Die Jüdisch-christliche Zivilisation: Nun eine Ideologie der Rechtsextremen.

Über den Betrug der Rechtsextremen. Ein neues Buch von Sophie Bessis.
Ein Hinweis von Christian Modehn am 11.4.2025

1.
Der oft benutzte Begriff „jüdisch – christliche Zivilisation“ wird jetzt von der jüdischen Historikerin Sophie Bessis in Paris als Betrug der Rechtsextremen analysiert und bewertet.
Der Begriff hat sich, eher harmlos – versöhnlerisch klingend, seit etwa 1980 durchgesetzt. In christlichen Kreisen der Theologen wird er auch formelhaft verwendet, manchmal nur in der Kurzform „jüdisch-christlich“.
Dem Begriff gilt jetzt alle Aufmerksamkeit zum Verständnis der Ideologie der Rechtsextremen. Er teilt im Verständnis der europäischen bzw. us-amerikanischen und der israelischen Rechtsradikalen die Menschen in gute und böse. Gut sind angeblich die Verteidiger der „jüdisch-christlichen Zivilisation“ und böse die „anderen“ ,für Rechtsradikale vor allem „die“ Muslime.

2.
Gegen die übliche Selbstverständlichkeit bzw. auch Gedankenlosigkeit im Umgang mit dem Begriff „jüdisch – christliche Zivilisation“ argumentiert die französische Historikerin Sophie Bessis. Sie wurde 1947 in Tunis in einer jüdischen Familie geboren und arbeitet als Historikerin, Journalistin und Autorin zahlreicher wissenschaftlicher Studien in Paris. LINK zur Person.

Ihr neues Buch „La Civilisation judéo-chrétienne: anatomie d’une imposture“, („Die jüdisch-christliche Zivilisation: Anatomie eines Betruges“), wurde publiziert im Verlag „Les Liens qui libèrent“, Paris. LINK zum Verlag.

Das Buch hat in Frankreich viel öffentliche Aufmerksamkeit gefunden, auf deutsch liegt es noch nicht vor.

3.
Der Begriff wird – auf Frankreich bezogen – im öffentlichen Diskurs etwa seit 1980 verwendet. Die konsequente „laicité“ als republikanische Idee ist damals als orientierende Philosophie genauso verschwunden wie die kommunistische Partei. Nun wird das „Jüdisch-christliche“, in dieser Verklammerung, als neue/alte Identität des Westens proklamiert. Eine Art freundliche Geste der Nicht-Juden, der Christen, nach der Vernichtung der Juden im Holocaust.

4.
Einige zentrale Erkenntnisse von Sophie Bessis zur „jüdisch-christlichen Zivilisation“:
Der Begriff markiert die Vorherrschaft einer religiösen Ideologie: Es gilt, mit ihm die europäische Zivilisation ganz entscheidend auf den jüdisch-christlichen Zusammenhalt und die „gemeinsame Geschichte“ zu gründen. Die beiden monotheistischen Religionen sollen also die europäische Zivilisation bestimmen. In der Fußnote 1 wird auf die Verwendung des Begriffes durch westliche Politiker verwiesen.
Damit wird aber vor allem eine andere monotheistische Religion, der Islam, explizit ausgeschlossen, schreibt Sophie Bessis. Und sie zeigt, dass die arabischen Nationalisten diese Formel „jüdisch-christlich“ ihrerseits aufgegriffen haben, um die Interventionen des Westens gegen „den Islam“ – negativ – zu bewerten und zu bekämpfen.

5.
In einem Interview mit „Radio France International“ (RFI) vom 6.4.2025 sagt die Autorin: „Der Islam gilt heute als die Gefahr, er gilt als Barbarei. Die aktuellen israelischen Regierungschefs haben deswegen diese Rhetorik des „Jüdisch – Christlichen“ übernommen, sie zögern nicht, dies öffentlich zu proklamieren. Diese Rhetorik gilt ihnen als letzter Schutzwall der Zivilisation gegen die `muslimische Barbarei`. Und dieser anti-islamische Diskurs Israels wurde übernommen von der Mehrheit der westlichen politischen Klassen… Der Staat Israel wird durch Monsieur Netanyahu und seinen israelischen Führern zum Vorposten der westlichen Zivilisation erklärt – durch die Verwendung des Begriffes „jüdisch-christliche Zivilisation.“

6.
Auch die extremen Rechten im Westen verwenden den Begriff. „Zuletzt hat Monsieur Bardella von der rechtsextremen Partei „Rassemblement National“ (einst „Front National“ von Le Pen begründet) diese Formel verwendet…“, berichtet Sophie Bessis.
Übrigens: Auf die Übernahme des Begriffes „jüdisch-christlich“ durch rechtsradikale Parteien hat schon der Radiosender „France Culture“ am 20.3.2021 aufmerksam gemacht. LINK  

Auch die Partei AFD benutzt die Floskel „jüdisch-christliche Zivilisation/ Kultur“ sozusagen als Inbegriff für Europa, um gegen den Islam und die Flüchtlinge zu polemisieren und die muslimischen Menschen zu vertreiben.

