – weltlich, säkular verstanden, sollte also auch ein Tag des Gedenkens werden an die Widerstandskraft des Geistes, an die kritische Kraft der Vernunft angesichts der genannten miserablen Verhältnisse. Wahrscheinlich wird sich diese Widerstandskraft auf Dauer nur mobilisieren lassen, wenn sie selbst sich gegründet weiß in einem absoluten alles gründenden Sinnhorizont. Ein Gedanke, der dem Religions-Philosophen Hegel wichtig war. Und uns im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin noch immer ist.

13.
Unser Thema könnte natürlich weiter vertieft werden mit Hinweisen auf Nietzsche, etwa auf die Rede von „Gott ist tot“ in der „Fröhlichen Wissenschaft“ (Nr. 125). Siehe Fußnote 1.
Uns interessiert sehr die Erkenntnis Nietzsches, am Schluss dieses Absatzes Nr. 125 formuliert: „Was sind denn diese Kirchen noch, wenn sie nicht die Grüfte und Grabmäler Gottes sind?“ Diese Frage haben die Kirche bis jetzt unbeantwortet gelassen. In dieser These, „Kirchen als Grabmäler Gottes“, sollte an die Mitschuld der Kirchenleitungen und der Christen erinnert werden am genannten „Zusammenbruch der humanen Welt“: Weil die Kirchenleitungen und die Frommen sich nachweislich ums Dogmatische und Spirituelle vor allem kümmerten und eben nicht um das auch politische Ziel der gerechten humanen Welt für alle. Theologisch nennt man dieses Ziel „Reich Gottes“. „Jesus verkündete das Reich Gottes … und gekommen ist die Kirche“, sagte sehr treffend der große französische Theologe Alfred Loisy (1857-1940). Er wurde von der römisch katholischen Kirche exkommuniziert.

 

Fußnote 1.

„Habt ihr nicht von jenem tollen Menschen gehört, der am hellen Vormittage eine Laterne anzündete, auf den Markt lief und unaufhörlich schrie: „Ich suche Gott! Ich suche Gott!“ – Da dort gerade viele von denen zusammenstanden, welche nicht an Gott glaubten, so erregte er ein großes Gelächter. Ist er denn verlorengegangen? sagte der eine. Hat er sich verlaufen wie ein Kind? sagte der andere. Oder hält er sich versteckt? Fürchtet er sich vor uns? Ist er zu Schiff gegangen? ausgewandert? – so schrien und lachten sie durcheinander. Der tolle Mensch sprang mitten unter sie und durchbohrte sie mit seinen Blicken. „Wohin ist Gott?“ rief er, „ich will es euch sagen! Wir haben ihn getötet – ihr und ich! Wir alle sind seine Mörder! Aber wie haben wir dies gemacht? Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was taten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Gibt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht? Müssen nicht Laternen am Vormittage angezündet werden? Hören wir noch nichts von dem Lärm der Totengräber, welche Gott begraben? Riechen wir noch nichts von der göttlichen Verwesung? – auch Götter verwesen! Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder? Das Heiligste und Mächtigste, was die Welt bisher besaß, es ist unter unsern Messern verblutet – wer wischt dies Blut von uns ab? Mit welchem Wasser könnten wir uns reinigen? Welche Sühnefeiern, welche heiligen Spiele werden wir erfinden müssen? Ist nicht die Größe dieser Tat zu groß für uns? Müssen wir nicht selber zu Göttern werden, um nur ihrer würdig zu erscheinen? Es gab nie eine größere Tat – und wer nur immer nach uns geboren wird, gehört um dieser Tat willen in eine höhere Geschichte, als alle Geschichte bisher war!“ – Hier schwieg der tolle Mensch und sah wieder seine Zuhörer an: auch sie schwiegen und blickten befremdet auf ihn. Endlich warf er seine Laterne auf den Boden, daß sie in Stücke sprang und erlosch. „Ich komme zu früh“, sagte er dann, „ich bin noch nicht an der Zeit. Dies ungeheure Ereignis ist noch unterwegs und wandert – es ist noch nicht bis zu den Ohren der Menschen gedrungen. Blitz und Donner brauchen Zeit, das Licht der Gestirne braucht Zeit, Taten brauchen Zeit, auch nachdem sie getan sind, um gesehen und gehört zu werden. Diese Tat ist ihnen immer noch ferner als die fernsten Gestirne – und doch haben sie dieselbe getan!“ – Man erzählt noch, daß der tolle Mensch desselbigen Tages in verschiedene Kirchen eingedrungen sei und darin sein Requiem aeternam deo angestimmt habe. Hinausgeführt und zur Rede gesetzt, habe er immer nur dies entgegnet: „Was sind denn diese Kirchen noch, wenn sie nicht die Grüfte und Grabmäler Gottes sind?“

