Papst Franziskus als Mann mit festen Prinzipien!?

Der “prinzipielle” Hintergrund von Papst Franziskus bzw. Kardinal Bergoglio!

Ein Hinweis von Christian Modehn am 5.2.2025.

Immer wieder wird die Frage gestellt: Was bleibt vom zweiofellos außergewöhnlichen Pontifikat des Papstes Franziskus. Ein weites Feld voller Widersprüche unterschiedlicher Beobachter wird damit eröffnet. Die “Stimmen der Zeit”, die deutsche Zeitschrift des Jesuitenordens, hat einen Vorschlag gemacht, das Wesentliche von Jorge Bergoglio/Papst Franziskus zu sehen. Wir haben andere Aspekte vorgestellt LINK.     Zur so genannten “Autobiografie” von Papst Franziskus, erschienen im Januar 2025 LINK

1.
Papst Franziskus orientiert sich in seinen Entscheidungen – wie auch schon in Argentinien als Oberer der Jesuiten und dann als Erzbischof von Buenos Aires – an einigen abstrakten Prinzipien, sie nennt der Jesuit und Theologieprofessor em. Michael Sievernich „Binome“.

Papst Franziskus hat also seine Prinzipien: Das mag für viele etwas Neues sein, glaubte man doch bisher, der Papst würde eher pastoralen „Launen“ folgen: In der Jesuitenzeitschrift „Stimmen der Zeit”, Ausgabe Februar 2025, will Pater Sievernich unter dem Titel „Die vier Prinzipien des Papst (sic) Franziskus“ zeigen, wie diese Prinzipien einen Zugang bieten zum Verständnis des Denkens und Handels des Papstes (bzw. einstigen Erzbischofs). Der Beitrag wurde anläßlich der Veröffentlichung der so genannten Autobiografie des Papstes mit dem Titel „Hoffe“ publiziert.

2.
Diese wahrscheinlich philosophisch zu nennenden Prinzipen sind für Papst Franziskus universell gültig, betont P. Sievernich. Er nennt einige Beispiele: Die Zeit sei für Bergoglio/Franziskus wichtiger als der Raum. Beim Begriff Zeit denkt Franziskus wohl besonders an die offene, zu gestaltende Zukunft. Raum hat für ihn, so darf man interpretieren, offenbar etwas Stagnierendes. Aber: Raum ist doch immer doch auch Lebensraum, die Welt, die Natur, Heimat, das Volk usw…

3.
Philosophisch problematisch ist eine weitere Bevorzugung des Papstes hinsichtlich der Binome, seiner Prinzipien: Er behauptet: „Die Realität ist mehr wert als die Idee.“ Klingt zunächst symathisch, ist aber näher betrachtet problematisch: Denn Realität als solche, sozusagen absolut objektiv, gibt es nicht, Realität gibt es nur als das sprachlich von unterschiedlichen Menschen unterschiedlich Erkannte, und damit nähert sich eine solche Realität stark der vom Papst zurückgesetzten Idee an… Naheliegend muss man fragen: Wer könnte denn von sich behaupten, die Realität als solche objektiv zu kennen – die Antwort: doch wohl nur der Papst?

4.
Die Frage der höheren Erkenntnis durch die Kirchenführer und Päpste drängt auch sich auf, wenn man liest: „Die Einheit ist mehr wert (superior) als der Konflikt; das Ganze ist mehr wert als der Teil.“ Dieses Zitat von Jorge Bergoglio stammt aus seinem Buch „Meditationen für Ordensleute“, 1982 ein Argentinien (auf Spanisch) erschienen. Das ist wichtig: Die Ordensleute (und wohl alle Katholiken) sollen die Einheit (mit dem Oberen, dem Papst etc.) mehr schätzen als den Konflikt, also die Auseinandersetzung und das Beharren auf subjektiven eigenen Meinungen. Wer eine solche Einheit als höher geltend propagiert, will mit seiner Zurückstellung von Konflikten eben keine Debatten, keinen öffentlichen Streit. Es ist ja der Papst selbst, der für Einheit sorgt und dadurch Konflikte entschärft, übersieht, ignorierst, wie auch immer. Diese Interpretation der Vorliebe Bergoglios/Franziskus´) für die Einheit wird unterstützt durch seine Behauptung: „Das Ganze ist dem Teil übergeordnet“: Das heißt: Der einzelne (als ein Teil im Ganzen) möge sich bitte dem Ganzen fügen. Aber wer ist das Ganze, und wer bestimmt, was das Ganze will? Bei Hegel war es der Weltgeist. In der katholischen Kirche weiß es der unfehlbare Papst.

5.
Der Aufsatz von Prof. em. Michael Sievernich zeigt also einen nach Prinzipien denkenden und handelnden Papst. Aber konkrete Beispiele für die Anwendung dieser Prinzipien, werden nicht genannt. In welchem Licht erscheint dann etwa der Umgang Kardinal Bergoglio SJ mit den beiden rebellischen Jesuiten (Pater Franz Jalics und Pater Orlando Yorio) in der Zeit der Militärdiktatur Argentiniens: Sollten sie sich auch dem Ganzen fügen? Pater Franz Jalics (1927-2021) hat es ja später getan, so wurde im Vatikan behauptet. Überhaupt wundert sich der Leser sehr, dass die Zeit der argentinischen Militärdiktatur in dem Beitrag von Prof. em. Sievernich kaum erwähnt wird. Das wird eigentlich das dringende Thema der selbstverständlich kirchenunabhängigen historischen Bergoglio/Papst Franziskus – Forschung sein. Hoffentlich.

6.
Aber der Beitrag in „Stimmen der Zeit“ zeigt deutlich, aus welchen Quellen sich Bergoglio/Franziskus diese Prinzipien zusammenbaute: Etliche wichtige Namen von Theologen werden da genannt: Lucio Gera etwa, der argentinische Theologe, der die Volksreligion über alles schätzte, was bekanntlich Papst Franziskus als Liebhaber der ziemlich diffusen Volksreligiösität (Liebe zu Ablässen, Heiliges Jahr, Teufelsaustreibungen, Reliquien, Heiligenkulte – Pater Pios offener Sarg im Petersdom usw.) übernimmt. Inspirierend waren bzw. sind für Bergoglio/Franziskus Romano Guardini (1885-1968) und der Jesuit Erich Przywara (1889-1972) und Pater Henri de Lubac (1896-1991), auch der explizite Gegner der angeblich marxistischen Befreiungstheologie Gaston Fessard SJ (1897-1978) wird als „Lehrer“ Bergoglio erwähnt. Man kann nur staunen, dass als Lehrer oder wenigstens als „Inspiratoren“ von Bergoglio/Papst Franziskus nicht die Befreiungstheologen, der Peruaner Gustavo Gutierrez oder Brasilianer Leonardo Boff, erwähnt werden, eine Erwähnung von Hans Küng oder Karl Rahner SJ in der Liste der wichtigen Theologen Bergolios/Franziskus zu erwarten, wäre wohl zu anspruchsvoll. Im ganzen jedenfalls sind es nur Theologen aus der frühen Mitte des 20. Jahrhunderts, die für Bergoglio/Franziskus wichtig und prägend sind … im Blick auf sein Interesse an bestimmten Prinzipien.

7.
Interessanterweise weist Prof. Michael Sievernich, der ein guter Kenner der lateinamerikanischen Kirche und der dortigen Gesellschaft ist, darauf hin: „Das Binom von Wirklichkeit (realidad) und Idee dürfte übrigens für argentinische Ohren Reminiszenzen an den Peronismus auslösen.“ Und es ist sehr enttäuschend, dass Sievernich diese seine Erkenntnis überhaupt nicht weiter vertieft. Denn es ja allmählich bekannt, dass der junge Jorge Bergoglio mit der Jugendorganisation der Peronisten eng verbunden war.
Dies ist wichtig: der irische Journalist und Kulturwissenschaftler Colm Tóibín schreibt in der sehr empfehlenswerten großen Kultur – Zeitschrift „Lettre International“, Frühjahr 2021: „Bergoglio ist ein Peronist, und die Pointe des Peronismus ist es, dass er sich niemals definieren lässt. Die Montoneros, die in den siebziger Jahren Argentinien mit einer Terrorismuskampagne überzogen, waren Peronisten. Und die Eiserne Garde, die rechte Gruppe, mit der Bergoglio in Verbindung stand, bestand ebenfalls aus Peronisten. Präsident Carlos Menem war Peronist und die Präsidenten Kirchner waren es auch. Ein Peronist zu sein, heißt alles und nichts. Es heißt, dass man zeitweise mit genau den Dingen einverstanden sein kann, die man ansonsten ablehnt. Man kann sowohl Reformer sein wie gleichzeitig ein Konservativer“ (S. 74). …“Bergoglio konnte in einem Augenblick den Anarchisten spielen und im nächsten in seine autoritäre Rolle zurückfallen“ (S. 73).Wahrscheinlich sind dies die bisher eher übersehenen Einschätzungen, die zum Porträt Bergoglio/Papst Franziskus unbedingt dazugehören.  Ob der “Peronist” Bergoglio in diesem Sinne noch zum “Prinzipien-Papst Franziskus” passt, sei dahin gestellt. Siehe auch LINK.

8.
Diese historisch gut begründete Aussage Tóibins steht der These gegenüber, Bergoglio/Franziskus sei ein Mann der Prinzipien. So klar ist also diese Aussage von Prof. Sievernich dann doch nicht. Ist Franziskus dann doch der eher launische, irgendwie pastoral gesinnte Jesuit, der „allen alles werden“ will, aber de facto niemandem gerecht wird?

9.
Hier noch einmal die vier Prinzipien des Papstes Franziskus, wie sie Prof. Sievernich kommentiert:
Das erste Prinzip lautet: „Die Zeit ist mehr wert als der Raum.“
Das zweite Prinzip lautet: „Die Einheit wiegt mehr als der Konflikt.“
Das dritte Prinzip lautet: „Die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee“
Das vierte Prinzip lautet: „Das Ganze ist dem Teil übergeordnet“.

9.
Es müssen viele kritische Studien gesammelt werden, um die große – auch humane – Problematik dieser vier Herrschaftsprinzipien eines Papstes aufzuzeigen und Widerspruch zu leisten. Post mortem des Papstes wird diese eventuell marginal möglich sein, in kirchenunabhängigen Medien natürlich.
PS: Ich wundere mich nicht, dass ausgerechnet der sehr konservative italienische Politiker Rocco Buttiglione diese vier Prinzipien des Papstes lobt, so betont es jedenfalls Prof. em. Sievernich SJ. Er behauptet – sehr zu recht – dass dieser höchst umstrittene italienische Politiker „enge Verbindungen zum Vatikan hat“. Wikipedia jedenfalls schreibt u.a über Buttiglione: „2002 ermittelte die Staatsanwaltschaft von Monaco wegen des Verdachts der Geldwäsche zugunsten seiner Partei gegen Buttiglione. Es wurde jedoch kein Beweis dafür gefunden, dass er gegen monegassisches Recht verstoßen hat. Gianpiero Catone, ein leitender Mitarbeiter Buttigliones, wurde in Italien wegen betrügerischen Bankrotts angeklagt. Gegen diesen wird zudem wegen des Verschwindens mehrerer Millionen Euro aus italienischen und EU-Fonds ermittelt.“ (Siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Rocco_Buttiglione, gelesen am 5.2.2025)

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

Jesus als Lehrer der Weisheit: Provozierend und un-orthodox.