7.
Die Autorin setzt sich in dem Interview mit RFI weiter mit dem Anspruch von Netanyahu auseinander, alle Juden der Welt zu repräsentieren. Dieser Gedanke ist für die Jüdin Bessis unerträglich. Denn dann könnten „alle Juden“ auch für die furchtbare Politik Netanyjahus Politik bestraft werden…
Und Sophie Bessis setzt sich auch mit einem neuen Philo-semitismus in manchen Staaten Europas auseinander, der zumal seit dem 7. Oktober 2023 lebendig wird. Philo-semitismus ist bekanntlich eine ins Ignorant-Positive gewendete Form des Antisemitismus, nur eben exzessiv freundlich erscheinend. Israels rechtsextreme Regierung pflegt mit dem rechtsextremen Präsidenten Orban in Ungarn eine tiefe Verbundenheit, auch mit Präsident Modi in Indien sowie mit zahlreichen neofaschistischen Parteien, für die Antisemitismus eigentlich typisch und wesentlich ist. Aber sie verschleiern diese ihre traditionelle Ideologie, um gegen „den“ Islam zu kämpfen.

8.
Genauso wichtig ist die Erkenntnis von Sophie Bessis: Der Begriff „jüdisch – christliche Zivilisation“ ist Ausdruck einer Illusion von einer angeblich lange währenden kulturellen und religiösen Nähe und Verbundenheit von Juden und Christen: Dieser Begriff ignoriert aber die Jahrhunderte des christlich geprägten Antisemitismus. Der harmlose Begriff verwischt den Jahrhunderte alten Hass der Christen und der Kirchen auf die Juden.

9.
Die Autorin glaubt nicht, dass der Begriff „jüdisch – christliche Zivilisation“ alsbald in der Umgangssprache wie in der Sprache der Politiker verschwindet. Dafür sind die Rechten und Rechtsradikalen leider zu stark.
Dabei liegt Sophie Bessis alles daran, dass dieser verschleiernde Begriff auch politisch immer weiter analysiert wird, um ihn danach beiseite zu legen zugunsten des Begriffes einer humane Weltzivilisation, in der die universellen Menschenrechte gelten. Wir meinen: Zu dieser humanen Weltzivilisation gehören auch die Religionen, auch der Islam: Er wird sich aber wie das Christentum und das Judentum und der Hinduismus usw. korrigieren und reformieren müssen durch die universell gelten Menschenrechte. Denn die Religionen können intern keine radikale Reform ihrer Dogmen usw. gestalten, das kann nur die allgemeine Vernunft. Zur humanen Welt – Zivilisation gehört vor allem auch der Humanismus, der seit der Renaissance Europa zu bestimmen versucht mit seiner Philosophie der Toleranz.

10.
In der christlichen Theologie werden die Adjektive „jüdisch – christlich“ seit vielen Jahren verwendet, in der katholischen Kirche etwa seit dem 2. Vatikanischen Konzil (1962-65). Der Begriff soll – nach dem Holocaust – die Verbundenheit des christlichen Glaubens mit dem Judentum signalisieren. Beispielsweise hat der niederländische Theologe und Poet Hub Oosterhuis – neben vielen anderen Theologen – diese Worte „jüdisch-christlich“ oft gesprochen und geschrieben: Voraussetzung dafür war und ist: Die meisten christlichen Theologen sehen eine enge Verbundenheit des Neuen Testaments der Christen mit der hebräischen Bibel der Juden. Davon spricht Sophie Bessis in ihrem Buch nicht.
Aber darüber sollten Theologen sprechen, selbst wenn es eine Art Tabuthema ist: genauer hinzuschauen, was denn diese enge Verbundenheit des Neuen Testaments der Christen mit der hebräischen Bibel bedeutet. Jesus von Nazareth ist Jude, aber ein Jude mit einer ungewöhnlichen, einmaligen durchaus auch „anderen“ Spiritualität. War er als Jude vielleicht aus dem herrschenden Judentum damals spirituell „hinausgewachsen“? Immanuel Kant hat 1793 seine These zu publizieren gewagt: Jesus von Nazareth hat in Bezug auf das Judentum eine „gänzliche Revolution in Glaubenslehren bewirkt“ (Fußnote 2). Aber dies ist ein anderes Thema…

Fußnote 1: Zitat aus der politischen Website BLAST in Frankreich: „Les hommes politiques en truffent leurs déclarations, s’en réclamant ad nauseam pour justifier leurs actions. Un candidat à l’élection présidentielle américaine de 2000 assurait ainsi qu’« être la seule superpuissance donnait aux États-Unis des responsabilités, en particulier celle d’intervenir à l’extérieur pour protéger les valeurs judéo-chrétiennes (2) ». Le monde est partagé entre « les cultures judéo-chrétiennes » et les autres (3). En France, on consacra en 1998 un colloque à « l’intégration politique des Français musulmans et leur place dans l’espace judéo-chrétien (4) ». Dans une interview au quotidien Le Figaro le 29 mai 2024, l’ex-président Nicolas Sarkozy brandissait lui aussi les « racines judéo-chrétiennes » de l’Europe. Écrit-on sur l’économie ? On y fait référence (5). Siehe: https://www.blast-info.fr/articles/2025/sophie-bessis-la-civilisation-judeo-chretienne-anatomie-dune-imposture-les-bonnes-feuilles-Ep8Ugq3ETDaUeibgnbV5vQ. BLAST vom 15.3.2025.

Fußnote 2: Seite B 190 in „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“.

Das wichtige Buch “La civilisation judéo-chrétienne: Anatomie d’une imposture”von Sophie Bessis ist im Verlag Les Liens qui libèrent in Paris 2025 erschienen, es hat 124 Seiten und den Preis von 10 €.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

 

 

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