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer-Salon.de

 

 

Die Jüdisch-christliche Zivilisation: Nun eine Ideologie der Rechtsextremen.

Über den Betrug der Rechtsextremen. Ein neues Buch von Sophie Bessis.
Ein Hinweis von Christian Modehn am 11.4.2025

1.
Der oft benutzte Begriff „jüdisch – christliche Zivilisation“ wird jetzt von der jüdischen Historikerin Sophie Bessis in Paris als Betrug der Rechtsextremen analysiert und bewertet.
Der Begriff hat sich, eher harmlos – versöhnlerisch klingend, seit etwa 1980 durchgesetzt. In christlichen Kreisen der Theologen wird er auch formelhaft verwendet, manchmal nur in der Kurzform „jüdisch-christlich“.
Dem Begriff gilt jetzt alle Aufmerksamkeit zum Verständnis der Ideologie der Rechtsextremen. Er teilt im Verständnis der europäischen bzw. us-amerikanischen und der israelischen Rechtsradikalen die Menschen in gute und böse. Gut sind angeblich die Verteidiger der „jüdisch-christlichen Zivilisation“ und böse die „anderen“ ,für Rechtsradikale vor allem „die“ Muslime.

2.
Gegen die übliche Selbstverständlichkeit bzw. auch Gedankenlosigkeit im Umgang mit dem Begriff „jüdisch – christliche Zivilisation“ argumentiert die französische Historikerin Sophie Bessis. Sie wurde 1947 in Tunis in einer jüdischen Familie geboren und arbeitet als Historikerin, Journalistin und Autorin zahlreicher wissenschaftlicher Studien in Paris. LINK zur Person.

Ihr neues Buch „La Civilisation judéo-chrétienne: anatomie d’une imposture“, („Die jüdisch-christliche Zivilisation: Anatomie eines Betruges“), wurde publiziert im Verlag „Les Liens qui libèrent“, Paris. LINK zum Verlag.

Das Buch hat in Frankreich viel öffentliche Aufmerksamkeit gefunden, auf deutsch liegt es noch nicht vor.

3.
Der Begriff wird – auf Frankreich bezogen – im öffentlichen Diskurs etwa seit 1980 verwendet. Die konsequente „laicité“ als republikanische Idee ist damals als orientierende Philosophie genauso verschwunden wie die kommunistische Partei. Nun wird das „Jüdisch-christliche“, in dieser Verklammerung, als neue/alte Identität des Westens proklamiert. Eine Art freundliche Geste der Nicht-Juden, der Christen, nach der Vernichtung der Juden im Holocaust.

4.
Einige zentrale Erkenntnisse von Sophie Bessis zur „jüdisch-christlichen Zivilisation“:
Der Begriff markiert die Vorherrschaft einer religiösen Ideologie: Es gilt, mit ihm die europäische Zivilisation ganz entscheidend auf den jüdisch-christlichen Zusammenhalt und die „gemeinsame Geschichte“ zu gründen. Die beiden monotheistischen Religionen sollen also die europäische Zivilisation bestimmen. In der Fußnote 1 wird auf die Verwendung des Begriffes durch westliche Politiker verwiesen.
Damit wird aber vor allem eine andere monotheistische Religion, der Islam, explizit ausgeschlossen, schreibt Sophie Bessis. Und sie zeigt, dass die arabischen Nationalisten diese Formel „jüdisch-christlich“ ihrerseits aufgegriffen haben, um die Interventionen des Westens gegen „den Islam“ – negativ – zu bewerten und zu bekämpfen.