Ein Hinweis auf ein vergessenes Buch des katholischen Theologen Richard Glöckner.
Von Christian Modehn

1.
In seinem Essay „Quo vadis? – Das Christentum am Scheideweg zur Moderne“ (Lit – Verlag, Münster, 2023, 170 Seiten) will der Theologe im Dominikanerorden Richard Glöckner einen Ausweg zeigen aus der Krise der (katholischen) Kirche und des Christentums in Europa vor allem. Er plädiert, zusammenfassend gesagt, für einen einfachen Glauben: Die ethischen Weisungen Jesu von Nazareth als allgemein menschliche Maximen sollen im Mittelpunkt christlicher Praxis des einzelnen wie der Kirchen-Leitung stehen. Die Verbundenheit mit Gott als dem Geheimnis des Lebens im Sinne Meister Eckarts ist dabei grundlegend. Die Bindung an die vielen kirchlichen Dogmen von einst istfür Glöckner eher eine Last als eine Glaubenshilfe.

2.
In diesem Plädoyer Glöckners wird die Gestalt Jesu Christi neu und für viele LeserInnen ungewöhnlich gedeutet. Es gilt, Jesus von Nazareth als Weisheitslehrer zu entdecken und eben die aus neuplatonischen Zeiten stammende Verehrung des Gottes-Sohnes, auch des Dogmas von Jesus Christus als Gott, zurückzustellen.
Dieser Hinweis Glöckners verdient Beachtung angesichts des abstrakten und metaphysischen Glaubensbekenntnisses des Konzils von Nizäa (im Jahr 325). LINK
Jesus als Weisheitslehrer mit seinen Gleichnissen und einfachen Weisungen kann über dessen Eingebundenen in eine konkrete Kultur hinaus dann doch eine universelle Bedeutung erhalten: Diese Universalierung der zentralen Botschaft Jesu Christi versuchten die Bischöfe im Konzil von Nizäa auf ihre Weise mit der spätantiken neuplatonischen Philosophie zu gestalten. Alle Menschen („die Heiden“) sollten von Christi Botschaft erreicht werden, indem man diese Botschaft verwandelte, also hineinsetzte in die Begriffe und das Denken neuplatonischer Philosophie. Diese abstrakten Begriffe dieses Bekenntnisses (und der Bekenntnisse späterer Konzilien) versteht heute selbst ein gebildeter Europäer nicht mehr. Darum also verdient der Vorschlag Glöckners Beachtung: Jesus von Nazareth sollte als universell verständlicher und inspirierender Weisheitslehrer entdeckt werden.

3.
Glöckner meint also: Es sei angesichts der Krisen der Kirchen und des Glaubens entscheidend, „den Kern der Botschaft Jesu möglichst unverfälscht aufzunehmen und zur Richtschnur des eigenen Glaubens zu machen“ (S. 139). Dabei weiß der Autor, dass eine „direkte (exakte) Rekonstruktion“ des authentischen Lebens Jesu heute unmöglich ist. Trotzdem: Die Gleichnisse Jesu vom Reich Gottes, die Bergpredigt und der Umgang Jesu mit leidenden, ausgegrenzten Menschen zeigen doch den authentischen Jesus von Nazareth.

4.
Der Essay von Richard Glöckner als Plädoyer für Jesus als den Weisheitslehrer kommt nicht aus ohne eine gewisse Polemik aus gegenüber den in theologischen Kreisen üblicherweise stets betonten Bindungen Jesu an „die“ jüdische Religion. Dabei muss natürlich immer differenziert gesehen werden, welche Tradition, welche theologische Schule innerhalb des Judentums denn nun wirklich für Jesus selbst wichtig und prägend wurden. Jesus als `den` Juden einfach so undifferenziert zu bekennen, ist vielleicht doch oberflächlich. Wahrscheinlich war Jesus von Nazareth ein ganz besonderer, nicht zu definierender Jude, der viele orthodoxe jüdische Traditionen damals kannte. Richard Glöckner schreibt: Jesus lebte im Kulturraum Galiläas, „in einer religiösen Atmosphäre, die insgesamt eher heidnisch – hellenistischem und jüdisch – heterodoxen Habitus entspricht“, also anders als die orthodoxe religiöse Welt in Jerusalem. „Jesu Sprache ist durchsetzt mit Bezügen auf die Natur seiner galileischen Umwelt.“ ( S. 140)… „Gottes Fürsorge für die Menschen belegt Jesus mit Hinweisen auf den überfließenden Reichtum des Lebens in der Natur… Jesus denkt dabei und spricht hier außerhalb aller jüdisch – heilgeschichtlichen Traditionen und Vorstellungen“ (S. 144).

5.
Nebenbei: Auf das unorthodoxe Profil Jesu von Nazareth weist unter anderen auch der jüdische Gelehrte Pinchas Lapide hin (in „Paulus“, Gütersloher Verlagshaus 1995). Etwa auf eine gewisse Verbundenheit Jesu mit den Theologen in Qumran (S. 109). „Dass Jesus von Nazareth auch in Qumran weilte, können wir aus einigen seiner Gleichnisse und Äußerungen entnehmen“ Lapide stellt fest, Jesus sei trotz der Verbindung mit Qumran aber kein Anhänger der dortigen theologischen Schule der Essener gewesen (so S. 110). Und dann betont Lapide aber doch: Jesus von Nazareth habe „eklektisch etliche Qumranlehren angenommen“ (S. 110). Jesus hat sich also – den verschiedenen Traditionen des Judentums damals – EKLEKTISCH verhalten. Was aber war der Massstab für die Auswahl? Pinchas Lapide gibt einen Hinweis: „Jesus war ein ausgesprochener Tora – Verschärfer“ (S. 10). Aber was bedeutet „Verschärfer der Tora“: Jesus stellte den Menschen, sein Wohl, über die allgemeinen damals herrschenden religiösen Gesetze. Dann ist diese Gesetzes – Kritik Jesu also seine „Tora- Verschärfung“, und auch deswegen wurde Jesus in Jerusalem der tödlich endende Prozess gemacht. Jesus musste sterben, „weil sein offenes Gottes – und Menschenbild unerträglich war.“ (S. 148).

6.
Es gehört für die eher katholisch gebildeten LeserInnen schon eine gewisse Ausdauer dazu, einige zentrale Aspekte des Werkes Glöckners zu bedenken und als neue Erkenntnis zu realisieren: Für Jesus in seiner Ethik (und seinem Lebensstil) seien nicht „irgendwelche religiösen (jüdischen) Gebote“ zentral. Sondern: „Was für Jesus allein zählt, ist ein Handeln gemäß allgemein gültiger, menschlicher Anforderungen,“ so Glöckner auf S. 147.

7.
Die Leserinnen des Essays Glöckners erkennen – zusammenfassend gesagt: Jesus von Nazareth sei in seiner Lehre und seiner Lebenspraxis über „das“ damalige orthodoxe  Judentum hinausgewachsen. Das zeigt Glöckner z.B. auch an den „weisheitlichen Traditionen in den Jesusworten der synoptischen Evangelien“ (S. 140 ff.). Jesu Worte seien der weisheitlichen, also der philosophischen und universellen Lehre verpflichtet. Aspekte der heilgeschichtlichen (alttestamentlich bezeugten) Auserwählung kämen – so Glöckler – in Jesu Reden nicht deutlich vor. „Die Umkehr im Sinne Jesu erweist sich in der Befolgung allgemein gültiger Regeln menschlichen Zusammenlebens: Hilfsbereitschaft, Ehrlichkeit und Gewaltlosigkeit“ (S. 142). Zusammenfassend sagt Glöckner. „ Aber diese Ansätze sind von der frühen Kirche nicht aufgenommen und weiterentwickelt worden“ (S. 144).

Richard Glöckner, „Quo vadis? – Das Christentum am Scheideweg zur Moderne“ Lit Verlag, Münster 2023, 170 Seiten.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer-Salon.de

 

Die Autobiografie des Papstes: Aus Rom nicht viel Neues: “Hoffe”.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 17.1.2025

Bitte unbedingt beachten: Dieses Thema wird jetzt völlig ausgeblendet: Die Rolle Bergoglios im Umfeld der Militärdiktatur in Argentinien LINK.

Genauso wichtig ist, dass Bergoglio als junger Mann Mitglied der Jugendorganisation der Peronisten war. Diese Verbindung verschweigt Papst Franziskus in seiner  Autobiografie HOFFE: Details zu Bergoglio als Peronist: Siehe FUßNOTE 1. Es handelt sich um einen Beitrag von Christian Modehn von 2022 LINK.

Am 2.2.2025 ergänzt: Die große Nachsicht und Geduld des Papstes mit theologisch wie politisch reaktionören Bischöfen und neuen sich “geistliche Gemeinschaft” nennenden Gruppen. Siehe dazu die Hinweise hier in Nr.10.

1.
Papst Franziskus läßt jetzt weltweit sein neues Buch (384 Seiten in der deutschen Ausgabe) verbreiten, der Titel: „Hoffe. Die Autobiografie“, gemeint ist also „die“ (maßgebliche) Autobiografie. Bekanntlich hat Papst Franziskus erst 2024 sein ebenfalls autobiografisches Buch „Leben“ veröffentlicht mit dem Untertitel „Meine Geschichte in der Geschichte“. Historiker werden diese und viele andere autobiografische Äußerungen (in den zahlreichen Papst – Interviews in Büchern und Zeitschriften) kritisch zusammentragen und vergleichen… „Hoffe“ jedenfalls erscheint zeitgleich in 80 Ländern! Zum Buch LEBEN (2024) des Papstes: LINK . 

Manche Ausführungen im Buch “Leben” (2024) wurden in das Buch “Hoffe” (fast) wörtlich übernommen, siehe “Leben” S. 216 f. und “Hoffe” S. 245 f.,  wobei “Leben” präziser etwa Namen einzelner Kardinäle nennt. Man hat den Eindruck, weite Teile des Buches “Hoffe” seien unter einem  starken Zeitdruck (mit dem Co – Autor Carlo Musso) und sehr in Eile geschrieben worden. Sonst wäre die Argumentationen eines doch so gewichtig als “Die Autobiografie”  herkommenden Buches sorgfältiger und zusammenhängender.

2. HOFFE!
Erstaunlich an der neuesten und wohl auch letzten Autobiografie des Papstes ist der Titel „Hoffe“ (im italienischen Original „SPERA“.) „Hoffe“ meint eine Aufforderung, wenn nicht einen Befehl, es fehlt bloß noch ein Ausrufungszeichen im Titel: Vielleicht sagt es Papst Franziskus zu sich selbst: Hoffe, und er würde wohl ergänzen: Hoffe trotz der vielen Franziskusfeinde im (höheren) Klerus. “Hoffe“ gilt aber auch den LeserInnen, und sie können prüfen, ob die spirituellen und theologischen Vorschläge zugunsten der Hoffnung in dem Buch weiterführen. „Hoffe“ als Buch-Titel passt auch kommerziell bestens ins “Heilige Jahr 2025“, es steht unter dem Motto „Pilger der Hoffnung“. Bei so viel verbaler Hoffnung werden dann doch auch einige tausend der 35 Millionen Rom – Pilger 2025 das Buch kaufen. LINK zu einigen Feinden von Papst Franziskus.

3. Wenig Auto-Biografisches
Erstaunlich ist aber vor allem, dass der Papst sein Buch „Die Autobiografie“ nennt. Denn objektiv und literarisch betrachtet, erzählt er nur auf den ersten ca. 170 Seiten wirklich Autobiografisches. Auf den übrigen 200 Seiten, die in die sehr interessante Zeit seines Papstamtes führen, geht es um eine Art Melange von autobiografischen Erinnerungs – Elementen und eher erbaulichen spirituellen Fragmenten.

4.
Auf den ersten 120 Seiten erfahren die LeserInnen viele Details aus der großen Familie Bergoglio mit allen Omas und Opas und Tanten und Verwandten auch in der alten Heimat im Piemont (Italien.) Es sind ja Migranten aus dem Piemont, die sich da in Argentinien niederließen. Diese eigene familiäre Migrationsgeschichte hat der Papst nie vergessen: Sein erster Besuch als Franziskus galt bekanntlich der Flüchtlings -Insel Lampedusa. Man liest also im ersten Drittel der Autobiografie viel über vorbildliche und sehr hilfsbereite Priestern (vor allem aus dem Salesianerorden Don Boscos, den der Papst wohl auch jetzt besonders schätzt). Lang und breit wird von Vater und Mutter und den Geschwistern in Buenos Aires erzählt. Diese ausführlich ausgebreitete familiäre und nachbarschaftliche Nähe der Menschen damals in Buenos Aires läßt ahnen, wie sehr auch Papst Franziskus ein Mensch der Gemeinschaft, der Freundschaft, ist. Alleinsein ist ein Horror für ihn, darum weigerte er sich auch, als Papst abgeschirmt von den Menschen, im Apostolischen Palast zu leben. Allein (wo möglich noch mit einem Assistenten Georg Gänswein) im apostolischen Palast zu wohnen … das hätte ihn in die Psychiatrie geführt, sagte er….(Zitat in “Leben” (2024), S. 221.

5. Theologische Elemente
Es ist nicht falsch, in einer Autobiografie des Papstes, etwas ausführliche Beschreibungen und Bewertungen von Ereignissen und Begegnungen während seines so genannten „Pontifikats“ (seit 2013, immerhin seit 12 Jahren) zu erwarten. Aber diese Erwartungen werden nicht erfüllt . Die LeserInnen werden in den letzten etwa 12 Kapiteln mit hübschen poetischen Titeln („Mit den tiefinnersten Schwingungen gehen“, „Die Wanderung durch dunkel Täler“, „Nach dem Ebenbild eines lächelnden Gottes“ usw…) immer wieder einzelne theologische Erkenntnisse und Beurteilungen finden oder auch pastorale Prinzipien. Manches ist radikal: „Eine der größten Sünden, die wir Kleriker begangen haben , ist es, diese Kirche zu maskulinisieren“ (S. 232). Oder „Die Kirche muss hinausgehen und sich schmutzig machen“ (S. 235). Radikal erscheint auch: „Die Kirche ist eine Frau. Wir Kleriker sind Männer, aber wir sind nicht die Kirche“. Und anschließend ins Mystische abrutschend: „Die Kirche ist eine Frau, weil sie eine Braut ist“ (S. 232). Man denke also weiter: Kleriker als Männer mit dem Zölibatsgesetz haben dann doch eine Braut: Die Kirche. Und die Kinder dieser Verbindung dürfen selbstverständlich nur geistliche Kinder sein, bei leiblicher Liebe zahlt dann der Bischof Alimente. „Christen sind nicht rückwärtsgewandt“ heißt es richtig auf Seite 264. Und noch einmal eine Seite weiter: „Tradition bedeutet vorwärts zu gehen… Die Kirche ist nicht die Gemeinschaft der `guten alten Zeit`.“ Tatsächlich zeigt Papst Franziskus überhaupt äußerst wenig Toleranz gegenüber den Traditionalisten oder den vielen jungen Priestern, die so gern nur die alte lateinische Messe feiern wollen. Und in reaktionären, eigentlich obskuren Gemeinschaften („Verbum incarnatum“, „Soldalicio“) räumt er nach vielen Jahren großer Geduld auf. Aber es sind immer nur die knappen Hinweise, die verstören, wo die LeserInnen inhaltlich mehr erwarten, etwa zur Frage eines neuen, III. Vatikanischen Konzils. Da sagt der Papst: “Wir müssen erst noch vollständig das Zweite Vatikanische Konzil umsetzen und dass wir noch entschiedener die höfische Kultur in der Kurie (im Vatikan usw.) hinwegfegen müssen… Die Kirche ist keineswegs der letzte europäische Hofstaat einer absoluten Monarchie“ (S. 266).
In dem schon genannten Buch „Papst Franziskus: Leben“ (aus dem Jahr 2024) heißt es hingegen auf Seite 255: „Es stimmt, dass der Vatikan die letzte absolute Monarchie in Europa ist…“ Dies nur als ein Beispiel für die gedankliche Entwicklung von Papst Franziskus… LINK
Natürlich kann Papst Franziskus seine Zeit als Jesuit und Kardinal von Buenos Aires unter der Militärdiktatur nicht übergehen. Aber Neues erfährt man auf den wenigen Seiten (S. 163) auch nicht, erneut bestätigt der Papst, als Erzbischof eine Messe in der Residenz des Junta-Oberhauptes gelesen zu haben, um zwei Jesuiten auf diese Weise zu retten… Erzbischof Bergoglio litt in dieser Zeit enorm, er schreibt: „Deswegen bekam ich fast ein Jahr lang Unterstützung durch eine Psychiaterin, eine sehr kluge und fähige Jüdin…“ (S. 165).

6. Zwei Schritte vor, ein Schritt zurück
In der Autobiografie „Hoffe“ sucht man vergeblich Beurteilungen zum Stand der Ökumene mit Protestanten, man sucht vergeblich weiterführende theologische Gedanken, etwa: ob nicht das Papsttum heute ganz neu gestaltet werden müsste, etwa mit fünf oder sechs „Regional – Päpsten“ auf allen Kontinenten; man findet nichts zur Abschaffung des Zölibatsgesetzes, nichts zur Reduzierung der umfassenden Dogmen – Berge. Im Gegenteil: “Wir müssen aus der Starre heraustreten. Und das bedeutet nicht, dass wir einen Weg gehen, der Glaubenswahrheiten relativiert“ (S. 373). Aber gleich danach die Einschränkung: „Dabei müssen wir der Versuchung entsagen, den Glauben zu kontrollieren, denn der Herr Jesus lässt sich nicht kontrollieren“ (ebd.). Das ist typisch Franziskus: Die ganze alte Lehre mitschleppen, ein bißchen an ihr kratze… Aber dann doch nicht die Reformer (denn das sind ja Dogmen – Kritiker) „kontrollieren“, wobei Papst Franziskus behauptet: Die Glaubenswahrheiten der Kirche wären mit dem „Herrn Jesus“ identisch…Lang und breit wiederholt Papst Franziskus seine totale Ablehnung des Krieges, jedes Kriegs. Aber dass anstelle des Katechismus – Unterrichts bei Katholiken nun umfassende Friedenserziehung zur Gewaltlosigkeit erfolgen sollte, liest man nicht…In den letzten Monaten fällt auf: Das einzige, was dem Papst noch zum Frieden in der Welt einfällt, ist das Bittgebet: Man lese die vatikan-news, sie dokumentieren die vielen täglich wechselnden Bitt – Gebete des Papstes, für Haiti oder Gaza, für die Ukraine oder Myanmar, für Opfer von Gewalt oder von Waldbränden und so weiter: Bittgebete als letzte Rettung päpstlicher Macht?

7. Eine Bilanz
Wer wird Bilanz ziehen und dabei realistisch fragen: Was hat die Regierungszeit von Papst Franziskus nachweislich, sichtbar, spürbar, „gebracht“? Ich meine: Die Bilanz fällt mager aus: Innerkirchlich ist der Papst manchmal ein paar Schritte vorwärtsgegangen, hat etwa Frauen als oberste Büroleiterinnen in vatikanischen Behörden zugelassen, aber eben nicht Frauen als Diakoninnen und Priesterinnen. Er hat aufs heftigste den Klerus kritisiert, aber das Grundübel des Klerus, den verpflichtenden Zölibat, nicht abgeschafft, obwohl er das von heute auf morgen als Papst hätte tun können. Er hat sehr häufig verständnisvoll von Homosexuellen gesprochen, so wie man über Schwerkranke spricht. Aber die gleichberechtigte Ehe von Homosexuellen und dann auch die entsprechende kirchliche Hochzeitsfeier total abgelehnt. Afrikas reaktionäre Bischöfe und mit ihnen die Politiker bestimmten als explizite Feinde von Homosexuellen sozusagen die offizielle katholische Moral.

Papst Franziskus hat sich stark gemacht für die katholische Volksreligion, die er in Argentinien schon sehr hoch schätzte, also den Kult rund um die Heiligen, den Reliquienkult, das Ablasswesen, die Wallfahrten und vor allem die völlig Hingabe an Maria, die er Mutter Gottes nennt oder in seiner kindlichen Frömmigkeit als „Knotenlöserin“ verehrt. Mit dieser mittelalterlichen Volksfrömmigkeit, die oft an Aberglauben grenzt, wird der Klerus die jungen gebildeten Menschen in Europa nicht mehr für die katholische Kirche gewinnen. Es liegen unterschiedliche geistige Welten zwischen dem Vatikan und Europa, möchte man sagen. Der Katholizismus als dominante Konfession ist in Europa vorbei, verantwortlich dafür sind auch die vielen Priester, die sich sexuellem Missbrauch hingaben. Papst Franzikus betont in seinem Buch “HOFFE” mehrfach, an der Seite der Opfe zu stehen!

Man wird in einer Bilanz sagen müssen: Ein moderner Theologe ist Papst Franziskus nicht, selbst wenn er nach außen sympathisch – „so menschlich“ wirkt. Hat der Theologe Bergoglio Werke seines Jesuiten und Theologen Karl Rahner gelesen, kennt er wenigstens den Namen Hans Küng, hat er  Bücher der Befreiungstheologen Gustavo Gutierrez oder Leonardo Boff gelesen und nicht nur die argentinischen Vertreter der Volksreligiosität?
So sind die Leserinnen nicht erstaunt, dass in der Liste der in „Hoffe“ erwähnten Bücher nur zwei explizit theologische Titel auftauchen, ein Titel stammt von Romano Guardini (1965) und eines vom französischen Jesuiten de Lubac („Betrachtungen über die Kirche von 1954). Natürlich freut man sich, dass ein Papst überhaupt mal einen den Soziologen, nämlich Zygmunt Bauman, erwähnt oder sogar Bert Brecht oder Songs aus Opern oder unter den für ihn wichtigen Filmen nicht nur Don Camillo und Peppone nennt, sondern auch Arbeiten Federico Fellinis. Aber hat säkulare Kunst auch den Papst etwas säkularer gemacht? Hat er von er Säkularität (bzw. der Laizität) etwas gelernt? Eine offene Frage… Einige deutsche LeserInnen werden sich freuen, dass Papst Franziskus in „Hoffe“ die ökumenische (protestantische) Theologin Dorothee Sölle erwähnt (S. 106f.).

Die Bilanz des Pontificates fällt noch bescheidener aus, wenn man an die außenpolitische Wirkung des Staatschefs Papst Franziskus (er ist ja Chef des Staates „Heiliger Stuhl“) denkt. Frieden kann ein Papst weder als spirituelles Oberhaupt noch als Staatschef schaffen. Wer danach fragt, wird auf hilfreiche Friedens – Gespräche der päpstlichen Diplomaten verwiesen, aber nachweisbare Ergebnisse können nicht genannt werden, bestenfalls die übliche caritative Hilfe, und das ist schon etwas. Den Hunger in der Welt konnte auch er nicht relevant reduzieren. Katholiken sollen ja für Arme Geld spenden, nicht aber umfassend informiert auch ungerechte Strukturen verändern… Die praktische Gültigkeit der Menschenrechte weltweit konnte der Papst auch nicht durchsetzen, kein Wunder, möchte man sagen, denn der Vatikan hat zur UNO Erklärung der Menschenrechte von 1949 eher nicht ein distanziertes Verhältnis.

8.
Was also bleibt abgesehen von dem diffusen Befehl „Hoffe“? Es gibt viel „Wind“ auch unter diesem Papst, viel innerkirchlicher Reformeifer ohne durchgreifende Reformen, es ging immer um innerkirchliche Querelen, die nicht vorankommen. Wir erleben also letztlich eine Fortsetzung katholischer Stagnation mit einem durchaus ja netten und zugewandten Papst Franziskus. Ob so viel nach außen gezeigte Freundlichkeit in Person noch einmal auf dem Papstthron wiederkehrt, ist sehr die Frage, wenn man bedenkt, dass 1,5 Milliarden Katholiken nach den uralten Regeln zu führen, eher hartes Durchgreifen erfordert. Und: Die klerikale Männerwelt wird ad aeternum fortbestehen. Ihr Frauen, lasst alle Hoffnung auf Priestertum der Frauen fahren. Papst und Klerus glauben nach wie vor eisern: Gott selbst in der Gestalt Jesu Christi habe die katholische Kirche als Klerus – Kirche begründet und so, wie sie ist, auch gewollt. Gegen solche steilen Thesen kommt selbst der heilige Geist nicht an.

9.
Papst Franziskus hat es mit persönlichem Einsatz bis ins höchste Alter gewagt, diesen korrupten Klüngel des Klerus im Vatikan etwas aufzulösen und „in die Wüste zu schicken“; er hat versucht, die Kirche – in seiner Sicht – wieder stärker an die Vision des Jesus von Nazareth zu binden.  Ob er zu einer wirklich grundlegenden Reformation der katholischen Kirche auch theologisch in der Lage gewesen wäre, ist sehr die Frage. Meine Antwort : Eher NEIN: Denn Papst Franziskus wollte auf die Vorherrschaft seiner eigenen volkstümlichen (naiven) Frömmigkeit mir den ständigen Bitt -Gebeten für alle(s) und jedes nicht verzichten. Er sah nicht, dass es die vielen unsäglichen und unverständlichen Dogmen sind, die den Zugang zum Glauben heute versperren. Aber im Unterschied zum unterkühlten theologischen Verwalter und Ketzer – Verfolger Ratzinger/Benedikt XVI. und im Unterschied zum Dogmen besessenen, alle Menschen “neu” missionierenden Polen Johannes Paul II. ist Papst Franziskus doch ein gewisser Lichtblick der Nächstenliebe, für die Armen zumal… und dies gilt zumal in der ohnehin sehr trüben und eigentlich abzulehnenden Reihe derer, die sich einst “Stellvertreter Christi auf Erden” nannten, ohne dabei vor Scham im Boden zu versinken. Sie haben etwa im 19. Jahrhundert den Katholizismus geistig und theologisch auf Dauer zerstört, indem sie ihn als absolut anti-modern (und antisemitisch) definierten! Das ist evident: Zerstörerisch waren nicht etwa die wenigen klugen aufklärerischen Philosophen. Papst Franziskus wollte da  auf seine popläre Art, etwas “heilend” zu wirken. Mit sehr mäßigem Erfolg. Die gebildeten Katholiken in Europa und Amerika können mit diesem autoritären Katholizismus nichts mehr anfangen. Papst Franziskus setzt deswegen auf die, wie er lobend sagt, kinderreichen katholischen Familien, in Afrika und auf den Philippinen, in Indien, Indonesien, Neu -Guinea usw… So bleibt der Katholizismus trotz der in Europa verschwindenden Kirche immerhin eine “Kirche mit mehr als einer Milliarde Mitglieder”.

10. Am 2.2.2025 ergänzt: Die große Geduld des Papstes mit theologisch und politisch reaktionären Bischöfen und neuen “geistlichen Gemeinschaften”:

Zu dem offensichtlichen großen Versagen des „Reformpapstes“ Franziskus gehört seine langandauernde Duldsamkeit gegenüber theologisch reaktionären Bischöfen und Kardinälen sowie auch die langandauernde Duldsamkeit bzw. Nachlässigkeit gegenüber den entsprechenden relativ neu gegründeten, sich „geistliche Gemeinschaften“ nennenden, auch politisch reaktionären Bewegungen und Gruppen. Sie sind stark von sexuellem Missbrauch ihrer Mitglieder betroffen.

Es wird hoffentlich kritische und kirchenunabhängige HistorikerInnen geben, die alle Fakten in dem Zusammenhang ausführlich darstellen und die Liste der hier nur fragmentarisch genannten Personen und Gruppierungen weiter ergänzen und studieren. Dadurch wird die reaktionäre Wende der katholischen Kirche insgesamt sichtbar.

Diese hoffentlich alsbald realisierten kritischen und kirchlich unabhängigen Studien werden auch das Gesamtbild des sich volkstümlich gebenden Papstes Franziskus deutlicher machen.

Hier werden nur einige hohe „Würdenträger“, Exzellenzen und Eminenzen, genannt, die viele Jahre als theologisch reaktionäre Herrscher das Leben der katholischen Kirche nicht nur vor Ort beherrschten, wenn nicht zerstörten. Proteste gegen die klerikalen Herrscher gab es schon Jahre lang, sie waren natürlich vergeblich. Papst Franziskus setzte diese von vielen Theologen und Gläubigen immer schon heftigst kritisierten Herrscher nicht rechtzeitig ab, sondern erst in letzter Minute, möchte man sagen, bis zum Erreichen der für eine „Pensionierung“ nötigen Altersgrenze von 75 bzw. 80 Jahren…

Der Hintergrund: Der Klerus hält zusammen und deckt und schätzt sich untereinander, solange bis die „Situation“ der Kritisierten öffentlich weithin bekannt und sozusagen unerträglich wird.

Eminenzen und Exzellenzen:
Kardinal Juan Luis Cipriani von Lima Peru, ganz offen Mitglied des „Opus Dei“, vor dieser Organisation hatten und haben eigentlich alle immer Angst, wohl auch Papst Franziskus: Cipriani war als Kardinal von Lima u.a. der heftigste Feind der authentischen lateinamerikanischen Theologie. Quelle: https://www.religiondigital.org/america/. Und: https://www.eldiario.es/sociedad/caida-cipriani-cardenal-opus-dei-acusado-abusos-convirtio-peru-laboratorio-iglesia-ultra_1_12010508.html

Bischof Dominique Rey von Toulon -Fréjus, Frankreich. Mitglied der internationalen, konservariten charismatischen Bewegung Emmanuel. Theologisch heftigst reaktionär, Sympathisant der Le – Pen – Partei, erst im Januar 2025 wurde sein vorzeitiger „Rücktritt“ als Bischof bekannt. Quelle: Le Monde: https://www.lemonde.fr/societe/article/2025/01/07/l-eveque-conservateur-de-frejus-toulon-demissionne-apres-deux-ans-de-crise_6486624_3224.html
Die Tageszeitung La Croix: https://www.la-croix.com/religion/sous-la-pression-du-vatican-mgr-dominique-rey-demissionne-de-sa-charge-d-eveque-de-frejus-toulon-20250107

Bischof Marc Aillet von Bayonne,Frankreich, extrem theologisch reaktionär, vergasst von vielen Katholiken im Bistum, bisjetzt noch an der Macht. quelle: https://www.20minutes.fr/societe/4098789-20240629-bayonne-pourquoi-vatican-ordonne-mission-inspection-diocese-gouverne-marc-aillet

Siehe auch die Studie von Christian Modehn LINK https://religionsphilosophischer-salon.de/14786_katholischer-bischof-als-putin-freund_religionskritik

Bischof Athanasius Schneider in Kasachtan, Mitglied des Kreuzordens, mit dem obskuren Engelwerk verbunden. Ein expliziter Feind von Papst Franziskus.

Bischof Andreas Laun, Salzburg. Ein FPÖ Freund. Quelle: https://www.diepresse.com/19216787/weihbischof-laun-hardliner-in-der-katholischen-kirche-ist-tot

„Politisch engagierte sich Laun für die rechtsextreme FPÖ. So sprach er 2016 eine Wahlempfehlung für den FPÖ-Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer aus …Sogar Nazi-Vergleiche führte Laun an: Die Segnung homosexueller Paare in der Kirche lehnte er etwa nach seinem Rückzug aus dem Kirchenamt 2018 mit dem Argument ab, man könne ja auch kein KZ segnen. Quelle: https://www.queer.de/detail.php?article_id=52147

Neue Ordensgemeinschaften:

„Sodalicio“ eine extrem theologisch/politisch reaktionäre Bewegung von (sehr wohlhabenden) Priestern und Laien in ganz Lateinamerika, mit Missbrauchstätern, seit Jahren objektiv kritisiert, wird erst jetzt, 2025, aufgelöst. Warum das lange Zögern des Papstes??? : https://www.katholisch.de/artikel/59264-laienbewegung-sodalicio-bestaetigt-aufloesung-durch-den-papst

Institut del verbo encarnado. offizielle Website: https://ive.org/
Erst seit Januar 2025 unter päpstlicher Aufsicht.

Es gibt nur sehr wenige kritische Studien zu diesem Verein in deutscher Sprache LINK. https://religionsphilosophischer-salon.de/keys/institut-vom-inkarnierten-wort
Zur Förderung reaktionärer neuer Orden durch Papst Johannes Paul II. und Ratzinger/Benedikt XIV.: LINK: https://religionsphilosophischer-salon.de/1382_benedikt-xvi-ist-politisch-rechtslastig-religionskritische-perspektiven-zu-joseph-ratzinger_benediktxvi

Fußnote 1: Quelle: LINK

In diesem Beitrag von 2022 das Kapitel: “Bergoglio – der Peronist.”

Es wurde in der theologischen und religionskritischen Forschung bis jetzt leider der wichtige Aufsatz von Colm Tóibín übersehen, den der irische Journalist und Literaturwissenschafter, Lehrbeauftragter an der Stanford University usw., in der Zeitschrift „Lettre International“, Ausgabe Frühjahr 2021, S. 68 -75, veröffentlichte.

Der Titel von Tóibíns Studie: „Das Lächeln Bergoglios. Vom peronistischen Jesuiten zum Heiligen Vater im Vatikan – Eine Karriere“.

Tatsache ist, dass Bergoglio von 1972 bis 1974 der peronistischen Bewegung „Guardia de Hierro“ („Eiserne Garde“) nahestand, das wird von Historikern überhaupt nicht bestritten. Wie sich daraus eine Nähe UND Distanz des Provinzials der argentinischen Jesuiten Bergoglio zu den mordenden Militärs in Argentinien (von 1976-1983) entwickelte, wird noch weiterhin hoffentlich umfassend studiert und diskutiert. Der Sozialist und Ökonom Roberto Pizarro H. entschuldigt förmlich die bekannte damalige „Schwäche“ („debilidad“) des führenden Jesuiten Bergoglio in dieser Zeit damit, dass Bergoglio nun als Papst so viel Gutes tut zugunsten der Armen. So kann man auch politische Fehler eines Jesuitenprovinzials reinwaschen. Quelle: https://www.eldesconcierto.cl/opinion/2018/01/13/el-papa-francisco-la-guardia-de-hierro-y-el-genocida-massera.html.

Über die undeutliche Haltung des Jesuitenprovinzials Bergoglio während der Militärdiktatur spricht auch Tóibín in seinem Artikel. Auch seine spirituelle Praxis, volkstümlicher Art („Verehrung von Heiligenbildern und der Kultus der Madonna“, S. 70) wird ausführlich behandelt. Wichtig ist die innere Verbundenheit mit „dem“ Peronismus: „Bergoglio ist ein Peronist, und die Pointe des Peronismus ist es, dass er sich niemals definieren lässt. Die Montoneros, die in den siebziger Jahren Argentinien mit einer Terrorismuskampagne überzogen, waren Peronisten. Und die Eiserne Garde, die rechte Gruppe, mit der Bergoglio in Verbindung stand, bestand ebenfalls aus Peronisten. Präsident Carlos Menem war Peronist und die Präsidenten Kirchner waren es auch. Ein Peronist zu sein, heißt alles und nichts. Es heißt, dass man zeitweise mit genau den Dingen einverstanden sein kann, die man ansonsten ablehnt. Man kann sowohl Reformer sein wie gleichzeitig ein Konservativer“ (S. 74). …“Bergoglio konnte in einem Augenblick den Anarchisten spielen und im nächsten in seine autoritäre Rolle zurückfallen“ (S. 73).

Das heißt: Es ist dieses taktische Lavieren, dieses Schwanken je nach der machtpolitischen Situation zwischen Ja und Nein, es ist diese Dialektik von Zustimmung und Widerspruch ohne zu einer neuen höheren Ebene zu führen, die den – in Deutschland weithin unbekannten – Peronismus auszeichnet…und die, wie Colm Tóibín schreibt, auch den peronistischen Jesuiten Bergoglio und Papst Franziskus prägt. So wird eine Antwort gegeben auf das widersprüchliche Verhalten dieses Papstes etwa zum Zölibat – angesichts der „Amazonas-Synode“ – oder zur konsequenten Bestrafung von sexuellen Missbrauchstätern im Klerus. Oder zum äußerst verständnisvollen und geduldigen Umgang mit den in dem Zusammenhang hoch belasteten Kardinälen (wie Woelki in Köln). Andererseits: Der rasante Rausschmiss des Pariser Erzbischofs Aupetit, der den „furchtbaren“ Makel hat, sich in eine Frau ein bisschen verliebt zu haben und das auch noch dummerweise veröffentlichte. Aber solche heterosexuellen  Makel werden wohl immer seltener, mangels heterosexueller Priester…

Papst Franziskus, „Hoffe. Die Autobiografie“, 384 Seiten inkl.Bildteil, Kösel Verlag, München. 24€.

Copyright: Christian Modehn, religionsphilosophischer-salon.de

Alleinsein überwinden … durch Einsamkeit!

Ein provozierender, aber hilfreicher Hinweis: Einsamkeit als reflektierte Lebensform
Von Christian Modehn am 3.1.2025

Berlin – Stadt der Einsamen oder der Menschen, die allein sind, die niemanden haben? Siehe dazu Nr. 10 in diesem Hinweis.

1.
Über den Unterschied von Alleinsein und Einsamkeit muss erneut gesprochen werden. Nicht nur, weil die deutsche Sprache zwei unterschiedliche Begriffe für dieses Phänomen des „Auf sich-Selbst-Gestelltseins“ des Menschen anbietet. 2013 hatten wir zum Thema schon einige Hinweise publiziert. LINK . Nun muss aus aktuellem Anlass erneut darüber gesprochen werden: 20 Prozent der Weltbevölkerung, so das Meinungsforschungsinstitut Gallup im Jahr 2024, seien „häufig von Einsamkeit betroffen.“ (Fußnote 1). Diese Einsamkeit sei für die Betroffenen auch eine gesundheitliche Gefährdung und für den politischen und sozialen Zusammenhalt eine Belastung. „Etwa ein Drittel der Erwachsenen in Deutschland fühlt sich zumindest teilweise einsam, knapp 20 Prozent fühlen sich sogar sehr einsam.“ LINK
Dieses Phänomen, in dem Zeitungsbericht „Einsamkeit“ genannt, wird dann sozialwissenschaftlich definiert: „Unter Einsamkeit wird ein negatives Gefühl verstanden, nach dem die individuellen sozialen Beziehungen qualitativ oder quantitativ als nicht ausreichend empfunden werden. Bleibt dieses Gefühl über längere Zeiträume erhalten, können z.T. schwerwiegende psychische und physische Krankheitsbilder die Folge sein.“

2.
In der Presse wird – einer populären Üblichkeit folgend – von Einsamkeit gesprochen, wobei tatsächlich Alleinsein gemeint ist. Unsere These ist: Das weit verbreitete Alleinsein können Gesellschaft, Organisationen, der Staat überwinden helfen. Einsamkeit ist hingegen die Erfahrung und die Erkenntnis dessen, was den Menschen ausmacht, klassisch gesagt, was sein „Wesen“ ist. Um diese Einsamkeit kann sich nur jeder einzelne Mensch selbst bemühen. Dann findet er erneut in die Gemeinschaft der anderen. Schon jetzt zusammenfassend gesagt: Einsamkeit als menschliche Lebensform ist das überwundene Alleinsein. Insofern ist es wünschenswert, wenn Alleinsein zur Einsamkeit wird. Einsame Menschen sind allein.

3.
Menschen, die allein sind, sind die Alleinlebenden, diejenigen, die „niemanden (mehr) haben“, die „Allein-Stehend“ sind, oft isoliert und nicht beachtet. Sie werden inmitten so vieler Leute eher nur wie etwas Anonymes, wie eine Nummer, wahrgenommen. Alleinlebende können diese Lebensform natürlich auch vorübergehend selbst frei gewählt haben, gemeint sind in den sozialwissenschaftlichen Studien die Alleingelassenen, Abgeschiedenen und Abgeschriebenen, die Isolierten… oft wegen des Alters, des Abbruchs von Beziehungen und Freundschaften, wegen der Fremdheit in der umgebenden Kultur. Oder weil sie zu einer sexuellen Minderheit gehören in einem letztlich immer noch repressiven, oft feindlichen System.

4.
Auf diesen Unterschied zwischen Einsamkeit und Alleinsein hinzuweisen ist keine philologische oder philosophische Pedanterie oder Spitzfindigkeit, das Thema hat politische Bedeutung:
Die isolierten, die etwa wegen ökonomischer Zwänge oder persönlicher schicksalhafter Entwicklungen alleinlebenden Menschen, solche die „niemanden haben“, sind das unerfreuliche Gesicht der individualisierten Gesellschaft. Vereinzelt, allein lebende Menschen sind eben auch in ihrer Lebensenergie geschwächt, sie organisieren sich nicht, kämpfen nicht für bessere Lebensbedingungen, haben nicht die Kraft, für umfassende Gerechtigkeit einzutreten, die bei einer Reform des ökonomischen und politischen Systems auch ihnen zugute kommen könnte. Allein-Lebende sind als vereinzelte Menschen für jede Form von Staatlichkeit letztlich ungefährliche Bürger, vielleicht ist dies sogar willkommen und erwünscht, wenn auch die sozialen Kosten zur Unterstützung der depressiv gewordenen Alleinlebenden beträchtlich sein können, falls diese Menschen denn Therapieplätze überhaupt noch finden. Rebellion zugunsten besserer, kommunikativer Lebensverhältnisse sind von Alleinstehenden, Menschen die allein sind und niemanden mehr haben, nicht zu erwarten.

5.
Früher waren in Europa die Kirchengemeinden Orte, in denen sich Alleinlebende wohlfühlen konnten: Diese Orte, Gemeindezentren, Kirchen mit ihren Gruppen(veranstaltungen) verschwinden aber zunehmend. Der Grund: Weil es – etwa in der katholischen Kirche – immer weniger Pfarrer gibt, werden kommunikative Gemeindezentren geschlossen oder abgerissen. Und kein Alleinlebender (etwa älterer Mensch) protestiert gegen diese Zerstörung von Kommunikation durch klerikale Kirchenbehörden. Aber das ist ein anderes großes Thema…

6.
Was ist Einsamkeit? Allgemein und gebotener Kürze gesagt: Der einsame Mensch hat gerade im Rückzug auf sich selbst das Fühlen und Denken des Selbst geübt und dabei zu seinem eigenen individuellen Leben gefunden. Der in dieser Weise einsame Mensch ist der reife, reflektierte Mensch, der als Einsamer natürlich mit anderen lebt und sich der Gemeinschaft erfreut. Aber ehe es dahin kommt, soll die Selbst – Reflexion geübt werden. Der Philosoph Michel de Montaigne (1533-1592) hat in seinem umfangreichen Bekenntnis, „Essays“ genannt, ein Kapitel (Nr. 39 im „Ersten Buch“) der Einsamkeit gewidmet. (Fußnote 2). Montaigne brauchte den Rückzug angesichts der Belastungen und Gefährdungen durch die politischen Verhältnisse, er brauchte den Rückzug in seine Bibliothek. Und dort fand er im Alleinsein zur Einsamkeit: Sie war die Erfahrung, im reflektierten Rückzug als Mensch wesentlich zu leben, die Tiefe des Lebens zu sehen, auf den eigenen Geist zu achten und die eigene Seele zu spüren. Montaigne wollte sich als einsamer Mensch erkennen, um sich selbst annehmen zu können, er schreibt: „Es ist eine höchste und gleichsam göttliche Vollendung, sich seines eigenen Wesens redlich froh werden zu können“. Und: „Die größte Sache der Welt ist, dass man sich selbst zu gehören weiß“.

7.
Einsamkeit ist also für Philosophien, Spiritualitäten, Traditionen der Literatur und der Kunst eine produktive Lebensform, die jeder entwickeln kann. Gesprächskreise können dabei Inspirationen bieten. Dabei ist Einsamkeit kein Zustand, der einmal definitiv erreicht wird: Ein einsamer Mensch wird in Gemeinschaft leben, aber er wird sich dabei schützen vor dem ständigen Gerede und den aufgezwungen Aktivitäten durch andere. Er sucht immer wieder den Rückzug, denn nur in der Stille kann der Mensch reflektieren, nur in Ruhe kann er das tun, was für ihn wichtig ist, was ihn leben lässt: Meditieren, malen, musizieren, schreiben, sich im Nachdenken, Philosophieren üben, das immer um die entscheidende Frage geht: Wer bin ich eigentlich, wie will ich mit anderen leben, wo will ich hin, woher komme ich? Welche (falschen) Entscheidungen habe ich getroffen, wie bereite ich mich auf mein Lebens-Ende vor? Einsamkeit ist also ein Begriff, der menschliches Leben im emphatischen Sinne meint.

8.
Der Philosoph Martin Heidegger legt in seinen Vorlesungen unter dem Titel „Die Grundbegriffe der Metaphysik“ (1929) allen Nachdruck darauf, die Einsamkeit einzuüben. Und diese Übung beginnt damit, meine eigene begrenzte Lebenszeit anzunehmen, also die eigene Endlichkeit anzunehmen. Und da wird mir deutlich: Dass ich immer ein einzelner bin, einmalig für mich die Möglichkeit habe, mein eigenes Leben zu gestalten. Heidegger schreibt: „Diese Vereinzelung ist jene Vereinsamung, in der jeder Mensch allererst in die Nähe zum Wesentlichen aller Dinge gelangt, zur Welt“ (Fußnote 3.)

9.
Das Alleinsein lässt sich überwinden mit Hilfe von (Therapie-) Gruppen, durch gerechtere Sozialhilfen, bessere Wohnungen usw. Dann können alleinlebende Menschen zu einsamen Menschen, die als einsame gerade in Verbindung mit anderen leben, weil sie die Tiefe des Lebens erfahren und verstehen.
Das Einsamsein als kommunikative Lebensform lässt sich einüben durch philosophische Gesprächskreise, Lektüregruppen…
Warum kommt der Staat nicht auf die Idee, diese „Basis-initiativen“ zu fördern? Warum gibt es keinen eigenen philosophischen Studiengang mit dem Ziel: ModeratorIN von philosophischen Gesprächssalons zu werden?
Solche Gesprächskreise in aller respektierten Freiheit an vielen Orten und Stadtteilen zu fördern ist genauso wichtig und für die Menschen hilfreich wie die Finanzierung großer Opernhäuser und Theater, an deren unglaublich teuren Aufführungen nur noch die sehr wohlhabenden Leute teilnehmen (können).

10.

BERLIN – die Stadt der Einsamen oder der alleinlebenden Menschen, der Menschen also, die “niemanden haben”, niemanden kennen… Ein wichtiges Interview dazu mit dem Psychiater Mazda Adli, Berlin, im TAGESSPIEGEL vom 1.Februar 2025, Seiten B 10 und 11.  Dass auch hier, wie so oft, Einsamkeit und Alleinsein verwechselt werden und eigentlich unserer Meinung immer Alleinsein (“Niemanden-Haben, Isoliertsein …”) gemeint ist, wenn von Einsamkeit die Rede ist, finden wir bedauerlich.

Im Interview also betont der Chefarzt für Psychiatrie Mazda Adli sehr treffend: “Kaum ein Thema ist so tabulisiert wie Einsamkeit.” “Großstädte sind eher anonyme Orte”. “Einsamkeit hat einen größeren negativen Effekt auf die Lebensdauer als Rauchen, Alkoholmissbrauch oder Fettleibigkeit”, sagt der Psychiater Mazda Adli.

Wichtig ist vor allem seine Forderung: “Wir brauchen mehr nicht-kommerzielle Begegnungsflächen, wo die Menschen auch sponatan zusammenkommen können…Ein wichtiger Schutzfaktor gegen Einsamkeit sind zum Beispiel unsere Kultureinrichtungen, wie Theater, Museen, Galerien, Kulturzentren… Jedes Theater erfüllt einen Gesundheitsauftrag! Jetzt erleben wir durch die Kürzungen (der CDU/SPD Koalition) einen Rückbau an Kultur und das ist aus meiner Sicht ein Gesundheitsrisiko.”

Uns fällt auf, dass bei der Aufzählung der hilfreichen, also gesundheitsfördernden “nicht-kommerziellen Begegnungsflächen” kirchliche Gemeindezentren (in Berlin) gar nicht mehr erwähnt werden. Sie spielen tatsächlich wohl jetzt in Berlin keine bedeutende Rolle, weil etlich der bestehenden Gemeinden, Kirchengebäude, Gemeindezentren meist – wegen Personalmangel, Finanzproblemen – geschlossen sind oder bereits aufgegeben wurden. Das sollte exakt soziologisch nachgewiesen werden!

Die katholische Kirche im Erzbistum Berlin etwa nennt diesen ihren seit Jahren betriebenen Abbau von kommunikativen Orten (Gemeinden, Pfarreien) ganz offiziell und wohl auch zynisch gemeint “Wo der Glaube Raum gewinnt”. Man sollte aber treffender sagen: “Wo der Glaube und die offenen kommunikativen Orte sich im weiten Raum verlieren und alsbald ganz verschwinden.” Das  ist auch gemeint, wenn hierzulande Religionssoziologen von Entkirchlichung sprechen. Und es ist natürlich die Frage, ob etwa dogmatisch bestimmte Veranstaltungen in den noch bestehenden katholischen Gemeinderäumen eine Lebenshilfe für Einsame (d.h. Alleinlebende, Verlassene, isolierte  Menschen) sein können. Und ob die Pfarrer, die sich manchmal noch Seelsorger nennen, tatsächlich die Qualität von Seelsorgern haben. Wir befürchten: Die Antwort ist Nein. Pfarrer und Priester sind Verwalter bzw. Sakramenten-Spender und “Messe-Leser”, sie eilen von einer Kirche zur anderen, um die Messen zu lesen, die nur Priester (Männer) – so die offizielle Lehre – leiten dürfen. Die Macht des Klerus bleibt also erhalten … das ist bekanntlich am wichtigsten in der römischen Kirche.

Fußnote 1:
Tagesspiegel, 27.12.2024, Seite 3.

Fußnote 2:
Montaigne, “Essays”, Eichborn Verlag, Übersetzt von Hans Stilett, 1998, Seite 124ff. Bes. S 126.

Fußnote 3:
Martin Heidegger, Die Grundbegriffe der Metaphysik. Frankfurt am Main 1983, Seite 8.

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

 

 

„Der Sündenfall des Christentums“: Zur Theologie des Friedens. 


Die bahnbrechende Studie des niederländischen Friedenstheologen, des Remonstranten Gerrit Jan Heering zum frühkirchlichen Pazifismus ist als Übersetzung jetzt wieder greifbar.

Ein Gast Beitrag von Peter Bürger, Düsseldorf von der „Edition Pace“ am 22.12.2024.

Zunächst ein Hinweis: Bevor wir im „Regal: Pazifismus der frühen Kirche“ demnächst neue Studien darbieten, wird hier ein weiteres historisches Werk wieder zugänglich gemacht, das trotz des Abstandes von einem Jahrhundert noch immer wichtige Impulse geben kann. Zum editorischen Vorgehen sei bezogen auf die ganze Reihe angemerkt: Wir versehen die Werke aus früheren Zeiten nicht mit einem kritischen Anmerkungsapparat, in dem Abweichungen zu heutigen Sichtweisen und Erkenntnissen jeweils kommentiert werden (Beispiel: Darstellung und Gewichtung der Friedensbotschaft der Hebräischen Bibel), sondern rechnen mit mündigen Leserinnen und Lesern, die die geschichtlichen Kontexte einer Arbeit vor Augen haben.

1.
Der Erste Weltkrieg führte den niederländischen Theologen Gerrit Jan Heering (1879-1955) zu einem radikalen Antikriegsstandpunkt. Im Vorwort zu dem hier neu edierten Werk „Der Sündenfall des Christentums“ (Erstauflage NL 1928, dt. Übersetzung 1930) schreibt er: Ich will „ernsthaft auseinandersetzen, dass Christentum und Krieg – jetzt mehr denn je – unversöhnliche Gegensätze sind. Ich will zwischen die christliche Lehre und die Ideologie des Krieges einen Keil treiben. Beide Systeme sind von der Geschichte zwangsweise zusammengeführt und werden jetzt in künstlicher Weise zusammengehalten. Ich will an das christliche Gewissen und an das von diesem Gewissen gelenkte vernünftige Denken appellieren und fragen, ob es nicht die höchste Zeit ist, dass Kirche und Christen sich prinzipiell gegen das ganze Kriegswesen auflehnen. … Es war eine verhängnisvolle Wendung in der Geistesgeschichte, die während und nach der Zeit von Kaiser Konstantin sich vollzog; durch das enge Bündnis zwischen Staat und Kirche ging das Bewusstsein des Gegensatzes zwischen Christentum und Krieg … verloren …; das schlimmste ist, dass man (seither) … ruhig Böses gut nennt. … Die Art, wie in allen christlichen Ländern die Kirche direkt in das gegenseitige Gemetzel des letzten Krieges [1914-1918] hineingezogen worden ist, nämlich als unentbehrlicher, als inspirierender Faktor, demonstriert jenen Sündenfall in deutlichster und greulichster Weise. Es ist kein größerer Abstand und Gegensatz denkbar, als zwischen Christus und dem modernen Krieg. Wer dies verneint, hat die Realität eines von beiden oder beider nicht klar gesehen. Das militärische Christentum unserer Tage kann nicht schärfer gerichtet werden, als es durch das Christentum Christi geschieht.“

2.
Gerrit Jan Heering – geboren am 15. März 1879 in Pasuruan/Indonesien, gestorben am 18. August 1955 in Oegstgeest – wirkte nach seinem Universitätsstudium lange als Hochschullehrer des Theologischen Seminars der Remonstranten in Leiden (NL). Als junger Pfarrer heiratete er im Jahr 1905 Alida van Bosse; die beiden wurden Eltern von fünf Söhnen. – Heeringʼs Leidenschaft gehörte der Kanzel. Seine Predigten zeichneten sich durch eine starke persönliche Überzeugungskraft aus; verschiedene Predigtsammlungen sind in Buchform veröffentlicht worden (‚Unser Vertrauen‘; ‚Zeugnisse aus dunkler Zeit‘ 1940; ‚Was uns erhält‘). Predigen bedeutete für Heering die durch den Glauben getragene ‚freie prophetische Verkündigung des Evangeliums, im Dienste und zur Ehre des heiligen Gottes‘. – Gerrit Jan Heering entwickelte eine eigene „Dogmatik auf der Grundlage der Evangelien und der Reformation“, schrieb über den „Ort der ‚Sünde‘ in der freisinnigen-christlichen Dogmatik“ (1912) und über „Die Selbstständigkeit der Seele“ (1917).

3.
Der Erste Weltkrieg führte Gerrit Jan Heering zu einem radikalen Antikriegsstandpunkt, beeinflusst von Hilbrandt Boschma (1869-1954), der bereits während der Kriegszeit 1914-1918 an verschiedenen Orten pazifistische Lesungen abhielt: „Kreuz oder Kanone?“ – „Warum kein Krieg? Weil der Krieg die radikalste Sünde gegen Gott ist.“ Heering fasste seine eigenen Studien und Einsichten 1928 in dem Werk „Der Sündenfall des Christentums“ zusammen (s.u.). Er grün­dete mit anderen „Kerk en Vrede“ (Church and Peace), wurde Vorsitzender dieser Vereinigung auf nationaler Ebene und war für viele Jahre auch international eine der leitenden Persönlichkeiten des neuen kirchlichen Friedensnetzes.

4.
Die Friedensbewegung in den Niederlanden zeigte sich schon vor dem Ersten Weltkrieg gut organisiert, vielgestaltig (‚Tolstojaner‘, Anarchisten, sozialistische Antimilitaristen …) und übernational vernetzt. Mit Gerrit Jan Heering und Persönlichkeiten, die ihm nahestanden, wurde sie durch eine neue Strömung mit ökumenisch-friedenskirchlicher bzw. friedenstheologischer Programmatik bereichert. Wie bedeutsam die 1928 vorgelegte Untersuchung des gelehrten Remonstranten zum ‚konstantinischen Sündenfall‘ und dessen mögliche Überwindung über die Landesgrenzen hinaus war, führen uns gleich vier Übersetzungen in andere europäische Sprachen vor Augen. 1933 ist der Verfasser sogar für den Friedens-Nobelpreis vorgeschlagen worden.

5.
Der bekannte Dominikaner und Friedenstheologe vor allem in der Weimarer Republik, P. Franziskus Maria Stratmann (1883-1971), schrieb bald nach Erscheinen der deutschen Ausgabe von Heerings Werk „De zondeval van het Christendom“ in einer Rezension (Der Friedenskämpfer. Organ der Katholischen Friedensbewegung 5. Jg. / 1931, S. 69-76):
„Einem Christen tut es weh, vom ‚Sündenfall des Christentums‘ reden zu hören. Je stärker er seine Religion liebt, um mehr schmerzt ihn jede Anklage. Aber gerade die starke Liebe muß hellsichtig sein, damit Krankes geheilt, Schwaches gestärkt werden kann. Die Christen, die die Geschichte des Christentums mit Einschluß der Kriegsgeschichte ganz in der Ordnung finden, sind sicher nicht die besten und erweisen ihm einen schlechten Dienst…“

6.
In seinem Geleitwort zur deutschen Ausgabe des Werkes von 1930 hatte der evangelische Theologe Martin Rade (1857-1940) ge­schrieben: „Wenn der nächste Krieg kommt, werden die Kirchen nicht mehr geschlossen zu den Armeen stehn. Es wird dann nicht ohne schwere innere Konflikte gehen. Wie sie sich abspielen, wie sie sich lösen werden, weiß kein Mensch. Je länger die gegenwärtige Atempause dauert, desto besser mag es sein.“ (Neuausgabe, S. 10). Doch die ‚Atempause‘ bis zum nächsten Menschenschlachten im Zweiten Weltkrieg dauerte nur kurz. Die amtlichen Leitungen der beiden deutschen Großkirchen leisteten ab 1939 für den ‚Hitlerkrieg‘ (!) doch wieder – ziemlich ‚geschlossen‘ – kriegstheologischen Beistand in großem Umfang und riefen – mit durchschlagendem Erfolg – die Getauften zum Gehorsam gegenüber der Obrigkeit im NS-Staat auf (Dokumentation: https://kircheundweltkrieg.wordpress.com/). Nach 1945 haben die i. d. R. vom Staat besoldeten Kirchenhistoriker wunderliche Verteidigungstexte zu diesem abgründigen Komplex verfasst – und nicht wenige ‚weltliche Vertreter‘ der Geschichtswissenschaften haben ihnen dabei unter dem Vorzeichen sogenannter „Historisierung“ assistiert.

7.
Heerings Anliegen wird gegenwärtig verstanden, wenn etwa der Bischof von Rom bezeugt, es könne im Licht des Evangeliums keine ‚gerechten Kriege‘ geben und Christen müssten schon Herstellung oder Besitz atomarer Massenvernichtungswaffen als verwerflich brandmarken.

8.
Jedoch der vom niederländischen Seelsorger und Theologieprofessor nach dem Ersten Weltkrieg ersehnte radikale Bruch mit dem konstantinischen Staatskirchenparadigma hat in den privilegierten nationalen Kirchengebilden, zumal im Militärkirchenwesen, nie stattgefunden. Die völlig irrationale militärische Heilslehre stößt in diesem Zusammenhang heute nirgendwo auf eine Fundamentalkritik, während der Militarismus unentwegt Felder des öffentlichen Lebens für sich ‚zurückerobert‘. Leider gibt es viele Gründe, das ehedem bahnbrechende Werk „Der Sündenfall des Christentums. Eine Untersuchung über Christentum, Staat und Krieg“ gerade jetzt wieder allgemein zugänglich zu machen. Möge es vielen zur Erschütterung und zu einem klaren Denken in der Kriegsfrage verhelfen.

Copyright: Peter Bürger Düsseldorf, Dezember 2024 ǀ  

Die Digitale Erstauflage der Neuedition
 ist beim Lebenshaus Schwäbische Alb e.V. abrufbar:
Gerrit Jan Heering: Der Sündenfall des Christentums. – Eine Untersuchung über Christentum, Staat und Krieg. Aus dem Holländischen übersetzt durch Octavia Müller-Hofstede de Groot, 1930. Neu ediert von Peter Bürger in Kooperation mit: Lebenshaus Schwäbische Alb, Ökumenisches Institut für Friedenstheologie, Portal Friedenstheologie. (= edition pace ǀ Regal: Pazifismus der frühen Kirche 4). Digitale Erstausgabe der Neuedition. Düsseldorf ǀ Gammertingen, 12.12.2024.
https://www.lebenshaus-alb.de/magazin/media/pdf/Heering_S%C3%BCndenfall.pdf

Die gedruckte Buchausgabe im Handel:
Gerrit Jan Heering: Der Sündenfall des Christentums. – Eine Untersuchung über Christentum, Staat und Krieg. Aus dem Holländischen übersetzt durch Octavia Müller-Hofstede de Groot, 1930. (= edition pace ǀ Regal: Pazifismus der frühen Kirche 4). Norderstedt: BoD 2024.
(ISBN: 978-3-7693-2488-4; Paperback; 316 Seiten; Preis: 12,99 Euro)
https://buchshop.bod.de/der-suendenfall-des-christentums-gerrit-jan-heering-9783769324884

Eine etwas ausführlichere Darstellung dieses Beitrags von Peter Bürger finden Sie auf der website www.remonstranten-berlin.de    LINK.

“Die Hoffnung stirbt zuletzt”. Widerstand gegen die Verzweiflung!

Kant lehrt uns, die Hoffnung zu bewahren.
Ein Hinweis von Christian Modehn am Ende der Kant – Jahres 2024 … in der Hoffnung, dass Kant weiter intensiv diskutiert wird.

Die Erkenntnisse des Philosophen Immanuel Kant wollen unbedingt verhindern, dass die Hoffnung wirklich “zuletzt stirbt”. Denn das wäre das Ende. Wir sollen gemeinsam alles dafür tun, dass wir die Berechtigung, das Recht, haben die Hoffnung zu leben und die Hoffnung niemals aufzugeben.

Diese Hoffnung ist alles andere als ein naiver Optimismus. Sie ist alles andere als eine politische nationalistische Ideologie, die den Menschen in den USA einen “amerikanischen Traum” empfiehlt und einredet. Siehe dazu die Nr.10 und 11 in diesem Hinweis.

1.
„Die Hoffnung stirbt zuletzt.“ Wie ein Slogan hat sich dieser Satz in unseren dunklen Zeiten verbreitet und durchgesetzt.
Die Frage ist: Was ist eigentlich zuvor schon alles gestorben, an Weisheiten, Einsichten, Überzeugungen, wenn man einen solchen Satz sagt? In der christlichen Tradition spricht der Apostel Paulus von „den menschlich entscheidenden Dreien“, also von „Glaube, Hoffnung und Liebe.“ Um bei unserem Thema zu bleiben: Dann sind offenbar Glaube und Liebe schon gestorben. Dann bleibt nur noch die Hoffnung als das Letzte vor einem definitiv gedachten Ende, dem Nichts … oder dem Himmel?

2.
Immanuel Kant kann bei dem Thema weiterhelfen: Hoffnung und aktives Hoffen ist ein zentrales Thema seiner Philosophie. Auch Hoffen und Hoffnung führt ihn selbstverständlich über den Bereich des wissenschaftlich exakt Erkennbaren hinaus. Und so wird auch hier sichtbar: Kant hat zwar als Anhänger des Physikers Newton seine Karriere begonnen, aber er musste als Philosoph über die Physik hinaus denken … in eine vernünftig begründete Metaphysik: Kant als den „Zermalmer der Metaphysik“ zu bezeichnen, ist also falsch. Kant war ein Metaphysiker und Religionsphilosoph (und Kirchenkritiker LINK (2024)  LINK)
Nur als ein Metaphysiker konnte er auch die heute so dringende Frage beantworten: „Was darf ich hoffen?“ Sie steht im Zusammenhang mit der Frage Kants: „Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Und: Was darf ich hoffen?“

3.
Für Kant kann es Hoffnung nur geben, weil wir Menschen hoffen DÜRFEN, wie er ausdrücklich sagt. Das Hoffen – „Dürfen“ ist eine Art rechtlich begründeter Erlaubnis zu hoffen. Ich habe also also aufgrund meine Menschsein die Berechtigung zu hoffen. „Also hoffen wir doch“, möchte man etwas aufdringlich fordern. Oder:„Habe den Mut, deine in dir vielleicht noch versteckte Hoffnung zu leben“…

4.

“Hoffnung ist für Kant die entscheidende moralische Einstellung der Vernunft. Die richtige moralische Einstellung gegenüber der Zukunft ist (für ihn) Hoffnung.” Schreibt die Soziologin Eva Illouz in “Explosive Moderne”, Suhrkamp 2024, S. 43. Moralisch bedeutet für Kant: “Der Würde des Menschen entsprechend”.

5.
Hoffen zu dürfen ergibt sich für Kant in der Auseinandersetzung mit der Frage nach dem SINN meines und der anderen Menschen Leben. Dieser alles gründende Sinn des Lebens eröffnet sich, zeigt sich, für den einzelnen inmitten des Tuns des Gerechten: Im Eintreten für Gerechtigkeit und gerechte Gesetze darf der Mensch das alles Entscheidende hoffen: dass sich die vorhandene Welt mit ihren Staaten langsam aber sicher der Utopie des Reiches Gottes annähert. Und zum Reich Gottes gehört für Kant auch der Frieden in der ganzen Welt. Seine bis heute vielbeachtete Schrift „Zum ewigen Frieden“ konnte Kant 1795 veröffentlichen.

6.
Dass Welt – Frieden nur in „republikanischen Staaten“ möglich wird, ist eine der wichtigen Voraussetzungen Kants. Es sind die freien Staatsbürger, die entscheiden, ob ein Krieg sein soll oder nicht. Es liegt also in der Entscheidung der Menschen, dass sie die Hoffnung auf einen Weltfrieden aktiv politisch fordern und gestalten! Kant betont, dass nur moralisch gesinnte Politiker dieses große Hoffnungsprojekt realisieren können, nicht etwa solche, die sich ihre Moral unabhängig vom Kategorischen Imperativ egoistisch erfinden.

7.
Eine menschliche Organisation, die uns lehren kann, Hoffnung haben zu dürfen und praktisch Hoffnung zu gestalten, ist für Kant grundsätzlich die (protestantische) Kirche. Wenn Kant in dem Zusammenhang von Kirche spricht, meint er damit die Vereinigung aller rechtschaffenden Menschen, die den Frieden auf dieser Welt schrittweise befördern. Politisches Handeln ist in der Kirche notwendig, sofern es dem Weltfrieden dient.

8.
Der dogmatische Glauben der Kirche wird bei Kant also aufgehoben zugunsten einer Gemeinschaft derer, die den Frieden der Welt als Ausdruck ihres Glaubens an das Reich Gottes verstehen. Und dieses Handeln ist nur möglich in der Kraft der Hoffnung. Die Theologen sollen also den Glaubenden sagen: „Ihr habt alle Berechtigung zu hoffen“. Und diese Hoffnung dürfen sich die Menschen (in der Kirche) nicht zerstören lassen, durch zynische Einwände, etwa: „dass doch alles nichts nützt“ usw. „Diesem Zynismus dürfen wir niemals erliegen“, betont Kant. Zynismus kann tödlich sein. „Es ist für Kant ein Gebot der moralischen Selbstachtung, an den politischen Zielen von Rechtsstaat, liberaler Demokratie, Gerechtigkeit, internationaler Kooperation und globalem Frieden festzuhalten. Denn ohne Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Frieden ist ein menschenwürdiges Leben nicht möglich. Wir können (und dürfen CM) diesen Anspruch nicht aufgeben, sonst geben wir unsere Menschlichkeit auf“ (Marcus Willaschek, „Kant“, München, 2024, S 42f.).

9.
Dieser politische Aspekt der Hoffnung im Denken Kants ist oft eher übersehen worden. Viele LeserInnen konzentrierten sich auf Kants eher individualistische Überzeugung: Dass der rechtschaffene Mensch in dieser Welt mit so vielen Übeltätern zwar scheitert und darüber zu verzweifeln droht. Aber, so meint Kant, aufgrund der von ihm als Postulat konzipierten Unsterblichkeit der Seele, habe der gescheiterte, aber rechtschaffene Mensch die begründete Hoffnung: einen Zustand des (göttlichen) „Höchsten Gutes“ zu erleben. Den „der gegenwärtige Zustand der Welt, in dem viele Menschen unverschuldet leiden, ist nach Kant eine moralische Zumutung“ , also etwas zu Überwindendes. (Marcus Willaschek, Kant, a.a.o. S.138).

10.

Die Soziologin Eva Illouz analysiert in ihrem neuen sehr empfehlenswerten Buch “Explosive Moderne” (Berlin, Suhrkamp, 2024) auch die falsche, weil unmenschliche “Hoffnungs” – Propaganda etwa in den kapitalistischen USA: Dort wird Hoffnung als reflektierte vernünftige Lebensorientierung zugunsten eines aktiven Handelns im Sinne der Menschenrechte völlig umgedeutet in den “amerikanischen Traum”: Und der verspricht den Armen und dem Mittelstand eine glänzende materielle Zukunft, einen Aufstieg nach oben mit einem Leben in unbegrenztem Reichtum. “In Gesellschaften, die so von Ungleichheit bestimmt sind wie die USA, ermöglicht diese Hoffnung es, Klassenkonflikte zu verwischen und die vielfältigen Weisen, in denen die Gesellschaft ihre Versprechen bricht, unkenntlich zu machen” (Eva Ellouz, a.a.o. S. 67). Wer dem amerikanischen Traum folgt, lebt also als Mensch, der von dem ewigen Erfolgsstreben nicht lassen kann und dann doch in dieser falschen Hoffnung scheitert. Der amerikanische Traum verändert die Hoffnung in die Erwartung künftigen materiellen Wohlstands, in die Hoffnung auf ein Leben , “das nie Zufriedenheit erlangen kann und in vergeblichem Warten versandet. ” (a.a.O. S. 71).

11.

Von dieser politischen Ideologie der Hoffnung als einem reduzierten, nur ökonomisch – kapitalistischen Traum kann  philosophische Reflexion befreien, die Überlegungen Kants oder auch die Erkenntnisse Václav Havels , des entscheidenden Denkers der “Samtenen Revolution” in der Tschechoslowakei. Im Jahr 1985, noch unter kommunistischer Herrschaft, reflektierte Havel über die wahre Hoffnung in dem Buch “Kreuzverhör”: “Hoffnung ist ein Zustand des Geistes…Hoffnung ist eine Dimension unserer Seele…Hoffnung ist keine Prognostik. Sie ist eine Orientierung des Herzens, die die unmittelbar gelebte Wwlt übersteigt und irgendwo in der Ferne verankert, hinter ihrn Grenzen…Hoffnung ist nicht Optimismus… Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat – ohne Rücksicht darauf, wie es ausgeht” (zit. in Illlouz S. 55). Die Nähe der Erkenntnisse Havels zu denen Immanuel Kants müssten hier weiter ausgearbeitet werden, sie sind offensichtlich:  “Hoffnung ist die Gewissheit, dass etwas Sinn hat…”

12.
Wer das neueste Buch des Historikers und Autors Rutger Bregman (Niederlande) liest mit dem Titel „Moralische Ambition“, Rowohlt – Verlag, 2024, hat den Eindruck: Da werden Kants Erkenntnisse aktualisiert, da wird das Hoffen – DÜRFEN als Erlaubnis und Aufforderung, zu hoffen und politisch tätig zu werden, für heute kreativ aufgegriffen und weiter geführt. “Wer wird leben im Gedächtnis der Menschen?” Ein zentraler Satz Rutger Bregmans: „Nicht die reichsten, sondern die hilfreichsten Menschen werden von der Geschichte erinnert“.

13.
Nebenbei:
Über die Bedeutung des in der Hoffnung erschlossenen höchsten Gutes wird diskutiert: Die einen Kant – Kenner betonen: Im Sinne Kants werde dann Gott im „Jenseits“ die moralische Qualität eines jeden Menschen prüfen und die Bösen bestrafen und die Guten belohnen. Im Laufe der Zeit, betont der Kant – Forscher Marcus Willaschek, habe sich „Kants Verständnis des höchsten Gutes immer weiter von einer `religiösen` zu einer `säkularen` Konzeption verschoben“ (S. 142). Gott werde nicht mehr als himmlischer Richter gesehen, sondern als ein Schöpfer, „der die Natur so geschaffen hat, dass wir Menschen in ihr das höchste Gut aus eigener Kraft realisieren können“ (ebd.).

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

War Jesus Palästinenser? NEIN. Aber Jesus als Christus ist AUCH Palästinenser!

Eine theologische Korrektur
Von Christian Modehn am 12.12.2024

Aktualisierung am 13.12. 2024: Als wir diesen Hinweis am 12.12. 24 veröffentlichten, durfte das Jesus-Christus- Kind noch auf einem Palästinensertuch in der Krippe in Rom/Vatikan liegen. Diese Präsentation wurde jetzt aus erwartbaren Gründen aufgehoben/verboten?  Das Jesuskind ist dabei auch entfernt worden. Sozusagen: Nun also die Feier einer Geburt ohne das Kind.

Uns irritiert diese Aktion sehr, weil damit vor allem auch eine theologische (!) Debatte aufgehoben wird. Ein Rabbiner verstieg sich sogar zu der Behauptung, Jesus sei Zionist gewesen…

Bedenkenswert ist dieser folgende Hinweis auf “Jesus-Christus in Rom auf einem Palästinensertuch” allemal.  CM.   LINK zum Verschwinden dieses Jesus Christus in der Weihnachtskrippe des Vatikans…Die Krippenfiguren wurden in einer Werkstatt in Bethlehem gefertigt!

1.
Einige große Medien regen sich darüber auf, dass in einer Weihnachtskrippe zu ROM, im Vatikan !,  jetzt das Jesuskind auf einem schwarz-weißen Palästinenser – Tuch, einer Kufija, liegt. Die Empörung heißt: „Das geht gar nicht! Jesus war doch Jude.“ Das stimmt. Aber es nicht die ganze Wahrheit. Fakten – Check bitte auch hier!

2.
Zu Weihnachten, dem Fest der Christen, wird dieser Jesus als der Christus, als der Heilsbringer für ALLE Völker und alle Menschen aller Kulturen gefeiert. Das sagt ja der Name „Christus“, er wird als universaler „Messias“ verehrt. Darum ist es sehr berechtigt und sehr richtig, diesen Jesus Christus auch als den religiösen Heilsbringer in den Gewändern der palästinensischen Kultur darzustellen. Das nennt man theologisch „Inkulturation“. Es kann doch sein, dass im Glauben an dieses palästinensische Jesuskind Impulse des Friedens ausgehen, wird doch dieser Jesus Christus als “Friedensfürst” verehrt. Der die Gewaltlosigkeit predigte und den Dialog auch mit politischen Gegnern/Feinden pflegte…

3.
So wie es auch berechtigt ist bzw. wäre, Jesus als den Christus in aktuellen jüdischen Gewändern und Symbolen darzustellen und in eine Krippe zu Weihnachten zu legen, weil es doch bekanntlich auch heute etliche Juden (vom Volk her definiert) gibt, die Christen (von der Konfession her) geworden sind. Sie sollen doch bitte ihren jüdischen Jesus als ihren Christus verehren.

4.
Diese Aufregung über das „Jesulein auf einem Palästinensertuch“ (so DIE ZEIT, S. 62, Nr. 53, siehe auch den polemischen Kommentar von Stefan – Andreas Casdorff im „Tagesspiegel“ 12.12.2024) in einer Krippe zu Rom ist lächerlich. Sie ist Ausdruck von theologischer Unbildung vieler Journalisten heute. Wenn diese Journalisten und Theologiennen wenigstens wüßten, was sie – möglicherweise beim Gottesdienstbesuch zu Weihnachten – alles so singen, etwa richtig:  „Christ der Retter ist da“. In christlicher Theologie ist es der Jude Jesus, der zum universalen Christus für die Christen erklärt wurde. Das können einige Theologen problematisch finden, aber es ist Tatsache. Christen sind eben nicht “Jesuaner“. Aber sie deuten den universalen Christus auch im Licht des Weisheitslehrers Jesus von Nazareth und seiner Menschenfreundlichkeit.

5.
Die weltreisenden Europäer wissen längst: Jesus Christus wird in Afrika als schwarzer Afrikaner dargestellt, in Tanzania oder am Kongo usw. Und in Peru und Bolivien ist Jesus als Christus gekleidet in üblichen Kleidern der indigenen Kulturen. Und für alle Marien- Verehrer sei gesagt: Da wird niemals Maria als Mutter Jesu Christi in der damals üblichen jüdischen Mode ausgestattet, sondern als schwarze Madonna in Afrika, als kluge Japanerin in Japan, als stolze Frau in der Renaissance, als leidende Mutter im 20.Jahrhundert oder als weinende Mutter im Gaza – Streifen angesichts ihrer getöteten Söhne oder als verzweifelte Maria im Kriege des mörderischen Russland gegen die Ukraine. Bravo also auch für dieses „Jesulein auf einem Palästinensertuch“. Diese Krippendarstellung regt das theologische Nachdenken an! Und nebenbei: Es gibt ja bekanntlich Palästinenser, die sich zu dem Juden Jesus als dem universalen Christus bekennen.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.