5.
In einem Interview mit „Radio France International“ (RFI) vom 6.4.2025 sagt die Autorin: „Der Islam gilt heute als die Gefahr, er gilt als Barbarei. Die aktuellen israelischen Regierungschefs haben deswegen diese Rhetorik des „Jüdisch – Christlichen“ übernommen, sie zögern nicht, dies öffentlich zu proklamieren. Diese Rhetorik gilt ihnen als letzter Schutzwall der Zivilisation gegen die `muslimische Barbarei`. Und dieser anti-islamische Diskurs Israels wurde übernommen von der Mehrheit der westlichen politischen Klassen… Der Staat Israel wird durch Monsieur Netanyahu und seinen israelischen Führern zum Vorposten der westlichen Zivilisation erklärt – durch die Verwendung des Begriffes „jüdisch-christliche Zivilisation.“

6.
Auch die extremen Rechten im Westen verwenden den Begriff. „Zuletzt hat Monsieur Bardella von der rechtsextremen Partei „Rassemblement National“ (einst „Front National“ von Le Pen begründet) diese Formel verwendet…“, berichtet Sophie Bessis.
Übrigens: Auf die Übernahme des Begriffes „jüdisch-christlich“ durch rechtsradikale Parteien hat schon der Radiosender „France Culture“ am 20.3.2021 aufmerksam gemacht. LINK  

Auch die Partei AFD benutzt die Floskel „jüdisch-christliche Zivilisation/ Kultur“ sozusagen als Inbegriff für Europa, um gegen den Islam und die Flüchtlinge zu polemisieren und die muslimischen Menschen zu vertreiben.

7.
Die Autorin setzt sich in dem Interview mit RFI weiter mit dem Anspruch von Netanyahu auseinander, alle Juden der Welt zu repräsentieren. Dieser Gedanke ist für die Jüdin Bessis unerträglich. Denn dann könnten „alle Juden“ auch für die furchtbare Politik Netanyjahus Politik bestraft werden…
Und Sophie Bessis setzt sich auch mit einem neuen Philo-semitismus in manchen Staaten Europas auseinander, der zumal seit dem 7. Oktober 2023 lebendig wird. Philo-semitismus ist bekanntlich eine ins Ignorant-Positive gewendete Form des Antisemitismus, nur eben exzessiv freundlich erscheinend. Israels rechtsextreme Regierung pflegt mit dem rechtsextremen Präsidenten Orban in Ungarn eine tiefe Verbundenheit, auch mit Präsident Modi in Indien sowie mit zahlreichen neofaschistischen Parteien, für die Antisemitismus eigentlich typisch und wesentlich ist. Aber sie verschleiern diese ihre traditionelle Ideologie, um gegen „den“ Islam zu kämpfen.

8.
Genauso wichtig ist die Erkenntnis von Sophie Bessis: Der Begriff „jüdisch – christliche Zivilisation“ ist Ausdruck einer Illusion von einer angeblich lange währenden kulturellen und religiösen Nähe und Verbundenheit von Juden und Christen: Dieser Begriff ignoriert aber die Jahrhunderte des christlich geprägten Antisemitismus. Der harmlose Begriff verwischt den Jahrhunderte alten Hass der Christen und der Kirchen auf die Juden.

9.
Die Autorin glaubt nicht, dass der Begriff „jüdisch – christliche Zivilisation“ alsbald in der Umgangssprache wie in der Sprache der Politiker verschwindet. Dafür sind die Rechten und Rechtsradikalen leider zu stark.
Dabei liegt Sophie Bessis alles daran, dass dieser verschleiernde Begriff auch politisch immer weiter analysiert wird, um ihn danach beiseite zu legen zugunsten des Begriffes einer humane Weltzivilisation, in der die universellen Menschenrechte gelten. Wir meinen: Zu dieser humanen Weltzivilisation gehören auch die Religionen, auch der Islam: Er wird sich aber wie das Christentum und das Judentum und der Hinduismus usw. korrigieren und reformieren müssen durch die universell gelten Menschenrechte. Denn die Religionen können intern keine radikale Reform ihrer Dogmen usw. gestalten, das kann nur die allgemeine Vernunft. Zur humanen Welt – Zivilisation gehört vor allem auch der Humanismus, der seit der Renaissance Europa zu bestimmen versucht mit seiner Philosophie der Toleranz.

10.
In der christlichen Theologie werden die Adjektive „jüdisch – christlich“ seit vielen Jahren verwendet, in der katholischen Kirche etwa seit dem 2. Vatikanischen Konzil (1962-65). Der Begriff soll – nach dem Holocaust – die Verbundenheit des christlichen Glaubens mit dem Judentum signalisieren. Beispielsweise hat der niederländische Theologe und Poet Hub Oosterhuis – neben vielen anderen Theologen – diese Worte „jüdisch-christlich“ oft gesprochen und geschrieben: Voraussetzung dafür war und ist: Die meisten christlichen Theologen sehen eine enge Verbundenheit des Neuen Testaments der Christen mit der hebräischen Bibel der Juden. Davon spricht Sophie Bessis in ihrem Buch nicht.
Aber darüber sollten Theologen sprechen, selbst wenn es eine Art Tabuthema ist: genauer hinzuschauen, was denn diese enge Verbundenheit des Neuen Testaments der Christen mit der hebräischen Bibel bedeutet. Jesus von Nazareth ist Jude, aber ein Jude mit einer ungewöhnlichen, einmaligen durchaus auch „anderen“ Spiritualität. War er als Jude vielleicht aus dem herrschenden Judentum damals spirituell „hinausgewachsen“? Immanuel Kant hat 1793 seine These zu publizieren gewagt: Jesus von Nazareth hat in Bezug auf das Judentum eine „gänzliche Revolution in Glaubenslehren bewirkt“ (Fußnote 2). Aber dies ist ein anderes Thema…

Fußnote 1: Zitat aus der politischen Website BLAST in Frankreich: „Les hommes politiques en truffent leurs déclarations, s’en réclamant ad nauseam pour justifier leurs actions. Un candidat à l’élection présidentielle américaine de 2000 assurait ainsi qu’« être la seule superpuissance donnait aux États-Unis des responsabilités, en particulier celle d’intervenir à l’extérieur pour protéger les valeurs judéo-chrétiennes (2) ». Le monde est partagé entre « les cultures judéo-chrétiennes » et les autres (3). En France, on consacra en 1998 un colloque à « l’intégration politique des Français musulmans et leur place dans l’espace judéo-chrétien (4) ». Dans une interview au quotidien Le Figaro le 29 mai 2024, l’ex-président Nicolas Sarkozy brandissait lui aussi les « racines judéo-chrétiennes » de l’Europe. Écrit-on sur l’économie ? On y fait référence (5). Siehe: https://www.blast-info.fr/articles/2025/sophie-bessis-la-civilisation-judeo-chretienne-anatomie-dune-imposture-les-bonnes-feuilles-Ep8Ugq3ETDaUeibgnbV5vQ. BLAST vom 15.3.2025.

Fußnote 2: Seite B 190 in „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“.

Das wichtige Buch “La civilisation judéo-chrétienne: Anatomie d’une imposture”von Sophie Bessis ist im Verlag Les Liens qui libèrent in Paris 2025 erschienen, es hat 124 Seiten und den Preis von 10 €.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin